Liebesschwüre zum Dessert - Emma zur Nieden - E-Book

Liebesschwüre zum Dessert E-Book

Emma zur Nieden

5,0

Beschreibung

Felizitas Roth tritt eine Stelle als Souschefin in Charlotte Clements Restaurant "la fantasie" in Koblenz an. Sie verlässt Hamburg, weil sie weit weg von ihrer Exfreundin sein will. Die Stelle bei Charlotte bietet ihrer Kreativität beim Kochen einige Möglichkeiten. Die Chefin und Felizitas arbeiten harmonisch zusammen. Schließlich verliebt sie sich in Charlotte mit ihrem süßen französischen Akzent. Als die beiden Köchinnen zusammen ins Elsass – Charlottes Heimat – fahren, landen sie im Bett. Felizitas verlässt allerdings das gemeinsame Hotelzimmer, weil es Probleme beim Sex gibt. Sie fragt sich, was mit Charlotte los ist. Doch Charlotte zögert, ihr Geheimnis preiszugeben. Wird Felizitas ihren Arbeitsplatz wieder verlassen müssen?

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Emma zur Nieden

Greta März

Liebesschwüre zum Dessert

Liebesroman

Epubli: 1. Auflage (September 2019)

Copyright: Emma zur Nieden und Greta März

Cover: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung von Bildmaterial von Catarina Belova (Hintergrund); S-Photo (Tisch); nataliafrei (Mousse); Olga_Serova (Kräuter) / Shutterstock

Für Heike

Vorbemerkung

Liebe Leserin, du solltest ein paar Dinge wissen, bevor du den Roman liest.

Eine der Protagonistinnen ist Französin mit hervorragenden Deutschkenntnissen, dennoch hat sie einen starken französischen Akzent. Im Roman wird das dadurch deutlich, dass sie in vielen Fällen das „ch“ wie „sch“ ausspricht und das „h“ auslässt. Wir haben den Text nicht „geglättet“, sondern diese Besonderheit des französischen Akzents belassen. Es macht einfach den Charme der Figur aus, finden wir.

Sollte jemand das „g“ ebenfalls als „sch“ gesprochen vermissen, muss gesagt werden, dass sie ihr Deutsch von ihrer Mutter, einer Bayerin, gelernt hat. Dort wird das „g“ eher wie ein „k“ ausgesprochen. An den Stellen, an denen ein „g“ auf ein „k“ trifft, sind wir von diesem Prinzip abgewichen.

Es gibt eine Reihe französischer Ausdrücke, die die Protagonistin verwendet. Sie sind in den meisten Fällen aus dem Zusammenhang zu erschließen.

1

Felizitas richtete gerade die Granatapfelkerne auf den Desserttellern für Tisch fünf an, als ein ohrenbetäubender Lärm durch den Raum tobte. Sie zuckte zusammen und sah auf. Charlotte Clement, ihre Chefin, hatte einen Topf vom Ofen gerissen und ihn mit voller Wucht in den Ausguss gedonnert, dass die Suppe nur so spritzte. Ihre Schürze war mit roten Tupfern übersäht. „Isch ´abe dir tausendmal gesagt, du sollst vorsischtig mit den Gewürzen sein. Nachwürzen kann man immer. Wenn die Suppe einmal versalzen ist, ist sie nischt mehr zu gebrauchen“, polterte Charlotte und goss die Suppe weg. „Das machst du noch einmal, aber toute de suit! Die Leute warten auf ihr Essen.“ Charlotte merkte, dass sämtliche Personen im Raum von der Lègumière über die Poissonnière bis hin zur Pâtissière und zur Souschefin ihre Arbeiten unterbrochen hatten und dem Geschehen gefolgt waren.

„Was glotzt ihr so ´erum? ´abt ihr nischts zu tun? An die Arbeit! Marsch, marsch! Mon dieu!“ Charlotte hob theatralisch die Arme nach oben und schob ein weiteres „Mon dieu!“ hinterher, bevor sie ein paar unverständliche französische Schimpfwörter murmelte. Alles, was Felizitas verstehen konnte, war merde und enfoiré. Ihr Französischlehrer hatte ihr während einer Klassenfahrt in der Mittelstufe eingeschärft, laut und deutlich „Arschloch“ auf Französisch zu rufen, wenn sich ihr ein Unbekannter nähern wollte. Witzigerweise gab es von diesem Schimpfwort sowohl die männliche als auch die weibliche Version, die die Chefin soeben benutzt hatte. Felizitas grinste innerlich. Sie hielt die Luft an, um nicht laut loszulachen und senkte die Augen auf ihre Granatapfelkerne.

Während sie wieder an die Arbeit ging, sinnierte sie darüber, wie sexy sie Charlottes französischen Akzent fand, der noch deutlicher herauskam, wenn sie sich aufregte. Es war herrlich, wenn sie die Worte auf der zweiten Silbe betonte und das „h“ wegließ. Felizitas hatte es geradezu genossen, ihr dabei zuzuhören und zuzusehen, wie sie ausgeflippt war und französische Schimpftiraden aus ihrem sinnlichen Mund gehüpft waren. Man konnte ihr gar nicht böse sein. Der französische Akzent klang so süß. Felizitas, Felizitas! Solche Gedanken solltest du im Zusammenhang mit deinem Boss nicht haben und sie dir schleunigst verkneifen. Aber Charlottes Augen funkelten so wunderbar, wenn sie wütend war. Felizitas konnte sich gar nicht satt daran sehen. Funkelten sie auch, wenn sie verliebt war? Verträumt richtete Felizitas ihren Blick in die Ferne, als sähe sie dort Charlottes verliebt funkelnde Augen auf sich ruhen. Felizitas seufzte. Schluss damit! Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Nachdem der letzte Granatapfelkern an seinem Platz lag, drückte sie sanft auf die Klingel, um der Bedienung zu signalisieren, dass die Teller zum Abtransport ins Restaurant bereitstanden.

2

Als Felizitas sich abends in ihrem Bett wälzte, konnte sie nicht schlafen, obwohl sie todmüde war. Immer wieder ging ihr die Szene mit der versalzenen Suppe am Abend durch den Kopf. Sie musste grinsen, als sie die Flüssigkeit vor ihrem geistigen Auge so hoch spritzen sah, dass die Schürze von Charlotte vollkommen bekleckert war. Die Chefin war nicht das erste Mal so energisch gewesen. Felizitas mochte es, wenn eine Frau ihrer Leidenschaft Ausdruck verlieh. Würde sie im Bett so temperamentvoll sein wie in der Küche? Felizitas rief sich zur Raison. Wohin sollten solche Gedanken führen? Charlotte war ihre Chefin. Chefinnen waren tabu. Dass Charlotte lesbisch war, hatte sie während Felizitas´ Bewerbungsgespräches in einem Nebensatz fallen gelassen, als Felizitas den Grund für ihre Bewerbung genannt hatte. Sie wollte weit, weit weg sein von ihrer Ex-Freundin. Der Punkt wäre also geklärt.

Sie beschloss, ihre Gedanken an die Chefin durch sportliche Betätigung aus dem Kopf zu verbannen, indem sie morgen eine Radtour am Rhein entlang machte. Sie war bereits die ein oder andere Tour gefahren. Die Landschaft war noch atemberaubender, als der Reiseführer versprach. Da das Restaurant montags und dienstags geschlossen hatte und ihr meist beide Tage zur freien Verfügung standen, hatte sie den ganzen Tag Zeit, bevor sie am Mittwoch an der Reihe war, mitten in der Nacht zum Großmarkt zu fahren, um die frischen Zutaten für die Tageskarte zu besorgen.

Sowieso war es keine gute Idee, Charlotte Avancen zu machen, schließlich war sie erst seit wenigen Monaten getrennt von Mona. Es war noch viel zu früh, sich nach einer anderen Frau umzusehen.

Felizitas seufzte. Sie war davon überzeugt gewesen, Mona wäre ihre große Liebe. Ihr kam eine Erinnerung in den Sinn. Sie beide hatten sich nach einem wunderbaren klassischen Konzert in der Elbphilharmonie zärtlich geküsst. Felizitas hatte gedacht, es wäre alles in Ordnung. Sie hatte sich gewaltig getäuscht. Was genau mit Mona los war, wusste sie nicht, aber eines Abends, als Felizitas sie nach allen Regeln der Kunst verführen wollte, entzog sich Mona und eröffnete ihr, dass sie sie, Felizitas, schon lange nicht mehr begehrenswert fand. Das war ein Schlag ins Gesicht und in die Magengrube zugleich. Felizitas hatte sich mächtig anstrengen müssen, nicht vor Monas Augen loszuheulen. Diesen Triumph hatte sie ihr nicht gönnen wollen. Wütend, hilflos, tief getroffen packte sie einen Koffer und verließ wortlos die gemeinsame Wohnung. Mona sah nur emotionslos zu und machte keinen Versuch, Felizitas zurückzuhalten.

Warum Felizitas nicht Mona herausgeworfen hatte, statt selbst zu gehen, konnte sie sich später nicht mehr erklären. Sie wollte nur noch weg von der Frau, die sie bis ins Mark enttäuscht und verletzt hatte. Zum Glück ließ ihre beste Freundin Susanne sie bei sich wohnen, bis sie ihre neue Stelle in Koblenz antreten konnte. Schon wieder Glück, denn das la fantasie hatte dringend eine Souschefin gesucht, just in dem Moment, als Felizitas sich von Mona getrennt hatte. Sie hatte alles hinter sich gelassen und wollte neu anfangen. Nur weit weg von dem größten Nackenschlag ihres Lebens. Sollte die doch ihre Klamotten entsorgen. Felizitas würde sich neu einkleiden. Eine kleine Boutique in der Altstadt von Koblenz, schräg gegenüber vom la fantasie, hatte sie schon ins Auge gefasst. Derweil benutzte sie die Kleidung, die in den kleinen Koffer passte, den sie eilig gepackt hatte. Zum Glück hatte sie Susannes Waschmaschine benutzen dürfen, während sie bei ihr gewohnt hatte.

Mona hatte sie schwer verletzt mit ihren harten Worten. Felizitas verdrückte ein paar Tränen. Immerhin war sie fünf Jahre mit Mona zusammen gewesen. Das blieb nicht im Anzug hängen. Sie wischte sich die Tränen von der Wange. Verdammt! Mona konnte sie immer noch zum Weinen bringen.

Vielleicht weinte sie auch ein klein wenig darum, dass sie das Dagobert´s hatte verlassen müssen, das beliebteste Zwei-Sterne-Restaurant in Hamburg. Es war ihre erste Stelle als Souschefin. Damals war sie mächtig stolz darauf gewesen, dass sie als Köchin aufgestiegen war. Dennoch hätte sie nicht in Hamburg bleiben können, weil alle möglichen Dinge sie an Mona erinnert hätten – einschließlich ihrer Kleidung. Mona und sie waren oft zusammen bummeln gegangen, und Felizitas war stets mit neuen Outfits nach Hause gekommen. Jedenfalls wollte sie ihre Ex so schnell wie möglich vergessen. Was wäre da besser geeignet, als sich in die Arbeit zu stürzen?

Wenigstens hatte die Arbeit bei der neuen Chefin Unterhaltungswert. Felizitas grinste breit. Das Tollste aber war, dass sie der Küchenchefin bei der Speisekarte behilflich sein durfte. Während ihrer Tätigkeit im Dagobert´s waren ihr solch kreative Aufgaben nicht übertragen worden. Immerhin. Vielleicht hatte die Provinz doch ihr Gutes. Wenigstens war der Rhein ein besseres Ambiente für ihre Radtouren als die äußerst verkehrsreiche Hamburger Innenstadt mit ihrer schlechten Luft. Und Koblenz war weit genug von der Hansestadt entfernt, so dass Felizitas wieder frei atmen konnte. In Monas Nähe war ihr das unmöglich gewesen.

Nach einer erstaunlich traumlosen Nacht im Tiefschlaf, der Felizitas doch noch ereilt hatte, packte sie am Montagmorgen nach dem Frühstück den Rucksack mit einem Brot, zwei Äpfeln und viel Wasser für ihre Radtour. Das Wetter schien dafür wie gemacht: kalt, aber blauer Himmel und Sonnenschein. Sie wusste noch nicht genau, wie der Tagestrip aussehen würde, fuhr aber zunächst in Richtung St. Goar. Sie würde später entscheiden, ob sie wieder zurückfuhr – das waren etwas über 35 Kilometer – oder sich die Rückfahrt mit einem der Schiffe der weißen Flotte gönnen sollte. Die Landschaft floss so herrlich gemächlich an einem vorüber, wenn man nicht gerade Rekorde brechen wollte. Im Moment war ihr nicht nach hoher Geschwindigkeit. Dass der Rhein außer einem gut ausgebauten Radweg weit mehr zu bieten hatte, wusste sie von einer Fahrt zu Beginn ihrer Arbeit im la fantasie. Montags wäre zudem nicht ganz so viel los wie am Wochenende. Auch der Radweg war nicht so überlaufen. Am liebsten würde Felizitas sich in die Einsamkeit jenseits des Flusses zurückziehen. Für derartige Touren kannte sie sich allerdings noch nicht gut genug aus. Sie wollte nicht riskieren, sich zu verfahren.

Der Mosel- und der Ahrradweg standen darüber hinaus auf ihrem Programm. An einem Fluss entlangzufahren war streckentechnisch immer die leichteste Variante, aber auch die am meisten frequentierte. Der Weg war überschaubar und durch den Flussverlauf vorgegeben. Sich zu verfahren war praktisch unmöglich.

Felizitas konnte in wenigen Minuten auf dem Rheinradweg sein, weil sie etwa auf der Höhe des Cafés Rheinanlagen wohnte, auf der Hälfte zwischen Rhein und Hauptbahnhof. Die Wohnung war noch nicht vollständig eingerichtet, trotzdem gefiel sie Felizitas. In den kommenden Wochen würde sie die Möbelhäuser in der Nähe unsicher machen und die fehlenden Möbelstücke aussuchen und ihre Wohnung gemütlicher machen.

Soeben fuhr sie an der Burg Stolzenfels vorbei, die sie bereits besichtigt hatte, um kurz danach einen Blick auf Lahnstein und die Mündung der Lahn in den Rhein zu werfen. Die Burg Lahnstein thronte hoch über dem Fluss. Für die Besichtigung der Stadt und der Burg war noch keine Zeit gewesen. Nach einigen Kilometern ragte die Marksburg vor ihr auf. Im Reiseführer hatte sie gelesen, dass dort ab und zu Mahlzeiten wie zu Ritters Zeiten angeboten wurden. Das hörte sich spannend an. Sie hätte große Lust, einmal an solch einem Gelage teilzunehmen. Musste ja niemand wissen, dass sie Souschefin war.

Kurze Zeit später zweigte sie vom Weg ab, um sich Boppard anzusehen. In einem kleinen Laden kaufte sie sich die hiesige Tageszeitung, die sie während ihrer Mittagspause lesen würde. Die Frau hinter der Theke hatte sie angelächelt. Felizitas setzte ihrerseits die Fahrt mit einem Lächeln im Gesicht fort.

Die frische Luft und die Freundlichkeit der Frau taten gut und machten den Kopf frei. Felizitas genoss die Fahrt und beobachtete die Tankschiffe, die aneinander vorbeifuhren und sich manchmal zu hupten. Sie ließ die kleinen Örtchen rechts liegen und setzte ihre Fahrt in gemächlichem Tempo fort. Als sie die Burgen Katz und Maus passierte, beschloss sie, in deren Angesicht einen kleinen Mittagssnack in St. Goar einzunehmen. Die Äpfel könnte sie später noch essen.

Nachdem Felizitas ihr Rad abgeschlossen und sich in ein geschütztes Eckchen eines gemütlich aussehenden Restaurants zurückgezogen hatte, war sie überrascht, wie lecker der Salat mit der Hähnchenbrust war. Das Himbeerdressing war frisch und verlieh dem Salat eine besondere Note.

Das Mittagessen hatte Felizitas satt und träge gemacht. Sie beschloss, noch ein paar Kilometer bis Oberwesel zu fahren und sich von dort zurück nach Koblenz schippern zu lassen.

Als das Schiff Richtung Koblenz angelegt hatte, stieg Felizitas zu und stellte das Rad im Eingangsbereich ab. Sie suchte sich einen Platz an Deck. In der letzten Reihe saßen zwei Frauen in inniger Umarmung. Felizitas traf der Schlag. Eine von ihnen war ihre Chefin Charlotte Clement. Die andere war kaum zu erkennen, weil sie eine Sonnenbrille und einen Sonnenhut trug, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Felizitas sah zu, dass sie sich schnell in Fahrtrichtung setzte, um bloß nicht erkannt zu werden. Auf keinen Fall wollte sie an ihrem freien Tag Smalltalk mit Madame Clement führen müssen. Außerdem schien die Chefin mit ihrer Freundin beschäftigt zu sein, da wollte sie nicht stören. Sie fand einen Platz weit weg von den Turteltäubchen. Felizitas wusste nicht, ob sie sich für Charlotte freuen sollte oder nicht. Sie hätte lieber gesehen, wenn Charlotte Single wäre. Felizitas verpasste sich einen imaginären Klaps auf den Hinterkopf. Das fehlte gerade noch. Charlotte war liiert und Felizitas hatte sich nicht für ihre Chefin zu interessieren.

3

Am Mittwochmorgen radelte Felizitas verschlafen zum la fantasie, um mit dem restauranteigenen Wagen zum Großmarkt zu fahren. Die Einkaufsliste lag im Handschuhfach, damit sie nicht vergessen wurde. Das war schon ein paar Mal passiert, nicht nur ihr selbst, zum Glück auch der Chefin. Eine zeitraubende Angelegenheit, die Liste in der Küche zu suchen, zumal eine halbe Stunde später die besten Angebote vergriffen waren und sie ihre Speisekarte hatten ändern müssen.

Felizitas drückte den Türöffner und wollte einsteigen, als ein fröhliches „Guten Morgen!“ mit Akzent sie daran hinderte. Sie sah über das Dach des Kastenwagens hinweg.

„Was machst du denn hier? Ich bin doch mit dem Einkauf dran oder habe ich etwas verpasst?“ Die Überraschung war Felizitas ins Gesicht geschrieben.

„Isch ´abe vor, den Speiseplan zu erweitern.“ Charlotte öffnete die Tür und stieg ein. Verdutzt setzte sich Felizitas hinter das Steuer. Während sie auf eine weitere Erklärung wartete, parkte sie aus und schlug den Weg Richtung Großmarkt ein.

„Wie wäre es einmal mit einem ganz traditionellen Koblenzer Debbekooche?“ Felizitas spürte Charlottes fragenden Blick. So richtig verstanden hatte sie die Chefin nicht. Was sollte ein Debbekooche sein? Es hörte sich nach einer Speise aus der Region an.

„Was soll das denn sein?“ Bisher hatte sich Felizitas nicht mit der Küche in Koblenz befasst, die außerhalb des la fantasie stattfand. Waren regionale Spezialitäten überhaupt gewünscht in einem Restaurant mit gehobener Küche? Passte so ein Gericht überhaupt zum Konzept des la fantasie? Von einem Debbekooche hatte sie noch nie gehört. So viel sie mitbekommen hatte, jagte die Chefin nach einem Stern. Da wäre Regionales doch eher kontraproduktiv, oder?

„Le repas besteht aus Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Gewürzen. Man gibt Schinkenwürfel und Mettenden ´inein. Isch würde es stattdessen mal mit einem Loup de Mer ausprobieren. Das schmeckt sischer fantastic.“

„Wenn du meinst.“ Felizitas war skeptisch. „Wir müssen also die Einkaufsliste um Loup de Mer und Kartoffeln erweitern?“

„Exactement.“

„Willst du es morgen schon anbieten?“

„Non, non, non. Wir müssen erst probieren mit der Fisch und andere Gewürze. Isch möschte ein neues Gerischt daraus machen.“ Charlotte fuchtelte mit ihrem Zeigefinger hin und her. „Vorsischts´alber bringen wir auch Süßkartoffeln mit. Wir probieren alles aus. Du bist doch dabei?“ Charlotte drehte sich zum Fahrersitz. Felizitas drehte kurz den Kopf und sah in ein Gesicht mit gehobenen Augenbrauen.

„Ich bin immer offen für neue Ideen.“ Das stimmte. Felizitas freute sich auf die Kreation neuer Gerichte. Sie liebte es geradezu. Und wenn Charlotte der Meinung war, dieser Debbekooche könnte etwas für ihre Küche sein, würde sie gern daran mitarbeiten, ihn zu verfeinern. Ohnehin freute sie sich gerade ein Loch in den Bauch, dass die Chefin sie an der Abwandlung eines Gerichtes teilhaben ließ. „Wo hast du denn die Idee her?“ Felizitas´ Stimme verriet durch ein leichtes Zittern, dass die Chefin sie mit ihrem Enthusiasmus angesteckt hatte.

„Isch ´abe es gestern Abend in einem dieser kleinen Restaurants ´ier in der Innenstadt gegessen. Es war superbe.“ Charlotte überschlug sich vor Begeisterung. Sie führte Daumen und Zeigefinger zusammen an den Mund, machte ein Kussgeräusch und schleuderte die geöffneten Finger nach oben.

Das musste ja wirklich ein Rausch gewesen sein, wenn die Clement zu so einer Geste verleitet wurde. Felizitas wäre mit all ihrem Können und all ihrer Erfahrung dabei.

Lange bevor die anderen Mitarbeiterinnen eintrafen, hatten sowohl Maître de Cuisine als auch Souschefin zahlreiche kleine Debbekooche-Varianten hergestellt, getestet und noch immer keinen geschmacklichen Durchbruch erzielt, obwohl sie bereits seit ein paar Tagen daran arbeiteten. Die ersten Varianten waren so ungenießbar, dass die beiden sie niemand anderen probieren ließen. Nun standen die kalten Förmchen auf dem Tresen. Jede neu eintreffende Mitarbeiterin wurde gebeten zu probieren und ein Urteil zu fällen. Von „Igitt“ über „Naja“ bis zu „Kann ich das wieder ausspucken?“ waren die Urteile wenig ermunternd ausgefallen.

Plötzlich hatte Felizitas eine Idee. „Wie wäre es, wenn wir den Debbekooche einfach in seiner ursprünglichen Form belassen. Wir bieten ein kleines Stück als Amuse-Gueule an und testen, wie es bei unseren Gästen ankommt. Wenn das Publikum diesen Gruß aus der Küche mag, können wir ihn ja zur Dauereinrichtung machen.“

„Ja, so könnten wir es machen. Wir lassen le repas einfach wie sie ist. Eine wunderbare Idee.“ Charlotte ballte die Faust. Als hätte sie einen Sieg errungen. „Isch kaufe morgen Früh Kartoffeln, ein schönes Stück Schinken und Mettenden zusätzlisch. Isch ´abe Apfelkompott dazu gegessen. Das war ebenfalls grandiose.“ Tanzenden Schrittes schwebte die Chefin förmlich durch die Küche, die Worte formidable, magnifique, merveilleux auf der Zunge, bevor sie sich daran erinnerte, dass das Restaurant am Abend ausgebucht war. „Et que ça saute!“, rief sie durch die Küche und klatschte mehrmals in die Hände. Das hieß so viel wie „Jetzt aber an die Arbeit!“

4

„Superbe!“, beurteilte Charlotte den frisch aus dem Ofen kommenden Debbekooche. Form und Speise dampften. Felizitas beobachtete Charlotte, während sie ein Stück davon in ihrem Mund verschwinden ließ und sofort kalte Luft einsaugte, um sich nicht die Zunge zu verbrennen. Das Pusten vor dem Probieren hatte offensichtlich nicht zur Abkühlung des Kuchens beigetragen. Eine Woche hatten Felizitas und Charlotte probiert und probiert, bis sie die einfachste Lösung gefunden hatten: die Speise genauso zu lassen, wie sie war. „Wie findest du unsere création?“ Felizitas sah die Anspannung im Gesicht der Chefin, während sie auf ihre Antwort wartete. Felizitas wollte erst probieren, bis der Kuchen weiter abgekühlt war. Schließlich kostete sie ein Stück. Wirklich lecker. Die Koblenzer Spezialität schmeckte richtig gut. Und sie hatten alles so belassen, wie das Rezept es vorgab. Felizitas hatte von ihrer Nachbarin noch den Tipp bekommen, den Schinkenspeck auf dem Topfboden zu verteilen und den Rand des Bräters mit Kartoffeln auszukleiden. Am Ende sollte bei hoher Hitze eine knusprige Kruste entstehen. Diese Variante schmeckte deutlich besser, als die, die sie und Charlotte ausprobiert hatten. Die Kombination aus Deftigem und Süßem war der Wahnsinn. Das Gericht gewann tatsächlich durch einen Klecks Apfelkompott. „Das ist superlecker“, schwärmte Felizitas. Sie hielt die Augen geschlossen, um sich vollkommen der Geschmacksexplosion in ihrem Mund zu widmen.

Plötzlich spürte sie Charlottes Arme an ihren Hüften. „Das muss gefeiert werden, n´est ce pas?“, flüsterte ihr die Chefin ins Ohr. Felizitas wurde es heiß und kalt, eine Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper. Bevor sie jedoch die Umarmung hätte erwidern können, hatte sich Charlotte schon von ihr gelöst. Felizitas war überrascht, dass sie ihr überhaupt so nah gekommen war. Bisher hatte die Chefin sich mit körperlicher Nähe sehr zurückgehalten. So verdutzt wie Felizitas war, konnte sie nur nickend ihre Zustimmung geben.

„´eute Abend, wenn alle Arbeit im la fantasie erledigt ist, öffnen wir eine gute Flasche Wein. Was ´ältst du davon? Oder meinst du, die Mädels würden lieber etwas anderes trinken?“

Felizitas zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie aber auch zu kaputt für einen Schluck Wein und möchten lieber nach Hause. Ihre Liebsten warten sicher schon.“

„Das stimmt. Schlag etwas anderes vor“, bat die Chefin.

„Was würdest du sagen, wenn wir an einem unserer freien Tage mal einen Schiffsausflug machen?“, schlug Felizitas vor.

„Du ´ast immer so gute Ideen. Dann könnte isch misch gleisch für all die viele Arbeit, die die Mitarbeiterinnen zusätzlisch gemacht ´aben, bedanken.“ Charlotte sah zu Felizitas hinüber und wedelte mit dem Zeigefinger herum. „Aber nur, wenn der Debbekooche ´eute Abend ein Erfolg wird.“ Sie lächelte verschmitzt. Dabei leuchteten ihre Augen wie ein kostbarer Saphir.

Felizitas nickte und wendete mit Herzklopfen den Blick ab, um nicht in dieses warme Blau zu versinken.

5

Felizitas fläzte sich erschossen auf die Couch und ließ den Tag Revue passieren. Charlotte hatte einen der kleineren Ausflugsdampfer gechartert. Sie hatte sämtliche Mitarbeiterinnen und ihre Partner mit ihrem Nachwuchs eingeladen. Dabei stellte sich heraus, dass die Pâtissière Monika mit einer Frau liiert war. Obwohl die beiden schon zehn Jahre zusammen waren – das wusste sie von Charlotte –, wirkten sie wie frisch verliebt. Felizitas war für eine Sekunde neidisch auf die beiden. Sie selbst wünschte sich schon lange solch eine liebevolle Beziehung. Aber offensichtlich geriet sie mit derselben traumwandlerischen Sicherheit, mit der sie in der Küche ihr Messer schwang, an die falsche Frau.

Aber darum ging es gerade nicht. Charlotte hatte Felizitas gebeten, ihr bei der Zubereitung der kalten Speisen am Abend zur Hand zu gehen. Sie hatte sich nicht gescheut, von allem nur das Beste aufzufahren. Von Lachs über Carpaccio vom Rind bis hin zu einem der köstlichsten Vitello tonnatos, die Felizitas je gegessen hatte. Sie hatten eine Reihe von Salaten aus der Feder von Charlottes Mutter zubereitet, die das Fisch- und Fleischangebot hervorragend ergänzten.

Die Chefin hatte augenscheinlich die Crew darum gebeten, selbstgebackenen Kuchen mitzubringen. Der wurde wie die Abendspeise als Buffet aufgebaut. Es war alles vertreten vom einfachen Marmorkuchen über eine erfrischende Philadelphia-Torte bis hin zu einer komplizierten Variante der Schwarzwälder Kirschtorte. Charlotte hatte ihren privaten Kaffeevollautomaten mitgenommen, so dass die Erwachsenen mit allen möglichen Kaffeevarianten verwöhnt werden konnten. Für die Kinder gab es Saft oder Kakao.

Das Kuchenbuffet wurde ziemlich bald nach dem Ablegen des Dampfers, und nachdem Charlotte eine bewegende Rede des Dankes gehalten hatte, eröffnet. Es wurde heftig applaudiert, und ein paar Tränchen kullerten, die verstohlen weggewischt wurden, wie Felizitas beobachten konnte.

Das Wetter war ihnen wohlgesonnen, deshalb waren sämtliche Tische im Außenbereich besetzt. Grüppchen fanden sich und unterhielten sich angeregt, während die Burgen eine nach der anderen an ihnen vorbeitrudelten.

Felizitas hatte sich zu Monika und ihrer Frau gesetzt und sich nett unterhalten. Monika hatte sie später zur Seite genommen und ihr erzählt, dass Gabi, ihre Frau, im vierten Monat schwanger war. Felizitas hatte sie spontan umarmt und sie beglückwünscht. Monika erzählte ihr, nach der Geburt nur noch halbe Tage arbeiten zu wollen. Sie erbat Felizitas´ Unterstützung, wenn sie dieses Thema mit Charlotte besprach. Felizitas konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Chefin etwas dagegen haben könnte, denn sie hatte beobachtet, wie achtsam und respektvoll sie mit den Kindern ihrer Mitarbeiterinnen umging. Felizitas war schwer beeindruckt von Charlotte. Sie sagte Monika ihre Unterstützung zu.

Als das Schiff am Loreleyfelsen vorbei fuhr, sangen alle den Text von Heines Gedicht mit, die Kinder auf dem Arm oder an der Hand. Ein schönes Bild. Felizitas war ganz ergriffen gewesen.

Das Büffet des Abendessens war für die Crew eine Überraschung. Sie hatten leuchtende Augen und bekundeten mit vollem Mund, wie fantastisch jede einzelne Speise schmeckte.

Für die Getränke hatte Charlotte natürlich auch gesorgt. Es gab Wein oder Bier, Saft oder Wasser, und alle Gäste langten ordentlich zu. Zum Glück war Montag, und man konnte sich am Dienstag noch von diesem Gelage erholen, bevor am Mittwoch die Schicht begann. Gegen Ende der Reise gab es einen weiteren Höhepunkt. Monika war auserkoren worden, eine kleine Rede zu halten und der Chefin für all die Köstlichkeiten zu danken. Monika überreichte Charlotte einen riesengroßen, wunderschönen bunten Blumenstrauß. Sie war offensichtlich gerührt und nahm den Strauß mit einer Verneigung entgegen. Sie legte den Strauß ab und umarmte Monika stellvertretend für alle anderen. Tränen schimmerten in ihren Augen.

In den folgenden Wochen meinte Felizitas ein verstärktes Engagement der Mitarbeiterinnen wahrzunehmen. Es wäre sicher eine gute Idee, derartige Events in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Und natürlich hatte Charlotte nichts gegen eine Halbierung von Monikas Stunden. Sie freute sich offenbar für Monika und ihre Frau, gratulierte ihr und umarmte sie.

Felizitas war bereits auf der Schiffstour klar geworden, dass sie die richtige Stelle gefunden hatte. Selten hatte sie sich in einem ihrer Jobs so wohl gefühlt. Das Rundumpaket stimmte einfach. Fehlte nur noch die richtige Frau an ihrer Seite …

6

Augenscheinlich gehörte Charlotte zu den Köchinnen, die sich mit dem Erreichten nicht zufriedengaben. Sie lud Felizitas am Montag zu sich ein, um neue Rezepte zu entwickeln. Diese fühlte sich natürlich geschmeichelt, an etwas Innovativem mitzuarbeiten, hatte sie doch genau das im Dagobert´s schmerzlich vermisst. Sie hatte zunehmend das Gefühl, endlich zu Hause angekommen zu sein. Und je mehr sie über den romantischen Rhein erfuhr, desto mehr gefiel er ihr. Sie begann so langsam, sich richtig wohl in ihrer Haut zu fühlen. Und sie freute sich sehr darauf, ihren freien Tag mit Charlotte zu verbringen.

Pünktlich um zwölf Uhr stand Felizitas am Montag vor Charlottes Wohnungstür. Deren Wohnung lag über dem Restaurant. Sie hatte sich deshalb nicht um eine neue Route kümmern müssen. Den Weg zum Restaurant kannte sie ja schon. Das Rad stand abgeschlossen im Hinterhof wie immer.

Charlotte öffnete die Tür und empfing Felizitas mit einem strahlenden Blick. Sie trug einen legeren Hausanzug, während sich Felizitas in bequeme Jeans geworfen hatte. Die Chefin sah jedenfalls hinreißend aus. Die Hose saß knatscheng und brachte ihren Po gut zur Geltung. Sie trug kein Makeup, was ihr hervorragend stand und ihr natürliches Wesen unterstrich. Ihre wunderschönen blauen Augen traten viel besser hervor, als wenn sie sie mit Farbe zukleisterte. Felizitas, Felizitas! Sie sollte sich unbedingt zusammenreißen. Sie war zum Arbeiten gekommen und nicht zum Flirten. Außerdem war die Chefin sowieso liiert. Sie schmuste in aller Öffentlichkeit mit einer geheimnisvollen Unbekannten herum. Das hatte Felizitas ja bereits beobachten können.

„´allo Felizitas, komm doch bitte ´erein.“ Charlotte öffnete die Tür weit, und Felizitas trat ein. Der Flur war in einem warmen Hellbraun gestrichen und verbreitete gleich eine gemütliche Atmosphäre. Charlotte schien eine Vorliebe für Details zu haben. In einer Ecke stand eine riesige Blumenvase aus Glas mit einigen Wedeln von Pampasgras. In einer anderen Ecke war ein kleiner Tisch platziert, auf dem ebenfalls eine Glasvase stand, die mit einer einzelnen Rose bestückt war. Auf einem Sekretär fanden sich das Festnetztelefon, Notizzettel, Briefe und andere Kleinigkeiten. Alles sehr geschmackvoll. Dieser erste Eindruck setzte sich im Wohnzimmer fort, das ebenfalls in warmen Farben gehalten war. Ein sehr bequem aussehendes Sofa in knalligem Rot war der Blickfang und bildete einen Kontrast zu den gesetzten Farben im Raum. Daneben stand eine Stehlampe, die aussah, als hätte Charlotte sie von ihrer Oma geerbt. Ein schöner Couchtisch, sicher ein Designerstück, fügte sich optisch gut in dieses Ensemble von Modernem-kombiniert-mit-Altem ein. Der Rest des Wohnraums spiegelte genau diesen Stil wider. Neues stand neben Antikem, dezente Farben wirkten neben knalligen. Einen Fernseher sah Felizitas nicht. Er hätte auch das mehr als niveauvolle Ambiente durchbrochen.

Charlotte bat Felizitas auf die Couch. Ein paar Häppchen schmückten den Couchtisch, der überfüllt war mit zwei Wasserflaschen und zwei Gläsern auf Untersetzern.

„Isch ´abe gedacht, wir trinken besser keinen Wein, damit wir einen klaren Kopf bei der Arbeit ´aben. Isch kann dir gern einen Kaffee anbieten.“

„Hast du einen Espresso? Der wäre jetzt gut, um die Lebensgeister zu wecken.“ Felizitas unterdrückte ein Gähnen. Sie war früh aufgestanden und hatte kaum etwas gegessen und nur einen Kaffee gehabt.

„Aber selbstverständlisch.“ Charlotte erhob sich. Während sie in der Küche zwei Espressi zubereitete, sah Felizitas sich ein wenig von ihrem Sitzplatz aus um. Charlotte schien eine Bücherliebhaberin zu sein. Die Wand gegenüber war vollständig mit Büchern gefüllt. Das Regal hatte sie von der Tür aus nicht sehen können. Hauptsächlich französische Titel, soweit Felizitas sehen konnte. Als Charlotte mit zwei dampfenden Espressotassen zurückkam, fragte Felizitas: „Hast du keinen Fernseher?“

„Er steht in der obersten Etage in einem kleinen Gästezimmer. Isch sehe kaum fern und finde es gemütlischer, misch mit Büschern zu umgeben. Es ´at etwas ´eimeliges. Bei meinen Eltern ist das ganze ´aus vollgestopft mit Büschern. Isch ´abe ganz schön geschleppt, als isch umgezogen bin.“

„Du hast noch bei deinen Eltern gewohnt, bevor du nach Koblenz gezogen bist?“, wunderte sich Felizitas.

„Oui, isch ´atte ein eigenes ´aus auf dem Grundstück von Maman et Papa und war vollkommen unab´ängig. Meine Ausbildung ´abe isch in Obernai absolviert. Dort wohnen meine Eltern immer noch.“

Felizitas nickte und nippte von dem Espresso, den sie ebenso schwarz trank wie ihre Chefin. „Mh, der ist lecker.“

„Es ist derselbe wie im Restaurant. Isch ´abe die gleische Maschine wie unten. Die Investition ´at sisch gelohnt.“

Felizitas trank die kleine Tasse aus und schlug vor: „Lass uns anfangen. Je mehr Zeit wir haben desto besser wird das Ergebnis sein. Was hast du dir überlegt?“

„Wir ´aben doch die Umfragebögen im Restaurant, auf denen die Gäste Vorschläge machen können.“

„Die Bewertungen.“ Felizitas nickte erneut.

„Ziemlisch viele davon wünschen sich etwas Vegetarisches oder Veganes.“

Felizitas sah sie erstaunt an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, die Koblenzer würden die französische Haute Cuisine oder zumindest irgendeine Art der gehobenen Küche bevorzugen, wenn sie ins la fantasie kamen. Und das beinhaltete für Felizitas Fisch oder Fleisch.

„Jedenfalls hat misch das dazu bewogen, ein oder zwei vegetarische Gerichte auf die Karte zu setzen. Und dafür benötige isch dein Fingerspitzengefühl.“

Dass die Chefin ihr Urteil hören wollte, schmeichelte Felizitas außerordentlich. Gemeinsam würden sie sicher die Speisekarte um ein paar hochwertige Gerichte erweitern können. „Ach übrigens, die Leute lieben unseren Debbekooche als Amuse-Gueule. Das sagen auch die Einnahmen. Seitdem wir diese Koblenzer Spezialität anbieten, ist unser Gewinn gestiegen.“ Charlotte strahlte.

„Das ist ja wunderbar.“ Felizitas berührte vor lauter Freude ihren Arm und zuckte ob des heftigen Stromschlages, der ihr durch die Glieder schoss, sofort wieder zurück. Das durfte nicht wahr sein. Sie sollte sich wirklich zusammenreißen. Nein, sie musste sich zusammenreißen. Auf keinen Fall wollte sie die gute Zusammenarbeit mit Charlotte gefährden, indem sie unbedacht agierte.

„Oui, n´est ce pas?“ Stolz schwang in Charlottes Stimme mit. „Zuerst war mein Traum, einen Stern beim Guide Michelin zu erkochen. Aber weißt du, Felizitas, es ist viel erfüllender, den Menschen ´ier ihre Wünsche zu erfüllen. ´ilfst du mir dabei?“ Offensichtlich hatte sie von all der Unsicherheit, die in Felizitas tobte, überhaupt nichts mitbekommen.

Felizitas war sprachlos über Charlottes Bitte, die ihr damit so viel Vertrauen entgegenbrachte. Sie konnte nur nicken. Sie räusperte sich und schob ein heiseres „Ja!“ hinterher. Felizitas wurde plötzlich sehr heiß, als ihr klar wurde, dass sie nur wenige Zentimeter entfernt von Charlotte saß. Ihr Herz klopfte schneller, und Atemnot überkam sie. Sie öffnete einen weiteren Knopf ihres Jeanshemdes und fächelte sich Luft zu, bevor sie sich den Ausführungen ihrer Chefin widmete.

„Also“, sagte Charlotte, als sie mit einem Stapel loser Blätter näher rückte. Felizitas kam es so vor, als wäre sie in einer Sauna. Schweißperlen rannen ihren Rücken hinunter. Fast berührten sich ihre Oberschenkel. Das half ihr nicht gerade, die Situation unter Kontrolle zu halten. Sie hatte das Gefühl, Charlotte strahlte ein Feuer aus, das ihren Oberschenkel ohne Berührung verbrannte. Ihr wurde viel zu heiß. Sie zog ihr Jeanshemd aus. Das brachte zum Glück ein wenig Linderung.

„Isch ´abe die Vorschläge der Gäste ausgewertet und ein paar Gerischte ausgearbeitet, die nach Verfeinerung schreien.“

Sie erwähnte verschiedene vegetarische Speisen. Felizitas diskutierte mit ihr darüber, was dem Niveau des Restaurants angemessen war. Sie verliehen den Gerichten gedanklich bereits mehr Geschmack mit französischen Kräutern und Knoblauch, vielleicht mit einem Schuss Cognac. Ob der allerdings vegan war, konnten sie für den Moment nicht klären. Am Ende kamen sie zu dem Schluss, dass sie zuerst mit ein oder zwei Menüs beginnen wollten. Vegane Varianten wollten sie zunächst außen vor lassen und erst prüfen, was ihren Gästen an vegetarischen Speisen zusagte.

Sie würden die Karte erweitern um Rosenkohl mit feinem Sahne-Roquefort-Sößchen. Die Kräutermischung, die das Gericht zu etwas ganz Außergewöhnlichem machen sollte, würden sie am Dienstag in der Restaurantküche kreieren. Außerdem wollten sie einen Gemüsespieß mit saisonal wechselnden Gemüsesorten vom Grill mit dreierlei Dips anbieten. Auch die Dips würden morgen in der Küche ausprobiert.

Ein köstliches Avocado-Gazpacho sollte die Karte im Sommer zieren.

Ein Kartoffel-Chicoree-Gratin á la fantasie würde zusätzlich die Beilagenkarte erweitern, die bislang lediglich aus einfachen Zutaten wie Reis und Rosmarinkartoffeln bestanden hatte, weil der Fokus auf dem Hauptgericht liegen sollte.

Das Highlight aber, das sie im Laufe immer neuer Ideen für Kreationen entwickelten, waren mindestens ein oder zwei Motto-Wochen im Jahr. Zum Zeitpunkt der Weinlese wollten sie einen elsässischen Winstub-Abend durchführen. Sie würden die Speisekarte einer originalgetreuen Winstub zum Vorbild nehmen. Das Restaurant würde für die Dauer der Motto-Woche das Ambiente ändern. Die Tische würden mit karierten Decken gedeckt. Traditionelle Dekorationen wie alte Milchkannen oder Lampen würden die Atmosphäre vervollständigen. Die elsässische Winstub bot Fleisch- oder Fischgerichte an. Etwas angemessen Vegetarisches, was zum Motto passte, würde ihnen auch noch einfallen. Felizitas hatte das Gefühl, dass sie für heute kreativ genug gewesen war. Sie spürte, wie die Müdigkeit in ihre Glieder kroch. Das lange Sitzen bekam ihr gar nicht.

Felizitas und Charlotte drehten sich einander zu, nachdem sie die Stifte hatten fallen lassen, und ließen ihre Hände aneinander klatschen, als hätten sie einen sportlichen Erfolg erzielt. Zufrieden lehnten sie sich zurück.

„Du musst misch einmal ins Elsass begleiten, damit du ein Gefühl für das Winstub-Ambiente bekommst und für die köstlischen Speisen, die dort angeboten werden“, schlug Charlotte vor. Ob dieses absurd intimen Vorschlags schien sie sogleich die Augen aufzureißen. Es sah so aus, als hätte sie das Angebot am liebsten wieder zurückgezogen.

„Danke!“ Felizitas würde nicht weiter darauf eingehen, wenn das Gesagte Charlotte solches Unbehagen bereitete. Und ihr selbst war auch nicht unbedingt wohl dabei, Charlotte an so einem Wochenende unweigerlich näher zu kommen.

In die unangenehme Stille hinein hüpfte Charlotte von der Couch. „Isch ´ole uns einen Wein, den ´aben wir uns nach der Arbeit redlisch verdient.“ Sie stürmte aus dem Raum, um mit einer Weinflasche, zwei Weingläsern und einem Korkenzieher wiederzukommen. Sie setzte sich und traf die Vorbereitungen zur Öffnung der Flasche.

„Ein Muscat d´Alsace“, erklärte sie, während sie die hellgelbe Flüssigkeit in die Gläser gleiten ließ. „Das ist mein Lieblingswein. Isch trinke ihn bei jeder Gelegen´eit, obwohl er bei uns zu ´ause eigentlisch als Aperitif serviert wird. Er reflektiert silbern im Glas, siehst du.“ Charlotte hielt ihr Glas schräg nach oben, um Felizitas zu zeigen, was sie meinte. „Das ist ein Zeischen der Frische des Weines.“ Sie ließ das Glas in der Hand rotieren und schob die Nase hinein. „Olala, der ´at ein kräftiges Bukett. Isch riesche die Traube und den Duft von Blumen auf einer bunten Sommerwiese.“ Sie schlürfte den Wein zusammen mit der Luft und schwenkte ihn im Mund. Felizitas erkannte die Weinkennerin, die sogar auf einem Weingut aufgewachsen war. Das hatte Charlotte vorhin beiläufig erwähnt. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss sichtlich, was ihre Zunge schmeckte.

„´errlisch!“, war das einfache wie prägnante Urteil.

Felizitas selbst war so fasziniert von der Intensität dieser sinnlichen Beobachtung, dass sie zu trinken vergaß. Ihr Herz klopfte stark, als Charlottes Gesicht einen geradezu schmachtenden, fast schon erotischen Ausdruck annahm. Ob sie so aussah, wenn sie Liebe machte? Felizitas! Ihr Unterbewusstsein rüttelte sie wach. Solche Gedanken waren vollkommen unangemessen.

Unter Charlottes prüfendem Blick nahm sie endlich einen Schluck und prüfte den Wein. „Oh ja, eine sehr frische Note. Ich kann verstehen, dass es dein Lieblingswein ist“, beeilte sie sich mit ihrem Urteil.

Felizitas´ Lob brachte das Strahlen in Charlottes ermattete Zügen zurück. Dadurch bekam sie eine wahnsinnig anziehende Ausstrahlung. Und ihre Augen lächelten unglaublich intensiv. Felizitas´ Puls überschlug sich.

Gemeinsam tranken sie die Flasche bis auf den letzten Tropfen aus. Ermattet von der Arbeit am Nachmittag wechselten sie nur wenige Worte. Eine angenehme Stille, fand Felizitas und merkte, dass sie immer müder wurde. Als das letzte Glas leer war, kündigte sie ihren Aufbruch an. Die beiden erhoben sich und gingen zur Tür. Felizitas war nicht auf eine solch stürmische Umarmung von Charlotte gefasst. Ihre Leiber waren so eng aneinandergeschmiegt, dass Felizitas die angenehme Wärme von Charlottes Körper durch und durch ging. Der Strom von Wärme überwältigte sie. Ein wunderbares Gefühl. Unvermittelt ließ Charlotte sie los, deutete zwei Küsse auf den Wangen an und sagte: „Vielen Dank, dass du so ausdauernd mit mir über Gerischte diskutiert ´ast. Isch fand es sehr schön, mit dir zusammenzuarbeiten und freue misch auf unsere Kreationen morgen in der Küsche. Können wir erst um eins beginnen? Isch glaube, isch möschte morgen ausschlafen.“

Felizitas konnte nur nicken. Die unverhoffte Nähe zu Charlotte verblüffte sie gänzlich. Sie zwang sich ein „Bis morgen!“ ab, drehte sich um und nahm die Treppe nach unten. Die Fahrt nach Hause würde ihr guttun, sie wieder abkühlen. Ihr einen klaren Kopf verschaffen. Die Kälte würde sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Sie war Charlottes Angestellte und nicht die Frau, mit der sie ein Date gehabt hatte, geschweige denn je haben würde.

7

Um die Mittagszeit herum trudelten die beiden Köchinnen in der Restaurantküche ein. Charlotte hievte einen offensichtlich schweren Einkaufsbeutel ächzend auf die Arbeitsfläche, während Felizitas ihre Schürze zuband. Charlotte ging auf Felizitas zu und deutete links und rechts einen Kuss auf die Wange an. Überrascht bemerkte Felizitas, wie erhitzt Charlotte war. Ihr Herz schlug Kapriolen, sobald sie in Charlottes Nähe war.

„Isch ´abe noch eben die Zutaten im Supermarkt eingekauft, die wir für unser Experiment brauchen.“ Charlotte derart außer Atem und erhitzt zu sehen, mit geröteten Wangen, die ihr außerordentlich gut standen, war betörend. So musste sie beim … Felizitas schlug sich gedanklich auf den Hinterkopf und drehte sich schnell zur Arbeitsfläche um. Sie packte die Zutaten aus, bevor ihr noch weitere ungebührliche Gedanken kamen. Wenig später hörte sie laute Musik aus dem Lautsprecher des Restaurants, wo die Gäste allabendlich dezent mit französischen Chansons unterhalten wurden. Weniger dezent war nun Edith Piafs Stimme, mit der sie Milord durch alle Räume schmetterte. Tänzelnd und Pirouetten drehend näherte sich Charlotte. Spielerisch berührte ihr Po den von Felizitas, während sie sich mit gehobenen Armen weiterhin drehte. „Du ´ast doch nischts gegen Edith einzuwenden?“, schrie sie.

Felizitas schüttelte den Kopf. „Vielleicht etwas leiser“, versuchte sie die Musik zu übertönen. „So können wir uns nicht austauschen.“ Sie zeigte mit der Hand zwischen ihnen hin und her.

Sofort tänzelte Charlotte wieder zurück zur Anlage und stellte die Musik leiser.

„Besser so?“, fragte sie, als sie die Küche betrat.

Felizitas beantwortete ihren fragenden Blick mit einem Nicken. Und schon ging es los. Sie verständigten sich darauf, mit dem Rosenkohl an Roquefort-Sößchen zu beginnen und sprachen ab, wer welche Aufgabe übernehmen sollte. Ein langsam dahinrinnender Lavastrom zerlaufenden, warmen Roqueforts mit den leicht süßlichen Rosenkohlblättern würde ein Rausch werden. Felizitas lief schon das Wasser im Mund zusammen. Blauschimmelkäse hatte stets diese Wirkung auf sie. Eventuell war es auch Charlotte? Schluss damit und an die Arbeit!

Als erstes zupften sie den Rosenkohl. Felizitas stellte die Töpfe auf den großen Herd, die benötigt wurden, während Charlotte bereits den Roquefort in Scheiben zu schneiden begann, damit er besser zerlaufen würde. Sie langte mit dem Messer und einer Scheibe des Blauschimmelkäses zu Felizitas herüber und ließ sie sie mit der Hand übernehmen. Sie selbst kaute bereits. Sie hob die Augenbraue, als würde sie „Und?“ fragen.

„Naja“, druckste Felizitas herum. Ihre Stimme klang enttäuscht. „Ich habe schonmal besseren Roquefort gegessen.“

Charlotte nickte. „Isch auch. Das ´ier“ sie zeigte auf die geschnittenen Scheiben, „ist un grand desastre.“ Sie schien einen Moment zu zögern. „Weißt du, was wir an unseren nächsten freien Tagen machen? Wir fahren ins Elsass zu einer Käserei, die ein Bekannter von mir betreibt. Und dann probieren wir uns durch alle Käsesorten, die er zu bieten ´at. Die besten nehmen wir gleisch mit.“ Ihr finsteres Gesicht nahm einen freundlicheren Ausdruck an. Sie war also auch nicht zufrieden mit der Qualität des Käses. „Du ´ast doch noch nischts vor nächste Woche?“

Das sollte wohl eine Einladung sein. Wow, so spontan kannte Felizitas die Chefin noch nicht. Sie hätte schon große Lust, das Elsass einmal kennenzulernen, deshalb gab sie ebenso spontan ihre Zustimmung. Und das Elsass hielt sicher wesentlich wohlschmeckendere Käsesorten bereit als diesen komischen Roquefort. Der Käse aus dem Supermarkt war wirklich ein Desaster. So etwas könnten sie ihren Gästen unmöglich vorsetzen. Jedenfalls war Charlottes Gesellschaft nicht das Schlechteste, das ihr passieren konnte, wenn sie in deren Heimat fuhren. Wahrscheinlich war sie eine unterhaltsame Reiseführerin. Felizitas grinste innerlich und ignorierte das starke Herzklopfen über die Tatsache, ihrer Chefin zwei Tage ziemlich nah zu kommen.

„Lass uns mit dem Gemüsespieß vom Grill weitermachen. Isch ´abe ´unger. Meine Zunge ´at sisch auf den Rosenkohl gefreut. Aber das wäre kein plaisir. ´ast du dir schon einen Dip überlegt?“

„Ich dachte, wir könnten eine cremige Cashewpaste herstellen und sie mit Kräutern fein abschmecken.“