Momente des Erkennens - Emma zur Nieden - E-Book

Momente des Erkennens E-Book

Emma zur Nieden

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Beschreibung

Stefanie Lehberger und ihre Freundin Ruth Sondermann wohnen zusammen. Sie wollen sich demnächst verpartnern. Stefanie tritt ihre erste Stelle an einem Gymnasium an und trifft ihre ehemalige Sportlehrerin Hannah Mangold wieder. Hannah hilft Stefanie über die ersten Hürden in der Schule hinweg. Die beiden treffen sich auch in ihrer Freizeit. Hannah bringt Stefanie Inlineskaten bei. Als Stefanie während der Herbstferien mit einigen Kolleginnen und Kollegen zum Segeln fährt - Hannah ist ebenfalls dabei -, reagiert Ruth äußerst ungehalten. Auch nach den Ferien verbringt Stefanie viel Zeit mit Hannah, was Ruth sehr missfällt. Die Beziehung zu Stefanie beginnt zu kriseln. Vor dem Waschen durchsucht Stefanie, wie mit Ruth vereinbart, deren Hosentaschen. Dort findet Stefanie eine Hotelrechnung für zwei Personen. Sie stellt ihre Partnerin abends zur Rede. Nach Ruths Geständnis zieht Stefanie aus. Sie sucht Zuflucht bei Hannah, die ihr in dieser schweren Zeit zur Seite steht. Kann Ruth Stefanies Vertrauen wiedergewinnen? Welche Rolle spielt Hannah in Stefanies Leben?

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Emma zur Nieden

Momente des Erkennens

Liebesroman

Für all die Frauen, die schon einmal in eine ihrer Lehrerinnen verliebt waren

1

Gedämpftes Gemurmel belebte das Wohnzimmer. Die Gäste standen in kleinen Grüppchen zusammen, lachten und scherzten. Mittendrin reichten Stefanie Lehberg und ihre Zukünftige Ruth Sondermann Getränke und Häppchen herum.

Ruth stellte ihr Tablett ab, nahm ihr Sektglas und schlug mit einem Teelöffel dagegen. Ein leises Klirren erklang und ließ alle Gespräche verstummen.

Ruth räusperte sich kaum hörbar und sprach in die Stille hinein.

„Liebe Gäste!“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, während sie in die Runde blickte und ihre Augen an Stefanie hängenblieben. „Wie ihr wisst, haben wir heute einen besonderen Anlass zum Feiern.“ Ruths Lächeln ruhte auf Stefanie, die warmherzig zu ihr hinübersah und an ihren Lippen zu kleben schien. „Stefanie wird nach den Sommerferien ihre erste Stelle als Lehrerin antreten, und darauf wollen wir anstoßen.“ Ruth erhob ihr Glas in Richtung ihrer Freundin: „Ich trinke darauf, dass du es in deiner Schule annähernd angenehm antriffst wie in deinem Referendardienst.“

„Und dass du Kraft und Energie genug hast, diesen facettenreichen Beruf zu meistern“, erklang eine andere Stimme.

„Und ich trinke darauf, dass du allzeit genug Ferien hast.“ Diese Äußerung rief allgemeines Gelächter hervor.

Stefanie erhob selbst die Stimme: „Und ich trinke darauf, dass ich stets genug Zeit für meine Freundinnen und Freunde habe.“ Die Partygäste setzten ihr Sektglas an und tranken auf all die Dinge, die gewünscht worden waren.

Ruth war nah an Stefanie herangetreten, um sie mit ihrem freien Arm zu umfangen und ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

„Danke!“, flüsterte Stefanie der Geliebten ins Ohr. Die beiden lösten sich voneinander und mischten sich unter die Gäste.

„Warst du schon an deiner neuen Schule?“, wollte Gabi, eine Referendarkollegin, von Stefanie wissen.

„Zweimal.“

„Und wie ist sie?“

„Sie macht einen ganz und gar bodenständigen Eindruck“, stand Stefanie Rede und Antwort. „Dem Augenschein nach sind die Kollegen recht nett. Und es riecht exakt wie an der Schule, an der ich Abi gemacht habe.“ Stefanie lächelte in die Runde der Freundinnen und Freunde, die durch ein Nicken kundtaten, dass ihnen ebenfalls der Geruch ihres altehrwürdigen Gymnasiums, auf dem sie einst die Schulbank gedrückt hatten, unverzüglich in der Nase hing.

„Und kennst du die Klassen, in denen du unterrichten sollst?“, wollte Holger wissen, ein ehemaliger Kommilitone, der derzeit bei Ruth promovierte.

„Nein“, antwortete Stefanie. „Als ich vor den Ferien einen Termin mit der Schulleiterin hatte, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, wie die Unterrichtsverteilung aussieht, weil bisher die Entscheidung einer zweiten Kollegin aussteht, ob sie an diese oder eine andere Schule gehen wird. Es scheint lediglich festzustehen, dass ich Klassenlehrerin einer 5. Klasse werde.“

„Das hört sich toll an“, war Gabi vollkommen begeistert.

Stefanie nickte. „Und ich fiebere meinem ersten Schultag regelrecht entgegen.“

Ruth und Stefanie liefen in der Wohnung mit benutzten Platten, Tellern und Gläsern hin und her, nachdem der letzte Gast gegangen war. Obwohl die Spülmaschine lief, stand die Anrichte voller dreckigem Geschirr. Die Essensreste waren bereits entsorgt.

Stefanie stellte eine weitere Ladung benutzter Gläser auf die überfüllte Arbeitsplatte, als Ruth sie von hinten umfing und in ihr Ohr flüsterte: „Sämtliches Geschirr ist abgeräumt. Die Spülmaschine läuft. Ich finde, wir sind fertig für heute und können uns den wirklich wichtigen Dingen des Lebens widmen.“ Dabei lutschte sie verführerisch an Stefanies rechtem Ohrläppchen und verursachte ein dunkles Stöhnen.

„Du weißt, dass ich dieses Chaos am Morgen verabscheue.“ Stefanie befreite sich aus Ruths Armen und klang ungehalten.

„Bis die Spülmaschine fertig ist, dauert es noch ewig. Wir haben das Wohnzimmer komplett aufgeräumt. Die Tische sind sauber und stehen wieder an ihrem alten Platz. Lediglich in der Küche herrscht eine zu vernachlässigende Unordnung …“ Ruth sprach in ihrem verführerischsten Ton und näherte sich Stefanie dieses Mal von vorne, um sie zu umarmen und ihr erotische Küsse auf ihr offenherziges Dekolleté zu hauchen.

„Darüber kann man geteilter Meinung sein.“ Stefanie runzelte die Stirn. Ruth hatte Recht. Die Spülmaschine brauchte mindestens eine weitere halbe Stunde. Und das Wohnzimmer war zumindest vorzeigbar.

Stefanie ließ sich auf Ruths Ablenkungsversuch ein, legte den Kopf nach hinten und genoss die fordernden Berührungen der Freundin, die ihre Hände über Stefanies Brüste gleiten ließ und eine Gänsehaut an deren Vorderseite hervorrief.

Allein ihr Kopf ließ sich nicht abschalten, und ihre Gedanken waren bei dem Chaos, das in der Küche herrschte und sich nicht vor morgen Früh beseitigen ließ, wenn sie nicht die halbe Nacht mit dem Aus- und Einräumen der Spülmaschine zubringen wollte. Dasselbe wie soeben war ihr des Öfteren im Vorbereitungsdienst passiert, wenn Ruth ihre Hände nicht bei sich behalten wollte, während sie, Stefanie, eine wichtige Unterrichtsprobe vorzubereiten hatte und mit ihren Gedanken überall war, bloß nicht bei Ruth und ihrem Tun. Deshalb war ihr Liebesleben eine Zeitlang erlahmt. Ruth war darüber nicht besonders erfreut gewesen, das wusste Stefanie. Ruths Libido war ausgesprochen ausgeprägt und nicht zu bremsen. Deshalb gab sie den fordernden Berührungen ihrer Partnerin nach. Sie selbst hätte am liebsten den Rest des Chaos´ beseitigt, damit die finalen Arbeiten am Morgen flugs von der Hand gingen.

Einen mühsamen Orgasmus später bemerkte Ruth vorwurfsvoll: „Du warst fast gar nicht nass!“ Sie lag schwer atmend vor Anstrengung im gemeinsamen Bett neben Stefanie.

„Tut mir leid!“, entgegnete Stefanie geknickt. „Du weißt, dass ich die Unordnung in der Küche verabscheue und sie am liebsten schleunigst beseitigt hätte. Ich war nicht bei der Sache.“

„Das war nicht zu übersehen. Du musst mal abschalten, gerade wenn die Welt um dich herum zusammenzubrechen scheint.“ Ruths Stimme klang höchst ungehalten, wenn nicht gar vorwurfsvoll, und sie prophezeite: „Wenn du das in deinem Job nicht schaffst, wirst du untergehen.“ Und eine Spur leiser fügte sie hinzu: „Und unsere Beziehung ebenfalls.“

„Ich weiß das“, erwiderte Stefanie reumütig. „Und du weißt, dass ich daran arbeite.“

„Nicht erfolgreich bis jetzt“, kommentierte Ruth zynisch die bislang vergeblichen Versuche Stefanies, ruhiger werden zu wollen. Das autogene Training hatte bisher nicht den erhofften Erfolg gebracht. Stefanie hatte mit dem Kurs aber auch erst vor drei Wochen begonnen.

Ruth drehte sich um und lag mit dem Rücken zu Stefanie. Die versuchte, die Freundin zu besänftigen, indem sie ihr über den Rücken küsste und streichelte.

„Lass mich“, forderte Ruth und entzog sich ihrer Geliebten mit einer ruckartigen Bewegung. „Ich bin nicht mehr in Stimmung.“ Stefanie war klar, dass Ruth zuletzt mehrere Male unbefriedigt eingeschlafen war, weil sie die Lust verloren hatte, wenn es mal wieder zu mühsam mit Stefanies Befriedigung gewesen war. Trotz ihres schlechten Gewissens – Stefanie nahm sich vor, demnächst anhänglicher zu sein als üblich, um Ruth zu besänftigen – schlief sie zügig ein.

2

Die Lehrerkonferenz fand am Ende der Ferien statt. Unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes wurden die beiden neuen Kolleginnen vorgestellt.

Die Schulleiterin wandte sich an Stefanie. „Ich darf ganz herzlich unseren zweiten Neuzugang begrüßen“, begann sie. „Stefanie Lehberg unterrichtet in den Fächern Deutsch und Sport. Sie übernimmt die 5e als Klassenlehrerin. Wir begrüßen Sie aufs herzlichste und wünschen Ihnen, dass Sie sich binnen kurzem bei uns zurecht finden.“

Die gesamte Lehrerschaft empfing Stefanie durch anhaltendes Klopfen auf den Tischen, was sie mit Kopfnicken und Lächeln quittierte.

Nach dem Ende der Konferenz fanden sich alle Kolleginnen und Kollegen an einem Büffet ein, für das jeder von ihnen einen kleinen Beitrag in Form von Salat, Brot, Butter oder Ähnlichem geleistet hatte. Stefanie wurde sofort in Gespräche verwickelt, weil die übrigen Lehrerinnen der 5e wissen wollten, mit wem sie es demnächst als Klassenlehrerin zu tun hatten. Auf diese Weise konnte Stefanie die Lehrerinnen kennenlernen, die ebenfalls in ihrer Klasse unterrichteten. Die Kolleginnen erklärten ihr außerdem, wie der Schulbeginn für die neuen Fünftklässler ablaufen würde, so dass eine von Stefanies dringendsten Fragen bald geklärt war. Plötzlich war es still um sie, und die Kolleginnen, die sich zuvor um Stefanie gedrängt hatten, waren auf einen Schlag verschwunden, um weitere wichtige Gespräche zum Schuljahresanfang zu führen und Antworten auf ungeklärte Fragen zu bekommen.

Plötzlich sah Stefanie sich einem anderen Gesicht aus dem Kollegium gegenüber, das ihr vage bekannt vorkam.

„Hannah Mangold“, stellte sich die Kollegin vor und reichte Stefanie die Hand. Sie ergriff sie und spürte, wie sie sich warm um ihre eigene legte. „Ich glaube, wir kennen uns.“

Ein weicher, strahlend blauer Blick hielt das Blau von Stefanies Augen gefangen. Ihr Blau harmonierte perfekt mit ihren halblangen, dunkelblonden Haaren. Die Kollegin ließ Stefanies Hand nicht wieder los.

Während die Wärme der anderen Hand an ihrem Arm hochkroch, blitzte in Stefanie ein Moment des Erkennens auf. Als hätte ihr jemand mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen, wurde ihr klar, wer die Kollegin war, die vor ihr stand.

„Du bist meine ehemalige Sportlehrerin“, rief sie, und ein Lächeln breitete sich von einem Ohr zum anderen aus. Hannah gab ihre Hand viel zu spät frei.

Hannah Mangold nickte. „Mensch Hannah!“, kam es aus Stefanies Richtung, bevor sie Hannah in die Arme fiel und sie herzlich umarmte, als wolle sie sie ewig festhalten. „Das ist ja eine tolle Überraschung. Ich dachte, du würdest nie von unserer alten Schule weggehen.“

„Wäre ich unter Garantie auch nicht, wenn der Schulleiter sich intensiver bemüht hätte.“

Stefanie löste die Umarmung und trat einen Schritt zurück. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass eine Gruppe von Kolleginnen neugierig beäugte, was da gerade vor sich ging. Sie würden es früh genug erfahren. Aber Stefanie musste zunächst die substanziellen Neuigkeiten mit Hannah austauschen und schenkte den neugierigen Augen keine Beachtung mehr.

„Ich habe natürlich ein bisschen auf der Homepage der Schule gesurft und eine Hannah Mangold in der Kollegiumsliste gesehen. Ich kenne dich als Hannah Auer und bin echt von den Socken, dass du es bist und ich dich an diesem Gymnasium treffe.“ Stefanie strahlte über das ganze Gesicht.

„Und ich erst.“ Hanna grinste breit und lieferte prompt die Erklärung für ihre Namensänderung: „Ich habe mich vor sieben Jahren von Helmut scheiden lassen und meinen Mädchennamen wieder angenommen.“

Die beiden Frauen umarmten sich abermals und erregten erneut die Aufmerksamkeit der umstehenden Kolleginnen.

„Ich bin total aus dem Häuschen, dich wiederzusehen“, begeisterte sich Hannah nach der Umarmung. „Oftmals habe ich darüber nachgedacht, was aus euch allen wohl geworden sein mag.“

Bevor Stefanie antworten konnte, war eine Kollegin näher getreten und fragte neugierig: „Sie kennen sich anscheinend?“

„Ja“, erwiderten beide im Chor und lachten. Hannah erklärte: „Sie war auf dem Bertolt-Brecht-Gymnasium eine meiner Schülerinnen. Ich war neu an der Schule und sollte direkt die Volleyball-AG übernehmen.“

„Volleyball ist eine Ihrer Paradedisziplinen als Diplomsportlehrerin“, warf eine ältere Kollegin ein, die zu dem kleinen Grüppchen getreten war, um zu erfahren, was es mit der innigen Umarmung einer Kollegin mit einer Neuen auf sich hatte. Sie betonte herablassend Hannahs Berufsbezeichnung.

Stefanie rollte mit den Augen. Sie kannte die Ressentiments der Kolleginnen gegenüber Sportlehrerinnen mit Diplom, die oftmals nicht als vollwertige Kolleginnen betrachtet wurden, weil sie ausschließlich Sport unterrichteten. Sport galt ohnehin als Nebenfach und war das Fach, das permanent um eine angemessene Stundenzahl in jeder Jahrgangsstufe kämpfen musste. Wenn es um die Umverteilung von Unterrichtsstunden ging, wurde häufig zuerst am Sportunterricht gespart. Und wer kein „richtiges“ Unterrichtsfach lehrte, war schlechter angesehen als zum Beispiel die Kolleginnen mit den Hauptfächern. Das war vergleichbar mit der Schule gewesen, an der Stefanie ihr Abitur gemacht hatte. Und daran hatte sich in den vergangenen Jahren nichts geändert, wie sie im Referendardienst bereits mitbekommen hatte.

„Das war damals der Grund, aus dem mir die Verantwortung für die Volleyballmannschaft übertragen wurde“, ergänzte Hannah die Feststellung ihrer Kollegin.

„Du hast immerhin in der Bundesliga gespielt“, erklärte Stefanie mit einem gewissen Stolz in der Stimme. „Wir haben dich alle bewundert und waren total begeistert, dass du uns als Mannschaft bei den Stadtmeisterschaften gemeldet und trainiert hast.“

Hannah nickte. „Und ihr habt alle meine Erwartungen übertroffen und seid nicht nur Stadtmeister geworden, sondern auch Nordrheinmeister“, schwelgte Hannah in alten Erinnerungen, während ihr Blick in die Ferne schweifte, als wolle sie diese angenehmen Bilder vor ihrem geistigen Auge hervorrufen.

„Das war toll. Du warst eine klasse Trainerin“, begeisterte sich Stefanie. „Und am Ende sind wir in Berlin Dritte geworden. Niemand aus deinem Kollegium damals hat diese großartige Leistung gewürdigt.“

Stefanie sah herausfordernd zu den beiden Kolleginnen hinüber, die Hannahs Position kritisch bewertet hatten und es offenbar nicht gern sahen, wenn Kolleginnen sich überschwänglich umarmten. Und schon gar nicht, dass eine „Neue“ umgehend in den Kreis der etablierten Kolleginnen aufgenommen wurde. Die beiden älteren Kolleginnen wichen pikiert Stefanies Blicken aus.

„Und Sie haben Ihre Schülerinnen geduzt“, unterstrich die Ältere eindeutig abfällig und feindselig.

„Das kann ich durchaus bestätigen“, antwortete Hannah. „Ich habe den Schülerinnen nach dem Abitur das Du angeboten. Ich hatte nicht den Eindruck, als seien sie altersmäßig weit von mir entfernt gewesen.“

„Du warst keine dreißig“, konstatierte Stefanie.

Hannah nickte.

Die beiden Kolleginnen rümpften die Nase, als wollten sie sagen: Und das haben Sie nun davon. Sie müssen die Neue duzen.

Es war Stefanie schon bei ihren beiden Besuchen an ihrer neuen Schule aufgefallen, dass Duzen nicht zum allgemeinen Umgang miteinander gehörte. Die meisten Kolleginnen und Kollegen siezten sich. Die Älteren benutzten zwar die vertrautere Anrede untereinander, vermieden jedoch das Du mit den jüngeren Kolleginnen. Die schienen durchweg die persönlichere Anrede zu verwenden. Insgesamt kam Stefanie die Atmosphäre allerdings steif vor. Von ihrer Ausbildung her war sie einen deutlich lockereren Umgangston gewohnt. An ihrer neuen Schule würde sie bald Gleichgesinnte finden, dessen war sie sicher. Eine war ihr bereits begegnet. Eine große Freude breitete sich in Stefanie über das Wiedersehen mit Hannah aus.

3

Stefanie hatte den Tisch im Esszimmer festlich gedeckt. Die Vorbereitungen für das Abendessen waren abgeschlossen. Sie hatte zur Feier des Tages – immerhin lag ihr erster Arbeitstag in der Schule hinter ihr – einen Rotwein geöffnet und dekantiert. Ruth mochte den Wein am liebsten, wenn er vorher mindestens eine halbe Stunde „geatmet“ hatte, wie sie es nannte.

Stefanie hörte den Schlüssel in der Tür. Ruth hatte früher Schluss gemacht heute, sonst wäre sie wesentlich später zu Hause gewesen. Sie wusste, dass Stefanies Arbeitsantritt und die anfänglichen Aufregungen hinter ihr lagen. Außerdem hatte Stefanie sie morgens gebeten, nicht derart spät da zu sein wie üblich. Diese Bitte bedeutete meistens, dass sie eine Kleinigkeit zum Abendessen vorbereitet hatte, die Ruth sich auf keinen Fall entgehen ließ, denn Stefanie war eine begnadete Köchin. Von der Küche ging ein köstlicher Knoblauchduft aus, der die ganze Wohnung erfüllte.

Stefanie hörte, wie Ruth ihre Tasche an der Garderobe abstellte und ihre High Heels von den Füßen streifte. In dem Moment, in dem Stefanie das Nudelwasser aufsetzte, betrat Ruth die Küche.

„Hallo, Schatz!“ Ruth umfing die Geliebte von hinten und drückte ihr einen Kuss auf den Nacken. „Das riecht verführerisch.“

„Hm.“ Stefanie gab sich einen Moment der behutsamen Umarmung hin. „Es gibt Lachsnudeln in Knoblauch-Wein-Soße mit Tomatensalat.“

„Eins meiner Lieblingsgerichte. Herrlich. Und dabei ist es ein besonderer Tag für dich. Da müsste ich eigentlich das Verwöhnen übernehmen.“ Ruth rieb ihre Nase an Stefanies Hals.

„Du bist früher nach Hause gekommen.“ Was bei einem Kochversuch von Ruth herausgekommen wäre, wagte sich Stefanie lieber nicht vorzustellen.

„Wenn dir das als Leistung genügt.“

Stefanie nickte. „Und den Rotwein habe ich dekantiert.“

„Du bist wirklich einmalig.“ Ruth umarmte Stefanie erneut, drehte sie zu sich herum und initiierte einen leidenschaftlichen Kuss. „Und das, obwohl du eigentlich am liebsten Weißwein zu Lachs servierst.“

Über die Frage, welchen Wein man zu welchem Gericht reichte, hatten die Geliebten bereits endlose Diskussionen geführt. Ruth ließ sich nicht davon abbringen, dass man Rotwein durchaus zu allen Gerichten trinken könne, weil sie roten Wein am liebsten mochte. Und dieses Mal hatte sich Stefanie Ruths Geschmack gebeugt. Es war nicht unbedingt der Fall, dass sie den erlesenen Rotwein nicht mochte, den Ruth aus ihrem gemeinsamen Sommerurlaub in Spanien für eine horrende Summe mitgebracht hatte. Stefanie hatte lediglich ihre Prinzipien, wenn es um die perfekte Abstimmung zwischen der Speise und dem Getränk ging.

Manchmal musste man eben Kompromisse machen oder nachgeben.

„Du hast dich wieder einmal selbst übertroffen.“ Ruth wischte sich nach dem Essen mit der Serviette den Mund ab und erhob ihr Glas. „Auf meine Lieblingsköchin.“ Ruth lächelte.

Die beiden prosteten sich zu und nahmen einen Schluck des köstlichen Weines.

„Erzähl mal“, forderte Ruth die Lebenspartnerin auf, „wie war dein erster Schultag?“

„Wir – es hat eine andere Frau mit mir zusammen heute angefangen – haben vom Lehrerrat eine kleine Schultüte mit lauter nützlichen Utensilien bekommen: eine Kreidedose …“

„Ich dachte, die Zeiten von Tafel und Kreide seien vorbei.“ Ruth runzelte die Stirn. „Und wenn nicht, läge die Kreide in den Klassenräumen bereit.“

„Nein, die Lehrer bringen sie selber mit, weil das einerseits die Schmierereien und Sauereien reduziert, die man mit Kreide im Klassenraum veranstalten kann. Andererseits wurde auf diese Weise anscheinend der Verbrauch enorm gesenkt, wie mir die Schulleiterin heute ausführlich erklärt hat.“

„Ist nicht wahr!“, war Ruth erstaunt. Neugierig wollte sie wissen: „Was war außerdem in der Tüte?“

„Die Chefin ist eine vehemente Verfechterin einer lupenrein sauberen Tafel, deshalb haben wir einen Schwamm und einen Abzieher bekommen, mit dem man die Tafel problemlos sauber kriegt – streifenlos und unmittelbar einzusetzen, weil der Abzieher sie staubtrocken macht.“

„Das glaub ich grad nicht.“ Ruth grinste.

„Ist trotzdem Tatsache. Hat nicht jede einen Hiwi, der ihr die Tafel putzt.“ Stefanies Grinsen war schelmisch.

„Ich dachte, in der Schule gäbe es einen Tafeldienst.“ Ruth verzog ihren Mund verächtlich über Stefanies Bemerkung, dass sie einen Assistenten hatte, der derlei profane Tätigkeiten für sie übernahm, denn natürlich wurde die elektronische Tafel ebenso wenig an ihrer Uni eingesetzt wie an Stefanies Schule, weil es zu kostspielig gewesen wäre, sämtliche Seminarräume und Hörsäle umzugestalten.

„Der funktioniert allenfalls sporadisch.“

„Gab es etwas Süßes in der Tüte?“, wollte Ruth wissen und gleichzeitig offensichtlich das unangenehme Thema wechseln.

„Traubenzucker, um die verbrauchte Energie aufzufüllen.“

„Das ist aber dürftig. Für das Süße müssen wir deshalb selber sorgen.“ Ruth grinste und nahm einen Schluck Rotwein zu sich. „Der schmeckt wahrlich um einiges besser, wenn man ihn dekantiert. Danke, dass du daran gedacht hast.“ Sie stand auf, ging um den Tisch herum, ergriff Stefanies Hand und zog sie an sich.

„Ich bin immer wieder fasziniert, wie lecker du kochst.“ Ruth küsste Stefanie auf die Lippen. „Wir werden diese Speise mit einem fantastischen Nachtisch krönen.“ Ruth drängte mit ihrer Zunge in Stefanies Mund. Stefanie erwiderte den sanften Druck und ließ sich auf Ruths Spiel ein.

„Lass uns den Nachtisch im Wohnzimmer zu uns nehmen“, schlug Stefanie atemlos vor.

„Warum nicht im Bett?“ Ruth hatte ein Faible für ausgefallene Liebesspiele, am liebsten im Schlafzimmer. Ihre Argumentation war, dass sie ständig ein eindeutiges Bild vor Augen hatte, wenn sie Besuch bekamen. Das sei ihr unangenehm, obwohl niemand wissen konnte, was auf der Couch stattgefunden hatte.

„Weil es bis dahin zu weit ist und ich dich sofort vernaschen will.“ Stefanie lenkte Ruth in Richtung der Couch, während sie die Jacke von Ruths Hosenanzug auf den Boden fallen ließ.

„Lass mich eben den Anzug ausziehen und ihn ordentlich aufhängen.“ Ruth befreite sich aus Stefanies Armen, entledigte sich des teuren Hosenanzugs und legte ihn ordentlich über den Sessel, der neben ihnen stand. Zerknitterte Kleidung war ihr ein großes Ärgernis. In dieser Frage ließ sie nicht mit sich reden.

Als Ruth ohne Jacke und Hose vor Stefanie stand, waren durch das seidene Top ihre erigierten Brustwarzen zu sehen. Stefanie streckte ihre Hände danach aus und umfasste die Brüste. Ihre Daumen reizten Ruths Warzen bis aufs Äußerste. Ruth atmete heftiger. Ein Stöhnen war hin und wieder aus ihrem Mund zu hören.

Stefanie griff unter Ruths Top, zog ihr den BH aus und streifte das Oberteil über den Kopf, um freien Blick auf die Brüste zu haben – und freien Zugang.

„Ich liebe es, wenn sie sich mir auf diese Art entgegenstrecken“, flüsterte Stefanie erregt in Ruths Ohr und schob sie zur Couch. Ruth ließ sich darauf nieder und streckte sich aus, damit Stefanie sich auf sie legen konnte. Vorher entfernte Stefanie Ruths Slip und zog sich selbst aus. Sie liebte es, Ruth nackt auf ihrer Haut zu spüren. Sie stöhnte leise, als sie die hüllenlose Ruth lasziv auf der Couch drapiert sah.

Stefanie schwebte über der Freundin. Sie stützte sich mit den Händen ab und rieb mit ihrem rechten Oberschenkel an Ruths Mitte. Sie konnte deren Feuchtigkeit auf ihrem Bein spüren.

Ruth atmete heftig. „Schneller!“, forderte sie. Stefanie kam der Forderung umgehend nach. Kurze Zeit später stöhnte Ruth laut und ungeniert in ihr Ohr, um ihrem Orgasmus Luft zu machen. Stefanie hielt in ihrer Bewegung inne und legte sich auf sie.

„Das war schön!“, ließ Ruth hören. „Das hast du seit ewigen Zeiten nicht gemacht.“

„Was meinst du?“

„Die Initiative ergriffen“, erklärte Ruth. „Mir gefällt das!“

Stefanie hob den Kopf, um Ruth anzusehen. Sie lächelte scheu. In der Regel war Ruth stets die treibende Kraft, wenn es darum ging, ein Liebesspiel zu beginnen. Ab und an übernahm Stefanie die Führung. Sie wusste, dass Ruth in solchen Situationen enorm angemacht war.

„Ich finde es süß, wenn du verlegen wirst“, kommentierte Ruth Stefanies zarte Röte auf den Wangen und streichelte mit den Händen über deren Rücken. Stefanie legte ihren Kopf auf Ruths Schulter und genoss diese zärtlichen Berührungen.

Sie spürte Ruths Hand an ihrer Mitte.

„Endlich bist du über und über nass“, hörte sie Ruth erregt in ihr Ohr flüstern. Der Satz rief in Stefanie die Erinnerung an ihr kürzlich missglücktes Liebesspiel wach. Ruth mochte es am liebsten, wenn sie auslief. Das funktionierte nicht immer, weil sie in der Vergangenheit des Öfteren ganz woanders mit ihren Gedanken gewesen war. Deshalb war Stefanie froh, dass sie heute in Stimmung für eine heiße Liebesnacht war. Ruth übte größeren Druck auf Stefanies Mitte aus und forcierte das Tempo. Stefanies Atem beschleunigte sich heftiger und heftiger. Sie bewegte ihr Becken in dem Rhythmus, den Ruth vorgab.

„Beweg dich.“ Ruth war heiser vor Erregung. „Ich liebe es, wenn du dich mir hingibst.“

Ruth verstärkte ihre Bewegungen, bis Stefanie innehielt und kam. Ein lautes Stöhnen entwich ihrer Kehle. Ihr Atem ging unkontrolliert. Sie lag mit ihrem gesamten Gewicht auf Ruth, die über Stefanies Rücken streichelte.

Nach einer Weile schlug Ruth mit rauer Stimme vor: „Lass uns ins Bett gehen und den Rest der Nacht Liebe machen.“

Stefanie hob den Kopf, lächelte und nickte. Sie erhob sich, zog Ruth an der Hand, um ihr aufzuhelfen. Hand in Hand gingen sie ins Schlafzimmer, um den Rest der Nacht zum Tag zu machen.

4

An ihrem zweiten Schultag fühlte Stefanie sich vollkommen übermüdet. Das war kein Wunder, weil sie und Ruth nach langer Zeit wieder einmal eine durchliebte Nacht erlebt hatten. Und Stefanie hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Partnerin genossen. Allerdings zahlte sie gerade eben ihren Tribut dafür, weil ihr in der Sport-Fachkonferenz dauernd die Augen zufielen.

Nach der Konferenz stand sie mit Kollegen zusammen und ließ sich die Neuerungen dieses Schuljahres erläutern. In den Sommerferien waren an einer der Gebäudewände Klettergriffe angebracht worden, die sowohl im Sportunterricht als auch in den Pausen genutzt werden konnten. Darüber hinaus waren zweiunddreißig Paar Inlineskates angeschafft worden, die ebenfalls auf ihren Einsatz im Sportunterricht warteten.

„Inlineskaten kann ich nicht“, war Stefanie bestürzt.

„Na, dann steht fest, wie deine erste Fortbildung aussieht“, zwinkerte ihr Klaus zu, einer der Kollegen.

Mit großer Freude erkannte Stefanie, dass man sich zumindest unter den Sportkollegen ausnahmslos duzte. Daraus ergab sich automatisch eine vertrautere Ebene, was Stefanie entgegenkam und dafür sorgte, dass sie sich nicht völlig fremd fühlte.

„Oder du nimmst bei mir eine Nachhilfestunde“, vernahm Stefanie von der Kollegin, die sich zu ihnen gesellt hatte und die Stefanie an ihrer Stimme als Hannah identifizierte. Umgehend breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Ein Gedankenblitz schoss Stefanie durch den Kopf: Bei ihrer ersten Begegnung im Bert-Brecht-Gymnasium hatte ihre dunkle Stimme Stefanie eine Gänsehaut beschert. Bevor sie jedoch den Gedanken fassen konnte, hatte er sich schon wieder verflüchtigt.

„Na, da bist du gleich an der richtigen Adresse“, kommentierte Klaus. „Ich habe im vorigen Jahr eine Fortbildung bei Hannah belegt. Sie ist hundertprozentig die Beste.“

„Du leitest Fortbildungen?“, fragte Stefanie erstaunt nach.

„Das tue ich“, bestätigte Hannah, „etwa seit fünf Jahren.“

„Und Inlineskaten ist ihre Vorzeigedisziplin“, meinte Robert, ein Riese von Sportlehrer, der gut und gern in der nordamerikanischen Basketballliga hätte spielen können. Er hatte sich zu ihrem kleinen Grüppchen dazu gesellt.

„Ich dachte Volleyball!“, war Stefanie überrascht.

„Darin ist sie genauso ein Ass!“ Robert antwortete für Hannah und ließ über deren Kopf hinweg verlauten: „Wusstest du, dass sie mal in der Bundesliga gespielt hat?“

„Na klar!“ Stefanie nickte.

Robert hob entgeistert die Augenbrauen. Offensichtlich hatte er gedacht, eine große Neuigkeit zu verkünden.

„Sie kennen sich“, mischte Klaus sich ein und erklärte, woher er diese Information hatte. „Frau Gerber und Frau Jung erzählen überall herum, dass Hannah Stefanies ehemalige Sportlehrerin war. Und dass sie sich duzen, obwohl die eine die Schülerin der anderen war. Darüber zerreißen sie sich schon den ganzen Tag das Maul.“ Klaus rollte mit den Augen, um zu zeigen, dass er dieses Getratsche nicht leiden konnte und für völlig überzogen hielt.

„Das glaub´ ich nicht!“, war Robert vollkommen baff. Man sah ihm an, dass sich hinter seiner Stirn tausend Fragen bildeten.

Stefanie und Hannah nickten. „So“, ergriff Hannah das Wort, und während sie Stefanie mit sich zog, teilte sie halblaut mit: „und wir machen fix einen Termin für eine Inliner-Stunde aus, damit du die Skates bald im Unterricht einsetzen kannst.“

In einer ruhigeren Ecke, abseits aller Kollegenansammlungen seufzte Stefanie erleichtert auf: „Danke, dass du mich vor diesem peinlichen Gespräch gerettet hast.“

„Jederzeit wieder!“ Hannah lächelte und heftete sich an Stefanies blaue Augen. „Ich hatte keine Lust dazu, Rede und Antwort über eine gemeinsame Schulzeit zu stehen.“

„Irgendwann werden wir darüber erzählen müssen“, vermutete Stefanie.

„Wieso das denn?“ Hannah runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Die Kolleginnen und Kollegen werden neugierig sein und ständig nachfragen.“ Stefanie war über diesen Umstand nicht glücklich, was sie durch ein Stirnrunzeln zu verstehen gab.

„Das kann sein, ich habe dennoch nicht vor, etwas außer den Fakten zu erzählen.“

Etwas außer den Fakten?, wunderte sich Stefanie. Was sollte das außer den Fakten wohl sein?

Hannah musste Stefanies fragendes Gesicht gesehen haben und erklärte: „Ich meine, sie wollen selbst das kleinste Detail wissen, zum Beispiel wie es damals mit dir als Schülerin war. Dich werden sie fragen, wie ich als Lehrerin aufgetreten bin. Sie wollen wissen, wie es für uns gegenwärtig ist. Ich kann dir sagen, darauf habe ich null Bock.“

Hannahs Stimme war lauter geworden. Darüber wunderte Stefanie sich. Sie kannte Hannah als ruhige und gelassene Person. Dieser kleine Ausbruch und ihre saloppe Ausdrucksweise passten nicht in das Bild, das Stefanie von ihr hatte. Sicher gab es eine Vorgeschichte mit dem Kollegium zu dem Thema. Oder zumindest mit einem Teil davon. Stefanie verkniff es sich nachzufragen, worum es dabei ging. Wenn Hannah danach war, würde sie es ihr erzählen.

„Wie wär´s, wenn wir am Freitag nach der Schule eine Einführungsstunde ins Inlineskaten machen?“, wechselte Hannah das Thema und sprach in ihrem normalen, freundlichen, fast liebevollen Tonfall. Die Arme hingen locker neben ihrem Körper. „Die Halle ist drei Stunden frei, bevor die Vereine sie nutzen. Das wäre für die Einführung genug.“

„Woher weißt du das?“, war Stefanie verwundert darüber, dass Hannah den Hallenplan offensichtlich auswendig kannte.

„Ich mache nicht nur Fortbildungsveranstaltungen, sondern ebenfalls den Hallenplan!“ Hannah grinste breit und brach in schallendes Gelächter aus, als sie Stefanies verdattertes Gesicht sah. Stefanie ließ sich von Hannahs offenherzigem Lachen anstecken. Lange nicht mehr hatte sie so herzhaft und ungezwungen gelacht.

Nach der sechsten Stunde am Freitag lag eine halbe Unterrichtswoche nach den Sommerferien in diesem neuen Schuljahr hinter Stefanie. Sie hatte ihrer eigenen 5e in der sechsten Stunde eine Deutschstunde erteilt. Nach den drei Tagen in völliger Eigenregie war sie bereits vor der sechsten Stunde ziemlich am Ende ihrer Kräfte gewesen. Diese Stunde mit den achtundzwanzig quirligen, aufgeweckten Fünftklässlern hatte ihr den Rest gegeben. Auf dem Weg zur Toilette begegnete ihr Hannah.

„Bis nachher!“, lächelte die ihr entgegen mit einem Ich freu mich! auf der Stirn.

„Hannah!“ Stefanie klang vollkommen ausgelaugt. „Ich glaube, ich stehe keine einzige Stunde in der Halle mehr durch. Ich bin vollkommen hinüber. Wärst du sehr böse, wenn wir die Einführung verschöben?“

„Natürlich wäre ich nicht böse!“ Eine leise Enttäuschung konnte Hannahs Stimme allerdings nicht verhehlen. Ihr Gesichtsausdruck schien um eine Nuance verrutscht. „Aber vielleicht wäre Bewegung genau das Mittel, um eine anstrengende Woche aus den Gliedern zu schütteln.“ Sie ließ die Worte wirken, bevor sie weitersprach: „Ich erinnere mich daran, wie es mir nach meinen Anfängen als Lehrerin ging. Ich habe mich ähnlich gefühlt wie du vermutlich im Augenblick. Statt mich zu Hause auf der Couch zu lümmeln, bin ich eine Stunde gejoggt. Das hat wahre Wunder bewirkt. Ich fühlte mich danach völlig erfrischt, und die Erschöpfung war wie weggeblasen.“ Hannah sah Stefanie an, um ihre Reaktion zu deuten. Deren Gesichtsausdruck spiegelte große Unentschlossenheit wider. „Wenn ich mich besonders erschöpft fühle, bewege ich mich eine Runde, statt meinem inneren Schweinehund nachzugeben, der nach der Horizontalen verlangt. Und meistens fühle ich mich danach besser.“

Stefanie schwieg. Natürlich wusste sie, dass Bewegung äußerst hilfreich sein konnte, wenn man müde und kaputt war. Diese Erfahrung hatte sie unzählige Male während ihres Studiums und während des Referendardienstes gemacht. Wie sie sich in diesem Moment fühlte, kannte sie nicht von sich: entkräftet, erledigt und völlig fertig. Erschlagen!

Der Wunsch, auf der Couch auszuruhen und sogar einzuschlafen, war übermächtig. Andererseits hatte Hannah recht mit ihrer Argumentation. Sie sollte ihren inneren Schweinehund überwinden und mit zur Halle gehen. Wenn sie sich überfordert fühlte, konnte sie jederzeit aufhören.

Stefanie kämpfte innerlich mit sich. Das bildete sich deutlich auf ihrem Gesicht ab. Und als wollte Hannah Stefanie keineswegs unter Druck setzen, unterbreitete sie ein Angebot: „Weißt du was? Du gehst zuerst in Ruhe aufs Klo. Wir treffen uns in der Halle, setzen uns gemütlich auf eine der Bänke und überlegen, was wir tun. – Was hältst du von dem Vorschlag?“ Mit einem zaghaften Nicken signalisierte Stefanie ihr Einverständnis.

Stefanie und Hannah sahen sich an. „Sollen wir?“, fragte die Jüngere. Hannah nickte. Die beiden nahmen Anlauf und ließen sich mit einem Sprung auf die dicke blaue Matte plumpsen. Sie konnten vor Lachen nicht an sich halten.

Als das Gelächter nachließ, stellte Stefanie fest: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass Inlineskaten so wahnsinnigen Spaß macht. Und vor allem fühle ich mich wesentlich erholter als nach der Stunde in meiner Klasse.“

„Du hast es noch nicht an der frischen Luft ausprobiert.“ Hannahs Augen fesselten Stefanies Blick. „Am Baldeneysee zu skaten, macht unglaublich viel Spaß. Wenn einem eine kühle Brise um die Ohren weht, fühlt man sich augenblicklich lebendiger und vor allem wacher.“

„Das kann ich mir durchaus vorstellen“, stimmte Stefanie zu. „Ich glaube, dafür muss ich öfter trainieren. Bremsen bergab stelle ich mir schwierig vor. Da hätte ich Schiss im hügeligen Gelände.“

„Du bist ein Naturtalent“, lobte Hannah und lächelte.

„Danke!“ Stefanies Wangen röteten sich unversehens. „Du bist eben eine tolle Lehrerin. Die Kollegen haben nicht zu viel verspochen.“

„Was erzählen sie sich denn?“ wollte Hannah neugierig wissen.

„Dass du äußerst kompetent bist in dem, was du tust und dass du es schaffst, das Skaten auch dem letzten Deppen beizubringen.“

„Mal im Ernst, es war kein Hexenwerk, dich im Skaten zu unterrichten. Du bewegst dich auf den Inlinern, als hättest du nie etwas anderes getan. Und für das Bremsen am Berg brauchst du höchstens zwanzig Minuten Übung und du hast es drauf.“

„Ernsthaft?“ Stefanie war die Unsicherheit über ihre eigenen Fähigkeiten deutlich anzumerken.

„Was für ein Gefühl hast du? Du machst einen ziemlich robusten Eindruck, wenn du auf den Inlinern stehst.“

„Ich fühle mich einigermaßen sicher. Wie gesagt, habe ich vor allem vor dem Bremsen bergab ziemlichen Respekt.“

„Da hilft nur learning by doing. Wie wär´s, wenn wir am Wochenende am Baldeneysee ein bisschen trainieren und dein bisheriges Wissen in der freien Natur erproben?“, schlug Hanna vor.

„Oh! Das geht leider nicht.“ Stefanies Gesicht nahm einen geknickten Ausdruck an. „Am Wochenende sind wir eingeladen. Meine Schwiegermutter in spe wird siebzig.“

„Du heiratest bald. Meinen Glückwunsch!“ Mit einem Mal war der warmherzige Ausdruck aus Hannahs Stimme verschwunden.

„Danke! Um es korrekt zu formulieren verpartnern wir uns.“

„Du bist mit einer Frau liiert!“, schlussfolgerte Hannah und bemühte sich hörbar um einen neutralen Ton.

Stefanie nickte. „Nächsten Sommer soll die Verpartnerung stattfinden.“

„Das ist lang hin.“

„Ruth – meine Partnerin – plant die Dinge minutiös: wer eingeladen wird, wann welches Lied gespielt wird, wie die Tischordnung ist, was es zu essen gibt und so weiter. Sie will nichts dem Zufall überlassen.“

„Höre ich da einen Hauch Missfallen heraus?“ Hannah lächelte zurückhaltend.

„Nein, eigentlich nicht. Höchstens Amüsement.“ Stefanie lächelte ebenfalls. „Ich finde es schade, dass wir am Wochenende nicht Skaten können! Können wir das Üben auf das darauffolgende Wochenende verschieben?“

„Aber klar.“ Hannah fixierte Stefanie mit ihren Augen. Deren Herzschlag erhöhte sich augenblicklich bei diesem wahrhaftig durchdringenden Blick – wie viele Male zuvor, als sie noch Hannahs Schülerin war.

5

„Gerda!“ Stefanie umarmte ihre zukünftige Schwiegermutter. „Ich wünsche dir alles, alles Gute zu deinem runden Geburtstag.“

„Lieb von dir, Stefanie!“, bedankte sich die Jubilarin. „Und ich finde es fabelhaft, dass ihr das ganze Wochenende bleibt. Ich weiß doch, mit welchem Missvergnügen du auf solch großen Festivitäten bist, Stefanie. Ich weiß es zu schätzen, dass du mitgekommen bist.“ Gerda zwinkerte Stefanie aufmunternd zu und übergab sie an Kurt, ihren Mann.

„Stefanie, wie nett, dich zu sehen. Und wunderbar, euch das Wochenende über bei uns zu haben.“

Kurt umarmte Stefanie und mit Blick auf seine Tochter sagte er: „Wir freuen uns außerordentlich, dass du sie dieses Mal mitgebracht hast.“ Er spielte auf seinen letzten Geburtstag an, bei dem Stefanie nicht dabei gewesen war.

„Vati!“ Ruth rollte mit den Augen. „Wie du weißt, hat Stefanie sich auf ihre Prüfung vorbereitet. Und der Einsatz hat sich gelohnt. Sie hat als Beste abgeschlossen.“ Ruth legte ihrer Freundin den Arm um die Schultern. Stolz darüber schwang in ihrer Stimme mit, dass ihre Partnerin die Ausbildung ernst genommen und sich gewissenhaft auf ihr zweites Staatsexamen vorbereitet hatte, dass sie tatsächlich Beste geworden war.

„Ich weiß, Ruth.“ Kurt zwinkerte Stefanie zu. „Wir sind alle sehr stolz auf dich, Stefanie.“ Kurt warf seiner Tochter einen missbilligenden Blick zu. Es war nicht gern gesehen, wenn sie die Liebe zu ihrer Beinahe-Frau vor aller Augen zur Schau stellte. Ruth ignorierte die unausgesprochene Rüge.

Nach der Begrüßung, die bei den Sondermanns trotz der Umarmungen stets steif ausfiel, konnten Stefanie und Ruth zum gemütlichen Teil der Feier übergehen. Was hier so gemütlich genannt wurde: Festgarderobe war erwünscht, wenn die Familie Sondermann zu welch einem Anlass auch immer einlud.

Ruths Eltern feierten ihre Geburtstage ohne Ausnahme zu Hause. Die Villa hatte einen riesengroßen Garten. Im Sommer wurden die Feiern bei diesem warmen Wetter ausnahmslos in dem äußerst großzügigen Teil des Anwesens begangen. Stehtische waren neben bequemen Sitzgarnituren aufgestellt. Über sechzig Gäste bevölkerten den Garten, die mit Getränken aller Art und kleinen Snacks verwöhnt wurden. Wie nicht anders zu erwarten, bewegten sich gut gekleidete Kellnerinnen und Kellner perfekt zwischen den Eingeladenen, um sie mit kleinen Leckereien zu versorgen.

Ruth und Stefanie gesellten sich zu einem der Stehtische, an dem Ruths Bruder Simon mit seiner Frau und gefüllten Sektgläsern auf sie warteten.

„Hallo, Schwesterchen!“, begrüßte Simon seine „kleine“ Schwester mit einer Umarmung, die nicht bloß angedeutet war wie vorhin bei den Eltern. Ruth war genauso groß wie ihr Bruder, allerdings etwas älter. „Gestern deiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen und Studierende geärgert?“

„Wie du weißt, sind Semesterferien. Da ärgere ich keine Studenten.“ Ruth schenkte ihrem Bruder einen hochnäsigen Augenaufschlag.

„Du ärgerst lediglich die männliche Spezies?“, präzisierte Simon, der wusste, dass seine Schwester auf die Benutzung des korrekten Genus achtete und möglichst eine neutrale Variante bevorzugte.

„So ist es!“, bekam er überheblich zur Antwort, nicht ohne ein freches Grinsen von seiner Schwester zu ernten.

„Und du, liebe Stefanie“, Simon küsste seine Schwägerin in spe auf beide Wangen, „ärgerst fortan die Jugend der Welt?“

„Nicht gerade der Welt.“ Stefanie umarmte Simon und seine Frau Sonja. „Und ärgern ist nicht die angemessene Wortwahl. Ich bin guter Dinge, dass sie von mir lernen können.“

Stefanie und Simon grinsten sich an, denn sie frotzelten ausgiebig miteinander, wenn sie aufeinandertrafen. Und jedes Mal war die Flachserei liebevoll gemeint: Simon mochte Stefanie. Er hatte ihr einmal erzählt, dass sie eine der wenigen Frauen an der Seite seiner Schwester war, die es länger als acht Wochen bei ihr aushielt – immerhin schon drei Jahre. Irgendwann hatte Stefanie außerdem ein Gespräch zwischen ihm und Sonja mitbekommen, in der er gezweifelt hatte, dass Ruth eine Frau zum Heiraten war. Er kannte seine Schwester und wusste, dass sie dauernd neue Herausforderungen brauchte – frauentechnischer Art zumindest. Stefanie wusste Ruth zu nehmen. Aus Simons Sicht würde es seiner Schwester nämlich ausgezeichnet stehen, bodenständig zu werden – frauentechnisch gesehen. Sonja hatte ihm uneingeschränkt zugestimmt.

Der Abend bei den Sondermanns wurde nett, obwohl exklusive Gäste eingeladen waren: Vom Oberbürgermeister über den Stadtrat bis zum Oberregierungsrat war alles vertreten, was Rang und Namen hatte. Stefanie und Ruth verbrachten die gesamte Zeit mit Simon und Sonja. Die übrigen Gäste blieben gleichermaßen unter sich. Zu Beginn ihrer Beziehung zu Ruth hatte Stefanie das befremdlich gefunden – auf den Feiern, auf denen sie sich üblicherweise tummelte, unterhielt sich jede mit jedem –, bis sie auf einem dieser Feste ein äußerst unangenehmes Gespräch mit einem Leitenden Regierungsschuldirektor im Haus ihrer Schwiegereltern geführt hatte, schätzte sie die Tatsache, dass man am liebsten unter seinesgleichen blieb.

Ruth hatte während des Abends mehrmals mit Stefanie getanzt: Walzer zuerst, als nächstes einen Foxtrott und am Ende sogar Tango.

„Du wirst immer besser!“, hatte Ruth während einer dieser Tänze gelobt und ihr einen Kuss auf den Mund gedrückt – das quittierten Ruths Eltern stets mit einem Stirnrunzeln und einem bösen Blick. Es war Ruths Art, sich zumindest ein bisschen gegen die Gepflogenheiten ihrer alten Herrschaften aufzulehnen, wenn sie sie sonst auch verinnerlicht hatte. Stefanie wunderte sich, dass Ruths Eltern ihre lesbische Tochter in dieser edlen Gesellschaft überhaupt akzeptierten und dass sie Stefanie in ihr Herz geschlossen hatten, auf die ihnen eigene, distanzierte Art.

Ruth und Stefanie passten sich den Gegebenheiten an. Stefanie hatte zumindest Tanzen gelernt, widerwillig zwar, weil Ruth gemeint hatte, es sei üblich in den Kreisen, in denen sie verkehrte. Stefanie hatte mit Ruth erbitterte Diskussionen darüber geführt, dass sie keinesfalls gewillt sei, sich einer Etikette zu beugen, die sie nicht guthieß. Letztlich hatte sie sich gefügt, einer der unzähligen Kompromisse, die sie eingegangen war, um ihre Beziehung mit Ruth nicht zu gefährden. Inzwischen genoss sie während solcher Gelegenheiten die zärtlichen Berührungen der Geliebten in aller Öffentlichkeit, die ohne das Tanzen überhaupt nicht möglich wären. Vor sechs Wochen hatten Ruth und Stefanie einen Tangokurs begonnen. Das war ein Tanz, den zu tanzen Stefanie mächtig Spaß machte. Ruth führte fantastisch. Stefanie fand, ein Tango sei Erotik pur, und das vor Publikum. Manchmal verwunderte Stefanie es, dass auf diesen Feiern wie etwa zu Gerdas Geburtstag ein derart freizügiger Tanz wie der Tango überhaupt gespielt wurde.

Als Stefanie und Ruth um drei Uhr in der Nacht in ihrem Zimmer waren, lag Ruth nackt im Bett. „Ich will dich im Bett!“, forderte sie mit nicht mehr ganz klarer Stimme. „Was treibst du die ganze Zeit im Bad?“

„Die abendliche Toilette“, murmelte Stefanie undeutlich, weil sie mit einer Zahnbürste über die Zähne wienerte.

„Du putzt seit Stunden die Zähne. Sie sind längst sauber.“ Ruths Stimme klang ungeduldig. „Ich habe mir extra den Nachtisch verkniffen, weil du mein Dessert sein sollst. Komm endlich.“

Stefanie kam ohne die Zahnbürste aus dem Bad. „Du willst nicht etwa nachts um drei …?“ Stefanie sprach den Satz nicht zu Ende und sah stattdessen in Ruths liebeshungrige Augen, in denen ein Verlangen lauerte, das Stefanie selten darin gesehen hatte.

Sie fragte sich, was der Grund dafür war, dass es sich ausgerechnet im Haus ihrer Eltern zeigte. Der Alkohol hatte des Öfteren dafür gesorgt, dass Ruth anzüglich und offensiv wurde. Möglicherweise spielte die Tatsache eine Rolle, dass Ruth nach ihrer Lesart etwas Ungehöriges, gar Verbotenes tat, wenn sie mit Stefanie im Haus ihrer Eltern schlief, und sie es in deren Betten trieben. Die würden das keinesfalls billigen, wenn sie es wüssten. Stefanie wusste, dass Ruth Situationen solcherart anregten, während sie selbst sie eher abtörnend fand. Sie würde sich auf das einlassen müssen, was Ruth vorhatte, wenn sie sie nicht verärgern wollte. Außerdem hatte Ruth mengenweise Alkohol getrunken. Sie würde nicht sehr angenehm aus dem Mund riechen, obwohl sie sich die Zähne geputzt hatte. Das war ein Umstand, den Stefanie nicht gerade aufregend fand.

Stefanie schlug die Bettdecke auf und krabbelte in ihr Bett.

Unverzüglich lag Ruth auf ihr. „Ich liebe es, wenn ich das Dessert erst noch auspacken muss“, flüsterte sie Stefanie ins Ohr, leckte an ihrem Hals entlang und küsste auf dem Schlafanzug an deren Oberkörper auf und ab, um endlich bei den Brüsten und den wachsenden Brustwarzen zu verweilen.

Ruth nahm Stefanies Brustwarzen durch den Stoff in den Mund und saugte daran. Stefanie atmete schneller. Sie schafft es, mich in den unmöglichsten Situationen rasend zu machen, dachte Stefanie amüsiert. Sie hätte gedacht, Schwierigkeiten mit dem Angemacht-Sein im Haus von Ruths Eltern zu haben. Sie wusste, dass Ruth vorhin die Tür abgeschlossen hatte. Das verlieh ihr eine gewisse Sicherheit, weil wenigstens niemand in den Raum platzen konnte, während sie …

Ruth schien ihr „Dessert“ nicht „auspacken“ zu wollen. Sie griff in Stefanies Schritt, ohne die Hose zu entfernen und fand die Stelle, wo eine Frau nicht mehr nach Hause gehen kann. Diese abgeänderte Zeile eines Songs von Klaus Hoffmann ging Stefanie durch den Kopf, in der eine wesentlich ältere Frau einen jungen Mann verführt. Sie konnte es sich nicht erklären, warum ihr ausgerechnet dieses Lied in den Sinn kam. Bestimmt nicht, weil sie wie der Protagonist in dem Lied jünger war als Ruth, nicht entscheidend jünger zumindest. Jedenfalls war sie erregt und hätte den Vorgang ungern unverrichteter Dinge abgebrochen.

Ruth beschleunigte durch ihr Tun das Tempo von Stefanies Atemrhythmus und konnte bald beobachten, wie sie in ihren Bewegungen innehielt, weil sie kam.

„Das ging ja fix“, flüsterte Ruth, die darauf anspielte, dass eine Reihe der vorangegangenen Akte eher von der mühsamen Sorte gewesen war.

„Das, was du getan hast, hat mich ziemlich heiß gemacht“, antwortete Stefanie, deren Atmung noch die Erregung verriet. Sie lächelte Ruth liebevoll an. Stefanie war selbst überrascht, dass sie die direkten Berührungen auf ihrer Haut nicht gebraucht hatte, um einen Höhepunkt zu haben.

„Desgleichen bei mir!“ Ruth war heiser vor sexueller Energie. Sie hatte eine ordentliche Fahne. Im Gegensatz zu Stefanies, die der Alkohol müde machte, brach sich Ruths Libido ungezügelt Bahn, wenn sie ein paar Gläser intus hatte. Sie drängte sich an Stefanie, rieb sich an ihr. „Fass mich an!“, forderte sie. Stefanie rollte zur Seite und lag auf Ruth. Ihre rechte Hand fand die Stelle, an der Ruth nicht mehr nach Hause gehen konnte.

Ruths Atmung verstärkte sich unmittelbar. „Sei in mir!“, verlangte sie. Stefanie rutschte von der Geliebten, um neben ihr zu liegen und Ruths Wunsch erfüllen zu können. Zwei Finger der einen Hand fanden Ruths Eingang weit geöffnet. Sie bewegte sich in die Geliebte hinein und aus ihr heraus, während sie mit der Handfläche der anderen Hand mit zunehmend größerem Druck über Ruths Klitoris streichelte.

Ruth bewegte sich immer ungestümer, ihr Atem ging zunehmend heftiger, bis sie ebenfalls kam. Stefanies Finger wurden kräftig umschlossen von den Kontraktionen des Orgasmus.

„Das war grandios“, flüsterte Ruth in Stefanies Haar. Sie lag mittlerweile auf ihrer Zukünftigen. Stefanie liebkoste mit ihren Händen Ruths nackten Rücken, während sie selbst noch mit dem Schlafanzug bekleidet war.

Irgendwann drangen Ruths regelmäßige Atemzüge an Stefanies Ohr. Sie war auf ihr eingeschlafen.

6

Dass Ruth nicht begeistert war, als Stefanie ihr mitteilte, dass sie am Samstagnachmittag mit einer Kollegin zum Inlineskaten verabredet war, wusste Stefanie schon vorher.

„Muss das am Wochenende sein?“, muffelte Ruth ungehalten.

„In der Woche habe ich keine Zeit dafür. Und Hannah erübrigt ihre Zeit und zeigt mir ein paar Tricks, damit ich im Sportunterricht nicht da stehe wie eine Ahnungslose“, suchte Stefanie nach einer plausiblen Erklärung. Außerdem bin ich bisher am Wochenende selten von deiner Seite gewichen und habe mir eine kleine Auszeit redlich verdient, dachte Stefanie, sprach es aber nicht aus.

Der Termin mit Hannah war ihr willkommen gewesen, denn Ruth und Stefanie waren eigentlich zum alljährlichen Grillen des Fachbereichs, in dem Ruth arbeitete, beim Dekan eingeladen. Stefanie mochte diese Veranstaltungen nicht. Vor allem, weil sie glaubte, schief angesehen zu werden. Stefanie hatte Ruth im Fachbereichsrat kennengelernt, in den sie als Studentin gewählt worden war, und kannte die meisten Gäste aus dem Studium. Sie waren zum Teil ihre Dozenten gewesen.

Ruth war keine der Professorinnen, die sie unterrichtet hatten. Natürlich wusste Stefanie, wer sie war, und sie fand sie „scharf“. Kurz vor ihrer Masterprüfung fingen die beiden an, miteinander auszugehen.

Zunächst war es für beide Frauen nur eine Affäre gewesen, die sie peinlichst genau geheim hielten. Niemand von Stefanies Kommilitoninnen wusste darüber Bescheid. Und natürlich sollten die Kolleginnen und Kollegen von Ruth erst recht nichts davon wissen.

Irgendwann – da absolvierte Stefanie schon seit einem halben Jahr den Vorbereitungsdienst – merkten die beiden Freundinnen, dass sie sich unaufhaltsam ineinander verliebten. Etwa ein Dreivierteljahr, nachdem sie ein Paar geworden waren, zog Stefanie zu Ruth in deren riesige Eigentumswohnung. Ruth hatte ihr extra ein eigenes Arbeitszimmer neben ihrem eigenen eingerichtet, damit sie genug Platz hatte, um ihre Unterrichtsvorbereitungen zu erledigen.

Und natürlich gab es eine Party, bei der sie ihre Verbindung offiziell bekannt gaben. Auf der Party waren neben Freundinnen, Freunden und Bekannten auch die Kolleginnen und Kollegen von Ruth eingeladen. Auf diese Weise konnten sie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und den gesamten Bekanntenkreis informieren.

Fortan wurde Ruth nie ohne Stefanie eingeladen, wenn es irgendwelche offiziellen Treffen von der Uni gab. Natürlich war das ein bedeutsames Zeichen. Schließlich waren die Partnerinnen und Ehefrauen der anderen Dozenten genauso dabei, manchmal fand Stefanie die Einladungen aber ziemlich lästig, zumal diese Zusammenkünfte überwiegend steif waren und sie das Gefühl hatte, als ehemalige Studentin angesehen zu werden und nicht als Ruths Partnerin. Vor allem war die Situation als ehemalige Studentin eben des Fachbereichs, in dem sie studiert hatte, insgesamt nicht unbedingt entspannend für sie. Deshalb war Stefanie froh über das Treffen mit Hannah, das sie Ruth als offiziellen – allerdings privaten – Fortbildungstermin verkaufen konnte.

„Du machst aber wenigstens den leckeren Salat?“, fragte Ruth vorwurfsvoll, als Stefanie ihr mitteilte, dass sie nicht mitkäme. „Die anderen haben danach gefragt.“

Stefanie bereitete zu diesen Grillpartys stets den Salat zu, der großen Anklang fand und dessen Schüssel nach kurzer Zeit geleert war. Es war ein Nudelsalat mit Farfalle, getrockneten Tomaten, frischen Kräutern und einer speziellen Vinaigrette.

„Den bereite ich morgen Früh zu“, versprach Stefanie.

Nach der Zubereitung des Salats und einem kleinen Mittagssnack, den Stefanie und Ruth samstags gemeinsam einnahmen, machte Stefanie sich auf den Weg zum Baldeneysee. Sie war froh, als sie das Haus verlassen konnte. Ruth hatte von früh bis spät genörgelt. Und das war nicht lustig gewesen.

Als Stefanie auf den Parkplatz fuhr, entdeckte sie Hannah und ergatterte einen Platz direkt neben dem Wagen der Freundin. Stefanie stieg aus und wurde stürmisch von Hannah umarmt.

„Schön, dich zu sehen!“, rief Hannah begeistert.

„Ganz meinerseits.“ Stefanie strahlte.

„Und ausgezeichnet, dass deine Frau dich am Wochenende entbehren kann.“

„Das hat sie nur mit Widerwillen zur Kenntnis genommen, weil heute ein Grillen bei ihrem Dekan mit Partnerin angesagt ist“, erklärte Stefanie und machte ein zerknirschtes Gesicht.

„Wir hätten unser Treffen doch auch verlegen können.“ Hannah hörte sich vorwurfsvoll an.

„Ich bin froh, dass ich diesem Termin entkommen konnte.“ Stefanie klang erleichtert. Sie grinste. „Das ist regelmäßig einer unserer Streitpunkte, weil Ruth unbedingt will, dass ich mitkomme, und ich mich jedes Mal drücken will.“

„Ich finde es klasse, wenn sie dich dabeihaben will und ihre Kolleginnen dich als die Frau an ihrer Seite akzeptieren.“

„Von außen betrachtet hast du Recht. Ich war an derselben Fakultät, an der Ruth arbeitet. Alle Professoren und Dozenten kennen mich als Studentin. Die Grillparty gleicht manchmal einem Spießrutenlauf. Zumindest empfinde ich es so.“

„Ruth war deine Professorin?“, wunderte sich Hannah, während sie ihre Inlinermontur anzog.

„Nein. Wir haben uns durch den Fachbereichsrat kennengelernt, in dem wir beide Mitglieder waren. Bei einer der Sitzungen hat es zwischen uns gefunkt.“ Stefanies Gesicht hatte einen verträumten Ausdruck angenommen, als ob sie an die Anfänge ihrer Verliebtheit zurückdachte.

„Ihr seid während deines Studiums ein Paar geworden?“

„Das stimmt“, bestätigte Stefanie. „Wir sind während meines Referendardienstes zusammengezogen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir unsere Beziehung offiziell gemacht. Ruth liebt Partys. Und sie hat für alle Freundinnen und Freunde, Bekannte, Verwandte und Kolleginnen und Kollegen eine große Feier veranstaltet, um unsere Verbindung bekannt zu machen.“

„Und sie will eure Verpartnerung natürlich groß feiern?“, vermutete Hannah.

„Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen“, bestätigte Stefanie und zog einen Flunsch. „Obwohl ich es lieber privater haben würde. In aller Stille wäre mir lieber. Aber man muss Kompromisse machen.“ Stefanie seufzte und zuckte mit den Schultern.