Liebe im Fokus - Emma zur Nieden - E-Book

Liebe im Fokus E-Book

Emma zur Nieden

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Beschreibung

In dem Liebesroman "Liebe im Fokus" von Emma zur Nieden geht es um die Fotografin Zoe Burger, die einen Auftrag auf dem Postschiff "Polarsirkel" der berühmten Postbudruten zu erledigen hat. Sie braucht das Honorar aus dem Auftrag unbedingt, denn sie steht nicht nur vor den Trümmern ihrer Beziehung, sondern auch vor einem leergeräumten Konto. Das Postbudruten-Journal muss ein Erfolg werden. Koste es, was es wolle. Das Fotografieren läuft gut, bis zu dem Moment, in dem sie über eine Tasche im Nidarosdom in Tromsø stolpert und sich den linken Arm bricht. Mit nur einem gesunden Arm und dem anderen in Gips kann sie ihre schweren Kameras nicht mehr bedienen. Sie braucht dringend jemanden, der ihr nicht nur zur Hand geht, sondern das Fotografieren komplett übernimmt. Die Krankenschwester Malin, die dafür sorgt, dass Zoe in dem Krankenhaus in Bodø bevorzugt behandelt wird und mit der "Polarsirkel" weiterfahren kann, geht demnächst in eine dreiwöchige Auszeit. Zoe sieht eine Chance, dass sie die Ersatzfotografin wird. Es bedarf einiger Überredungs- und Überzeugungskunst, Malin für diese Aufgabe zu gewinnen. Als Zoe ihr von ihrer prekären finanziellen Situation erzählt, entschließt Malin sich, den Job zu übernehmen. Zoe steht von der Postschiff-Gesellschaft eine geräumigen Suite mit Balkon zur Verfügung, um von dort aus einen Teil der Außenaufnahmen zu machen. Sie erwirkt bei der Geschäftsführung eine Genehmigung für Malin, in ihrer Suite zu wohnen und an den Mahlzeiten teilzunehmen. Wird es Malin gelingen, den Auftrag so zu erledigen, dass die Geschäftsführung der Postbudruten zufrieden mit dem neuen Journal ist? Bisher hat sie keine Profikameras in der Hand gehabt, sondern lediglich ihre kleine Digitalkamera benutzt. Wird Zoe die richtigen Erklärungen finden, um Malin die professionelle Fotografie näher zu bringen? Kann sie also ihr kleines Fotostudio retten, das ihre Existenz sichert? "Liebe im Fokus" ist Emma zur Niedens fünfter Roman.

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Emma zur Nieden

Liebe im Fokus

Liebesroman

Impressum

Texte: © Copyright Emma zur Nieden

Cover:© Buchcoverdesign: Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de unter Verwendung Stockfotografien Checubus; invisible163 / Shutterstock sowie kwasny221; narathip12 / Adobe Stock

Mail:[email protected]

Homepage:https://www.emmazurnieden.de

Veröffentlichung:epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Für Steffi, die sich vor vielen Jahren einen Roman wünschte, in der eine Krankenschwester eine Hauptrolle spielt. Ich habe deinen Wunsch hoffentlich zu deiner Zufriedenheit erfüllt.

Für Sandra, Heike und alle Krankenschwestern dieser Welt. Ich habe den größten Respekt vor euch – nicht erst seit eurer großartigen Arbeit während der Corona-Pandemie!

Vorbemerkungen

Der Roman spielt zu einem Teil auf einem Postschiff der Postbudruten – gesprochen Postbüdrüten – in Norwegen, die von Bergen nach Kirkenes führt. Früher absolvierten die Schiffe die Route ausschließlich, um die dort lebenden Menschen mit Post und Lebensmitteln zu versorgen. Heute kann man auf ihnen übernachten. Es gibt keinen Dresscode wie auf anderen Kreuzfahrtschiffen üblich. Es gibt kaum jemanden, der nicht im Freizeitlook bei den Mahlzeiten erscheint.

Wer schon einmal auf der Route gefahren ist oder sich genauer darüber informiert hat, wird feststellen, dass ich den Reiseplan für meine Zwecke ein wenig abgewandelt habe. Die geneigte Leserin möge mir dies bitte nachsehen, berufe ich mich doch auf die künstlerische Freiheit. Außerdem habe ich den Namen der Originalgesellschaft geändert, um allen eventuellen Begehrlichkeiten aus dem Weg zu gehen. – Ich habe für die weiblichen und männlichen Formen den neuerdings üblichen Asterisk (*) verwendet.

Die Kapitel des Romans in Teil 1 richten sich zunächst nach der Struktur der zwölftägigen Reise von Bergen nach Kirkenes. Es wird allenfalls eine Handvoll Häfen erwähnt, die angefahren werden. Die dargestellten Ausflüge und Orte stellen für mich die Highlights der Reise dar, die meine Frau und ich 2011 unternommen haben. Die Floßfahrt ist eine Erfindung.

Die Kapitel in Teil 2 spielen in Münster oder auf den Lofoten. Aber eigentlich geht es ja überhaupt nicht um die Kapiteleinteilungen, sondern um die Liebesgeschichte, oder?

Ich wünsche dir viel Vergnügen beim Lesen!

Deine Emma

Teil 1

Tag 1

Eine Fotografin auf Reisen

Zoe Burger, ihres Zeichens Fotografin von Beruf, erreichte mit Mühe und Not das Versorgungsschiff, das für zwölf Tage sowohl ihr Arbeitsplatz als auch ihr Zuhause sein sollte. Eine der Mitarbeiterinnen der Linie, die wie am Flughafen als einzige hinter dem Check-in-Schalter die Stellung gehalten hatte, wartete, um Zoe als Letzte auf das Schiff zu lassen. Die Wartehalle war leer. Die Passagiere waren längst auf ihren Kabinen und packten ihre Koffer aus oder beobachteten den Ladevorgang.

Die Frau am Check-in klopfte mit ihrem Zeigefinger auf das Zifferblatt ihrer Armbanduhr, um zu verdeutlichen, dass Zoe viel zu spät war. Die Fotografin hörte die Schiffsmotoren bereits auf Hochtouren laufen, um sofort ablegen zu können. Das ohrenbetäubende Geräusch des Schiffes vibrierte durch Zoes Körper. Aus den Augenwinkeln konnte sie beim Aussteigen aus dem Taxi beobachten, dass einige Passagiere auf dem Oberdeck standen und erwartungsvoll dem Ablegen entgegensahen. Die Helfer hatten ihren Platz eingenommen, um die Leinen zu lösen. Das Schiff würde pünktlich den Hafen verlassen, denn sonst geriet der gesamte Fahrplan durcheinander.

Insgesamt vervollständigten bestimmt zehn Schiffe die Flotte der historischen Versorgungsroute in Norwegen. Aus Platzgründen sollten sie nicht zusammen in einem Hafen eintreffen, weil die Schiffe der Flotte im Laufe der Jahre immer größer geworden waren. Der Beliebtheitsgrad der Postbudruten stieg von Jahr zu Jahr.

Im Laufschritt eilte Zoe auf den Schalter zu. Sie mühte sich mit ihrem schweren Gepäck ab, das an ihr zerrte. Ihr Rücken schmerzte erbarmungslos. Sie murmelte eine Entschuldigung und checkte ein. Die Verspätung ihres Fliegers von Kopenhagen nach Bergen hatte Zoe überhaupt erst in diese missliche Situation gebracht. Sie hasste Zuspätkommen an einem ihr unbekannten Ort. Vorzugsweise bezog sie Tage vor einem Shooting ein Hotel am Zielort. Dieses Mal allerdings hatte ein unaufschiebbarer Termin mit ihrer Anwältin ihren Plänen einer frühen Anreise einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Planänderung bezahlte Zoe nun mit einer verspäteten Ankunft, hinderte sie daran, Fotos vom Einchecken und dem Beladen des Schiffes zu machen.

Sicher gab es für die Mitarbeiterin am Schalter die Anweisung, auf Frau Burger zu warten, die im Auftrag der Postbudruten an Bord ging. Normalerweise transportierten die Helfer das Gepäck zu den Kabinen, doch Zoe musste ihr schweres Gepäck sowie den Rucksack den langen Weg auf das Schiff über die Passagierbrücke ohne Hilfe schleppen. Die Fotos, die ihr durch ihre Verspätung entgangen waren, würde sie nach der Reise nachholen.

Ächzend schleppte sich Zoe mit den Koffern zu ihrer Kabine. Zum Glück gab es einen Aufzug. Auf diese Weise konnte sie ein paar Kräfte sparen. Schnelles Handeln sollte ihr zumindest noch ein paar Schnappschüsse vom Ablegen ermöglichen. In weiser Voraussicht hatte sie auf der Taxifahrt ihren Koffer mit der Fotoausrüstung mit in den Fond genommen und ihre Systemkamera in den Rucksack gepackt. Zoe benutzte sie, wenn schnelles Handeln erforderlich war und manuelle Einstellungen die Arbeit behinderten.

Sie hechtete die Treppe zum Sonnendeck hinauf – es war keine Zeit gewesen, einen detaillierteren Bick in die Kajüte zu werfen. Dafür boten sich später genug Gelegenheiten. Der entsprechende Fahrstuhl schien ihr nicht schnell genug zu sein, um ans Sonnendeck zu gelangen. Zoe suchte einen freien Platz an der Reling und drückte auf den Auslöser, was das Zeug hielt. Sie bekam noch das Lösen der letzten Leinen mit.

Durch ihre Auftragsarbeiten vor allem an Bildbänden war sie es gewohnt, in aller Regelmäßigkeit unterwegs zu sein. Im Moment wäre sie ohnehin nicht scharf darauf gewesen, in ihrer leeren 150 m2 Wohnung zu sitzen und über ihre derzeitige vertrackte Situation nachzudenken. Zum Monatsende war diese Wohnung ohnehin Geschichte. Nach ihrer Rückreise aus Norwegen war sie quasi wohnungslos.

Das Schiff fuhr den Fjord entlang, um später über das offene Meer zum nächsten Meeresarm zu gelangen. Je weiter es sich von Bergen entfernte, desto mehr zeigte sich die Stadt in ihrer vollen Größe. Zoe setzte die Kamera an und fotografierte am Panorama entlang. Der Berg Fløyen bildete den Hintergrund. Zoe beschloss, nach der Reise noch ein paar Tage Urlaub in Bergen einzulegen, bevor sie sich an ihre Auftragsarbeit setzte. Vom Fløyen aus hätte sie sicher einen fantastischen Blick auf den Hafen. Solche Fotos stellten einen guten Einstieg in den Bildband dar.

Ein paar Tage ausspannen und Abstand gewinnen von den Geschehnissen während des Shootings wären ohnehin eine gute Idee, bevor Zoe sich an die Auswahl und Bearbeitung der Fotos machte. Kurz vor Weihnachten würde ihre modernere Variante des in die Jahre gekommenen Journals der bekannten Postschiff-Gesellschaft auf den Markt kommen. Als Zoe das aktuell zum Verkauf stehende Buch vorlag, sah sie ein altbackenes Journal mit Fotos aus den 50er und 60 Jahren. Das Journal vermittelte ein äußerst unmodernes, gar antiquiertes Bild von der Reise auf den Postbudruten. Die Texte lasen sich wenig flüssig, waren in einem recht hölzernen Stil abgefasst. Alles an diesem uralten Journal wirkte rückständig und überholt. Zoe hatte nicht nur über die Kleidung und Frisuren der sechziger Jahre schmunzeln müssen, sondern ebenso über die Technik der Fotoapparate, mit denen die Aufnahmen gemacht worden waren. Sie konnte mit der dieses Jahrhunderts nicht Schritt halten. Für Zoe stellte das Voranschreiten in Sachen Fototechnik einen Jahrhundertsprung dar. Die alten Fotos hielten einem Vergleich mit den digitalen Aufnahmen von heute nicht stand. Zoes Plan war, die Vielfalt der Technik einzusetzen, die ihr heutzutage zur Verfügung stand. Schon allein deshalb bekäme das Journal ein viel modernes Flair.

Zoe war eine Meisterin ihres Fachs. Zahlreiche Urkunden für ihre Reisefotos und -reportagen zierten die Wände ihres Ateliers in Münster und zogen die Bewunderung ihrer Kunden auf sich, wenn sie die Modalitäten für einen Auftrag besprachen. Diese Auszeichnungen sicherten ihr ein volles Auftragsbuch das ganze Jahr über.

Allerdings unterlag der Auftrag der Postbudruten einem besonderen Druck. Das Shooting musste angesichts ihrer unangenehmen finanziellen Lage ein Erfolg auf der ganzen Linie werden. Mehr denn je brauchte Zoe einen klaren und wachen Kopf, eine hervorragende Ausrüstung und einen funktionierenden Körper, um den Erwartungen ihrer Auftraggeber zu einhundert Prozent zu entsprechen.

Der Reederei stellte ihr eine Suite mit Balkon zur Verfügung, um damit die besten Voraussetzungen für großartige Fotos zu schaffen. Ausgesprochen nobel. Beim Betreten der Suite stockte Zoe der Atem. Sie pfiff durch die Zähne, als sie den großzügig geschnittenen Wohn-Schlafbereich und erst den Balkon betrat, der zu der Suite gehörte. Solch eine Behausung kostete ein Vermögen. Diese Außenkabine mit Balkon bot dafür aber auch unendliche Möglichkeiten für ihre Außenkameras. Nachdem sie das Ablegen in genügender Anzahl mit Bildern festgehalten hatte, installierte Zoezwei Kameras in verschiedenen Ecken des Balkons, die alle paar Minuten auslösen konnten. Zoe würde zumindest auf dieser Seite des Schiffes kein Detail der Landschaft verpassen. Am Ende könnte sie sich zwar vor der Bilderflut kaum retten, doch erfahrungsgemäß entstanden dabei immer einige fotografische Highlights, die den hohen Aufwand allemal rechtfertigten.

Die Automatik, alle paar Minuten ein Foto zu schießen, hatte sie selbst entwickelt. Der Auslöser betätigte sich ohne Zutun einer Person. Zoe hielt einen Augenblick inne. In Afrika hatte sie diese Arbeitsweise zum ersten Mal eingesetzt. Eine der Kameras hatte sie an einem Baumstamm in der Nähe eines Wasserlochs befestigt und von allen Tieren, die sich an der kleinen Wasserstelle aufhielten, einzigartige Fotos erhalten. Die andere Kamera vor der Lodge, in der sie und Petra Quartier bezogen hatten, zeigte unglaubliche Aufnahmen der freien Wildbahn. Neben dem Wahnsinnssonnenuntergang zierten grandiose Tierbilder bei Nacht die SD-Karte. Eine Sensation, denn niemand hatte die Tiere je so nah bei der Lodge gesehen. Die Leiterin der familiären Anlage legte den Gästen nah, ab 21 Uhr keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen, da niemand einschätzen konnte, wie weit die Tiere tatsächlich an die Lodge herankamen.

Einen kurzen Moment blitzte Petras hämisches Grinsen vor Zoes innerem Auge auf. Wenn sie es genauer betrachtete, hatte Petra ihre Arbeit noch nie wertgeschätzt. Von Anfang an hatte ihre Freundin sie despektierlich eine „Knipserin“ genannt. Dennoch hätte Zoe bis vor kurzem ihre Beziehung als perfekt bezeichnet. Zoe liebte Petra und ging davon aus, dass sie zusammen mit ihr alt werden würde. Einer von Zoes vielen Trugschlüssen. Erst allmählich begann sie zu begreifen, wie wenig Respekt die Frau, mit der Zoe zusammen gewesen war, ihr selbst entgegengebrachte. Zoe schüttelte sich, um Petras Bild aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Frau Johansens Zielvorgabe nach sollten endlos viele Landschaftsaufnahmen entstehen, um aus einer Menge an Material für das neu zu gestaltende Journal schöpfen zu können. Darüber hinaus sollte Zoe bei so vielen Ausflügen wie möglich dabei sein, die die Postbudruten zu Nebenschauplätzen auf dem Reiseweg anboten. Künftige Passagiere sollten sich einen perfekten Überblick über das außergewöhnliche Zusatzangebot der Reederei samt ihrer Ziele verschaffen können. Frau Johansen stellte in Aussicht, die neu zu gestaltenden Flyer der Gesellschaft ebenfalls mit Zoes Fotos zu bestücken. Das wäre am Ende ein erkleckliches Zusatzgeschäft – ein dringend nötiges.

Nachdem Zoe sich in die Materie eingearbeitet und gesehen hatte, dass es nicht möglich sein würde, sämtliche zum Teil parallel stattfindende Ausflüge mitzumachen, einigte sie sich mit Frau Johansen auf eine Handvoll davon. Die Postbudruten hatten zugesagt, Zoe bei den Ausflügen mit einem eigenen Führer auszustatten. Dadurch konnte verhindert werden, dass Passagiere ihre Köpfe vor Zoes Linse hielten und die Fotos ruinierten. Es ging vor allem um die Schönheit und Schroffheit der Landschaft. Personen passten nicht ins Bild – außer an Stellen, an denen sich viele Menschen aufhielten, wie zum Beispiel in einer Stadt. Ohne Menschen würden solche Orte karg und öde wirken, hatte auch Frau Johansen eingesehen.

Während sie an der Reling ihres eigenen Balkons lehnte und hin und wieder ein paar Fotos schoss, spürte Zoe Ruhe in ihren Körper und Geist einkehren. Der Dauerstress der Anfahrt einschließlich eines exorbitant hohen Pulsschlages lösten sich soeben in Luft auf. Allerdings hatte ihr die Anstrengung den Auftrag gesichert, der futsch gewesen wäre, hätte sie das Schiff nicht erreicht. Mehr als nur eine mittlere Katastrophe. Zoe atmete durch und streckte sich. Die frische Luft tat gut.

Dass sie es in buchstäblich letzter Sekunde an Bord geschafft hatte, nahm sie als gutes Omen und vertraute darauf, dass das Glück auf der gesamten Reise nicht von ihr weichen würde. Es würde alles gut werden. Und da die Landschaft so aufreizend langsam an Zoe vorüberglitt, genoss sie die Ruhe und Gelassenheit, die sich in ihr einstellte. Die Erledigung eines Auftrags war stets verbunden mit permanentem Druck. Deshalb genoss Zoe dieses Gefühl der seltenen Entspannung während der Arbeit in vollen Zügen. Gelänge es ihr nicht, ein fotografisch vollkommenes Bild der Postbudruten zu zeichnen. wäre die Pleite vorprogrammiert. Zoe schob diesen äußerst unangenehmen Gedanken zur Seite. Sie sollte sich auf ihre Aufgaben konzentrieren und Motive für das perfekte Foto auftun.

Allerdings dämmerte es bereits, bis zum Mitsommer dauerte es noch ein paar Wochen. Da Zoe nicht mit Blitz arbeiten wollte – solche Fotos musste sie stets aufwändig nachbearbeiten – konnte sie auf dem Stativ Aufnahmen mit langer Belichtungszeit machen.

Zoes Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie heute außer dem Frühstück keine weitere Mahlzeit zu sich genommen hatte. Sie suchte das Restaurant auf, um sich mit einer reichhaltigen Mahlzeit zu belohnen. Alle Arbeit für heute sollte ruhen – zumindest die mit dem Fotoapparat.

Tag 2

Ankunft in Ålesund

Nach einem fantastischen Abendessen schlief sie tief und fest wie lange nicht mehr. Das ständig im Hintergrund vorhandene Motorengeräusch ermöglichte offensichtlich eine Tiefenentspannung bei Zoe, die enorm zu dieser besonderen Schlafqualität beitrug. Sie hoffte auf einen so intensiven Schlaf wie in der ersten Nacht nach jedem weiteren anstrengenden Tag auf der Reise. Zu ihrer eigenen Überraschung trug die erste traumlose Nacht dazu bei, seit langer Zeit so gut erholt und erfrischt wie in den Anfängen ihrer Laufbahn als freischaffende Fotografin zu sein. In den letzten Wochen suchten sie wirres Zeug in ihren Träumen heim, die sie unruhig hin und her wälzen ließen.

Nach der Dusche saß Zoe ausgeruht und entspannt am Frühstückstisch, während sich die Landschaft in Zeitlupe an ihrem Fensterplatz vorbei bewegte. Der Kapitän begrüßte Zoe an ihrem Tisch per Handschlag und wünschte ihr gutes Gelingen für ihre Arbeit. Er bot an, ihr jederzeit für Fragen zur Verfügung zu stehen. Die Crew nahm die Mahlzeiten ebenfalls im Speiseraum ein. Der Kapitän winkte ihr zu, als er den Raum verließ. Zoe winkte lächelnd zurück. So nett wurde sie selten an einer vorübergehenden Wirkungsstätte aufgenommen. Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus.

Zoe rührte in ihrem Kaffee, während sie die Stationen auf dem Plan überflog, die das Postschiff am heutigen Tag ansteuern würde. In etwa zwanzig Minuten legte das Schiff in Ålesund an. Eine heikle Angelegenheit, wie sie dem von Frau Johansen zusammengestellten Dossier entnahm. Das Papier versorgte sie zudem mit zusätzlichen Besonderheiten, damit Zoe sich darauf einstellen konnte, an welchen Stellen mit spektakulären Aufnahmen zu rechnen wäre. Das erleichterte ihr die Auswahl der Kameras enorm, die sie gleich mit nach draußen nehmen würde.

Als Zoe auf dem Sonnendeck stand, konnte sie bereits von Weitem erkennen, dass es in dem kleinen Hafen keine einzige freie Anlegestelle mehr gab. Lediglich eine winzige Lücke zwischen zwei Frachtern tat sich auf. Zoe bezweifelte, dass dieser kleine Platz für das riesige Motorschiff ausreichte, denn auch beim Näherkommen zeichnete die Lücke sich nicht durch ihre Großzügigkeit aus. Das Schiff passierte die Hafenmauern und steuerte dennoch darauf zu. Der Kapitän drehte das sperrige Fahrzeug auf der Stelle, vermutlich, um später beim Ablegen in einer besseren Position zu sein. Der Teil der Mannschaft der Polarsirkel, der verantwortlich für die An- und Ablegemanöver zeichnete, lief geschäftig an der Reling auf und ab. Jeder Handgriff musste sitzen, wenn das Schiff sich der Hafenmauer näherte. Der Auslöser an Zoes Kamera kam nicht zur Ruhe. Vor der Laderampe des Postschiffes wartete bereits eine Armada von Menschen in Overalls, um die bis obenhin beladenen Palletten in einem kurzen Zeitfenster an Bord zu bringen. Später beobachtete Zoe, wie eingespielt die Teams arbeiteten. Jeder Arbeitsgang wurde mit der Präzision eines Uhrwerks ausgeführt.

Einmal stockte Zoe während des Landemanövers der Atem, als nicht nur durch den Sucher ihrer Kamera die Häuser der Stadt bedrohlich nah kamen. Es entstand der Eindruck, als führe das Schiff mit voller Kraft auf die Häuserreihe zu. Dieser Vorgang dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, denn der Kapitän drosselte die Geschwindigkeit des Motorschiffs. Es trat eine Bremswirkung ein. Die Vibration der gewaltigen Kraft des Motors, der die Polarsirkel von der Havarie mit den vermutlich bewohnten Gebäuden in Ålesund abhielt, konnte Zoe in jeder Pore ihres Körpers spüren. Nicht auszudenken, was passieren würde, gelänge dieses Manöver nicht. Zoes Kopfkino ratterte los. Ganze Familien wurden von ihren Stühlen am Esstisch geschleudert. Ihr Frühstück landete sehr zur Freude der Möwen im Hafenbecken, während die Menschen schließlich vom Schutt ihrer Häuser begraben wurden. Manchmal neigte Zoe dazu, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Das alles passierte nicht, denn der Kapitän parkte das sperrige Motorschiff perfekt ein.

In der Sekunde, in der Zoe den Blick von der Kamera löste, bemerkte sie, dass die Anspannung der anderen Passagiere nachließ, die offensichtlich genau wie sie auf einen Aufprall gewartet hatten. Ein deutlich hörbares, kollektives Ausatmen dokumentierte die Erleichterung aller an der Reling stehenden Menschen. Der Kapitän verneigte sich auf der Brücke vor den in euphorisches und freudiges Klatschen ausbrechenden Zuschauern. Ein Zeichen des höchsten Respekts. Mit so einem großen Pott so filigrane Manöver zu vollziehen grenzte nicht nur für Zoe an die hohe Kunst des Navigierens.

Schließlich lag das Schiff sicher im Hafen und das Löschen sowie das Einladen der Ware konnte beginnen. Die Häuser reihten sich direkt an den Hafen, zum Greifen nah, und symbolisierten damit die Enge des Anlegeplatzes, der sicher nur ausnahmsweise für das Postschiff freigegeben worden war.

Auf dem Weg zur Rezeption, von der aus man von Bord gehen konnte, dachte Zoe über die Priorität ihrer Arbeit nach. Ihr blieb höchstens eine halbe Stunde Zeit, um sowohl ein paar Bilder von dem extrem nah geparkten Schiff an der Häuserzeile als auch von der Stadt zu machen. Die knapp bemessene Liegezeit reichte nicht, um sich Ålesund ausführlicher anzusehen.

Das Städtchen brillierte vor allem durch die vielen Jugendstilbauten, die sich im Zentrum ansammelten. In der knappen halben Stunde des Aufenthalts erhaschte Zoe lediglich einige flüchtige Eindrücke von der Stadt und hielt sie auf zahllosen Fotos fest.

Frau Johansen hatte Zoe eingeschärft, bei kurzen Aufenthalten in einem Hafen in der Nähe des Schiffes zu bleiben und bei dem ersten Signal des Nebelhorns zur Polarsirkel zurückzukehren. Deshalb stand sie schon längst wieder auf dem Sonnendeck, als der Kapitän befahl, die Leinen zu lösen. Sie hielt nun auch das Ablegemanöver in Bildern fest. Wie vermutet, erschien es Zoe gegenüber dem Anlegen kinderleicht. Auch die sich zeitlupenartig entfernende Stadt hielt Zoe im Bild fest.

Ein weiteres Highlight der Tour folgte kurze Zeit später: der Eingang zum Geiranger Fjord, einem der bekanntesten, aber auch über Gebühr frequentierten Fjord Norwegens. Der beliebte Geiranger Felsen mit einem atemberaubenden Blick auf das Wasser, wie Zoe aus einem Bildband über die schönsten Fjorde Norwegens wusste, befand sich am Ende einiger anderer Fjorde oder Seitenarme, die das Schiff passierte, um den besagten Geiranger zu erreichen. Als die Polarsirkel in den Meeresarm einbog, konnte Zoe sofort nachvollziehen, warum er zum UNESCO-Weltnaturerbe gehörte. Die Schönheit und Kargheit gleichermaßen, die diesen schroffen Felsen auszeichnete, überwältigte sie. Zoe drückte ohne Unterbrechung auf den Auslöser der Kamera.

Das Schiff setzte seinen Weg unaufhörlich fort. Bei den Sieben Schwestern hielt Zoe den Atem an. Sieben nebeneinanderliegende Wasserfälle stürzten hinunter, die sie alle auf zahllose Bilder bannte, während sie aufmerksam zuhörte, was die Reiseleitung über die Lautsprecher von der Sage über die Schwestern erzählte. Weil ein Bewerber um die Hand einer Schwester nach der anderen anhielt und jedes Mal abgewiesen wurde, verfiel er dem Alkohol. Zoe setzte die Kamera ab, um die Flaschenform zu erkennen, die die Wasserfälle symbolisieren sollten. Naja, mit viel Fantasie konnte Zoe eine Flasche erkennen. Einige der sieben Wasserfälle entzogen sich dem Auge, weil das Wasser versiegte, je wärmer es wurde. Im Sommer zeigten sich gar nur vier von ihnen. Die Passagiere drängelten sich auf der Backbordseite an der Reling. Zoe hoffte, das Schiff verfügte über eine Art Pendelmechanismus, der die Verlagerung des Gewichts ausglich, wenn sämtliche Passagiere sich auf eine Seite zu einem sehenswerten Highlight begaben.

Von ihrer Position auf dem Sonnendeck aus eröffnete sich Zoe ein atemberaubender Blick auf den Zauber der Natur, den die Landschaft des Fjords ausstrahlte. Eine Gänsehaut lief über ihre Arme.

Als Zoe später ihre Kamera in der Kabine verstaut und die Bilder von der SD-Karte auf ihren PC übertragen hatte, begab sie sich zu einer der Bars, die sich über das Schiff verteilten. Eine Belohnung für die gute Arbeit heute, wie sie beim Überfliegen der Aufnahmen sehen konnte. Nur wenige Passagiere saßen dort, um ein Bier oder etwas Antialkoholisches zu trinken. Ihre Hoffnung, die süße Barkeeperin mit den raspelkurzen Haaren anzutreffen erfüllte sich. Zoe war ihr bereits auf ihren Spaziergängen über das Schiff begegnet. Sie kletterte auf einen der Barhocker.

„Hi“, begrüßte Runa sie – ihr Name stand auf dem Schild an ihrer Uniform. „Was kann ich für dich tun?“

„Hi Runa.“ Zoe lächelte sie an. „Ich hätte gern eine antialkoholische Piña Colada, er du snill.“

Runa strahlte. „Kommt sofort.“

Zoe sah der Barfrau zu, wie sie mit traumwandlerischer Sicherheit die wenigen Zutaten für den Cocktail mit einstudierten Showeinlagen in den Shaker beförderte. Das Mark einer halben Vanilleschote wanderte zusätzlich hinein. Mmmhhh. Das sah lecker aus. Runa schüttelte das Gefäß hin und her, im Wechsel dicht vor Zoes Nase und weiter entfernt. Gekonnt füllte sie ein Glas randvoll mit diesem erfrischenden Getränk, verzierte den gezuckerten Rand des Glases mit einer Ananasscheibe, setzte vorsichtig eine Physalis auf die Oberfläche, versenkte einen Strohhalm aus Bambus und stellte das Glas in schwungvollem Tempo vor Zoe ab, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Zoe reichte ihr die Bordkarte, um das Getränk ihrer Liste hinzuzufügen, die sie am Ende der Fahrt begleichen würde.

„Vær så god.“

„Takk.“ Zoe führte den Strohhalm zum Mund und zog daran. Köstlich und erfrischend. Sie schloss die Augen und schmeckte Ananassaft, Kokos, Vanille. Eine wunderbare Mischung. „Sehr, sehr lecker.“ Zoe öffnete die Augen und sah Runa an.

„Freut mich, dass dir der Cocktail schmeckt.“ Schließlich wandte die Barkeeperin sich ab, um den nächsten Gast zu bedienen, der sich zu ihnen gesellte. Schade!

Nach dem Hochgenuss der Piña Colada saß Zoe mit ihrem Laptop auf dem Schoß und einem zweiten Cocktail zum Mitnehmen auf dem Balkon ihrer Kabine. Ab und zu zog sie an dem Strohhalm, während sie gleichzeitig die Fotos von heute auf deren Niveau prüfte und die allerbesten in einen neuen Ordner speicherte.

Als sie die Vorauswahl der Fotos für heute als abgeschlossen betrachtete, gönnte Zoe sich eine Auszeit von ihren Kameras. Die nächsten Tage würden stressig genug werden, da könnte sie ihre Ausrüstung einmal ruhigen Gewissens zur Seite legen. Sie nahm eine schnelle Mahlzeit im Restaurant, schmuggelte eine Mousse in ihre Kabine und verspeiste sie auf dem Balkon, während die Landschaft einmal mehr beruhigend an ihr vorüberzog. Sie genoss die Stille. Entdeckte hin und wieder ein kleines Detail in der Landschaft wie ein Bauernhaus, in dem Licht brannte. Sie stellte sich vor, dass eine Großfamilie am Tisch saß und die Abendmahlzeit gemeinsam einnahm. Sie ignorierte ein aufkommendes Einsamkeitsgefühl. Mahlzeiten zusammen mit einer vertrauten Person einzunehmen, mit der sie sich gut verstand, fehlten ihr manchmal. Zoe schob diesen sehnsuchtsvollen Gedanken beiseite.

Hin und wieder schlich sich ihr abgeräumtes Konto in ihre Gedanken. Das auf nimmer Wiedersehen verschwundene Vermögen sorgte dafür, dass Zoe in den letzten Wochen ständig am Offenbarungseid entlangschlitterte. Dieses Schreckensszenario ergriff Besitz von ihr. Zoe musste nicht nur die Kränkung und die tiefe Wunde der Verletzung durch Petras Handeln verschmerzen, sondern rutschte außerdem an den untersten Rand des Existenzminimums.

Zoe mahnte sich, sich zu beruhigen und sich nicht in diese negative Stimmung hineinzusteigern, die den Ärger, die Wut und die Verzweiflung der letzten Wochen wieder lebendig werden ließen. Bisher verlief die Reise zu ihrer Zufriedenheit. Der Auftrag der Postbudruten würde sie in letzter Minute vor dem sicheren Absturz retten.

Zoe liebte das Fotografieren, seit sie denken konnte. Die Fotografin, die die Foto AG in der Schule geleitet hatte, war von Anfang an ihr großes Vorbild gewesen. In vielerlei Hinsicht. Viktoria stellte sich für Zoe als begnadete Künstlerin hinter der Kamera heraus. Sie wusste bereits vor dem Auftauchen eines Motivs, dass ihr etwas Überwältigendes vor die Linse käme, jederzeit vorbereitet auf das perfekte Motiv. Dieses Gespür und erst recht ihre Begeisterung für ihr Instrument, die Kamera, hatten Zoe augenblicklich angefixt und nie mehr losgelassen. Von da an hatte Zoe ein Ziel, auf das sie zielstrebig hinarbeitete. Sie wollte Fotografin werden.

Viktoria hatte Zoe außerdem in die Welt jenseits der Heterosexualität eingeführt. Erst durch deren Offenheit wurde Zoe bewusst, dass es im Leben vielfältige Arten der Erfüllung geben konnte. Schließlich verliebte Zoe sich in Viktoria, die selbst lesbisch und in einer gefestigten Partnerschaft lebte. Sie eröffnete ihr die lesbische Welt, nahm sie mit zum Lesbenschwof, stellte Zoe ihre Partnerin vor und zeigte ihr, dass eine Beziehung mit einer Frau glücklich machen konnte. Viktorias Erklärungen und ihr vorbildhaftes Beispiel nahmen Zoe quasi im Vorbeigehen die Angst vor ihrer eigenen Sexualität. Zoe lernte von ihr, zu ihrer eigenen Person und vor allem zu ihrer Sexualität zu stehen. Viktorias sehr einfühlsame, charmante Art ließen die Ablehnung ihrer Avancen nicht ganz so schmerzhaft erscheinen.

Als ihre Eltern Zoe kurz vor dem Abitur aufgrund ihrer Homosexualität der Wohnung verwiesen hatten, um es freundlich auszudrücken, war es Viktoria gewesen, die ihr zusammen mit ihrer Partnerin nicht nur ein Dach über dem Kopf gewährt, sondern ihr Sicherheit gespendet und Verständnis entgegengebracht hatte. Viktoria und ihrer Frau verdankte Zoe es, dass sie trotz aller Probleme, die von außen auf sie einprasselten, gestärkt aus der Situation hervorging und ihr Abitur mit Bravour bestehen konnte.

Zwar gab es heute einen spärlichen Kontakt zu ihren Erzeugern, doch Zoe empfand ihn als äußerst unterkühlt. Ihre Eltern missbilligten Zoes Lebensweise zutiefst und ließen sie es bei jedem ihrer seltenen Besuche spüren. Dass Zoes Weg inzwischen eine bilderbuchartige Karriere als Fotografin pflasterte, bedeutete den Eltern nichts. Sie ignorierten Zoes beruflichen Erfolg mit einer Hartnäckigkeit, die schon an Unverschämtheit grenzte.

Als sie von Zoes Trennung von Petra erfuhren, ritten sie bei jeder Gelegenheit während der häufiger werdenden Anrufen auf diesem Misserfolg herum. Zumindest betrachteten sie die Trennung aus dieser Perspektive. Als schmerzte Petras Verrat nicht schon genug, setzten ihre Eltern mit ihrer Häme und dem ´Wir haben´s dir doch gleich gesagt, dass du dieser Person nicht trauen kannst` noch einen drauf. Statt Zoe zu unterstützen, stocherten sie kontinuierlich in der Wunde herum und ignorierten Zoes Tränen darüber mit großer Beharrlichkeit. Warum Zoe dieses Mal den Kontakt nicht endgültig abbrach, konnte sie sich nicht erklären.

Tag 3

Ein Stolperer mit großer Wirkung

Nachdem Zoe den ganzen Morgen über ein Foto nach dem anderen vom Be- und Entladen verschiedener Anlaufhäfen der Postbudruten auf ihrer Speicherkarte festgehalten hatte – sowohl vom Sonnendeck als auch vom Pier aus – bereitete sie sich für den mehrstündigen Ausflug in Trondheim vor. Grandioses Wetter erwartete sie: blauer, wolkenloser Himmel. Zoe sah einer Fotosession der ganz besonderen Art entgegen – in zweierlei Hinsicht, wie sich später herausstellen sollte.

Sie verstaute drei Kameras mit unterschiedlichen Objektiven in ihrem Rucksack, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Die Zeitplanung für den Ausflug war knapp bemessen, deshalb begab sie sich zeitig zur Rezeption, um die erste zu sein, die das Schiff verließ.

Die Damen hinter der Empfangstheke begrüßten sie freundlich nickend. Zoe nestelte nach ihrem Bordausweis, den man beim Verlassen des Schiffes durch das automatische Erfassungsgerät ziehen musste. Damit konnte festgestellt werden, wer von Bord ging und bestenfalls auch wieder zurückkehrte. Ob Passagiere bei der Abfahrt fehlten oder nicht, spielte keine Rolle. Das Schiff legte pünktlich ab, ob nun mit oder ohne die registrierten Passagieren. Es ging vor allem darum, bei einer Havarie zu wissen, wie viele Menschen gerettet werden mussten.

Als die Luken sich öffneten, sah Zoe ihre Vermutung bestätigt. Ein kleiner RAV 4 mit geöffnetem Verdeck wartete im Hafen. Zoe hastete mit dem schweren Rucksack auf das Fahrzeug zu, verstaute die Kameras auf dem Rücksitz und stieg auf der Beifahrerseite ein. Zu ihrer Überraschung saß eine Frau hinterm Steuer, die noch dazu vollendetes Deutsch sprach.

„Guten Tag, Frau Burger!“ Die Fremde reichte Zoe die Hand. „Ich bin Tuva und werde Ihnen die schönsten Plätze in Trondheim zeigen.“

Zoe schüttelte Tuva die Hand. „Bitte sagen Sie Zoe.“

„Okay, Zoe. Meine kleine Sightseeing-Tour wird Sie hoffentlich begeistern.“ Tuva startete den Wagen und fuhr los. „Wir werden uns zuerst ein wenig an der Peripherie der Stadt umsehen, bevor wir in ihr Innerstes vordringen. Ich führe Sie zu den schönsten Fotomotiven, die wir in Trondheim zu bieten haben. Zum Schluss zeige ich Ihnen den Nidarosdom, eines der Wahrzeichen der Stadt. Mit ein wenig Glück ist die Sonne schon herum und erleuchtet das atemberaubende Kirchenfenster. Beim Durchscheinen der Sonne entsteht eine ganz besondere Atmosphäre im Dom.“

Tuva fuhr zügig und sicher durch die Straßen Trondheims. Noch dazu entpuppte sie sich als die perfekte Reiseführerin. Sie erklärte, in welchem Stadtteil sie sich befanden oder welche Besonderheiten die Fotografin erwarteten. Sie hielt an den entsprechenden Stellen an, damit Zoe fantastische Aufnahmen machen konnte.

Der Kanalhafen fand Zoes besonderes Interesse. Die weiß leuchtend herausgeputzten Boote vermittelten vor dem Hintergrund des tiefblauen Wassers Urlaubsfeeling pur. Auch gefielen ihr die Industrieanlagen, die Zoe aus den unterschiedlichsten Perspektiven in Szene setzte. Die Skansenbrücke zum Beispiel, die Norweger nannten sie Skansenbrua, wie Zoe von Tuva erfuhr, bestand aus einer eigenwilligen Eisenkonstruktion. Die Klappbrücke erinnerte sie an die beschaulich wirkenden Brücken in Holland. Wenn ihr auch der romantische Charme der niederländischen Bauwerke fehlte, strahlte die Skansenbrua ein industrielles Flair aus. Fast könnte man sie eine Schönheit nennen. Detailaufnahmen von technischen Einzelheiten vervollständigten die Aufnahmen rund um die Brücke.

Zoe verliebte sich in die für Trondheim typischen Lagerhäuser mit ihrer ganz eigenen Ausstrahlung. Solch einzigartige Motive vor der Linse veranschaulichten ihr einmal mehr, warum sie ihren Beruf so liebte, warum sie sich völlig in ihren Motiven verlor, wenn sie so etwas Wunderbares ablichten konnte.

Etwas weiter in die Stadt hinein konnte Zoe am Kanal die sich bunt im Wasser spiegelnden Wohnhäuser im Bild festhalten, die in zig verschiedenen Farben den Kanal säumten. Eine Wahnsinnsaufnahme nach der anderen. Diese unglaublichen Motive, die eine tiefe Ruhe ausstrahlten, ließen Zoes Fotografinnenseele höherschlagen. In jenen Momenten war sie vollkommen im Flow, sie und ihre Kamera bildeten eine Einheit. Die Zeit spielte keine Rolle. Zoes SD-Karte füllte sich schnell. Sie gewann einen äußerst positiven Eindruck von der drittgrößten Stadt Norwegens. Dieses Faktum aus dem Steckbrief der Stadt hatte sie behalten. Tuva breitete die ganze Fahrt über ihr Wissen über die Stadt aus und untermalte sie mit amüsanten Anekdoten.

„Unsere letzte Station ist der Nidarosdom“, sagte Tuva mit einem Blick auf die Uhr und parkte unweit des Gebäudes ein. Ihnen blieb eine knappe Dreiviertelstunde für diesen imposanten Bischofssitz. „Das dürfte sich mit Ach und Krach ausgehen.“

Zoe schnappte sich lediglich ihre Kompaktkamera für die Aufnahmen im Dom. Ohne das schwere Gerät konnte sie sich freier bewegen und sich überall umschauen. Außerdem kostete der Umgang mit dem schweren Equipment immer Zeit, die ihr gerade nicht zur Verfügung stand. Als sie die Kirche betrat, mussten sich ihre Augen erst an die schummrige, fast dunkle Atmosphäre gewöhnen. Das Schummrige verbreitete eine Düsternis in dem Gebäude, die Zoe enttäuschte, erwartete sie doch einen lichtdurchfluteten Kirchenraum mit einem fantastischen Farbenspiel eines einzigartigen Kirchenfensters – zumindest malte Tuva es ihr während der wenigen Meter zum Dom in den buntesten Farben aus. Die Kirche erweckte den Anschein, als würde eine Nebelmaschine die leichten Rauchschwaden produzieren, die das Sehen erschwerten und eine schwere Stimmung verbreiteten.

Als Zoes Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, umrundete sie den Altar im Eiltempo und klickte ständig auf den Auslöser, um die bestmöglichen Motive in der knappen Zeit im Dom festzuhalten. Am Ende des Rundgangs näherte sie sich dem unglaublich interessanten Mosaikfenster, das im Moment nur erahnen ließ, in welch schillernden Farben es den Dom erleuchtete, wenn die Sonne hereinschien. Inzwischen fehlten nur noch wenige Zentimeter, bis Zoe einen guten Standpunkt mit Blick auf das Fenster erreichte. Wenige Augenblicke, bis die gesamte Kirche mit Licht überflutet wurde, sie gleich gänzlich erstrahlen lassen würde. Zoe konnte bereits erahnen, was für unglaubliche Aufnahmen dabei herauskommen würden. Der Auslöser stand nicht still, um jede sich verändernde Nuance des Lichts festzuhalten. Vollkommen fixiert auf das Motiv entging ihr die kleine Gruppe von Touristen, die sich mitten auf ihrem Weg versammelte, um das atemberaubende Lichtspiel des Fensters nicht zu verpassen. Zoe steuerte geradewegs, sich seitlich nach rechts bewegend, auf eine Sporttasche zu, die ihrer unaufhaltsamen Bahn ein jähes Ende setzte.

Zoe stolperte über die Tasche just in dem Moment, in dem die Sonne mit ihrer vollen Kraft das Mosaikfenster erleuchtete. Sie hörte das allseitig ausgesprochene „Oh!“ und knallte in voller Länge auf den Boden. Wie sie es schaffte, sich während des Fallens so zu drehen, dass sie auf dem Rücken landete und trotz des Sturzes weiterhin – wenn auch unkontrolliert – den Auslöser betätigte und auf diese Weise gleichzeitig die Kamera vor dem Zerschellen auf dem harten Fliesenboden der Kirche rettete, würde sie später nicht mehr rekonstruieren können. Wie sich bei der Durchsicht der SD-Karten auf dem Schiff wenig später herausstellte, hätte sie sich auf die Schulter klopfen können, denn ein paar fantastische Aufnahmen zierten die Karte.

Als sie sich auf dem Boden liegend mit ihrem linken Arm aufstützen wollte, um aufzustehen, gellte ihr Schrei durch die Kirche und erzeugte ein widerhallendes Echo. Wie auf ein vereinbartes Zeichen verstummten alle Gespräche. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte absolute Stille im Dom. Gleichzeitig drehten sich sämtliche Besucher der Kirche zu Zoe um und sahen sie am Boden liegen. Ein Schmerz durchfuhr ihren ganzen Körper. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Tuva hielt sich während ihres Falls in der Nähe auf. Sie trat auf Zoe zu und half ihr beim Aufstehen durch beherztes Zupacken an Zoes rechtem Arm. Tuva schien zu wissen, dass Zoes rechte Seite schmerzfrei war. Zoe überprüfte die Kamera. Wie durch ein Wunder funktionierte sie einwandfrei – im Gegensatz zu Zoes Arm. Sie wollte mit dem Fotografieren weitermachen. Der beste Moment war ihr ohnehin schon durch die Lappen gegangen. Allein ihr linker Arm schmerzte so sehr, dass sie noch nicht einmal die Kamera damit halten konnte.

Zoe bat Tuva, noch ein paar Aufnahmen für sie zu machen, bevor die Sonne der Kirche ihren Zauber erneut entzog. Tuva kam dem Wunsch nach, hielt die Kamera auf das Fenster und drückte sekündlich auf den Auslöser. Ob die Fotos ihrem eigenen Standard entsprachen, würde Zoe später sehen. Notfalls konnte sie sie noch bearbeiten. Zoe bat ihre Stadtführerin, sie zum Schiff zurückzufahren. Jemand sollte sich dringend um den Arm kümmern und irgendwie dieses höllisch schmerzende Teil fixieren.

Zoe zog sich auf ihre Kabine zurück. Sie legte sich hin und versuchte die starken Schmerzen zu ignorieren. Außerdem hielt sie krampfhaft die Tränen zurück, die nach draußen drängten. Die Erinnerung an die Rückfahrt zum Schiff ließ Zoe aufstöhnen. Jeder Hubbel eine Tortur, jedes Schlagloch die Hölle für ihren Arm, obwohl Tuva merklich vorsichtiger fuhr als zu Beginn der Fahrt. Die Schmerzen ließen auch nicht nach, als sie sich längst in ihrer Kabine auf das Bett geworfen hatte. Ihr war nicht danach zumute gewesen, einen Umweg über die Krankenstation zu machen. Sie wollte sich heute Nacht gesund schlafen – spätestens übermorgen käme ein Tag auf sie zu, der mit mehr Highlights gespickt war, als der Tag Stunden hatte.

Obwohl Zoes Magen nach fester Nahrung verlangte, würde er heute jedoch darauf verzichten müssen, denn sie wollte und konnte sich keinen einzigen Millimeter mehr vorwärts bewegen. Jede Bewegung schmerzte wie verrückt und verursachte einen Weinkrampf. Sie biss in die Knöchel der Hand des unverletzten Arms. Kaum auszuhalten. Von Sich-gesund-schlafen würde heute Nacht keine Rede sein. Sie würde kein Auge zu tun. Mit schmerzverzerrter Grimasse hielt sie ihren lädierten Arm so gut es ging ruhig und hoffte, dass morgen früh wie durch ein Wunder alles wieder in Ordnung wäre.

Was für ein Trugschluss. Am nächsten Morgen verfestigte sich ihr Eindruck, die Schmerzen hätten sich verschlimmert. War das möglich? Zoe hätte noch ein paar Schnappschüsse vom Be- und Entladen im aktuellen Hafen machen wollen. Dieses Vorhaben konnte sie sich abschminken. Es gab keine Position mehr, in der sie ihren linken Arm schmerzfrei hätte halten können. Wenn nicht bald etwas geschah, das den Arm funktionstüchtig machte, könnte sie gleich von Bord springen.

Gegen acht Uhr quälte sie sich aus dem Bett und machte sich auf zur Krankenstation. Eine schnelle Gesundung musste gelingen, sonst befand sich ihr Leben finanziell, psychisch und physisch am Abgrund.

Tag 4

Ein Unglück kommt selten allein

Zoe betrat mit schmerzverzerrtem Gesicht, den linken Arm am Ellbogen stützend, die kleine als Krankenzimmer ausgestattete fensterlose Kabine. Eine Frau in weißem Kittel stand mit dem Rücken zu ihr an einer Art Arbeitsplatte. Sie schien Tablettenpackungen in einen geöffneten Schrank einzusortieren.

Zoe klopfte zaghaft mit der gesunden Hand an den Türrahmen. Dabei musste sie ihren verletzten Arm loslassen, was einen Schmerzensschrei verursachte. Die Frau, vermutlich die Krankenschwester, zuckte zusammen und drehte sich abrupt um.

„Sie haben mich vielleicht erschreckt“, sagte die Schwester mit weit aufgerissenen Augen.

„Tut mir leid. Das wollte ich nicht, aber der Arm schmerzt doch mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte.“ Zoe sprach mit belegter Stimme. Sie war kurz vor einem Weinkrampf. „Guten Morgen!“

„Guten Morgen!“ Die Krankenschwester legte eine Tablettenschachtel zur Seite. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Äh, ja …“ Zoe hielt den linken Arm in die Höhe und schrie abermals vor Schmerzen auf.

„Ich sehe mir den Arm einmal an. Bitte setzen Sie sich auf die Liege. Ich bin übrigens Schwester Malin.“

Zoe gehorchte. „Zoe Burger.“

„Frau Burger, können Sie die linke Hand bitte auf Ihrem Oberschenkel ablegen?“ Schwester Malin breitete ein Tuch über Zoes Beinen aus, vermutlich, damit die Jeans unbeschadet blieb, bei was immer die Schwester vorhatte. Als Zoe den verletzten Arm auf ihren Oberschenkel legte, kamen ihr vor Schmerzen die Tränen.

„Meine Damen und Herren, in Kürze legen wir in Bodø an. Aufgrund eines erheblichen Aufkommens an Ladung wird sich das Auslaufen auf dreieinhalb Stunden ausweiten. In der Zeit können Sie sich gerne ein wenig in der Stadt umsehen. Die Verspätung holen wir in der Nacht wieder auf.“ Zoe nahm die Durchsage der Reiseleitung nur wie durch Watte wahr, die den nächsten Halt in verschiedenen Sprachen mitteilte.

Schwester Malin durchtrennte Zoes schönstes Holzfällerhemd mit einer Schere, um besser an die Wunde heranzureichen. Der Verlust des Hemdes trat in den Hintergrund, weil dieser Vorgang wahnsinnige Schmerzen auslöste. Sie biss die Zähne zusammen, denn sie wollte vor der Schwester nicht als Weichei gelten. Malin drückte vorsichtig an Zoes linkem Unterarm entlang bis zu der Stelle, an der der Druck einen dieses Mal spitzen Schmerzensschrei auslöste.

„Der ist gebrochen“, stellte Malin sachlich fest und ließ von Zoes Arm ab.

„Dann legen Sie einen Gips an und geben mir eine Packung Schmerztabletten“, forderte Zoe. „Ich muss ein paar Fotos in Bodø machen.“

„Daraus wird nichts. Erstens gipse ich keinen Arm ein, der nicht mindestens eine Röntgenaufnahme gesehen hat und zweitens muss unbedingt eine Ärztin einen Blick auf die Aufnahme und ihren Arm werfen, bevor sie den Gips anordnet. Wir haben kein Röntgengerät an Bord.“ Schwester Malin zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Das können Sie nicht machen. Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Wenn ich in Bodø keine Fotos machen kann, bin ich erledigt und kann Insolvenz beantragen.“ Während des Sprechens hampelte Zoe mit ihren Armen herum, was den nächsten Schrei provozierte. Sie hatte schlichtweg ihren gebrochenen Arm vergessen, denn der Supergau würde eintreten, wenn sie nicht schnellstens an einen Gips kam und ihre Arbeit fortsetzen konnte.

„Sie merken selbst, dass Sie mit diesem Arm wohl in der nächsten Zeit nicht mehr werden fotografieren können?“ Ein stirngerunzelter Blick traf Zoe. Ihr wurde schwindlig bei dieser unverblümten Wahrheit, die ihr Ende als Fotografin besiegelte. Sie drohte bewusstlos zu werden. Mit sanftem Druck legte Schwester Malin Zoe auf die Liege. Zoe schloss die Augen. Ihr Kopf fühlte sich an, als säße er in der Gondel eines Karussells. Der einzige klare Gedanke, den sie treffen konnte, drehte sich um ihre Existenz.

„Ich muss.“ Zoe kämpfte mit den Tränen. Die Krankenschwester rieb vorsichtig Zoes unversehrten Arm. Zoe seufzte. Eine tröstende Geste, aber wenig hilfreich für ihr Dilemma.

„Wissen Sie was?“ Schwester Malin zog den weißen Kittel aus und schnappte sich ihren Rucksack. „Ich kenne jemanden im örtlichen Krankenhaus. Ich telefoniere kurz und kündige uns an.“

„Sie kommen mit?“ Zoe machte große Augen.

„Glauben Sie, ich lasse Sie mit einem Armbruch allein irgendwohin gehen?“

Zoe schüttelte den Kopf und schöpfte Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten wenden konnte. Vor ihr stand eine Frau der Tat. Was für ein Glück. Von den Worten, die bei dem Telefonat gewechselt wurden, verstand Zoe kein Wort. Schwester Malin beendete das Gespräch.

„Welche Kabinennummer haben Sie? Wir sollten Ihnen ein paar Sachen packen. Ingrid will Sie ein paar Tage zur Beobachtung auf ihrer Station behalten.“

„Ich werde nicht im Krankenhaus bleiben. Ich komme wieder mit aufs Schiff, nachdem Ihre Freundin meinen Arm eingegipst hat.“ Zoe hielt sich gerade noch zurück, ihre Arme vor der Brust zu verschränken.

„Sie wissen, dass diese Handlungsweise unverantwortlich ihrem Arm gegenüber ist, der womöglich steif bleibt, wenn sie ihm keine Ruhe gönnen?“

Tränen liefen ungehemmt über Zoes Wangen. „Ich muss einen Auftrag erledigen. Und das heißt nun mal, dass ich unendlich viele Fotos von der gesamten Strecke der Postbudruten brauche.“ Sie sprach mit schluchzender Stimme, weil die Insolvenz bereits vor ihren Augen tanzte und ihr die Kehle zuschnürte. Sie schnappte nach Luft.

Malin kam auf sie zu und streichelte vorsichtig Zoes gesunden Arm. „Kommen Sie erst einmal mit. Nach Ingrids Befund sehen wir weiter.“

Malin nahm ihr Smartphone aus dem Rucksack und tätigte einen weiteren Anruf auf Norwegisch. Zoe verstand nur Bahnhof. Immerhin führte die zärtliche Geste der Krankenschwester dazu, dass Zoes Tränen versiegten.

„Mit wem haben Sie telefoniert?“, wollte Zoe auf dem Weg zum Ausgang wissen. Schwester Malin hatte Zoes Arm fixiert, so dass er nicht bei jeder kleinsten Bewegung schmerzte. Als Schwester und Patientin am Ausgang des Schiffes ankamen, konnten sie das Schiff ungehindert verlassen, denn die übliche Schlange, hatte sich bereits in Luft aufgelöst. Malin machte kurz an der Rezeption halt. Zoe konnte sich denken, dass sie dort Bescheid gab, dass sie eine Patientin zum Krankenhaus begleitete.

Draußen wartete ein Taxi auf sie. Malin half Zoe auf den Rücksitz, damit der verletzte Arm so wenig wie möglich schmerzte. Die Schwester nahm neben ihr Platz.

„Das ist der Grund des zweiten Anrufs. Ich habe die Taxizentrale gebeten, mir Laurin so schnell wie möglich zu schicken.“

Sie klopfte dem Taxifahrer auf die Schulter. „Morn, Laurin.“

„Morn, Malin. Til sykehus?“ Der Taxler drehte sich zu Malin um.

„Ja, takk.“ Malin zeigte auf Zoe. „En syk passasjer.“