Kreidefelsen, Strände, Backsteingotik - all das fällt einem ein, wenn man an Rügen, Hiddensee und Stralsund denkt. Doch die Region bietet weitaus mehr. Frank Meierewert entführt Sie mit kurzweiligen Erlebnisberichten an seine Lieblingsplätze und lässt dabei Insulaner, Familie und Freunde zu Wort kommen. So entsteht ein sehr persönliches Bild der Gegend, gespickt mit maritimen Genüssen und Geheimtipps. Erleben Sie den Herthasee, wandeln mit einem Nachtwächter durch Stralsund oder entdecken den sagenhaften Hiddenseeschmuck.
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Lieblingsplätze auf Rügen und Hiddensee
Frank Meierewert
Autor und Verlag haben alle Informationen geprüft. Gleichwohl ändern sich Gegebenheiten, daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Möchten Sie ein Feedback geben, freuen sich Autor und Verlag: [email protected]
Aus Gründen der Lesbarkeit und Sprachästhetik wird in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet. Mit der grammatischen Form sind ausdrücklich weibliche sowie alle anderen Geschlechtsidentitäten mit berücksichtigt, insofern dies durch die Aussage geboten ist.
Sofern nicht im Folgenden gelistet, stammen alle Bilder von Frank Meierewert:
Rolf Reinicke 12, 20, 30, 62, 102, 104, 108, 110, 122, 130, 146, 164, 172, 178, 184; Dirk Meierewert 26, 56; Sylvia Vandermeer 28, 32, 48, 58, 74, 96, 98, 142, 158, 186; Nero Kindermann 38; Naturerbezentrum Rügen 82; Rico Nestmann 92, 138
Alle Seitenangaben in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.
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1., überarbeitete Neuausgabe 2023
© 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat/Redaktion: Anja Kästle
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Bildbearbeitung/Umschlaggestaltung: Susanne Lutz unter Verwendung der Illustrationen von © Mtys, dunnet, eyewave, jan stopka, SimpleLine – stock.adobe.com; © Susanne Lutz
ISBN 978-3-8392-7528-3
Impressum
Goden Dag,
Vorwort: Die Insel Rügen
Insel Rügen
1 Den Himmel mit der Hand berühren
Gager: Zickersches Höft
2 Von Lehm und Vergänglichkeit
Groß Zicker: Pfarrwitwenhaus
3 Kleinod der Backsteingotik
Groß Zicker: Kirche
4 Das Land der Strandräuber
Ostseebad Mönchgut: Lotsenturm in Thiessow
5 Winter auf Rügen
Ostseebad Mönchgut: Spaziergang am Thiessower Strand
6 Nackt hinterm Windfang
Ostseebad Mönchgut: FKK-Strand bei Lobbe
7 Von Strebern und Sitzenbleibern
Ostseebad Mönchgut: Schulmuseum Middelhagen
8 Kochen mit Kräutern und feinen Salzen
Ostseebad Göhren: Villa mit Sonnenhof
9 Ein Leben für Mönchgut
Ostseebad Göhren: Heimatmuseum
10 Wenn der Hering zieht
Ostseebad Baabe: Fischerstrand
11 Ein Leben für das Meer
Ostseebad Baabe: Restaurant Zum Fischer
12 Von Fischbrötchen und Fährmännern
Ostseebad Baabe: Am Bollwerk
13 In der weiten Welt zu Hause
Ostseebad Sellin: Kolonial-Stübchen
14 Im Zeichen der Goldenen Zwanziger
Ostseebad Sellin: Seebrücke
15 Das Gold des Meeres
Ostseebad Sellin: Bernsteinmuseum
16 Auf dem Ostseeküstenradweg
Ostseebad Sellin: Mit dem Fahrrad von Seedorf nach Lauterbach
17 Zu Besuch im Auenland
Ostseebad Sellin: Ferienpension Seeblick in Neuensien
18 Von Buschwindröschen und Buchen
Zirkow: Mit dem Naturerlebnisverein Rügen durch die Granitz
19 Mit Wasser und Dampf über die Insel
Ostseebad Binz: Zugfahrt mit dem Rasenden Roland
20 Ein Ort zum Wohlfühlen und Zuhören
Ostseebad Binz: Katholische Kirche Stella Maris
21 Ich wandere ja so gerne …
Ostseebad Binz: Hochuferweg nach Sellin
22 Für Strandläufer und Genießer
Ostseebad Binz: Strandhalle
23 Vom Bückling, der mal ein Hering war
Ostseebad Binz: Fischräucherei Kuse
24 Leichtigkeit und Eleganz in Beton
Ostseebad Binz: Ulrich Müthers Rettungsturm
25 Unter weißen Segeln
Ostseebad Binz: Auf dem Großsegler Mir
26 Dem Horizont ein Stück näher
Ostseebad Binz: Seebrücke
27 Einhundert Jahre Tradition und Luxus
Ostseebad Binz: Kurhaus Binz
28 Ein Geschmack von Heimat
Ostseebad Binz: Restaurant freustil im Hotel Vier Jahreszeiten
29 Aus dem Leben eines Strandkorbs
Ostseebad Binz: Strandkörbe auf Rügen
30 Eine Zeitreise bei höchsten Genüssen
Ostseebad Binz: Hotel Villa Salve
31 Im Glanze Wilhelminischen Jugendstils
Ostseebad Binz: Strandpromenade
32 Ein Baudenkmal im Wandel der Zeit
Ostseebad Binz: Ehemaliger KdF-Bau in Prora
33 Mit Rügens Natur auf Augenhöhe
Ostseebad Binz: Baumwipfelpfad im Naturerbe Zentrum Rügen bei Prora
34 Wo Erdbär Karlchen zu Hause ist
Zirkow: Karls-Erlebnis-Dorf
35 Ganz in Weiß mit bunten Blüten
Putbus: Erkundung der Rosenstadt
36 Jäger der Dämmerung
Putbus: Schlosspark
37 Unter Bäumen sollst du fahren …
Putbus: Die Alleenstraßen auf Rügen
38 Von Rügenfürsten bis Honecker
Putbus: Ausfahrt zur Insel Vilm ab Lauterbach
39 Die Offiziersmesse von Kapitän Nemo
Putbus: Hotel und Restaurant Nautilus in Neukamp
40 Wo die Hügel Namen tragen
Garz: Hügelgrab Der Himmel bei Silmenitz
41 Wunder auf dem Zudar
Garz: St.-Laurentius-Kirche in Zudar
42 Wo seltene Biere vergoldet werden
Rambin: Rügener Insel-Brauerei
43 Frei wie ein Vogel
Dreschvitz: Insel-Rundflüge ab Güttin
44 Beliebt, verehrt … umstritten
Bergen: Ernst-Moritz-Arndt-Turm
45 Der Ruf der Piraten
Ralswiek: Störtebeker Festspiele
46 Der Herrscher der Lüfte
Ralswiek: Greifvogelschau
47 Altem Baumwissen auf der Spur
Lietzow: Waldführung mit Martina Korth
48Zurück in die Steinzeit
Sassnitz: Feuersteinfelder bei Neu Mukran
49 Ein Tor zur Welt
Sassnitz: Stadthafen
50 Abtauchen in ein Militär-U-Boot
Sassnitz: H.M.S. Otus, Erlebniswelt U-Boot
51 Im Zeichen der Jakobsmuschel
Sassnitz: Pilgerwege auf der Insel Rügen – Von Sassnitz nach Stralsund
52 Caspar David Friedrichs Inspiration
Sassnitz: Wanderung zur Kreideküste
53 Opferkult am Herthasee
Lohme: Herthasee bei Hagen
54 Dem Gutsherrn in die Töpfe geschaut
Lohme: Hotel Schloss Ranzow
55 Endlich wieder zu Hause
Lohme: Restaurant-Café Daheim
56 Vom Strandfund zum Schmuck
Lohme: Steinmüller Steinmanufaktur
57 Klappersteine und Karibikstrand
Glowe: Strand
58 Die Vögel des Glücks
Breege: Kranichfahrt zum Großen Jasmunder Bodden
59 Das Geheimnis des Svantevit-Steins
Altenkirchen: Pfarrkirche
60 Auf den Spuren von Pastor Kosegarten
Putgarten: Vitter Kapelle
61 Dem Leuchtturmwärter sei Dank
Putgarten: Kap Arkona
62 Zu Besuch im Märchenwald
Putgarten: Nordstrand von Wittow
63 Die schwebende Promenade
Wiek: Kreidebrücke
64 Schäferstündchen auf dem Museumshof
Gingst: Historische Handwerkerstuben
65 Das Glück auf dem Rücken der Pferde
Ummanz: Erlebnis-Bauernhof Kliewe
66 Manches geschieht unverhofft
Waase: St.-Marien-Kirche
67 Dem Wind hinterher
Suhrendorf: UMMAII Windsurfing Rügen – Surfen auf Ummanz
Insel Hiddensee
Van’t harten willkoumen
Hiddensee: Die Insel
68 Von Runenzeichen und Hausmarken
Kloster: Inselkirche Hiddensee
69 Ein Literaturnobelpreis für Hiddensee
Kloster: Gerhart-Hauptmann-Haus
70 Der Goldschatz des Dänenkönigs
Kloster: Heimatmuseum Hiddensee
71 Die Kunst zu leben
Vitte: Künstler in der Blauen Scheune
72 Zu Gast bei den Südern
Neuendorf: Vom Fährhafen zum Strand
Hansestadt Stralsund
Wi freugen uns, Se to seihn
Stralsund: Hansestadt
73 Ein Hauch von Paris
Stralsund: Brasserie Grandcafe
74 Mit dem Meer auf Augenhöhe
Stralsund: Meeresmuseum
75 Leute, Leute, lasst euch sagen …
Stralsund: Historische Altstadt
76 Wenn Träume segeln lernen
Stralsund: Die Gorch Fock (I)
77 Das Inselchen hinter dem Ziegelgraben
Stralsund: Dänholm
Karte
ich bin die Insel Rügen. Einige Tausend Jahre ist es her, dass ich geboren wurde. Zuerst bestand ich nur aus Inselkernen und Erhebungen, die aus dem Meer ragten. Langsam bildeten sich zwischen ihnen durch Ablagerung sogenannte Nehrungen, die sich irgendwann so weit verfestigten, dass sich Pflanzen und Tiere auf mir niederließen. Später kamen Menschen hinzu, die gelernt hatten, mit Booten übers Wasser zu fahren. Sie lebten auf mir, betrieben Ackerbau und Fischfang, was sich viele Jahrhunderte lang nicht ändern sollte.
In dieser Zeit stritten mehrere Länder und deren Regierungen um mich. Zuerst siedelten die Ranen, ein Slawenstamm aus dem Osten, auf mir. Dann, in Verbindung mit der Christianisierung, erschienen die Dänen. Ihnen folgten die Schweden und denen wiederum die Preußen. Den einfachen Menschen auf Rügen – ganz wichtig, es heißt »auf« und nicht »in« Rügen – war das ziemlich egal. Sie bestellten weiter die kargen Böden und fingen zweimal im Jahr den Hering, der zum Laichen an die Küste kam. Sie gaben ihm den Namen »Brotfisch«, weil er das Überleben ihrer Familien sicherte.
Ende des 19. Jahrhunderts reichte den Preußen im fernen Berlin die Sommerfrische am Wannsee nicht mehr, jetzt wollten sie an die Ostsee. Die Idee für den Seebäderverkehr war geboren und für die Insulaner erschloss sich eine neue Einnahmequelle. Villen wurden gebaut, Strandkabinen aufgestellt, und bald tummelten sich Bade- und Sonnenhungrige an meinen Stränden.
Einigen gefiel es hier so gut, dass sie beschlossen, für immer zu bleiben. Das brachte die Ortsansässigen dazu, zwei Kategorien von Inselbewohnern zu kreieren. Erstens: der Rüganer. Er ist der wahre, der waschechte Insulaner, der nachweislich seit drei Generationen auf der Insel lebt, hier geboren wurde und dem es im Traum nicht einfallen würde, von hier wegzugehen. (Und wenn doch, kommt er so schnell wie möglich zu mir zurück.) Zweitens: der Rügener. Er ist zugezogen, hat hier aus beruflichen Gründen oder wegen der Liebe seine Zelte aufgeschlagen oder er wurde hier geboren und hat die Dreigenerationenhürde nicht genommen. Als Drittes gibt es natürlich noch den Urlauber. Er verbringt seine kostbarsten Tage im Jahr bei mir. Ich darf Ihnen verraten, egal ob Rüganer, Rügener oder Urlauber, ich mag sie alle.
Als größte Insel Deutschlands mit 926 Quadratkilometern und über 500 Kilometer Küstenlinie gebe ich mir viel Mühe, zu gefallen. Man findet auf mir beinahe alles, was das Herz begehrt: malerische Strände und das Meer; geheimnisvolle Buchenwälder und Hügelgräber; eine sagenumwobene Kreideküste und den Rasenden Roland; Leuchttürme und Kirchen; Museen und eine Freilichtbühne, auf der von den Abenteuern des Piraten Klaus Störtebekers berichtet wird.
Natürlich verbringen nicht nur die Urlauber, sondern auch die Insulaner ihre Tage gerne am Strand. Letztere jedoch, wenn möglich, an einsamen und weniger stark frequentierten Plätzen, die häufig nur mit dem Fahrrad erreichbar sind. Mein Profil ist nicht so flach und eben, wie Sie denken mögen. Bei mir geht es schon mal richtig den Hügel rauf und wieder runter.
Viele Insulaner sind begeisterte Freizeitkapitäne. Da wird dicht am Wind gesegelt oder mit Motorkraft durch die Wellen gepflügt. Und später ankert man irgendwo im Bodden, angelt ein wenig, grillt und schaut mit der Liebsten nach Sternschnuppen.
Sie schmunzeln? Glauben Sie mir, auf Rügen gehen die Uhren langsamer. Und neigt sich die Saison dem Ende zu, bleiben sie beinahe ganz stehen. Dann kehrt Ruhe ein. Ein Teil der Insulaner schmiedet nun selbst Urlaubspläne; einige verbringen ein paar Tage auf einer anderen Insel und manch einer wagt sich sogar in eine große Stadt oder verreist mit dem Flugzeug. Nach ihrer Rückkehr stellen jedoch alle übereinstimmend fest, dass hinter der großen Rügenbrücke die Welt doch eine andere ist.
Frank Meierewert
Für meine Frau Sylvia sind die welligen Rasenhügel, die sich unter bunten Trockengraswiesen verstecken, der perfekte Ort, um wieder »runterzukommen«. Hier auf den Hügelkuppen zwischen mannshohen Sanddornbüschen, Föhrenwäldchen und den grasenden Schafen von Schäfer Westphal entschleunigt sich das Leben schlagartig. Die Luft um einen herum ist erfüllt von Blumenduft und Grillenzirpen. Wolken segeln wie Schiffe über den endlos blauen Himmel und Sperlinge baden vergnügt im Sand. Endlich einmal durchatmen. Vergessen ist die Hektik der Großstadt, das Gewusel in den U-Bahnen, der nächtliche Lärm und das ständige Handyklingeln. Irgendwie sind diese Hügel ein bisschen wie das Ende der Welt.
Vielleicht liegt es daran, dass Groß Zicker eine Halbinsel ist und das beeindruckende Steilufer, das Zickersches Höft, deren Ende bildet. Wer Lust verspürt, kann unterhalb dieses Steilufers entlangwandern, was circa zwei bis drei Stunden dauert. Es gibt aber auch eine Abkürzung: Ungefähr auf der Hälfte der Strecke, am Nonnenloch, führt eine Treppe vom Strand weg zurück in Richtung Groß Zicker. Nutzen Sie diesen Weg, verpassen Sie jedoch eine botanische Seltenheit, die Wildapfelbäume am Strand von Gager. Entschädigt werden Sie dafür mit der Vielfalt an Blumen und Kräutern, die es auf den Trockenwiesen zu entdecken gibt. Ob Schwalbenwurz, Schlüsselblume, Steinbrech oder Wachtelweizen, sie alle wachsen hier und verdanken ihr Dasein unter anderem dem Rauwolligen Pommerschen Landschaf. Durch die kontinuierliche Beweidung bewahren die Schafe die Rasenflächen vor der Ausbreitung von unerwünschtem Strauchwerk.
Meine Frau sitzt im Gras, streckt sich und schaut ein letztes Mal auf Gager hinab. Der Wind ist aufgefrischt und beugt die Gräser. In der Ferne werden auf einem Boot die Segel gerefft, um in den nahen Hafen einzulaufen. Wie schnell der Tag vergangen ist.
Nach der Wanderung zum Stärken ins Restaurant Taun Hövt. Besonders lecker: Milchreis mit Zucker und Zimt.
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Zickersches Höft
18586 Gager
Taun Hövt
Appartements und Restaurant
Boddenstraße 61
18586 Mönchgut/Groß Zicker
038308 5420
www.taun-hoevt.de
Neulich las ich in der Zeitung, dass Lehm als günstiger Baustoff wieder stark im Kommen sei. Natürlich dachte ich bei Lehmbauten zuerst an die heißen und trockenen Gebiete der Erde.
Aber auch in unseren Breiten weiß man seit Langem um deren Vorzüge. So gilt unter anderem das Raumklima in Lehmhäusern als sehr angenehm. Dass darüber hinaus dieser Baustoff auch hier Bestand hat, zeigt das 1720 als soziale Einrichtung errichtete Pfarrwitwenhaus in Groß Zicker. Verstarb ein Pfarrer, wurde dessen mittellose Witwe hier untergebracht und mit dem Notwendigsten versorgt.
Dieses Pfarrwitwenhaus ist ein niederdeutsches Hallenhaus aus Holz, Stroh, Schilf und Lehm. Im Grundriss des Gebäudes vereinigen sich alle Funktionen des bäuerlichen Lebens. Neugierig betrete ich es durch die »Grote Dör« und befinde mich sofort in der Diele, auch Halle genannt, dem Arbeits- und Wirtschaftsraum. Deutlich erkennbar ist die Holzbalkenkonstruktion, die das Haus stützt, und gleichzeitig, durch die Abstände der Balken, die Größe der einzelnen Räumlichkeiten bestimmt. Im vorderen Teil reihen sich linker Hand Koben aneinander, die als Tierställe dienten. Daran schließen sich im hinteren Teil des Hauses die gute Stube, die Küche mit Ofen und Kamin und der Schlafraum an. Rundherum sind die Wände aus Lehm, alle etwas krumm und schief und weiß gekalkt. Über meinem Kopf lagern unter dem spitz zulaufenden Schilfdach Netzwerk und Reusenstangen, Anker und Zaumzeug.
Das Haus, so erfahre ich, wurde bis 1984 bewohnt und in allen Bereichen genutzt. Meine anfängliche Begeisterung für Lehm ist verflogen. Sicher hat man heute andere Möglichkeiten, diesen Werkstoff zu verbauen – aber Lehm hat auch Grenzen. Denn zivilisatorisch verhätschelt, soviel wird mir klar, hänge ich doch sehr an meiner Fußbodenheizung, an elektrischem Licht und guter Wärmedämmung.
Regelmäßig finden im Sommer im Pfarrwitwenhaus Ausstellungen (Kunst und Handwerk) und Abendveranstaltungen (Vorträge und Lesungen) statt.
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Pfarrwitwenhaus
Boddenstraße 35
18586 Groß Zicker
Veranstaltungstermine erfahren Sie im Evangelischen Pfarramt
Boddenstraße 21
18586 Groß Zicker
038308 8248
www.kirche-auf-moenchgut.de
Pastor Olav Metz begrüßt mich vor dem Pfarrhaus in Groß Zicker. Er ist der »Hausherr« der kleinen Dorfkirche unweit des Boddens. Aus rotem Backstein ist sie, frühgotisch und ganz nebenbei das älteste Bauwerk auf Mönchgut. Zu verdanken ist dieses Kleinod der Backsteingotik den Zisterziensermönchen aus dem Kloster Elderna bei Greifswald, die im Jahre 1360 den südlichen Teil von Mönchgut erwarben.
Durch einen kleinen Vorraum betrete ich die Kirche. Ein schmaler Gang führt über den unebenen Boden zum Altar. Rechts und links warten die Kirchenbänke geduldig auf die Gläubigen. Ich nehme Platz und schaue mich um. Über meinem Kopf segelt voller Dankbarkeit ein Votivschiff. Weiter vorn findet ein großer Radleuchter seinen Platz im Kirchenschiff. Er wurde 1868 von den Lotsen gestiftet, welche in der Thiessower Lotsenstation Dienst taten. Ihre Namen sind als Inschriften auf dem Rand verewigt. Der Chorraum ist angenehm schlicht. Ruhe und Frieden finden sind zwei Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, während ich hier sitze. Pastor Metz setzt sich neben mich und zeigt mir ein kleines Schächtelchen. Die Ecken sind abgegriffen. Es wurde offenbar häufig benutzt. Als ich es öffne, fällt mein Blick auf zwei Goldringe. Ich nehme einen heraus. »Eigentum der Gemeinde Groß Zicker« ist eingraviert. Eheringe?, frage ich. Pastor Metz nickt. Er entdeckte sie beim Durchschauen alter Kirchenunterlagen. Dass es sie gibt, erklärt er mir, hat mehrere Gründe. Einer war die Armut. Ein anderer die Unfallgefahr, die beim täglichen Umgang mit den Fischernetzen drohte. Deshalb steckte man sie nur während der Trauungszeremonie an. Danach wurden sie wieder in das Schächtelchen zurückgelegt, wo sie auf das nächste Brautpaar warteten.
Besichtigen Sie auch die Kirche in Middelhagen mit dem 1480 geschaffenen spätgotischen Katharinenaltar, der zu den schönsten seiner Zeit zählt.
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Kirche Groß Zicker
Boddenstraße 14a
18586 Groß Zicker
www.kirche-auf-moenchgut.de
Die Strandräuber von Thiessow waren berüchtigt. Das Leben auf der Halbinsel war hart und die Ernteerträge durch den sandigen Boden übersichtlich. Da war die Ladung eines gestrandeten Schiffes immer willkommen – zumal nach damaliger Gesetzgebung jeder Strandfund dem Finder gehörte. Und kam es vor, dass sich eine Zeit lang kein Schiff in die Untiefen der Insel verirrte, wurde etwas nachgeholfen. Dann loderte das Leuchtfeuer an der falschen Stelle am Strand und der unwissende Kapitän lief auf Grund. Wobei – und das sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt – in den Chroniken keine Übergriffe auf die Schiffsmannschaften der gestrandeten Schiffe vermerkt wurden.
Trotzdem reichte es der preußischen Regierung im Jahr 1854 mit den Beschwerden der Kaufleute. Sie ließ einen Lotsenturm in Thiessow errichten, von wo aus der Schiffsverkehr überwacht wurde. Die Lotsen dafür wurden extra aus der Ferne herbeigeholt, um bestehende Kontakte zu Einheimischen auszuschließen. Diese Maßnahme zeigte sich nachweislich als sehr erfolgreich, was das Unterbinden des Strandraubs anging. Doch da die Lotsen ledige Männer im Staatsdienst waren, dauerte es nicht lange, bis es zu intensiven Kontakten mit dem weiblichen Teil der einheimischen Bevölkerung kam. Die Resultate kann man in den Kirchenbüchern unter der Rubrik »Heiraten« nachlesen.
Und der Lotsenturm? Heute besitzen die Schiffe computergestützte Navigations- und Satellitenortungssysteme, sodass Lotsen an den Küsten Rügens nicht mehr benötigt werden. Der alte Lotsenturm jedoch wurde von der Gemeinde Thiessow renoviert beziehungsweise neu aufgebaut. Gegen ein geringes Eintrittsgeld können Sie das Drehkreuz am Fuße des Turmes passieren. Für das Treppensteigen werden Sie anschließend mit einem der fantastischsten Weitblicke über die Halbinsel Mönchgut belohnt.
Jeden Dienstag und Donnerstag findet in Thiessow der Rügenmarkt statt, wo Händler regionale Erzeugnisse, Obst und Gemüse sowie Kunstgewerbliches anbieten.
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Ausblick vom
Lotsenturm
Lotsenberg 1
18586 Ostseebad Mönchgut/Thiessow
Tourist-Information Thiessow
Hauptstraße 36
18586 Ostseebad Mönchgut/Thiessow
038308 66010
www.ostseebad-moenchgut.de
Im November 2007 wurde ich zu einem ersten Vorstellungsgespräch nach Rügen eingeladen. Alles lief gut. Aber ehrlich, das Wetter ging gar nicht! Dichter Nebel und Dunkelheit lagen über der Küste, dazu ein feiner Nieselregen, der in jede Pore kroch. Schietwetter, sagen sie hier. Also bat ich meine Frau, mich beim nächsten Mal zu begleiten. Gemeinsam sollte entschieden werden, ob wir auch im Winter hier leben wollen. Denn die Winter sind sehr lang. Aber auch spektakulär. Statistisch gesehen kann Rügen auf 260 Sonnentage im Jahr verweisen. Das heißt, Dank der Wintersonne kann man herrliche Strandspaziergänge unternehmen, zum Beispiel am Thiessower Strand, wo wir sehr gern entlangschlendern.
Für viele Insulaner ist der Winter die schönste Zeit im Jahr. Alles läuft langsamer, bedächtiger. Man genießt die Stille, die über den verschneiten Ebenen, über den Wäldern und den zugefrorenen Seen schwebt. Eine Stille, die erdet und zum Ursprung zurückführt. Natürlich kommt irgendwann mit dem Wind aus Ost die Kälte und taucht die Abenddämmerung in ein blaues, frostiges Licht. Das Eis erobert zunehmend die See und bald wird in den Nachrichten bekannt gegeben, dass der Fährbetrieb nach Hiddensee eingestellt wird. Währenddessen fotografieren wir die Eiszapfen an den Fischerbooten im Thiessower Hafen und warten auf die Nachricht des Winters, die auch den Thiessower Strand in die Schlagzeilen bringt – die Eisverwerfungen. Schon Caspar David Friedrich inspirierten sie zu seinem Bild »Das Eismeer«, und auch für uns ist dieser Anblick immer wieder faszinierend. Unbegreifbar die Kraft, die in der Lage ist, Eisschollen in diesen Ausmaßen zu brechen und meterhoch übereinander aufzutürmen. Abschließend kann ich sagen, dass wir den Anblick nie als Gleichnis für eine gescheiterte Hoffnung empfanden, sondern vielmehr als Naturerlebnis und Attraktion während eines wunderschönen Inselwinters.
Mehr über Caspar David Friedrich, seine eindrucksvollen Bilder und Weggefährten können Sie im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald erfahren.