Lilie & Bromelie - Xenia Sturm - E-Book

Lilie & Bromelie E-Book

Xenia Sturm

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Beschreibung

Bromley geht kaum noch zum Unterricht und erwartet sich nichts mehr vom Leben. Lilly hingegen greift nach dem Studium, das sie sich immer gewünscht hat. Doch ein unvorhergesehenes Ereignis gefährdet Lillys Zukunft und sie wendet sich in ihrer Not ausgerechnet an Bromley. Ab diesem Tag sollte sich alles im Leben der beiden ändern und eine Katastrophe nach der anderen wird folgen … Eine dramatische Geschichte von zwei Jugendlichen, die auf ihre Weise lernen, dass das Leben mehr für sie bereithält, als sie sich jemals vorgestellt hatten.

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Seitenzahl: 216

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Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2023 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-5694-0

ISBN e-book: 978-3-7103-5696-4

Umschlagfoto: Xenia Sturm

Umschlaggestaltung, Layout & Satz:united p. c. Verlag

www.united-pc.eu

Lilie & Bromelie

Der große, böse Bromley. Jeder hat Angst vor ihm. Jeder meidet ihn. Das is genau das, was er will. Er is der große Einzlgänger, er braucht niemandn. Er hat noch nie jemandn gebraucht. Das wird sich nich ändern. Alles, was er braucht, is er selbst. Noch geht er an den verschissnen Drecksort Schule. Scheiß auf Stipendium! Scheiß auf Abschluss! Das wird ihm im Lebn nix bringn. Nix weiter als unnütze Büffelei ohne Aussicht auf Belohnung. Ne! Das will er nich. Er wird n andres Lebn einschlagn. Er wird sich keinem Klischee unterwerfn. Er wird sich niemandm unterwerfn! Er is frei! Frei und sein eigner Herr. Er kommt, wann er will und er geht, wann er will. Die Lehrer könn ihm nix. Sie schmeißn ihn eh nur vom Unterricht raus. Das Gesülze, was er sowieso nich hörn will. Niemand is ihm gewachsn, er is unerreichbar. Ja. Das is er. Der große, böse Bromley!

Oh, Gott … Heute ist Schularbeit … Danach gleich heim, schnell unter die Dusche und schon muss ich wieder auf der Bühne stehen … Heute gibt es für mich Stress pur. Außerdem ist da noch mein überbewerteter, unterbelichteter Partner Nils, der an meiner Seite singt. Er will mit seiner Stimme Karriere machen, will anderen in nichts nachstehen und der beste Sänger werden, der je gelebt hat. Ist ja schön und gut, aber … ich singe aus Spaß. Aus Leidenschaft. Und auch aus Sozialität. Ab und zu singe ich für die Kinder im nahegelegenen Waisenhaus oder ich erzähle ihnen Geschichten. Die Kleinen lieben es, wenn ich sie besuchen komme. Sie mögen mich sehr und ich mag sie. Er kann das aber nicht verstehen. Es wäre ihm lieber, ich würde etwas mehr Zeit mit ihm verbringen. Nein. Ich bin froh, wenn ich ihn nach Proben und Auftritten wieder los bin. Er ist nur mein Partner mangels Alternativen. Das weiß er auch. Hoffe ich zumindest. Direkt gesagt habe ich es ihm zwar noch nie … Dennoch sollte er es an der Art, mit der ich ihm entgegenkomme, eigentlich merken. Aber ich weiß nicht, ob er es versteht. Ob er es verstehen will …

Bromley kommt zu spät. Das is nix Neues. Der Lehrer nimmt’s stillschweigend zur Kenntnis, als er ins Klassenzimmer kommt. Keiner sagt was. Niemand schaut auf. Sie behandln ihn wie Luft. Gut so. Denn sie wissn, jeder, der ihm in die Quere kommt, wird’s bitter bereun. Dafür braucht er keine Gewalt. Er kann Menschn allein mit Wortn vernichtn. Darin is er begabt. Er will mit seinen hohln Klassen“kameradn“ nix zu tun ham. Er setzt sich in die hinterste Reihe, dort is er allein. Er fängt an zu zeichnen. Der Lehrer schreibt sein Stoff auf die Tafl. Bromley weiß, dass am Ende dieser Lektüre wieder n Minus in seine Akte wandert. Fragt sich, ob er überhaupt noch Platz fürn weiteres hat. Es is nich so, als ob er stolz drauf wär. Aber es is ihm egal. Sie alle sind ihm egal. Er braucht sie nich. Auf sie ist ernich angewiesn. Die werdn hinter ihren Schreibtischjobs verstaubn, während er durch die freie Welt reist. Er will weg von hier. Schon so lang. Seit dieser einen Sache. Nur ne einzige Person hält ihn noch hier. Er hofft jedn Tag, dass sie wieder da is. Nur sie braucht er noch. Aber wenn sie nich wieder zurückkommt, verschwindet er. Als hätt er nie existiert.

Mist, Mist, Mist! Ich und meine Duscherei! Ich vergesse immer die Zeit. Ich meine, jedem ist bekannt, dass ich vielleicht nicht die pünktlichste Haut bin … Aber es ist mir jedes Mal wieder unangenehm, dass sie Proben um 10 Minuten verschieben müssen, weil ich es selten rechtzeitig schaffe … Sie haben schon versucht, mir einzureden, dass ich um zehn vor auftreten muss, damit ich pünktlich komme. Aber da ich weiß, dass es anders ist, hat sich meine Pünktlichkeit nicht verbessern lassen … Jetzt renne ich wohl oder übel wieder mal zur Schule. Nils erwartet mich schon.

„Mittlerweile müsste ich es ja gewöhnt sein … Aber kannst du nicht einmal pünktlich sein?“

„Mir ist das ja auch nicht so angenehm …“ Das ist nun mal die Wahrheit. „Tut mir leid …“

„Schon gut, jetzt komm. Unser Publikum wartet.“

Damit hat er leider nicht Unrecht.

„Ja. Ich weiß.“

„Lilly!“, springt mich auch gleich unsere Gesangslehrerin an. „Du wirst es nie lernen.“

„Tut mir leid, Frau Wimmer. Ich versuche es ja. Wirklich.“

Sie schüttelt den Kopf und seufzt.

„Ich glaube dir ja … Aber damit holst du dir auch keine Bonuspunkte …“

„Ja … Ich weiß …“

„So, jetzt atme erst mal tief durch. So kannst du wohl schlecht mit Leib und Seele bei der Sache sein.“

Ich reguliere meinen Atem, indem ich die Augen schließe und mich bewusst auf meine Atmung konzentriere. Langsam senkt sich mein Puls, die Hektik verschwindet, dafür spüre ich jetzt das Lampenfieber. Auch das müsste ich mittlerweile gewohnt sein. Vor diesen Menschenmassen zu singen. Zusammen mit meinem nervigen Partner, der der ganzen Welt beweisen will, dass er ein Stipendium mehr als alle anderen verdient. Es gibt einige gute Sängerinnen und Sänger an unserer Schule. Sicher, er zählt bei aller Wahrheit einfach zu den besten. Neben mir. Sagt zumindest Frau Wimmer. Ich bin ihr Star. Nils auch, aber ihn hat sie erst später „entdeckt“. Weil er sich ihr aufgedrängt hat und so lange darauf beharrt hat, an meiner Seite singen zu dürfen, bis sie ihm das gewährt hat. Er hat sich so eingeschleimt bei ihr … Er hätte es zwar nicht nötig gehabt. Deshalb ist er sicher nicht einer der nettesten und bescheidensten Menschen, die ich kenne. Im Gegenteil. Er prahlt immer und das mag ich gar nicht. Aber was soll’s. Ich ertrage ihn, allein schon um meiner Eltern Willen. Sie sind gut mit Nils‘ Eltern befreundet und sie erhoffen sich für uns, dass wir auch in Zukunft gut miteinander auskommen. Sicher, er nervt mich gewaltig, aber es wird sicher noch werden. Das ist schon in Ordnung so.

Endlich. Schule aus. Der einzge Grund, warum er noch hingeht, ist n Versprechn. Aber er hat nie versprochn, dass er von morgens bis abends dort rumhängt.

Mal schaun, ob sie heut wieder ma‘ in der Schule erschien is. Da gibt’s n Mädchen, das die Schule genauso hasst wie er. Sie heißt Sue. Bromley und sie verbindn gewisse Gemeinsamkeitn, aber richtige Freunde sind sie nich. Sie hängn nur mal zusammn rum, wenn sie beide nix Bessres zu tun wissn. Bromley wüsst sowieso nich, was er tun soll. Deshalb hatt er n klein wenig gehofft, dass sie da is. Hm. Vielleicht nich gehofft. Eher so, ja, gedacht. Dass sie da sein könnt.

„Brom!“, ruft sie ihn schon.

Er sieht sie. Die kann man auch schlecht übersehn. Sie is jetzt zwar nich ungepflegt, aber ihre Piercings und Tattoos springn einem halt ins Auge. Er bräucht’s jetzt nich wirklich, aber n bisschn cool sieht’s schon aus bei ihr.

„So, so. Verschlägt’s dich doch noch her die Woche“, kommt seine kühle Antwort.

„Ja. Dachte, du willst vielleicht wieder um die Häuser ziehn.“

„Hab ich dazu ma‘ nein gesagt?“

Bromley hasst Alkohol. Aber in letzter Zeit greift er immer öfter zur Flasche. Mit Sue lässt sich der Alltag vergessn. Das is das einzige, was ihn intressiert. Sue ist jedn Tag besoffn. Sie fängt schon früh morgns an. Ihre Alten ham ihr schon oft mit Rauswurf gedroht. Doch da sie’s sowieso nur für leers Gewäsch hält, intressiert sie das nen feuchtn Dreck.

Da hat er’s einfacher. Er hat niemandn zuhaus, der ihm Vorschriftn macht. Er is sein eigener Herr. Sein Alter ist vor nem Jahr gestorbn. Aber das juckt ihn nich. Er is stark, nix verletzt ihn. Außerdem is er nich ständig allein. Er lässt Sue bei sich übernachtn, wenn der Krach bei ihr zuhaus eskaliert.

„Darf ich wieder zu dir? Die Ration hab ich dabei.“

Sie hat immer Alkohol dabei. Wegn ihrer ständign Fahne is sie oft aus’m Klassnzimmer verbannt wordn. Was sie nich stört.

„Klaro. Ab geht’s!“

Sue passt gut, mit ihr geht’s rund, mit ihr treib ich es einfach bunt. So ist es gut, so macht das Sinn, damit ich dem Alltag entrinn.

Ganz ohne Zwang, ganz ohne Hast, ganz ohne Schmerz und ohne Last. Der Alkohol, der hilft dabei, dass mir alles ist einerlei.

Auftritt vorbei und sofort weg von diesem Kerl. Wieder wollte er mich überreden, etwas mit ihm zu machen. Mich wieder einmal mit zu seinen Eltern nehmen. Er meint immer, da wir beide aus „gehobenem Hause“ kommen und sich auch unsere Eltern untereinander gut verstehen, würden sie mich gerne hin und wieder sehen. Aber ehrlich gesagt, von dieser Vorstellung halte ich nicht viel. Entweder man mag mich, weil ich ich bin und nicht wegen meines „Standes“ oder man lässt es bleiben. Und da die Eltern auch so eingebildete, hochgestochene Schnösel sind wie er, dann verzichte ich dankend darauf. Zumindest, solange ich es verhindern kann. Vielleicht bin ich auch nur voreingenommen, weil ich glaube, sie in diesen wenigen, aber ausreichenden Treffen genug kennengelernt zu haben, aber genau deshalb lädt mich die Vorstellung nicht gerade zu dieser Handlungsweise ein.

„Willkommen zuhause, Liliane!“, begrüßt mich wie immer unser Angestellter Heinrich.

„Danke, Heinrich. Sind Mam und Dad zuhause?“

„Sie sitzen wohl beide noch auf einer Besprechung. Aber sie haben mir zugesagt, bis zum Abendbrot zuhause zu sein.“

„Passt auch, dann kann ich mich inzwischen um die Hausaufgaben kümmern.“

„Bedarf es hierbei meiner Hilfe?“

„Nein, danke, Heinrich. Biologie beherrsche ich schon soweit, dass ich das alleine herbekomme“, lächle ich und pflanze mich gleich direkt rauf auf mein Zimmer.

Heinrich will mir immer helfen, das hat er schon getan, als ich jünger war. Er hat ein recht gutes Allgemeinwissen. Ach, was sage ich. Er ist sehr intelligent und weiß über jedes Thema etwas zu sagen. Er ist auch sehr nett und ich erfreue mich immer seiner Gesellschaft. Ich habe ihn schon gefragt, ob er niemals im Sinn gehabt hätte, einer Arbeit nachzugehen, die seinem Wissensstand entspricht … Aber er hat gemeint, dass er diese Arbeit sehr gerne macht und dass das wichtiger ist, als sein Potenzial zu nützen. Er fände es wichtiger, Arbeitgeber zu haben, die einem vertrauen und ihn auch machen lassen. Das stimmt, er ist oft alleine hier. Er wohnt sogar hier, das haben meine Eltern ihm dazumal angeboten. Zum einen, weil er nur eine sehr schäbige Wohnung hatte und ohnehin auf der Suche nach einer neuen Bleibe war … Zum anderen, weil meine Eltern ihm weniger zahlen müssen, da er einen Teil der Entlohnung als „Bleiberecht“ erhält. Heinrich arbeitet schon eine gefühlte Ewigkeit für uns. Er meinte einmal, dass er in einer anderen Branche vermutlich nicht eine solch nette Gesellschaft hätte und er sich nicht gerne mit Oberflächlichkeiten abgibt. Dazu wusste ich nicht, was ich sagen soll … Denn was die Oberflächlichkeit betrifft, sind meine Eltern gar nicht so anders als die von Nils …

Als allererstes mache ich heute nicht die Hausaufgaben, wie ich es eigentlich geplant habe. Aber manchmal muss man auch innehalten und das Leben genießen, speziell, wenn es einem bewusst wird, wie toll das eigene Leben ist.

Ich stelle mich einige Minuten auf das Balkonfenster. Das mache ich immer, wenn ich von einem anstrengenden Tag nach Hause komme. Erstens sieht man allerlei Menschen unten und es fühlt sich irgendwie an, als würde man auf der Bühne stehen. Zweitens steht auf dem Balkon mein bequemer Stuhl, der mich schön durch massiert. Einmal im Monat kommt zwar eh eine Masseurin vorbei … Aber dieser Stuhl ist schon so ein Ritus, wenn ich heimkomme und gleich mal eine ordentliche Entspannung brauche. Erst mal abschalten … Tief einatmen … und ausatmen … Der Stress ist jetzt vorbei, jetzt muss ich mich erst mal ein wenig erholen. Ich setze mich auf meinen „normalen“ Sessel und beobachte ein wenig das rege Treiben im Park. Obwohl schon 19 Uhr ist, sind noch viele Leute anwesend. Ich finde sowieso, gegen Abend ist es da auch am schönsten. Ich bin oft dort, vor oder nach der Schule. Aber heute will ich einfach nur ein paar Minuten hinsitzen und nichts tun.

Der Sommer steht ins Land, bald sind Ferien. Vor den Ferien ist noch diese große Sache … Diese richtig große Sache. Eine der größten in meinem Leben bisher. Ein besonderer Event, der in unserer Schule angeboten wird. Nils und ich proben fünf Mal die Woche nur für diesen Event. Dort werden die besten Sängerinnen und Sänger mit ihren individuell angefertigten und geprobten Songs auf die Bühne gestellt und von einer Jury bewertet. Maximal die drei besten Paare, also sechs Leute, erhalten dann ein Stipendium für ein Musik- und Kunstcollege. Selbstredend ist Nils derjenige, der unbedingt eines dieser Stipendien ergattern will. Für ihn spricht auch wirklich alles. Er hat eine tolle Stimme und ist überdies in der Schule auch noch hervorragend. Denn, natürlich, für ein Stipendium spielen auch die Noten eine nicht unbedeutende Rolle, deshalb steht uns auch noch die große Abschlussprüfung, die Reifeprüfung, ins Haus, bevor die Sänger um die Stipendien ringen. Die Vorauswahl wurde aufgrund der bisherigen Noten erfasst. Das heißt, nur die Besten der Besten, sowohl schulisch als auch stimmlich, treten hier an … Deshalb wird das ein hochrangiger Event. Denn nicht nur Nils und ich sind als Duo bekannt und singen gelegentlich bei Auftritten. Wie gesagt, unsere Schule hat einige hervorragende Sängerinnen und Sänger. Dieses Jahr sowieso, kommt mir vor, und ich denke nicht, dass sich einer von ihnen diese Gelegenheit entgehen lassen wollte.

Unfair an dem Ganzen finde ich nur, dass man notwendigerweise einen Partner benötigt. Alleine darf man gar nicht antreten. Damit will die Jury auch die Teamfähigkeit, Kompromissbereitschaft und alles, was dazu gehört, überprüfen. Tonlage, Rhythmus, Kooperation bei der Choreographie und so weiter. Deshalb muss auch am Tag Null angegeben werden, wer für was bei der Show verantwortlich ist. Es kann nämlich durchaus sein, dass man disqualifiziert wird, wenn nur einer alles gemacht hat und der andere nur nachgezogen und eingewilligt hat. Ich finde das zwar mehr eine Formalität … Wie sollen die denn überprüfen, wer schlussendlich was festgelegt hat? Die waren ja bei den Proben und Treffen nie dabei. Aber ja …

Oh. Da sehe ich zwei Menschen, die gerade durch den Park gehen … Sie fallen mir deshalb so auf, weil sie so herum torkeln und das Mädchen hat es scheinbar recht lustig. Er, der sie begleitet, hat offenbar große Mühe zu stehen. Ihn habe ich hin und wieder gesehen, er geht auf dieselbe Schule wie ich. Aber man sieht ihn selten, deshalb könnte ich nicht sagen, wie er heißt, geschweige denn, in welche Klasse er geht. Die beiden scheinen wohl ziemlich angeheitert zu sein …

Zuhause isses langweilig. Wir ham uns gleich im Park volllaufn lassn. Allein die Blicke der Passantn isses das schon wert. Bromley muss Frust ablassn und das is die Gelegnheit dazu. Denn wenn er unter Einfluss von Alkohol steht, wird er noch mehr zu dem, was er is: Der große, böse Bromley! Sie ham einige Passantn nieder geredet, zum Teil sind sie heulnd davongerannt. Sue gefällt’s auch. Ne Gemeinsamkeit, die als Duo gleich noch mehr Spaß macht. Das lässt Bromley alles vergessn. Alles, was passiert is. Er will nich dran denkn, was war. Er will Spaß ham am Hier und Jetz. Selbst, wenns ihm so beschissn geht wie heut. Aber Sue übernachtet heut bei ihm. Sie wird ihn wieder drüber hinweg tröstn. Vielleicht krallt er sich auch mal zur Abwechslung so ne Dorfschlampe. Die wird genug Erfahrung ham, ihn vergessn zu lassn. Aber ob ihm das Geld das wert is … und dann die Krankheitn, die die ham müssn. Ne. Danke. Da bleibt er lieber einmal die Woche bei Sue. Sie machts ihm leicht. In ihrer Gegenwart lebt er wenigstens n bisschn. Sie lässt ihn ne ganze Nacht lang vergessn, dass am nächstn Morgn schon n Anruf kommen könnt.

„Krasser Tag, wa?!“, säuslt Bromley mehr oder weniger verständlich.

„Du sachst es“, haucht Sue und klebt an ihm wie ne Klette. Oh, ja. Sie wird scharf. Genau das, was er will.

„Beschisssssn schöner Tach hier draußn, wa?!“

„Ohhhh. Brommy, du bisss ja so ekelhafff romantisch ab und zu …“

„Sssoll ma vorkomm“, lächelt er. „Gehn wir zu mir?“

„Aba klaaa“, kichert Sue und sie hängn aneinander und torkln zu Bromley nach Haus.

S is zwar n kleines Stück vom Park heim, aber sie schaffen’s irgendwie. Den ganzn Weg war Sue mehr am Kichern als sonst was. Bromley weiß, dass sie sich auf das freut, was gleich kommt. Er auch. Sue kann noch so dicht sein, für Sex hat sie immer genug Kraft. Je mehr sie trinkt, umso wilder is sie und es is echt geil.

Bromley will die beschissne Tür aufsperren. S Schlüsslloch muss die ganze Zeit am Wandern sein, er trifft’s einfach nich.

„Kack Teil!“, flucht er und fummlt weiter.

„Ssssoll ich helfn?“, bietet Sue lachnd an.

„Ne, krieg ich schon her.“

Wieder kichert sie.

„Ey, wenn deine Alte das wüsste …“

Ein tiefer Stich schießt durch Bromleys Herz. Er lässt’s sich nich anmerken. Sue denkt, er hasst seine Mam. Aber eigentlich hatte er ihr gesagt, sie soll nich über sie redn. Das muss sie in diesm Augnblick vergessn ham. Was Bromley stark anpisst.

„Du solls nich über meine Alde redn!!“

„Ohh … Schuldigung, Bromiii.“

„Lass mich einfach in Ruh.“

„Aber Bromiiii … Wir sssin ja noch nich ma beim Vorspiel …“

„Is mir egal, hau ab!“

Er sperrt die Tür auf, stolpert rein und knallt die Tür hinter sich zu. So stark, dass das angeknackste Glas, das wie n kleines Fenster an der Tür angebracht is, ganz zerbricht. Tja. Dreht er im Winter halt die Heizung stärker auf. Oder er erfriert. Im Moment wär ihm alles recht. Er will dieses beschissne Lebn nich mehr. Er will, dass sie endlich wieder kommt!

Lass mich in Ruh, die Tür ist zu. Ich hab echt keine Lust darauf, nen Rückfall zu nehmen in Kauf!

Sonst passt es gut, jetzt diese Wut. Verzweiflung packt mich gnadenlos, im Magen dieser schwere Kloß!

Pünktlich um 7 klingelt der Wecker. Freitag. Na, immerhin. Heute noch, dann hab ich endlich Wochenende. Dieses Mal sind meine Eltern das ganze Wochenende daheim. Das heißt, dass wir vielleicht einen Ausflug machen … Oder einfach mal wandern gehen … Oder sonst irgendetwas. Hauptsache, ich mache mal wieder was mit meinen Eltern. Denn ab und zu gehen sie mir schon ab. Ach, was heißt ab und zu. Immer. Immer, wenn ich heimkomme und sie sind nicht da … und das ist leider sehr oft der Fall. Ich weiß, sie arbeiten hart, unter anderem auch, um mir das Studium und damit ein gutes Leben zu finanzieren, aber … hin und wieder wünschte ich mir doch, dass ich mehr Zeit mit ihnen verbringen kann, auch wenn wir dann nicht so viel haben …

Hilft nichts, da muss ich jetzt drüberstehen. Aber wie gesagt, heute noch und dann hab ich wieder ein ganzes Wochenende mit meinen Eltern.

„Lilly!“

Ach? Nils holt mich mal wieder ab. Sonst ist er immer schneller in der Schule als ich, damit er sich nochmal alles in Ruhe durchlesen kann, was wir am Tag zuvor gelernt haben, damit er ja nichts vergisst. Aber hin und wieder kommt er mich extra abholen, obwohl es ein Umweg für ihn ist. Das ist meistens dann, wenn er einen seiner Egotrips hat, bei denen er nur von sich und seinem Leben erzählen will.

Ich öffne die Tür.

„Hallo.“

„Du bist ja schon angezogen“, lacht er. „Kommst du?“

„Ohne Frühstück geh ich nicht aus dem Haus“, murre ich. Ich bin von der Idee, mir sein Gequatsche auch noch auf dem Schulweg anhören zu müssen, nicht gerade begeistert.

„Ich kauf uns auf dem Weg in die Schule was in meiner Bäckerei. Den Fraß der Schulkantine kann man ja nicht essen.“

Klar. Du kennst nur den Luxus einer 5-Sterne-Küche, denke ich leicht angesäuert. Als ob das „normale“ Essen so viel minderwertiger ist. Im Gegenteil, finde ich. Aber da ich auch nicht lange hier rumstehen und Zeit verschwenden will, gebe ich mich geschlagen.

„Ich ziehe mir die Schuhe an, dann komm ich.“

Keine Minute später schlurfe ich zur Tür raus.

„Ging schnell. Gehen wir.“

„Ja …“

„Also, gestern war bei mir ja wieder voll der Zickenkrieg. Mama meinte doch ernsthaft, ich solle doch Arzt werden, aber sie weiß genau, dass mich das überhaupt nicht interessiert. Ich glaub, sie hat bei deiner Mutter gesehen, was für ein Beruf das ist und dann noch …“

Oje. Wieder einer seiner endlos wirkenden Monologe. Ich hasse das … Aber ich höre es mir an, ich bin einfach zu freundlich, um was zu sagen. Zudem ist er nun einmal mein Partner und es ist besser, wenn ich halbwegs mit ihm auskomme.

„… dann war in dieser Folge doch wirklich eine, die gemeint hat, sie hätte eine Chance, weiterzukommen. Ehrlich, die hatte eine Stimme wie eine Krähe. Wobei das eher eine Beleidigung für die Krähe ist.“

„Echt wahnsinnig intressant.“

Das kam nicht von mir. Das kam nicht von Nils. Wir beide drehen uns um. Der Typ … Den habe ich gestern gesehen. Sturzbetrunken im Park. Er hat sich relativ schnell wieder erholt.

„Und wer meinst du zu sein, dich für so wichtig zu halten, um dich einmischen zu müssen?“

„Ich halt mich jednfalls nich für zu wichtig. Im Gegnsatz zu dir.“

Autsch! Nils hat eine hohe Selbstmeinung, das stimmt schon. Und er geht mir wirklich auf die Nerven. Aber hat er das deshalb verdient?

„Halt dich aus Sachen raus, von denen du nichts verstehst!“, zischt Nils.

„Die Kleine rennt dir sowieso bald davon. Die Anstandsdame zeigt dir nur nich, dass du ihr auf’n Sack gehst.“

Dafür, dass er mich gar nicht kennt, scheint er genau zu wissen, wie es in mir aussieht. Wirke ich so leicht durchschaubar? Oder schaue ich wirklich so gelangweilt drein?

„Anstandsdame. Für ein Mitglied des Pöbels bist du erschreckend gebildet. Oder aber, du hast das Wort in einer Soap aufgeschnappt und wirfst damit um dich, damit keiner merkt, wie dumm du bist.“

Das muss eine Sicherung bei dem Kerl durchgebrannt haben.

„Ich polier dir gleich dein Maul! Keiner beleidigt Bromley!“

„Ach. Netter Name für ein Mädchen!“

„Nicht!!“, schreie ich und stelle mich zwischen sie, weil Bromley sich fast auf Nils stürzen wollte. „Es reicht jetzt. Komm, Nils, wir gehen.“

„Tja. Die Lady hat gesprochen. Bis dann, Loser!“, lacht Nils und setzt sich in Bewegung.

Ich schaue angstvoll nach hinten, weil ich befürchte, dass dies alles noch ein Nachspiel hat, aber Bromley dreht ab und geht in eine andere Richtung.

„Nils! Was soll das?!“

„Was?“

„Gerade von jemandem wie dir darf man doch etwas Zurückhaltung erwarten.“

„Glaub mir, ich hab mich zurückgehalten. Der Kerl ist weniger wert als der Dreck unter meinen Fingernägeln.“

„Nur, weil er finanziell nicht so gesegnet ist wie wir.“ Das sieht man ihm an. Er trägt offenbar Klamotten, die ihm zu klein sind und die er schon lange haben muss. Teilweise sind sie löchrig und richtig abgetragen. Das trägt er nicht, weil es modern ist, sondern aus größter Not heraus. „Du musst immer bedenken, dass es nicht wir sind, die Geld haben. Wir haben das Glück wohlhabender Eltern.“

„Stimmt, aber ich spiel mich wenigstens nicht so auf.“

„Ach. Und was war das eben?“

Nils bleibt stehen und stampft auf.

„Ihr Weiber seid echt undankbar! Ich hab dich nur verteidigt, weil er auf dich losgegangen ist!“

Losgegangen? Also, für mich klang das anders … Aber so wutentbrannt, wie Nils gerade ist, wage ich es nicht, ihm zu widersprechen.

„Okay. Danke dafür“, sage ich stattdessen, damit er sich beruhigt. „Aber das nächste Mal ignorieren wir so was einfach. In Ordnung?“

„Ja. Du hast Recht. Wir sind besseren Standes. Warum habe ich mich nur darauf eingelassen?“

„Du hast es gut gemeint.“ Auf eine merkwürdige Art und Weise.

„Ja. Los, gehen wir weiter. Sonst kommen wir noch zu spät.“

Sackgesicht! Wie kann n Weib nur mit so nem Hohlkopf zusammn hängn?! Nich, dass es ihn intressiern würd. Sie is genau gleich. Auch so ne Fönfrisur, die sich wahrscheinlich abends von 10 Dienern in den Schlaf wiegn lässt! Er hasst solche Leute! Bromley hatt nie viel, aber s war ihm immer genug. Bis diese Sache war, vor nem Jahr. Jetzt hat er niemandn. Nur sich selbst. Die sind nichts Bessres, nur weil sie sich dafür haltn! Er weiß selbst nich, was ihn gerittn hat, sich einzumischn. Es is ihm egal. Aber man merkt 10 Kilometer gegn den Wind, dass er sie nervt. Bloß, so wohlerzogn und mundtot, wie sie wahrscheinlich is, wird sie nich die Eier ham, es ihm zu sagn. Allein, was der Typ da von sich gibt. Ne langweilige Staffel von irgendner öden Singshow. Wen intressiert sowas?!

Tja. Was soll’s. Solln sie doch. Solln sie sich doch verein und noch größre Fratzn in die Welt setzn. Es ist ihm egal. Solang er seine Ruh hat.

„Hey, Brom!“

Sue. Er dacht, er hätt sie gestern endgültig verscheucht.

„Hey, Sue. Sorry wegn gestern, ich war mies drauf.“

„Is klar, du hast ja gesagt, ich soll’s nicht erwähnen. War sicher auch n bisschen zu viel bei mir.“

„Bei drei Flaschn purem Vodka wundert’s auch nich“, lächelt Bromley halbherzig.

„Sind wir wieder chillig?“

„Klar.“

„Solln wir das von gestern nachholn?“, haucht sie wieder in ihrer üblich hohn Stimme, wenn sie’s nötig hat.

„Klar.“

Was geht’s mich an? War in nem Bann. Was hab ich mir dabei gedacht, so zu werden ausgelacht?!

Der Dreckskerl macht mein Leben schwer, ich renn ihm nach mit nem Gewehr! Doch Sue ist da, sie wird’s schon richten, meine Mordgedanken zu vernichten.