Lilu Zuckerkuss - Odine Raven - E-Book

Lilu Zuckerkuss E-Book

Odine Raven

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Beschreibung

Mit einem romantischen Heimatfilm hat diese Liebesgeschichte allenfalls die traumhafte Kulisse der beschaulichen bayrischen Alpen gemein. Denn das Paar, um das es hier geht, könnte gegensätzlicher nicht sein: Auf der einen Seite ist da Ferdinand, der junge Dorfpfarrer, der bald an seiner eigenen Redlichkeit zweifelt, und auf der anderen Seite seine neue Haushälterin, die quirlige Lilu, die ihn offensichtlich vom Pfad der Tugend abzubringen versucht. Sie kann nicht anders, denn sie ist ein leibhaftiger Dämon! Während Ferdinand zunehmend ihrer verbotenen Sinnlichkeit erliegt, kommen ganz andere, wirklich unlautere Machenschaften ans Tageslicht, und nun liegt es allein an dem Pfarrer, seine Gemeinde vor großem Unglück zu bewahren. Da kommt ein wenig himmlische Unterstützung nicht ungelegen ...

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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Odine Raven ist eine gebürtige Rheingauerin, lebt aber inzwischen mit ihrem Mann und den Kindern an der hessischen Bergstraße.

Sie schreibt hauptsächlich Fantasyromane für jedes Alter und betätigt sich außerdem als Sängerin und Songwriterin in verschiedenen Bandprojekten.

Weitere Informationen siehe Webseite

www.odine-raven.de

Johannes - Kapitel 12: Die Salbung in Bethanien

4 Doch einer von seinen Jüngern, Judas Iskariot, der ihn später verriet, sagte:

5 Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Erlös den Armen gegeben?

6 Das sagte er aber nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte.

7 Jesus erwiderte: Lass sie, damit sie es für den Tag meines Begräbnisses tue.

8 Die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer bei euch.

Das schrille Keifen des Rauchmelders zerriss die beschauliche Stille des Nachmittags und erzwang nicht nur das Gehör, sondern auch den unbedingten Gehorsam des einzigen Bewohners des urigen alten Häuschens in dem ehemals gepflegten Garten direkt neben der kleinen Dorfkirche.

„Scheiße!“ Ein junger Mann stürmte durch die offene Küchentür und stolperte dabei über den zuvor an eben dieser Stelle vergessenen Wäschekorb, der daraufhin seinen so mühsam gewaschenen, luftgetrockneten Inhalt über die immerhin gekehrten Fliesen spie und beleidigt auf der Seite liegenblieb.

„Verflucht!“

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wolle der Unglückselige die Rettung seiner Wäsche der Brandbekämpfung vorziehen, doch da besann er sich, hangelte ein Handtuch aus dem wirren Haufen und fing mit der einen Hand an, hektisch damit unter dem geräuschvollen Deckenalarm herumzuwedeln, während er mit der anderen die gefährlich rauchende Pfanne vom Herd schubste.

„Jesusmaria“, seufzte er nach erfolgreicher Beendigung seines Einsatzes und mit zum Himmel gerichtetem, reumütigem Blick. „Nichts für ungut, Herr ...“

Der Herr war von da an gnädig und ließ seinen Diener, den jungen Dorfpfarrer Ferdinand, in aller Ruhe seine T-Shirts, Socken und Unterhosen vom Küchenboden auflesen.

„Ist nur eine Prüfung, sicher nur eine Prüfung, nicht weiter schlimm ...“, murmelte Ferdinand zu sich selbst.

Mit Prüfungen kannte er sich aus! Der Herr hatte ihm bereits unzählige davon gesandt!

Angefangen bei den langen Gesichtern seiner verständnislosen Eltern, als er ihnen nach dem Bestehen des Abiturs eröffnete, katholische Theologie studieren zu wollen, mit dem erklärten Ziel, die Priesterweihe zu empfangen, und weiter über ein halbes Dutzend junger, hübscher, in der Tat äußerst reizvoller Mädchen, die in den Jahren, die folgten, nichts unversucht ließen, ihn vom Pfad der Tugend abzubringen, bis hin zum letzten großen Coup des Allmächtigen, ihn zum Seelsorger zu bestimmen ausgerechnet in dieser entlegenen, rückständigen Dorfgemeinde am Arsch der ... also in den wunderschönen, naturbelassenen Alpen, natürlich, wenn sie hier doch wenigstens nicht so hinter dem Mond leben würden!

Nicht einmal eine Pizza konnte er sich jetzt bestellen, woher denn auch! Bis die aus der Stadt geliefert würde, wäre er bereits verhungert.

Wehmütig starrte Ferdinand auf die Pfanne mit den verkohlten Überresten der Fischstäbchen vom Vortag.

„Amen ...“

Er hatte gewusst, dass es kein Leichtes sein würde, ein Leben im Dienste Gottes zu führen, nein nein, er war zu jedem Opfer bereit gewesen!

Der Ruf in seinem Herzen war so stark, so übermächtig, und der Wunsch, das Evangelium zu predigen und die verlorenen Schäflein sicher auf ihre Weide zurückzuführen, so unumstößlich, so brennend – aber von Wäschewaschen und Essenkochen war nie die Rede gewesen!

„Oh Herr, du prüfst mich wahrlich ganz und gar!“, fiel es ihm jetzt wieder ein. Denn dass er sich gerade um den Haushalt kümmern musste statt um die morgige Predigt, verdankte er dem Umstand, dass die Seydinger Traudl, die Frau des Gemeinderatsvorsitzenden Alfons Seydinger, so abgrundtief scheußlich kochte, dass er ihre ehrerbietigen Dienste bereits nach wenigen Tagen dankend abgelehnt hatte.

Freilich hätte er die unbescholtene Dame gar nicht erst bemühen brauchen, wenn nämlich seine eigene Haushälterin Hanni nicht gemeint hätte, aus heiterem Himmel oder vielmehr über Nacht mit dem Küster durchbrennen zu müssen! Mit dreiundfünfzig! Hätte sie sich das nicht ein paar Jahre früher überlegen können? Möglichst ein paar Jahre vor seiner Ankunft?

Ferdinand ertappte sich selbst bei einer Anwandlung kindischen Zorns, atmete einmal tief durch und gewann wieder die Oberhand.

„Deine Wege sind unergründlich, Herr. Aber du wirst mich nicht wanken sehen! Mein Vertrauen in dich ist ungebrochen! Sicher wirst du mir bald aus meiner Not helfen! Bitte!“

Und da dieses Stoßgebet aus den Tiefen eines so reinen Herzens emporstieg, wurde der Herr tatsächlich gleich darauf aufmerksam und schickte sich an, es umgehend und still feixend zu erhören.

Wieder schrillte ein Alarm, doch war es mitten in der Nacht und keine Pfanne auf dem Herd.

Etwa schon der Wecker?

Stöhnend tastete Ferdinand auf dem Nachttisch herum, fand den Lichtschalter und entzifferte nebenbei die Uhrzeit. Halb sechs. Großartig.

Das durchdringende Gebimmel rührte jedoch von seinem Telefon, das direkt neben dem Wecker lag.

Ja wer rief denn da in aller Herrgottsfrüh ...?

„Pfarrei Sankt Wendelin ...“, nuschelte er schlaftrunken, als er das Gespräch ergeben entgegennahm. Der Anrufer nannte einen unverständlichen Namen und irgendetwas Wichtiges, möglicherweise etwas mit Bistum und Büro und Order und unverzüglich.

„Was ...? Wie ...?“

„Sie wird im Laufe des Tages bei Ihnen vorstellig. Ihre Referenzen sind tadellos, und Sie können sich wirklich glücklich schätzen, dass wir so kurzfristig jemanden gefunden haben.“

„Gefunden? Was?“

„Eine Haushaltshilfe. Sie hatten uns doch über einen kurzfristigen Bedarf informiert.“

Jetzt war Ferdinand hellwach! Ehe er jedoch lange darüber nachdenken konnte, bei wem er eigentlich einen solchen Bedarf geäußert hatte, gab der ominöse Anrufer noch den Namen der angekündigten Dame durch, was der junge Pfarrer aber leider nicht ganz mitbekam, da er eben das Telefon hektisch vom einen zum anderen Ohr gewechselt und dabei fast fallengelassen hatte. Er hörte gerade noch einen Abschiedsgruß, dann legte der Gesprächspartner auf.

Egal. Seine Not sollte ein Ende haben!

„Danke, oh Herr!“, freute er sich nicht zuletzt über sein unumstößliches Gottvertrauen und ließ sich zurück in die Kissen fallen.

Noch ein Stündchen Schlaf, und dann konnte der neue Tag kommen, der gewiss besser werden würde als die Wochen davor.

Der Sonntag kam und machte seinem Namen alle Ehre. Bei herrlichem, frühlingshaften Sonnenschein zog es überdurchschnittlich viele Besucher in die kleine Dorfkirche, wo der junge Pfarrer mit Esprit und Charme eine eloquente Predigt hielt, die die meisten jedoch leider gar nicht verstanden.

Egal. Hochwürden war Hochwürden, und ’s wird scho’ recht g’wesen sein.

Nach dem Gottesdienst stand man noch eine Weile beisammen unter freiem Himmel, der wahrlich von keiner Wolke getrübt wurde.

Ferdinand lehnte dankend mehrere Einladungen zum Mittagessen ab und schielte dabei immer wieder hinüber zum Pfarrhaus, ob nicht die angekündigte Rettung mittlerweile aufgekreuzt war, aber er wurde enttäuscht.

Es war schon später Nachmittag, und er saß an seinem Schreibtisch und gab der für den Abend vorgesehenen Andacht den letzten Schliff, als er durch das Läuten der Türglocke doch noch überrascht wurde.

Das war sie! Die Haushaltshilfe!

Ferdinand stürzte zur Tür, besann sich kurz vor dem Öffnen eines Besseren, hielt inne und strich sich über die Soutane, die er heute gar nicht abgelegt hatte. Dann erst öffnete er. Und erstarrte!

„Hi!“, flötete das Mädchen mit der pinken Sonnenbrille und den langen, zotteligen Haaren, die bestimmt seit Jahren keinen Kamm mehr gesehen hatten.

„Hi ... ich meine ... äh ...“ Da hatte es ihm doch glatt die Sprache verschlagen.

„Bist du Ferdinand? Ich bin Lilu, ich soll jetzt bei dir arbeiten.“

„Was? Wie?“

„Na, die haben gesagt ich soll jetzt bei dir arbeiten.

Du bist doch Ferdinand?“

„Ja, aber ... das muss ein Missverständnis sein! Ich ... ich brauche ... ähm ... jemanden für den Haushalt und so ...“

„Ja, hat mich auch gewundert. Was soll’s. Hier bin ich!“

Und sie drückte sich fröhlich an ihm vorbei und hüpfte durch den Flur, zielsicher in Richtung Küche.

Ferdinand schloss die Tür und beeilte sich, ihr zu folgen.

„Wie ... wie war Ihr Name nochmal?“

Lilu stand in der Küche und schaute mit großen Augen über den Rand ihrer kitschigen Brille ehrfürchtig umher.

„Lilu. Lilu Zuckerkuss.“

„Und Sie ... äh ... Sie sind die neue Haushaltshilfe?“

„Ja.“

„Und was, wenn ich fragen darf, sind Ihre ... äh ...

Referenzen?“

„Was’n das für’n Quatsch? Ich hab ja vieles, aber sowas bestimmt nicht!“

„Aber man sagte mir ...“

„Ja?“ Sie war auf einmal sehr aufmerksam und kam auf ihn zu, um sich dann ungeniert mit beiden Händen an seine Schulter zu hängen. Ganz nah war ihr Gesicht dem seinen, und ihr Blick hätte aufreizender nicht sein können.

„Was ...?“ Er hatte schon den Faden verloren.

Mit Mühe zwang er sich, einen klaren Gedanken zu fassen. Sicher lag hier ein Missverständnis vor! Ein solcher Punk wie ... wie Lilu war gewiss nicht geeignet, ihm den Haushalt zu führen!

„Haben ... haben Sie Erfahrung mit Kochen und Putzen und so?“, wagte er jeder Vorahnung zum Trotz einen Vorstoß.

„Nö, sollte ich?“

„Ja also ... Ja! Sollten Sie! Hören Sie, sind Sie wirklich die neue Haushaltshilfe? Oder wer sind Sie?“ Seine Stimme hatte einen verzweifelten Klang angenommen.

„Ich? Ich bin Lilu.“

„Ich weiß. Sie sind aber doch keine Haushälterin!“

„Nein.“

„Sondern was?!“

„Ein Dämon“, verkündete sie nicht ohne Stolz und betrachtete ihren neuen Gebieter mit unverhohlener Neugier.

Die Schrecksekunde verstrich.

Und dann noch eine.

„Ein Dämon ...“, wiederholte Ferdinand ungläubig, als er die Sprache wiedergefunden hatte. Seine Zweifel bezogen sich indes nicht nur auf die Sache an sich, sondern vor allem darauf, dass Lilu ihn offensichtlich veräppeln wollte! „Das ist nicht lustig!“,

mahnte er verärgert.

„Ich weiß! Es ist manchmal so zum Kotzen!“ Sie fühlte sich gleich von ihm verstanden und strahlte ihm im nächsten Augenblick glücklich ins Gesicht.

„Aber hier gefällt’s mir! Wo fang ich an?“

„Moment! Haben Sie irgendein Schreiben von Ihrem Auftraggeber dabei? Wer ... wer hat Sie überhaupt geschickt?“

„Weiß der Teufel! Hat dich denn keiner angerufen?

Und kannst du nicht ganz normal mit mir reden?“

„Bitte ...?“

„Na dauernd dieses ‚Sie‘ und ‚Ihr‘ ... ich meine wo sind wir denn hier?“

„Im Pfarrhaus ...?“

„Na dann passt doch alles!“

„Aber ...“

„Musst du nicht gleich in die Kirche?“

„Was?“ Er schaute unwillkürlich auf die Küchenuhr

– schon dreiviertel sechs! „Ach du Scheiße!“ Wenn er den Gläubigen noch die Glocken zur Andacht läuten wollte, musste er sich nun wirklich sputen!

Woher hatte Lilu das gewusst? Und warum kicherte sie gerade so verzückt?

„Du kennst ja Ausdrücke!“, stellte sie glucksend fest.

„Hören Sie, ich muss mich jetzt echt ein bisschen ranhalten ...“

„Na nanana na ...“, sang sie unschuldig und hielt sich dabei beide Ohren zu. „Ich kann dich gar nicht verstehen, wenn du so komisch mit mir redest ... na nanana na ...“

„Lilu!“

„Ja, mein Gebieter?“ Sie nahm die Hände wieder herunter und schaute ihm erwartungsvoll ins Gesicht.

„Ich ... ich gehe jetzt rüber in die Kirche. Muss die Glocken läuten. Das hat ... das hat sonst der Küster erledigt, seit der Automat kaputt ist ...“

„Ich weiß.“

„Sie können ... du kannst gerne mitkommen, oder hier auf mich warten, bin in anderthalb Stunden wieder da.“

„Ich warte lieber. Hast du Kabelfernsehen?“

Seufzend wies Ferdinand den Weg in die gute Stube und erklärte dem Mädchen die Fernbedienung. Lilu war begeistert.

„Möchtest du was trinken?“ Endlich besann er sich auf seine sonst so tadellosen Manieren.

„Cola!“

Nun, da hatte sie aber Glück, dass er noch einen halben Kasten herumstehen hatte! Er ging wieder in die Küche und holte ihr das gewünschte Getränk.

Lilu lächelte ihm bei seiner Rückkehr dankbar entgegen. Sie war ja wirklich ein hübsches Mädchen.

Wenn sie sich nur wenigstens mal gekämmt hätte!

Gierig trank sie das dargebotene Glas in einem Zug leer und verdrehte dabei genießerisch die Augen.

„Mehr!“

Er füllte nach und stellte ihr die angebrochene Flasche auf den Couchtisch.

Lilu schien sich ganz zuhause zu fühlen und machte es sich auf seiner Couch gemütlich. Tasche abgestellt, Schuhe aus, Füße hoch, den langen, schmuddeligen Rock über die Beine drapiert ...

„Also dann, bis später“, murmelte er und war sich nicht sicher, ob sie ihm zuhörte, wie sie so dasaß und gebannt auf den Bildschirm starrte.

„Alles klar, bis nachher!“, antwortete sie zu seinem großen Erstaunen, ohne jedoch ihren Blick von der Sendung abzuwenden. „Viel Spaß! Und vergiss deine Zettel nicht!“

„Ach so! Ja!“ Das hätte er beinahe vergessen! Die Andacht! Ferdinand verschwand eilig in dem kleinen Arbeitszimmer nebenan und klaubte seine Notizen vom Schreibtisch. Er würde sie heute mehr denn je benötigen, denn in seinem Kopf drehte sich alles durcheinander.

Nur wenige betagte Besucher hatten sich zur abendlichen Andacht eingefunden. Das war nicht sehr überraschend – schließlich waren die meisten gottesfürchtigen Dorfbewohner bereits am Vormittag zum Hochamt hergekommen.

Ferdinand mühte sich redlich, zusammenhängende Sätze zu formulieren, doch seine Gedanken drifteten ständig ab hinüber ins Pfarrhaus, wo Lilu womöglich gerade Gott weiß was anstellte.

Die greisen Bäuerinnen in ihren einsamen Bänken schien es nicht besonders zu kümmern. Sie waren es mithin gewohnt, sich keinen Reim auf die jungen Leute von heute machen zu können; vielleicht bemerkten sie es aber auch einfach nicht, wie sehr er herumstotterte und Kauderwelsch fabrizierte.

Endlich konnte er nach einem abschließenden Gegrüßet-seist-du-Maria auch die letzte von ihnen am Seitenportal verabschieden. Hastig schloss er die Kirche für die Nacht ab, eilte nach Hause in banger Erwartung aller denkbarer Eventualitäten und fand Lilu ... schlafend auf der Couch, die Abendschau an und die Colaflasche leer.

„Gottseidank ...“, flüsterte er erleichtert.

Sicher war sie sehr müde gewesen, von der Anreise und so ... wenn sie mit so viel Koffein im Bauch trotzdem derart selig schlafen konnte – doch woher kam sie eigentlich angereist? Das musste er sie nachher unbedingt fragen!

Fürs Erste wollte er sie jedoch lieber nicht wecken.

Da er ihr nicht zutraute, ihm beim Vorbereiten des Abendessens merklich Hilfe leisten zu können, stellte er sich eben allein in die Küche.

Er war zwar nicht der geschickteste Koch, aber er hatte immerhin seine Studentenzeit ohne größere Einbußen überlebt, und eine Brotzeit richten war ja nun auch kein Hexenwerk. Ein frisches Weißbier machte die Mühe umso erträglicher.

Mitten unterm Tomatenschneiden tauchte Lilu zerzaust im Türrahmen auf.

„Na, ausgeschlafen?“, begrüßte er sie eine Spur fröhlicher, als er selbst erwartet hätte.

„Hmmp ...“, meinte sie nur und gähnte herzhaft, „was’n für’n Jahr?“

Er grinste und hielt es für einen ihrer Scherze.

Lilu fuhr sich durch die unordentliche Mähne und gähnte noch einmal.

„Hast du Hunger?“, fragte er milde gestimmt.

„Oh ja!“ Sie nickte und schien langsam munter zu werden. „Sag mal, wo schlaf ich eigentlich?“

„Ach so, das haben wir ja vorhin total vergessen ...“

„Wir? Du hast das vergessen!“

„Entschuldigung! Ich zeig dir nach dem Essen dein Zimmer, okay? Oder willst du dich jetzt schon ein bisschen frischmachen?“

„Nö, is’ schon gut. Was trinkst du da?“

„Echt bayerisches Weißbier. Magst du auch eins?“

Irgendwie nett, einen Gast zum Plaudern zu haben.

Lilu nippte alsbald neugierig an dem goldenen Saft mit der fluffigen Schaumkrone und schien recht angetan davon.

„Deckst du den Tisch? Geschirr ist da drüben im Schrank“, lud er sie ein, sich mit ihren Aufgaben vertraut zu machen.

Mit Hilfe einiger Regieanweisungen von seiner Seite fand das Mädchen alle benötigten Requisiten, und bald saßen sie gemeinsam am Küchentisch zu ihrer abendlichen Vesper.

„Oh!“, staunte sie über die Leckereien vor ihren Augen und hätte fast zugegriffen, aber ein Räuspern ließ sie innehalten.

„Wir wollen erst noch beten, nicht wahr?“, mahnte der junge Pfarrer.

„Ja ... klar ... kein Problem!“, beeilte sich Lilu zu versichern.

„Gott unser Vater, wir danken dir für die Gaben vor uns. Segne sie und gib, dass alle Menschen auf der Welt ihr tägliches Brot haben, Amen.“

„A-amen ...“, bestätigte Lilu auf seinen tadelnden Blick hin.

„Greif zu!“

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Sie nahm Brot, Schinken, Käse und schob sich alles auf einmal in den Mund.

„Lilu?“ Ferdinand war leicht entsetzt.

„Waf?“, fragte sie mit vollen Backen.

„Lass ... lass dir Zeit!“

Sie starrte ihn regungslos an. „Ach fo!“ Sie bemerkte ihren Fehler. Um den Schaden zu begrenzen, kippte sie das halbe Glas Weißbier hinterher. „Besser?“, freute sie sich dann, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte.

Ferdinand räusperte sich mild indigniert.

„Wo ... wo kommst du eigentlich her?“, bemühte er sich um etwas Konversation, die natürlich auch der Befriedigung seiner Neugier dienen sollte.

„Wie ... woher?“ Lilu verstand ganz offensichtlich die Frage nicht.

„Naja, wo ... wo bist du denn geboren?“

„Geboren? Schatz, ich hab dir doch gesagt, dass ich ein Dämon bin – das ... das hab ich dir doch gesagt, oder?“

„Ähm ... ja ... aber nun im Ernst ... wo warst du denn vorher?“

„In New York.“

„Ah. Aber du bist nicht von dort.“

„Nein.“

„Woher dann?“

„Was ... was ist das für ’ne Frage? Aus der finstersten Hölle? Aus heiterem Himmel? Such dir was raus, bleibt sich eh gleich!“

„Okay ...“

Sie schien ausweichen zu wollen. Ein Grund mehr, gleich morgen früh bei seinen Vorgesetzten anzurufen und sich nach der Herkunft der jungen Frau zu erkundigen.

„Und wie alt bist du, wenn ich fragen darf?“

„In Menschenjahren?“

„Bitte.“

„So um die Achttausendpaarzerquetschte ... so genau weiß ich das nicht.“

„Lilu, kannst du nicht einen Moment lang ernst bleiben?“

„Ich weiß nicht, was du meinst!“ Sie klang ein wenig beleidigt.

„Lass das jetzt bitte mit dem Dämon, ja?“

„Warum? Was ... was hast du denn gegen Dämonen?

Wir ... wir sind gar nicht so ... das sind alles ... blöde Vorurteile! Total bescheuert! Du ... du kennst mich doch gar nicht! Wieso kannst du mich nicht leiden?“ Und schon plärrte sie los, laut und unglücklich, und schluchzte tränenreich in ihre Armbeuge.

„Lilu? Ist ja gut! Ich ... ich hab doch gar nichts gegen dich.“

„Nein?“ Sie schniefte und schaute hoch. „Heißt das du magst mich?“

„Ähm ...“

„Dann kann ich also bei dir bleiben, ja?“

„Was? Ähm ...“

„Ich werd mich auch benehmen! Schau!“ Sie legte eine Scheibe Schinken auf ein neues Stück Brot und führte beides sehr elegant und mit abgespreiztem kleinen Finger und weit aufgerissenen Augen zum Mund.

Das fand Ferdinand seltsam liebenswert, und er musste gegen seinen Willen schmunzeln.

In der Nacht schlief zumindest der junge Pfarrer äußerst unruhig.

Er warf sich von einer Seite auf die andere und schwitzte nicht nur das Kissen durch.

Es mochte an seinem Traum liegen. Ein ... merkwürdiger Traum ... Er war wieder Student ... und sollte eine Prüfung ablegen ... doch hatte er alles Gelernte komischerweise vergessen! Und seine Prüfer ... das waren nicht die ehrenwerten Professoren, in deren Seminaren er gesessen hatte! Sie schauten ihn seltsam an ... mit Lilus Augen! Lilu schaute ihn an! Kokett, verführerisch, lasziv! Sie kam auf ihn zu, setzte sich auf seinen Schoß ... und schaute ihn an ...

Er wollte weglaufen, aber sie hielt ihn fest.

„Weiche von mir, Dämon!“, hörte er sich selbst verzweifelt rufen, doch Lilu lachte bloß, und zu seinem größten Entsetzen sah er, wie unter ihrem Minirock ein Schwanz mit einer Quaste am Ende herausragte!

„Ah!“ Mit einem Ruck wachte Ferdinand auf und saß aufrecht im Bett. Er keuchte heftig. „Scheiße!“

Er fasste sich an die Stirn. Mannomann, so einen Albtraum hatte er schon lange nicht mehr gehabt!

Was für ein wirres, angsteinflößendes Zeug! Er zitterte noch immer am ganzen Leib, aber das konnte am Schweiß auf seiner Haut liegen. Und so nass seine Stirn, sein Pyjama und sein Bettzeug jetzt auch sein mochten, so trocken fühlte sich dafür sein Mund an.

Die Wasserflasche auf dem Nachttisch war leer. Na toll. Musste er halt runter in die Küche gehen. Derweil konnte sein Bett auslüften.

Er zog seufzend sein Pyjamahemd aus und wischte sich mit dem dünnen Stoff über die Stirn. Ab damit in die Wäsche; sollte Lilu sich doch darum kümmern.

Dann machte er sich auf leisen Sohlen auf den Weg die Treppe hinunter, welche sogleich hinterhältig knarzte und aller Welt von seiner nächtlichen Wanderung erzählte. Aber sonst blieb alles still.

Nachdem sein Durst gelöscht war, fühlte er sich schon bedeutend besser. Mit der angebrochenen Flasche in der Hand erklomm er die ächzenden Stufen zurück nach oben.

Vor Lilus Zimmertür hielt er inne. Sie war nur angelehnt. Seltsam. Wie sie wohl in ihrer ersten Nacht in seinem Haus schlief? Ob es ihr gutging? Ob er mal nach ihr schauen sollte?

Behutsam schob er die Tür soweit auf, dass er ins Zimmer spähen konnte. Im kümmerlichen Schein des Nachtlichts im Flur erkannte er, dass Lilus Bett

– leer war! Das Mädchen lag mitsamt Bettzeug auf dem Teppich davor und schlummerte tief und fest!

Was sollte man davon halten?

Um sie nicht zu wecken, zog er die Tür schnell wieder zu und begab sich in sein eigenes Zimmer. Dort lag er noch lange wach und grübelte über den vergangenen Tag und welch ungewöhnlichen Gast er ihm beschert hatte. In der Früh würde er gleich auf dem Ordinariat anrufen und Erkundigungen über Lilu einziehen.

Und auch wenn er sie irgendwie sympathisch fand, glaubte er nicht, dass er sie langfristig als Haushälterin gebrauchen konnte. Das lag ganz bestimmt nicht nur an ihrer verstörenden Erscheinung in seinem Traum!

„Wie, sagten’S, heißt die junge Dame?“, fragte die Sekretärin am anderen Ende der Leitung.

„Lilu. Lilu Zuckerkuss.“ Gespannt wartete Ferdinand auf die nächste Äußerung der bischöflichen Angestellten.

„Moment, ich schau nach ... ja ... ja ... hier hob i die Daten – wos is‘ mit ihr? Hat sie sich net bei Ihnen vorgestellt?“

„Doch ... doch, hat sie. Ich wollte auch nur ... also ... äh ... sie hatte kein Schreiben und nichts dabei ... ähm ...“

„Ja, des is’ jetzt verruckt. Da fehlt bei uns des Kürzel des Sachbearbeiters. Mit wem haben’S denn g’sprochen?“

„Das ... das weiß ich nicht mehr, das war am Sonntag früh.“

„Am Sonntag? Ja, da schafft hier doch koana! Wer hat da wohl ... und’s Kürzel vergess’n ...“

„Können Sie mir sagen, wo sie her ist? Und davor gearbeitet hat?“

„Kleinen Moment, da muss ich kurz – is’ ja a hübsches Deandl, gell? – oh! Des is’ ja komisch!“

„Was denn?“

„Ja, auf der einen Seite ist ein Verweis auf eine andere, und wenn ich da drauf gehe, grad andersrum!

Wer hat denn das eingegeben? Hören’S? Ich glaub, ich kann Ihnen da leider net weiterhelfen, da hat einer sei’ Arbeit net richtig g’macht, tut mir leid!“

„Aber ... aber sie ist in Ihrer Kartei, ja? Als Haushälterin?“

„Jaja, das stimmt scho’, keine Sorge. Alles ordentlich angemeldet, mit Sozialversicherung und Rentenkasse und allem.“

„Okay, gut, danke. Es wird schon passen dann ...“

„Freili’! Wenn was sei’ soit, dann melden’S Eana halt no’ amoi. Pfiat Eana!“

„Pfüat ... auf Wiederhören ...“

Nachdenklich rieb sich Ferdinand über das Kinn.

Immerhin wusste er nun, dass Lilu dem Ordinariat bekannt war. Also war sie ihm tatsächlich offiziell als Haushälterin vermittelt worden. Gut, dann war es halt so. Der Bischof würde sich schon was gedacht haben dabei!

Gedankenverloren checkte er anschließend seine E-Mails und Facebook. Ob Lilu einen Account hatte?

Nein, die Suche ergab keinen Treffer. Und nach lustigen Kätzchenvideos stand ihm gerade nicht der Sinn.

Resigniert wandte er sich seiner Arbeit zu, die derzeit hauptsächlich darin bestand, sich durch die Bücher seines Vorgängers zu quälen, der ein ziemliches Chaos hinterlassen hatte.