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Meisterhafte Horror-, Grusel-, Schauergeschichten voll eindringlicher Atmosphäre und frischem Einfallsreichtum in perfekter Verbindung klassischer wie auch moderner Elemente und Qualitäten, stilistisch anspruchsvoll, aber nicht antiquiert, hypnotisch mitreißend und alle inneren wie äußeren Geister erhebend. Gänsehautgarantie und geweissagter Kultstatus! Für Freunde des Unheimlichen eine neue Stimme und ein neuer Stern am Himmel!
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2015
Felix Rudolf Durm
Lockendes Geheimnis 2 Felix Rudolf Durm Lichtschwert-Verlag e. K. Schmiedgasse 12 67227 Frankenthal published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de Copyright: © 2015 Felix Rudolf Durm ISBN 978-3-7375-5575-3 Konvertierung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.de Covergestaltung: Erik Kinting / www.buchlektorat.net Titelfoto: © Oleksandr Moroz, fotolia.com
Reise in die Nacht! Dies ist keine Reiseerzählung, eher schon – ein Stück weit zumindest – ein „Erfahrungsbericht“. Es geht hier nicht um die Reise einer bestimmten Nacht, um kein Erlebnis, dann und dann sich zugetragen habend... Es ist dies kein Thriller, kein Schauerstück – jedenfalls nicht eigentlich und im herkömmlichen Sinne. Obgleich: Von allem freilich findet sich etwas, wenn man sich einlässt, darüber nachdenkt… Denn die Nacht als solche ist gemeint!
Nein, nein, nicht etwa die in unserem Inneren. Lassen wir Freud und Konsorten außen vor! Die Nacht. Einfach nur: die Nacht. Mit ihrem Wesen und Unwesen – mit ihren Wesen und Unwesen… Die Nacht – diese Nacht – kann man erleben. Man kann sie auch kennen lernen… Ob man sie überlebt? Eher nicht. Welches Leben ist so lange wie die Nacht – nicht eine, sondern die?
Eine Reise in die Nacht – und wer will mich dabei begleiten?
Du etwa? (Ein finsteres Lächeln will mir keimen...) So komm denn…!
Lass uns beginnen…! Horch…! Hörst du es ahnend? Das Rascheln – Säuseln – Knacken – Knirschen – das Tappen – das Trippeln – das Wispern und Raunen…? Suche mit fast widerwilliger, gebannter Neugier und mit Augen, welche in all der Dunkelheit meist rein nichts zu sehen scheinen … außer den Schatten von Schatten, die seltsam kriechen, wenn du nicht richtig aufpasst…!
Du weißt es: Sie sind da – sie, die dir die Träume „schenken“, manchmal mit einem Lächeln aus gebleckten viel zu spitzen, viel zu fremden Zähnen…
Du weißt sie sind nichts – und du weißt, dass es nichts nicht gibt…! Du weißt auch, dass dein Wissen dich nicht etwa immer rettet oder gar bewahrt, vor dem Absurden, dem Irrealen, dem Nicht-Natürlichen, dem Irren, dem fundamental Anderen…! Und du weißt, dass es echtes Wissen gar nicht wirklich gibt, weißt das Glauben Macht ist, mehr als so genanntes Wissen, und weißt, dass du zu wissen doch eigentlich nur glaubst… Glaubst dich zum Beispiel intelligent, und deine Intelligenz, sie macht dich verrückt…! Seltsam, aber seltsam logisch.
Denn du spürst, da ist etwas um dich – hier – oder da und dort und draußen…, etwas, das es – wie du ja glaubst – gar nicht gibt! Und doch: Du zitterst…!
Sprichst nicht von Furcht – recht so! Weil der richtige Name Angst lauten sollte, denn du meinst ja zu wissen, dass es nicht real – nicht lebendig ist … Und hast vielleicht nicht mal ganz damit Unrecht… Nicht ganz, nein…!
Kommst du nun? Trau dich! Auch in der Nacht gibt es Licht, gibt es Schönheit – sie sind bloß anders als im Tage. Und manchmal sind sie auch ganz ander e! Du verstehst!? Andere Wesen – von anderer Natur…
Du kannst lernen, sie zu lieben – kannst dich von ihnen lieben lassen...!
Nur auf der Hut solltest du sein, ohne gewöhnliche Regeln in deinem oft viel zu vollen Kopf…! Dann hörst du sie singen, siehst sie tanzend … dich locken, riechst ihren betörenden Duft, fühlst ihren jungen, freien Zauber… Die Nacht selbst kann dir Gespielin sein, eine die dir köstlich den Verstand zerreist, wenn du es zulässt – nur wenn du ihr zu bieder bist, dann zerreißt sie stattdessen dein Herz, vergeht unbefriedigt und unbefriedigend und kommt schrecklich wieder…!
16. September 99 – Bericht für ’s Privatarchiv:
Ich trat die, der Umstände wegen einer Zeitreise gleich empfundene, Fahrt ins Rumänische an, in einer der Vernunft zuwiderlaufenden Gewissheit, mein Auftraggeber, der reiche Mister Saw, sei, als er mich so ohne konkrete Weisung und Handlungsziel, motiviert allein von einer Sache privater Art und letzthin undurchsichtigen Charakters, dorthin ins „Niemandsland“ beorderte, nicht recht Herr seines sonst so erfolgreich tätigen Verstandes gewesen.
Mister Saw, Mister Peter Saw, um präziser zu sein, war ein Mann der sich sein mehr als bloß beträchtliches Vermögen im Holzgeschäft erwirtschaftet hatte. Sein eigenes Unternehmen und seine diversen Unternehmensbeteiligungen durften als weltumspannend bezeichnet werden, und seine in der Öffentlichkeit wenig bis nicht bekannten Umsatzbilanzen gingen jedes Jahr weit in die Milliarden.
Mister Peter Saw nun ist der Zwillingsbruder von Mister Matthew Saw, welcher bis vor kurzem ebenfalls ein hochgestelltes – aber nicht ganz so hochgestelltes – Mitglied jenes Konzerns gewesen ist, dessen Name ich zögere hier auszusprechen.
Vor nunmehr zwei Monaten trug sich etwas zu, dass Mister Matthew Saw erst den Verstand und schließlich das Leben kosten sollte und später offensichtlich zum Anlass genommen wurde, mich mit meiner sonderlichen Aufgabe zu betrauen – mich, der ich weder Detektiv noch etwa Geheimagent, Polizist oder dergleichen, sondern lediglich ein nicht eben mal überragend qualifizierter Biologe war, mit der Neigung zum philosophieren und dem leicht obskuren Hobby der Pflanzenpsychologie, wie Kollegen meinen kleinen Spleen scherzhaft bezeichneten.
All das stand selbstverständlich in meiner Akte, und Mister Peter Saw hätte jede Möglichkeit gehabt, sich einen anderen als mich zum Sonderermittler zu küren und sich somit dessen zweifellos hierfür geeigneteren Fähigkeiten zu bedienen.
Vielleicht ist es angebracht, jetzt gleich genauer auf den Vorfall zu sprechen zu kommen, den ich bereits andeutete und von dem ich mir erlaube, im Folgenden aus zweiter Hand zu berichten.
Während Mister Peter Saw diverse geschäftliche Angelegenheiten im Amazonasgebiet inspizierte, weilte sein Zwillingsbruder Matthew in Europa und zwar just in jenem Teil eines Gebietes dort, der nun gerade mein Einsatzort ist.
Matthew war ein draufgängerischer Typ und ein Naturbursche gewesen und bevorzugte im Gegensatz zu Peter einen konkreteren Kontakt zu den Elementen der Natur und dem Material, welches Fundament des geschäftlichen Wirkens beider Brüder war: dem Holz.
Er liebte es, alleine auf Erkundung aus zu gehen und in entlegenen Regionen noch unerfasste Ressourcen zu orten, um sie daselbst für künftige Nutzungsvorhaben zu verzeichnen, und gewiss hatte er dies auch bei jenem letzten, speziellen Mal in Rumänien getan.
Wenige Details – eigentlich keine fast – sind über seinen Aufenthalt vor Ort den Behörden oder irgendwelchen Kontaktleuten der Firma bekannt. Jedenfalls kehrten irgendwann beide der Saw-Brüder wieder zurück nach London in die sterilen Räume der Europazentrale des Mutterkonzerns. Erst Peter, kurz darauf Matthew.
Matthew tat es als ein Verwandelter, ein Irrsinniger, der versuchte, seinen Bruder dazu zu bewegen, alles hinzuschmeißen, der Firma und dem Konzern und dem Beruf den Rücken zu kehren, ja gar sämtliche laufenden Projekte zu stoppen und statt Wälder abzuholzen, solche anzupflanzen und die Natur zu schützen!
Er reihte sich damit nicht wie manch einer schon vor ihm einfach in die zahllosen Rudel grüner Aktivisten ein, sondern tat sein Anliegen kund, indem er dem Bruder buchstäblich eine geladene Pistole auf dessen Brust setzte und ihn sabbernd und mit rollenden Augen anschrie und ja anflehte, bis jener dann aus Angst zum Brieföffner griff, woraufhin eine, sich unvermeidlich (und zum Glück für das Justiziarische unter den geschockten Augen mindestens zweier eben zufällig auf der Bildfläche erscheinender Zeugen) ereignende Auseinandersetzung der gewaltvollen Art zum denkbar tragischsten Ende des einen der Brüder führte.
Es geht das Gerücht, Mathew habe im Gipfel des Gefechts wie ein wildes Tier versucht, seinen Bruder Peter in die Kehle zu beißen, nachdem jener es endlich noch vermocht hatte, ihm die Pistole zu entwenden, aus der er zuvor auch auf ihn geschossen hatte.
Der Fall glich, was Mathews Verhalten anbelangte, in den Grundzügen dem einer extremen Tollwut, obgleich Ärzte im Zuge eingehender Obduktion und Blutanalyse keine Erreger auszumachen wussten. Man fand aber, dass das Gehirn von Mathew Saw seltsam deformiert war und Stellen aufwies, die wie verbrannt oder „wie von innen her abgekocht“ erschienen.
Merkwürdig war bei der Geschichte auch, wie relativ normal das Verhalten Mathews anderen erschienen war, bevor dieser in das Büro seines Bruders gelangte, also zum Beispiel auf der Rückreise von Rumänien nach England. Die einzigen Auffälligkeiten waren da laut Ermittlungsbericht ein extremer „Tiefschlaf“ und gelegentliche Alpträume und Schweißausbrüche während des Fluges gewesen.
Mein Name ist Charles D. August, und ich unterbreche hier, da ich mich gestört fühle und der Zug alsbald mein Ziel für den Tag erreicht...
***
Es ist an dem winzigen, abgehalfterten Bahnhof des buchstäblich abgerissen anmutenden Fleckens S., geographisch – will man den stümperhaft ausgestalteten Karten glauben – nahe dem Ursprung des euphemistisch sich Fluss schimpfenden Gewässers M., wo ich mich schwitzend und steif, durstig und hungrig, todmüde und zugleich mit so empfunden heftigem Herzklopfen und dergleichen weiteren recht merkwürdigen Befindenssymptomen einer unerklärlichen inneren Erregtheit, anschicke, endlich den Bummelzug zu verlassen, welcher mich bis dahin dreizehn geschlagene und widerlich langweilige Stunden lang quer durch die verwildert und bedrückend düster sich darbietenden Kultur- und Naturlandschaften der oberen Kaparten befördert hat.
Die stickig muffige und aus moderner Sicht nahezu „altertümlich“ ausgestaltete Beengtheit meines, von irgend weiteren Gästen lediglich sporadisch, ja kaum wahrnehmbar, frequentierten Beförderungsmittels aufzugeben, erscheint als Erlösung, obgleich die frische und würzige Luft, die mich draußen empfängt, durch Fenster und Ritzen längst, ja bald von Anbeginn der Fahrt an, auch im Zug Eingang gefunden hatte.
Ich will mich erst gründlich umsehen. Doch bald suche ich mir eine Unterkunft und kurzfristige Bleibe. Eine Stunde nur gebe ich mir. Quer durch das Dorf und dann einmal rundherum. Es ist so klein. Das dauert nicht länger. Der Wald muss warten. Der Anbruch der Nacht hat noch Zeit. Aber ich weiß von Bekannten meines Vertrauens, die ich noch in London konsultierte, sie kommt manchmal seltsam rasch in dieser Gegend, wie vorgezogen – fast unnatürlich, möchte man meinen. Berge und Schatten erklären für mich das Phänomen.
Ich ziehe los, todmüde wie ich bin – und all das andere. Trotzdem wähle ich diese Reihenfolge. Ich finde nichts als Verfall, auch nichts was ich als auffällig bezeichnen möchte. Es gibt nur ein Gasthaus, und das hat nur ein Zimmer. Es ist frei. Beinahe weigert sich etwas in mir zu sagen: glücklicherweise. Es ist nicht eben schön, noch nicht mal für geringe Ansprüche, und man empfängt mich desinteressiert, vielleicht sogar abweisend. Das Abendessen ist scharf und schmeckt leidlich erträglich. Es gibt ein Getränk, das sich Bier nennt. Als ich mich später schlafen lege, ist das Bett klamm. Staub reizt meine Nase. Irgendwelche Insekten ergreifen vernehmbar die Flucht – hoffentlich ... Der Mond schaut verwaschen durch ’s Fenster. Eine Eule ruft zweimal, wie in einem billigen Gruselfilm. Ich habe darauf verzichtet, noch etwas zu lesen und das milchige Licht der Deckenfunzel, der einzigen Lampe in diesem Raum, der mehr Kammer ist, gelöscht. Ich denke an den soeben vergangenen Tag wie an ein Abenteuer, aber auch wie an ein Schauspiel, bis mir nach ganz wenigen Minuten all die bewussten Gedanken versiegen und die Gespenster des Unbewussten sich endlich mit all ihren Immanationen von Ängsten und Sehnsüchten meiner annehmen.
Ihr Haar ist Vanille – ihre junge Haut wie goldener Samt, ihre Augen gleichen dem Himmelsblau im Spiegel eines Bergsees ... Sie liebt die Natur, und besonders liebt sie Apfelbäume. Sie klettert barfuß in deren reiche Krone und erwartet da den Sonnenaufgang ... Ihr kleiner Himbeermund schmunzelt und lächelt – verträumt, unschuldig, frech und sinnlich – alles in einem, und sie reckt und windet sich und seufzt so süß und lacht so sanft und so hell ... Und sie lockt mit Fingern und Zehen und widerspenstigen, lockigen Strähnen und dem Saum ihres kurzen und hauchzarten Hemdchens. Ich verstehe ihren schönen Namen nicht ... – Sie ... Etwas ist mit ihren Zähnen … Ich erwache.
Der Kontrast ist groß. Der Traum ist vorüber. Ich bin alleine, und meine Umgebung, das winzige, spartanisch und lieblos eingerichtete Zimmer, mit dem strengen Staub und Schweißgeruch und dem toten, von Dreck blinden Fenster, ist nüchtern, trist und einsam und stößt mich ebenso ab, wie die kalten, scharfen und fremden Stimmen, die von unten her unablässig und erinnernd an übellauniges Gekeife aus der Gaststube heraus an meine Ohren dringen. Die Leute hier sind alle schwarz- oder zumindest dunkelhaarig. Eine Schönheit – gleich ob jung oder alt – ist mir hier noch nicht über den Weg gelaufen, und das hat mit den Haaren der Menschen hier am allerwenigsten zu tun. Sie haben alle den bösen Blick oder jedenfalls das, was man als solchen bezeichnen möchte, und verdrießliche, kantige Gesichter.
Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und schmunzle gequält, als mir bewusst wird, wovon mein gerade entflohener Traum letztlich gehandelt hat. Es ist schon merkwürdig, was so ein Gehirn aus den unterschiedlichsten paar Anstößen zusammenbraut, wenn es sich der Kontrolle durch den Verstand erst mal entledigt findet. So denke ich und bin da schon wieder ganz Sklave dieses Verstandes – oder auch Herr meiner selbst, ganz wie man die Sache denn nun betrachten mag.
Ein winziges, fleckiges Becken dient der Katzenwäsche. Das Wasser ist kalt, und es riecht nicht sehr Vertrauen erweckend. Normalerweise bin ich reinlicher. Diesmal muss das Bisschen genügen. Mit meiner Stimmung steht es auch wegen meiner körperlichen Verfassung nicht zum Besten – und umgekehrt. Meine Muskeln schmerzen aus Protest gegen die irgendwie viel zu weiche Matratze. In meinen Augen klebt es. Mein Kopf surrt. Ich brauche Frischluft und Bewegung, und ein warmes Ei und etwas Tee sollen zum Frühstück mehr als genügen. Beides bekomme ich unten in der, bis auf die mürrische Gestalt der Wirtin, menschenleeren Schankstube, und beides schmeckt einander ziemlich ähnlich, so dass ich die Hälfte davon stehen lasse. Ich schnaufe vernehmlich und versuche vergebens durchzuatmen, mich ein klein wenig zu entspannen. Anschließend dann erhebe ich mich und gehe kommentarlos davon. Die Wirtin brummt, sagt aber nichts. Ich hätte sie nach dem günstigsten Weg in den Wald hinein fragen können, doch ihre ganze Art in Verbindung mit ihrer fast männlichen Gestalt, ihrem stechenden Blick aus schwarzen, wie im Übermaß zur Natur gealterten Augen hält mich ab. Ich weiß nicht, wie es aussieht, wenn sie diesen schmalen Strich von Mund länger als den Bruchteil einer Sekunde öffnet und will es auch nicht wissen. Mich schaudert.
Draußen herrscht ein greller und zugleich diesiger Morgen. Die Luft tut gut. Sie ist noch kalt und feucht und trägt vom Wald den Duft der Bäume – Nadelbäume vornehmlich, Kiefern, Tannen, Erlen. Meine Lunge will wieder atmen, meine Haut wieder fühlen, meine Augen wieder klar sehen. Der benebelnde und nagende Druck in Kopf und Eingeweiden weicht schubweise von mir. Ich besinne mich auf meine Vorhaben und entwickele zugleich jenen ersten, leisen, schon gar nicht mehr erwarteten und gerade doch sehr notwendigen Hauch von Abenteuerlust.
Der bleiche, schwebende und wie im Spiel wabernde Dunst vor dem grünen Wall des alles umschließenden Waldes hier am Ort hat etwas naiv Geheimnisvolles und weckt Erinnerungen an die Märchen einer meist sonst allzu weit entfernten Kindheit.
Ich glaube nicht, dass ich ein Romantiker bin, seltsamerweise aber weiß ich mich diesbezüglich selbst nicht immer recht einzuschätzen. Vermutlich fehlt es mir in der Praxis an Vergleichen, da ich eher zu den so genannten Einzelgängern zähle, enge Freunde vermissen lasse und sogar die „guten Bekannten“ kaum den Rahmen des leicht und rasch Überschaubaren sprengen – eine Tatsache, die nicht immer so gewesen war, die ich gelernt hatte zu akzeptieren, seit mein höherer Beruf, der gewöhnlich nicht im Medium der Geselligkeit siedelte, mich so beanspruchte, wie es den Ergebnissen meines Gehaltskontos entsprach.
Diese Umstände kleinen Reichtums waren etwas, das ich aktiv und über Jahre hin von früh an durchaus angestrebt hatte und das ich auch heute nur bereue, in den wenigen Momenten keimender Sentimentalität, welche die Natur unweigerlich hervorruft, indem sie dem so vergänglichen Dasein eines Menschenwesens symbolisierend und ketzerisch die eigene Ewigkeit vorhält.
Die Leute vom Dorf halten Abstand zu mir, lassen sich von Ferne kaum blicken. Nur eine Schar ärmlicher Kinder und ein abgerissen aussehender Hund beäugen amüsiert und misstrauisch den fremden Herrn, der ich bin, wie er auf die östliche Pforte des dunklen Waldes zu schreitet, in dem was ihnen wie ein feiner, grob kariert gemusterter Anzug erscheinen muss. Britischer Tweed als Freizeitgarderobe und der ländliche Stil der Insel sind ihnen fremd.
Stämme und Baumkronen formen tatsächlich so etwas wie einen grottenförmigen Eingang in die Masse der Bäume hinein. Zugleich fehlt ein erkennbar gangbarer Weg. Das gilt allgemein und gibt mir doch ausreichend Anlass zur Verwunderung, da hier überall Wald ist und das Dorf recht klein und von diesem bis auf die Bahnlinie fast eingeschlossen und man doch annehmen durfte, dass es zum Betreten des weiteren Umkreises hier an Bedarf für Weisung nicht fehlt.
Mit meinem Spazierstock, einem meterlangen, schön gedrechselten Exemplar aus altem Teakholz mit einem Knauf aus Elfenbein, fege ich teils mit mutwilliger Beschwingtheit, teils aus gelinder, aber tief begründeter Aggression einen schleimigen, phallusartigen Pilz aus meinem Weg.
Pilze…
Davon wachsen hier eine Menge, und ich finde die meisten von ihnen zumindest momentan mehr widerlich als schön und interessant, obgleich sie das gewiss auch sind.
Ich gehe langsam und meine Schritte federn angenehm auf dem weichen, von abgefallenen Baumnadeln, Blättern, Borkenstücken und waagerecht wuchernder Kleinstvegetation übersäten Boden. Noch immer herrscht dabei feinster Nebeldunst und es trieft von Tau und diversen geilen Pflanzensäften, überall wo dies möglich ist. Es duftet nach frischem Sauerstoff und Feuchtigkeit, nach würzigen Harzen, Nadelblattölen und nach Moder. Es rauscht und knackt wie von Millionen winziger Kreaturen, die sich da in Verstecken regen. Wind ist richtig kaum zu bemerken, trotzdem steht die Luft nicht still, sondern tanzt, sacht und langsam, in merkwürdig vereinzelten Winkeln. Die Farbe des Lichtes selbst erscheint getönt, bläulich grün. Die Sonne des Tages ist da, aber sie herrscht hier nicht, sondern dient bescheiden.
Ich wähle meinen Pfad der Nase nach und komme ohne Hast ein gutes Stück voran, wobei ich Acht gebe, die grobe Richtung in welche ich gehe stet beizubehalten und mich mühe, alles so aufmerksam und bewusst wahrzunehmen, dass ich später meinen Weg zum Dorf zurück einigermaßen leicht fände. Vielleicht eine Meile lege ich so zurück, wobei mich sonderbar widerstreitende Emotionen überkommen, eine tiefe und ursprüngliche Geborgenheit, heilige Schauer, ein beißender, hohler Schmerz wie von unerklärten Schuldgefühlen, eine lauernde Panik und ein komplett unsinniges Empfinden vom Alleinsein in der Menge. In meinem eigenen Urteil stufe ich mich spontan als labil und kindisch ein, wissend dass dies nicht meine gewohnte Art ist. Frage stellt sich also, liegt es an mir oder an meiner Umgebung?
Nicht jedem, so doch einem jeden mit einschlägiger Erfahrung, wäre aufgefallen, was ich als nächstes bemerke, nämlich dass der üppigen Flora ringsum die dazu gehörige Fauna fehlt. Anders gesagt, ich sehe nirgendwo ein einziges Tier in dieser Pflanzenwelt, noch nicht einmal das kleinste Insekt, und zu hören ist davon auch nichts. Das ist nun mehr als ungewöhnlich, ja mag es auch lächerlich klingen, geradezu irgendwie unheimlich bei längerer und bedenkender Betrachtung.
Meine Stirn ist nass. Ich schwitze. Indem ich mich wende und den Kopf nach oben richte, um die Baumkronen zu betrachten, fühle ich eine Steife im Nacken und einen leichten Schwindel. Was ich sehe ist eine Pracht, schon gar für einen Botaniker, und es entschädigt ein wenig für die Strapazen. Dennoch, ich war nie wehleidig gewesen und deute meine Befindensbeeinträchtigungen nun als beunruhigende Symptome dafür, dass ich an der Schwelle zu irgendeinem Infekt stehen mag. Das wäre das Letzte, was ich jetzt gebrauchen könnte. Ausgerechnet hier – von allen mir bekannten Orten der Welt – habe ich wahrlich die allergeringste Lust, das Bett hüten oder mich gar auf irgendeinen einheimischen Quacksalber einlassen zu müssen.
Noch bin ich nicht soweit. Gott sei Dank!
Ich lausche. Da ist ein Vibrieren, so leise, dass es an Einbildung grenzt. Nichts sonst. Kein Vogel regt sich. Auf keine Weise. Ich schnaufe leise und wundere mich erneut über die Tatsache, die mir bereits zuvor aufgefallen war. Dann schaue ich instinktiv auf meine Taschenuhr, ein edles und altmodisches Modell und sehe, dass sie stehen geblieben ist. Ich habe vergessen, sie heute Morgen aufzuziehen. Anders will ich mir den Umstand nicht erklären. Etwas lastet auf meiner Brust. Ich fühle, wie mich spontan am ganzen Körper eine Gänsehaut überkommt, obgleich ich keinen Abfall der Temperaturen feststelle und ich mich – ich erlaube mir, das zu betonen – nicht ängstige. Wovor auch?
Ich „wandere“ noch weiter. Zwei- dreihundert Meter vielleicht – und plötzlich geschieht da etwas. Ein blaues Glimmen, aus einer Ferne zwischen den Stämmen näher kommend. Es ist schnell, es wird heller, intensiver in seinem grellen Blau-Ton, ist vage kugelförmig, erinnert in seinen konfusen Bewegungen und den zerfasernden Konturen an eine Brausetabletten auf einer Wasseroberfläche, stößt an einzelne Bäume, an einzelne Äste, verhält ganz kurz hie und da und unterscheidet sich nach meinem Dafürhalten deutlich von einem Kugelblitz, da dessen Raserei fast zu schnell für die Augen und vor allem dessen Wirkung, aufgrund seiner zerstörerischen Hitzeenergie, gewiss eine zur Gänze andere wäre. Das da … ist ein viel faszinierenderes Schauspiel. Eines das die Wissenschaft meines Erachtens noch nicht kennt.
Es kommt noch näher – kommt schließlich direkt auf mich zu. Ich zittere. Endlich gibt es sie doch, die Furcht. Sie kommt unwillkürlich, ungeachtet nüchterner Gedanken, ohne dass ich es hindern kann. Ich starre, versteife mich entsetzt und will in naiver Reflexhaftigkeit zur Abwehr dieses Dinges meinen Stock heben. Stattdessen fällt er mir aus kraftloser Hand zu Boden – und ich bin schutzlos!
Das Ding trifft mich. Es ist wie kaltes Feuer. Ich fühle mich brennen ohne Hitze. Das Licht dieses Etwas umfängt mich. Es schmerzt, dass mir die Augen davon tränen, doch der Schmerz ist nicht körperlich. Alles dreht sich um mich, ich taumle, visioniere ... Die Bäume bluten. Ihr Blut ist wie Magma, umspült mich ... Ich schreie. Meine Glieder fallen von mir ab wie welkes Laub, meine Haut schält sich gänzlich ab, und mein Gesicht wird zur rot blühenden Knospe. Für eine Zeit, die mich bereits der Dämmerung des Abends näher bringt, verliere ich das Bewusstsein. Ich lebe. Aber ...
Kaum bin ich zu einem klaren Gedanken imstande. Nur: „Zurück!“ Zurück zum Dorf. Zurück, ehe die Nacht kommt! Ich fühle mich, als hätte ich einem brutalen Boxer den Sandsack ersetzt, oder als hätte ich einen Liter Alkohol in mir. Verdammter Wald! Verdam... Oh, dieser Schmerz! Gleißende Leere! Hohles Drohen! – Und eine zornige und uralte Stimme in meinem Kopf sagt etwas, das ich nicht verstehe. Ein trist gedimmtes Violett kündet ominös vom tiefen Fall der Sonne und vom Ende eines Zyklus.
Stolpernd und so beschwerlich, als müsse ich mich durch zähesten Morast kämpfen, schaffe ich es bis zur Baumgrenze und zu den ersten Häusern des Dorfes und von da irgendwie auch noch das Stück bis zu meiner Unterkunft, gerade als die Nacht fällt und der bleiche, trunken grinsende Mond sich über der Landschaft erhebt.
***
Meine Haare stehen wild in alle Himmelsrichtungen, wie bei einem Irren. Meine Kleidung ist verschmutzt, und meinen Stock den habe ich verloren. Er ist dort, wo das Ereignis war, im Wald geblieben. Die Kaschemme ist voller Leute. Fast alles grobschlächtige Männer von wenigstens fünfzig Jahren an Alter, abgehalftert, mit ungepflegten halblangen Bärten. Ich torkele und stampfe die Stufen der morschen Holztreppe zu meinem Zimmer hinauf, ohne jemandes Anwesenheit mit einer Begrüßung zu würdigen. Die Kerle ihrerseits starren mich an, in einer schwankenden Mischung von Hohn, Geringschätzung, Misstrauen und Wut.
Ich will weg. Schnellstmöglich. Aber was ist mit meinem Auftrag? Ich bin hungrig, doch ziehe ich nicht einmal in Erwägung, nach unten zu gehen und unter den anderen eine Mahlzeit zu mir zu nehmen. Aus vielen Gründen. Mein Schlaf- und wahrscheinlich mein instinktives Sicherheitsbedürfnis sind letztlich größer als mein akutes Verlangen nach Nahrung. Ich lösche achtlos das Licht und lege mich hin, ohne mich erst noch auszuziehen. Ich schlafe sofort ein.
So man von Erholung überhaupt hätte sprechen können, so ist mir diese nicht lange vergönnt, da mich Geräusche und Stimmen alsbald wieder unsanft erwecken. Allein auch – wie mag man jene dumpfen Albgebilde, welche mich sogleich heimsuchten, Erholung nennen?
Es ist um die Geisterstunde herum – und ohne dass ich dies sicher weiß, ist es so – als ich in meine unwirkliche Wirklichkeit berufen werde. Die Stimmen und Geräusche lassen wenig Zweifel. Draußen vor der Tür meines Zimmers haben sich welche versammelt, die wohl dem ungeliebten Fremden den Rest geben wollen, indem sie auch vor grober Gewalt nicht haltmachen. Ich bin kein großer Kämpfer aber auch nicht das Gegenteil. Alles in mir ruft nach Bereitschaft.
Ein Ohrenbetäubendes Krachen zerschmettert das einfache Schloss und lässt die Tür auffliegen, dass sie mit einem zweiten Krachen an der Wand anschlägt und mich fürchterlich niedergestreckt hätte, wäre ich nicht in Abstand dazu gewesen.
Meine Ausrufe der Empörung und meine hastig hervorgestoßenen Widerstandserklärungen fruchten schon deshalb nichts, weil sie nicht in der Landessprache erfolgen, deren ich bis auf einige notwendige touristengerechte Floskeln nicht mächtig bin. Ich sehe mich einem Dutzend in ihrer Sache entschlossener Finsterlinge gegenüber, von der Sorte wie ich sie zuvor in der Stube unten gesehen habe. Meine Erschöpfung ist kaum gemindert, und meine krampfhaft erhobenen Fäuste wirken lächerlich angesichts der Übermacht. Es dauert nur Sekunden, dann bin ich von allen Seiten umringt und befinde mich überwältigt im eisernen Griff meiner Angreifer. Ihre Augen sind wie schwarze Kohlen, und ihre Gesichter glühen sichtlich vor Erregung. Was sie mit mir vorhaben, weiß ich nicht. Keiner sagt irgendetwas zu mir. Einzig untereinander zischen sie sich vereinzelt und scharf auf ’s Bruchstückhafte reduzierte Weisungen entgegen.
Zwei ihrer Stärksten packen mich unter den Armen und schleppen mich aus dem Zimmer hinaus, die Treppe hinunter und raus aus dem Gebäude, dicht gefolgt und auch von vorne bedrängt von den übrigen. Der Eindruck ist, dass sie doch einen Plan haben. Sie wollen mich verschwinden lassen. Mein einziger hilfloser Trostgedanke ist, dass, wollten sie mich umbringen, sie dies längst hätten tun können. Und auch geschlagen haben sie mich noch nicht. Entweder wollen sie mich also nur irgendwohin wegbringen oder sie haben übleres vor, als ich mir bisher ausmalen mochte.
Diese Entführung – nennen wir es so – vollzieht sich zur Gänze in der Dunkelheit der Nacht, ohne Licht, weder im Haus noch in Form etwa von Fackeln oder Ähnlichem hernach draußen. Das bleiche Licht der Sterne und das des Mondes, der jetzt seinen Zenit erreicht, genügt vollauf, um zu sehen. Rasch wird mir klar, dass sich unsere Gruppe in Richtung der Bahnlinie bewegt, was mich erneut zumindest ein wenig mehr noch Hoffnung schöpfen lässt, die ganze Angelegenheit am Ende wenigstens zu überleben. Meine Gegenwehr habe ich fast aufgegeben. Als wir uns allmählich den schwarzen Silhouetten einer langen Kette von rostigen Güterwaggons und Loren nähern, an welche sich gerade mit metallischem Getöse eine Lok ankoppelt, erlaube ich mir den Trug einer inneren Gewissheit. Plötzlich erhalte ich einen gezielten und wahrscheinlich geübten Schlag an die Schläfe. Nicht in einen der Waggons, sondern in eine der hohen, nur relativ niedrig mit Kohle angefüllten Loren bugsiert man mich ... – so soll ich es mit etwas Verspätung feststellen. – Nein, die Geschichte ist damit keineswegs zu Ende.
Ich komme zu mir, in einem Zustand der ebenso schmerzhaft ist, wie er an subjektiver Bewusstheit grausam ungetrübt erscheint. Anders gesagt, alles an mir tut weh, aber ich vermag noch überraschend klar dabei zu denken, klarer gar als noch zuvor, bevor die Typen das alles mit mir anstellten – so immerhin kommt es mir vor.
Und mein „kalter“ Entschluss – nach dem ich mich umgesehen, mit einer improvisierten Kohlentreppe einen Weg hinaus geschaffen und festgestellt habe, dass man mich wo ich war allein gelassen hat und der Zug nicht mit mir auf und davon gefahren ist – ist geboren aus bitterem, ja männlich blödem Trotz und lautet: So leicht kriegen die mich nicht klein! Ich finde heraus, was hier vorgeht, in den Wäldern, im Dorf – in den Wäldern vor allem, denn darum bin ich hier. Das ist mein Auftrag. Dafür werde ich bezahlt!
Wie dumm! ... Mein Gott!
Die Nacht ist noch dieselbe. Länger als ein, zwei Stunden habe ich nicht bewusstlos gelegen. Ich klettere aus dem Waggon und wende mich in vorgeblicher Vernunft, teils um nicht gleich wieder entdeckt zu werden, von da an in Richtung des Waldes. Wie gesagt, ich tue es bei vermeintlich klarem Verstand, auch physisch ungetrübten Blickes, zugleich – und ich trage diesen lächerlich anmutenden Gedanken mit mir wie ein geschenktes Amulett, das nicht wirkt, wenn man nicht selbst daran glaubt – so, als werde ich heimlichst gelockt oder folge dem stummen, abstrakten Willen des unergründlichen Schicksals, oder etwas anderem, womöglich dem Waldgeist persönlich...
Ein bitteres inneres Lachen lässt in mir keinerlei echte Heiterkeit aufkommen. Meine letzte Erfahrung in der hiesigen Baumwelt war erschreckend und unheimlich und hätte eigentlich mehr als ausreichen sollen, mich zu vertreiben – auch ohne die Hilfe dieser Verbrecher vom Dorf – und mich umkehren zu lassen, nach England, dahin wo ich auch nach eigener Meinung hingehöre. Aber verdammt, ich war irgendwo auch schon immer ein ziemlich sturer Bock, und gerade Widerstand und Drohung die reizen mich erst dagegenzuhalten.
Vielleicht wäre ich sogar am Morgen auf und davon, hätte man mich nicht dazu zwingen wollen! – Wie auch immer, meine Weichen sind nun wohl gestellt, und um mir teuflisch trickreich einen Kompromiss mit meinen Bedenken vorzumachen, sage ich und verspreche ich mir, dass dieser, mein nächster Vorstoß zur Erkundung des Geheimnisses auch der endgültig letzte sei und ich hernach unwiderruflich in die Heimat zurückkehren wolle, gleich welchen Erfolges. – Ich sollte nicht der erste sein, den sein Stolz zugrunde richtet...
Der Wald empfängt mich diesmal in seiner tiefsten Schwärze und ohne jegliche Anmutung einer Pforte. Ich muss schlicht verrückt sein, ihn wieder zu betreten – unter solchen schauerlichen Bedingungen. Meine Nachtsicht ist gut – ein hier lächerlich gewichtsloser Fakt.
Ich dringe tiefer. Schritt um Schritt zieht es mich. Schritt um Schritt...
Mein Gott, das ist es! Wie kann ich meinem Verstand denn nur trauen, wenn ich mich doch verhalte wie eine Marionette, gezogen an Fäden? Wer zieht da? Und wie?! Ein Grauen beschleicht mich. Ein stärkeres und weit tiefer reichendes als ich es beim Anblick und Kontakt jenes blauen Lichtes empfunden habe. Es dringt mir bis ins Mark. Mein Herz pocht, als wolle es meine Brust sprengen und dennoch ... gehe ich weiter!
Ich bin in eiskalten Schweiß gebadet, als ich von neuem das blaue Licht ausmache. Diesmal ist es aber kein Ball, der durchgedreht auf mich zu rast. Nein, diesmal erstreckt es sich schwach über Teile des ganzen Waldes, mit Schwerpunkten da und da, und es ist begleitet von einem unwirklichen, nur beinahe vertrauten Geräusch wie vom Rauschen eines der frühen Fernseher einstmals nach Sendeschluss...
Das blaue Leuchten beginnt, sich um mich zu sammeln, aber auch damit, sich an anderen Orten zu konzentrieren. Es umtanzt mich wie Wetterleuchten. Es flirrt und vibriert und folgt einer nicht fassbaren Choreographie.
Es pocht, begehrt Einlass in mein Bewusstsein und ist in diesem Bestreben nicht zu beschreiben!
Das Ganze hat etwas Faszinierendes. Wäre ich nur Wissenschaftler und nicht auch Mensch ... Doch ich bin Mensch, und ich verspüre eine ungeheure Last sich in und auf mein Schicksal werfen, und ich fühle den Kontakt mit einer mir niemals zuvor so begegneten Macht voller endlosem Zorn und unerschöpflicher Trauer, voller Angst und voller kalten Hasses! Und dann treffen mich die Bilder und die – ich habe kein anderes Wort dafür – die abscheulichen Schreie ... Ich sehe das majestätische Grün, die uralten Stämme und gleichzeitig überall auf der Welt, die Kettensägen, die Äxte, das Blut, ein Meer von Blut und Splittern in einem infernalischen Holocaust!
Ich weiß nicht mehr, ob ich noch leben will. Nur das weiß ich, dass ich es mit dieser Erfahrung nicht mehr lange werde können. Kein Mensch könnte das. Kein Mensch der erlebt hat, was ich erlebe, erlebe wie man die Hölle erlebt. Und dafür dass ich noch lebe, noch atme, noch spreche, gibt es nur einen Grund, nur einen einzigen: Ich trete an Matthew Saws Stelle. – Ich soll ein Botschafter sein!
***
... Und warum? Wofür? – Verfluchtes Geld! Verfluchte Ignoranz! Verfluchte Menschheit!
Oh, Gott! Ich ... man muss es allen sagen! Die Welt muss es wissen! Sie müssen aufhören, die Wälder abzuholzen! Sie müssen damit aufhören! Alle! Es ist Folter – versteht ihr? – Und es hat schreckliche Konsequenzen! Der Wald, überall auf der Welt, er ist Eins – er lebt – er denkt! Er ... – Himmel! – Er hat zu mir gesprochen! Ich habe sein Gehirn gesehen! Dort ...
Oh, Gott, wir dürfen ihn nicht länger quälen! Er schreit um Hilfe! Er schreit nach Rache! – Bitte ...!
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