London Girls - Suzanna Cahill - E-Book
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London Girls E-Book

Suzanna Cahill

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Beschreibung

Jetzt zum Einführungspreis für 3,49€ statt 5,99€ Für die frischgebackene deutsche Abiturientin Sophie geht mit dem Auslandsstudium in London ein Traum in Erfüllung. Endlich kann sie die ländliche Idylle ihrer Heimat gegen die Lichter der Großstadt eintauschen. Kaum angekommen, stolpert sie buchstäblich über den gutaussehenden Upper Class-Boy James, mit dem sie nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Beziehung eingeht. Doch James hat ein Geheimnis und er will unter keinen Umständen, dass Sophie davon erfährt. Nach einem unglücklichen Zwischenfall scheint ihre Liebe zerstört, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.

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Seitenzahl: 424

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Kurzbeschreibung: Für die frischgebackene deutsche Abiturientin Sophie geht mit dem Auslandsstudium in London ein Traum in Erfüllung. Endlich kann sie die ländliche Idylle ihrer Heimat gegen die Lichter der Großstadt eintauschen. Kaum angekommen, stolpert sie buchstäblich über den gutaussehenden Upper Class-Boy James, mit dem sie nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Beziehung eingeht. Doch James hat ein Geheimnis und er will unter keinen Umständen, dass Sophie davon erfährt. Nach einem unglücklichen Zwischenfall scheint ihre Liebe zerstört, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.

Suzanna Cahill

London Girls

Edel Elements

Edel Elements

- ein Verlag der Edel Verlagsgruppe GmbH

© 2022 Edel Verlagsgruppe GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

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Copyright © 2022 by Suzanna Cahill

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Ashera

Lektorat: Nina Krönes

Covergestaltung: Designomicon, München.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-398-4

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Quellennachweise

1

An einem schönen Spätsommerfreitag brachte mich meine Mutter nach Köln zum Bahnhof. Man spürte bereits den nahenden Herbst, denn es war relativ frisch draußen. Obwohl die Sonne ihr Bestes gab, hatte ich mir eine Übergangsjacke über meinen Kapuzenpulli gezogen. Die Temperaturen sollten in den nächsten Tagen noch mal etwas wärmer werden. Zumindest in Deutschland. Meine Mutter half mir mit meinen beiden Koffern, die durch einen etwas zu voll gepackten Reiserucksack komplettiert wurden. Er war ziemlich schwer und ich froh, als wir endlich das Bahngleis erreicht hatten. Dort wartete bereits ein Thalys Richtung Brüssel, was aber nur der erste Teil meiner heutigen Reise sein würde. In Brüssel würde ich in den Euro Star umsteigen, der mich direkt hinein ins Zentrum von London bringen würde. London! Was für ein Traum! Einer, der endlich in Erfüllung gehen sollte. Bereits als Kind hatte es mir diese Stadt angetan, wenn ich mal wieder darüber gelesen, gehört oder Dinge im Fernsehen gesehen hatte. Ich stellte mir diese Stadt unheimlich interessant vor und war schon mehr als gespannt, was ich dort alles entdecken und erleben würde.

„Sophie“, sagte meine Mutter, bevor ich in den Zug stieg. „Bist du sicher, dass du das tun willst? Ganz allein?“

„Ich fürchte, für solche Überlegungen ist es nun zu spät“, erwiderte ich mit einem Lachen, dass sicherer klang, als ich es empfand. Zwar hatte ich mich selbst für ein Studium im Ausland entschieden und alles dafür in die Wege geleitet, aber je näher der endgültige Abschiedstermin rückte, desto unsicherer wurde ich mir, ob es eine gute Idee gewesen war. Sicherlich war London eine bezaubernde Stadt, aber ganz allein auf sich gestellt sein, sich in einer fremden Stadt zurechtzufinden inklusive des neuen Lebensabschnitts als Studentin, diese Dinge bereiteten mir ein seltsames Gefühl in der Magengegend.

„Du weißt, du kannst jederzeit wieder nach Hause kommen, wenn es dir nicht gefällt.“

„Ich weiß. Aber es wird schon alles gut gehen“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Mach’s gut, Mama. Und grüß’ Papa von mir“, meinte ich und stieg dann zügig ein. Ich wollte die Verabschiedung nicht länger als nötig hinauszögern. Ich verstaute das Gepäck im Durchgang zwischen den einzelnen Zugabteilungen. Dort standen die Koffer zwar etwas ungünstig, aber sonst war kein geeigneter Platz dafür frei. Als der Zug anfuhr, stand ich am Fenster und winkte meiner Mutter zu, bis sie außer Sichtweite war. Die Fahrt nach London dauerte sechs Stunden, inklusive einem etwas längeren Aufenthalt in Brüssel Midi. Natürlich hätte ich die Anreise auch einfacher und schneller haben können, indem ich einfach in den Flieger gestiegen und in ca. einer Stunde in London gewesen wäre. Dummerweise litt ich aber an extremer Flugangst und hatte es nicht geschafft, diese zu überwinden. Die Vorstellung, keinen Boden unter den Füßen zu haben, und tausende Meter in der Luft in einem engen Flugzeug zwischen wildfremden Menschen eingepfercht zu sein... Nein, danke! Da nahm ich lieber die zusätzliche Reisezeit in Anspruch und ignorierte die Tatsache, dass ich so etwa eine halbe Stunde unter dem Meeresboden durchfahren musste. Eine Tatsache, die bei mir bei genauerem Hinsehen auch Panik auslösen konnte. Aber das konnte ich mir schönreden, da ich mich immerhin in einem Zug befand und mir einreden würde, es handele sich um einen ganz normalen Eisenbahntunnel.

Kurz nach 17: OO Uhr kam ich in London St. Pancras an. Von dort fuhr ich mit der U-Bahn zur West Kensington Station, in deren Nähe meine Unterkunft für die nächsten Tage lag. Ich hatte mir für die erste Zeit in London ein Hotel gebucht, denn mein Zimmer im Studentenwohnheim konnte ich erst in der nächsten Woche beziehen. Am Ausgang der U-Bahn-Station machte ich direkt Bekanntschaft mit dem Wetter, das genauso war, wie ich es für London erwartet hatte. Der Regen prasselte in Strömen herab und ich ärgerte mich, dass ich beim Packen meiner Sachen nicht daran gedacht hatte, den Schirm im Handgepäck unterzubringen. Das fing ja gut an!

Schnell kramte ich in meiner Handtasche nach dem Zettel, auf dem ich die Adresse meines Hotels notiert hatte. North End Road.

Wo zum Teufel war die bloß? Ich schaute auf meinen Stadtplan und versuchte mich zu orientieren. Glücklicherweise befand ich mich bereits auf der richtigen Straße, schnappte mir meine Koffer und machte mich auf den Weg zu meiner Unterkunft. Nach ungefähr zehn Minuten war ich am Ziel, und das Hotel sah gar nicht mal so schlecht aus. Es war zwar schon etwas in die Jahre gekommen, aber ich mochte den Achtzigerstil, den es ausstrahlte. Außerdem war es günstig. Schnell checkte ich ein und brachte meine Sachen auf mein Zimmer im vierten Stock. Es war klein, aber sauber und mit dem nötigen Komfort ausgestattet. Es gab ein breites Bett, einen Fernseher und ein Bad mit Dusche. Mehr brauchte ich nicht zum Glücklichsein.

Schnell schickte ich meiner Mutter eine Nachricht, dass ich gut angekommen war und versprach, mich später noch einmal ausführlicher zu melden.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, direkt nach meiner Ankunft ein bisschen meine neue Heimat zu erkunden, aber dazu hatte ich jetzt irgendwie keine Lust mehr und das lag nur bedingt am Wetter, an welches ich mich gewöhnen musste, das war mir klar. Abgesehen davon merkte ich, dass der bisherige Tag ziemlich anstrengend gewesen war. Die Verabschiedung, die lange Zugfahrt. Das alles saß mir in den Knochen. Etwas zu Essen musste ich mir aber dennoch besorgen, da mein Magen laut knurrte. Also war mein Plan den restlichen ersten Tag in London ruhig ausklingen zu lassen. Action würde ich sicher in Zukunft noch genug haben.

Nachdem ich mich im Bad kurz frisch gemacht hatte, machte ich mich auf den Weg in den kleinen Supermarkt, den ich vorhin auf dem Weg zum Hotel gesehen hatte.

Dort angekommen, lief ich ein Regal nach dem anderen ab und musste feststellen, dass die Auswahl rar war, aber ich wurde dennoch fündig. Mit einem Fertigsalat, zwei Brötchen, einer Flasche schottischem Mineralwasser, das ich nur wegen des schönklingenden Namens und der Verpackung gekauft hatte, einer Tüte Käsechips und einem Schokoriegel machte ich mich auf den Weg zurück ins Hotel.

Dort kramte ich meine geliebte Jogginghose sowie meinen neuen rosa Kapuzenpulli aus dem Koffer, den ich mitten im Raum ausgebreitet hatte und zog mich um. Dann machte ich es mir mit meiner Ausbeute auf dem bequemen Queen-Size-Bett gemütlich und schaltete den Fernseher ein.

Mal sehen, was die Fernsehanstalten auf der Insel so zu bieten haben. Nach minutenlangem Herumzappen blieb ich am Ende bei einer Folge „Sherlock“ hängen. Die Serie hatte ich schon zu Hause in Deutschland geliebt, und nun kam ich hier auch in den Genuss der Originalversion.

Nachdem ich mit Sherlock und dem Essen fertig war, ließ ich mich rücklings in die Kissen fallen und begann über meine neue Situation nachzudenken. Ich war jetzt tatsächlich in London. In meinem neuen Leben! Ich hoffte, dass das Wetter morgen besser war, denn ich konnte es kaum abwarten, endlich die Stadt zu erkunden.

Ehrlich gesagt war ich froh, aus der ländlichen Idylle meines Heimatortes wegzukommen. Ich mochte mein Zuhause, aber für eine junge Frau mit Fernweh bot unser kleines Dorf einfach zu wenig. Ich wollte frei sein, etwas erleben, tun und lassen können, was ich wollte. Also hatte ich den großen Schritt gewagt und war nun hier, in London. Nicht nur in einer anderen Stadt, sondern direkt in einem anderen Land. Nicht jeder in meinem Umfeld konnte meine Entscheidung nachvollziehen. Doch davon hatte ich mich nicht beeinflussen lassen, sondern war meinem Traum, etwas von der Welt zu sehen, gefolgt. Überwindung hatte es mich dennoch gekostet. Die Angst, zu viel Heimweh zu bekommen, hatte mich in meinem Plan etwas ausgebremst. Aber wer nicht über seinen Schatten springt, kann auch nichts erleben! Meine beste Freundin Amalia hatte in der elften Klasse ein halbes Jahr in Amerika verbracht und in den höchsten Tönen davon geschwärmt. Die Vorstellung, auf eine amerikanische High-School zu gehen, fand ich auch aufregend, aber das war mir dann doch zu weit von zuhause entfernt, dafür fehlte mir damals der Mut.

Dass ich nun doch den großen Schritt ins Ausland gewagt habe, lag an einem Schlüsselerlebnis, das ich zu Beginn der 12. Klasse gehabt hatte und das ich im Nachhinein als Wink des Schicksals interpretierte. In unserem Englisch-Kurs hatten wir damals die Kurzgeschichte „Greyhound Tragedy“ von Richard Brautigan gelesen. Ich mochte diese Geschichte sehr, denn ich konnte zwischen mir und der Protagonistin viele Parallelen entdecken. Die Figur in der Geschichte hegte den Traum, nach Hollywood zu ziehen und berühmt zu werden, traute sich aber nicht mal an die Bushaltestelle zu gehen und nachzufragen, was eine Fahrkarte dorthin kostet. In ihrem späteren Leben konnte sie nicht aufhören, das zu bereuen. Das fand ich so schlimm, dass ich mir schwor, mein Leben sollte nicht so verlaufen!

Letztendlich war es diese Kurzgeschichte, die mir im Hinterkopf herumspukte und mich dazu bewog, mich für ein Studium im Ausland zu bewerben. Um mir diesen Traum zu erfüllen, hatte ich in den vergangenen Jahren und Monaten hart dafür gearbeitet und viel gelernt, für den Aufnahmetest und auch dafür, dass ich meinen Notendurchschnitt halten konnte. Glücklicherweise hatten sich die Strapazen gelohnt und ich ein begehrtes Stipendium bekommen.

Sicher würde die Anfangszeit schwer werden und ich meine Familie und Freunde vermissen. Aber London war ja nicht Australien oder Amerika. Mit dem Flugzeug wäre ich sogar in anderthalb Stunden wieder zu Hause. Vorausgesetzt, ich schaffte es endlich meine Flugangst in den Griff zu bekommen. Im Grunde war die Entfernung ein Katzensprung. Hätte ich mich für eine Uni in Deutschland entschieden, wäre der Weg nach Hause je nach Studienort unter Umständen viel länger gewesen.

An meiner Entscheidung zweifelte ich nicht und war mir sicher, das Richtige getan zu haben. Hier in London würde ich nicht nur lernen, auf eigenen Beinen zu stehen, sondern auch viele Erfahrungen sammeln und interessante Menschen kennenlernen.

London versprach all das und noch viel mehr. Was hatte diese Stadt nicht alles zu bieten? Geschichte, Kultur, Shopping, Nightlife. Und nicht zu vergessen, das royale Flair. London war eine wahnsinnig interessante Stadt, in der es nie langweilig wurde. Man konnte hier genauso gut Action wie Ruhe und Erholung finden. Wobei es damit sicher bald vorbei sein würde. Vermutlich würde die Eingewöhnungszeit an der Uni erstmal stressig werden. Für den Anfang stellte ich mich darauf ein, ziemlich beschäftigt zu sein und für die Freuden des Lebens kaum Zeit zu finden. Aber ich war zuversichtlich, dass ich schnell nette Leute kennenlernen würde, mit denen ich in Zukunft eine tolle Zeit haben würde.

Gegen 21:30 Uhr ging ich ins Bad und machte mich bettfertig. Bevor ich meinen ersten Tag in London endgültig beendete, klappte ich meinen Laptop auf, um ein wenig mit meiner Familie und meinen Freunden zu chatten. Die warteten sicher schon sehnlichst auf Nachricht aus meiner neuen Heimat. Als das erledigt war, machte ich mich bereit zum Schlafen. Der Tag war lang genug gewesen und für morgen hatte ich mir einiges vorgenommen. Ganz oben auf meiner Wunschliste stand Shopping. Ich freute mich wahnsinnig auf die vielen Einkaufsmöglichkeiten der britischen Hauptstadt und die neuesten Trends der Fashion Week. Die letzten Monate hatte ich buchstäblich jeden Cent gespart, um mir meinen Einstand hier zu versüßen. Ein bisschen Sightseeing musste natürlich auch sein. Schließlich war ich bekennende Royalistin und wollte mir unbedingt den Buckingham Palace ansehen.

Nachdem ich das Licht ausgeschaltet hatte, lag ich noch eine Weile wach und dachte nach. Über meine Familie und Freunde, die ich zurückgelassen hatte, aber auch darüber, was die Zukunft wohl bringen würde. Mein Ziel war es, die Zeit in London zu genießen und tolle Erfahrungen zu sammeln. Mit dieser Vorfreude fiel es mir nicht schwer, rasch einzuschlafen.

***

Die erste Nacht in meiner neuen Heimat war wider Erwarten sehr erholsam gewesen. In fremder Umgebung hatte ich oft mit Schlafproblemen zu kämpfen, aber letzte Nacht hatte ich geschlafen wie ein Stein. Vielleicht waren die Aufregung und stressige Anreise der Grund dafür gewesen. Jetzt jedenfalls freute ich mich darauf, endlich einen ersten, richtigen Eindruck von London zu gewinnen.

Als ich die Vorhänge meines Hotelzimmerfensters aufzog, hob das, was ich draußen sah, meine ohnehin gute Laune noch einmal zusätzlich an. Strahlender Sonnenschein! Und das in London, wo es angeblich 364 Tage im Jahr regnete. Es schien, als hätte ich heute den Wetter-Jackpot geknackt.

Schnell zog ich mir meine neue Skinny Jeans mit den Schlitzen am Knie, ein einfaches weißes T-Shirt und darüber ein schwarz-weiß kariertes Hemd an. Die Haare band ich mir zu einem nicht besonders gut gelungenen Dutt zusammen und als Make-up zog ich mir einen schwarzen Lidstrich und trug etwas von meinem Lieblingslipgloss auf. Mehr brauchte ich nicht, um mich wohlzufühlen.

Danach machte ich mich auf den Weg zum Frühstücksbereich des Hotels. Er befand sich im hinteren Teil der Lobby, mit Blick auf den Empfangstresen, aber das störte mich keineswegs. Das klassische englische Frühstück kam für mich nicht infrage, also begnügte ich mich mit Marmeladentoast und einer Banane. Dazu trank ich einen Kaffee mit Milch. Auf dem Weg nach draußen stibitzte ich mir noch einen Apfel für unterwegs. Dann konnte es endlich losgehen.

Ich hatte mir für den Tag nur einen losen Plan gemacht und stieg in die nächstbeste U-Bahn, die vorbeikam, ein. Während der Fahrt entschied ich mich spontan dazu, an der Westminster Station auszusteigen, um von dort meine Erkundungstour zu starten. Um mein Gewissen als angehende Studentin der Kunstgeschichte zu beruhigen, wollte ich zunächst Sightseeing betreiben, um den Tag anschließend auf den Einkaufsmeilen Oxford und Regent Street ausklingen zu lassen.

Als ich aus der U-Bahn-Station heraustrat, bekam ich einen ungefilterten Eindruck davon, was ich über London gehört hatte. Dabei dachte ich, ich wäre durch meine regelmäßigen Ausflüge nach Köln gut auf das Leben in einer Großstadt vorbereitet. Weit gefehlt. Menschenmassen drängten sich aus oder in die U-Bahnstation. Dieses Erlebnis verpasste mir einen kleinen Schock. Solche Ausmaße hätte ich mir nicht vorstellen können. In Köln gab es auch viele Touristen, aber so etwas wie in London hatte ich noch nie erlebt. Um mich herum waren so viele Personen, dass ich kurz die Orientierung verlor und mich panisch umsah. Da stellte ich fest, dass ich genau vor den Houses of Parliament und Big Ben stand.

Der markante Glockenturm war für mich seit jeher das Symbol Londons schlechthin und ihn nun endlich einmal mit eigenen Augen zu sehen, war definitiv das erste Highlight des Tages. Seit ich denken konnte hatte ich davon geträumt, ihn einmal live zu sehen und nun hätte ich ihn beinahe übersehen, falls das überhaupt möglich war. Ich hielt es für das Beste, erstmal aus dem größten Getümmel herauszukommen und tief durchzuatmen. Mit dem Menschenstrom floss ich gleichsam über die Westminster Bridge. So ziemlich in der Mitte hielt ich an, weil mir das nächste Highlight ins Auge stach: das berühmte London Eye.

Ich wollte unbedingt einmal mit dem Riesenrad fahren, aber meine ausgeprägte Höhenangst ließ das im Augenblick nicht zu. Irgendwann würde ich mich hoffentlich überwinden, aber das musste ja nicht gerade heute sein. Fürs Erste reichte es mir, das Millennium Wheel aus gebührender Entfernung zu bewundern.

Ich kramte meinen Stadtplan aus der Tasche und dachte darüber nach, in welche Richtung ich meine Erkundungstour fortsetzen sollte. Nach kurzer Überlegung entschied ich mich für die Reihenfolge Westminster Abbey, Buckingham Palace, St. James’ Park, Piccadilly Circus und von dort zu den Einkaufsstraßen Bond, Oxford und Regent. Auf diese Weise konnte ich die wichtigsten kulturellen Punkte genauso berücksichtigen, wie die wichtigsten Shoppingziele.

Zufrieden mit meinem Plan machte ich mich auf den Weg. Unterwegs hielt ich immer wieder an, um Bilder von historischen Gebäuden zu schießen. In unserer Studienbroschüre war uns wärmstens empfohlen worden, als Einführung ins Studium so viele Bilder wie möglich von Bau- und anderen Kunstwerken zu machen, um sie zu Hause zu analysieren. Diese Übung sollte das Gefühl für die Beschäftigung mit Kunst und Kunstgeschichte fördern.

Da ich schon immer Interesse an Fotografie gehabt hatte, fiel mir diese Aufgabe nicht schwer. Und alte Gebäude übten ohnehin einen besonderen Reiz auf mich aus. Das war sicherlich auch ein Punkt gewesen, warum ich mich nach einigem Hin und Her schließlich für ein kunstgeschichtliches Studium entschieden hatte. Und für London. Denn an kunsthistorisch relevanten Gebäuden mangelte es dieser Stadt auf alle Fälle nicht.

Ich ging die Westminster Bridge zurück und spazierte die Parlamentsgebäude entlang. Von da zog es mich zur Westminster Abbey, dem Ort, an dem Prinz William seine Kate geheiratet hatte. Ein absolutes Muss für royale Fans wie mich!

Da der Eintrittspreis für die Besichtigung sehr hoch war, überlegte ich einen Moment, ob ich mir die Kirche von innen ansehen sollte. Eigentlich hatte ich geplant, das Geld in meiner Tasche heute lieber für trivialere Dinge auszugeben, entschied mich dann aber doch dafür, mir die Kirche anzusehen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Westminster Abbey war sehr sehenswert und das nicht ausschließlich aus kunstgeschichtlich bzw. architektonischer Sicht. Besonders gefiel mir auch die Poet’s Corner, eine Ecke, in der viele berühmte englische Schriftsteller entweder begraben waren oder einen Gedenkplatz erhalten hatten.

Im Anschluss an die Besichtigung machte ich einen kleinen Abstecher in den nahegelegenen Souvenirladen, in dem eine Vielzahl kurioser und lustiger Andenken angeboten wurden. Aber für heute beließ ich es dort nur beim Anschauen.

Als nächstes erreichte ich den Buckingham Palast. Touristen aus allen Herren Ländern drängten sich an den Toren, um auch ja nicht zu verpassen, falls sich einmal ein Mitglied der königlichen Familie nach draußen verirren sollte. Ich schoss reichlich Fotos und machte mich dann auf zum nächsten Highlight, dem St. James’s Park. Ich sah mich gedanklich schon im Sommer mit meinen Büchern hier sitzen und lernen. Es schien ein schöner Ort zu sein, um ein bisschen zu entspannen und die Seele baumeln zu lassen. Hier würde ich in Zukunft öfter mal vorbeischauen. Aus der Ruhe des St. James’-Park ging es wieder mitten hinein in den Trubel. Als ich dem Stadtplan Richtung Piccadilly-Circus folgte, fiel mein Augenmerk auf einen nostalgischen Buchladen. Bücher hatten für mich schon immer etwas Magisches gehabt. Als Kind hatte es für mich kaum etwas Schöneres gegeben, als mit meinen Eltern in solchen Geschäften einkaufen zu gehen. Daher zog es mich unweigerlich hinein. So viel Zeit musste sein. Das urige Interieur begeisterte mich sofort. Augenblicklich wurde ich an Harry Potter erinnert, denn in einem Laden wie diesem würde Hermine bestimmt auch einkaufen gehen. Gedankenverloren wandelte ich durch die Gänge und fand auf Anhieb einige ansprechende Titel. Noch ein Ort also, den ich mir für die Zukunft merken würde. Am Ende kaufte ich zwei Bücher, eins über die Londoner City Churches, teils aus persönlichem Interesse, teils als Vorbereitung auf das Studium, sowie eins über englische Märchen und Sagen. Danach sah ich mir noch den Eros-Brunnen am Piccadilly-Circus an und beschloss dann, es mit dem kulturellen Teil für heute gut sein zu lassen. Ich wollte jetzt endlich einen Einblick in Londons Einkaufsmöglichkeiten gewinnen.

Die nächsten Stunden verbrachte ich in einem wahren Shoppingrausch. Doch nach anfänglicher Euphorie folgte schnell die Ernüchterung, weil ich die Preise eindeutig unterschätzt hatte. Nachdem mir das ganze finanzielle Ausmaß bewusstgeworden war, meldete sich augenblicklich mein schlechtes Gewissen. Um es zu beruhigen, sagte ich mir, dass das nur der Reiz des Neuen war und keine tägliche Routine werden würde. Könnte es auch gar nicht, sonst würde ich finanziell nicht lange überleben und völlig pleite nach Deutschland zurückkehren müssen. Falls ich mir dann überhaupt noch ein Rückreiseticket würde leisten können.

Durch meinen ausgiebigen Shoppingtrip hatte ich die Zeit komplett vergessen. Als ich wieder halbwegs bei Verstand war, merkte ich, dass es bereits nach fünf war und sich allmählich mein Hungergefühl regte. Daher war es höchste Zeit eine Kleinigkeit zu essen. Ich besorgte mir ein Thunfisch-Sandwich, dazu eine Flasche Wasser und wanderte dann mit meiner Ausbeute auf die gegenüberliegende Straßenseite, um dort mein verspätetes Mittagessen zu genießen. Als ich mich nach einem geeigneten Sitzplatz umschaute, sah ich an der Säule empor, die vor mir aufragte und merkte, dass ich mich auf dem berühmten Trafalgar Square befand. So konnte ich direkt eine weitere Sehenswürdigkeit auf meiner Liste abhaken. Ich machte es mir auf den Stufen der Säule bequem und genoss mein Sandwich.

Nach dem Essen blieb ich noch eine Weile dort sitzen und schaute mir das rege Treiben auf dem Platz an. Auf den ersten Blick war London wirklich eine tolle Stadt. Nur allein, das hatte ich die letzten Stunden gemerkt, machte alles nur halb so viel Spaß. Ich konnte es kaum erwarten, dass die Uni endlich losging und ich neue Leute kennenlernte, mit denen ich die Londoner Annehmlichkeiten zusammen erleben konnte. Gerade heute, an einem Samstag, fiel mir das Alleinsein schwer. In Deutschland war ich für gewöhnlich am Wochenende mit meinen Freundinnen unterwegs gewesen. Hier musste ich den Abend allein auf meinem Hotelzimmer verbringen. Aber dieser Zustand würde zum Glück nicht von Dauer sein. Daher beschloss ich, das Beste aus meiner Situation zu machen und den Abend mit Fernsehen und Lesen zu verbringen. Wenn die Uni erst einmal begonnen hatte, war es sehr wahrscheinlich vorbei mit der vielen Freizeit. Meine Nase musste ich dann in Fachliteratur stecken und konnte mir nicht aussuchen, was ich lesen wollte. Ich hatte gehört, dass die englischen Unis, im Vergleich zu den deutschen, anspruchsvoller waren und mehr von ihren Studenten verlangten. Daher war es eine fabelhafte Idee, die letzten beiden Tage noch in vollen Zügen und in Ruhe zu genießen.

Zurück im Hotel bereitete ich mir erneut ein Zimmer-Picknick zu und las dann einige Seiten in meinem neuen Buch. Aber so richtig konnte ich mich darauf nicht konzentrieren. Viel zu sehr beschäftigten mich noch die Eindrücke des Tages. Daher klappte ich das Buch wieder zu und schaltete stattdessen den Fernseher ein. Für den Rest des Abends ließ ich mich von Quizshows, Castingshows und britischen Soaps berieseln, bis ich so müde wurde, dass ich mich schlafen legte.

2

Am nächsten Morgen wachte ich so spät auf, dass ich eine der letzten beim Frühstücksbuffet war und kaum noch etwas Brauchbares vorfand. Dabei hatte ich zeitig aufstehen wollen, denn für den heutigen Tag hatte ich mir vorgenommen, weiteren Londoner Touristenattraktionen, wie Madame Tussaud`s oder der Tower Bridge, einen Besuch abzustatten. Und ich wollte unbedingt eine Stadtrundfahrt in einem Doppeldecker-Bus machen. Das tat ich auch als erstes. Ich kaufte mir ein Tagesticket für die rote Route in einem so genannten Hop on/Hop off-Bus, bei dem man beliebig ein- und aussteigen konnte. Diese Route deckte die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Central London ab, vom mondänen Stadtteil Belgravia im Westen bis zur Tower Bridge im Osten. Glücklicherweise ließ das Wetter es zu, dass ich mich nach oben setzen konnte. Eine Fahrt in einem offenen Bus war schließlich ein noch besseres Erlebnis. Die Fahrt dauerte zweieinhalb Stunden und war sehr spannend und unterhaltsam. Nach meinem gestrigen Trip zu Fuß und meiner heutigen Bustour hatte ich das Gefühl, London schon viel besser zu kennen. Natürlich gab es noch unzählige weitere Attraktionen und Dinge zu sehen und zu erleben, aber einen ersten Eindruck hatte ich nun bekommen. Nach diesem allgemeineren Teil wollte ich mich einer speziellen Sehenswürdigkeit widmen und machte mich auf den Weg zu Madame Tussaud’s, dem berühmten Wachsfigurenkabinett. Natürlich zog es mich dort gleich zu den Royals, denn leider hatte ich bei meinem Besuch am Buckingham Palace keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Dann musste ich eben mit den Wachsfiguren Vorlieb nehmen und mit ihnen ein paar Fotos schießen. Danach schlenderte ich weiter durch die anderen Abteilungen, vorbei an vielen bekannten Persönlichkeiten. Ich war erstaunt, wie lebensecht die Figuren waren.

Nachdem ich das Museum verlassen hatte, machte ich mich auf, um meine erste Portion Fish n Chips zu probieren. Ich schlenderte eine Weile durch die Straßen, bis ich ein gemütliches Restaurant fand. Das schnelle Gericht war sehr fettig, schmeckte aber hervorragend.

Anschließend beschloss ich noch einen Spaziergang durch den St. James`-Park zu machen, um das schöne spätsommerliche Wetter zu genießen. Natürlich war ich nicht die einzige Person mit dieser Idee. Der Park war voller Menschen, aber das störte mich nicht. Vor allem, weil er trotzdem Ruhe ausstrahlte und sich die Massen gut verteilten. Als ich nach einer Weile eine freie Parkbank gefunden hatte, dauerte es nicht lange, bis ich „Besuch“ bekam. Ein possierliches Eichhörnchen hatte sich vor mir postiert und hoffte sicherlich, dass ich etwas zu essen dabeihatte. „Tut mir leid, kleiner Freund“, entschuldigte ich mich. „Ich habe leider nichts dabei, was dir schmecken könnte. Das nächste Mal bringe ich dir was mit, in Ordnung?“ Das Eichhörnchen starrte mich einen Moment an und sprang dann davon, als hätte es die Bedeutung meiner Worte verstanden. Den restlichen Nachmittag verbrachte ich im Park und machte mich dann auf den Weg zurück zum Hotel. Der Spaziergang hatte gutgetan und nun fühlte ich mich für die kommenden Aufgaben gewappnet.

Morgen stand mein erster Tag an der Uni an und damit der offizielle Start eines neuen Lebensabschnitts. Zurück in meinem Hotelzimmer machte ich mich daran, alles vorzubereiten. Ich packte meine Sachen zusammen und überprüfte noch einmal die Dinge, die ich für den morgigen Tag benötigte. Dabei stieg meine Nervosität. Was würde mich wohl erwarten? Die Anforderungen sollten recht hoch sein, aber ich hoffte, dass dies vielleicht nur Gerüchte waren und ich mit Fleiß und regelmäßiger Vorbereitung gut durchkommen würde.

Nachdem ich soweit alles fertig vorbereitet hatte, ließ ich mir ausnahmsweise das Abendessen aufs Zimmer liefern und machte es mir vor dem Fernseher gemütlich.

***

Am nächsten Morgen riss mich mein Wecker bereits um 6:00 Uhr erbarmungslos aus den Federn. Schlaftrunken tastete ich nach dem piepsenden Ding und brauchte einige Sekunden, bis ich es endlich ausgeschaltet hatte. Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen und fragte mich für einen kurzen Moment wo ich war und was für ein Tag heute war.

Es war nicht nur mein erster Tag an der Uni, sondern auch mein letzter Tag im Hotel, denn heute würde ich in ein Studentenwohnheim umziehen. Mein Londoner Studentenleben würde ab heute richtig beginnen.

Nach einem letzten Frühstück in meiner alten Unterkunft packte ich meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg in die Uni. Genauer gesagt, zum Courtauld Institute of Art, das im altehrwürdigen Somerset House untergebracht war. Das Studentenwohnheim, in dem ich glücklicherweise einen Platz bekommen konnte, hörte auf den klangvollen Namen Duchy House und lag nur 50m davon entfernt, was äußerst praktisch war. Neben dem Bezug des Wohnheims standen noch einige andere organisatorische Dinge, wie Stundenplanvergabe und ein Rundgang durch die Uni auf dem Plan, bevor eine einführende Informationsveranstaltung startete. Meine Vorfreude mischte sich mit Nervosität. Auch wenn ich Lust hatte Neues zu entdecken, neue Leute kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln, so machte mich das alles auch etwas unsicher. Schließlich war im Moment noch alles neu und fremd für mich, aber ich versuchte, mich auf die positiven Aspekte dieses neuen Lebensabschnittes zu konzentrieren.

Am Empfang des Wohnheims wurde ich von einem jungen Mann begrüßt, der mich auf mein Zimmer brachte und mir alles erklärte. Das Studentenwohnheim war ein wunderschönes Gebäude aus dem Jahr 1897, wie mir der freundliche Mitarbeiter erklärte. Zudem würden dort bevorzugt Studenten untergebracht, die aus anderen Ländern oder zumindest aus weiter entfernten Orten stammten. Diese Tatsache gefiel mir, denn so konnte ich mit Leuten zusammen sein, die ebenfalls neu in London waren. Ich freute mich schon sehr auf den Austausch mit Leuten unterschiedlichster Herkunft. Das würde sicher interessant werden.

Mein Zimmer bestand aus einem Schlaf-/Wohnraum mit winziger Kochecke und Mikrowelle sowie einem Bad mit Dusche. Es war nicht sonderlich groß, aber für mich vollkommen ausreichend. Nachdem ich meine Sachen provisorisch verstaut hatte, machte ich mich auf den Weg zum Somerset House. Vor dem Hörsaal wimmelte es bereits von Studenten.

Während ich vor der Tür wartete, hatte ich genügend Zeit, mir einen ersten Eindruck von meinen Kommilitonen zu machen. Viele waren miteinander ins Gespräch gekommen, vielleicht kannten sich manche auch schon.

Plötzlich machte sich ein fieses Unbehagen in meinem Magen breit und mir wurde mulmig zumute. Ich wusste nicht genau, wie ich mich in die Gespräche einklinken sollte. Sollte ich mich einfach so dazustellen und mitsprechen? War das nicht total unhöflich? Ich kam mir blöd vor, wie ich da so verloren herumstand, und machte mir Sorgen, dass das vielleicht so bleiben würde. Schnell schüttelte ich den Kopf über meine eigenen Gedanken. Das war nur wieder die Nervosität. Es würde sich mit der Zeit sicher alles regeln.

Endlich ging die Tür auf und die Masse setze sich in Bewegung und strömte in den Raum. Wie ein computergesteuertes Teilchen schloss ich mich an und trat ein. Hilflos sah ich zu, wie sich die Plätze in Sekundenschnelle füllten.

Verzweifelt hielt ich nach einem freien Platz Ausschau, als mein Blick bei einem brünetten, elegant gekleideten Mädchen hängen blieb, das genauso hilflos aussah, wie ich mich fühlte. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte mir in einer Art und Weise zu, die mir zeigte, dass es ihr offenbar ähnlich ging wie mir. Plötzlich zeigte die Unbekannte auf eine Sitzreihe mit freien Plätzen und bedeutete mir, dorthin zu kommen. Dieses Angebot nahm ich nur zu gerne an.

„Puh, ganz schön voll hier, nicht wahr?“, sagte die Brünette als ich bei ihr ankam.

„Allerdings“, antwortete ich erleichtert. Ich war froh, einen Platz gefunden zu haben und mich endlich setzen zu können.

„Ich bin Madeleine“, stellte sich die Brünette vor und reichte mir die Hand. „Aber du kannst ruhig Maddie sagen.“

„Sophie. Es freut mich, dich kennenzulernen.“

„Mich auch. Woher kommst du? Du hast einen charmanten Akzent.“

„Aus Deutschland, aus der Nähe von Köln“, erklärte ich.

„Das ist ja cool. Wie kommt es, dass du hier in London studierst? Hat Köln keine Uni?“ Das Mädchen lachte freundlich.

„Doch, klar. Aber ich wollte nach der Schule mal was Anderes sehen und lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Und London fand ich schon immer interessant. Daher war ich sehr froh, dass ich hier angenommen wurde. Ich war zwar vorher noch nie hier, aber ich habe viel darüber gelesen und gehört. Ich finde London eine sehr faszinierende Stadt.“

Maddie lächelte. „O ja, das ist sie. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, und ich will hier auch sterben. Auch wenn das noch Zeit hat und sich jetzt vielleicht etwas merkwürdig anhört.“

Sie sah mich mit einem warmen Lächeln an, das ich zurückgab. Sie strich sich ihre langen, dunkelbraunen Haare über die Schulter, die einen interessanten Kontrast zu ihren hellblauen Augen boten. Maddie wirkte auf den ersten Blick sehr nett auf mich. Und die Tatsache, dass wir uns zuvor beide etwas verloren gefühlt hatten, schweißte irgendwie zusammen. Sobald der Dozent den Raum betrat, wurde es still im Hörsaal und alle Augen waren auf ihn gerichtet.

Am Ende der Veranstaltung war meine Nervosität komplett verschwunden, denn die Sorgen und Fragen, die mir bezüglich des Studiums im Kopf herumschwirrten, wurden während der letzten anderthalb Stunden allesamt geklärt. Auch wurden uns Mentoren zugewiesen, die wir bei Fragen und Anliegen jederzeit kontaktieren konnten. Nun konnte ich endlich durchatmen und anfangen, mich auf die nächste Zeit zu freuen.

Nach der Einführungsveranstaltung folgte ein Rundgang durch das Somerset House sowie weitere Informationen zum Courtauld Institute of Art. Dieser wurde von zwei Studenten höherer Semester geleitet, die uns auch für weitere Fragen zur Verfügung standen. Bei dem Vergleich unserer Stundenpläne stellte sich heraus, dass Maddie und ich die meisten Kurse gemeinsam hatten, sodass wir uns in Zukunft häufiger über den Weg laufen würden. Und vielleicht könnte sich daraus sogar eine Freundschaft entwickeln. Ein guter Anfang war zumindest gemacht.

3

Die erste Woche an der Uni war eine Art Orientierungswoche, die dementsprechend ziemlich locker verlief. Der eigentliche Unterricht fing erst in der darauffolgenden Woche an, sodass die Dozenten sich in den unterschiedlichen Kursen erstmal nur vorstellten, mit uns den Lehrplan durchgingen und uns über feste Prüfungstermine informierten. Anschließend gab es abends Veranstaltungen, damit sich die Studenten untereinander besser kennenlernen konnten.

Das war gerade für mich als internationale Studentin eine gute Gelegenheit, mich in meiner neuen Umgebung besser einzufinden. Am Ende der Eingewöhnungswoche stand eine sogenannte Kneipentour auf dem Plan, an dem die Studenten loszogen und in verschiedenen Pubs haltmachten. Organisiert wurde dies von der Studentenvertretung. Am Ende war ich um einige Pfund leichter und einige Promille reicher. Dennoch war es ein sehr lustiger Abend und ein krönender Abschluss der ersten Uniwoche.

Meine anfänglichen Bedenken vom ersten Studientag, hier niemanden zu finden, waren unnötig gewesen. Ich schloss Bekanntschaft mit vielen netten Leuten, die nicht nur aus England, sondern aus allen Ecken der Welt stammten. Einige Erstsemester lebten zudem im selben Wohnheim wie ich. Ich lernte auch einen Jungen namens Richard kennen, der wie Maddie aus London stammte, und viele Kurse mit uns gemeinsam hatte. Er war nett und hatte zu sämtlichen historischen und kunstgeschichtlichen Themen, die aufkamen, etwas zu sagen. Das war zu Beginn sehr interessant, auf Dauer aber etwas anstrengend.

Die Ersti-Veranstaltungen brachten Maddie und mich näher zusammen. Wir verstanden uns wirklich gut und hatten gemeinsam viel Spaß. So kam es, dass wir eines Tages beschlossen, uns auch mal außerhalb der Uni zu treffen.

„Hey, wollen wir am Freitag zusammen in den neuen Club gehen, über den im Moment so viel geredet wird?“, fragte Maddie mich bei einem gemeinsamen Mittagessen. „Der soll echt richtig gut sein.“

„Warum nicht? Ich habe gehört, da soll es die besten Cocktails der Stadt geben.“

„Ja, das hab’ ich auch gehört. Und er soll auch bei Prominenten sehr beliebt sein.“ Das war jetzt nicht unbedingt ein Grund für mich, um dem Laden einen Besuch abzustatten. Ich interessierte mich nicht besonders für die VIP’s und Sternchen. Auf einen schönen Abend mit Maddie hatte ich aber Lust.

„Wie hieß der Laden noch gleich?“, fragte ich.

„,The Young & Easy’. Er hat erst vor einem Monat aufgemacht.“

„Okay, dann lass uns dahin gehen.“

„Ich bin dabei.“

Maddie und ich besiegelten unseren Wochenendplan mit einem zufriedenen Lächeln und stießen darauf mit unseren Wasserflaschen an, bevor wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Kurs machten.

Am Freitagabend war es dann soweit. Wir trafen uns an der U- Bahn-Station Piccadilly Circus. Bevor wir uns ins Londoner Nachtleben stürzten, wollten wir etwas essen gehen. Diese Abendplanung erinnerte mich an meine Zeit zu Hause, wo die Wochenenden auch meist nach diesem Schema abgelaufen waren. In dem Moment überfiel mich ein leichtes Heimweh und ein kleiner Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich vermisste meine Familie und Freunde. Tapfer bemühte ich mich, diese Gedanken auf die Seite zu schieben. Schließlich wollte ich meinen ersten richtigen Partyabend in London nicht mit Tränen beginnen und die Stimmung ruinieren.

„Was möchtest du essen?“, fragte Maddie und riss mich somit aus meinen trüben Gedanken. „Hast du auf etwas Bestimmtes Lust?“

„Hm, das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Kannst du irgendwas empfehlen?“

„Also, in London gibt es quasi alles. Fast-Food, Veggie Läden, sämtliche internationale Küchen. Such dir einfach was aus, worauf du Lust hast.“

Ich überlegte einen Moment und entschied mich dann für Italienisch.

„Geht klar“, antwortete Maddie. „Ich kenne da ein tolles Restaurant, das dir sicher gefallen wird.“ Voller Tatendrang nahm Maddie mich an die Hand und zog mich weiter über den Bürgersteig, bis wir schließlich an einem Restaurant mit italienischer Flagge ankamen.

Wir traten ein und ich genoss sofort die gemütliche Atmosphäre, die hier vorherrschte. Es roch herrlich nach Pizza, Oliven und Wein. An den Wänden hingen Bilder von wunderschönen italienischen Landschaften. „Schön hier, oder?“, fragte Maddie und ich nickte lächelnd. Ein Kellner kam auf uns zu und führte uns an einen freien Tisch für zwei. Als Vorspeise wurde uns Bruschetta aufs Haus serviert. Als Hauptgericht bestellten wir beide Pasta und lauschten während dem Essen einem Mann mit Akkordeon, der einen italienischen Schlager nach dem anderen trällerte. Maddie hatte nicht zu viel versprochen, hier war es wirklich toll. Kurzzeitig hatte ich tatsächlich das Gefühl in Italien zu sein und nicht in Großbritannien. Fast ungern verließ ich nach dem Essen das wunderbare Ambiente, aber wir hatten uns vorgenommen, den neuen Club unsicher zu machen. Also zogen wir los.

Für London an einem Freitagabend brauchte man allerdings ziemlich starke Nerven. Ich hatte das Gefühl, alle acht Millionen Einwohner der Stadt waren an diesem Abend gleichzeitig unterwegs.

„Puh, ganz schön voll hier“, entfuhr es mir leicht bedrängt.

„Ja, so ist das nun mal. Aber London hat ja auch eine Menge zu bieten. Bars, Restaurants, Kinos, die Theater im Westend. Hier ist abends für jeden etwas geboten, das ist einer der großartigen Vorzüge meiner Heimatstadt.“

„Ja, da hast du schon recht. Aber ich bin von zu Hause aus einfach etwas weniger Menschen gewohnt. Das ist manchmal etwas beengend.“

Maddie lachte. „Ja, das kann ich mir denken. Aber keine Angst, du gewöhnst dich schon dran.“

Als wir uns endlich bis zum „Young & Easy“ vorgekämpft hatten, sah ich mich mit weiteren Menschenmassen konfrontiert. Der Laden schien wirklich sehr beliebt zu sein, zumindest ließ das die Schlange vor dem Eingang vermuten, und ich hatte gewisse Bedenken, ob wir überhaupt hineinkommen würden. Wahrscheinlich wären wir gerade an der Reihe, wenn es hieß, der Laden sei voll. Oder sie würden uns den Einlass verweigern, weil wir keine Stammgäste oder Promis waren.

„Meinst du wir haben überhaupt eine Chance da reinzukommen?“, fragte ich Maddie.

„Wir versuchen einfach unser Glück. Der Laden ist momentan einfach sehr gehyped, wie du merkst. Seit seiner Eröffnung hat er sich schnell zu einer der Top-Locations entwickelt.“

„Du warst noch nicht hier?“

„Nein, bisher nicht. Ich gehe nicht so gerne in Clubs. Ich bin viel lieber mit Freunden in Restaurants, im Kino oder bei privaten Veranstaltungen. Aber um dir einen guten Einblick in das Londoner Nightlife zu verschaffen, ist das hier genau das Richtige.“ Maddie lachte. Sie war offensichtlich selbst gespannt zu sehen, was es mit dieser Location auf sich hatte. Vorausgesetzt, wir kamen am Türsteher vorbei.

Das war zu meinem Erstaunen leichter als gedacht, denn der Typ winkte uns durch, ohne dass er uns eines näheren Blickes gewürdigt hätte.

Als wir endlich drin waren, machte sich Enttäuschung in mir breit. Der Laden wirkte sehr gewöhnlich auf mich, was mich in Anbetracht des Hypes, den es um ihn gab, überraschte. Ich hatte eine besondere Inneneinrichtung erwartet, etwas Exquisites, da er auch bei Prominenten so beliebt war. Es gab eine große Tanzfläche mit einer langen Theke an der linken Seite. In der hinteren Ecke befanden sich auf beiden Seiten Lounge-Areas. Oben gab es noch eine separate Galerie, vermutlich der VIP-Bereich. Vielleicht gab es ein anderes Detail, dass diesen Club von anderen abhob und ich hatte es nur noch nicht entdeckt.

Die Musik war so laut, dass ich trotz mehrfacher Wiederholung nicht verstand, was Maddie mir mitzuteilen versuchte. Sie gab schließlich auf, zeigte zur Theke und lief los. Ich gab mir alle Mühe, Maddie in dem Gewusel nicht zu verlieren, was meine ganze Konzentration erforderte.

Als wir an der Theke ankamen, beugte sich Maddie zu mir und schrie mir ins Ohr. „Was willst du trinken?“

„Einen Caipirinha, bitte“, schrie ich zurück. Nur wenig später reichte der Barkeeper uns die Getränke. Maddie hatte sich einen Cosmopolitan bestellt.

Dann versuchten wir uns zur Lounge-Area durchzukämpfen, was eine gefühlte Ewigkeit dauerte und mich meinen halben Caipi kostete, den ich zu gleichen Teilen auf mir, dem Boden und anderen Gäste verschüttete. Wir schafften es zur Lounge, doch dort waren alle Sitzgelegenheiten besetzt. Nochmal zurück durch das Gewusel wollten wir nicht, also blieben wir einfach dort stehen.

„Und, wie gefällt dir der Laden?“, rief mir Maddie ins Ohr.

„Zu laut und zu voll“, gab ich ehrlich zurück. „Ich habe irgendwie was Anderes erwartet.“ Maddie pflichtete mir nickend bei. Etwas Positives konnten wir beide bisher nicht sagen. Wir wunderten uns gleichermaßen, dass der Laden so frequentiert wurde. Wer konnte denn Spaß daran haben, sich wie in einer Sardinenbüchse zu fühlen und einen Hörschaden zu bekommen? Nicht einmal der leckere Caipi konnte mich dazu bringen, den Laden in nächster Zeit noch einmal aufzusuchen.

„Hättest du was dagegen, wenn wir nach diesem Drink das Weite suchen?“, fragte ich. „Dieser Club ist irgendwie nicht das Richtige für mich.“

„Für mich auch nicht“, antwortete sie. „Aber immerhin haben wir ihn mal von innen gesehen und können jetzt mitreden.“

Wir kämpften uns zurück zum Tresen, um unsere Gläser abzugeben, und machten uns dann auf den Weg nach draußen, was ebenfalls nicht so einfach war. Selbst die Garderobe war so überfüllt mit Gästen, die ihre Jacken abgaben oder es uns gleichtaten und ihre Sachen holen wollten, um zu gehen. Draußen angekommen strömte uns frische Luft entgegen, was gut tat. Dafür dröhnten meine Ohren heftig, was sehr unangenehm, war.

„Keine Ahnung, warum dieser Laden einer der angesagtesten Locations in London sein soll“, wunderte ich mich. „Den kann man vermutlich nur ertragen, wenn man von Pillen und Alkohol zugedröhnt ist und ohnehin nicht mehr viel mitbekommt.“

Maddie lachte auf. „Ja, wahrscheinlich.“

„Weißt du, worauf ich stattdessen richtig Lust hätte?“, sprudelte es aus mir heraus.

„Auf was?“, fragte Maddie neugierig.

„Auf ein Bier in einem typisch englischen Pub. Das hat mir schon in der Einführungswoche so gut gefallen. Sind wir doch mal ehrlich: Die angesagten Clubs heutzutage sehen doch in jeder Stadt und in jedem Land gleich aus. Dieselbe Musik, das gleiche Publikum. Ich will lieber was richtig Englisches haben. Ich will das nächste Mal in einen Pub.“

Maddie schmunzelte, schien aber zu verstehen, was ich meinte. „Also, dann weiß ich schon, wie wir den morgigen Abend verbringen werden. Und ich weiß auch schon genau, wo wir da am besten hingehen.“

***

Bevor wir einen erneuten Versuch ins Londoner Nachtleben wagten, trafen Maddie und ich uns am nächsten Morgen zu einem ausgedehnten Brunch. Einen Kater hatte an diesem Morgen zum Glück keine von uns beiden, was nach nur einem alkoholischen Getränk auch komisch gewesen wäre. Ich nutzte unser gemütliches Beisammensein dazu, etwas Näheres über Maddies Beziehungsstatus zu erfahren.

„Sag, mal wie sieht es bei dir eigentlich so mit der Liebe aus?“, fragte ich nach einer Weile betont beiläufig. „Gibt es da jemanden in deinem Leben?“ Maddie verschluckte sich prompt, klopfte sich auf den Brustkorb und hustete wild. Ob meine Frage einen wunden Punkt getroffen hatte oder ob es nur Zufall war, wusste ich nicht.

„Nein, zurzeit nicht“, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Ich bin Single und glücklich, wie man so schön sagt.“

Dann nahm sie noch einen Schluck aus ihrem Glas, diesmal ohne sich zu verschlucken.

„Und wie steht’s bei dir?“

„Fehlanzeige“, antwortete ich. „Ich war die letzten drei Jahre in einer Beziehung, aber wir haben uns nach dem Abschluss getrennt“.

„Oh, das tut mir leid, Sophie“, meinte Maddie liebevoll. „Das muss es nicht“, gab ich Entwarnung. „Wir haben uns einvernehmlich und im Guten getrennt. Wir wussten, dass es auf Dauer nichts werden würde, wenn ich zum Studium nach London und er nach München gehen würde. Aber es hat auch schon vorher gekriselt bei uns, also war es nur eine logische Konsequenz.“ Maddie nickte verständnisvoll.

„Vielleicht lernen wir ja heute Abend jemand Nettes kennen“, meinte sie aufmunternd. „Man weiß ja nie, wann und wo der Richtige einem über den Weg läuft.“

„Ja, wer weiß. Wann wollen wir denn heute los, um unser Glück zu versuchen?“, fragte ich und lachte.

„Ich muss heute Nachmittag erst noch zu einer Familienfeier. Ich würde vorschlagen, wir treffen uns um halb acht bei dir. Und dann fahren wir zusammen zu einem typisch englischen Pub, so wie du es dir gewünscht hast.“

„Das hört sich nach einem guten Plan an“, befand ich und hob die Hand zu einem Highfive, in das Maddie einschlug.

„Und was hast du bis dahin noch so vor?“, wollte sie von mir wissen.

„Ach, nichts Besonderes“, antwortete ich. „Vielleicht sehe ich mir mal ein Museum an. Das Natural History Museum soll ja ganz gut sein.“

„Ja, das ist es auch. Oder das V&A, Tate Modern, National Portrait Gallery oder, falls du es etwas actionreicher magst, das Imperial War Museum“, erläuterte Maddie. „Hier in London gibt es für jeden Geschmack das richtige Museum.“

„Ja, den Eindruck habe ich auch. Aber ich denke, ich fange mit dem Natural History Museum an. Mein Reiseführer sagt, dass ist ein absolutes Muss wenn man in London ist.“ Maddie gab mir mit einem nach oben gereckten Daumen ein Zeichen, dass sie das für eine gute Wahl hielt.

Als ich später am Museum ankam, gab es dort bereits eine ziemlich lange Schlange vor dem Eingang. Offenbar war ich an diesem Tag nicht die Einzige, die dem Rat aus dem Reiseführer gefolgt war. Mist! So einen Andrang vor einem Museum hatte ich in Deutschland noch nicht erlebt. Ich verspürte keine besondere Lust, mich dort anzustellen und machte mich stattdessen auf den Weg zum Victoria und Albert Museum. Während ich die wenigen Meter dorthin zurücklegte, dachte ich über eine Tatsache nach, die mir schon jetzt besonders gut an London gefiel. Der Eintritt in die meisten Museen, im Unterschied zu Deutschland, war kostenlos. So musste ich also für Kulturelles nicht wirklich Geld auf die Seite legen. Als Studentin in einer Stadt mit hohen Lebenskosten war das wirklich ein Plus. Und auch das Victoria und Albert Museum bot den Besuchern freien Eintritt.

Als ich durch die Eingangstür eintrat, wurde ich in der Eingangshalle völlig geflasht. Das Victoria und Albert Museum, kurz V&A genannt, war bekannt dafür, die weltweit größte Sammlung von Kunstgewerbe und Design zu beherbergen. Da ich es unmöglich schaffen konnte, mir alles an einem Tag anzusehen, beschloss ich, mir fürs Erste drei Themenbereiche vorzunehmen, die ich mir näher anschauen wollte. Gemäß meinen persönlichen Vorlieben waren das die Abteilungen Fotografie, Gemälde sowie Theater und Performance. Ich vergaß bei meinem Rundgang völlig die Zeit, denn es gab so viele interessante Dinge zu sehen. Meine letzte Station führte mich in die Abteilung Theater und Performance. Hier gab es unter anderem Informationen über Theatergeschichte, Shakespeare, Kostüme und Schauspieler. Besonders interessant fand ich die Geschichte des britischen Theaters vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Zum Abschluss machte ich dann einen Abstecher in die Schauspieler-Abteilung. Dort gab es eine breite Auswahl an Biographien von Filmlegenden. Gebannt blieb ich vor dem Portrait von Laurence Olivier stehen. Den hatte ich schon immer gemocht. Nicht zuletzt deshalb, weil er zeitweise mit Vivien Leigh verheiratet gewesen war, der Hauptdarstellerin meines absoluten Lieblingsfilms „Vom Winde verweht.“ Ich stand auf Klassiker. Stummfilme und die späteren „Talkies“, Tonfilme in schwarz-weiß, waren für mich ein Symbol längst vergangenen Hollywood-Glanzes. Ich kramte in meiner Tasche nach meiner Kamera, um schnell ein paar Fotos zu schießen, was hier glücklicherweise erlaubt war.

Als ich einen Schritt zurückging, um das Porträt besser fotografieren zu können, rempelte ich heftig eine Person hinter mir an. Erschrocken drehte ich mich um und ließ dabei meine Tasche fallen, mit der Folge, dass sich der ganze Inhalt über den Museumsboden ergoss. „Oh, sorry“, murmelte ich peinlich berührt und merkte, wie mir die Wärme ins Gesicht stieg. Ohne die andere Person eines näheren Blickes zu würdigen, bückte ich mich hastig, um meine Sachen wieder einzusammeln. Das angerempelte Opfer tat es mir in britischer Gentleman-Manier gleich, und als wir beide zeitgleich nach meinem Notfallparfümfläschchen griffen, berührten sich flüchtig unsere Finger. Erschrocken und mit heißen Wangen blickte ich auf und sah in die strahlendsten blauen Augen, die ich jemals gesehen hatte. Für einen kurzen Moment war ich wie paralysiert und konnte nichts Anderes tun, als den jungen Mann anzustarren. Er schenkte mir ein zaghaftes Lächeln, und ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit. Dann wandte er seinen Blick abrupt ab und widmete sich wieder dem Aufsammeln meines Tascheninhalts. Als dies endlich geschafft war, standen wir beide zeitgleich auf.

„Danke“, sagte ich etwas verlegen.

Mein Gegenüber schien sich nicht viel wohler zu fühlen, wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. Er war schlaksig und hatte verwuscheltes braunes Haar.

„Ach, nichts zu danken“, antwortete er, senkte seinen Blick und kratzte sich dabei verlegen im Nacken.

Mir war die ganze Situation so unangenehm, dass sich mein Fluchtinstinkt regte und ich nur noch schnellstmöglich entkommen wollte. Dennoch fand ich es angebracht, mich für meine Ungeschicktheit zu entschuldigen. „Tut mir echt leid, dass ich dich angerempelt habe“, stammelte ich verlegen. „Aber ich war so von Laurence Olivier fasziniert, dass ich nicht auf meine Umwelt geachtet habe.“

Dem jungen Mann schien die Auflockerung der Situation sehr willkommen. „Keine Sorge, ist ja nichts passiert. Außerdem kann ich dich verstehen. Laurence Olivier ist wirklich faszinierend.“

Genau wie du, schoss es mir durch den Kopf. Schnell versuchte ich, diesen Gedanken zu verdrängen.

„Ich versuche immer, mich an ihm zu orientieren“, ergänzte er. „Er ist mein schauspielerisches Vorbild.“

Ich wurde hellhörig. „Du meinst, du bist Schauspieler?“

„Na ja, nebenberuflich, wenn man so will. Ich spiele regelmäßig Theater. Eigentlich studiere ich Jura. Aber meine große Leidenschaft ist die Schauspielerei.“

„Wow, das klingt toll“, sagte ich beeindruckt.

„Ja, das ist es auch“, erwiderte er und lächelte dabei so süß, dass ich weiche Knie bekam. „Ähm, wie ist dein Name, wenn ich fragen darf?“

„Sophie“, antwortete ich.

„Sophie“, wiederholte er. „Wie Sophie Marceau. Das kann ich mir merken. Es freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin James.“

„Wie James Middleton“, fuhr es wie aus der Pistole geschossen aus mir heraus. James schaute mich verunsichert an. Anscheinend hatte er keine Ahnung, dass er seinen Namen mit dem Schwager von Prinz William teilte. „James Middleton ist der Bruder von Kate Middleton“, klärte ich ihn auf.

„Oh“, sagte er lachend und kratzte sich wieder im Nacken. „Damit kenne ich mich nicht so aus. Also dann, ich muss los.“ Er hob die Hand zum Abschied und dann - war er auch schon weg.

Einen Moment lang sah ich ihm hinterher und ärgerte mich tierisch, dass ich ihn nicht mit einem Schauspieler verglichen hatte, da es doch seine Leidenschaft war. James Stewart oder noch besser: James Dean. Nein, mir musste ausgerechnet einer der Royals als erstes in den Sinn kommen, na prima.

Aber abgesehen davon, was war das eben bitte? Zwei Personen, die sich zufällig anrempeln und dann herrscht zwischen ihnen eine elektrisierte Spannung, sobald sich die Blicke treffen? Das war mal filmreif. Als hätte das Schicksal diese Begegnung geplant.