Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern - Andrea Brackmann - E-Book

Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern E-Book

Andrea Brackmann

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Beschreibung

Erste Hilfe bei Long Covid und ME/CFS - Die erfolgreiche Pacing-Methode erstmals angewandt bei Long Covid - Mit Meditations- und Imaginationsübungen Leiden Sie unter Erschöpfung und Atemnot? Fallen Ihnen schon kleine Aktivitäten wie Zähneputzen, Duschen oder Einkaufen schwer? Die Symptome, unter denen Long-Covid-Betroffene leiden, sind größtenteils identisch mit den Symptomen des Chronischen Fatigue Syndroms (ME/CFS). Mithilfe der Pacing-Methode, einer Technik des Energiemanagements, gelingt es Betroffenen, wieder mehr Lebensqualität zu gewinnen und ihren Alltag besser zu meistern. Zusätzlich bietet das Workbook mentale und psychologische Strategien zur Bewältigung der Erkrankung, wie z. B. Imaginations-Übungen und Tools zur seelischen Stärkung.

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Seitenzahl: 188

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Dies ist der Umschlag des Buches »Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern« von Andrea Brackmann, Katharina Jänicke

Andrea BrackmannKatharina Jänicke

Long Covid und Chronisches Erschöpfungssyndrom lindern

Das Pacing-Selbsthilfebuch

Klett-Cotta

Impressum

Die digitalen Zusatzmaterialien haben wir zum Download auf www.klett-cotta.de bereitgestellt. Geben Sie im Suchfeld auf unserer Homepage den folgenden Such-Code ein: OM86085

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Weiß-Freiburg GmbH, Freiburg

unter Verwendung einer Abbildung von Angelina Bambina / iStock by Getty Images

Gesetzt in den Tropen Studios, Leipzig

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN978-3-608-86085-6

E-Book ISBN978-3-608-12268-8

PDF-E-Book ISBN978-3-608-20662-3

Audio Download ISBN 978-3-608-86086-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Inhalt

Einleitung

Teil I

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

1 Was ist Long Covid und

ME/CFS

?

1.1 Begriffsdschungel

1.2 Langzeitfolgen einer Virusinfektion

1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

1.4 Checklisten der Symptome bei Long Covid und

ME/CFS

2 Der lange Weg zur Diagnose

2.1 Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern

2.2 Schweregrade und Verlauf von

ME/CFS

und Long Covid

2.3 Stationen der Odyssee

3 Was sagt die Forschung?

3.1 Stand der Forschung

3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung

Teil II

Das Pacing-Selbsthilfebuch

Pacing

lernen Schritt für Schritt

4.1 Was ist

Pacing

und wie hilft es Betroffenen?

4.2 

PEM

, Crash und der »Push and Crash Cycle«

4.3 Leere Batterie und Spoon-Theorie – zwei Modelle zur Beschreibung der Erkrankung

4.4 

Pacing

Basics

Pacing

Praxis: Hilfen zur Selbstbeobachtung

5.1 Das Symptomtagebuch

5.2 Schrittzähler und Pulsuhr

5.3 Aktivitäten einordnen und bewerten

5.4 Was sind Ihre Energiefresser?

5.5 Das Aktivitätenprotokoll

5.6 Wie kann die Symptom-Ampel helfen?

6 Konkrete Schritte planen und

Pacing

erproben

6.1 Pacing

mit der Symptom-Ampel

6.2 

Pacing

mit dem Aktivitätenprotokoll

6.3 

Pacing

mit der Baseline

6.4 

Pacing

mit Routinen

6.5 

Pacing

Up: Aktivitäten erweitern

7 Praktische Hilfen für ein erfolgreiches

Pacing

7.1 Umsetzung im Alltag

7.2 Erste Hilfe beim Crash

Teil III

Schwacher Körper – reger Geist: Mit der Erkrankung leben

8 Tools zur Krankheitsbewältigung und seelischen Stärkung

8.1 Zwischen radikaler Akzeptanz und Hoffnung

8.2 Lebensqualität im Miniaturformat: Den Alltag neugestalten

8.3 Verständnis im sozialen Umfeld schaffen

8.4 Krankheitsscham

8.5 Erstmals im Überfluss: Ruhe und Zeit

8.6 Hobbys und Aktivitäten: Was geht noch?

8.7 Trauer, Wut und Resignation

8.8 Das Innere Zuhause

9 Mentale Techniken

9.1 Meditationsübungen und Entspannungstechniken

9.2 Imaginationsübungen

9.3 Grübel-Stopp und Problem-Sprechstunde

Schlusswort

Dank

Literatur

Anlaufstellen und Webadressen

Übersicht Download Material

… and when we crash we disappearso you never see us at our worst.

Jennifer Brea

Einleitung

Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, haben Sie vermutlich schon einen längeren Leidensweg hinter sich. Sie sind vielleicht schon lange schwer krank, haben viele Ärzt:innen aufgesucht, zahlreiche Untersuchungen durchführen lassen und einige Behandlungen ausprobiert. Sicher haben Sie auch viel im Internet recherchiert und nach Ursachen Ihrer Erkrankung gesucht. Möglicherweise sind Sie irgendwann durch Zufall auf die Begriffe »Chronisches Erschöpfungssyndrom« (ME/CFS), »Long Covid« oder »Post Covid« gestoßen. Oder Sie haben bereits eine gesicherte Diagnose erhalten, warten aber verzweifelt auf eine geeignete Therapie.

Uns, den beiden Autorinnen dieses Buches, erging es ebenso: Wir wissen, was es heißt, über viele Jahre so krank zu sein, dass man das Haus kaum noch verlassen kann, chronische Schmerzen hat und einen Großteil des Tages im Liegen verbringen muss. Wir wissen, was es heißt, ständig auf Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Wir wissen auch, was es bedeutet, geistige und körperliche Aktivitäten und soziale Kontakte auf ein Minimum beschränken zu müssen: Ein Telefonat mit einem:r Freund:in, das etwas zu lange dauert, Duschen und gleichzeitig Haarewaschen, ein gutes Essen kochen – das alles kann zu tagelangen Schmerzen und extremer Schwäche führen.

Wir kennen auch die quälende Unsicherheit darüber, welche genauen Ursachen unsere Erkrankung hat und keine Ärzt:innen zu finden, die helfen können. Wir leiden beide an postviralem ME/CFS, Andrea Brackmann seit elf Jahren, Katharina Jänicke bereits seit früher Jugend.

Vielleicht haben auch Sie mit der Zeit notgedrungen versucht, selbst herauszufinden, welche Hilfen und Therapiemöglichkeiten es für Ihre Erkrankung gibt, sich im Netz mit anderen Betroffenen ausgetauscht oder die Forschung zu ME/CFS und Long Covid in anderen Ländern verfolgt. Und vielleicht haben Sie sich auf diese Weise bereits einiges an Wissen angeeignet, sind so selbst zum Experten oder zur Expertin ihrer Krankheit geworden und versuchen, sie in Eigenregie zu managen, so gut es eben geht. Dies ist auch bei uns, den Autorinnen, der Fall. Als Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin verfügen wir über medizinische Grundkenntnisse, sind aber keine ausgebildeten Medizinerinnen. Durch langjährige Recherchen und eigene Erfahrungen mit postviralen Syndromen haben wir uns jedoch im Laufe der Zeit ebenfalls gewissermaßen zu »Expertinnen« entwickelt. Das Wissen, das wir über viele Jahre gesammelt haben, möchten wir hier nun mit anderen Erkrankten teilen.

Das Buch richtet sich also in erster Linie an die Betroffenen selbst. Es ist aber ebenso für Ärzt:innen, Pflegekräfte, Psychotherapeut:innen und andere Aktive im Gesundheitswesen nützlich.

Der Inhalt basiert auf neuesten wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen. Die Lektüre ersetzt jedoch keine ärztliche Untersuchung, Diagnose und Behandlung.

Für Schwerstkranke, die vollständig bettlägerig und konstant auf Pflege angewiesen sind, sind unsere Ausführungen leider nur sehr bedingt geeignet. Dies gilt auch für die spezielle Problematik erkrankter Kinder. Zu beiden Themen finden Sie Hinweise im Anhang.

Herzstück dieses Buches ist das Pacing-Selbsthilfebuch. Es wurde von Katharina Jänicke (M. A. Clinical Casework) auf Basis langjähriger Recherchen sowie der Online-Beratung zahlreicher Betroffener entwickelt. Alle Arbeitsblätter, die in diesem Buch angeführt sind, stehen für den Download auf der Verlagswebsite unter Eingabe des entsprechenden Codes (siehe S. 4) zur individuellen Bearbeitung zur Verfügung. Die Pacing-Methode ist keine Therapie im eigentlichen Sinn und verspricht keine Heilung, ist jedoch ein elementarer Baustein zum besseren Umgang mit postviralen Erkrankungen. Die Betroffenen fühlen sich oft allein gelassen und ratlos – die Pacing-Methode hilft, ein Gefühl der Kontrolle zurückzugewinnen und selbst aktiv an einer Verbesserung mitwirken zu können.

Im ersten Teil des Buches wollen wir versuchen, ein wenig Klarheit zum aktuellen Stand von Definitionen, Diagnosekriterien und Forschung zu schaffen. Da momentan in Deutschland und weltweit – endlich! – zahlreiche Forschungsprojekte zu Long/Post Covid und ME/CFS anlaufen, sind unsere Ausführungen vorläufiger Natur, vieles kann sich in absehbarer Zeit ändern.

Im dritten Teil werden psychologische Strategien und mentale Techniken vorgestellt, die zusätzlich helfen sollen, besser mit der Krankheit umzugehen. Man spricht hier vom sogenannten »Coping«. Während beim Pacing das Haushalten mit der physischen Energie im Vordergrund steht, handelt es sich beim Coping um das Erlernen von Methoden zur besseren Bewältigung der seelischen Belastungen durch die Krankheit. Es geht dabei keinesfalls darum, die Schwere der Erkrankung zu relativieren und die Verantwortung für deren Bewältigung allein in die Hände der Betroffenen zu legen. Sie sollen sich keineswegs mit ihrer Situation abfinden. Wir unterstützen ausdrücklich sämtliche Forderungen von Patientenorganisationen, wie z. B. der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS oder Fatigatio e. V., nach angemessener und umfassender medizinischer Versorgung. Solange postvirale Syndrome jedoch als nicht heilbar gelten, soll dieses Buch als Kompass und stützender Begleiter dienen.

Teil I

Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

1 Was ist Long Covid undME/CFS?

1.1 Begriffsdschungel

Schon allein die Vielzahl an Bezeichnungen der beiden Krankheitsbilder, um die es hier gehen soll, zeigt, wie vielfältig sie in Erscheinung treten und wieviel Unklarheit darüber noch besteht.

Von Long Covid spricht man strenggenommen, wenn über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen nach der akuten Corona-Infektion noch deutliche Beschwerden bestehen. Werden diese chronisch und bestehen über Monate oder Jahre, spricht man von Post Covid. Allerdings ist der Begriff »Long Covid« seit einiger Zeit in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und wird sowohl von Patientenverbänden als auch von manchen Fachleuten verwendet. Daher haben wir uns im Titel unseres Buches und im Text für diesen Begriff entschieden.

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist »Long Covid« der Überbegriff für beide Krankheitsformen. Vor kurzem wurde jedoch »Post Covid« als eigenständige Erkrankung in das Internationale Handbuch zur Klassifikation von Krankheiten und Gesundheitsproblemen (ICD-10) unter der Bezeichnung Post-Covid-19-Zustand aufgenommen (Diagnoseschlüssel U 09.9). In der Fachwelt scheint sich wiederum zunehmend die Formulierung Post-Covid-Syndrom (PCS) durchzusetzen.

Mit der Bezeichnung ME/CFS verhält es sich nicht viel anders: Manche sprechen vom Chronischen Erschöpfungssyndrom, manche vom Chronischen Fatigue-Syndrom oder Chronic Fatigue, andere von Myalgischer Enzephalomyelitis, d. h. von entzündlichen Prozessen im zentralen Nervensystem. Im ICD-10 fand man bis 2022 die Bezeichnung Chronisches Müdigkeitssyndrom, das unter neurologischen Erkrankungen geführt wird.

Die etwas verwirrenden Begrifflichkeiten spiegeln nicht nur die äußerst langsamen Fortschritte in der Forschung zu ME/CFS wider, sondern auch den jahrelangen Kampf vieler Patientenorganisationen um eine zutreffende Bezeichnung ihrer oft schweren Erkrankung, die mit »Müdigkeit« oder »Erschöpfung« nicht einmal annähernd umschrieben ist.

Seit einer Änderung im Jahr 2023 lautet die Diagnose in der deutschen Übersetzung des ICD-10 nun: Chronisches Fatigue-Syndrom bei Immundysfunktion. Eingeschlossen sind die Diagnosen Myalgische Enzephalomyelitis (ME) und Postvirales (chronisches) Müdigkeitssyndrom (Code 93.3). Im kommenden ICD-11 ist wiederum vom Postviralen Fatigue-Syndrom die Rede (Code 8E49). Im Titel haben wir uns nach reiflicher Überlegung für den gängigsten und am besten bekannten Begriff entschieden, um auch diejenigen Betroffenen anzusprechen, die die Fachbegriffe noch nicht kennen. Da sich jedoch im medizinischen und gesundheitspolitischen Bereich die Bezeichnung ME/CFS immer mehr durchsetzt und sie uns am zutreffendsten erscheint, möchten wir sie hier im Buch verwenden.

Auch die Erscheinungsformen der Erkrankungen selbst sind vielfältig, wechselhaft und oft schwer in eine einzelne Kategorie zu fassen. Bei Long Covid werden etwa 20 verschiedene Symptome beschrieben, bei ME/CFS sind es rund 30. Mal ist der Beginn abrupt, mal schleichend. Es gibt in beiden Fällen milde, moderate und schwere Formen. Mal ist der Auslöser eindeutig, mal bedarf es einer langen Suche danach. Mal dauern die Erkrankungen einige Monate, mal Jahre oder sogar Jahrzehnte. Manche Patient:innen berichten von längeren besseren Phasen, bei anderen verschlechtert sich das Befinden im Laufe der Zeit kontinuierlich. Bei den einen steht mehr eine schwere Erschöpfung im Vordergrund, bei anderen mehr eine Schmerzsymptomatik.

Beide Erkrankungen haben jedoch eines gemeinsam: Sie treten in aller Regel nach der Infektion mit einem Virus auf. Vereinfachend könnte man sie daher unter dem Begriff »postvirale Syndrome« zusammenfassen (Kedor et al. 2022).

1.2 Langzeitfolgen einer Virusinfektion

Endlich ist der Infekt überstanden, man hat viele Tage im Bett verbracht, hatte Fieber, Husten und Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen und konnte nicht arbeiten. Man fühlt sich noch etwas schlapp, aber allmählich geht es besser. Endlich kann man wieder aktiv sein und zur Arbeit gehen, vieles ist liegengeblieben. Nach dem ersten Arbeitstag fühlt man sich noch abgeschlagen und müde, der Kopf dröhnt. Wahrscheinlich ist der Infekt doch noch nicht ganz auskuriert, es dauert einfach noch ein paar Tage. Am Ende der Arbeitswoche ist man jedoch so erschlagen und kaputt, dass man zwei Tage nur auf dem Sofa liegen und schlafen kann. Wohl oder übel muss man sich nochmals krankschreiben lassen, um den Infekt wirklich in Ruhe auszukurieren. Nach einer weiteren Woche zu Hause ist man nun wirklich erholt, geht wieder arbeiten, treibt Sport, trifft Freunde. Doch schon nach wenigen Tagen erlebt man einen Zusammenbruch aller Kräfte.

Postinfektiöse Folgeerkrankungen gibt es schon seit langer Zeit, sie sind aber bislang kaum erforscht. Sie können nach Influenza-Infekten, Herpes-Infekten, Eppstein-Barr-Infekten (EBV), einer gewöhnlichen Erkältung oder nach einem Covid-Infekt auftreten (Jason et al. 2021). Seit die Häufigkeit solcher Syndrome im Zuge der Covid-19-Pandemie stark zugenommen hat, sind sie oftmals Thema in den Medien, und die medizinische Forschung wird darauf aufmerksam. Von Long Covid sind schätzungsweise rund fünf Millionen Menschen betroffen, vom Chronischen Fatigue-Syndrom zwischen 250.000 und 400.000. Bei beiden Erkrankungen geht man von einer hohen Dunkelziffer aus, da die Betroffenen ihre Beschwerden oft gar nicht mit dem Coronavirus oder anderen Viren in Zusammenhang bringen und von Ärzten häufig Fehldiagnosen oder gar keine Diagnose erhalten. Angesichts dieser hohen Zahlen sind die wenigen Fachambulanzen nach eigenen Angaben hoffnungslos überlaufen. Daher hat der Deutsche Bundestag im Januar 2023 erstmals Maßnahmen zur Versorgung von Long Covid- und ME/‌CFS-Erkrankten beschlossen.

Es ist wie ein schwerer Infekt, der einfach nicht mehr aufhört – so fassen es viele Patient:innen zusammen. Die akute Infektion ist vorüber, aber man bleibt weiterhin krank. Man spricht hier vom Status »kranke Genesene«.

»Vor dem Corona-Infekt habe ich Leistungssport gemacht, jetzt komme ich kaum mehr eine Treppe hoch«, beschreibt es eine junge Patientin. »Ich kann nicht mehr arbeiten und mich kaum um meine Familie kümmern«, erzählt ein Vater mit ME/CFS, »ich war immer topfit und hätte nie gedacht, dass ich schon mit 34 Jahren auf Hilfe angewiesen sein würde.« »Ich fühle mich seit Jahren, als hätte ich immer noch eine schwere Grippe«, sagt eine Verkäuferin, ebenfalls an ME/‌CFS erkrankt. Eine Studentin, die seit knapp zwei Jahren an Long Covid leidet, berichtet: »Das Highlight meines Tages ist, wenn ich mich zum Essen eine halbe Stunde aufrecht hinsetzen und fernsehen kann.«

1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die führende Expertin für ME/CFS in Deutschland, Professorin Carmen Scheibenbogen, dokumentierte als eine der ersten, dass ME/CFS in den meisten Fällen nach einem Virusinfekt auftritt. Seit der Covid-Pandemie weist sie auch auf die Übereinstimmungen zwischen ME/‌CFS und Long Covid hin. Im ICD-10 ist unter der Diagnose Post-Covid das Chronische Fatigue-Syndrom seit Kurzem eingeschlossen.

Die wesentliche Gemeinsamkeit beider Syndrome besteht in einer schwerwiegenden, lähmenden körperlichen und mentalen Erschöpfung, die durch jegliche Aktivität verstärkt werden kann. Dies ist nicht zu vergleichen mit der gewöhnlichen Erschöpfung, die wir alle nach einem anstrengenden Tag, intensivem sportlichen Training oder einigen stressigen Wochen empfinden. »In der ersten Zeit lag ich im Bett und fühlte mich so schwach, dass ich meinte, nie wieder aufstehen zu können«, beschreibt es eine ME/CFS-Patientin. Aus voller Gesundheit sind zuvor fitte und aktive Menschen plötzlich nicht mehr in der Lage, einen Einkauf oder einen kleinen Spaziergang zu bewältigen. Manche können das Haus kaum noch verlassen, müssen viel liegen und brauchen Hilfe im Haushalt. Einige sind ans Bett gefesselt und auf Pflege angewiesen. Dies kann ältere Menschen ebenso betreffen wie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Zur Erschöpfung und eingeschränkten Belastbarkeit kommen bei beiden Krankheitsbildern Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen, grippeähnliche Beschwerden, Übelkeit, Schwindel, Denkstörungen, Schlafstörungen, dauerhaft erhöhter Puls (Tachykardie) und Herzstolpern (Palpitationen) hinzu.

Es gibt jedoch auch einige Unterschiede: Charakteristisch für Long Covid sind etwa Störungen des Geruchs- und Geschmacksinnes, anhaltender Husten oder Atemnot, Druckgefühl im Brustkorb, Organschäden (z. B. an Herz, Lunge oder Nieren) und Haarausfall.

Bei ME/CFS steht häufig die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM) im Vordergrund, eine deutliche Zunahme aller Krankheitssymptome nach geringer Belastung. Auch der sogenannte »Brain Fog«, das Gefühl von dichtem Nebel im Kopf, sowie Probleme beim aufrechten Stehen sind kennzeichnend für ME/CFS. Laut Carmen Scheibenbogen entwickelt jedoch auch ein Teil der Long Covid-Erkrankten diese Symptome. Je länger eine PEM anhält (als Faustregel gilt über 14 Stunden), umso eher sollte der Verdacht auf ME/CFS abgeklärt werden. Es gibt also viele Überschneidungen. (Shepherd 2022)

Ein wesentlicher Unterschied zwischen ME/CFS- und Long Covid-Erkrankten besteht zudem darin, dass Letztere wegen des hohen Bekanntheitsgrades von Corona oft relativ schnell darüber Bescheid wissen, woran sie eigentlich leiden. ME/CFS-Erkrankte führen hingegen seit Jahren buchstäblich ein Schattendasein. Ohne klare Diagnose und hinreichende medizinische Versorgung sind viele weitgehend ans Haus gebunden, manche verbringen notgedrungen viel Zeit im abgedunkelten Zimmer liegend. »Lost Voices« heißt eine Stiftung und »#MillionsMissing« eine internationale Patientenorganisation. Zur Erkrankung selbst kommt die Belastung durch fehlende Hilfe hinzu, völlige Unklarheit und oft noch die Stigmatisierung, in Wahrheit »nur psychische Probleme« zu haben. Lange Zeit wurde das Chronische Fatigue-Syndrom überhaupt nicht mit einem Virus als Auslöser in Verbindung gebracht. Da es als seltene Krankheit galt, erschien die Erforschung nicht lohnenswert. Diese Argumentation ist nur schwer nachvollziehbar, da Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Parkinson, die in ähnlicher Häufigkeit auftreten, seit Jahrzehnten intensiv erforscht werden.

1.4 Checklisten der Symptome bei Long Covid und ME/CFS

Symptome bei Long Covid

Häufig:

Fatigue (schwere Erschöpfung, lähmende Müdigkeit, Muskelschwäche)

eingeschränkte Belastbarkeit; Belastungsintoleranz

Atemwegsbeschwerden, ggf. neu auftretendes Asthma

Kopfschmerzen

Muskelschmerzen, Gliederschmerzen, Gelenkschmerzen

Störungen des Geruchs- und Geschmackssinnes

Gelegentlich:

Husten

Schlafstörungen

Haarausfall

Denkstörungen, Bewusstseinstrübungen (bei älteren Menschen vorübergehend auch demenzähnliche Symptomatik)

erhöhte Stressanfälligkeit

Verschlechterung vorbestehender Erkrankungen

Angstgefühle

depressive Verstimmungen

Selten:

Kribbeln in Gliedmaßen

Herzrasen, Herzstolpern

Schäden am Herz-Kreislauf-System

Entzündungsreaktionen

Schwindel

Verwirrtheit

Durchfall

Organschädigungen

Übelkeit

(In Anlehnung an die Leitlinie Long / Post Covid Syndrom der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer FachgesellschaftenAWMF, 2023)

Ausprägungsgrad und Schwerpunkt der Symptome können variieren. Bei manchen Menschen überwiegt z. B. mehr die Fatigue, bei anderen eher die Schmerzen. Bei einigen treten die Beschwerden erst mit einer Latenzzeit von ein bis drei Monaten nach dem Infekt auf. In seltenen Fällen entwickelt sich eine ähnliche Symptomatik auch nach einer Covid-Impfung, man spricht hier vom Post-Vac-Syndrom.

Symptome bei ME/CFS

Post-Exertional Malaise (PEM): unverhältnismäßige Zustandsverschlechterung und Symptomschübe nach geringer Belastung

Fatigue: schwerwiegende, anhaltende Erschöpfung

dauerhaftes Grippegefühl

Schlafstörungen

Schmerzen (Kopf-, Muskel-, Gelenkschmerzen)

Orthostatische Intoleranz: Schwindel, Herzstolpern, Blutdruckschwankungen bei Veränderung der Lage (aufstehen, hinsetzen, hinlegen), auch: Posturales Tachykardie-Syndrom (POTS)

extreme Blässe

verschwommenes Sehen

Atemnot, oft schon bei leichter Belastung

Magen-Darm-Probleme

Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen

»Brain Fog« (wörtl.: Nebel im Gehirn)

Reizempfindlichkeit

Bewegungs- und Koordinationsstörungen

Muskelschwäche und Muskelzuckungen

gestörte Anpassung der Körpertemperatur bei Hitze oder Kälte

Schwitzen, dauerhaft leichtes Fieber

Schwellungen der Lymphknoten

Halsschmerzen

häufig wiederkehrende Infekte

neu auftretende Allergien

neu auftretende Fibromyalgie (Nervenschmerzen)

neu auftretende Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln, Alkohol, Medikamenten

(In Anlehnung an die Website der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS 2023)

Die detaillierten Standard-Instrumente zur Diagnose von ME/CFS sind die sogenannten Kanadischen Konsenskriterien und die Bell-Skala (siehe z. B. frei zugängliche Downloads der Charité Berlin). Nicht jedes Virus, das zu einem postviralen Syndrom führt, entwickelt offenbar ein exakt gleiches Krankheitsbild, aber die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen Long Covid und ME/CFS sind deutlich erkennbar.

Nach so vielen Fakten möchten wir in der ersten Fallgeschichte nun zeigen, wie sich ein postvirales Syndrom, in diesem Fall das Long Covid-Syndrom, für eine Betroffene anfühlt und wie stark sich das Leben dadurch verändern kann.

Fallgeschichte Simone, 46 Jahre: »Long Covid hat mich komplett aus der Bahn geworfen.«

» Im Sommer 2020 hatte ich eine recht heftige Covid-Infektion, ich lag zwei Wochen im Bett, hatte Fieber, Muskelschmerzen und Kopfschmerzen. Nach zwei Wochen wurde es besser, aber ich merkte, dass ich auf einmal überhaupt keine Kraft mehr hatte. Schon aufrecht zu stehen war so anstrengend, dass mein Herz raste und mir der Schweiß ausbrach. Beim Gehen bin ich gestolpert, weil ich meine Füße gar nicht mehr richtig heben konnte. Selbst wenn ich eine Weile nur ruhig auf dem Stuhl saß, war mein Puls so hoch, dass meine Smartwatch anzeigte, ich würde gerade Sport treiben. Mein Herz machte auch dauernd Extraschläge. Nur durch die Wohnung zu gehen, war schon ein Kraftakt. Meine Ärztin hat mich erstmal weiter krankgeschrieben, aber ich konnte ja nicht nur auf der Couch liegen, der Alltag musste ja weitergehen.

Ich war immer fit und sportlich, hatte keine Vorerkrankungen, aber Covid hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Es wurde dann ein Herz-MRT gemacht, aber ohne Befund. Man wollte mich nicht länger krankschreiben, weil mir ja anscheinend nichts fehlte. Das war sehr verunsichernd für mich, ich habe meiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr getraut. Man merkt, dass der Körper nicht mehr funktioniert, aber man weiß nicht, warum.

In meinem Beruf als Projektleiterin in einem IT-Unternehmen konnten sich alle immer auf mich verlassen. »Die Simone ist immer da«, hieß es, »die regelt das«. Jetzt waren Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Kopf- und Muskelschmerzen meine täglichen Begleiter. Schon der Weg zur Arbeit war eine Qual: das grelle Licht in der U-Bahn, die lauten Stimmen, mein ständig klingelndes Telefon; dann die anstrengenden Meetings und Video-Calls, die vielen Fragen meiner Mitarbeiter:innen. Ich versuchte längere Zeit, die Schmerzen wegzulächeln, aber mir wurde insgeheim langsam immer klarer, dass ich meine Arbeit nicht mehr stemmen kann. Das war ein Albtraum für mich. Schließlich schrieb meine Hausärztin mich doch wieder krank. Es war jetzt klar, dass ich Long Covid hatte.

Ein halbes Jahr lang war ich arbeitsunfähig, das erste Mal in meinem Leben. Dazu kam die Sorge um mein Team, das musste jetzt ohne mich klarkommen. Ich war in dieser Zeit so erschöpft, dass ich die einfachsten Dinge nicht hinbekommen habe. Eine Zeit lang fühlte ich mich wie benebelt und konnte nicht mehr richtig lesen. Ich habe zwar die Buchstaben erkannt, konnte aber keine Wörter oder Sätze mehr daraus machen. Ich hatte immer gern gekocht, auch aufwändige Gerichte, aber jetzt kriegte ich die Reihenfolge der Zutaten einer einfachen Mahlzeit nicht mehr hin, ich habe die Hälfte vergessen, es war, als ob ich Watte im Kopf hätte. Das habe ich als extrem beängstigend empfunden, ich dachte, ich werde dement. Durch Medikamente, eine Reha, viel Ruhe und Entspannungsübungen wurde es dann mit der Zeit etwas besser.

Die Krankheit dauert jetzt zweieinhalb Jahre. Inzwischen arbeite ich wieder, aber um die Hälfte reduziert und oft im Homeoffice. Obwohl mein Umfeld Verständnis hat, ist es mir wahnsinnig peinlich. Ich muss immer noch jeden Arbeitsgang drei Mal checken, um keine Fehler zu übersehen. Spätestens ab mittags fangen dann die Kopfschmerzen an und ich fühle ich mich, als hätte mir jemand den Stecker gezogen.

Long Covid ist ein Krankheitsbild, zu dem Forschung und Erkenntnisse noch weitgehend fehlen. Daher war es für die Betroffenen zu Beginn extrem verunsichernd, überhaupt nicht zu wissen, was mit ihnen passiert. Gerade sehr leistungsmotivierte Menschen erlebten es als existenziell bedrohlich und äußerst beschämend, plötzlich nicht mehr zu hundert Prozent zu funktionieren und sich auf ihre geistigen Fähigkeiten nicht mehr verlassen zu können.

2 Der lange Weg zur Diagnose

2.1 Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern

Die Ursachen für langanhaltende Erschöpfung können vielfältig sein. Bevor die Diagnose Long Covid oder ME/CFS gestellt wird, muss eine Reihe anderer Erkrankungen ausgeschlossen werden.

Von Long Covid spricht man, wenn die genannten Beschwerden länger als zwölf Wochen andauern, von ME/CFS, wenn sie länger als sechs Monate bestehen. Neue Leitlinien, z. B. des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in Großbritannien, empfehlen jedoch, nach sechs Wochen eine Verdachtsdiagnose auf ME/CFS