Looking for Trouble - Virginia Cowles - E-Book

Looking for Trouble E-Book

Virginia Cowles

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Beschreibung

Vom Hotel Florida in Madrid über den Fall Frankreichs bis zum finnischen Winterkrieg: Virginia Cowles hat es alles mit eigenen Augen gesehen. Mit 26 Jahren kommt die junge US-Amerikanerin nach Spanien, um vom Bürgerkrieg zu berichten. Schnell verkehrt sie in den Kreisen berühmter Kriegsreporter und -reporterinnen wie Ernest Hemingway und Martha Gellhorn. Von Madrid aus folgt sie der Spur des Faschismus über den ganzen Kontinent, trifft Churchill zum Lunch und Hitler zum Tee. Vor allem aber gelingt es ihr auf einmalige Weise, immer dann vor Ort zu sein, wenn Geschichte geschrieben wird: Cowles nimmt uns mit in die Straßen Berlins in der Nacht vor dem deutschen Überfall auf Polen, in ein geisterhaftes Paris nur Stunden vor der Invasion der Nazis, nach London am ersten Tag des Blitzkriegs. Um das ganz große Bild des Zweiten Weltkriegs zu zeichnen, tritt sie keinen Schritt zurück, sondern geht immer wieder ganz nah dran. In eindringlicher Sprache und unvergesslichen Bildern schildert Virginia Cowles die Tragödie dieses Krieges so unmittelbar, wie wir es noch nie gesehen haben. Ein wiederentdeckter Klassiker und eine Tour de Force durchs düsterste Kapitel des 20. Jahrhunderts.

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»Ein lange übersehener Klassiker, der aktueller und fesselnder nicht sein könnte«

PAULA MCLAIN, AUTORIN VON ›MADAME HEMINGWAY‹

1937 reist die junge US-Amerikanerin Virginia Cowles nach Madrid, um vom Spanischen Bürgerkrieg zu berichten. Bald verkehrt sie in den Kreisen berühmter Journalistinnen und Journalisten wie Martha Gellhorn und Ernest Hemingway. Von Spanien aus folgt sie der Spur des Faschismus über den europäischen Kontinent. Ihr Weg führt sie von der schillernden Welt des Hotel Florida in Madrid bis in die tödliche Kälte des finnischen Winterkriegs. Von den Straßen Berlins in ein geisterhaftes Paris kurz vor der Invasion der Nazis. Sie trifft Churchill zum Lunch und Hitler zum Tee. Vor allem aber ist sie immer dann vor Ort, wenn Geschichte geschrieben wird. In unvergesslichen Bildern, mit einem scharfen Blick fürs Politische und einem noch schärferen fürs Menschliche schildert Virginia Cowles die Tragödie des Zweiten Weltkriegs so unmittelbar, wie wir sie selten gesehen haben.

Zum ersten Mal in deutscher Übersetzung

Virginia Cowles wurde 1910 in Vermont geboren. Nach dem Tod ihrer Mutter verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt als Journalistin. Ab 1937 berichtete sie für die Sunday Times, die BBC und NBC aus dem Spanischen Bürgerkrieg und vom weiteren Kriegsgeschehen in Europa. 1941 erschien ihr Buch ›Looking for Trouble‹, das ein Bestseller wurde. Darüber hinaus veröffentlichte sie gemeinsam mit Martha Gellhorn das Theaterstück ›Love Goes to Press‹ (1946) und biographische und historische Werke u.a. über Winston Churchill und die Familie Rothschild. 1983 kam sie bei einem Autounfall in Frankreich ums Leben.

Monika Köpfer war viele Jahre als Lektorin tätig und übersetzt heute aus dem Englischen, Italienischen und Französischen. Zu den von ihr übersetzten Autoren und Autorinnen zählen u.

VIRGINIA COWLES

LOOKING FOR TROUBLE

Bericht einer unerschrockenen Kriegsreporterin

Aus dem Englischen und mit Anmerkungenvon Monika Köpfer

Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel

›Looking for Trouble‹ bei Faber & Faber, London.

Copyright © The Estate of Virginia Cowles 1941

Vorwort © Christina Lamb, 2021

eBook 2022

© 2022 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Monika Köpfer

Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Umschlagabbildungen: Flugzeuge: © CPA Media Pte Ltd/Alamy

Stock Photo; Mikrofon: © SuperStock/Alamy Stock Photo

Satz: Fagott, Ffm

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-8266-3

www.dumont-buchverlag.de

Für

meine Schwester Mary

VORWORT VON CHRISTINA LAMB

Eine meiner Lieblingsanekdoten von Virginia Cowles handelt davon, dass Lloyd George ihren Artikel über den Spanischen Krieg in der Sunday Times gelesen hatte und so beeindruckt davon war, dass er ihn im Parlament zitierte und Winston Churchills Sohn Randolph bat, den Autor zum Mittagessen in sein Landhaus mitzubringen. Der Artikel war ohne Verfasserangabe erschienen, und so war Lloyd George, als er die bezaubernde junge Amerikanerin erblickte, ziemlich verdutzt. »… als ich aus dem Wagen stieg, sah mich der alte Herr mit einem Ausdruck der Überraschung an, der fast schon an Verärgerung grenzte«, schrieb Virginia Cowles später. »Vermutlich war es ein unangenehmer Schock für ihn, herauszufinden, dass es sich bei der Autorität, die er da zitiert hatte, in Wirklichkeit um eine junge Frau, einen Grünschnabel, handelte.«

Doch irgendwann fing er sich wieder. Er zeigte ihr seine Hühner, Schweine und Kühe und sah, »so wie er in seinem grünen Mantel, mit wehenden langen weißen Haaren und von der Kälte geröteten Wangen … über seine Felder stapfte, fast wie ein biblischer Prophet aus«; zum Abschied schenkte er ihr ein Glas Honig und ein Dutzend Äpfel.

Eine Episode, wie sie typisch für Cowles ist: Voller Selbstironie offenbart sie eine beeindruckende Liste von Kontakten – fast grenzt es an Namedropping – und ein gutes Auge für aufschlussreiche Details.

Obwohl ich selbst Kriegsberichterstatterin bin und als Heranwachsende die Arbeiten von Martha Gellhorn, Lee Miller und Clare Hollingworth etc. verschlang, deren Berichte über den Zweiten Weltkrieg meiner Generation den Weg ebneten, muss ich zugeben, dass es eine Weile dauerte, bis deren Zeitgenossin Virginia Cowles auf meinem Radar auftauchte, obwohl sie doch für dieselbe Zeitung arbeitete, für die ich heute tätig bin. Nachdem ich ihre Tochter Harriet kennengelernt hatte, las ich dieses Buch – und es haute mich um. Allein schon die Vorstellung, wie die sechsundzwanzigjährige Debütantin aus Boston in einem maßgeschneiderten Kostüm, Pelzjacke und Pumps mitten im Spanischen Bürgerkrieg aufkreuzte, mit einer Schreibmaschine und einem Koffer mit drei Wollkleidern darin. »Meine einzige Qualifikation als Kriegskorrespondentin war Neugierde«, schreibt sie.

Neugierde ist natürlich wichtig, genauso wie Entschlossenheit, und die hatte sie im Überfluss – war sie doch eine der wenigen, die von beiden Seiten der Front aus über den Spanischen Bürgerkrieg berichtete. Und noch etwas hatte Cowles, wie dieses Buch eindrücklich belegt – die erstaunliche Gabe, Szenen so anschaulich zu schildern, dass man sie sofort vor Augen hat. Man kann sich kaum einen fesselnderen Bericht über den Reichsparteitag in Nürnberg vorstellen als ihre Beschreibung der »Feuerschalen auf der Tribüne des Zeppelinfelds« mit den »in der Dunkelheit lodernden orangen Flammen«, der »Trommelschläge, die wie das dumpfe Pochen von Tomtoms aus der Ferne klangen …«, des »schimmernde(n) Meer(s) von Hakenkreuzfahnen« und wie Klaustrophobie sie erfasste, während sie verfolgte, wie Hitler die Menge in eine delirierende Ekstase versetzte.

Außerdem schien sie fast jeden gekannt zu haben, der Rang und Namen hatte. Ein paar Tage nach dieser Kundgebung nahm sie an einer Teegesellschaft, die für Hitler gegeben wurde, teil. Dort wird sie Zeugin seiner bizarren Freundschaft mit der vierundzwanzigjährigen Unity Mitford, die ihr beim Abendessen von Hitlers Vorliebe für Gesellschaftsklatsch erzählt und davon, wie brillant er Göring, Goebbels und Mussolini nachahme, und meinte, er könnte, wäre er nicht der Führer, eine Menge Geld mit Auftritten auf Varietébühnen verdienen. Leichthin versichert Unity ihr, Hitler habe nicht vor, Krieg zu führen. »Der Führer möchte nicht, dass seine neuen Bauwerke zerbombt werden«, sagt sie.

Nachdem sie wütend aus der unheilschwangeren Tschechoslowakei zurückgekehrt ist und England und Frankreich auf der Münchner Konferenz im September 1938 Hitler-Deutschland erlaubt haben, das Sudetenland zu annektieren, ist Virginia Cowles zu einem Abendessen mit einem der Architekten des Münchner Abkommens, Lord Chamberlain, eingeladen. Hitler »verliert allmählich an Macht«, versichert er ihr.

Die Tatsache, dass Virginia Cowles sämtlichen Schlüsselfiguren begegnete, hat den ein oder anderen veranlasst, sie als »Forrest Gump des Journalismus« zu bezeichnen. Ein andermal speist sie bei Winston Churchill zu Mittag, der ihr, nachdem er im Teich nach seinem verloren gegangenen Goldfisch gesucht hat, seine selbst gemalten Gemälde zeigt und zu einer Schmährede über Chamberlain ansetzt, weil dieser nicht erkennt, welcher Bedrohung sich Großbritannien gegenübersieht. Und immer wieder ist irgendein Lord oder Adeliger genau in dem Moment zur Stelle, wenn sie eine Mitfahrgelegenheit in einem Flugzeug braucht. Aber das sollte uns vielleicht nicht weiter überraschen: Schließlich hat Virginia Cowles ihre Karriere als Gesellschaftskolumnistin in New York begonnen, und zwar als sie für Harper’s Bazaar über Mode, Abschlussbälle und zerbrochene Romanzen schrieb.

In der Tat war ihre eigene Lebensgeschichte genauso bemerkenswert wie das, worüber sie schrieb. 1932 stellte der tragische vorzeitige Tod ihrer Mutter Florence aufgrund einer Blinddarmentzündung die Weichen für ihre Karriere als Auslandskorrespondentin. Florence hatte eine Lebensversicherungspolice im Wert von 2000Dollar – was heute in etwa 44000Dollar entspricht – hinterlassen, und Virginia, damals gerade einmal zweiundzwanzig, überredete ihre Schwester, das Geld im Gedenken an ihre Mutter für eine Weltreise zu verwenden.

Es gelang ihr, den Hearst-Blättern die Idee einer Reisekolumne schmackhaft zu machen, und sie schrieb im Laufe des nächsten Jahres eine Reihe von Artikeln über ihre Reisestationen, von Tokio bis Rom, wo ihr, nicht weiter überraschend, Mussolini ein paar Tage nach seiner Invasion von Abessinien ein Interview gewährt. Davor ist sie so nervös, dass sie das Mittagessen auslassen muss. Ihre »außenpolitischen Kenntnisse nahmen sich bescheiden aus … Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man ein Interview führt …« Aber sie hätte sich nicht so viele Gedanken machen müssen. Im Palazzo Venezia, wo sie von zwei Wache haltenden Schwarzhemden mit dem römischen Gruß empfangen wird, hält der Duce ihr einen Vortrag darüber, warum Italien ein Recht auf ein eigenes Imperium hat.

Bald bekommt sie einen Crashkurs in Sachen Außenpolitik und Frontjournalismus, nachdem sie ihre Redakteure davon überzeugt hat, sie nach Spanien zu schicken, wo Freiwillige aus der ganzen Welt hinströmen, um gegen Francos faschistische Streitkräfte zu kämpfen. Vorzüglich beschreibt sie, wie sie auf der Gran Vía in Madrid zum ersten Mal unter Artilleriebeschuss gerät: »Einen Augenblick später hörte ich ein Geräusch wie das Reißen von Stoff. Zuerst harmlos, dann wuchs es zu einem Zischen an; den Bruchteil einer Sekunde lang herrschte Stille, dann raste eine Granate mit ohrenbetäubendem Lärm in das weiße Steingebäude der Telefongesellschaft am Ende der Straße. Backsteine und Holzbalken krachten zu Boden, und eine Staubwolke stob auf … Wie von einem jähen Windstoß weggefegte Papierfetzen rannten die Menschen in alle Richtungen davon, suchten Schutz in Hauseingängen und Vorhallen.«

Zu fast jedem Krieg gehört ein legendäres Journalistenhotel, und in Madrid war es das Hotel Florida, das Virginia Cowles eindrücklich beschreibt: »Da waren Idealisten und Söldner; Gauner und Märtyrer; Abenteurer und embusqués – Drückeberger –; Fanatiker, Verräter und regelrechte Clochards. Sie waren wie ein sonderbares Sortiment Perlen, aufgefädelt auf grobem Kriegszwirn.« Zu den dort abgestiegenen Journalisten zählten Tom Delmer vom Daily Express, in dessen Zimmer sich alle trafen, während sein Grammofon laut Beethovens Fünfte über den Artillerielärm hinweg schmetterte, und Ernest Hemingway, der zusammen mit einem jungen amerikanischen Stierkämpfer, seinem Kumpel und Handlanger, in seinem Zimmer im ersten Stock Hof hielt. Cowles schien nicht sonderlich beeindruckt von ihm gewesen zu sein, mit seinen »schmutzigen braunen Hosen und dem zerrissenen blauen Hemd«. Wobei das dem Vernehmen nach auf Gegenseitigkeit beruhte, behandelte Hemingway die junge naive Frau mit ihren Goldarmbändern und Pumps doch angeblich mit Herablassung. Das hinderte sie nicht daran, zusammen mittagessen zu gehen. Bei dieser Gelegenheit begegneten sie »einem von Kopf bis Fuß in Taubengrau gekleideten Mann mit pikierter Miene« und »marmorbraunen Augen«, der sich als der »Scharfrichter« von Madrid entpuppte. Er setzt sich zu ihnen an den Tisch und bestellt eine Karaffe Wein, und als sie hinterher das Lokal verlassen, warnt Hemingway sie: »Aber denk daran, er gehört mir«, und macht ihn später zu einer Figur in seinem Theaterstück Die fünfte Kolonne.

Sie unternahm mit Hemingways Freundin, der amerikanischen Journalistenkollegin Martha Gellhorn, einen Schaufensterbummel; sie besahen sich Pelze und Parfümflakons und gingen anschließend auf einen Cocktail in die Miami-Bar. Cowles wurde von ihren Kollegen misstrauisch beäugt, weil sie im Unterschied zu den meisten anderen, die parteiisch waren, also entweder mit den Republikanern oder den Kommunisten sympathisierten, von beiden gegnerischen Lagern aus berichtete.

Mochte sie auch nicht die gleiche gerechte Wut wie Martha Gellhorn an den Tag legen, so zeigte sie eine aufrichtige Anteilnahme an den menschlichen Schicksalen und richtete ihr Augenmerk genau wie ihre Landsfrau auf das immense menschliche Leid, das die Konflikte verursachten. Bald offenbart sich ihre Gabe, mit ihrem Charme jedem x-beliebigen Menschen Informationen zu entlocken, außerdem hatte sie eine große Portion Journalistenglück, das sie oftmals zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein ließ. Einmal verirrt sie sich, als sie zu dem Frontabschnitt hinausfährt, an dem die Internationalen Brigaden kämpfen, und findet sich im Divisionshauptquartier der Russen wieder, die die Republikaner ausbilden, was streng geheim war. Der russische General, der ihr zunächst feindselig begegnet, aber ganz offensichtlich fasziniert von ihr ist, schickt kurz darauf einen Wagen nach Madrid, um sie erneut zu ihnen hinauszubringen und ihr dann Champagner und wilde Erdbeeren sowie seine marxistischen Prinzipien aufzunötigen. Zum Abschied schenkt er ihr eine rote Rose.

Nach ihrer Spanienzeit zuckte Cowles beim Knallen eines Auspuffs oder Dröhnen eines Staubsaugers zusammen, aber abzuschrecken vermochte diese Erfahrung sie nicht. Stattdessen reiste sie von nun an unermüdlich durch Europa, das an der Schwelle zum Krieg stand, während in einem Land nach dem anderen die Lichter ausgingen. Sie gab nicht an mit ihrem Mut, obwohl sie immer wieder ein hohes Risiko einging: Um von der Zerstörung Polens zu berichten, reist sie mit einem Boot über den Ärmelkanal, eine Zickzackfahrt, um den deutschen U-Booten zu entkommen, die vierzehn Stunden dauert. Schließlich gelangt sie nach Rumänien, wo sie durch Zufall ihrem Freund Lord Forbes begegnet, der sie in seinem Privatflugzeug über die Grenze mitnimmt; in einem Hotel trifft sie zahlreiche verstörte Polen, die vor den deutschen Panzern und Bomben geflohen sind. Darunter drei Kinder, die auf Koffern sitzen und auf ihre Eltern warten, die womöglich nicht mehr kommen werden.

Von dort geht es zurück nach London und dann gleich weiter nach Finnland, um aus dem heute fast vergessenen Winterkrieg zu berichten. Nachdem ihr Land im November 1939 von der Sowjetunion überfallen worden war, verblüfften die Finnen die ganze Welt durch ihren Kampfgeist – eine kleine Anzahl von Soldaten auf Skiern, die »wie Gespenster« durch die Wälder glitten und die Offensive zunächst zurückschlugen. Als in Folge einer Anschuldigung wegen sexueller Belästigung Journalistinnen von der Front verbannt werden, lässt sie ihre Kontakte spielen, und es gelingt ihr, in die Stadt Rovaniemi nahe des nördlichen Polarkreises zu gelangen, diesmal angemessener gekleidet. Man nimmt sie mit in ein Gebiet, wo ein paar Wochen zuvor die Finnen zwei russische Divisionen ausgelöscht haben. Es ist die »schauderhafteste Szenerie, die ich je erblickt habe«, auf einer Länge von über zehn Kilometern sind Straßen und Wälder von Leichen und Pferdekadavern übersät – einige »so hart gefroren, dass sie an versteinertes Holz erinnern«. Doch alles war umsonst, denn aufgrund mangelnder internationaler Unterstützung müssen sich die Finnen schließlich einem Friedensvertrag beugen, der sie zur Abtretung von mehr als zehn Prozent ihres Territoriums zwingt.

Im Juni 1940 näherten sich die deutschen Truppen Paris. Da sie unbedingt dort sein möchte, glaubt sie doch, es wird zu einem langwierigen Verteidigungskampf der Franzosen kommen, fliegt sie nach Tours und erwischt den, wie sich herausstellt, letzten Zug nach Paris. Als sie eintrifft, scheinen alle Bewohner die Hauptstadt verlassen zu haben. Irgendwie treibt sie ein Taxi auf, nimmt eine junge Frau mit, die sich als Prostituierte entpuppt, und findet heraus, dass sämtliche Hotels geschlossen und ihre Freunde alle abgereist sind. Sie schließt sich Tom Healy vom Daily Mirror an, der einen Sportwagen besitzt, und zusammen fahren sie an der Seine entlang und dann in Richtung Süden. Sie erleben außergewöhnliche Szenen: »Lärm und Chaos, Schreie, Geheul, Fluchen, Tränen … Alles, was vier Räder und einen Motor hatte, kam zum Einsatz, egal in welchem Zustand des Verfalls es auch war; da waren Taxis, Eiscreme-Laster, Bäckerei-Lieferwagen, Parfümerie-Anhänger, Sportcabrios und Pariser Linienbusse, allesamt bis unters Dach vollgepackt. Ich sah sogar einen Leichenwagen mit Kindern.«

Zu guter Letzt landet sie wieder in London, wo sie über »The Blitz« und die Luftschlacht um England berichtet. Über Dover schreibt sie: »Wir wussten, dass viertausendfünfhundert Meter über unseren Köpfen über das Schicksal der Zivilisation entschieden wurde, in einer Sphäre aus Sonne, Wind und Himmel.« Sie zog von der Stadt aufs Land, um Looking vor Trouble zu schreiben, vordergründig ein Erinnerungsbuch über ihre journalistischen Heldentaten, aber ebenso ein Appell an ihr Heimatland, in den Krieg einzutreten.

Schon immer von Großbritannien fasziniert, machte sie es zu ihrer Wahlheimat und heiratete nach dem Krieg den Journalisten und Unterhausabgeordneten Aidan Crawley, mit dem sie drei Kinder bekam. Sie schrieb, zusammen mit Martha Gellhorn, ein Bühnenstück über Kriegsreporterinnen sowie zwölf weitere Bücher über einige ihrer reichen Bekannten wie etwa die Astors und Rothschilds, außerdem eine Reihe historischer Biografien.

Wenn heute fast genauso viele Frauen aus Kriegsgebieten berichten wie Männer, ist dies Frauen wie Virginia Cowles zu verdanken, die zeigten, dass es möglich ist. Es ist mir ein Rätsel, warum sie nicht die gleiche Anerkennung erfährt wie Martha Gellhorn.

Looking for Trouble wurde zu einem Bestseller, als es 1941 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, und ich hoffe, dass die Neuauflage diese Autorin einer ganz neuen Generation erschließen wird.

PROLOG

An jenem Novemberabend (dem Abend des Waffenstillstands) schienen die drei Staatenlenker Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und Frankreichs die Herren der Welt zu sein. Ihr jeweiliges Volk stand bis ins letzte Glied hinter ihnen, bejubelte den Sieg und war voller Dankbarkeit und Vertrauen gegenüber ihren Oberhäuptern, die sie dorthin geführt hatten. Sie hatten die Befehlsgewalt über Armeen von überwältigender Stärke und Flotten, ohne deren Erlaubnis kein Schiff die Meere kreuzte, sei es auf oder unter der Wasseroberfläche. Einträchtig vereint waren sie in der Lage, alle notwendigen weisen und richtigen Entscheidungen zu treffen. Und diese drei Männer hatte die Kameradschaft im Kampf gegen einen gefürchteten Feind über nationale und Interessensunterschiede und Landes- und Meeresdistanzen hinweg zusammenrücken lassen. Gemeinsam hatten sie das Ziel erreicht. Nun hielten sie den uneingeschränkten und unvergleichlichen Sieg in Händen. Was würden sie damit anfangen?

The World Crisis: The Aftermath

(»Die Weltkrise: Die Nachwirkungen«)

Winston S. Churchill, März 1929

Hier in London scheint der Vollmond herab, und man hört das Dröhnen der deutschen Bomber. Die Straßen sind verwaist, doch hin und wieder zerreißt das Knattern von Kanonen die Stille.

In Nächten wie dieser fragt man sich, ob künftige Historiker in der Lage sein werden, den Lesern die Erhabenheit dieser gewaltigen Hauptstadt vor Augen zu führen; die seltsame Schönheit der verdunkelten Gebäude im Mondschein; das Rascheln des Windes und das Seufzen der Bomben; die langen weißen Finger der Suchscheinwerfer und das Heulen der Granaten, das zu den Sternen aufsteigt. Werden sie begreifen, wie gewaltsam Menschen starben: wie leise die Menschen lebten?

Vor langer Zeit machten sich Briten auf, Herren über das Meer zu werden, aus Angst, es würde sie auf ihrer Insel in Gefangenschaft halten. Heute beschützt dieses Meer sie vor ihren Feinden, und solange die großen Wasserwege unter ihrer Kontrolle bleiben, kann ihr Land nur aus der Luft angegriffen werden.

Noch hat sich der Luftraum nicht als entscheidend erwiesen. Dem Bombenterror bei Nacht begegnen die Menschen mit unerschütterlichem Kampfgeist, und bei Tag setzt die Royal Air Force den Präzisionsangriffen der deutschen Bomber erbitterte Attacken entgegen.

Die Luftschlacht über der englischen Küste war spektakulärer als je eine Schlacht zuvor. Wenn sich deutsche Flugzeuge in Massenformation den Klippen von Dover näherten, wurden sie zuerst vom Sperrfeuer der Flugabwehrkanonen empfangen und dann dem Geheul der flinken Jagdflugzeuge. Viele dieser Kämpfe wurden über dem Meer ausgetragen. Oft habe ich im Sonnenschein hoch oben auf dem Shakespeare Cliff gestanden, anderthalb Kilometer vom Ort entfernt, und mit einem surrealen Gefühl den extrem wendigen und bisweilen abrupt abdrehenden Maschinen zugesehen. Irgendwie war es schwer zu fassen, dass dies wirklich die Kämpfe waren, von denen das Schicksal der Zivilisation abhing; dass auch wenn die modernen Armeen zig Millionen Soldaten zählen, das Meer ihnen Grenzen aufzeigte und die Angelegenheit von einer Handvoll Männer oben am Himmel geregelt wurde.

Von all den Tagen, die ich in Dover verbrachte, ist mir der 15.August am lebhaftesten in Erinnerung geblieben. An diesem Tag schoss die Royal Air Force einhundertachtzig Flugzeuge ab, ein Rekord. Ich war mit Vincent Sheean aus London hergefahren, und während wir auf den Klippen standen, versuchten wir, die Facetten des Dramas wie Puzzleteile zusammenzufügen. Fast überall am ganzen Himmel passierte etwas. Zur Rechten sahen wir ein Flugzeug wie einen Stein ins Meer stürzen und vor dem blauen Hintergrund eine lange schwarze Rauchfahne hinter sich herziehen; zur Linken einen der großen silbrigen Sperrballone, der in Flammen stand; direkt darüber einen Jäger, der auf einen Bomber hinabstieß, und einen urplötzlich aufflatternden winzigen Fallschirm – von einem der Piloten, der abgesprungen war; und die ganze Zeit hörten wir das abgehackte Knattern des Flugabwehrfeuers und sahen weiße Rauchwolken am Himmel aufschießen.

Während einer dieser Kampfhandlungen betrachtete ich durch ein Fernglas einen kleinen Trawler, der unten im Hafen ankerte. Offenbar hatte sich die Mannschaft an die erbitterten Zusammenstöße hoch oben in der Luft gewöhnt, jedenfalls schien keiner der Männer ihnen Beachtung zu schenken. Einer lag schlafend an Deck, ein anderer wusch seine Kleider, ein dritter las Zeitung. Ein paar Stunden später wurde auf dem Trawler die Flagge gehisst, dann nahm er Fahrt auf und tuckerte den Ärmelkanal hinab. Fast hatte es etwas Arrogantes, als wollte er die Botschaft aussenden: »Finger weg; dieses Meer gehört uns.«

Eine geraume Weile verfolgten wir das Kampfgeschehen, dann drehte sich Vincent zu mir um und sagte: »Es ist schon komisch, wenn man bedenkt, dass das Ganze dort unten angefangen hat.« Er nickte vage zum Nebel hin.

»Wo unten?«

»In Spanien.«

Zweifelsohne werden künftige Historiker rätseln, warum man keine Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hatte; sie werden den Kopf darüber schütteln, dass sich die drei großen Demokratien weigerten, sich die Hände zu reichen und ihre Verantwortung als Wächter des Weltfriedens wahrzunehmen. Sie werden den Ursachen der gegenwärtigen Feuersbrunst nachspüren und auf das Scheitern des Völkerbundes stoßen, auf die Mandschurei im Jahr 1931 deuten und auf Abessinien im Jahr 1935. Doch dann werden sie sich Spanien im Jahr 1936 zuwenden müssen, wo der erste Kanonendonner die Stille Europas störte. Und dort, in Spanien, beginnt meine Geschichte.

Ich habe die Dörfer Spaniens brennen sehen und bin der Spur der Flammen quer über die europäische Landkarte gefolgt. Sie breiteten sich in Richtung Norden aus, verbrannten die Wälder Böhmens, verwüsteten die polnische Tieflandebene und versengten sogar die Wälder der Arktis. Dann bliesen die verheerenden Winde der Eroberungszüge sie nach Norwegen. Sie fegten durch Holland und Belgien und verkohlten die fruchtbaren Felder Frankreichs, sodass sich dort kein Leben mehr rührt.

Der Teil, den ich gesehen habe, ist klein, gemessen an dem Bild, das die Geschichte zeichnen wird, aber er hat mir gezeigt, dass der heutige Krieg nicht nur eine Angelegenheit zwischen einzelnen Nationen ist. Bei diesem Ringen geht es darum, Gerechtigkeit und Gnade auf Erden zu bewahren, und um nichts weniger als den Erhalt der Menschenwürde.

London, Mai 1941

TEIL I

REPUBLIKANISCHES SPANIEN

1

REISE IN DEN KRIEG

Wenn Sie einen Blick in die Zeitungen vom März 1937 werfen, wird Ihnen eine Reihe von Ereignissen in Erinnerung gebracht: dass die Normandie einen neuen Rekord bei der Atlantiküberquerung aufstellte; dass der belgische König Leopold London besuchte; dass Neville Chamberlain Stanley Baldwin als britischer Premierminister nachfolgte; dass das verlorene Tagebuch von Dr. Samuel Johnson gefunden wurde; dass Königin Marie von Rumänien schwer krank war; und dass Noël Coward eine Erholungspause einlegte.

Auch werden Sie lesen, dass General Franco eine Offensive startete. Am 10. März berichteten die Zeitungen, dass seine Truppen die Verteidigungslinien von Madrid durchbrochen hatten, und tags darauf schrieb der Korrespondent des Daily Telegraph:

Die Nationalisten sind in zwei Tagen neunundzwanzig Kilometer vorgerückt. Sie stehen jetzt vierundzwanzig Kilometer vor Guadalajara. Den Verteidigern von Madrid ist klar, dass die Schlacht um Guadalajara über das Schicksal der Hauptstadt entscheiden wird.

Ein paar Tage später sickerte nicht nur durch, dass Madrid noch immer stand, sondern dass Francos italienische Legionäre geschlagen worden und geflohen waren und dass die Offensive der Nationalisten im ersten (und auch letzten, wie sich herausstellen sollte) Sieg der Republik gemündet hatte.

Eine Woche nach der Schlacht um Guadalajara reiste ich zum ersten Mal nach Spanien. Um halb sechs Uhr morgens stand ich am Toulouser Flugplatz und wartete auf ein Flugzeug, das mich nach Valencia bringen würde. Es herrschte pechschwarze Nacht und war bitterkalt. Der Raureif auf dem Boden schimmerte wie ein Leichentuch in der Dunkelheit, und die roten Glühbirnen, die den Flugplatz markierten, leuchteten gespenstisch. Plötzlich überkam mich Mutlosigkeit angesichts der bevorstehenden Reise.

Meine einzige Qualifikation als Kriegskorrespondentin war Neugierde. Auch wenn ich schon etliche Reisen in Europa und im Fernen Osten unternommen und zahlreiche Artikel verfasst hatte, hauptsächlich für die Rubrik »Was in der Welt geschah« der diversen Hearst-Zeitungen, waren meine Abenteuer stets friedlicher Natur gewesen. Tatsächlich hatte ich nach einer zwölfmonatigen Reise von London nach Tokio 1934 einen Artikel für Harper’s Bazaar geschrieben, der sich traurigerweise bald als überholt erweisen sollte. Er trug den Titel: »Diese ach so sichere Welt«.

Als in Spanien der Krieg ausbrach, erkannte ich darin die Gelegenheit für etwas spannungsgeladenere Reportagen; ich dachte, es wäre interessant, über beide Seiten zu berichten und eine Artikelserie zu schreiben, in denen ich die Kontrahenten einander gegenüberstellte. Ich überzeugte Mr T.V. Ranck, den Leiter der Hearst-Zeitungen, von meiner Idee und reiste glücklich nach Europa. Ich kannte niemanden in Spanien und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man einen solchen Auftrag anging. Erst als ich in Paris war, entwarf ich einen Plan. Und dann fand die Schlacht von Guadalajara statt. Ich las über den heroischen Widerstand des belagerten Madrid und beschloss, dass die spanische Hauptstadt offensichtlich der beste Ort war, um meine Mission zu beginnen.

Freunde in Paris ermutigten mich indes nicht. Sie warnten mich, dass ich, wenn ich mich nicht schäbig kleidete, auf der Straße »abgeknallt« würde; einige rieten mir zu Männerkleidung; andere gar zu Lumpen. Zu guter Letzt nahm ich drei Wollkleider und eine Pelzjacke mit.

Auch erzählten sie mir unzählige Gräuelgeschichten und weissagten, entweder würde mein Flugzeug unterwegs nach Valencia abgeschossen oder ich käme spätestens auf der Straße nach Madrid bei einem Bombenangriff um. Ich hatte nicht viel auf ihre düsteren Prophezeiungen gegeben, aber als ich jetzt auf dem Flugplatz stand, zog eine Reihe unheilvoller Bilder vor meinem geistigen Auge vorbei. Ich begab mich in den Warteraum, um einen Kaffee zu trinken, und die Tatsache, dass niemand besonders aufgeregt schien angesichts des bevorstehenden Flugs in das gefahrenvolle, »kriegsgebeutelte« Spanien, beruhigte mich ein wenig. In dem Raum befand sich lediglich ein halbes Dutzend Menschen; die einen lasen eine der Abendzeitungen vom Vortag, andere schliefen am Tisch, den Kopf auf die Arme gelegt. Es war so kalt, dass die französischen Mechaniker auf und ab wanderten und immer wieder an dem kleinen Ofen haltmachten, um die Hände zu wärmen. Schließlich ging die Tür auf, und ein Mann verkündete, das Flugzeug sei startbereit. Ich bezahlte meinen Kaffee, und als ich aufstand, kam ein alter Mann mit Baskenmütze, der die ganze Zeit still beim Ofen gesessen hatte, zu mir herüber, ergriff meine Hand und sagte mit vor Rührung bebender Stimme: »Bonne chance, mademoiselle, bonne chance.« Mit dem Gefühl drohenden Unheils stieg ich in das Flugzeug.

Der Flug nach Barcelona dauerte nur eine Stunde. Den Großteil der Flugzeit schwebten wir über den Pyrenäen. Die Berge waren schneebedeckt, und anfangs schienen sie grau und weit entfernt; dann ging die Sonne auf und tauchte sie in feuriges Rosa. Ich erinnere mich noch genau an die ersten Eindrücke von Spanien, die sich mir boten, während das Flugzeug kreisend zur Landung ansetzte und ich mich anschließend ins Wartezimmer des Flughafens begab. Die Szenerie war so friedlich, es war fast unpassend. Eine Frau saß hinter dem Schalter und strickte an einem Pullover, zwei alte Herren in schwarzen Cordanzügen tranken an einem Tisch Schnaps, und ein kleines Mädchen lümmelte sich am Boden und spielte mit einer Katze. Sie begrüßten den französischen Piloten herzlich, aber als dieser eine Bemerkung über den Krieg machte und sich nach den neuesten Ereignissen erkundigte, zuckte einer der beiden alten Männer desinteressiert mit den Schultern und sagte: »Der Krieg geht Katalonien nichts an. Wir wollen damit nichts zu tun haben; wir wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden.«

Während ein gleichgültiger Zollbeamter unser Gepäck inspizierte, tranken wir Kaffee, und eine Stunde später waren wir in Valencia.

Valencia war eine brodelnde Ansammlung von Menschen. Die Stadt war vorübergehender Regierungssitz, und die Bevölkerung war von vierhunderttausend auf über eine Million angeschwollen. Die Leute strömten durch die Straßen, bevölkerten die Plätze, standen in Trauben vor den Eingängen, drängten sich an den Stränden und schoben sich unermüdlich über die Märkte, hin zu Läden und Cafés. Überall herrschte Lärm und Chaos. Pferdewagen ratterten über das Kopfsteinpflaster, Automobile mit amtlichen Aufklebern an den Windschutzscheiben brausten halsbrecherisch über die Hauptverkehrsstraßen und machten ausgiebig Gebrauch von ihren Hupen. Mauern waren mit grellen Plakaten tapeziert, auf denen die übel zugerichteten Körper von Frauen und Kindern abgebildet und die mit einem einzigen Wort beschriftet waren: »Faschismus!« Irgendwo in der Straße schmetterte ein Grammofon fröhlich: »I can’t give you anything but love, baby.«

Der Fahrer setzte mich vor dem Büro von Air France an der Hauptstraße ab, und ich betrachtete verwirrt die Szenerie. Ich fragte nach dem Weg zum besten Hotel der Stadt, und der Mitarbeiter meinte, es seien nicht ganz zwei Kilometer die »Straße runter«. Es war unmöglich, einen Gepäckträger oder ein Taxi zu bekommen. Ich hatte nur einen Koffer und eine Schreibmaschine dabei, also machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Die Menschen in den Straßen gehörten allem Anschein nach der Arbeiter- oder Handwerkerschicht an und waren allesamt schwarz gekleidet; die Frauen trugen schwarze Baumwollkleider und Schals oder Kopftücher, die Männer schwarze Anzüge und Baskenmützen. Hin und wieder blieb jemand stehen und starrte mich finster an, und zuerst dachte ich, es liege daran, dass ich die einzige Person mit Hut war; doch plötzlich wurde mir klar, dass die gelbroten Streifen, die unabsichtlich meinen Koffer zierten, die Farben von General Franco waren.

Als eine Straßenbahn neben mir hielt, kletterte ich unsicher hinein, musste aber bereits an der nächsten Haltestelle wieder aussteigen, da ich kein spanisches Geld hatte und es mir nicht gelang, den Schaffner davon zu überzeugen, dass er mit dem Zehn-Franc-Schein, den ich ihm hinhielt, ein gutes Geschäft machen würde.

Endlich erreichte ich das Hotel Bristol, musste aber feststellen, dass es heillos überfüllt war. Einige Menschen schliefen sogar in Sesseln in der Lobby. Ich gab mein Gepäck auf und ging zum Mittagessen in den Speisesaal. Das Restaurant war bevölkert von den unterschiedlichsten Sorten von Menschen: Nur wenige sahen wie Spanier aus, und später erfuhr ich, dass sie alle im Kielwasser des Kriegs in Valencia gelandet waren – Geschäftsleute, agents provocateurs[1], freiwillige Helfer, Spione und Ganoven. Ich fragte den Kellner, ob amerikanische oder englische Korrespondenten im Hotel wohnten, und er antwortete, Mr Kennedy von Associated Press sitze an einem Tisch am anderen Ende des Restaurants. Ich ließ ihm eine Nachricht überbringen, in der ich ihm kurz meine Notlage schilderte, verbunden mit der Frage, ob er mir irgendwie behilflich sein könne.

Mr Kennedy war ein tougher junger amerikanischer Reporter, der sich sofort für mich ins Zeug legte, und dafür war ich ihm zutiefst dankbar. Binnen einer Stunde hatte er den Geschäftsführer des Hotels so eingeschüchtert, dass dieser doch noch ein Zimmer für mich auftrieb, und mich mit dem Auslandspressechef bekannt gemacht, der mir für den übernächsten Tag eine Fahrt mit dem Auto nach Madrid organisierte.

Ich erinnere mich, wie ich Kennedy mit unzähligen Fragen zum Krieg löcherte, und um uns ungestört unterhalten zu können, mieteten wir eine klapprige Pferdekutsche und ratterten damit durch die Stadt. Wir fuhren hinaus in die Außenbezirke, wo man aufatmen konnte und nicht so ein Gedränge herrschte. Die Mittelmeerlandschaft erstreckte sich friedlich vor uns, lange Reihen von Orangenbäumen leuchteten in der Sonne. Verwirrt fragte ich, ob das Chaos, das in Valencia herrschte, eher dem Krieg, der Revolution oder »Spanien an sich« geschuldet war.

»Allen dreien«, meinte Kennedy. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich in die USA zurücksehne.«

Als ich erwiderte, ich fände Spanien aufregend, sah er mich mit einem säuerlichen Lächeln an.

»Hören Sie, Kollegin, ich habe die Nase voll von der Bürokratie und dem Ärger mit der Zensur und davon, dass es hier keine genießbaren amerikanischen Zigaretten gibt oder anständig aussehende Frauen, die als Begleiterin für ein Abendessen taugen. Für mich ist das längst kein großes Abenteuer mehr. Aber Sie werden schon sehen.«

Ich musste einen so geknickten Eindruck gemacht haben, dass er nach kurzem Schweigen hinzufügte: »Aber Madrid ist nicht ganz so schlimm. Die Stadt steht zwar täglich unter Artilleriebeschuss, und das Essen ist scheußlich, aber wenigstens hat man dort etwas anderes zu tun, als sich mit lauter Leuten zu streiten, deren einziges Wort, das sie kennen, mañana ist. Dort gibt es unzählige Korrespondenten, und wenn Ihnen nach ein bisschen Action ist, fahren Sie zur Front raus. Anders als in diesem Provinznest; hier weiß die Hälfte nicht einmal, dass Krieg ist.«

Mir waren die vielen Männer im militärdiensttauglichen Alter in den Straßen von Valencia aufgefallen, die nichts Besseres zu tun zu haben schienen, als Zahnstocher kauend in der Sonne herumzustehen. Das erschien mir merkwürdig, wo sich der Krieg doch gerade in einer kritischen Phase befand; Kennedy erklärte mir, da Valencia noch nicht angegriffen worden sei (nur der Hafen sei ein paarmal vom Meer her bombardiert worden, mehr nicht), betrachteten viele Menschen den Krieg als lokale, auf Madrid begrenzte Angelegenheit. Wir fuhren am Strand vorbei und sahen drei Polizisten sich einen Weg durch das Gedränge bahnen; hin und wieder blieben sie stehen, um eine Gruppe von Männern anzusprechen und etwas in ihre Notizbücher aufzunehmen. Kennedy erklärte mir, das sei die übliche Methode, Müßiggänger für die Armee anzuwerben.

Am selben Tag aßen wir mit Captain »Pinky« Griffiss, dem amerikanischen Air-Force-Attaché, und zwei französischen Piloten, die nur »Jean« und »Henri« genannt wurden, im Hotel zu Abend. Soweit ich es mitbekam, waren beide die schwarzen Schafe ihrer französischen Familien.

Berufspiloten wurden von der spanischen Regierung fürstlich entlohnt, und die beiden hatten angeheuert, um ihre Spielschulden zurückzubezahlen. Sie unterhielten uns mit ihren Heldentaten in der Schlacht von Guadalajara. Später erfuhr ich, dass sich ihre Tätigkeit auf Patrouillenflüge über Valencia beschränkte und ihre Geschichten frei erfunden waren. Wie dem auch sei, der Abend mit ihnen war sehr kurzweilig, und tags darauf gingen wir alle zu einem Stierkampf.

Die Stierkampfarena befand sich im Stadtzentrum und leuchtete wie eine riesige Grapefruithälfte in der Sonne. Es war voll und laut, und in der Luft hing ein schwerer Geruch nach Schweiß und Tabakrauch. Von der pittoresken Eleganz früherer Zeiten war nichts mehr zu spüren, denn das übliche eintönige Schwarz herrschte vor, gesprenkelt mit den Khakifarben von Milizangehörigen.

Der Torero hingegen trug traditionelle Tracht – dreieckiger Hut, rosa Strümpfe, Schnallenschuhe und eine reich verzierte, aber schäbige blaue Brokatuniform. Er wurde mit lautem Beifall begrüßt, dann begann das Spektakel.

Ich hatte noch nie einem Stierkampf beigewohnt, und der Anblick des Stiers, der mit den Hufen scharrte, während ihm links und rechts das Blut hinabströmte, verursachte mir Übelkeit. Die meiste Zeit konnte ich gar nicht hinsehen. Ein kleiner dunkelhaariger Spanier neben mir beschwerte sich lauthals, allerdings aus anderen Gründen. Er erklärte mir, es sei eine klägliche Vorstellung, weil die großen Stiere im Süden gezüchtet würden, und der Süden gehöre Franco. »Verfluchter Krieg«, knurrte er, »und sehen Sie sich diesen Matador an. Der sollte besser gegen ’ne Kuh kämpfen.«

Der Stierkämpfer wirkte in der Tat unbeholfen, und die Menge buhte; Hüte und Orangenschalen segelten in die Arena. Plötzlich kletterte ein betrunkener Milizionär über die Begrenzung, torkelte auf die Kampffläche und entriss dem Matador den roten Umhang. Der schrie ihn wütend an, während ein paar Aufseher angerannt kamen, um ihn zurückzuzerren. Doch bevor sie ihn erreichten, wedelte der Eindringling gekonnt mit dem roten Umhang, sodass der Stier hinter ihnen her stürmte. Der Matador und die Aufseher flüchteten sich hinter die Absperrung, die Menge brüllte vor Begeisterung.

Zwanzig Minuten lang kämpfte der Milizionär gegen den Stier. Fünfmal versuchten die Aufseher, ihn zurückzuziehen, und fünfmal sorgte er dafür, dass das Tier sie schnaubend verfolgte. Doch plötzlich griff der Stier ihn an. Mit dem rechten Horn spießte er den Gürtel des Soldaten auf und hob ihn hoch in die Luft. Die Zuschauer sprangen auf und hielten den Atem an, aber der Mann blieb unverletzt. Sein Gürtel riss, und er landete der Länge nach auf dem Boden, während der Stier quer durch das Kampfrund donnerte. Das gab den Aufsehern die Möglichkeit, den Mann von der Kampffläche fortzuziehen. Mit einer Hand die Hose zusammenhaltend, versuchte er sich mit der anderen zu wehren, was komisch wirkte, aber diesmal wurde er unter großem Applaus auf seinen Sitz zurückverfrachtet. Selbst der missmutige Spanier neben mir hatte jetzt das Gefühl, auf seine Kosten gekommen zu sein.

***

Früh am Montagmorgen brach ich in einem kleinen mit Kisten voller Lebensmitteln, Süßigkeiten und Zigaretten beladenen Wagen nach Madrid auf. Der Fahrer war ein spanischer Anarchist, und meine beiden Mitreisenden waren eine amerikanische Journalistin namens Milly Bennett (die für die Propagandaabteilung der republikanischen Regierung arbeitete) und ein katholischer Priester.

Mich erstaunte die Anwesenheit eines katholischen Priesters in einem der Kirche feindlich gesinntem Umfeld, und ich fragte mich, warum er frei herumlief. Er war ein alter Mann mit hinterlistigem Gesicht und nikotingelben Fingern. Wir waren noch nicht weit gekommen, als er in schlechtem Französisch eine höfliche Unterhaltung begann.

»Sie sind, nehme ich an, Anarchistin?«

»Nein«, sagte ich.

»Kommunistin?«

»Nein.«

»Trotzkistin?«

An dieser Stelle schaltete sich Milly Bennett ein. »Sagen Sie dem alten Teufel, er soll die Klappe halten.«

Ich fürchtete, dass er das verstanden hatte, aber sie meinte, er sei ihr zuvor schon einmal begegnet, daher sei sie sich sicher, dass er kein Englisch spreche. »Ich kenne den alten Schwindler, er ist eine Art Vorzeigepriester. Er reist durch Frankreich und hält Propagandavorträge – sagt, die Priester würden im republikanischen Spanien gut behandelt. Er hat schon einen Haufen Geld verdient.«

Milly Bennett hatte ein Gesicht wie ein Äffchen und trug eine Hornbrille mit dicken Gläsern. Sie hatte eine starke provokative Persönlichkeit, und ich mochte sie auf Anhieb. Sie war aus Moskau gekommen, wo sie mehrere Jahre bei der Moscow Daily News gearbeitet hatte. Obwohl sie politisch links stand, gab sie an diesem Morgen eine bittere Prognose zum Besten und kritisierte die Verhältnisse ganz offen.

»Man braucht sich nur diese Straße hier anzusehen«, sagte sie. »Hier müssten jede Menge Laster mit Lebensmitteln für Madrid fahren, aber die Politiker scheren sich einen Dreck.«

Die schmale Asphaltstraße wand sich kilometerlang durch eine ausgedörrte Hügellandschaft. Die Eisenbahngleise, die von der Küste nach Madrid führten, waren zerbombt worden, sodass diese Straße die einzige Verbindungslinie der Hauptstadt zur Außenwelt war. Es herrschte wenig Verkehr, und auf den gesamten dreihundertzwanzig Kilometern zählten wir nur zwanzig Lastwagen. Das lag zum einen am Treibstoffmangel, aber auch, wie ich später erfuhr, an mangelnder Organisation.

Ungefähr einhundertsechzig Kilometer von Valencia entfernt hielten wir in einem kleinen Dorf an und aßen in einem Gasthof zu Mittag. Der Raum war dunkel, und eine schmuddelige Frau in einem blauen Kleid wischte mit einem Lappen tote Fliegen und Brotkrümel vom Tisch. Dann brachte sie uns ein Omelett, Brot und Wein.

Als sich der anarchistische Chauffeur zu uns an den Tisch setzte, tätschelte ihm der Priester den Rücken und meinte, er sei ein guter Junge. Milly Bennett erzählte mir (auf Englisch, das beide Männer nicht verstanden), er sei bei der Aragonien-Offensive verwundet worden, habe ein Loch von einer Kugel im Oberschenkel, und die Wunde sei noch nicht verheilt, aber sobald es ihm wieder einigermaßen gut gehe, wolle er an die Front zurückkehren. Er habe in einem anarchistischen Regiment ohne Offiziere gekämpft. Der Großteil sei ausgelöscht worden.

Die Anarchisten waren gegen jede Art von Organisation. Sie glaubten, dass Menschen, die sich selbst überlassen werden, instinktiv gut handelten, während eine organisierte Gesellschaft immer im Bösen münde. Deshalb waren sie ohne Anführer in den Krieg gezogen. Schon bald sollte uns ein Beispiel dieses idealistischen, aber unpraktischen Credos vor Augen geführt werden, als wir wenige Kilometer weiter an einem Wagen vorbeikamen, dem der Sprit ausgegangen war. Unser Chauffeur hielt an und gehorchte seinen guten Instinkten, indem er etwas von unserem Benzin abzweigte. Mit dem Ergebnis, dass unser Wagen eine Stunde später ein unschönes Husten von sich gab und wir uns in der gleichen Notlage wiederfanden. Milly sagte: »Und – verstehen Sie jetzt diese Philosophie? Wir warten einfach, bis ein weiterer Anarchist des Weges kommt.«

Fast eine Stunde saßen wir in der heißen Sonne am Straßenrand. Schließlich tauchte ein »Genosse« auf, gab uns ein wenig Sprit ab, und weiter ging es.

Der Priester platzte fast vor Neugierde bezüglich meiner Überzeugungen und bemühte sich erneut, mich politisch zu verorten. Diesmal versuchte er, mir etwas aufzuschwatzen. »Vielleicht neigen Sie zu … nun, sagen wir, zum Trotzkismus? Man kann unmöglich keine Anschauung haben; niemand kommt ohne eine idée fixe nach Spanien …«

Wieder fuhr Milly dazwischen, sodass er endlich in Schweigen verfiel.

Ungefähr 65 Kilometer vor Madrid wurden wir von einer Straßenwache angehalten, die uns sagte, wir müssten auf eine Nebenstraße ausweichen und eine Umleitung über das Städtchen Alcalá de Henares nehmen. Die Hauptzugangsstraße nach Madrid sei im weiteren Verlauf unter feindlichem Beschuss. Es wurde allmählich dunkel, und die Männer warnten uns, dass die Scheinwerfer unseres Wagens womöglich nicht ausreichen würden. Aber glücklicherweise war Vollmond, das half ein bisschen.

Um neun Uhr abends schaukelten wir die Gran Vía, Madrids Hauptstraße, entlang. Die Stadt war restlos verdunkelt, und auf den Straßen war es still und niemand war zu sehen. Die Stille war bedrückend, und es herrschte eine merkwürdige Atmosphäre, als kündigte sich ein Unheil an. Plötzlich wurde die Ruhe von Artilleriegrollen unterbrochen. Ich hatte noch nie zuvor das Geräusch des Krieges vernommen und spürte, wie mein Herz schneller schlug.

Die anderen waren indes unbeeindruckt, und als wir am Hotel Florida ankamen, ging Milly vor, um einen Gepäckträger zu holen, der die Kisten mit den Lebensmitteln hineintrug. Während sie weg war, beugte sich der Priester hinab, schlitzte mit seinem Taschenmesser einen Karton auf und stahl drei Schachteln Chesterfield-Zigaretten. Er sah mich lächelnd an, legte den gelb verfärbten Zeigefinger an die Lippen und machte: »Pscht!«

2

SPRENGSTOFF

Mein Zimmer im Hotel Florida befand sich im vierten Stock, und diese Tatsache stempelte mich als Amateurin ab: Leute, die sich auskannten, wohnten so nahe am Erdboden wie möglich, um sich bei Luftangriffen schnell in Sicherheit zu bringen. Doch das Hotel war überfüllt, daher war die einzige Alternative, die mir der Hoteldirektor anbieten konnte, in ein großes Außenzimmer im dritten Stock umzuziehen; aber auch das hatte seine Nachteile. Es lag zu einem großen Platz hin und überblickte ein graues Dächergewirr, das in der Ferne in eine sanft geschwungene grüne Hügellandschaft überging. Und diese Hügel gehörten dem Feind. Obwohl ich mich so in der direkten Schusslinie von Granaten befand, weigerte sich der Rezeptionist, mir ein anderes Zimmer zu geben. Er meinte, die Innenzimmer seien dunkel und stickig, im Übrigen, setzte er hinzu, sei das Hotel kein militärisches Ziel, sodass eine Granate allenfalls unabsichtlich in meinem Zimmer landen würde.

Nachts dunkel und düster, verwandelte sich Madrid am nächsten Morgen in eine völlig neue Welt. Die Sonne schien, und die Luft war erfüllt von den Geräuschen alltäglicher Betriebsamkeit. Ich beugte mich zum Fenster hinaus und sah, dass der Platz vor Menschen wimmelte. Milizionäre in ihren Khakiuniformen und roten Bändern um den Hals bahnten sich einen Weg zu dem Café auf der anderen Straßenseite, während Hausfrauen mit schwarzen Kopftüchern und kleinen Kindern im Schlepptau eilig ihre Besorgungen verrichteten. Drei Frauen mit wasserstoffperoxidblond gefärbten Haaren staksten in Stöckelschuhen über den unebenen Bürgersteig, während eine Gruppe junger Männer mit dunkelblauen Baskenmützen und Zahnstochern im Mund ihnen interessiert nachsah. Eselkarren holperten über das Kopfsteinpflaster, Zeitungsverkäufer priesen laut ihre Ware an, und aus einem Kino eine Querstraße weiter schallte die Stimme Al Jolsons mit einer quirligen Melodie aus Casino de Paris. Für eine Stadt, die täglich bombardiert wurde, schien Madrid genauso unwirklich wie ein riesiges von Statisten wimmelndes Filmset.

Das Telefon klingelte, und Sefton (Tom) Delmer vom Londoner Daily Express ließ mir ausrichten, mir die Sehenswürdigkeiten Madrids zeigen zu wollen. Ich hatte schon viel über Tom gehört, der bekannt für seine Schlagfertigkeit war und als einer der scharfsinnigsten Journalisten Europas galt. Er war ein Schrank von einem Mann und begrüßte mich mit breitem Lächeln. Sogleich erkundigte er sich, ob ich irgendwelche Leckereien aus Frankreich mitgebracht hätte. Die Tatsache, dass ich nicht daran gedacht hatte, war eine unverzeihliche Nachlässigkeit, wie mir bald klar wurde.

Während wir durch die Straßen schlenderten, erzählte mir Tom, er habe von der Seite der Nationalisten aus über den Krieg berichtet, bis er den Fehler begangen habe, über Knickerbockers Reise[2] nach Burgos zu schreiben: Dessen Flugzeug war fälschlicherweise für eine feindliche Maschine gehalten und von Luftabwehrkanonen beschossen worden. Tom hatte in seiner Geschichte auch darauf hingewiesen, dass Knickerbocker erst nach der Landung, und zwar durch die Flugplatzverwaltung, auf diesen Zwischenfall aufmerksam gemacht worden war. Daraufhin hätten die Nationalisten den Text als Versuch gewertet, ihre Luftabwehr in Misskredit zu bringen, und Tom wurde rausgeworfen. Seitdem berichte er aus Madrid: »Die Spanier sind allesamt verrückt«, sagte er, »aber die Leute auf dieser Seite sind für England weniger gefährlich.«

Wir spazierten durch die Hauptstraßen und kamen an Dutzenden Trichtern in den Bürgersteigen vorbei, die von Granateneinschlägen herrührten; auch viele Gebäude wiesen klaffende Wunden auf, und auf dem Paseo de la Castellana blickte ein riesiger Steinlöwe düster in die Ferne, als wüsste er, dass seine Nase von einem Granatsplitter abgeschlagen worden war.

Es herrschte lebhafter Verkehr. Wagen des Kriegsministeriums, Evakuierungslaster, Fahrräder und Krankenwagen passierten uns, und einmal brauste ein Depeschenfahrer auf dem Motorrad in Richtung Front an uns vorbei. In einer Seitenstraße parkte ein Laster in braungrünen Tarnfarben, auf dem weiße Lettern stolz verkündeten: »In Guadalajara vom Feind erbeutet.«

An vielen Kreuzungen waren Steinbarrikaden quer über die Straße errichtet worden – und zwar im November, als Franco prahlte, seine Generäle würden bald auf dem Platz Puerta del Sol auf den Sieg anstoßen. »Wenn Franco Madrid einnehmen will«, sagten die Leute, »wird er um jeden Millimeter kämpfen müssen.«

Dennoch herrschte in der Stadt keine Kriegsstimmung. Auch wenn sie sich durch die nahe gelegene Front in ein Dorf verwandelt hatte, war es den Bomben und Granaten nicht gelungen, das Alltagsleben zunichtezumachen. Genau das verlieh Madrid eine merkwürdig unwirkliche Atmosphäre, etwas Bühnenbildhaftes. Knallgelbe Straßenbahnen ratterten friedlich die Avenuen entlang; in den Schaufenstern konnte man Parfüm von Schiaparelli, Silberfuchspelze, Schmuck, Handschuhe und handgefertigte Damenschuhe bewundern; auf Kinoplakaten war Greta Garbo in Anna Karenina zu sehen und die Marx Brothers in Skandal in der Oper. Ein Geschäft in der Gran Vía zeigte eine Galaausstellung mit ultramodernen Kriegsplakaten in schreienden Rot-, Orange- und Blautönen, die das spanische Volk aufriefen, die Republik gegen den Faschismus zu verteidigen. In der Decke war ein kleines ausgefranstes Loch zu sehen, wo eine Granate eingeschlagen war; daneben hatte man eine Karte befestigt, auf der stand: »Kunst, wie sie von General Franco praktiziert wird.«

Die Granateneinschläge, die Lkws in Tarnfarben und die Steinbarrikaden wirkten genauso surreal wie Bühnenrequisiten; die Sonne war zu warm und die Menschen waren zu lässig für den Krieg. Nur die Schlangen vor den Läden ließen die Tragödie erahnen. In einer Nebenstraße standen Frauen mit ihren Kindern und leeren Körben am Arm vor einem Lebensmittelladen an. Ein paar lehnten müde an der Mauer, andere saßen auf dem Randstein und starrten mit orientalisch unerschütterlichem Ausdruck vor sich hin. In ganz Madrid bildeten sich solche Schlangen. Die tägliche Kost in der Stadt bestand hauptsächlich aus Bohnen, Brot und Reis, aber die Lebensmittel waren so knapp, dass nur begrenzte Rationen auf den Tisch kamen. Tom erzählte mir, dass die Leute oft von Mitternacht bis zum nächsten Morgen Schlange standen.

Wir querten die Puerta del Sol, und Tom blieb vor einem kleinen Laden stehen, um einen Kavallerieumhang in Augenschein zu nehmen, den er als Souvenir nach England mitzunehmen erwog. Wir mussten über eine alte Hausiererin und das vor ihr ausgebreitete Sortiment aus rotschwarzen Anarchisten-Halsschleifen und Zinnornamenten in Form von Panzern und Flugzeugen hinwegsteigen.

Der Inhaber begrüßte Tom herzlich und holte einige Umhänge in verschiedenen Längen und Schnitten, verziert mit mannigfaltigen bunten Zierborten zum Vorschein. Eine Zeit lang unterhielten sie sich, dann beschloss Tom, es sich durch den Kopf gehen zu lassen und wiederzukommen. Als wir uns verabschiedeten, seufzte der Mann und schüttelte den Kopf: »Es ist sehr schwer, Señor. Es gibt nur noch wenige Gentlemen in Madrid.« Draußen sagte Tom: »Es ist unschwer zu erkennen, auf welcher Seite er steht.«

Während wir auf dem Rückweg zum Hotel die Gran Vía entlanggingen, fragte ich Tom, wie oft die Stadt bombardiert werde, woraufhin er stehen blieb, um nachdenklich auf seine Uhr zu blicken. »Jetzt ist es kurz nach Mittag. Normalerweise setzen sie vor der Mittagessenszeit ein paar Granaten ab.« Einen Augenblick später hörte ich ein Geräusch wie das Reißen von Stoff. Zuerst harmlos, dann wuchs es zu einem Zischen an; den Bruchteil einer Sekunde lang herrschte Stille, dann raste eine Granate mit ohrenbetäubendem Lärm in das weiße Steingebäude der Telefongesellschaft am Ende der Straße hinein. Backsteine und Holzbalken krachten zu Boden, und eine Staubwolke stob auf. Eine zweite Granate schlug keine dreißig Meter entfernt im Bürgersteig ein und eine dritte in einem aus Holz gebauten Wohnblock. Wie von einem jähen Windstoß weggefegte Papierfetzen rannten die Menschen in alle Richtungen davon, suchten Schutz in Hauseingängen und Vorhallen.

Tom und ich flüchteten uns in ein Parfümgeschäft, während die Detonationen noch eine halbe Minute andauerten. Mein Herzschlag beschleunigte sich; das Herabkrachen von Backsteinen, das Zerbersten von Glas und die dichte Staubwolke, die aufstieg und die Sonne verhüllte – all das war wie die Wiederkehr einer biblischen Plage, allerdings mit mechanischen Mitteln und an den Geschmack des zwanzigsten Jahrhunderts angepasst. Die Ladeninhaberin schien sich indes weitaus mehr um die Unversehrtheit ihres Geschäfts zu sorgen als um ihr eigenes Leben. Schnell begann sie die Parfümflakons aus dem Schaufenster zu räumen und in ordentlichen Reihen auf dem Boden zu deponieren. Bei jeder weiteren Detonation stieß sie einen erneuten Schwall Verwünschungen aus. Tom erklärte mir, sie habe Angst, dass die Scheiben zersplittern würden. Und Glas, meinte sie, sei sehr teuer.

Die Bombardierung dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als es vorbei war, gingen wir weiter: Die Bürgersteige waren von Backsteinen übersät, und ein Telefonmast lehnte trunken gegen ein Gebäude, die Kabel hingen wie Flatterbänder herab. Im ersten Stock eines Hutladens klaffte ein riesiges Loch, und an einer Ecke war ein Automobil in einen Stahlknäuel verwandelt worden. In der Nähe war der Boden von Blut getränkt – dort waren zwei Frauen ums Leben gekommen.

Verzweiflung hing über der Hauptstraße, aber der Lautsprecher plärrte noch immer eine Melodie aus Casino de Paris. Laster rollten heran, aus dem Männer stiegen, um die Trümmer zu beseitigen, während sie von Musik beschallt wurden. An den Straßenecken bildeten sich Menschentrauben, und kleine Buben rannten hinaus, um Granatenstücke als Souvenirs einzusammeln, die Zeitungsverkäufer kehrten zu ihren Verkaufsständen zurück, die Schuhputzer riefen nach Kunden, und die Ladeninhaber rückten ihre Waren in den Schaufenstern zurecht. Zwei Stunden später lag der Schutt in ordentlichen Haufen neben den Bordsteinen, und die Menschen flanierten wieder Arm in Arm im Sonnenschein. Genau so war Madrid, wie ich später feststellen sollte: Mr Hyde war verschwunden, und Dr. Jekyll hatte erneut die Kontrolle über die Stadt übernommen.

Nie zuvor hatte ich diese Art von Angst gespürt, die Herzrasen auslöst. Doch so intensiv die Emotion gewesen war, umso überraschter war ich, dass sie, als die Gefahr vorbei war, wieder völlig verschwand und ich sie mir hinterher kaum mehr vergegenwärtigen konnte. Merkwürdiger noch, sie hinterließ nicht die leiseste Spur von Besorgnis. Zwischen zwei Bombardements vergaß man völlig, dass es sie gab. Eine Erklärung für dieses Phänomen hatte ich nicht; vermutlich ging die Natur einfach weiter ihrer Wege. Wie auch immer, das Heulen einer Granate kam immer völlig überraschend, und zwar auf hinterlistige Weise, wie ich fand. Ich bewunderte die Nonchalance, die häufig an Nachlässigkeit grenzte, mit der die Spanier diese Bombardements ertrugen.

Strategisch gesehen war Madrid der Reservegraben, und die Bevölkerung hatte ein entsprechendes Training absolviert. Die Ohren der Zivilisten waren so geschult, dass ganz normale Frauen und Männer anhand des Zischens die Entfernung einer Granate ausmachen konnten. Wenn Granaten im Vier- oder Fünf-Minuten-Takt einschlugen, bedeutete es, dass sie nur von einer Stellung abgefeuert wurden und es immer eine »sichere« Straßenseite gab. Erfolgten die Detonationen aber schnell hintereinander, war das ein Hinweis auf ein Kreuzfeuer – dann konnte man nur noch Deckung suchen und auf Glück hoffen. Ich geriet zahllose Male unter Granatenbeschuss, sah jedoch kein einziges Mal Menschen in Panik verfallen. Sie verhielten sich so abgeklärt wie ausgebildete Soldaten; das knappe Entrinnen wurde Teil des alltäglichen Lebens, sodass es nicht einmal mehr als Gesprächsstoff taugte.

Bald fand ich heraus, dass die Beschaffung von Essen sehr viel mehr Sorgen bereitete als die Gefahr durch Granaten. Manchmal wenn ein Eselskarren beladen mit Kopfsalat oder Brot durch die Straßen fuhr, scharte sich eine Menge darum und half, ihn zu seinem Ziel zu zerren. Im Gegensatz zu der schrecklichen Knappheit an Grundnahrungsmitteln waren offenbar noch immer genügend Cognac- und Gin-Vorräte vorhanden, und die Cafés waren jeden Nachmittag gut gefüllt. Eines der beliebtesten war das Puerta del Sol. Eine Bombe war durch das Dach geschlagen, und man konnte Ausschnitte des Himmels sehen, aber im Erdgeschoss florierte das Geschäft.

Am fröhlichsten ging es an zwei anderen beliebten Treffpunkten zu, in den beiden ehemals schicken Cafés Chicote und Molinero. Obwohl sie sich in der Gran Vía befanden, der am meisten bombardierten Straße Madrids, waren sie jeden Nachmittag von Soldaten bevölkert, die Gewehre lässig an den Hüften baumelnd, und platinblonden Frauen mit breitem schwarzen Haaransatz – weil sämtliches Wasserstoffperoxid für die Krankenhäuser beschlagnahmt worden war.

Im Molinero fand man noch Überreste des spanischen Standesdünkels. Die Kellner hatten früher die wohlhabenden madrileños bedient und trugen noch immer einen konventionellen schwarzen Anzug mit weißem Hemd. Einige bahnten sich mit unverhohlener Verachtung ihren Weg durch die Menge lärmender, singender Menschen; andere wiederum hatten sich den neuen camarada-Geist zu eigen gemacht und bedienten einen mit unrasiertem Gesicht und einer Zigarette zwischen den Lippen.

Die Besitzer des Chicote und Molinero und der meisten großen Geschäfte und Hotels waren entweder erschossen worden, saßen im Gefängnis oder waren aus der Stadt geflohen. Die Gewerkschaften hatten ihre Betriebe übernommen, die jetzt größtenteils gemeinschaftlich von den Angestellten geführt wurden. Paläste und Landhäuser wurden als Sitz von Ministerien und als Hauptquartiere genutzt. Wenn sich Journalisten in Pullovern und Lederjacken in eines dieser Häuser begaben, um sich irgendwelche Genehmigungen ausstellen zu lassen, fanden sie sich in Sesseln aus dem sechzehnten Jahrhundert wieder, in Räumen mit geschnitzten Wandvertäfelungen und kostbaren Tapisserien. Häufig wurden Gespräche unterbrochen, weil der zuständige »Genosse« stolz darauf bestand, dass man sich die Bücher und Gemälde ansah, ja sogar die Statuen im Garten.

Während dieser wenigen Tage in Madrid erschien mir alles wie ein bizarrer Karneval. Nur nachts, wenn die Hauptstadt in erstickendes Schwarz getaucht war, machte sich die finstere Realität bemerkbar. Die Gebäude ragten so schwarz in die Höhe, dass der Himmel beinahe weiß erschien, und wenn man über die Bürgersteige huschte, trat hin und wieder eine Wache aus einem Eingang und wollte Ausweispapiere sehen.

Die Stadt schien verlassen, und es war still. Das einzige Geräusch kam aus einiger Entfernung: Gefechtsgeräusche aus dem Park Casa de Campo, knappe zweieinhalb Kilometer weit entfernt. Von dort hörte man das dumpfe Pochen der Minenwerfer wie fernen Donner und das dünne Knacken von Maschinengewehren wie im Wind flatternde Laken. Und während man durch die Nacht spazierte und über Granattrichter stolperte, fragte man sich, ob dies erst der Anfang war und wie lange es dauern würde, bis irgendwo anders die Lichter ausgingen.

3

DIE PRESSE

Die ausländischen Journalisten trafen sich zum Mittag- und Abendessen im Souterrain des Gran Vía; der Speisesaal des Hotels war das einzige geöffnete Restaurant in ganz Madrid. Es wurde von der Regierung betrieben, und die Gäste bestanden hauptsächlich aus Funktionären, Polizisten, Offizieren und Prostituierten.

Dort war es immer laut und voll, die Luft blau vor Zigarettenqualm. Einmal, während einer Bombardierung, bejubelte eine Gruppe Milizionäre jeden Granateneinschlag, indem sie die Weingläser hob und mit Sprechchören einen Toast ausbrachte. Als eine 152-mm-Haubitze in das Trottoir direkt vor dem Eingang krachte und der Metallrahmen der Markise verbogen wurde, applaudierte der Kellner lautstark und schmiss eine Runde.

Die Restauranttür wurde von bewaffneten Männern bewacht, und ich sah häufig, wie Frauen unter Tränen um Einlass bettelten, aber es durfte niemand ohne offizielle Erlaubnis herein.

Einmal drinnen, war das Essen dürftig und bisweilen kaum genießbar. Das Mittagsmenü bestand in der Regel aus Salami und einem Teller Reis und das Abendmenü aus einem Teller Bohnen. Als es an drei aufeinanderfolgenden Tagen Eier gab, die merkwürdig schmeckten, machte rasch das Gerücht die Runde, dass es sich um bombardierte Eier aus Cordoba handelte. Wie genau ein bombardiertes Ei aussah, konnte ich nicht herausfinden.

Immer verließen wir hungrig das Restaurant, eine neue Erfahrung für mich, hatte ich doch noch nie zuvor unter Essensmangel gelitten. Und doch wussten wir, dass wir weitaus besser dran waren als der durchschnittliche Spanier, sodass wir die bewachte Tür so gut wie nie ohne Gewissensbisse passierten, als hätten wir kein Anrecht auf dieses Privileg.

Einigen Journalisten war es gelungen, Nahrungsmittel aus Frankreich mitzubringen, und Tom Delmers Wohnzimmer im Hotel Florida wurde zu einem beliebten Treffpunkt. Tom hatte den Raum mit Elektrokochern und Wärmeplatten ausgestattet. An einem Kleiderbügel am Schrank hing ein Schinken, auf dem Tisch standen Schalen mit Crackern und Sardinendosen. Von elf Uhr abends an versammelten sich dort die Presseleute: Da war Herbert Matthews von der New York Times; Ernest Hemingway von der North American Newspaper Alliance; »Hank« Gorrell von United Press; Thomas Loyetha vom International News Service; Martha Gellhorn von Collier’s; George und Helen Seldes, Josephine Herbst und viele andere. Während das Essen nur sparsam verteilt wurde, gab es immer ausreichend Bier und Whisky, und selten endeten diese Zusammenkünfte vor den frühen Morgenstunden.

Wenn es zu warm wurde, knipste Tom das Licht aus und öffnete die verdunkelten Fenster. Oft stellte er das Grammofon an und spielte Beethovens fünfte Symphonie. Über die Musik hinweg konnten wir in der Ferne das Grollen der Artillerie hören; eine sonderbare Mischung.

Toms Partys endeten abrupt, als eines Tages eine Granate in das Zimmer flog und die Warmhaltebehälter und Elektroplatten zerstörte. Glücklicherweise hielt sich in diesem Moment niemand dort auf. Kurz darauf betrat ich die Lobby und fand dort den Hoteldirektor an seinem Schreibtisch über die Rechnungsbücher gebeugt vor, als ob nichts wäre. Als ich ihn nach dem Schaden fragte, sah er mich kühl an und leugnete, dass das Hotel überhaupt von einer Granate getroffen worden sei. Nur eine Gasleitung sei beschädigt worden. Obwohl jeder das klaffende Loch in der Mauer von Toms Zimmer sehen konnte, beharrte er dickköpfig auf seiner Behauptung, aus Angst, dass seine Gäste es mit der Angst zu tun bekommen und abreisen könnten.

Ein Gast reiste tatsächlich ab. Ein namenloser amerikanischer Flieger, der für einen Kurzurlaub nach Madrid gekommen war. Als die Granate einschlug, befand er sich auf dem Flur in der Nähe von Toms Zimmer und wurde von der Druckwelle niedergeworfen. Er war ohnehin beschwipst gewesen und kam anschließend die Treppe heruntergewankt und rief: »Schöner Urlaub! Ich werde jetzt zum Spaß auch ein paar Bomben werfen!«

***

Die Zeitungsreporter übermittelten jeden Abend vom Hochhaus der Telefónica, der spanischen Telefonzentrale in der Gran Vía, ihre Artikel. Es war das höchste Gebäude in Madrid, und vom obersten Stockwerk konnte man den Park Casa de Campo und die Schlachtfelder des Universitätsviertels sehen. Die Tatsache, dass es gern als Beobachtungsposten genutzt wurde, machte es zu einem militärischen Ziel, und tatsächlich wurde es während meines Aufenthalts in Madrid über achtzig Mal von Bomben getroffen. Das Hochhaus war eine Stahlbetonkonstruktion, und die Mauern erwiesen sich als zu robust für 152-mm-Granaten, weswegen der Schaden gering blieb. Einmal schlug eine 76-mm-Granate ein Loch ins Dach des Telefonraums, aber von den Telefonistinnen wurde gottlob niemand verletzt.

Sämtliche Zeitungsartikel wurden per Ferngespräch nach London und Paris übermittelt und von dort in verschiedene Teile der Welt gekabelt. Zwischen den Nachrichtenagenturen herrschte ein Wettbewerb darum, wer als Erstes seinen Anruf durchbekam. Da es nur zwei Fernleitungen gab, dauerte es manchmal vier bis fünf Stunden, um eine Verbindung zu erhalten. Die Mehrheit der Spezialkorrespondenten arbeitete für Morgenzeitungen, was bedeutete, dass es um 21 Uhr immer zum größten Andrang kam; im Telefonraum gab es ein paar Pritschen, die einige Korrespondenten gern für ein Nickerchen nutzten, während sie auf ihr »dringendes« Ferngespräch warteten.

Jede Story musste zuvor einem Zensor oder einer Zensorin vorgelegt und jede Seite abgestempelt werden. Beim Vorlesen saß eine Telefonistin neben den Journalisten, um notfalls die Verbindung zu unterbrechen, falls etwas hinzugefügt wurde, das nicht in der genehmigten Version stand. Häufig gab es Versuche, die Zensur zu umgehen, indem man amerikanische Slang-Ausdrücke benutzte, doch als eine junge kanadische Mitarbeiterin eingestellt wurde, war Schluss damit. Über die Internationalen Brigaden, kurz Interbrigaden, durfte nicht berichtet werden; ebenso wenig über russisches Rüstungsmaterial; auch durften Gebäude und Straßen, die von Bombardements betroffen waren, nicht benannt werden.