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Junge, blendend aussehende Männer, die auch noch als Gutsherr über ein nicht unbeträchtliches Vermögen und entsprechendes Anwesen verfügen, erinnern eher an den zweifelhaften Titel "Weiberheld". Nicht so Christian Lerchner, der junge Besitzer von Gut Lerchenhain, der rund um den Ammersee nur "Weiberfeind" genannt wird. In frühester Kindheit von der Mutter verlassen, aufgezogen von wechselnden Tanten und Angestellten und dann auch noch von einer jungen Magd unberechtigt der Vaterschaft bezichtigt, hat Christian sich geschworen, Frauen niemals mehr zu nahe zu kommen. Doch dieser Vorsatz gerät gehörig ins Wanken, als statt des alten Tierarztes Josef Gauß plötzlich Dr. Helga Sommer im Pferdestall vor Christian steht, jung, blendend aussehend und äußerst bezaubernd ...
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Umweg zum Glück
Vorschau
Impressum
Umweg zum Glück
Ein Frauenfeind lernt die Liebe kennen
Von Corinna Sandberg
Junge, blendend aussehende Männer, die auch noch als Gutsherr über ein nicht unbeträchtliches Vermögen und entsprechendes Anwesen verfügen, erinnern eher an den zweifelhaften Titel »Weiberheld«. Nicht so Christian Lerchner, der junge Besitzer von Gut Lerchenhain, der rund um den Ammersee nur »Weiberfeind« genannt wird. In frühester Kindheit von der Mutter verlassen, aufgezogen von wechselnden Tanten und Angestellten und dann auch noch von einer jungen Magd unberechtigt der Vaterschaft bezichtigt, hat Christian sich geschworen, Frauen niemals mehr zu nahe zu kommen. Doch dieser Vorsatz gerät gehörig ins Wanken, als statt des alten Tierarztes Josef Gauß plötzlich Dr. Helga Sommer im Pferdestall vor Christian steht, jung, blendend aussehend und äußerst bezaubernd ...
»So«, sagte die Sprechstundenhilfe der tierärztlichen Praxis zu der bildschönen Dr. Helga Sommer. »Zum Weiberfeind müssen Sie! Dann wünsche ich Ihnen eine gute Unterhaltung.«
Helga Sommer fuhr los, im sonnigen Frühlingswetter am Ufer des Ammersees entlang zum Gut Lerchenhain, dem größten Besitz in der Gegend. Nach der Äußerung der kecken Bärbel erwartete sie, einen grantigen alten Gutsbesitzer anzutreffen, dem sämtliche weiblichen Wesen ein Gräuel waren. Auf dem Gut, zu dem auch eine Pferdezucht gehört, hatte sich ein Pferd verletzt. Dr. Sommer wollte nach ihm sehen.
Bald erreichte sie die Privatstraße zu den Gutsgebäuden. Die Felder links und rechts von dem Weg waren gepflegt. Einige Buschinseln und vereinzelte, Schatten spendende Bäume lockerten das Landschaftsbild auf. Die Maisonne überdeckte alles mit ihrem Glanz.
Dann sah Helga die Gutsgebäude, wahre Schmuckstücke. Der »Weiberfeind« hielt seinen Besitz sichtlich in Ordnung. Das Gutshaus selbst war mit Schindeln gedeckt und weiß getüncht. Durchbrochene Holzbalkone zogen sich im ersten und zweiten Stock über die Hausfront und die Westseite. Eine Flut blühender Geranien ergoss sich förmlich von diesen Balkonen.
Helga konnte die Pferde auf der Koppel nur mit einem flüchtigen Blick streifen. Sie hielt im Hof, wo ein Traktor und eine Drillmaschine standen. Helga kannte den Verwendungszweck dieses Saatrillenziehers nicht so recht. Sie stammte nämlich aus München und hatte gerade erst ihr Tierarztstudium abgeschlossen.
Auf dem Gutshof sah sie nur eine schwarz gekleidete ältere Person, eine Magd mit Schürze, Kleid und derben Schuhen. Trotz des warmen Sonnenscheins trug sie ein Kopftuch. Ihr bräunliches Gesicht war von zahllosen Falten durchzogen, dunkle Augen blickten Helga abweisend an.
»Grüß Gott«, sagte die dunkelblonde, schlanke Tierärztin freundlich.
Die Magd nickte und antwortete etwas, das »Grüß Gott« heißen konnte.
Helga war mit Jeans, Stiefeletten, einem schicken hellen Blouson und einem Band, das ihre Haare zusammenfasste, das genaue Gegenteil dieser Magd: eine moderne, aufgeschlossene junge Frau nämlich. Sie hielt ihre Instrumententasche unter dem Arm.
»Ich bin Dr. Sommer«, stellte sie sich vor. »Ich vertrete Dr. Gauß, den hiesigen Tierarzt, während seiner Kur. Man hat angerufen und mich hierher beordert.«
Die Magd staunte Helga an. Das dezente Make-up der knapp fünfundzwanzigjährigen Tierärztin, die klaren blauen Augen, die schmale Goldkette am Hals und die modischen Ohrringe, das alles verwirrte die ältere Frau. Kopfschüttelnd betrachtete sie Helgas gepflegte, rosé lackierte Fingernägel.
»Christian!«, rief sie dann. »Komm mal her. Die Frau Doktor is kemma!«
Damit schlurfte sie davon.
Wenn der Gutsbesitzer seiner Magd entsprach, dann war Helga auf einiges gefasst!
Die Stalltüre öffnete sich, und zu Helgas Erstaunen erschien einer der bestaussehenden Männer, die sie jemals gesehen hatte. Er war hochgewachsen, mit tadelloser Figur, dunkelblonden gelockten Haaren und einem Grübchen im Kinn. Helga schätzte ihn auf etwa achtundzwanzig. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und zum ersten Mal im Leben verspürte sie beim Anblick eines Mannes einen leichten Schwindel.
Nimm dich zusammen, Helga, ermahnte sie sich selbst. Und sie dachte: Das kann doch wohl nicht der Weiberfeind sein, der Herr von Gut Lerchenhain? Wenn er es ist, dann lispelt er bestimmt, ist sagenhaft primitiv, oder hat abstoßende Gewohnheiten.
Helga hielt sich erst seit Kurzem auf dem Lande auf und kannte die hiesigen Gepflogenheiten noch nicht. Der Adonis vor ihr war allerdings auch auf eine unmögliche Weise gekleidet: Mit hohen, dreckigen Gummistiefeln, einer Manchesterhose, die schon seinem Großvater gehört haben konnte, und einer Joppe mit mehr Flicken als heilen Stellen. Er musterte Helga abschätzend.
»Lerchner«, stellte er sich vor. Seine Stimme war durchaus wohlklingend. Es handelte sich tatsächlich um den Gutsbesitzer, den »Weiberfeind«. »Sie sind Ärztin? Hier ist niemand krank. Ich habe lediglich Dr. Gauß, unseren alten Tierarzt, bestellt. Eins meiner Pferde hat sich verletzt.«
Er hatte nur gehört, dass eine Frau Doktor erschienen sei, und hatte die falschen Schlüsse gezogen.
»Ich bin die Vertreterin von Dr. Gauß«, antwortete Helga. »Er musste plötzlich in Kur. Wo ist das verletzte Pferd?«
Sie wollte den Stall betreten, aber Christian Lerchner stellte sich ihr in den Weg.
»Halt! Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie mit diesen manikürten Fingerchen ein Pferd kurieren können, einem Kalb auf die Welt helfen und was sonst noch alles anfällt in einer ländlichen Tierarztpraxis? Dr. Gauß hat wohl eine Kopfkrankheit, dass er ... nun, eine junge Dame bestellt hat, die eher in eine Boutique als in eine Veterinärpraxis gehört.«
»Danke für das Kompliment«, erwiderte Helga kühl. »Aber ich verstehe meine Arbeit durchaus. Dr. Gauß hat mich sorgfältig unter zahlreichen Bewerbern für die Vertretung ausgesucht. Der Landarzt, bei dem ich mein praktisches Jahr ableistete, hat mich ihm empfohlen. Lassen Sie mich jetzt vorbei, oder wollen Sie die arme Kreatur noch länger leiden lassen? Sie trauen mir wohl nichts zu, lediglich weil ich eine Frau bin?«
Christian sah ratlos drein. Dann wich er zur Seite, und Helga betrat den Stall. In der vorletzten Box fand sie das Pferd vor. Sein rechter Vorderlauf war dick geschwollen. Es schnaubte und sträubte sich, als Helga es untersuchen wollte. Sie redete ihm zu wie, nun, wie einem kranken Gaul eben.
Christian, der hinter ihr stand, in recht abweisender Haltung, musste zugeben, dass sie das konnte. Der rostrote Hengst beruhigte sich, und der Gutsherr hielt, auf Helgas Anweisung hin, seinen Kopf fest. Vorsichtig untersuchte sie die geschwollene Stelle. Der Hengst schnaubte, keilte aber nicht aus, als ob er spürte, dass man ihm helfen wollte.
»Es handelt sich zum Glück nur um eine Verstauchung, ...«, diagnostizierte Helga, »... keinen Bruch. Das Pferd hat übrigens die Hufrollenkrankheit in fortgeschrittenem Zustand. Deshalb ist es auch fehlgetreten. Haben Sie das denn nicht bemerkt, Herr Lerchner?«
Der Gutsbesitzer schüttelte den Kopf und berichtete: »Er ist getrabt und galoppiert wie immer. Doch heute Morgen, beim Überspringen, ist es passiert. Ich fürchtete schon das Schlimmste.«
»Sie reiten Hindernisrennen, Herr Lerchner?«, fragte Helga.
»Ich bin Mitglied des Reitervereins und sein Champion«, antwortete Christian. »Ich habe mich wieder dazu breitschlagen lassen, in diesem Jahr zwei- bis dreimal anzutreten. Außer mir haben sie nämlich keinen, der mit dem Pferd über die Oxer und Barrieren gelangt. Die Reiterkameraden fliegen entweder allein über das Hindernis, oder sie bleiben davor liegen.«
Christian grinste sie beinahe spitzbübisch an.
Immerhin, er hatte Humor, eigentlich eine positive Eigenschaft. Helga gab dem Pferd eine Spritze und legte einen Stützverband an. Sie verschrieb eine Einreibepaste, mit der man die Verstauchung und die Hufrollenkrankheit behandeln sollte. Außerdem nannte sie Christian noch ein altes Hausmittel, das er allerdings schon kannte.
Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und musste zugeben: »Sie verstehen Ihr Fach tatsächlich, Frau Doktor.«
Helga stand vor ihm und wollte die Pferdebox gerade wieder verlassen.
»Fräulein Doktor«, bemerkte sie. »Aber auf die Anrede lege ich keinen Wert. Nennen Sie mich Dr. Sommer oder einfach Helga. Ich bin keine Freundin von Förmlichkeiten.«
Sie empfahl Christian, das Pferd zu schonen. Das Überspringen von Hindernissen konnte ihm in den nächsten Monaten keinesfalls zugemutet werden.
»Das hätte ich selbstverständlich unterlassen«, erwiderte Christian. »Wofür halten Sie mich denn?« Er tätschelte den Kopf des Pferdes. »Ich bin heilfroh, dass der liebe Kerl wieder gesund wird. Sonst hätte ich mir schlimme Vorwürfe gemacht. Natürlich will ich gewinnen, wenn ich offiziell antrete. Aber dafür würde ich niemals ein Pferd schinden oder seine Gesundheit aufs Spiel setzen.«
Sie verließen den Pferdestall. Helga blinzelte ins helle Sonnenlicht und wollte wieder abfahren. Oder vielleicht wollte sie doch nicht so recht? Christian zögerte.
»Vielen Dank für die ausgezeichnete Arbeit, Dr. Sommer. Wenn der Gauß-Josef bei mir war, haben wir hinterher immer einen Schnaps getrunken. Aber Ihnen kann ich wohl keinen Enzian zumuten?«
Helga lachte und fuhr sich ordnend über das weiche, helle Haar.
»Einen Kaffee würde ich jetzt gern trinken. Lange kann ich mich allerdings nicht aufhalten, die Praxis ruft.«
»Bitte folgen Sie mir«, sagte der Gutsbesitzer förmlich. »Niemand soll behaupten können, dass man auf Gut Lerchenhain die einfachsten Regeln der Gastfreundlichkeit außer Acht lässt. Wir setzen uns in die Stube. Kreszentia soll Kaffee kochen, und ein Stück von ihrem ausgezeichneten Apfelkuchen werden Sie wohl auch nicht ablehnen?«
***
Das Gutshaus war geschmackvoll eingerichtet und blitzsauber. Für einige der alten Bauernmöbel hätten Sammler eine Menge geboten. Helga sah im Vorbeigehen Zinngeschirr auf einem Bord und bewunderte es.
»Das hat meine Mutter als Aussteuer mitgebracht«, erklärte Christian.
Helga wandte ihm gerade den Rücken zu, sie sah seinen Gesichtsausdruck nicht.
»Ihre Mutter lebt nicht mehr?«, erkundigte sie sich in mitfühlendem Ton.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er knapp. »Sie ist mit einem anderen Mann durchgebrannt, als ich drei Jahre alt war. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Das tut mir leid für Sie«, äußerte Helga impulsiv.
Hatte Christians Abneigung gegen Frauen etwa schon hier ihre Wurzeln? Bisher hatte sie ihn als einigermaßen umgänglich kennengelernt. Mit feinem Instinkt spürte Helga, dass Christian sich zu ihr hingezogen fühlte.
Viele Männer hatten sich schon für die junge Tierärztin interessiert, waren aber meist auf kühle Zurückhaltung gestoßen. Ohne prüde zu sein, wartete Helga auf die wahre, große Liebe. Sie hatte natürlich Freundschaften und Beziehungen gehabt. Diesen letzten Ausdruck mochte sie allerdings gar nicht. Er enthielt ihr zu wenig Gefühl, und gerade darauf kam es doch an!
Helga nahm im Wohnzimmer Platz, wo Christian ihr den Stuhl zurechtrückte. Dann suchte er seine Kreszentia auf, die ältere Magd, die Helga vorhin schon kennengelernt hatte. Derweil betrachtete die Tierärztin die filigran geschnitzte Kuckucksuhr und den breiten, handgearbeiteten Schrank. Eine Truhe mit glänzenden Messingbeschlägen stand in der Ecke. Auch der große Kamin fiel Helga auf. Gewiss war es sehr behaglich, an Winterabenden dort zu sitzen.
Man bemerkte allerdings deutlich, dass es auf Gut Lerchenhain keine Herrin gab. Die schmückenden Kleinigkeiten fehlten völlig, ohne die eine Wohnung kahl und trist wirkte. Immerhin stand ein Blumenstrauß auf dem Tisch. Helga fragte sich, ob Kreszentia die Blumen gepflückt hatte. Aber das konnte schlecht sein. In ihrer Hand wären sie sicher verdorrt.
Helga lachte leise, als sie daran dachte. Der Gutsbesitzer, der gerade wieder eintrat, hörte es.
»Na, so gut gelaunt?«
Er hatte seine schmutzigen Stiefel ausgezogen und sich statt der Uraltjoppe eine saubere Weste übergestreift. Er teilte Helga mit, dass der Kaffee gleich eintreffen würde, und setzte sich zu ihr.
»Leben Sie alle in dem großen Haus?«, fragte Helga. »Ich möchte nicht neugierig sein, aber ...«
»... ich hätte gern Bescheid gewusst«, ergänzte Christian den Satz. »Kreszentia hat ihre Kammer im Dachgeschoss. Sie ist die Haushälterin und die weibliche Seele von Gut Lerchenhain.«
Oh weh, dachte Helga, und als ob er ihre Gedanken erraten hätte, setzte der Gutsbesitzer hinzu: »Kreszentia hat ihre Eigenheiten, aber sie ist eine Seele von Mensch. Und äußerst tüchtig. Bevor sie kam, war es nicht zum Aushalten. Entweder kam das Essen überhaupt nicht auf den Tisch, oder es war fast ungenießbar. In den Ecken hingen die Spinnweben, keiner fühlte sich zuständig. Kreszentia hat das Gesinde auf Trab gebracht. Ich bin mit der Gutsverwaltung, der Feldarbeit und all dem andern so beschäftigt, dass ich mich nicht auch noch um Küche und Keller kümmern kann.«
Helga lag die Bemerkung auf der Zunge, dass auf so ein großes Gut einfach eine Herrin gehörte. Aber sie unterdrückte ihre Worte, weil Christian sie bestimmt falsch aufgefasst hätte – und es auch gar nicht ihre Angelegenheit war.
Kreszentia trat ein, ihr Gesicht so sauertöpfisch, dass die Milch zum Kaffee eigentlich hätte gerinnen müssen. Um die sechzig musste die Haushälterin sein. Als sie den Mund öffnete und sprach »Wohl bekomm's«, bemerkte Helga, dass sie zwei Zahnlücken hatte.
Helga bedankte sich. Der Kaffee und der Kuchen schauten appetitlich aus – genau die richtige Pause am späten Vormittag.
Plötzlich schrie Kreszentia entsetzt auf: »Jessas, Mar' und Josef!«
»Was ist denn geschehen?«, fragte Helga entsetzt.
Kreszentia deutete auf den Blumenstrauß am Tisch.
»Da, eine Spinne!«
Ein winziges Spinnchen krabbelte auf den Blumen. Man konnte es gerade noch ohne Lupe wahrnehmen.
»Spinnen am Morgen, Unglück und Sorgen«, verkündete die Haushälterin. »Das bedeutet ein schlechtes Omen. Und heute Morgen ist eine schwarze Katze von links vorm Gutshaus vorbeigelaufen. Das wird bös' enden.«
Sie wollte die Spinne zerdrücken, doch Helga nahm das unschuldige Tierchen vorsichtig auf und warf es aus dem Fenster. Kreszentia verließ eilig das Wohnzimmer. Helga war einigermaßen erstaunt.
»Was hat sie denn?«, fragte sie Christian.
Der verzog keine Miene, aber in seinen Augen lag der Schalk.
»Ach, sie ist immer so. Kreszentia ist derart pessimistisch, dass es einem das Herz erfrischt, denn so schlimm, wie sie es darstellt, kann es überhaupt nicht kommen. Sie ist abergläubisch und sieht in allem ein Omen, grundsätzlich ein schlechtes natürlich. Wenn die Sonne scheint, munkelt sie, das wäre schlecht für die Kartoffeln und Rüben. Wenn es regnet, dann sagt sie: Das Korn fault, das gibt eine Missernte heuer. Wenn irgendwo eine Maus pfeift, heißt es: Die kündigt eine Hungersnot an. Kreszentia ist zweimal verwitwet und hat es auch sonst im Leben nicht leicht gehabt. Ihr Pessimismus ist eine eherne Burg für sie, in die sie sich hineinflüchtet.«
»Eine angenehme Gesellschafterin scheint sie nicht gerade zu sein«, stellte Helga fest.
Mit dieser Haushälterin musste der Gutsherr ja dem weiblichen Geschlecht abgeneigt sein!
Christian winkte ab: »Kreszentia ist mir lieb und wert, ich lasse nichts auf sie kommen. Wer sie nicht mag, der kann Gut Lerchenhain fernbleiben.«
»Ich habe sie keinesfalls in Misskredit bringen wollen«, versicherte Helga. »Ich finde nur manches verwunderlich. Wir sehen uns gewiss bald wieder, denn ich muss wegen Ihres Pferdes noch mehrmals herkommen. Vielen Dank für den Kaffee und Kuchen. Bestellen Sie Kreszentia, beides hätte hervorragend geschmeckt.«
Helga verabschiedete sich, und Christian sah aus dem Fenster, als sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr. Er hob grüßend die Hand. Widerstrebende Empfindungen beherrschten ihn. Diese hübsche Tierärztin hatte sein Interesse geweckt, schließlich war er ein stattlicher junger Mann und kein Mönch oder Eunuch.
Aber Christian hatte eine eigene Einstellung gegenüber Frauen im Allgemeinen und hübschen Mädchen im Besonderen. Dass seine Mutter ihn im Stich gelassen hatte, hatte er nie verwunden. Das war dann der Anfang einer Misere gewesen. Verwandte, Haushälterinnen und Mägde, die mehr auf ihre eigene Bequemlichkeit und ihren Vorteil bedacht waren als auf das Wohl des Kindes, hatten ihn jahrelang großgezogen. Er war ganz einfach herumgeschubst worden.
Johann Lerchner, sein Vater, ein barscher, verschlossener Mann, war nicht der Mensch gewesen, der einem Kind Vater und Mutter sein konnte. Er war auch im Gutsbetrieb derart eingespannt, dass ihm meistens nicht die Zeit und die Kraft blieb, sich Christian zu widmen. Er hatte freilich darauf gesehen, dass es ihm äußerlich an nichts fehlte.
Dann kam, als Christian elf Jahre alt wurde, eine neue Haushälterin, eine hübsche Person. Sie wollte den Gutsherrn unbedingt heiraten. Das Kind war ihr dabei im Weg, denn sie hätte gern eigene Kinder mit Johann Lerchner gehabt. Christian bekam das zu spüren. Er und diese Haushälterin verstanden sich nicht – er war eifersüchtig auf sie, denn er begriff, dass seinen Vater und diese Frau mehr verband, als er verstehen konnte.
Es gab Streit. Johann Lerchner drohte der Haushälterin, sie zu entlassen, wenn sie den Jungen nicht »ordentlich« behandelte, wie er es nannte. Aber er versöhnte sich dann wieder mit ihr, und so ging es fast zwei Jahre lang.
Dann ließ sich die Haushälterin hinreißen, den Jungen wegen eines harmlosen Lausbubenstreichs schlimm zu verprügeln. Zu allem Unglück geschah es, dass die Frau Christian, der sich gegen die Schläge wehrte, gegen den Herd stieß. Ein Topf mit kochendem Wasser fiel herunter, und der Junge zog sich Verbrühungen zu.
Das war das Ende dieser Haushälterin auf Gut Lerchenhain. Der Gutsherr ermannte sich und wies seine Geliebte vom Gut. Es gab Gerede, Gezeter, Skandal. Die Entlassene ließ kein gutes Haar an dem alten Lerchner und seinem »Balg« und zog in der ganzen Gegend über sie her.
Auch das war eine schmerzliche Erfahrung für den heranwachsenden Christian, denn er hörte manches von dem üblen Klatsch. Nach dieser Frau erschien Kreszentia Steiringer auf Gut Lerchenhain und nahm die frei gewordene Stelle als Haushälterin ein. Fünfzehn Jahre war das jetzt her.
Johann Lerchner hatte sich diesmal eine Frau als Haushälterin gesucht, mit der man ihm bestimmt keine Liebschaft nachreden würde. Christian war zuerst entsetzt über Kreszentia gewesen und hatte sich sogar vor ihr gefürchtet.
Aber wie durch einen Zauber besserte sich alles: Es kehrten andere Verhältnisse ein auf Gut Lerchenhain. Kreszentia schaffte Ordnung, widersprach auch mal dem Gutsherrn, wenn sie es für richtig hielt, und wies ihn zurecht, zum Beispiel, wenn er mit schmutzigen Schuhen ins Haus trampelte. Die Spinnweben in den Ecken verschwanden. An den Kleidungsstücken fehlten keine Knöpfe mehr, die Socken waren plötzlich alle gestopft. Die Wäsche war genauso sauber wie das ganze Haus.