Lost Girls − Breathing for the First Time - Nikola Hotel - E-Book

Lost Girls − Breathing for the First Time E-Book

Nikola Hotel

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Beschreibung

I'm lost. And I don't ever want to be found … Eine neue New-Adult-Dilogie von Spiegel-Bestseller-Autorin Nikola Hotel. Ein luxuriöses Strandhaus, ein erfolgreicher Footballstar als Ehemann. Von außen wirkt das Leben der 21-jährigen Darcy perfekt. In Wahrheit ist es ein Albtraum. Jeder Schritt wird von ihrem Mann beobachtet, jeder vermeintliche Fehler bestraft. So kann sie nicht weitermachen. So will sie nicht weitermachen. Während sie ihre Flucht plant, begegnet sie Ellis – einem Engländer, der auf den ersten Blick erkennt, was sie vor allen anderen verzweifelt verbirgt. Darcy ahnt nicht, dass es genau diese Begegnung ist, die ihr Leben für immer verändern wird. Denn Jason wird sie nicht einfach so gehen lassen … Intensiv, fesselnd und schmerzhaft – ein sensibler Liebesroman über eine toxische Beziehung und den Kampf zurück zu sich selbst …

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Seitenzahl: 650

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nikola Hotel

Lost Girls − Breathing for the First Time

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Mein Leben gehört mir. Und nur mir.

 

Ein luxuriöses Strandhaus, ein erfolgreicher Footballstar als Ehemann. Von außen wirkt das Leben der 21-jährigen Darcy perfekt. In Wahrheit ist es ein Albtraum. Jeder Schritt wird von ihrem Mann beobachtet, jeder vermeintliche Fehler bestraft. So kann sie nicht weitermachen. So will sie nicht weitermachen. Während sie ihre Flucht plant, begegnet sie Ellis – einem Engländer, der auf den ersten Blick erkennt, was sie vor allen anderen verzweifelt verbirgt. Darcy ahnt nicht, dass es genau diese Begegnung ist, die ihr Leben für immer verändern wird. Denn Jason wird sie nicht einfach so gehen lassen …

 

Intensiv, fesselnd und schmerzhaft – ein sensibler Liebesroman über eine toxische Beziehung und den Kampf zurück zu sich selbst …

 

 

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/lostgirls1 eine Content-Note.

Vita

Nikola Hotel hat eine große Schwäche für gebrochene Charaktere und unterdrückte Gefühle, daher hängt ihr Herz vor allem am New-Adult-Genre. Und das merkt man ihren ebenso gefühlvollen wie mitreißenden Liebesgeschichten an. Seit 2020 gelang jedem ihrer Bücher unmittelbar nach Erscheinen der Einstieg in die Spiegel-Bestsellerliste. Zudem sind viele ihrer Romane besonders ausgestattet, seien es Handletterings in «It was always you» und «It was always love», ein Daumenkino und Origami-Faltanleitungen in «Ever» und «Blue» oder die Blackout Poetry in «Dark Ivy». In ihren Büchern hat Nikola immer schon ernste Themen behandelt, in ihrer neuen Dilogie «Lost Girls» geht sie noch einen Schritt weiter und zeigt ihre Figuren hautnah in Ausnahmesituationen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bonn und gewährt auf Instagram (@nikolahotel) allerlei Einblicke in ihren Schreiballtag.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-02190-7

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/lostgirls1 eine Content-Note.

Für alle, die lernen mussten zu schweigen oder ihre Stimme verloren haben –

und für die, die den Mut finden, sie sich zurückzuholen.

I took a deep breath and listened

to the old brag of my heart.

I am, I am, I am.

 

– Sylvia Plath, The Bell Jar

Playlist

Words as Weapons – Birdy

Narcissus – Paris Paloma

Love the Way You Lie – Eminem, Rihanna

Every Breath You Take – Chase Holfelder

Castle – Halsey

No Time to Die – Billie Eilish

The Beach – The Neighbourhood

Runaway – AURORA

last woman on earth – Paris Paloma

jar of hearts – Christina Perri

Do I Wanna Know? – Arctic Monkeys

Young And Beautiful – Lana Del Rey

As the World Caves in – Sarah Cothran

Stronger – Kanye West

HUNTER – the cacophony – Paris Paloma

Can’t Catch Me Now – Olivia Rodrigo

My Blood – Ellie Goulding

Panic Room – Au/Ra

Man Down – Rihanna

LABOUR – the cacophony – Paris Paloma

*** NFL-Quarterback in großer Sorge: Ehefrau nach Badeunfall vermisst ***

Die Football-Welt ist in Aufruhr nach dem Verschwinden von Darcy Sullivan, der 21-jährigen Ehefrau von Jason Miller, dem gefeierten Quarterback der Carolina Breakers. Aktuell geht die Polizei von einem Badeunfall aus. Der Vorfall ereignete sich nur wenige Tage vor Millers erstem Pre-Season-Spiel und hat sowohl die Öffentlichkeit als auch die Familie tief erschüttert.

Am Dienstag wurden Rettungskräfte alarmiert, nachdem am Strand von Corolla, North Carolina, persönliche Gegenstände von Darcy entdeckt worden waren. Trotz sofortiger Suchmaßnahmen der Küstenwache und freiwilliger Helfer blieb die junge Frau unauffindbar.

*** Intensive Suchaktionen nach Ehefrau von Super-Bowl-Champion ***

Die Suche nach Darcy Sullivan geht weiter. Nach ihrem Verschwinden an einem beliebten Strand in den Outer Banks wurden umfassende Suchaktionen entlang der Küste durchgeführt, doch bislang ohne Erfolg. Die Polizei und die Küstenwache setzen ihre Bemühungen fort und haben das Suchgebiet ausgeweitet. «Wir haben alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert, um Darcy zu finden», sagte ein Sprecher der Küstenwache. «Wir suchen sowohl mit Wasser- als auch mit Luftpatrouillen und arbeiten eng mit den lokalen Behörden zusammen.»

*** Unterstützung im Fall der verschwundenen Darcy Sullivan ***

Jason Miller, der nach seinem Super-Bowl-Sieg im Februar im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, spricht erstmals nach dem Verschwinden seiner Frau. In einer kurzen Erklärung äußerte er: «Darcy ist der wichtigste Mensch in meinem Leben, und ich werde niemals die Hoffnung aufgeben, sie wiederzufinden.»

Die beiden sind seit der Highschool ein Paar, doch im Gegensatz zu dem beliebten Quarterback, der seine Fans regelmäßig an seinem Leben teilhaben lässt, hat seine Frau sich nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Freunde und Bekannte der Familie äußern ihr Mitgefühl, und die gesamte Football-Community zeigt sich tief betroffen. Fans drücken weltweit in den sozialen Medien ihre Unterstützung aus und beten für das Wohl der vermissten Darcy Sullivan. Auch Travis Kelce und Taylor Swift meldeten sich via Instagram: «Wir sind erschüttert über das, was passiert ist. Unsere Gedanken und Gebete sind bei Jason und seiner Familie.»

*** Rätselhafte Wendung im Fall von Darcy Sullivan: Nachricht deutet auf möglichen Suizid hin ***

Der Fall der verschwundenen Darcy Sullivan, der Frau des NFL-Quarterbacks Jason Miller, hat eine dramatische Wendung genommen. Nachdem sie seit dem 8. August vermisst wird und ihre Leiche noch nicht gefunden wurde, gibt es nun Hinweise, die auf einen möglichen Suizid hindeuten. Eine Nachricht, die von Darcys Handy gesendet wurde, wirft neues Licht auf die Ereignisse.

«Diese persönliche Mitteilung gibt uns neue Informationen, die wir in unsere Ermittlungen einbeziehen müssen», sagte ein Polizeisprecher. «Wir werden weiterhin alle möglichen Spuren verfolgen, um mehr über die genauen Umstände ihres Verschwindens herauszufinden.»

*** Reaktionen im Fall Darcy Sullivan ***

Jason Miller, der seit dem Verschwinden seiner Frau die Öffentlichkeit meidet, hat sich nun zu Wort gemeldet. «Sie ist die Liebe meines Lebens. Der Verlust von Darcy ist unvorstellbar, und die Spekulationen sind sehr belastend für mich und meine Familie. Wir bitten deshalb um Privatsphäre, während wir versuchen, diesen Schmerz zu verarbeiten.»

Die Textnachricht, die kurz vor ihrem Verschwinden gesendet wurde, enthält offenbar emotionale Worte, die auf einen möglichen Suizid hinweisen. Laut Aussage eines Freundes der Familie beschreibt Darcy darin ihre Verzweiflung. «Ich kann das nicht mehr», stehe in der kurzen Mitteilung, in der sie außerdem ihre tiefe Liebe zu ihrem Mann Jason Miller bekundet.

*** Traurige Wendung im Fall Darcy Sullivan: Hoffnung schwindet ***

Nachdem die Küstenwache ein angeschwemmtes Kleidungsstück der vermissten Darcy Sullivan sicherstellen konnte, haben die Ermittler nur noch wenig Hoffnung, Darcy lebend zu finden. Dennoch bittet die Polizei die Öffentlichkeit weiterhin um Unterstützung. «Wir möchten jeden, der etwas gesehen oder gehört hat, bitten, sich bei uns zu melden», so die Polizei in einer Pressemitteilung.

Jason Miller steht vor einer unvorstellbaren persönlichen Tragödie. Seit dem 8. August, als seine junge Ehefrau nach einem vermeintlichen Badeunfall als vermisst gemeldet wurde, haben die Rettungskräfte unermüdlich nach ihr gesucht. Die Entdeckung einer Abschiedsnachricht und das Fehlen neuer Hinweise legen nahe, dass Darcy nicht mehr am Leben ist.

Laut Experten erschweren die Wetterbedingungen die Suche. Sie seien dafür verantwortlich, dass der Körper bisher nicht gefunden wurde.

«In dieser Küstenregion mit intensiven Strömungen und unruhigem Wetter können Leichenteile weit verteilt werden», erklärte ein Spezialist für maritime Rettungseinsätze.

*** Gewissheit um Darcy Sullivans Tod? ***

Jason Miller, der seit seinem ersten Super-Bowl-Sieg zu den besten Spielern der aktuellen Football-Liga zählt, hat in einer bewegenden Erklärung seine Trauer und die schwindende Hoffnung, seine Frau noch lebend zu finden, zum Ausdruck gebracht: «Ich danke allen Helfern und Freunden für ihre Anteilnahme. Die letzten Wochen waren unglaublich schwer für mich. Die Rettungskräfte haben getan, was sie konnten, aber ich muss langsam akzeptieren, dass man Darcy nicht mehr zurückbringen kann. Mein Herz ist gebrochen.»

2. Kapitel

«Hallo Jay. Bist du schon auf dem Heimweg?»

Es klingt genauso hoffnungsvoll, wie ich das wollte. Auch wenn es eine unnötige Frage ist. Ich höre deutlich, dass er über die Freisprecheinrichtung telefoniert. Genauso wie Jason das Meeresrauschen im Hintergrund bei mir hören muss, das entfernte Kindergeschrei und das gelegentliche harte Paff, wenn Hände auf einen Volleyball treffen.

«Ich bin seit einer guten Stunde unterwegs.»

Ich horche auf seinen Tonfall. Darauf, ob ich seine Stimmung erahnen kann, seine Gefühlslage. Es gibt in meinem Leben nichts Wichtigeres als das. Ich merke, wie verkrampft ich das Handy in der Hand halte, und zwinge mich dazu, den Griff zu lockern.

«Dann kommst du ja früher. Wir könnten nachher zusammen essen gehen, wenn du möchtest.» Die Fingernägel meiner linken Hand bohren sich in meine Handfläche, während ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.

«Das Training war verdammt anstrengend, ich habe gar keine Nerven dafür, heute Abend noch mal rauszugehen.»

Ich schlucke wieder und lasse meine Stimme möglichst verständnisvoll klingen, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. «Das kann ich verstehen. Aber du hast bestimmt Hunger nach der langen Fahrt. Soll ich uns etwas kochen?» Normale Frage einer normalen Ehefrau. Ich finde, ich kriege das ganz gut hin.

«Hat Rita nicht gekocht?»

«Ich glaube, es ist nur noch Salat übrig.» Ich weiß genau, dass nur noch Salat übrig ist, weil ich zum Mittag ganz allein eine Riesenportion Nachos gegessen habe, die Jason niemals anrühren würde. Nachos mit fetttriefendem Käse, Tomatenwürfel und salzigen Pommes – garantiert todbringend in seinen Augen. Ich habe unsere Haushaltshilfe Rita gebeten, den Müllbeutel mitzunehmen und gut zu lüften, bevor sie Feierabend macht.

«In Ordnung, ich freue mich, wenn du kochst. Solange du dich an den Ernährungsplan hältst.»

«Mache ich.» Verwundert stelle ich fest, dass er nicht genervt oder angespannt klingt. Ganz im Gegenteil.

«Ich habe eine Überraschung für dich, Cinderella.»

Jedes Mal, wenn er mich so nennt, zucke ich zusammen. Aber ich muss mich zusammenreißen, nachfragen, meiner Stimme einen neugierigen Klang geben. «Wirklich? Was denn?»

«Das wüsstest du wohl gern. Aber dann wäre es keine Überraschung mehr.» Er lacht leise. «Nur so viel: Es ist klein und glitzert.»

Mir ist klar, was ich darauf erwidern muss. «Du sollst doch nicht so viel Geld für mich ausgeben.»

«Ich liebe dich, Prinzessin. Du bist das Wichtigste in meinem Leben, ich kaufe dir alles, was du willst.»

Ich stocke kurz. Dann flüstere ich: «Ich dich auch.»

«Es bringt mich um, von dir getrennt zu sein.»

Meine Finger krampfen sich noch fester um das Telefon. «M-mich auch.»

Ich weiß noch genau, wie es sich angefühlt hat. Früher auf der Highschool, als wir frisch verliebt waren. Wie überrascht ich war, als Jason Miller, der beliebte Quarterback der Riverside High, mich nach einem Date gefragt hat. Er war schon im letzten Jahr, hatte sein Team in mehreren Seasons zu regionalen Meisterschaften geführt und damit die Aufmerksamkeit von College-Scouts auf sich gezogen. Ich habe ihn von Weitem angehimmelt, nie hätte ich gedacht, dass er mich überhaupt wahrnehmen würde. Ich war ein Niemand ohne Freunde, war mit meinem Stiefvater gerade frisch nach North Carolina gezogen und sogar zu gehemmt, in der Mittagspause der Frau hinter der Mensatheke zu sagen, dass ich keinen Brokkoli möchte. Ich war zu schüchtern für die Mädchen in meiner Klasse, zu schüchtern, um mich im Unterricht zu Wort zu melden, zu schüchtern, um Jason bei unserem ersten Date zu sagen, dass mir das mit dem Küssen zu schnell geht, weil ich das noch nie gemacht hatte. Heute weiß ich, dass es das war, was ihm gefallen hat. Sogar genau das, wonach er gesucht hat.

«Schick mir ein Foto von dir», fordert Jason jetzt.

«Einen Moment.» Ich stelle den Ton laut, damit Jason mich noch hören kann, switche die Kamera und sende ihm ein Lächeln. Das blondierte Haar, das unter dem Strohhut herausguckt, hängt mir glatt bis über die Brust, die dichten unechten Wimpern liegen im Schatten der breiten Krempe. Im Hintergrund knallblauer Himmel und mit Seegras bewachsene Dünen.

«Was hast du unter dem Hemd an?»

«Den blauen Badeanzug.» Kaum ausgeschnitten und mit tiefem Beinabschluss, damit könnte ich Werbung fürs Seniorenschwimmen machen. Ich hoffe, das beruhigt ihn.

«Warum nicht den weißen Bikini, den ich dir geschenkt habe?»

Ich kenne die richtige Antwort darauf: «Ich fühle mich nicht so wohl darin. Richtig blickdicht ist er nicht, wenn er nass wird. Außerdem ist der Haken verbogen, der Verschluss geht manchmal einfach so auf.»

Jason lacht nur, deshalb rede ich schnell weiter. «Ich wollte zwei, drei Stunden schwimmen, bevor ich wieder nach Hause gehe.» Das Ende meines Satzes hängt wie eine Frage in der Luft, eine Bitte um Erlaubnis. Doch was ich damit eigentlich sagen will, ist: Ich kann nicht ans Telefon gehen, wenn du noch mal anrufst. Kein Grund, deswegen beunruhigt zu sein. Kein Grund, deswegen wütend zu werden. Bitte, bitte vertrau mir.

«Wieso das denn? Warum gehst du nicht zu Hause in den Pool?»

«Die Filteranlage ist defekt, erinnerst du dich? Der Techniker kommt erst nächste Woche. Aber ich habe das Essen ganz bestimmt rechtzeitig fertig. Wie lange brauchst du denn noch?»

Wenn Jason schon vor einer Stunde losgefahren ist, wird es eng. Ich sollte den Termin verschieben. Ich muss ihn verschieben. Ich brauche knapp anderthalb Stunden mit dem Bus. Eine Strecke. Wenn ich nicht rechtzeitig zurückkomme …

«Laut Navi bin ich um kurz nach acht da.»

Meine Gedanken springen wild vor und zurück. Das ist knapp, aber ich kann es schaffen. Für das Gespräch habe ich eine halbe Stunde eingeplant. Trotzdem schwanke ich. Wenn Jason vor mir zu Hause ist, werde ich das bereuen. Ich sollte den Termin lieber absagen.

«Ich habe beschlossen, dass wir früher nach Charlotte umziehen. Ende nächster Woche, um genau zu sein.»

«Was?»

«Es gefällt mir nicht, dass du allein in Corolla bleibst. Die anderen Frauen sind alle hier. Ich will dich bei mir haben, bevor die Season losgeht.»

Ich schlucke. Ich will auch lieber bei dir sein. Das ist es, was ich jetzt sagen sollte, aber ich verpasse den Moment, weil mir der Hals so eng ist.

«Die Werbeaufnahmen mit Blakely sind schon erledigt, wir haben gestern die letzten Fotos für diese Rasierseife gemacht. Ich habe morgen aber noch ein Treffen mit jemandem von Mason. Sie bieten mir eine halbe Million für eine einzige Kampagne mit ihren Sportklamotten. Sobald das in trockenen Tüchern ist, schmeißen wir eine Abschiedsparty und dann nichts wie weg. Ich habe hier ein Penthouse gekauft. Mit Jacuzzi auf der Dachterrasse. Du wirst es lieben. Ich kaufe dir auch einen gläsernen Flügel fürs Wohnzimmer, wenn du willst. Nachher zeig ich dir die Fotos.»

Ich kann nicht mal Klavier spielen. «Das klingt toll, Jay.»

Jason wollte mir immer schon alles kaufen. Auch Dinge, die ich nicht brauche und gar nicht haben will. Es gab eine Zeit, da habe ich gedacht, mich zu beschenken, wäre seine Love Language. Heute weiß ich, dass das nichts mit Liebe zu tun hat.

Nach einem weiteren «Ich liebe dich» legt er auf. Ich taste an meinen Hals nach der goldenen Kette, an der das Kreuz hängt, das seine Mutter mir zur Hochzeit geschenkt hat, und mein Ehering, der mittlerweile zu locker auf meinem Ringfinger sitzt. Und ich bin nicht überrascht, wie schwer sich beides anfühlt.

Ich dachte, ich habe noch Zeit, aber wenn Jason mich nächste Woche mitnehmen will, kann ich den Termin nicht verschieben, höchstens absagen. In Charlotte wird alles noch schlimmer sein, auch wenn da wenigstens seine Mutter nicht jeden Tag vorbeikommen kann. Linda war den ganzen Vormittag bei mir, und ich hatte keine freie Minute. Manchmal glaube ich, dass Jason das von ihr verlangt. Dass sie vorbeikommt und ein Auge auf mich wirft.

Ohne weiter darüber nachzudenken, reiße ich mir nun den Sonnenhut vom Kopf und streife meine Bluse ab, um ein Selfie von mir in meinem züchtigen blauen Badeanzug zu machen. Das Foto schicke ich Jason mit einem weiteren Herz-Emoji als Beweis dafür, dass ich nur an ihn denke. Was ja auch stimmt. Nur eben anders, als er annimmt.

Als mich plötzlich ein Ball am Oberschenkel trifft, zucke ich zusammen. Oh Gott. Ausgerechnet der Mann mit den grellen Atomblumenshorts, der vom Rettungsschwimmer vor ein paar Minuten eine Standpauke bekommen hat, joggt jetzt in meine Richtung, und ich springe so ruckartig auf, dass ich beinahe im Sand wegrutsche. Damit er nicht noch näher kommt, sollte ich ihm den Ball zurückspielen – jetzt sofort! –, aber ich bin auf einmal wie festgefroren.

«Sorry.» Er hangelt erst mit dem Fuß nach dem Ball, bückt sich dann aber und kommt mir dabei so nah, dass ich mich komplett versteife. Aber er will mir natürlich nichts tun, sondern nur den Ball holen. Es ist idiotisch, wie sehr mich das stresst. Der Typ ist jünger, als ich dachte, vermutlich in meinem Alter und nicht mal besonders muskulös. Nicht so wie Jason. Mit einer geübten Bewegung klemmt er sich den Ball unter den Arm und schüttelt sich das nasse Haar aus dem Gesicht, sodass vereinzelte Tropfen meine nackte Schulter treffen.

Das Einzige, was sein freundliches Gesicht nicht komplett jungenhaft und harmlos wirken lässt, ist das leicht kantige Kinn. Trotzdem weiche ich vor ihm zurück.

«Ich bitte um Entschuldigung, das war keine Absicht», wiederholt er sich förmlich und blinzelt.

«Das hoffe ich», murmle ich und erschrecke über mich selbst, weil ich ihn damit vielleicht verärgere. «Ich meine …» Meine Stimme verstummt. Gegen meinen Willen starre ich auf seine grellen Badeshorts. Seine Augen folgen meinem Blick.

In seine Mundwinkel gräbt sich ein Lächeln ein, mit dem ich nicht gerechnet habe. «Ich bin nur eins fünfundsiebzig und werde ständig übersehen. Irgendwie muss ich das kompensieren.» Er blinzelt wieder, und das scheint etwas zu sein, was er aus Verlegenheit macht.

Wäre ich nicht so angespannt, würde ich die Komik in dieser Aussage würdigen und lachen. Vor allem wegen seines selbstironischen Tonfalls und des Akzents, der klingt wie aus einer Folge Downton Abbey. In diesem Moment wird mir klar, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal laut gelacht habe. Das muss Monate her sein. Ruckartig atme ich aus, aber ich weiß nicht, was ich antworten soll.

«Ich bin, äh, Ellis», sagt er. «Ellis Bonham.» Er fasst sich in den Nacken und verzieht das Gesicht. «Das war jetzt peinlich, mich direkt mit Nachnamen vorzustellen, oder? Niemand stellt sich am Strand mit seinem Nachnamen vor, wenn er nur Shorts trägt, schätze ich.»

Ich nicke, lächle unverbindlich und hoffe, dass er wieder geht. Das Letzte, worauf ich mich jetzt einlassen darf, ist Small Talk mit einem anderen Mann. Auch nicht, wenn er sympathisch wirkt. Erst recht nicht, wenn er sympathisch wirkt. Sollte mich jemand beobachten und Jason davon erfahren, habe ich ein Problem. Außerdem könnte es sein, dass er mich erkennt.

Ellis Bonham blinzelt nicht nur aus Verlegenheit, er fängt anscheinend auch aus demselben Grund an zu plappern. «Mein Gepäck ist anstatt in Norfolk auf unerklärliche Weise in Fort Lauderdale gelandet. Und … na ja … die Kollektion am Strandkiosk hier war … limitiert. Ich hatte die Wahl zwischen senfgelben Badeshorts in 3XL oder diesen hier. Und Senfgelb ist nie eine gute Wahl, wenn man …» Er unterbricht sich selbst.

So blass ist?, denke ich.

«… Brite ist», schließt er und lächelt gequält. «Ich mache es nur schlimmer mit meinen Erklärungsversuchen, oder?»

Als ich wieder nur nicke, fährt er fort: «Du könntest jetzt etwas Nettes sagen, um mir meine Würde zurückzugeben. Oder du spielst mit. Hast du Lust?» Mit einem Kopfnicken deutet er hinter sich zu seinem Freund und einer jungen Frau mit dunkelbrauner Kurzhaarfrisur, die mit Getränken beladen in diesem Moment zu ihm stößt. «Wir sind zu dritt, und Ariana könnte noch Verstärkung gebrauchen.»

«Tut mir leid.» Ich will nicht unfreundlich sein, aber die Uhr tickt. Und selbst wenn nicht, könnte ich es nicht riskieren. «Ich … ich kann leider nicht.»

«Oh, okay.» Er tritt sofort zurück. «Sorry noch mal», sagt er und hebt zum Abschied die Hand, bevor er mit dem Ball unter dem Arm zu seinem Freund zurückläuft, der sich ganz offensichtlich nicht mehr einkriegt vor Lachen.

«Danke», höre ich Ellis Bonham knurren. «Das war dein Ball.»

«Sorry, dass ich dir zu einem Flirt verholfen habe.» Sein Freund bemüht sich nicht mal, leise zu sprechen.

«Wenn überhaupt, dann hast du mir dazu verholfen, mich zu blamieren.»

«Du bist Engländer, Ellis. Lass einfach deinen Akzent wirken.»

«Du kannst mich mal, Casey.» Der Engländer wirft seinem Freund den Ball zu.

Der fängt den Ball nicht, weswegen er ihm gegen die Brust knallt, und er ächzt auf.

Die junge Frau, die er Ariana genannt hat, wirft dem Engländer lachend eine Coke-Dose zu. «Karma.»

Wie unbeschwert die drei miteinander umgehen, versetzt mir einen Stich. Aber ich kann mir nicht erlauben, länger darüber nachzudenken. Allein dieses kurze Gespräch mit einem Fremden hat mich schon zu viele Nerven gekostet, die ich heute noch brauchen werde. Ich rede niemals mit Fremden. Die einzigen Fremden, mit denen ich mich annähernd ungezwungen unterhalte, arbeiten im Supermarkt.

Ich muss mich jetzt konzentrieren. Schnell ziehe ich die Bluse wieder an und schalte mit zitternden Fingern mein Telefon stumm. Nicht, ohne noch einmal zu kontrollieren, dass das Handy vollen Empfang hat und die Ortungsfunktion durch den Zipbeutel nicht beeinträchtigt wird. Jason muss jederzeit sehen können, dass ich noch hier am Strand bin, und nasser Sand stört das Funksignal, das habe ich schon schmerzlich erfahren müssen.

Was das Funksignal hingegen nicht stört: ein Versteck hinter den Buchreihen in der örtlichen Buchhandlung. Ein Versteck hinter der Heizung in einem Café, ein Versteck im Klamottenladen, wo man das Telefon für eine halbe Stunde in den Stapel mit den hässlichsten Wollpullovern schiebt, von denen man sicher sein kann, dass sie niemand anprobieren will. Es erschreckt mich selbst, wie viel Erfahrung ich mit Handyverstecken habe.

Weil die drei immer wieder zu mir rübersehen, laufe ich ein paar Schritte über die Düne in der Nähe einer Laterne, wo das Seegras dichter wächst. Hier liegt trotz der «Leave No Trace»-Schilder überall Müll. Alte Getränkedosen, To-go-Becher, Plastikverpackungen. Niemand wird auf die Idee kommen, ausgerechnet hier sein Handtuch auszubreiten.

Ich gehe in die Knie, sammle alibimäßig etwas von dem Müll auf und grabe dabei direkt neben meinen Füßen den Sand beiseite, bis eine tiefe Kuhle entsteht.

Noch einmal vergewissere ich mich, dass mich niemand beobachtet. Den kleinen Plastikbeutel trage ich, schon seit ich das Haus verlassen habe, in meiner Hosentasche. Ich lasse das Telefon hineinfallen und ziehe den Zipper zu, bevor ich es in die Kuhle lege und mit der flachen Hand eine Schicht aus trockenem Sand und Gras über meinem Versteck verteile. Den Alibi-Müll lasse ich in einen der aufgestellten Eimer fallen, als ich gehe.

In den nächsten Stunden werde ich für Jason an genau diesem Strand sein und mich nicht von der Stelle bewegen.

In der Realität sitze ich keine fünf Minuten später im Bus nach Raleigh.

3. Kapitel

Auf dem angelaufenen Messingschild in der Clark Avenue steht schlicht McGrath & Delaney Legal Services. Meinen Termin habe ich unter dem Namen Brown gemacht, und mir ist klar, dass der Name so falsch wirkt wie das Lächeln, das ich mir ins Gesicht zwinge, als ich mich an der Rezeption melde. Wobei Rezeption ein Euphemismus ist. Es ist ein vollgestopfter Tisch, von dem das Furnier bereits abblättert. Er bietet nicht mal Platz für eine Topfpflanze, die das Ambiente verschönern könnte.

Das Gesicht der Sekretärin dahinter wird von mittelbraunem Haar umkringelt. Es erinnert mich an meine eigene Haarfarbe. Die Farbe, die ich hatte, bevor Jason mir zu verstehen gegeben hat, dass er blond schöner findet. Sie hält ein schlafendes Baby im Arm, über der Schulter ein milchbespucktes Tuch – das Schönste und Friedlichste, was ich in dieser Woche gesehen habe. Es riecht im ganzen Vorraum nach ihrem Baby. Ein süßer Hefegeruch, zuckerpudrig warm.

«Sie können direkt reingehen», sagt sie. «Das erste Zimmer auf der linken Seite.»

Das Büro sieht besser aus, als es das Schild an der Tür und der unaufgeräumte Empfang vermuten lassen, und bietet einen Blick auf die Cafés und Restaurants der Straße. Ich habe damit gerechnet, erst einmal in einem Wartezimmer ausharren zu müssen, aber jetzt wird mir klar, dass meine Vorstellung falsch war. McGrath & Delaney Legal Services gehört zu den ganz kleinen Kanzleien, anders als die letzte, in der ich einen Gesprächstermin hatte.

Ich lege meinen Hut neben meinen Füßen auf den Boden, versinke fast in dem riesigen Sessel vor dem Schreibtisch, dessen Leder rissig geworden ist und knarzt. Mit den Augen fahre ich die Schrift auf dem Schild vor mir nach. Elliot McGrath, Anwalt für Familienrecht.

Ich lasse meinen Blick weiter durch den Raum schweifen – und mir wird eiskalt, als er auf dem Bücherregal landet, das die gesamte Rückwand bedeckt. Dort liegt neben einem ledernen Football übersät mit zahlreichen Autogrammen auch eine blaue Cap. Jasons Vereinsfarben. Dass die Frau am Empfang ihr Baby mit zur Arbeit bringen darf, hat mir Hoffnung gegeben, die jetzt wieder verkümmert. Die beiden letzten Versuche haben nichts gebracht, wieso sollte es diesmal anders sein? Was, wenn Jason davon erfährt?

Ich könnte noch aufstehen und die Kanzlei verlassen, ohne dass etwas passiert ist. Zurückfahren, mein Handy ausgraben und nach Hause gehen. Cashew wird freudig schwanzwedelnd auf mich zukommen und an mir hochspringen. Ich werde für Jason etwas Proteinreiches kochen und ihn küssen, wenn er nach Hause kommt. Auf die Art küssen, die ich mir in drei Jahren Ehe angewöhnt habe: mit ein bisschen Zunge, nur nicht zu viel. Auf eine Art, die nicht direkt abweisend, aber auch keinesfalls anregend wirkt. Es wird gut gehen. In Charlotte wird wenigstens seine Mutter nicht ständig da sein und mich kontrollieren. Wenn ich Jason zeige, dass es nur ihn für mich gibt, werde ich es schon irgendwie aushalten.

Aber wenn ich heute diesen Stein ins Rollen bringe, werde ich womöglich unter einer Lawine begraben.

«Mrs. Brown, guten Tag.»

Jetzt ist es zu spät, um noch zu gehen. Ich schrumpfe förmlich in mich zusammen, als der Anwalt hereinkommt. Als würde ich mir wünschen, von diesem Sessel aufgefressen zu werden. Nach einem Händedruck, der mir fast die Hand betäubt, lässt er sich auf der anderen Seite des Schreibtischs in seinen Stuhl fallen. Für ihn muss es sich gerade angefühlt haben, als hätte er nach einem toten Fisch gegriffen.

«Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Mr. McGrath ist heute leider verhindert, ich bin Patrick Delaney.»

Er sagt das so, als wäre sein Kollege ohne Ankündigung einfach auf die Bahamas geflogen und hätte ihn mit der ganzen Arbeit sitzen lassen. Ich hoffe, das ist kein schlechtes Zeichen.

«Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen, Mr. Delaney.»

«Das ist doch selbstverständlich. Und nennen Sie mich gerne Rick.» Er lächelt, dann schüttelt er fast unmerklich den Kopf. «Worum geht es denn? Meine Frau – also in ihrer Funktion als Sekretärin, meine ich – hat mir nur verraten, dass es sich um eine Familienangelegenheit handelt und Sie sich beraten lassen möchten. Was kann ich für Sie tun?»

Mr. Delaney ist jung, trotzdem ist der Haaransatz über seiner Stirn schon weit nach hinten gerutscht. Er hat sein Jackett abgelegt. Alles scheint ihm zu kurz zu sein, als wäre er über Nacht zehn Zentimeter in die Höhe geschossen. Die Hemdsärmel reichen kaum bis zum Handgelenk, die Krawatte nicht einmal bis zum Hosenbund. Als er den Arm hebt, um Block und Stift zu sich heranzuziehen, wird darunter ein Schweißfleck auf dem hellblauen Stoff sichtbar.

Was habe ich mir nur dabei gedacht? Es wird auch diesmal nichts bringen. Es wird auch diesmal nichts bringen, darüber zu sprechen, wie mein Leben ist. Ich weiß nicht, ob ich das noch mal kann.

Weil ich mich schäme. Weil ich mich hilflos fühle. Weil ich manchmal das Gefühl habe, den Verstand zu verlieren und mir selbst nicht trauen zu können. Vielleicht ist alles ja ganz anders, als ich das selbst wahrnehme? Vielleicht ist das alles doch gar nicht so schlimm?

Doch, ist es.

Wenn ich mir selbst hundertprozentig vertrauen könnte, würde ich jetzt etwas Pathetisches antworten wie «Retten Sie mir das Leben», aber dann würde er peinlich berührt lachen, weil sich das für jeden Menschen auf der Welt vollkommen übertrieben anhören muss. Außer für mich.

Es kostet mich solche Überwindung, es auszusprechen, und ich muss mich daran erinnern, dass ich kein Handy bei mir habe. Dass niemand außer Mr. Delaney mich hören kann und dass das hier den Anfang eines neuen Lebens bedeuten könnte. Ich spüre, wie die Kette an meinem Hals kratzt und die Sandkörner, die sich nicht restlos abwischen ließen, unter den Riemchen meiner Sandalen auf meiner Haut scheuern. Ich hole Luft und atme langsam wieder aus.

«Ich bin erst einundzwanzig, aber schon seit drei Jahren verheiratet», erkläre ich ihm. «Und ich … ich möchte mich scheiden lassen.»

4. Kapitel

«Ich möchte mich scheiden lassen», sage ich.

Mr. Delaney lehnt sich entspannt zurück. «Dabei kann ich Ihnen helfen. Ich hatte schon Angst, Sie würden sagen, ich soll Sie bei einer Mordanklage verteidigen.» Sein Lachen stockt. «Das war nur ein Scherz. Sie wirken nervös. Kann ich etwas tun, um Ihnen diese Anspannung zu nehmen? Sie können mir bedenkenlos alles anvertrauen.»

Auch nur zu lächeln, fällt mir schwer. Ich denke an Cashew und daran, dass Jason nächste Woche schon nach Charlotte umziehen will und dass das hier wahrscheinlich die letzte Gelegenheit für sehr lange Zeit sein wird. Was ich jetzt sage, habe ich noch nie laut ausgesprochen. Nicht einmal gewagt, es in Gedanken richtig zu formulieren.

«Ich will meinen Mann nie wieder sehen», fange ich an und hole danach so viel Luft, als müsste sie bis morgen reichen. «Er soll sich mir nie wieder nähern dürfen. Nie wieder in meinem ganzen Leben. Ich will keinen Kontakt. In einem solchen Fall kann man eine einstweilige Verfügung beantragen, oder?»

Die kurze Stille macht mich nervös. Es dauert einen Moment, bis der Anwalt das verdaut hat, aber dann wirkt er professionell.

«Ja, das kann man tun. Ich nehme an, zwischen Ihnen und Ihrem Mann ist eine ganze Menge vorgefallen?»

Ich schlucke. «Ja.»

«In Ordnung. Okay.» Mr. Delaney atmet tief durch, während er spricht, und sein Okay klingt deshalb wie ein geseufztes Oh. «Ist Ihr Mann gewalttätig?»

Die Antwort darauf bleibe ich ihm schuldig. Weil es keine einfache Antwort gibt und ich nicht weiß, wie ich ihm das begreiflich machen soll. Ich lege meine Arme fester um mich. «Es ist wichtig, dass Sie niemandem davon erzählen», beginne ich.

«Als Ihr Anwalt bin ich selbstverständlich an meine Schweigepflicht gebunden.»

«Aber noch sind Sie nicht mein Anwalt, oder?» Ich hoffe, ich verärgere ihn nicht. Trotzdem muss ich nachfragen. Mir wird bewusst, dass ich mir auf die Lippe beiße, und ich zwinge mich dazu, den Kopf zu heben und ihm ins Gesicht zu sehen.

«Das ist richtig. Aber die Schweigepflicht gilt de jure für alle vertraulichen Informationen, die Sie mir oder einem anderen Anwalt mitteilen. Das ist völlig unabhängig davon, ob Sie mir das Mandat übertragen.»

«Für immer?»

Meine naive Frage lässt ihn lächeln. «Theoretisch gilt das für immer, ja.» Er rollt mit seinem Stuhl nach hinten, hakt den Zeigefinger in einen Buchrücken und lässt das Buch aus dem Regal in seine Hand kippen. «Nach den Model Rules of Professional Conduct darf ich vertrauliche Informationen nur offenlegen, wenn ich damit ein zukünftiges Verbrechen verhindere beziehungsweise jemandem vor ernsthaftem Schaden bewahre.» Er legt das Buch vor mir auf den Tisch und schlägt es an einer bestimmten Stelle auf. «Sie können das hier nachlesen, wenn Sie möchten. Falls Sie also nicht vorhaben, einen Mord oder ein anderes Kapitalverbrechen zu begehen, können Sie mir alles sagen, ohne befürchten zu müssen, dass ich jemals etwas davon preisgebe. Das ist ein Kernprinzip unseres Berufsethos und schützt das Vertrauensverhältnis zwischen einem Anwalt – mir – und seiner potenziellen Klientin, also Ihnen.»

Ich ignoriere die aufgeschlagene Seite, weil ich den Juristenkram sowieso nicht verstehe. Und auch wenn es mir peinlich ist, so viele Fragen zu stellen, muss ich auf Nummer sicher gehen. «Selbst wenn die Polizei Sie vernehmen würde?»

«Das wäre ungewöhnlich, aber ja, de facto selbst dann. Es sei denn, Sie würden mich von dieser Schweigepflicht entbinden. Dann, und auch nur dann, darf ich darüber reden. Schlägt er Sie, Mrs. Brown?»

«Was?» Nicht nur der falsche Name, auch sein plötzlicher Themenwechsel überrumpeln mich.

Mr. Delaney hat seinen Kugelschreiber in die Hand genommen, als wartete er darauf, dass ich ihm etwas diktiere. «Ihr Mann. Schlägt er Sie?»

Was, wenn er das gar nicht muss?

Mein Gesicht wird heiß. Ich bringe kein Wort heraus, und Mr. Delaney verlagert das Gewicht nach vorn. Die Spitze seines Kugelschreibers tippt unwillkürlich auf den Block, und ich halte meinen Blick krampfhaft auf das seltsame Muster geheftet, das er dabei aufs Papier sprenkelt.

«Ich verstehe, wenn es Ihnen schwerfällt, darüber zu sprechen. Aber wir brauchen eine ausreichende Begründung für eine einstweilige Verfügung. War er Ihnen gegenüber gewalttätig oder drohte er an, gewalttätig zu werden?»

Ist das das Einzige, was zählt? Dass er körperlich gewalttätig wird?

Ich kann die blaue Cap hinter ihm im Regal nicht ausblenden. Ich muss ihm zuerst sagen, wer ich bin. Es ist völlig sinnlos, ihm etwas zu erzählen, mich dazu zu überwinden, solange er das nicht weiß. Weil ich nicht antworte, spricht er weiter.

«Nun gut, ich versuche, es Ihnen zu erklären.» Geduldig nickt er mir zu. «Sie können den Antrag auf eine Kontaktsperre im Grunde selbst bei Gericht stellen. Das Gericht erlässt zunächst eine vorläufige TRO, eine Temporary Restraining Order, die ab sofort gilt, bis es zu einer Anhörung kommt, bei der Ihr Mann dann ebenfalls befragt wird. Üblicherweise in einem Zeitraum von ein bis maximal drei Wochen.»

«Muss ich dabei sein? Bei seiner Anhörung?» Ich kann das nicht. Nicht, wenn ich Jason dabei in die Augen sehen muss.

«Ich würde beantragen, dass man Sie getrennt befragt. Haben Sie gemeinsame Kinder?»

Ich schüttle den Kopf. Gott sei Dank nicht, auch wenn Jason sich das wünscht und ich seit Monaten bete, dass er beim Sex nichts von der Spirale in mir spürt. Es ist schlimm genug, dass wir Cashew haben, aber das kann ich dem Anwalt unmöglich erklären. Er würde es vermutlich lächerlich finden.

«Gut, das vereinfacht die Sache. Nach der Anhörung kann das Gericht eine langfristige Schutzanordnung treffen, die bis zu fünf Jahre gilt. Leider nicht für immer.» Er bewegt den Kopf abwägend hin und her. «Aber fünf Jahre sind eine lange Zeit, denke ich. Zeit genug für Sie, um die Scheidung durchzuziehen und ein neues Leben anzufangen. Und für Ihren Mann, sich damit abzufinden.»

Ich denke an die Gravur auf meinem Handy und wie sehr es mich jedes Mal graut, wenn ich sie lese.

Wir sind eins.Deine Seele und meine – verwoben, verschmolzen, vereint. Bis zum letzten Atemzug.

Jason wird sich niemals damit abfinden. Wenn es so einfach wäre, wäre ich nicht hier.

Delaney fährt fort. «Eine langfristige Restraining Order würde beinhalten, dass Ihr Mann sich Ihnen nur bis auf einen bestimmten Abstand nähern darf. Üblicherweise zwischen dreißig und hundertfünfzig Metern. Er darf sich nicht bei Ihnen melden, weder telefonisch noch per Mail oder über eine andere Kontaktmöglichkeit. Es könnte ihm untersagt werden, eine Waffe zu tragen, er könnte verpflichtet werden, einen Anti-Aggressions-Kurs oder eine Therapie zu machen. Das alles aber natürlich nur, wenn Sie dem Gericht glaubhaft schildern, das es aufgrund seines Verhaltens nötig ist. Und wie gesagt, ich kann das als Ihr Anwalt für Sie übernehmen. Solange Sie sich mir anvertrauen.»

Anvertrauen.

Das ist das Problem. Ich habe ein Vertrauensproblem. Was, wenn er mich nicht ernst nimmt? Was, wenn er denkt, dass ich übertreibe oder selbst schuld bin? Was, wenn er damit sogar recht hat? Ich habe jeden Tag das Gefühl, schuld daran zu sein, was passiert. Und ebenso oft frage ich mich, ob ich übertreibe, ob ich aus allem ein Drama mache, ob ich mich anstelle.

Mr. Delaney wirkt integer und auch irgendwie verständnisvoll, soweit ich das bei seiner sachlich-professionellen Art sagen kann. Und offenbar ist das seine Frau, die draußen am Empfang für ihn arbeitet. Er hat ein kleines Baby. Gerade deshalb muss ich ihn das jetzt fragen:

«Und was ist, wenn … wenn Druck auf Sie ausgeübt wird? Also dass Sie darüber sprechen, was ich Ihnen erzählt habe.»

«Sprechen wir von medialem Druck?»

«Ja.»

«Das ist äußerst selten bei solchen Fällen. Ehrlich gesagt habe ich das persönlich noch nie erlebt. Aber auch wenn Journalisten versuchen würden, an Informationen zu gelangen, die Sie mir anvertraut haben, bin ich als Anwalt sowohl rechtlich als auch ethisch verpflichtet, zu schweigen. Selbst wenn mein Ruf darunter leiden könnte, weil zum Beispiel öffentlich spekuliert wird, dass ich belastende Informationen zurückhalte. Es gibt nichts, was mich dazu verleiten könnte, meine Verschwiegenheitspflicht zu brechen.»

Er sagt das so überzeugend, dass ich ihm wirklich glauben will. Er glaubt das vermutlich selbst. Aber er hat ein kleines Baby …

«Ich gehe davon aus, dass Ihr Mann», er senkt den Kopf, «kein Unbekannter ist?»

«Ja», flüstere ich.

Jetzt wirkt er doch nervös. Keine Ahnung, woran ich das merke. Vielleicht daran, dass er angefangen hat, mit dem Kugelschreiber Kreise auf dem Papier zu malen, und viel zu fest dabei aufdrückt.

«Reden wir Klartext. Wer ist es?», fragt er.

5. Kapitel

«Wer ist es?», fragt Mr. Delaney.

So weit bin ich in einem Beratungsgespräch noch nie gekommen. Bisher habe ich immer nur angedeutet, dass es sich um einen bekannten Sportler handelt. Aber bisher war auch niemand so geduldig mit mir wie Mr. Delaney. Und wahrscheinlich gibt mir auch die Tatsache, dass seine Frau hier arbeitet, eine gewisse Sicherheit.

«Ich heiße eigentlich nicht Brown, sondern Sullivan. Darcy Sullivan. Ich bin seit drei Jahren mit Jason Miller verheiratet. Ich weiß nicht, ob Sie footballinteressiert sind, aber dort im Regal …» Ich deute auf die Cap in den Farben von Jasons Mannschaft und den Football hinter ihm, welcher wahrscheinlich Mr. McGrath gehört. «Jason spielt als Quarterback …»

«… bei den Carolina Breakers», beendet Mr. Delaney meinen Satz und stößt hart die Luft aus. «Ihr Mann … er hat den Breakers zum ersten Super-Bowl-Sieg seit der Gründung der Franchise verholfen. Nur seinetwegen hatten wir die erfolgreichste Season in der Geschichte des Teams.»

Wir. Er hat wir gesagt. Und er bebt fast vor Aufregung. Als würde er mich im nächsten Moment fragen wollen, ob ich ihm ein Autogramm besorgen kann. Ich presse die Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzt. Jason wird in ganz North Carolina verehrt. Er ist so etwas wie ein verdammter Football-Gott. Offenbar auch für Mr. Delaney.

Er wippt mit dem Stuhl zurück und trommelt mit den Fingerkuppen auf die Armlehne.

«Ihr Mann ist schon jetzt eine Legende. Oh Gott, ich kann nicht fassen, dass Sie …» Er besinnt sich, rückt seine Krawatte gerade und richtet sich im Stuhl auf. «Das ändert die Sachlage erheblich, das muss ich zugeben. Ich gehe davon aus, dass unsere Kanzlei nicht die erste ist, die Sie aufsuchen, ist das richtig?»

«Ich habe es bei zwei anderen versucht», gebe ich ehrlich zu. «Sie haben es abgelehnt, mich zu vertreten.»

«Das wundert mich nicht.» Er lacht auf.

Mir wird wieder einmal bewusst, wie hilflos ich bin, wie abhängig. Ich habe nicht mal ein eigenes Konto, und es war unendlich schwer, heimlich Geld für die anderen beiden Beratungstermine zusammenzukratzen. Auch die Verkäuferin, bei der ich eben das Kleid umgetauscht habe, musste ich fast anbetteln, damit sie es mir bar auszahlt und nicht zurück auf Jasons Kreditkarte bucht.

Der erste Anwalt hat mich nicht ernst genommen und das Gespräch beendet, sobald die Buchstaben NFL gefallen sind. Er hat mich ernsthaft gefragt, wie viel Geld ich mir davon verspreche. Das war demütigend. Beim zweiten Mal habe ich mir bewusst eine Anwältin ausgesucht, weil ich dachte, dass eine Frau mich besser verstehen würde, dass sie vielleicht freundlicher wäre und solidarisch. Oder dass sie mir wenigstens erklärt, warum sie mir nicht helfen will. Aber nicht einmal dazu war sie bereit.

«Den Grund dafür kann ich Ihnen sagen», erklärt Mr. Delaney, als hätte er meine Gedanken gelesen. «Kaum jemand wäre bereit, sich mit Jason Miller anzulegen, der innerhalb von fünf Minuten jemanden von Carrion Baxter & Thorn LLP aus New York City in der Telefonleitung haben wird.»

Das klingt beeindruckend, ja. Aber weil ich keine Ahnung habe, wer das sein soll, hebe ich fragend die Schultern.

«Die Kanzlei hat schon etliche Fälle der Carolina Breakers vertreten. Die Liste ihrer Klienten liest sich wie das Who’s Who des Sports. Carrion Baxtermacht kurzen Prozess mit Leuten, die die Privatsphäre von Spielern verletzen. Sie überziehen jeden Kläger mit Gegenklagen, in erster Linie Verleumdungsklagen. Die bloße Erwähnung von Carrion Baxter sorgt in der Branche für Panikattacken.» Er lacht wieder, und ich könnte schwören, dass der Schweißfleck unter seinem Arm größer geworden ist.

«Können Sie mir helfen?», frage ich.

Fahrig fährt er sich durch das schüttere Haar. «Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass das ein hartes Spiel gegen Ihren Mann wird, und ich muss das zuerst mit meinem Partner besprechen. Kann ich Sie einen Moment allein lassen?»

Ich nicke, und er fischt sich sein Handy vom Schreibtisch, bevor er rausgeht. Draußen höre ich ihn mit seiner Frau aufgeregt flüstern, dann eine Tür zuschlagen.

Er wird mir nicht helfen, das weiß ich bereits. Und das Schlimme ist, ich habe nichts anderes erwartet. Ich kann es sogar verstehen. Ganz offensichtlich vergöttert er Jason. Er ist ein Fan. Genau wie die Verkäuferin eben im Laden, die mir von meinem eigenen Mann vorgeschwärmt hat und wie deutlich man bei unserem gemeinsamen Einkaufsbummel sehen konnte, wie sehr er mich liebt. Wahrscheinlich hält Mr. Delaney mich für verrückt. Und selbst wenn nicht, er hat eine junge Familie. Das Letzte, was er gebrauchen kann, ist ein Fall wie meiner, der so viel Aufmerksamkeit bekommen wird. Dabei ist Aufmerksamkeit auch ein Albtraum für mich. Ich möchte keine schmutzige Wäsche waschen oder meinen Mann verklagen. Ich möchte kein Geld von Jason. Kein Haus, keinen Schmuck, keines seiner Autos, keinen gläsernen Flügel. Innerlich lache ich auf. Ich möchte nicht, dass jemand erfährt, wie er in Wirklichkeit ist, oder mich an ihm rächen. Das Einzige, was ich will, ist Frieden. Und irgendwo neu anfangen. Allein.

Ich bin vollkommen allein.

Ich habe nichts. Die Freunde, die wir haben, sind Jasons Freunde. Seine Mutter gibt mir jeden Tag zu verstehen, wie unwürdig ich bin und wie unendlich glücklich ich mich schätzen kann, dass Jason mich geheiratet hat. Es gibt niemanden, den ich um Hilfe bitten kann, nicht mal meinen Stiefvater.

Bei dem Gedanken an Frank fangen meine Augen an zu brennen. Ich habe seit dreieinhalb Jahren kein Wort mit ihm gewechselt. Er weiß nicht einmal, dass wir nach Corolla gezogen sind. Frank interessiert sich überhaupt nicht für Football, er hat höchstens durch seine Kollegen erfahren, dass Jason bei den Breakers spielt und wir deswegen noch im selben Bundesstaat leben wie er. Falls er ihnen zugehört hat. Falls er nicht versucht hat, mich komplett aus seinem Leben zu streichen wegen all der schlimmen Dinge, die ich zu ihm gesagt habe.

Vor einiger Zeit war ich online auf der Website der Firma, für die er gearbeitet hat, als wir damals nach North Carolina gezogen sind. Als ich den Reiter «Über uns» angeklickt habe, stand dort unter der Position Custom Service Manager (Logistics) der Name Frank Sullivan, und ich bin in Tränen ausgebrochen, weil er immer noch dort arbeitet. Weil er immer noch zuverlässig seinen Job macht. Einen einfachen, bodenständigen Job, nichts Herausragendes, für das er einen Haufen Geld oder einen verdammten Pokal bekommen würde wie Jason. Ich vermisse Frank so schmerzlich, dass es mir das Herz zerreißt. Aber noch mehr schäme ich mich, wenn ich an unsere letzte Begegnung denke.

Es dauert ziemlich lange, bis Mr. Delaney zurückkommt, und in der Zeit habe ich mir ein Dutzend Szenarien ausgemalt. Die hoffnungsvollste Version ist die, in der er mit einem konkreten Aktionsplan um die Ecke kommt. Die hoffnungsloseste eine Absage mit darauffolgendem betretenem Schweigen. Als er schließlich hereinkommt, merke ich schon an der Art, wie er sich hinsetzt, dass sich eine der schlechten Versionen bewahrheiten wird. Er wirkt erhitzt, als hätte er lange und energisch mit jemandem diskutiert. Und dann setzt er einen Blick auf, als müsste er mir eine Krebsdiagnose übermitteln.

«Es tut mir leid», sagt er.

«Ich verstehe.» Ich bücke mich, stopfe meinen Hut in die Strandtasche und stehe auf.

«Bitte, lassen Sie es mich Ihnen in Ruhe erklären, Darcy. Ich darf doch Darcy sagen? Bitte», wiederholt er.

Mit verschränkten Armen setze ich mich langsam wieder hin, auch wenn klar ist, dass jedes weitere Wort sinnlos ist. Auch wenn klar ist, dass ich nur seine Zeit verschwende. Ein Blick auf meine Uhr sagt mir, dass ich jetzt ohnehin gehen muss, wenn ich rechtzeitig zurück in Corolla sein will. Die Verzweiflung, die sich in mir ausbreitet, ist wie schwarzer Rauch, der mir die Luft zum Atmen nimmt.

«Ich habe Ihren Fall mit meinem Partner besprochen. Anonym», fügt er schnell hinzu. «Aber – und da muss ich ihm leider recht geben – wir haben einfach nicht die nötigen Ressourcen. Unsere Kanzlei ist schlicht zu klein, ein solches Verfahren würde unsere Kapazitäten überfordern.» Seine Hand deutet zum Vorraum, als würde er seine Frau und das Baby mit einbeziehen.

Ich weiß nicht, ob ich ihm das glauben kann. Vielleicht will er auch einfach nicht dazu beitragen, den Ruf des Jahrhundert-Quarterbacks anzukratzen. «Ich will meinen Mann nicht verklagen», stelle ich klar. «Falls es das ist, was Sie denken. Ich will ihm nichts Böses, glauben Sie mir. Ich will ihn nur nie wiedersehen.»

«Und die Begründung dafür wird an die Öffentlichkeit geraten, sobald wir eine TRO beantragen. Carrion Baxter wird im Gegenzug uns wegen Verleumdung verklagen und eine Schmutzkampagne in der Presse lostreten. Es ist unwahrscheinlich, dass wir gegen die Taktiken bestehen können, die eine Kanzlei dieser Größenordnung auffahren wird. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, worauf Sie sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen einen Breakers-Spieler einlassen. Zumal Ihr Mann ja nicht nur Carrion Baxter auf seiner Seite hat, sondern auch Berater, Agenten, PR-Manager. Er ist NFL-Spieler. Nicht nur das, er hat den Super-Bowl gewonnen und damit das ganze Land hinter sich. Sein Standing in der Presse ist tadellos. Er ist attraktiv, begehrt, klug und aktuell der erfolgreichste Spieler der gesamten Liga. Es gibt keinen einzigen Skandal über ihn. Er hat, soweit ich weiß, nicht mal im Stress einen Kellner angefahren oder den Wunsch eines aufdringlichen Fans nach einem Selfie abgewiesen.» Mr. Delaney lacht nervös. «Außerdem spendet er regelmäßig für gemeinnützige Zwecke, er … Ehrlich gesagt kenne ich niemanden, der Jason Miller nicht bewundert. Die Anfeindungen, die Ihnen öffentlich entgegenschlagen werden, möchte ich mir nicht mal ausmalen.»

«Ist schon gut, Sie müssen nicht weiterreden», sage ich schnell. Ich habe noch die Nachrichten über Amber Heard und Johnny Depp in Erinnerung. Keine Zukunftsvision, die ich selbst durchleben will.

Er weist mich ab wie all die anderen. Keine Erklärung der Welt kann das irgendwie besser machen. «Danke, dass Sie mir zugehört haben, Mr. Delaney … Rick.» Mein Versuch eines Lächelns wird vermutlich zu einer Grimasse. «Danke für Ihre Ehrlichkeit.»

«Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Sie auf diese Art gehen zu lassen. Vielleicht ziehen Sie in Erwägung, das Gespräch mit Ihrem Mann zu suchen, um sich vernünftig zu einigen? Sie sind doch beide erwachsen. Bestimmt gibt er sich damit zufrieden, wenn Sie eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, und zahlt Ihnen eine angemessene Abfindung.»

Glaubt er das ernsthaft?

«Ja, vielleicht.» Ich lächle müde.

«Und wenn das keine Option ist, dann würde ich empfehlen, dass Sie sich an eine der ganz großen Kanzleien wenden.» Er reißt ein Blatt von seinem Block und schreibt eine Adresse in Washington auf. «Covington & Burling sind spezialisiert auf solche Fälle. Sie haben ein professionelles Team, das mit der Öffentlichkeit umgehen kann und ganz sicher das Schlimmste zu verhindern weiß.»

Aber ich will gar keine Öffentlichkeit. Ich will nichts von Jason, nur Frieden.

«Sie wären wirklich besser beraten, wenn Sie sich dort Hilfe holen.»

«Danke für Ihren Rat. Ja, das werde ich.» Ich nehme den Zettel an mich, dabei ist mir klar, dass ich das nicht tun werde. Doch mein Bedürfnis, Mr. Delaney zu beruhigen, ist wahrscheinlich noch größer als seins, sich beruhigen zu lassen. Weil ich das immer so mache. Weil ich immer alles sage und tue, um Männer zu beschwichtigen. Das ist es, was ich in den letzten Jahren verinnerlicht habe.

«Wir können es uns nicht leisten, hier die Presse vor dem Haus zu haben.» Mr. Delaney schwitzt und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. «Das Risiko ist zu groß. Für unsere Kanzlei. Für unsere Mitarbeiter.»

«Ja, das verstehe ich vollkommen.» Innerlich schreie ich. Ich schreie so viel, ohne dass jemals ein Laut über meine Lippen dringt. Manchmal wundere ich mich, wieso meine Stimme nicht heiser ist.

Er begleitet mich zur Tür und hält sie für mich auf. «Das Gespräch kostet Sie nichts», sagt er. «Ich habe das abgeklärt. Es tut mir leid, dass wir Ihnen nicht weiterhelfen können.»

«Machen Sie sich keine Sorgen um mich.»

Ich werde das überleben, will ich hinzufügen, aber dann schlucke ich den Satz hinunter.

Weil ich damit vielleicht lügen würde.

6. Kapitel

Direkt hinter der Tür knülle ich den Zettel mit der Adresse zusammen und werfe ihn in den nächsten Papierkorb. Den gesamten Weg bis zur Bushaltestelle heule ich. Ich weiß nicht einmal, wieso. Es ist nicht so, dass ich viel Hoffnung in diesen Termin gesetzt hätte. Zumindest dachte ich das. Aber offenbar habe ich mir dabei selbst etwas vorgemacht. Insgeheim habe ich wohl gehofft, ich könnte gleich nach Hause fahren, Cashew abholen und in einem Motel untertauchen, das der Anwalt mir besorgt. Oder irgendeine andere alberne Hollywood-Vorstellung untermalt von einem Hans-Zimmer-Soundtrack. Ich habe gehofft, dass ich nie wieder in unserem Haus übernachten müsste. Vielleicht bin ich auch deshalb noch einmal das Risiko mit dem Handy eingegangen. Vielleicht bin ich naiv gewesen. Vielleicht bin ich auch einfach hoffnungslos …

Hoffnungslos. Nichts weiter.

Das Seltsame ist, dass es diese Erkenntnis ist, die dafür sorgt, dass ich mich wieder beruhige und in den Bus einsteigen kann. Weil ich mich ergebe. Wahrscheinlich fühlt es sich genauso an, wenn man ertrinkt. Die Vorstellung hat fast etwas Tröstliches. Es tut nur so lange weh, bis man sich ergibt und akzeptiert, was man nicht ändern kann. Dann hört der Schmerz auf. Nach sechzig Sekunden vielleicht. Wenn man nicht mehr hofft. Wenn man nachgibt. Sich selbst aufgibt.

Ich stolpere den Gang noch nach hinten durch, als der Bus schon angefahren ist, und klettere in die letzte Sitzbank. Den Kopf drehe ich zum Fenster, damit niemand mein verheultes Gesicht sieht.

Es ist nichts passiert, rede ich mir ein. Im Vergleich zu heute Morgen hat sich die Welt nicht verändert. Ich habe mich nicht verändert. Ich bin immer noch Darcy Sullivan, die in der Highschool zu schüchtern war, um zu sagen, dass es ihr Platz ist, auf den ein anderer seine Füße hochgelegt hat. Die mit Jason Miller verheiratet ist, der sie liebt. Der ihr jeden Tag sagt, dass sie der wichtigste Mensch in seinem Leben ist. Nur dass ich das nicht mehr will, weil ich weiß, was es bedeutet, der wichtigste Mensch im Leben von Jason Miller zu sein.

Ich wische mir mit dem Ärmel meines Hemds über das Gesicht, reiße mich zusammen. Immerhin habe ich das Kleid umgetauscht und jetzt viereinhalbtausend Dollar Bargeld, um …

Um was?

Ich seufze, lehne mich zur Seite und lasse meine Stirn gegen die Seitenscheibe sinken. Während ich nach draußen auf die vorbeiziehenden Häuser sehe und die Farben vor meinem leeren Blick verschwimmen, denke ich über meine nächsten Schritte nach. Als Erstes muss ich ein gutes Versteck für das Geld finden, weil ich Jason keine sinnvolle Erklärung liefern könnte, wie ich gleichzeitig schwimmen gehen und in Raleigh das Kleid umtauschen konnte. Dann muss ich meine Kleidung so präparieren, dass sie nach einem Nachmittag am Strand aussieht. Ich muss mir das verheulte Gesicht waschen und das Lächeln vor dem Spiegel einstudieren. Ich muss so vieles.