Lost in you. Verlockendes Geheimnis - Jodi Ellen Malpas - E-Book
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Lost in you. Verlockendes Geheimnis E-Book

Jodi Ellen Malpas

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Beschreibung

Der Start der grandiosen „Lost In You“-Serie.

Die 26-jährige, zurückhaltende Innendesignerin Ava O’Shea ist nicht gerade begeistert von ihrem neuesten Auftrag. Das Herrenhaus, dessen Räume sie gestalten soll, stellt sie sich langweilig vor und den Besitzer als älteren, untersetzten Gentleman. Doch Jesse Ward, der Lord des imposanten „Manor“, entpuppt sich als jung, ungemein attraktiv und entwaffnend selbstbewusst. Zwischen den beiden herrscht sofort eine prickelnde Spannung. Ava allerdings schreckt vor einer Affäre zurück, denn Jesse ist nicht nur ein zügelloser Playboy, sondern hütet auch ein dunkles Geheimnis. Doch so sehr sie sich auch gegen ihre Gefühle wehrt – der unwiderstehlich dominante Jesse zieht sie einfach unglaublich an ... Band 1 der Lost in you-Trilogie.

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Seitenzahl: 693

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Buch

Ava hat es geschafft. Beim Designbüro Rococo Union feiert die junge Innenarchitektin mit frischen, modernen Ideen schöne Erfolge. Von ihrem neuesten Auftrag allerdings ist sie gar nicht angetan, denn sie soll ein altes Herrenhaus ausstatten. Wenig begeistert fährt sie zum ersten Treffen. Schließlich stellt sie sich das Herrenhaus langweilig vor und den Besitzer als älteren, untersetzten Gentleman. Doch Jesse Ward, der reiche Lord des imposanten Manor, entpuppt sich als jung, ungemein attraktiv und entwaffnend selbstbewusst. Zwischen den beiden herrscht sofort eine prickelnde Spannung. Ava allerdings schreckt vor einer Affäre zurück und möchte Jesse am liebsten sofort wieder vergessen. Denn Jesse löst in ihr nicht nur ein ungeahntes Verlangen aus, das sie zutiefst verwirrt. Er ist auch ein zügelloser Playboy und hütet ein dunkles Geheimnis. Doch sosehr sie sich auch gegen ihre Gefühle wehrt – ihr Weg führt sie zurück ins Manor und zum unwiderstehlich dominanten Jesse, der sie einfach unglaublich anzieht …

Autorin

Jodi Ellen Malpaswuchs im englischen Northampton auf, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann und den beiden Söhnen lebt. Bevor sie zum Schreiben kam, arbeitete sie im familieneigenen Bauunternehmen. Mit ihrer erotischen Debüt-Trilogie Lost in You begeisterte sie auf Anhieb die Leserinnen und war wochenlang auf den Bestsellerlisten der »New York Times« und der »Sunday Times« vertreten.

Weitere Informationen zu Jodi Ellen Malpas

finden Sie unter www.jodiellenmalpas.co.uk

Jodi Ellen Malpas

LOST IN YOU

Verlockendes

Geheimnis

Band 1

Erotischer Roman

Aus dem Englischen

von Andrea Fischer

Die englische Originalausgabe wurde von Jodi Ellen Malpas 2012

unter dem Titel »This Man« in Großbritannien veröffentlicht

und erschien 2013 in Neuauflage bei Orion Books,

an imprint of The Orion Publishing Group Ltd,

an Hachette UK Company, London.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2014

THIS MAN Copyright © Jodi Ellen Malpas, 2012

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: Copyright © Michael Haegele/Corbis;

FinePic®, München

Redaktion: Ilse Wagner

KS · Herstellung: Str.

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-14480-7

www.goldmann-verlag.de

Für Big Pat und Bubbles

1

Hektisch wühle ich in dem Berg von Klamotten auf dem Fußboden meines Zimmers. Wenn ich das Ding nicht bald finde, komme ich zu spät zur Arbeit. »Kate!«, rufe ich verzweifelt. Wo ist das dämliche Teil bloß? Ich stürze zum Treppenabsatz und beuge mich übers Geländer. »Kate!«

Von unten höre ich das vertraute Geräusch des Schneebesens in einer Keramikschüssel. Dann taucht Kate am Fuß der Treppe auf, die roten Haare hochgesteckt zu einem Turm aus Locken. Erschöpft schaut sie zu mir hoch. So sieht sie in letzter Zeit öfter aus.

»Mein Schlüssel! Hast du meinen Autoschlüssel gesehen?«, frage ich verzweifelt.

»Der liegt auf dem Tisch unterm Spiegel, wo du ihn gestern Abend hingelegt hast.« Sie verdreht die Augen und kehrt zusammen mit dem Kuchenteig wieder an ihren Arbeitsplatz zurück.

Ich entdecke den Autoschlüssel unter einem Stapel Hochglanzmagazine. »Hab ich dich!«, murmele ich und schnappe mir schnell Gürtel, Pumps und Laptop. Dann verlasse ich die Wohnung im ersten Stock. Unten befindet sich Kates Küche, wo sie gerade den Teig in verschiedene Formen füllt.

»Du musst mal dein Zimmer aufräumen, Ava. Das ist echt ein Saustall«, meckert sie.

Allerdings, mein Organisationstalent lässt zu Hause zu wünschen übrig, besonders, wenn man bedenkt, dass ich Innenarchitektin bei Rococo Union bin und den ganzen Tag nichts anderes mache, als zu organisieren und zu koordinieren. Ich nehme mein Handy von dem wuchtigen Tisch und stecke meinen Finger in Kates Kuchenteig. »Ich kann nicht in allem super sein.«

»Raus hier!« Mit dem Löffel schlägt sie nach meiner Hand. »Warum brauchst du deinen Wagen heute überhaupt?« Sie beugt sich vor, um den Teig glatt zu streichen. Vor Konzentration schiebt sie die Zungenspitze zwischen die Lippen.

»Ich habe eine Erstberatung in den Surrey Hills – irgend so ein Herrenhaus auf dem Land.« Ich ziehe den Gürtel durch die Schlaufen meines dunkelblauen Etuikleids, schlüpfe in die Pumps und drehe mich prüfend vor dem Wandspiegel.

»Ich dachte, du wärst nur für die Stadt zuständig«, sagt Kate.

Ich zerzause meine langen dunklen Haare, werfe sie mehrmals hin und her, dann gebe ich auf und stecke sie mit ein paar Handgriffen hoch. Meine dunkelbraunen Augen wirken müde, sie funkeln nicht so wie sonst – was mit Sicherheit daran liegt, dass ich in letzter Zeit die Nacht zum Tag gemacht habe. Erst vor einem Monat bin ich nach meiner Trennung von Matt bei Kate eingezogen. Seitdem benehmen wir uns, als führten wir ein lustiges Studentenleben. Meine Leber braucht dringend eine Pause.

»Bin ich auch. Landhaus ist Patricks Spezialität. Keine Ahnung, wie ich daran gekommen bin.« Ich schwinge das Gloss wie einen Zauberstab über meine Lippen, presse sie aufeinander und gebe Kate einen Kuss auf die Wange. »Das wird hart, sage ich dir. Hab dich lieb!«

»Ich dich auch. Bis später«, erwidert Kate lachend, ohne den Kopf zu heben.

Obwohl ich spät dran bin, fahre ich mit meinem kleinen Mini so vorsichtig wie immer zum Büro, das an der Bruton Street liegt. Nachdem ich auf der Suche nach einem Parkplatz zehn Minuten lang durch die Gegend gekurvt bin, weiß ich wieder, warum ich sonst immer die U-Bahn nehme.

Ich platze ins Büro und schiele kurz auf die Uhr. Zwanzig vor neun. Gut, zehn Minuten zu spät, nicht so schlimm, wie ich befürchtet habe. Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch stelle ich fest, dass die Plätze von Tom und Victoria leer sind. Ich setze mich und spähe zu Patrick in seinem Büro hinüber. Als ich meinen Laptop auspacke, sehe ich, dass ein Päckchen für mich abgegeben worden ist.

»Morgen, meine Blume«, grüßt Patrick mich mit tiefer Stimme und setzt sich auf den Rand meines Schreibtischs, der wie immer quietschend gegen sein Gewicht protestiert. »Was hast du denn da?«

»Morgen! Das ist die neue Stoffpalette von Miller’s. Gefällt sie dir?« Ich streiche über das edle Material.

»Wunderschön«, sagt er voller Ironie. »Pass bloß auf, dass Irene die nicht in die Finger bekommt. Ich musste gerade fast meine gesamten Aktien verkaufen, um die neue Innendeko für unser Haus zu finanzieren.«

»Oh.« Ich sehe ihn mitfühlend an. »Wo sind denn die anderen?«

»Victoria hat heute frei, und Tom schlägt sich wieder mit den fürchterlichen Baines herum. Heute sind wir zu dritt: du, ich und Sal, Blümchen.« Er holt einen Kamm aus der Innentasche seines Sakkos und fährt damit durch seinen silbernen Haarschopf.

»Ich hab heute Mittag diesen Termin in The Manor«, erinnere ich ihn, auch wenn er das eigentlich wissen müsste. »Willst du wirklich, dass ich dahinfahre, Patrick?«

Ich arbeite jetzt seit vier Jahren für Rococo Union, und von Anfang an stand fest, dass man mich eingestellt hatte, um mit der Firma stärker auf den modernen Markt vorzustoßen. Da Patrick und Tom auf traditionelles Design spezialisiert sind, zogen sie bei Aufträgen für die überall in London aus dem Boden schießenden Luxusapartments in letzter Zeit immer öfter den Kürzeren. Für mich lief es von Anfang an super, es wurde allmählich sogar zu viel für eine Person, sodass Patrick zusätzlich Victoria einstellte.

»Die wollten ausdrücklich dich, Blümchen.« Er rutscht vom Tisch, der wieder protestierend quietscht. Patrick überhört es geflissentlich, ich hingegen zucke zusammen. Entweder nimmt er bald ein paar Kilo ab, oder er darf nicht mehr auf meinem Tisch sitzen. Viel länger macht der das nicht mit.

Ach, die wollten ausdrücklich mich? Warum? Unter meinen Referenzen findet sich nichts im traditionellen Bereich – wirklich null. Das kann doch nur eine riesige Zeitverschwendung werden. Patrick oder Tom müssten hinfahren.

»Ach ja, die Eröffnung des Lusso.« Patrick verstaut seinen Kamm. »Der Projektentwickler will mit dieser Party im Penthouse so richtig auf den Putz hauen. Das hast du wirklich klasse gemacht, Ava.« Patrick wackelt mit den Augenbrauen.

Ich erröte. »Danke.« Ich bin superstolz auf mich und meine Arbeit im Lusso, die bisher größte Leistung meiner beruflichen Laufbahn. Für ein Apartment in diesem Luxusprojekt an den St. Katharine Docks muss man Preise von drei Millionen für eine Standardversion und bis zu zehn Millionen für das Penthouse hinblättern. Damit sind wir in der Welt der Superreichen angekommen. Das Motto für das Design leitete sich aus dem Projektnamen ab: italienischer Luxus. Ich reiste selbst nach Italien, suchte vor Ort Materialien, Möbel und Kunstwerke aus und verbrachte eine angenehme Woche dort, um den Transport zu organisieren. Nächsten Freitag ist die Einweihungsparty, aber da das Penthouse und sechs weitere Apartments bereits verkauft sind, ist es eher eine Party zum Angeben.

»Ich hab mir den Tag schon freigeschaufelt, damit ich noch einen letzten Kontrollgang machen kann, sobald der Putztrupp durch ist.« Ich blättere in meinem Kalender bis zum nächsten Freitag und kritzele mir den Termin noch mal groß auf die Seite.

»Braves Mädchen! Ich habe Victoria gesagt, dass sie um fünf Uhr da sein soll. Das ist ihre erste Eröffnung, du musst sie also vorher ein bisschen instruieren. Ich komme mit Tom um sieben.«

»Gut.«

Patrick kehrt in sein Büro zurück. Ich öffne meine E-Mails, lese sie, lösche oder antworte, wenn nötig.

Um elf Uhr packe ich meinen Laptop ein und stecke noch mal den Kopf in Patricks Büro. Er sitzt mit konzentrierter Miene vor seinem Computer.

»Bin jetzt weg«, verkünde ich, aber er winkt mir nur geistesabwesend zu. Im Großraumbüro kämpft Sally mit dem Kopierer. »Bis später, Sal.«

»Bye, Ava«, erwidert sie, aber sie ist zu sehr mit dem Gerät beschäftigt, um zu mir herüberzusehen. Das Mädchen ist dermaßen ungeschickt …

Ich trete nach draußen in den Sonnenschein und gehe zu meinem Wagen. Der Verkehr am Freitagvormittag ist die Hölle, aber sobald ich die Stadt hinter mir lasse, geht es ziemlich flott voran. Ich habe das Dach geöffnet, Adele leistet mir Gesellschaft. Ein Ausflug aufs Land ist genau der richtige Abschluss für so eine Arbeitswoche.

Ich biege von der Hauptstraße in einen schmalen Weg ab und halte schließlich vor dem größten Portal, das ich je gesehen habe. Eine goldene Tafel an einer Säule weist das Anwesen als »The Manor« aus.

Leck mich! Ich nehme die Sonnenbrille ab und schaue durch das Tor auf die baumgesäumte Kiesauffahrt, die sich über Kilometer zu erstrecken scheint. Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild eines biederen, Zigarre rauchenden Lords. Ich steige aus und begebe mich auf der Suche nach einer Gegensprechanlage zum Portal.

»Hinter Ihnen.« Eine tiefe Stimme aus dem Nichts durchbricht das ländliche Schweigen. Ich zucke zusammen.

»Hallo?« Suchend sehe ich mich um.

»Hier drüben.«

Ich entdecke die Gegensprechanlage weiter unten am Weg, bin einfach daran vorbeigefahren. Ich laufe hin, drücke auf den Knopf und stelle mich vor. »Ava O’Shea, Rococo Union.«

»Ich weiß.«

Ich kann erkennen, dass auf dem Tor eine Kamera installiert ist. »Und, lassen Sie mich herein?«, frage ich, und im selben Moment zerstört das quietschende Metall den Frieden der Landschaft um mich herum. Die Tore setzen sich in Bewegung. »Immer mit der Ruhe«, murmele ich, hetze zurück zum Wagen, springe hinein und rolle vorwärts. Die Tore schwingen auf, und ich zerbreche mir den Kopf, wie ich diesen arroganten Lackaffen dazu bringen soll, sein Portweinglas und seine Zigarre wegzutun, denn daran klammert er sich vermutlich fest. Minütlich schwindet meine Lust auf diesen Termin. Aufgeblasene Lords mit protzigen Herrenhäusern sind definitiv nicht mein Spezialgebiet.

Sobald das Tor weit geöffnet ist, fahre ich hindurch, und nach ungefähr einer Meile halte ich in einer perfekt runden Auffahrt. Wieder nehme ich die Sonnenbrille ab und starre auf das riesengroße Gebäude vor mir. Es ist umwerfend.

Eine schwarze Eingangstür mit auf Hochglanz polierten Goldbeschlägen wird von vier gewaltigen Erkerfenstern gerahmt, zwischen denen sich gemeißelte Säulen erheben. Die Mauern bestehen aus großen Kalksandsteinblöcken, üppig grüne Lorbeerbäume schmücken die imposante Fassade. Gekrönt wird das Ganze durch einen Brunnen in der Mitte der Auffahrt, aus dem sich illuminiertes Wasser in ein Becken ergießt. Wirklich eindrucksvoll.

Ich schalte den Motor ab und taste nervös nach dem Türgriff. Dann steige ich aus, stütze mich auf die Fahrertür und schaue zu diesem prachtvollen Bauwerk empor. Das Ganze muss ein Irrtum sein. Dieses Haus ist in einem hervorragenden Zustand.

Die Rasenflächen sind grüner als grün, die Außenmauern sehen aus, als würden sie täglich geschrubbt, und sogar der Kies in der Auffahrt scheint regelmäßig geharkt zu werden. Wenn der äußere Eindruck auch nur den kleinsten Anhaltspunkt gibt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Inneneinrichtung irgendwas zu wünschen übrig lässt. Ich schaue hinauf zu den zahllosen Schiebefenstern, hinter denen ich edle Vorhänge erkennen kann. Fast bin ich versucht, Patrick anzurufen und zu fragen, ob ich die richtige Adresse habe, aber draußen am Tor stand schließlich »The Manor«, und der unhöfliche Typ von der Gegensprechanlage erwartet mich offenbar.

Während ich überlege, wie es nun weitergeht, öffnet sich die Tür des Hauses, und der größte Mann, den ich je gesehen habe, schlendert nach draußen auf den Treppenabsatz. Ich ziehe regelrecht den Kopf ein und trete unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Riese trägt einen schwarzen Anzug – mit Sicherheit eine Sonderanfertigung, denn in der Größe gibt’s nichts von der Stange –, schwarzes Hemd und schwarze Krawatte. Seine Haut hat einen satten Ebenholzton, der rasierte Schädel ist auf Hochglanz poliert, seine Augen werden von einer Wraparound-Sonnenbrille verdeckt. Hätte ich mir vorher ausgemalt, wen ich in diesem Haus zu sehen bekomme, wäre das ganz bestimmt nicht dieser Typ gewesen. Er ist ein Koloss, dem »Bodyguard« förmlich auf die Stirn geschrieben steht. Auf einmal habe ich Bedenken, möglicherweise bei einem Mafiaboss gelandet zu sein. Nervös versuche ich, mich zu erinnern, ob ich meinen Panikalarm in die neue Handtasche gesteckt habe.

»Miss O’Shea?«, fragt er gedehnt.

Angesichts seiner massiven Präsenz mache ich mich klein und winke nervös. »Hi«, bringe ich hervor.

»Hier entlang«, brummt er, weist mit dem Kopf in Richtung Haus und verschwindet darin.

Ich überlege, ob ich einfach kehrtmachen und abhauen soll, aber Pflichtgefühl und Neugier sind größer. Außerdem bin ich gespannt zu sehen, was sich hinter diesen Türen verbirgt. Ich nehme meine Handtasche, schlage die Autotür zu und steige die Treppe hinauf. Hinter der Türschwelle öffnet sich eine weitläufige Eingangshalle. Am beeindruckendsten ist die prächtig geschwungene Treppe, die hinauf in den ersten Stock führt.

Die Inneneinrichtung ist edel und luxuriös, sie schüchtert regelrecht ein. Dunkle Blautöne, Taupe mit goldenen Akzenten, antikes Holz, dazu ein Parkettboden in sattem Mahagonirot – alles sehr stimmig und extravagant. Es sieht genau so aus, wie ich erwartet habe, ist aber nicht annähernd mein Stil. Wenn ich mich so umschaue, wird mir immer unverständlicher, warum sie überhaupt einen Innendesigner bestellt haben. Patrick sagte, man habe nach mir persönlich verlangt, weshalb ich vermutet hatte, dass hier modernisiert werden soll. Die Einrichtung passt aber perfekt zu diesem historischen Gebäude. Alles ist in einwandfreiem Zustand. Was soll ich hier?

Der riesige Kerl führt mich in den hinteren Teil des Hauses, biegt nach rechts ab, ich eile ihm nach. Meine rehbraunen Pumps klappern über das Parkett.

Ich höre gedämpfte Gespräche von rechts und werfe einen kurzen Blick hinüber. Da sitzen mehrere Personen an verschiedenen Tischen, essen, trinken, plaudern. Kellner servieren Essen und Getränke, im Hintergrund schnurren die unverkennbaren Stimmen des Rat Pack. Erst runzele ich die Stirn, dann kapiere ich es endlich. Das hier ist ein Hotel – ein vornehmes Landhotel.

Langsam ergibt das Ganze vielleicht doch einen Sinn. Ich will etwas zu dem Riesen sagen, der mich Gott weiß wohin führt, aber er hat sich nicht mal umgedreht, um zu prüfen, ob ich noch hinter ihm bin. Andererseits verraten ihm das wahrscheinlich meine klappernden Absätze. Er scheint nicht besonders gesprächig zu sein, daher vermute ich, dass er sowieso nicht antworten würde.

Wir gehen an zwei weiteren verschlossenen Türen vorbei, dann führt er mich in ein Sonnenzimmer – ein enorm großer, lichtdurchfluteter, üppig gestalteter Raum, der durch Sitzgruppen aus Sofas, großen Sesseln und Tischen unterteilt wird. Zimmerhohe Glastüren bilden die Rückfront, führen auf eine Terrasse aus gelbem York-Sandstein und einen weitläufigen Rasen. Der Eindruck ist wirklich überwältigend. Staunend entdecke ich ein Glashaus im Garten, in dem ein Swimmingpool untergebracht ist. Wahnsinn. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie viel hier eine Übernachtung kostet. Das Hotel muss mindestens fünf Sterne haben, wenn nicht mehr.

Wir durchqueren das Sonnenzimmer, dann führt mich der Riese durch einen Gang und bleibt vor einer holzvertäfelten Tür stehen. »Mr Wards Büro«, brummt er und klopft erstaunlich leise an.

»Der Manager?«, frage ich.

»Der Inhaber«, erwidert er, öffnet die Tür und tritt ein. »Kommen Sie!«

Zögernd bleibe ich auf der Schwelle stehen. Schließlich setze ich mich doch in Bewegung und bestaune das ebenfalls edel eingerichtete Büro von Mr Ward.

2

Jesse, das ist Miss O’Shea, Rococo Union«, stellt der Riese mich vor.

»Perfekt, danke, John.«

Ich schalte von ehrfürchtigem Staunen auf höchste Anspannung und drücke den Rücken durch.

Ich kann den Mann nicht sehen, der Riese verdeckt den Blick auf ihn, aber seine kehlig weiche Stimme lässt mich erstarren. Sie klingt ganz und gar nicht wie die eines Zigarre rauchenden, fetten Lords in Wachsjacke.

Der Riese, beziehungsweise John, tritt zur Seite, und ich erhasche den ersten Blick auf Mr Jesse Ward.

Gütiger Gott! Mein Herz setzt aus, meine Atmung wird gefährlich flach. Ich spüre einen leichten Schwindel, und meine Lippen gehorchen nicht der Anweisung meines Gehirns, irgendetwas zu sagen. Ich stehe einfach da und starre diesen Mann an. Er erwidert meinen Blick. Seine heisere Stimme hat mich schon berührt, aber sein Anblick … bei seinem Anblick werde ich zu einem hilflos zitternden Wrack.

Er erhebt sich, mein Blick folgt ihm. Ward ist sehr groß. Die Ärmel seines weißen Hemds sind lässig aufgerollt, er trägt eine schwarze Krawatte, die locker geknotet auf seiner breiten Brust ruht.

Langsam kommt er um den imposanten Schreibtisch herum. Ich muss schlucken. Dieser Mann ist so perfekt, dass es fast wehtut. Sein dunkelblondes Haar sieht aus, als hätte er kurz versucht, es irgendwie zu stylen, dann aber aufgegeben. Seine Augen sind graugrün und strahlen viel zu intensiv. Der Dreitagebart ist nicht gerade dazu geeignet, seine ebenmäßigen Gesichtszüge zu verhüllen. Er ist leicht gebräunt und einfach … o Mann, er ist umwerfend. Der Lord des Herrenhauses?

»Miss O’Shea.« Er streckt mir die Hand entgegen, aber es will mir nicht gelingen, sie zu ergreifen. Dieser Mann ist wunderschön.

Da ich ihm die Begrüßung verweigere, beugt er sich vor und fasst mich an den Schultern. Sein Gesicht nähert sich meinem, er haucht mir einen Kuss auf die brennende Wange. Seine Lippen streifen meine Haut. Ich erstarre. Das Blut rauscht mir in den Ohren, und obwohl sein Verhalten völlig inakzeptabel für einen Geschäftstermin ist, halte ich ihn nicht davon ab. Ich stehe total neben mir.

»Ist mir ein Vergnügen«, raunt er mir ins Ohr, und ich stöhne leicht. Er muss meine Anspannung spüren, das kann nicht schwierig sein – ich bin stocksteif –, denn er lässt mich los und senkt den Kopf, um mir in die Augen zu sehen. »Alles in Ordnung?«, fragt er und zieht einen Mundwinkel hoch zu einem angedeuteten Lächeln. Mir fällt auf, dass er eine einzelne Falte auf der Stirn hat.

Ich zwinge mich, nicht länger so lächerlich reglos dazustehen. Noch immer habe ich keinen Ton von mir gegeben. Hat er bemerkt, wie ich auf ihn reagiere? Was ist mit dem Riesen? Ich schiele zu ihm hinüber, er rührt sich nicht, seine Brille verdeckt die Augen, aber ich weiß, dass er mich beobachtet. Ich reiße mich zusammen und trete einen Schritt zurück von Ward und seiner einnehmenden Art. Er lässt die Hände sinken.

»Hi.« Ich huste, um den Frosch im Hals loszuwerden. »Ava, ich heiße Ava.« Nun halte ich ihm die Hand hin, aber er lässt sich Zeit, sie zu ergreifen, als fürchte er, es könne zu riskant sein.

Als er sie schließlich doch drückt, ist seine Hand feucht und zittert leicht. Es knistert, erschrocken zucken wir beide zurück, und ein verwunderter Ausdruck huscht über sein ebenmäßiges Gesicht.

»Ava.« Er lässt sich meinen Namen auf der Zunge zergehen, und ich muss all meine Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht erneut zu stöhnen. Es wäre besser, wenn er von jetzt an kein Wort mehr sagen würde.

»Ja, Ava«, bestätige ich. Nun scheint er derjenige zu sein, der in sein kleines Nirwana abdriftet. Ich merke, dass mir immer heißer wird.

Endlich kommt er wieder zu sich, schiebt die Hände in die Hosentaschen, schüttelt leicht den Kopf und macht einige Schritte rückwärts. »Danke, John!« Mit einem Nicken entlässt er den Riesen, der daraufhin grinst, sodass seine Gesichtszüge nicht mehr so hart wirken.

Jetzt bin ich allein mit diesem Mann. Seine Nähe macht mich sprachlos, reglos und so gut wie nutzlos.

Er weist auf zwei braune Ledersofas, die einander gegenüber vor dem Erkerfenster stehen, dazwischen ein großer Couchtisch. »Setzen Sie sich doch! Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Er reißt den Blick von mir los und geht zu einem Sideboard, auf dem mehrere Flaschen mit Spirituosen stehen. Er meint doch wohl nicht Alkohol? Es ist mitten am Tag! Das ist selbst für meine Verhältnisse zu früh. Eine Weile verharrt er vor der Anrichte, dann dreht er sich mit erwartungsvoller Miene zu mir um.

»Nein, danke«, sage ich mit einem Kopfschütteln, für den Fall, dass die Worte nicht richtig herauskommen.

»Wasser?« Wieder zupft ein Lächeln an seinen Mundwinkeln.

O Mann, guck mich nicht so an! »Bitte!« Ich lächele nervös. Mein Mund ist wie ausgetrocknet.

Ward holt zwei Wasserflaschen aus dem eingebauten Kühlschrank und wendet sich mir wieder zu. Endlich gehorchen meine zitternden Beine, und ich gehe quer durchs Zimmer zum Sofa.

»Ava?« Seine Stimme hüllt mich ein wie Samt. Unwillkürlich bleibe ich stehen.

Ich sehe ihn an. Wahrscheinlich keine gute Idee. »Ja?«

Er hält ein Longdrinkglas hoch. »Glas?«

»Ja, bitte.« Ich lächele. Er muss mich für völlig unprofessionell halten. Ich nehme auf der Ledercouch Platz, hole meinen Ordner und das Handy aus der Tasche und lege beides vor mich auf den Tisch. Meine Hände zittern.

Mensch, Mädchen, krieg dich wieder ein! Ich tue so, als würde ich mir Notizen machen. Er kommt herüber, stellt die Wasserflasche und ein Glas auf den Tisch, setzt sich auf das Sofa mir gegenüber und schlägt ein Bein über das andere. Er lehnt sich nach hinten. Offenbar macht er es sich bequem, dennoch ist das Schweigen zwischen uns ohrenbetäubend. Ich kritzele weiter auf den Block, damit ich ihn nicht ansehen muss. Natürlich weiß ich, dass ich nicht ewig so weitermachen kann, aber mir will nicht eine einzige Einleitungsfrage einfallen. Alles ist weg.

»Und, wie fangen wir an?« Seine Frage zwingt mich hochzuschauen. Er lächelt. Mir wird schwindelig.

Er führt die Wasserflasche an seine sinnlichen Lippen und beobachtet mich über den Flaschenhals hinweg. Ich unterbreche den Blickkontakt, beuge mich vor und schenke mir etwas Wasser ins Glas ein. Nur mit Mühe bekomme ich meine Nerven unter Kontrolle. Was für eine unangenehme Situation! Noch nie hat mir ein Mann dermaßen zugesetzt.

»Am besten verraten Sie mir erst mal, warum ich hier bin.« Ich habe gesprochen! Ich hebe das Glas und sehe ihn an.

»Hm?«, sagt er ruhig. Wieder erscheint die Falte auf seiner Stirn. Doch selbst die ist schön.

»Sie haben ausdrücklich nach mir verlangt«, füge ich hinzu.

»Ja«, antwortet er schlicht. Dann lächelt er wieder. Ich muss den Blick abwenden.

Ich trinke einen Schluck Wasser und räuspere mich, bevor ich mich diesem intensiven Mann erneut stelle. »Und, darf ich den Grund erfahren?«

»Dürfen Sie.« Er nimmt das Bein herunter, beugt sich vor und stellt die Flasche auf den Tisch. Dann stützt er die Unterarme auf die Knie und verstummt. Will er das nicht weiter ausführen?

»Na gut.« Ich bin verunsichert. »Und warum?«

»Ich habe viel Gutes über Sie gehört.«

Mein Gesicht läuft rot an. »Danke. Und warum bin ich nun hier?«

»Zum Einrichten, natürlich.« Er lacht, und ich komme mir dumm vor, bin aber gleichzeitig verärgert. Macht er sich vielleicht über mich lustig?

»Was genau soll ich denn einrichten?«, frage ich. »Das, was ich bisher gesehen habe, macht einen perfekten Eindruck.« Er wird dieses wunderschöne Gebäude doch nicht modernisieren wollen! Landhäuser mögen nicht meine Stärke sein, aber ich erkenne Qualität, wenn ich sie sehe.

»Danke«, sagt er leise. »Haben Sie Ihre Referenzen dabei?«

»Aber sicher«, erwidere ich und greife in meine Tasche. Warum er sie sehen will, verstehe ich allerdings nicht. Da ist nichts dabei, was diesem Hotel gleicht.

Ich lege die Mappe auf den Tisch und erwarte, dass er sie zu sich hinüberzieht, doch zu meinem Entsetzen erhebt er sich geschmeidig wie eine Wildkatze, kommt um den Tisch herum und setzt sich neben mich aufs Sofa. Du lieber Himmel! Er riecht göttlich – minzig und nach frischem Wasser. Ich halte die Luft an.

Er beugt sich vor und schlägt den Ordner auf. »Sie sind sehr jung für eine so versierte Innenarchitektin«, bemerkt er, langsam in meiner Mappe blätternd.

Er hat recht, das bin ich, aber das verdanke ich allein Patrick, der mir bei der Expansion seiner Firma freie Hand ließ. Innerhalb von vier Jahren habe ich meinen Collegeabschluss gemacht, diese Stelle bei dem angesehenen Inneneinrichter bekommen – eine finanziell solide Firma, der lediglich frische Ideen fehlten – und mir einen Namen erarbeitet. Ich hatte Glück und bin dankbar für Patricks Vertrauen in meine Fähigkeiten. Neben meinem Auftrag für das Lusso ist das der einzige Grund, warum ich mit sechsundzwanzig Jahren schon so weit gekommen bin.

Ich betrachte seine schöne Hand, an deren Gelenk eine prächtige schwarz-goldene Rolex prangt. »Wie alt sind Sie?«, frage ich, ohne nachzudenken. Du liebe Güte! Mein Gehirn ist nicht mehr zu gebrauchen, obendrein laufe ich auch noch tomatenrot an. Kann ich nicht einfach den Mund halten? Wieso gebe ich überhaupt so einen Quatsch von mir?

Eindringlich sieht er mich an, seine grünen Augen brennen sich in meine. »Einundzwanzig«, erwidert er mit einem Pokerface.

Ich schnaube abschätzig, er hebt fragend die Augenbrauen. »Sorry«, stammele ich und schaue wieder auf meine Referenzmappe. Ich bin total durcheinander. Er atmet schwer aus, seine Rechte greift zu meiner Mappe, blättert um, die linke Hand ruht auf der Tischkante.

Ich sehe keinen Ring. Ist er nicht verheiratet? Wie kann das sein?

»Das hier gefällt mir sehr.« Er weist auf die Fotos vom Lusso.

»Ich glaube nicht, dass meine Ideen für das Lusso hierherpassen würden«, sage ich zurückhaltend. Es ist viel zu modern. Natürlich ist es edel, aber deutlich zu kühl.

Er sieht mich an. »Sie haben recht; ich meinte nur … es gefällt mir wirklich.«

»Danke.« Bevor er mir die Mappe zurückgibt, mustert er mich gründlich, und ich erröte noch mehr.

Schnell greife ich nach meinem Glas und widerstehe der Versuchung, mir das Wasser zur Abkühlung über den Kopf zu gießen, auch wenn ich kurz davor bin, als sein Oberschenkel mein nacktes Knie streift. Ich rücke zur Seite, um der Berührung auszuweichen, und bemerke aus dem Augenwinkel ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen. Er macht das mit Absicht. Jetzt reicht es mir.

»Wo ist bitte Ihre Toilette?« Ich stelle das Glas ab und stehe auf. Ich muss hier raus und mich wieder unter Kontrolle bekommen. Bin völlig durch den Wind.

Schnell erhebt er sich. »Durch das Sonnenzimmer, dann nach links«, sagt er lächelnd. Er weiß, wie er auf mich wirkt. Diese Art, mich anzusehen, so wissend – mit Sicherheit bekommen viele Frauen bei ihm weiche Knie.

»Danke.« Ich schiebe mich durch die schmale Lücke zwischen Tisch und Sofa, was zusätzlich dadurch erschwert wird, dass er keine Anstalten macht, mir mehr Platz einzuräumen. Ich muss mich buchstäblich an ihm vorbeiquetschen und halte die Luft an.

Auf dem Weg zur Tür spüre ich seinen Blick im Rücken, er brennt mir ein Loch ins Kleid. Ich dehne die Nackenmuskeln, um meine Gänsehaut zu vertreiben.

Schnell verlasse ich das Büro, haste gesenkten Kopfes durch den Gang, durchquere das Sonnenzimmer und stürze in den unfassbar edlen Toilettenbereich. Ich stütze mich aufs Waschbecken und schaue in den Spiegel. »Mensch, Ava! Reiß dich zusammen!«, schimpfe ich mit meinem Ebenbild.

»Haben wir den Lord kennengelernt, ja?«

Ich wirbele herum. Auf der anderen Seite des Raums steht eine sehr attraktive Geschäftsfrau und zupft sich an den Haaren. Ich habe keine Ahnung, was ich darauf sagen soll, aber letztlich hat sie gerade bestätigt, was ich bereits vermutete – er hat diese Wirkung auf alle Frauen. Da sich mein Kopf weigert, eine passende Antwort zu geben, lächele ich nur.

Die Frau erwidert das Lächeln, sie kennt den Grund für meinen aufgelösten Zustand. Belustigt verlässt sie die Toilette. Wenn ich nicht so schwitzen würde und so nervös wäre, würde ich mich vielleicht schämen. Aber mir ist total heiß, ich bin absolut zittrig, und so schüttele ich die Demütigung ab, hole mehrmals tief Luft und wasche mir die feuchten Hände mit der herrlich duftenden Seife. Ich hätte meine Tasche mitnehmen sollen. Könnte ein bisschen Vaseline gebrauchen. Mein Mund ist immer noch trocken, dadurch spannen die Lippen.

So, ich muss wieder raus, mir seine Vorstellungen anhören – und dann nichts wie weg. Mein Herz bettelt um Erlösung. Ich schäme mich in Grund und Boden. Schnell kontrolliere ich meine Frisur und verlasse die Toilette in Richtung des Büros. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, für diesen Mann zu arbeiten; er hat einfach eine zu starke Wirkung auf mich.

Ich klopfe an, bevor ich eintrete. Er sitzt auf der Couch, blättert durch meine Referenzmappe, schaut auf und lächelt, und in dem Moment weiß ich, dass ich gehen muss. Auf gar keinen Fall kann ich mit diesem Mann arbeiten. In seiner Gegenwart verflüchtigt sich jegliche Intelligenz, die ich möglicherweise besitze. Und was am schlimmsten ist: Er weiß es.

Ich spreche mir innerlich Mut zu, gehe zum Tisch und ignoriere seinen beharrlichen Blick. Er lehnt sich auf dem Sofa zurück, damit ich mich wieder an ihm vorbeiquetschen muss, doch den Gefallen tue ich ihm nicht. Stattdessen hocke ich mich ihm gegenüber auf die Sofakante.

Er sieht mich fragend an. »Alles in Ordnung?«

»Ja, alles gut«, erwidere ich knapp. Er weiß Bescheid. »Würden Sie mir jetzt vielleicht zeigen, welches Projekt Sie für mich haben, damit wir Ihre Vorstellungen besprechen können?« Ich bemühe mich, selbstsicher zu wirken. Von jetzt an werde ich mich genau ans Protokoll halten. Ich habe wirklich nicht vor, diesen Auftrag anzunehmen, aber ich kann jetzt nicht einfach verschwinden – so verlockend das auch wäre.

Er hebt die Augenbrauen, sichtlich überrascht von meinem veränderten Verhalten. »Natürlich.« Er steht auf und geht hinüber zum Schreibtisch, um sein Handy einzustecken. Ich suche meine Sachen zusammen, packe sie in die Tasche und begebe mich auf seine Geste hin zur Tür.

Sofort überholt er mich und hält mir die Tür mit einer übertriebenen Verbeugung auf. Ich lächele höflich, obwohl ich weiß, dass er mit mir spielt, und trete in den Gang in Richtung Sonnenzimmer. Als er mir die Hand auf den Rücken legt, um mich zu führen, muss ich einen spitzen Schrei unterdrücken.

Was macht er da mit mir? Ich tue mein Bestes, ihn zu ignorieren, aber man müsste schon tot sein, um nicht zu merken, wie dieser Mann auf mich wirkt. Und er weiß es genau. Meine Haut kribbelt am ganzen Körper, was er mit Sicherheit spüren kann. Ich bekomme meinen Atem nicht unter Kontrolle, und das Gehen erfordert meine gesamte Kraft und jegliches Koordinationsvermögen. Ich bin eine Lachnummer, und es liegt auf der Hand, dass er seinen Spaß an meiner Reaktion hat. Ich muss ganz schön komisch wirken.

Genervt von meinem eigenen Verhalten, beschleunige ich meine Schritte und löse mich von seiner Berührung. Der Gang bietet zwei Möglichkeiten zum Abbiegen, ich bleibe stehen.

Er holt mich ein und weist auf das Fenster, hinter dem Rasen und Tennisplätze zu sehen sind. »Spielen Sie?«

Ich lache, aber es klingt nicht fröhlich. »Nein. Ich gehe öfter laufen, aber das ist es auch schon. Bekomme ich einen Schläger oder Ball in die Hand, gibt es ein Unglück.« Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Grinsen, das das Grün seiner Augen unterstreicht und seine dichten Wimpern noch länger wirken lässt. Ich lächele und schüttele den Kopf vor Staunen über diesen umwerfenden Mann. »Und Sie?«, frage ich.

Er geht weiter in die Eingangshalle, ich folge ihm. »Hin und wieder habe ich nichts gegen ein Spielchen einzuwenden, ansonsten bin ich eher für Extremsportarten.« Er bleibt stehen, ich ebenfalls.

Er macht einen unglaublich fitten, durchtrainierten Eindruck. »Was denn für Extremsportarten?«

»Hauptsächlich Snowboarden, aber ich habe es auch schon mit Wildwasserkanu, Bungeespringen und Fallschirmspringen versucht. Ich bin ein kleiner Adrenalinjunkie. Spüre gerne, wie das Blut durch meinen Körper rauscht.« Er beobachtet mich. Ich fühle mich durchschaut. Man müsste mich schon unter Narkose setzen, damit ich auch nur eines von seinen berauschenden Hobbys ausprobieren würde. Da gehe ich lieber hin und wieder joggen.

»Extrem«, sage ich.

»Total extrem«, bestätigt er leise. Wieder halte ich die Luft an, schließe die Augen und schimpfe innerlich mit mir, weil ich so ein Loser bin. »Sollen wir weitergehen?«, fragt er, anscheinend belustigt.

Ich schaue in seine durchdringenden grünen Augen. »Ja, bitte.« Wenn er mich doch bloß nicht so anstarren würde! Mit einem angedeuteten Lächeln betritt er die Bar, wo er schulterklopfend zwei Männer begrüßt, die Bier aus der Flasche trinken. Sie sind jung – wahrscheinlich Ende zwanzig – und sehr attraktiv.

»Jungs, das ist Ava. Ava, das sind Sam Kelt und Drew Davies.«

»Guten Tag«, grüßt mich Drew mit schleppender Stimme. Er sieht gut aus, auf eine strenge Weise. Sein schwarzes Haar ist perfekt frisiert, sein Anzug tadellos, sein Blick scharf. Bestimmt ist er ein gewiefter Geschäftsmann.

»Hi.« Ich lächele höflich.

»Welcome to the pleasure dome!«, begrüßt mich Sam lachend und hält mir seine Flasche entgegen. »Darf ich Ihnen einen ausgeben?«

Ich merke, dass Ward leicht die Augen verdreht und den Kopf schüttelt. Sam grinst. Er ist das genaue Gegenteil von Drew – total locker drauf, alte Jeans, Chucks und ein T-Shirt von Superdry. Er hat ein Grübchen in der linken Wange, was ihm einen frechen Ausdruck verleiht. Seine blauen Augen funkeln, machen ihn noch jungenhafter, das mattbraune schulterlange Haar ist zerzaust.

»Nein, danke sehr«, antworte ich.

Er nickt Ward zu. »Jesse?«

»Nein, danke. Ich führe Ava nur kurz durch den Anbau. Sie wird sich um die Inneneinrichtung kümmern«, sagt er und lächelt mich an.

Insgeheim winke ich ab. Nicht, wenn ich hier irgendwas zu sagen habe. Außerdem ist er ganz schön voreilig, oder? Wir haben weder das Honorar noch den zeitlichen Rahmen oder sonst was abgesprochen.

»Wird auch Zeit. Hier sind ja nie Zimmer frei«, brummt Drew in seine Flasche.

»Wie war denn dein Urlaub in Cortina, Sportsfreund?«, fragt Sam.

Ward nimmt den nächsten Barhocker. »Wahnsinn. Die Italiener fahren fast genauso entspannt Ski wie sie leben.« Er strahlt, sein erstes aufrichtiges Lachen, seit ich hier bin – die Zähne blitzen. Dieser Mann ist ein Gott. »Ich bin immer spät aufgestanden, hab mir einen geilen Berg gesucht und bin die Hänge runter, bis ich nicht mehr konnte. Dann Siesta, ein spätes Essen und am nächsten Tag das Ganze von vorn.« Während er redet, sieht er nur mich an.

Ich kann nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. »Können Sie das gut?«, frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt. Ich nehme an, dass er alles gut kann.

»Ja«, bestätigt er leise. Ich nicke anerkennend, und kurz versenken sich unsere Blicke ineinander, doch ich unterbreche den Kontakt. »Wollen wir?«, fragt er, rutscht vom Barhocker und weist auf den Ausgang.

»Ja, gerne.« Immerhin soll ich hier ja arbeiten. Bisher habe ich nicht mehr geleistet, als zu erröten und mich über Extremsportarten zu unterhalten. Ich fühle mich wie in Trance.

Ich drehe mich zu den beiden Männern an der Theke um und lächele zum Abschied, woraufhin sie kurz die Flaschen heben und dann ihr Gespräch fortführen. Als ich mich der Tür zur Eingangshalle nähere, spüre ich ihn dicht hinter mir. Er ist so nah, dass ich ihn riechen kann. Ich schließe die Augen und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass ich diesen Termin wenigstens mit einem Rest von Würde hinter mich bringe. Jesse Ward ist eindeutig zu intensiv für mich, er bringt meine Sinne komplett durcheinander.

»So, zuerst mal das Wichtigste.« Er steigt die breite Treppe hinauf, ich folge ihm zu einem riesigen Treppenabsatz. »Hier sind die Privatzimmer«, sagt er und weist auf mehrere Türen, die vom Flur abgehen.

Ich bewundere seinen schönen Rücken. Möglicherweise hat er den erotischsten Gang, den ich je das Privileg hatte zu sehen. Als ich den Blick von seinem knackigen Hintern losreiße, stelle ich fest, dass mindestens zwanzig Türen in regelmäßigen Abständen vom Flur abgehen. Ward führt mich weiter, bis uns die nächste große Treppe ins zweite Stockwerk bringt. Am Fuß dieser Treppe befindet sich ein wunderschönes Bleiglasfenster und ein Bogengang, über den man zehn weitere Zimmer erreicht.

»Ist das alles neu?«, frage ich.

»Ja, momentan sind die Räume noch leer, aber daran werden Sie sicherlich etwas ändern können. Warten Sie, ich zeige sie Ihnen.«

Er nimmt meine Hand und zieht mich den Gang entlang zur letzten Tür. Ich bin mehr als schockiert. So was von dreist! Seine Hand ist feucht, meine zittert mit Sicherheit. Wards erhobene Augenbraue und sein Schmunzeln verraten mir, dass ich recht habe. Zwischen uns knistert eine elektrische Hochspannung – ich erschaudere.

Er öffnet eine Tür und schiebt mich in ein geräumiges, frisch verputztes Zimmer. Die neuen Fenster passen perfekt zur Fassade des Haupthauses. Wer diesen Anbau entworfen hat, hat hervorragende Arbeit geleistet.

»Sind alle Zimmer gleich groß?«, frage ich und spreize die Finger, damit er meine Hand loslässt. Behandelt er jede Frau so, mit der er zu tun hat?

»Ja.«

Ich stelle mich in die Mitte und drehe mich um die eigene Achse. Die Größe ist gut. Ich entdecke eine weitere Tür. »Angeschlossenes Bad?«, frage ich und schaue hinein.

»Ja.«

Die Zimmer sind riesig, besonders im Vergleich zu anderen Hotels. Man könnte sich eine Menge einfallen lassen. Ich fände diese Herausforderung hier spannend, wenn ich nicht so gehemmt wäre und Angst vor dem hätte, was von mir erwartet wird. Dies ist nicht das Lusso. Ich verlasse das Bad, und Ward steht an die Wand gelehnt da, die Hände in den Hosentaschen, der dunkle Blick überschattet. Mein Gott, der Mann ist der Sex in Person. Beinahe bin ich enttäuscht, dass ich in meiner Referenzmappe nicht mit dem traditionellen Stil dienen kann. Dieser Auftrag ist für mich von null Interesse.

»Ich glaube nicht, dass ich die Richtige für diese Aufgabe bin.« Es klingt bedauernd, was in Ordnung ist, denn es tut mir wirklich leid. Es tut mir vor allem leid, dass ich mich nicht zusammenreißen kann.

Er sieht mich an. Sein Schlafzimmerblick lässt meine Abwehrhaltung bröckeln, ich trete von einem Bein aufs andere. »Ich glaube, Sie haben genau das, was ich will«, sagt er ruhig.

»Ich habe mich bisher nur mit modernem Design befasst.« Wieder schaue ich mich um, dann wende ich mich ihm langsam zu. »Mit Patrick oder Tom würden Sie sicherlich eine bessere Wahl treffen. Die beiden kümmern sich um unsere historischen Projekte.«

Er mustert mich kurz, schüttelt wieder den Kopf und stößt sich von der Wand ab. »Aber ich will Sie.«

»Warum?«

»Sie sehen aus, als ob Sie sehr gut wären.«

Unwillkürlich schnaube ich. Ich weiß nicht, was ich von diesem Satz halten soll. Spricht er von meinen beruflichen Fähigkeiten oder von etwas anderem? Danach zu urteilen, wie er mich ansieht, ist es Letzteres. Er ist mir ein klein wenig zu selbstsicher.

»Wie würden Sie den von Ihnen gewünschten Stil zusammenfassen?«, frage ich. Etwas anderes fällt mir nicht ein. Ich erröte schon wieder.

Ein Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln. »Sinnlich, intim, luxuriös, anregend, stimulierend …« Er hält inne, wartet meine Reaktion ab.

Ich runzele die Stirn. So beschreibt man normalerweise keinen Einrichtungsstil. Von entspannend, funktionell oder praktisch war gar nicht die Rede. »Aha. Irgendetwas Besonderes, das ich beachten sollte?«, frage ich. Warum halte ich mich überhaupt mit diesen Fragen auf?

»Ein großes Bett und jede Menge Wandschmuck«, lautet die Antwort.

»Was für Wandschmuck?«

»Große Gebilde, aus Holz. Ach, und die Beleuchtung muss dazu passen.«

»Wozu?« Man hört die Verwirrung in meiner Stimme.

Er lächelt, und ich zerfließe auf der Stelle, bestehe nur noch aus Hormonen. »Na, zum Einrichtungsstil natürlich.«

O Gott, der Typ muss annehmen, dass ich total vernagelt bin. »Ja, sicher.« Schwere Holzbalken erstrecken sich unter der Decke. Dieser Anbau ist neu, aber die Balken sind original. »Sind die in allen Zimmern?« Ich sehe ihn wieder an.

»Ja, die sind unverzichtbar.« Seine tiefe Stimme klingt verführerisch. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte.

Ich greife zu meinem Block, um mir Notizen zu machen. »Gibt es irgendwelche Farben, die ich verwenden oder besser meiden soll?«

»Nein, toben Sie sich aus.«

Mein Blick schnellt hoch. »Wie bitte?«

Er lächelt. »Legen Sie einfach los.«

Oh, nein, ich werde mich überhaupt nicht austoben, weil er mich hier nämlich nie wieder sehen wird, dennoch sollte ich so viele Informationen wie möglich sammeln, damit ich sie an Patrick oder Tom weitergeben kann.

»Sie sprachen von einem großen Bett. Irgendein besonderes Modell?«, frage ich in dem Bemühen, professionell zu klingen.

»Nein, einfach nur sehr groß.«

Ich zögere beim Schreiben und schaue auf. Er beobachtet mich. Es macht mich lächerlich nervös. »Was ist mit Stoffen?«

»Ja, jede Menge.« Er kommt auf mich zu. »Mir gefällt Ihr Kleid«, flüstert er.

Heilige Scheiße, ich muss hier weg! »Danke«, quetsche ich hervor und begebe mich zur Tür. »Ich habe jetzt alles, was ich brauche.« Das stimmt zwar nicht, aber ich kann hier keine Minute länger bleiben. Dieser Mann ist wie ein sinnlicher Magnet. »Ich arbeite Ihnen ein paar Entwürfe aus.« Ich trete in den Gang und eile zum Treppenabsatz.

Mannomann, als ich heute Morgen aufwachte, hätte ich mit allem gerechnet, nur damit nicht. Ein edles Herrenhaus auf dem Land – mit einem umwerfend gut aussehenden Lord obendrein – gehört normalerweise nicht zu meinem Alltag.

Ich nehme die Treppe, haste sie auf meinen Stilettos in halsbrecherischem Tempo hinunter und frage mich unten, wie ich dorthin gelangt bin. Ich bin total im Eimer.

Er holt mich ein und streckt mir die Hand hin. »Ich freue mich schon, von Ihnen zu hören, Ava.« Seine raue Stimme umhüllt mich. Aus Angst, dass er mich womöglich wieder an sich zieht und die Lippen auf meine Wange drückt, nehme ich seine Hand.

»Ihr Hotel ist wirklich hübsch«, sage ich aufrichtig. Insgeheim bedauere ich, keinen Slip zum Wechseln, Augenbinde, Ohrstöpsel und eine Rüstung mitgenommen zu haben. Ich hätte wirklich besser vorbereitet sein sollen.

Langsam schüttelt er mir die Hand, und seine Augenbrauen schnellen hoch. Von unserer Berührung geht ein Kribbeln aus, das mich erstarren lässt. »Ich habe ein hübsches Hotel«, wiederholt er nachdenklich. Aus dem Kribbeln wird ein regelrechter Stromschlag; instinktiv ziehe ich die Hand zurück. Fragend sieht er mich an. »Es hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen, Ava.«

»Mich auch«, stoße ich fast flüsternd hervor.

Kurz flackern seine Pupillen, dann kaut er auf seiner Unterlippe. Schließlich begibt er sich zum Tisch in der Mitte des Foyers und zieht eine einzelne Calla aus einem riesigen Strauß, der das Möbelstück dominiert. Eine Weile betrachtet er sie, dann hält er sie mir hin. »Dezente Eleganz«, sagt er leise.

Ich weiß nicht, warum ich es tue – vielleicht, weil ich nicht mehr klar denken kann –, aber ich nehme sie an. »Danke.«

Ward schiebt die Hand in die Hosentasche und beobachtet mich genau. »Mehr als gern geschehen.« Sein Blick wandert von meinen Augen zu meinen Lippen. Ich weiche einige Schritte zurück.

»Da bist du ja!« Eine Frau kommt aus der Bar auf uns zu. Sie ist attraktiv – hellblondes, mittellanges Haar mit Stufenschnitt und ein roter Schmollmund. Sie küsst ihn auf die Wange. »Bist du so weit?«

Aha, das ist dann wohl seine Frau. Aber er trägt keinen Ehering, also vielleicht seine Freundin? Wie dem auch sei, ich bin völlig sprachlos, als er den Blick nicht von mir abwendet und auch keine Anstalten macht, ihre Frage zu beantworten. Sie dreht sich um, will sehen, was seine Aufmerksamkeit fesselt, und beäugt mich argwöhnisch. Augenblicklich hege ich eine Abneigung gegen sie, und das hat nichts mit dem Mann zu tun, dem sie sich praktisch an den Hals wirft.

»Und Sie sind?«, säuselt sie.

Voller Unbehagen trete ich von einem Fuß auf den anderen. Es kommt mir vor, als wäre ich bei etwas Unanständigem ertappt worden. Na ja, bin ich schließlich auch. Mein Körper reagiert mit extrem unerwünschtem Verhalten auf ihren Freund. Ein unangemessener Stich der Eifersucht durchfährt mich. Wie albern!

Ich lächele freundlich. »Bin schon weg. Auf Wiedersehen!« Ich haste zur Tür, eile die Stufen hinunter und springe in meinen Mini, wo ich einen gewaltigen Seufzer ausstoße. Als ich wieder Luft bekomme, lehne ich mich auf dem Sitz zurück und mache Atemübungen.

Ich werde den Auftrag an Tom weitergeben. Sofort lache ich über meine dumme Idee. Tom ist schwul. Er wird sich von Ward ebenso angezogen fühlen wie ich. Obwohl ich nun weiß, dass er vergeben ist, könnte ich nicht mit ihm arbeiten. Ungläubig den Kopf schüttelnd, lasse ich den Wagen an.

Als ich über den Kiesweg davonfahre, kann ich im Rückspiegel beobachten, wie das imposante Herrenhaus immer kleiner wird, und dort oben auf der Treppe steht Jesse Ward und sieht mir nach.

»Da bist du ja. Ich wollte dich gerade anrufen«, begrüßt mich Kate, ohne aufzusehen. Sie arbeitet konzentriert an einer Hochzeitstorte. Die Zungenspitze vorgeschoben, klebt sie Figürchen auf. Ich muss schmunzeln. »Hast du Lust auszugehen?« Noch immer wendet sie den Blick nicht von der Torte ab.

Das ist auch besser so. Mit Sicherheit würde mich mein Gesicht sofort verraten, wenn ich versuche, mich cool zu geben. Nach dem Mittagstermin mit dem Lord vom Herrenhaus bin ich immer noch ein wenig durcheinander. Ich habe nicht mehr genug Elan, um mich fertig zu machen und auszugehen.

»Sollen wir das nicht auf morgen verschieben?«, frage ich. Wenn Kate einverstanden ist, bedeutet das, dass wir eine Flasche Wein auf dem Sofa killen, aber dann kann ich wenigstens im Pyjama abhängen. Nach diesem Tag will ich nur noch meine wild rasenden Gedanken zur Ruhe bringen. Ich habe Kopfschmerzen und konnte mich den Rest des Tages nicht mehr richtig konzentrieren.

»Kein Problem. Ich mach nur noch schnell die Torte fertig, dann bin ich ganz für dich da.« Kate dreht das Kunstwerk auf dem Ständer und tupft essbaren Kleber auf den Zuckerguss. »Wie war dein Ausflug aufs Land?«

Ich muss lachen. Was soll ich dazu sagen? Ich rechnete mit einem arroganten Landadeligen und traf stattdessen einen umwerfend attraktiven Gott im Anzug. Er hatte mich persönlich angefordert, bei seiner Berührung zerfloss ich zu heißer Lava, ich konnte ihm aus Angst, ohnmächtig zu werden, nicht in die Augen sehen, und ihm gefiel mein Kleid. Stattdessen antworte ich: »Interessant.«

Kate schaut auf. »Erzähl!«, fordert sie mit blitzenden Augen, dann beugt sie sich wieder vor und schiebt die Zungenspitze zwischen die Zähne.

»Es war nicht so, wie ich erwartet hatte.« Um locker zu wirken, zupfe ich eine imaginäre Fussel von meinem dunkelblauen Kleid.

»Erzähl mir nicht, was du erwartet hast, sondern wie es wirklich war.« Kate gibt den Versuch auf, das Ehepaar oben auf der Torte festzukleben, und sieht mich aus halb zusammengekniffenen Augen an. Sie hat Zuckerguss auf der Nasenspitze, aber ich verrate es ihr nicht.

»Der Besitzer.« Schulterzuckend fingere ich an meinem rehbraunen Gürtel herum.

»Der Besitzer?«, wiederholt sie grinsend.

»Ja. Jesse Ward, der Besitzer.« Ich wische noch eine Fussel von meinem Kleid.

»Jesse Ward, der Besitzer«, äfft sie mich nach und weist auf die geblümten Cocktailsessel in der Küche. »Setz dich hin! Warum versuchst du eigentlich, dich so cool zu geben? Das zieht nämlich überhaupt nicht. Dein Kopf ist so rot wie das Teil da.« Sie zeigt auf eine Torte im Regal, die die Form eines Feuerwehrwagens hat. »Warum war der Besitzer Jesse Ward nicht so, wie du erwartet hast?«

Ich lasse mich in den Sessel fallen, meine Handtasche auf dem Schoß, Kate bleibt stehen und klopft sich mit dem Griff des Teigschabers auf die Handfläche. Schließlich kommt sie doch herüber und setzt sich in den anderen Sessel.

»Erzähl!«, drängt sie.

Ich zucke mit den Schultern. »Der Typ ist umwerfend, und das weiß er auch.« Ihre Augen leuchten auf, der Teigschaber klopft schneller auf ihren Handteller. Sie will mehr Drama hören. So was liebt sie. Als Matt und ich uns trennten, war Kate sofort da, um als mitfühlende Freundin alles aus erster Hand zu erfahren. Die Mühe hätte sie sich sparen können. Die Trennung erfolgte in gegenseitigem Einvernehmen, sehr freundschaftlich, eigentlich sogar langweilig. Es wurde weder mit Tellern geworfen, noch mussten die Nachbarn die Polizei verständigen.

»Wie alt?«, fragt sie neugierig.

Ich zucke erneut mit den Schultern. »Er hat gesagt, er wäre einundzwanzig, aber er ist mindestens zehn Jahre älter.«

»Du hast ihn gefragt?« Kate fällt die Kinnlade herunter.

»Ja, als einmal kurz das Ventil zwischen Kopf und Mund klemmte, flutschte die Frage durch. Ich bin nicht stolz darauf«, murre ich. »Ich habe mich da dermaßen zum Narren gemacht, Kate! So was ist mir noch nie bei einem Mann passiert. Aber dieser Typ … echt, du hättest dich für mich geschämt.«

Sie lacht schrill. »Ava, ich muss dir wirklich mal ein bisschen Benehmen beibringen!« Kate lässt sich auf den Sessel sinken und leckt den Zuckerguss vom Teigschaber.

»Ich bitte darum«, brumme ich und strecke die Hand nach dem Teigschaber aus. Sie reicht ihn mir, ich lecke den Rand ab. Seit einem Monat wohnen wir jetzt zusammen und leben praktisch von Wein, Zuckerguss und Kuchenteig. Über Appetitverlust nach der Trennung kann ich mich nicht beklagen. »Er ist total von sich eingenommen«, nuschele ich am Schaber vorbei.

»Will heißen?«

»Ach, dieser Mann wusste genau, wie er auf mich wirkt. Ich muss schlimm anzusehen gewesen sein. Wie ein Häufchen Elend.«

»So furchtbar?«

Ich schüttele genervt den Kopf. »Unmöglich.«

»Wahrscheinlich ist er eine Niete im Bett«, sinniert Kate. »Sind die ganz Heißen immer. Wie lautet dein Auftrag?«

»Zehn neue Zimmer im Anbau gestalten. Ich dachte zuerst, es wäre ein privates Herrenhaus auf dem Land, aber es ist ein superschickes Wellnesshotel – The Manor, schon mal gehört?«

Kate macht ein ahnungsloses Gesicht. »Nein«, erwidert sie und steht auf, um den Ofen auszuschalten. »Kann ich nächstes Mal mitkommen?«

»Ich fahre nicht noch mal hin. Ich kann diesem Typen nie wieder unter die Augen treten, nicht nach meiner Vorstellung heute.« Ich richte mich auf und lege den Teigschaber in die leere Rührschüssel. »Ich habe den Auftrag an Patrick weitergegeben. Wein?«

»Im Kühlschrank.«

Wie gehen nach oben in die Wohnung und ziehen uns Pyjamas an. Ich werfe meine Tasche aufs Bett, sie klappt auf, und die Calla, die Ward mir geschenkt hat, rutscht heraus. Dezente Eleganz. Ich nehme sie und drehe sie eine Weile zwischen den Fingern, dann werfe ich sie in den Mülleimer.

Ich schiebe die jüngste Empfehlung aus der Videothek in den DVD-Player, mache es mir mit Kate auf der Couch bequem und versuche, mich auf den Film zu konzentrieren, aber es funktioniert nicht. Vor meinem inneren Auge erscheint ein großer, schlanker Mann mit dunkelblonden Haaren und grünen Augen, einem sexy Gang und einer supererotischen Ausstrahlung. Als ich wegdämmere, jagen mir die Worte »Aber ich will Sie« durch den Kopf.

3

Nach zwei Kundenterminen und einem Abstecher zu Mr Muller in seinem neuen Townhouse in Holland Park, bei dem ich einige Muster abgebe, bin ich wieder im Büro und lausche Patricks Beschwerden über Irene. Das ist immer so am Montagmorgen, wenn er das ganze Wochenende mit seiner Frau verbringen musste.

Mit einem extrabreiten Grinsen im Gesicht rauscht Tom herein, und ich weiß auf der Stelle, dass er am Wochenende jemanden abgeschleppt hat.

»Schätzchen, du hast mir gefehlt!« Er wirft mir einen Luftkuss zu und wendet sich an Patrick, der abwehrend die Hände hebt, als wollte er sagen: Wage es nicht! Tom verdreht die Augen, nicht im Mindesten beleidigt, und marschiert zu seinem Schreibtisch.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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