Lotte in London - Victoria Benner - E-Book

Lotte in London E-Book

Victoria Benner

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Beschreibung

Charlotte und Tom ziehen nach London. Charlotte träumt von einem harmonischen Familienleben zu dritt, doch was hält ihr neues Leben wirklich für sie bereit und wird sie ihren Platz in der neuen Umgebung finden? Auch im dritten Band der Serie um die divenhafte Chaotin trifft die Leserin auf bekannte Gesichter und wo Lotte ist, ist die naechste Krise bestimmt nicht weit.

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Lotte in London

Victoria Benner

Impressum

©2017 Victoria BennerISBN 978-3-7450-3090-7Verlag: Victoria Benner, 1205-1500 Hornby Street, Vancouver, BC V6Z 2R1, Canada http://[email protected]: epubli, ein Service der neopubli GmbH, BerlinLektorat: Lea Bobak, Iris Nyczka, Sean FarrellCover: Sean FarrellBildnachweis: siloto, kontur-vid & filitova, via Shutterstock

Erzeugt mit Writer2ePub von Luca Calcinai

1.

Mit einer fahrigen Bewegung wischte Charlotte ihre feuchten Hände an der Jeans ab. Verwundert betrachtete sie sie. Seit wann bekam sie solches Muffensausen? Sie war doch sonst nicht so, ging es ihr durch den Kopf. Unnötig jetzt darüber nachzudenken. In wenigen Minuten würde alles anders sein. Es war zu spät, um wegzulaufen.

Um sich von ihren Gedanken abzulenken, griff sie nach der Handtasche und fischte die Puderdose hervor. Mit zusammengekniffenen Lippen beäugte sie sich in der kleinen Spiegelfläche. Ein blasses Gesicht, mit dunklen Schatten unter den Augen starrte ihr entgegen. Mit ein paar Handgriffen erneuerte sie das Make-up und schob die Puderdose zurück in die Handtasche. Als das Signal für das Erlöschen der Anschnallzeichen ertönte, seufzte sie auf.

„Meine Damen und Herren, herzlich willkommen in London Heathrow. Das Wetter ist typisch britisch, einige Regenschauer, mit angenehmen zehn Grad.“ Die kühle Stimme der Flugbegleiterin schwebte durch den Flieger. „Wir möchten Sie bitten darauf zu achten, keine Gepäckstücke in den oberen Ablagen zu vergessen.“

Charlotte, ihre Handtasche im Klammergriff, hörte nicht weiter zu, und renkte sich lieber den Hals aus, bei dem Versuch über die siebzehn Sitzreihen vor ihr zu sehen.

„Na endlich!“, flüsterte sie, als die ersten Reihen sich erhoben und auf den Ausgang zudrängten. Mit gerunzelter Stirn verfolgte Charlotte, wie sie einer nach dem anderen an der lächelnden Crew vorbeimarschierten, während hinter ihnen schon die nächsten Passagiere warteten.

„Oh man, wie lange dauert das denn noch?“, fragte Regan, die den Ausgang von ihrem Gangplatz aus ebenfalls im Auge behielt.

„Keine Ahnung!“, gab Charlotte zurück und wühlte unter ihrem Schal nach ihrem Kettenanhänger in Form einer Schneeflocke. Sie rieb ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Es dauert eben so lange, bis jeder von diesen Sonntagsfliegern draußen ist.“

„Ich will hier raus!“

„Und ich erst!“, murmelte Charlotte und betastete mit ihren Fingern das alte Lederband. „Wenn wir eine Lücke sehen, zwängen wir uns durch“, wies sie ihre Tochter an. Sie ließ die Kette los, bückte sich, zerrte Regans Rucksack unter dem Sitz der vorderen Reihe hervor und drückte ihn ihr in den Arm.

„Da!“

Unsanft schubste sie Regan in den Gang und zwängte sich gleich hinterher.

„Können Sie nicht warten, wie jeder andere auch!“, regte sich der Mann, dem sie mit ihrer Drängelei den Weg abgeschnitten hatten, auf.

„Entschuldigung. Aber wir haben es eilig!“, zischte Charlotte, hielt sich nicht mit weiteren Erklärungen auf und schob ihre Tochter in Richtung Ausgang.

„Kein Schokoherz. Einfach dran vorbei rauschen!“, flüsterte sie ihr ins Ohr.

„Aber“, setzte Regan zum Widerspruch an.

„Kein Aber! Wenn wir erst sicher daheim sind, kannst du Schokoherzen haben so viel du willst“, zischte Charlotte. „Kein Widerspruch!“, setzte sie hinzu, als sie ihre Tochter schon beinahe aus dem Flieger stieß.

Mit raschen Schritten lief sie den Verbindungstunnel entlang, der sie in Richtung Ankunftshalle und Gepäckaufbewahrung brachte. Dort angekommen blickte sie sich um.

„Da! Hol uns einen der Wagen!“, befahl sie Regan.

Sie schritt die verschiedenen Gepäckbänder ab und studierte die Anzeigetafeln. Dann blieb sie vor einem der Gepäckbänder stehen. Ungeduldig wippte sie auf den Zehen auf und ab, starrte auf die quadratische Öffnung in der Wand, durch die das Gepäck kommen musste.

Nur noch das Gepäck holen, redete sich Charlotte gut zu, während sie an einer Haarsträhne zupfte. Gleich würden sie hier hinausspazieren, Tom würde da sein und sie würden heimfahren. In ihr neues Leben, das nicht nur seinem Terminplan abgetrotzte Momente auf der Durchreise und immer auf der Flucht vor den Fotografen, sondern ein gemeinsames Zuhause mit zusammen aufstehen und gemeinsamen zu Bett gehen versprach.

„Wie lange dauert das denn noch!“, murmelte sie. „Ihr hattet doch jetzt genug Zeit den Krempel zu holen!“

„Da vorne kommt was!“ Regan war inzwischen mit einem Gepäckwagen aufgetaucht. Sie deutete auf die quadratische Öffnung, aus der sich nun unter lautem Gequietsche des Bandes, ein Rucksack mit schob. Langsam drehte das einsame Gepäckstück eine Runde und alle umstehenden Passagiere sahen ihm gebannt zu, doch keiner sprintete nach vorn, um es für sich zu beanspruchen und so verschwand er wieder in den Tiefen hinter der Wand und das Band kam zum Erliegen.

„Na super. War das schon alles?“ Charlotte trat zwei Schritte zurück und kontrollierte die Anzeigetafel über dem Gepäckband. Vielleicht hatte sie sich ja geirrt und das hier war nicht ihre Gepäckausgabe. Aber nein, dort stand es. Klar und deutlich. British Airways Flug 1098 von Berlin nach London Heathrow, gelandet vor zwanzig Minuten. Sie war richtig.

„Macht schneller!“ Charlotte starrte jetzt in Richtung Beginn des Gepäckbandes, als könnte sie mit ihren Blicken die Arbeit der Gepäckausgabe beschleunigen. Als ein Mann hinter ihr hustete, fuhr sie herum, ihr ganzer Körper angespannt, eine Hand um den Kettenanhänger geklammert, die andere auf Regans Schulter, bereit, sie zu packen und zu laufen. Doch als sie merkte, dass das nur ein harmloser Geschäftsreisender mit einer Erkältung, deutlich erkennbar an der rudolfroten Nase, war, atmete sie auf und entspannte sich.

Jetzt fängst du noch an Gespenster zu sehen, schalt sie sich selbst in Gedanken. Was wenn es jemand bemerken würde! Das wäre ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse!

„Mum? Alles in Ordnung?“

„Ja, Schatz. Alles in Ordnung.“ Charlotte versuchte sich an einem Lächeln und griff wieder nach ihrem Anhänger. „Sobald die das endlich mit dem Gepäck schaffen, sind wir hier raus und in Sicherheit.“

Regan nickte, als das helle Licht anfing, über dem Band zu flackern und sich das Gepäckband mit einem Rucken in Bewegung setzte. Durch die Menge der Mitreisenden ging ein kollektives Seufzen der Erleichterung. Und dann trat der ihnen bereits bekannte Rucksack seine zweite Reise an. Diesmal jedoch nicht allein, sondern ihm folgten noch andere Gepäckstücke.

Schon sah Charlotte die ersten Reisenden auf das Band zustürzen. Nach und nach lichteten sich die Reihen der Passagiere mit jedem weiteren Gepäckstück, nur ihre Koffer fehlten noch immer.

„Unsers ist mal wieder das Allerletzte.“ Regan begann am Griff des Gepäckwagens zu zerren.

„Lass das!“, fuhr Charlotte sie an. „Dass du mich immer wahnsinnig machen musst!“ Inzwischen waren außer ihnen nur noch zwei weitere Passagiere des Fluges in der Halle und einer der beiden hievte gerade seinen Koffer vom Band.

„Was ist, wenn unsere nicht kommen? So gar nicht?“

„Quatsch“, stritt Charlotte ab und zwirbelte das Band mit der Flocke zwischen ihren Fingern.

„Was? Das kann passieren. Isa sagt, Freunde von ihr haben mal zwei Wochen auf ihren Koffer warten müssen, als sie in die Türkei gereist sind. Der ganze Urlaub war im Eimer und die Mutter von Isas Freundin war die ganze Zeit über total schlecht gelaunt.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Charlotte schloss ihre Finger um die Schneeflocke und öffnete sie wieder, als sich ein Koffer aus der Öffnung schob.

Rasch wollte sie vorspringen und ihn vom Band zerren. Doch noch in der Bewegung erkannte sie, dass es nicht ihrer war. Der andere Passagier schoss an ihr vorbei und holte sich sein Gepäck. Mit einem letzten, fast mitleidigen Blick auf sie und Regan, drehte er sich um und verließ die Halle.

„Scheiße!“, entfuhr es Charlotte, als das Band stoppte und das Licht erlosch.

„Und nun?“, fragte Regan.

„Nichts und nun!“

Regans Blicke wanderten zwischen ihr und dem stillstehenden Band hin und her.

„Aber unsere Koffer sind gar nicht da“, stellte sie mit einem Jammern fest.

„Oh wirklich!“, meinte Charlotte. „Ist mir noch gar nicht aufgefallen!“ Sie griff nach Regans Hand und schubste den Gepäckwagen aus dem Weg und zerrte ihre Tochter hinter sich her auf den Ausgang zu.

„Aber die Koffer!“

„Um die kümmere ich mich später. Erst mal müssen wir hier raus.“

Charlotte schleifte Regan durch die Türen und blieb wie erstarrt stehen!

Grelles Licht schlug ihr entgegen. Dann Stimmengewirr, laute Rufe. Noch mehr Blitzlicht und dahinter Schatten. Schatten, die, wie eine dunkle Masse zu beiden Seiten der Türen und direkt vor ihr standen und den Weg versperrten. Innerhalb von Sekunden sah sie nur noch tanzende, schwarz-weiße Schemen. Geblendet kniff sie die Augen zusammen und hob einen Arm vor das Gesicht.

„Was zur Hölle...?“, entfuhr es ihr, als das Blitzen nachgelassen hatte und sie wieder sehen konnte. „Heilige Mutter Gottes! Das ist ne ganze Armada!“ Entsetzt starrte sie in die Masse aus Gesichtern und Kameraobjektiven.

„Mrs. Grottinger! Hierher!“

„Charlotte, willkommen in Großbritannien!“, schallte es ihr entgegen und Charlotte, den Arm schützend vor ihr Gesicht gehoben, knurrte nur: „Heißen Dank auch!“

„Lächeln Sie für uns!“, rief ein anderer Fotograf.

„Wie fühlen Sie sich jetzt, wo sie Ihren Traumprinzen sicher haben? Ein Interview? Erste Kommentare?“

Charlotte riss den Arm herunter und funkelte wütend in die Kameraobjektive.

Erste Kommentare, das könnte euch so passen! Und was soll das heißen, den Traumprinzen gesichert?, schäumte sie im Stillen.

„Ein Foto mit Ihrer Tochter?“, schallte es ihr von der anderen Seite entgegen und so sehr Charlotte auch versuchte den Rufer auszumachen, sie konnte ihn in der Masse und all dem Geflimmer nicht finden.

„Die sind überall!“, rief Regan.

„Woher wissen die, dass wir hier sind?“ Charlotte zog ihre Tochter eng an sich, klammerte sich an sie.

„Mum! Du tust mir weh!“ Regan versuchte ihre Hand abzuschütteln, doch Charlotte presste sie nur noch enger an sich.

„Kannst du Tom irgendwo sehen?“

Regan stellte sich auf die Zehenspitzen. „Da! Ganz da hinten!“, rief sie und zeigte auf einen Punkt irgendwo hinter der Masse aus Fotografen.

„Super!“, fluchte Charlotte und griff nach Regans Hand. „Nicht loslassen!“, sagte sie und schob sich auf die Wand der Fotografen zu.

Zu ihrer Linken blitzte es.

„Da hab ich jetzt so Bock drauf. Das hat mir gerade noch gefehlt“, flüsterte sie, kramte in ihrer Handtasche nach ihrer Sonnenbrille und schob sie auf die Nase. Durch die getönten Scheiben beäugte sie die Fotografen misstrauisch. Ob die wohl weggehen würden, wenn ich genau auf sie zuhalten würde?, fragte sie sich.

„Entschuldigung“, fuhr sie zwei der Leute an. „Wir möchten hier durch!“

Die Wand aus Objektiven und Menschen wich nach hinten zurück, aber es entstand auch nicht die kleinste Lücke.

„Idioten!“, flüsterte Charlotte, schloss die Hand um ihren Anhänger und bewegte sich weiter auf die Wand zu, Regans Hand fest umklammert.

„Tom?“, rief sie. „Tom!“

„Ich bin hier.“

Die Fotografen nicht beachtend, bahnte er sich einen Weg durch die Menge, als seien diese Leute kein solides Hindernis, sondern Wasser, das man einfach teilen konnte.

„Tom!“, Regan jubelte hell auf.

Er lächelte, als er auf sie und Charlotte zutrat, breitete seine Arme aus. Noch bevor Charlotte es verhindern konnte, hatte sich ihre Tochter losgerissen und warf sich in seine Arme.

„Regan!“, rief sie ihr empört hinterher.

„Ach Kleine! Es tut so gut, dich zu sehen!“ Thomas vergrub seinen Kopf in Regans kastanienbraunen Locken. „Ich habe dich so vermisst.“ Und Charlotte hörte das Kind kichernd antworten: „Ich dich auch, Blödmann!“ Die beiden strahlten sich an, als wenn sie einen Werbespot für Zahnpasta drehen würden.

„Und ich bin nicht wichtig oder wie?“, empörte sich Charlotte.

Thomas schälte sich aus der Umarmung, tätschelte Regan den Kopf, als sei sie ein Cockerspaniel und trat auf Charlotte zu. „Oh doch. Aber ich dachte, dass es nicht so dein Ding ist, mit wehenden Haaren in meine Arme zu fallen“, meinte er und pflückte ihr die Sonnenbrille von der Nase.

„Da kannst du Gift drauf nehmen“, antwortete Charlotte leise, als sie steif voreinander standen, ganz so, als hätten sie vergessen, wie man sich liebevoll begrüßte.

„Kein Kuss?“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Nicht vor all diesen verdammten Geiern“, sagte sie. „Warum sind die überhaupt hier? Haben du und James etwa bekannt gegeben, dass wir heute ankommen? “

Thomas lächelte nach wie vor, aber Charlotte merkte, dass es das Presselächeln war, welches er in unangenehmen Situationen aufsetzte.

„Ich habe keine Ahnung. Irgendwie scheinen sie davon Wind bekommen zu haben.“

„Na ganz toll!“, stöhnte Charlotte. „Die sind der letzte Rest, der mir heute noch gefehlt hat! Lass uns verschwinden! Ich will nur noch weg!“

„Gern“, meinte Thomas und blickte an ihr vorbei und stutzte. „Wo sind deine Koffer? Habt ihr etwa kein Gepäck?“

„Doch, hatten wir schon.“

„Aber es ist nicht gekommen“, piepste Regan.

„Wie? Nicht gekommen?“

„Es ist nicht mitgekommen, unterwegs verloren gegangen. Es wird gerade hinter den Kulissen durchsucht, um pikante Details an die Presse weiterzureichen! Was weiß denn ich!“, brauste Charlotte auf. „Müssen wir das jetzt und hier besprechen? Wirklich?“

„Nun ja, wir müssen es zumindest als verloren melden“, sagte Thomas.

Charlotte rollte die Augen und gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Können wir das nicht später machen? Oder per Internet?“

„Und was willst du zwischenzeitlich anziehen?“

„Wir können doch shoppen gehen! London ist doch eine Modehauptstadt, oder nicht?“, fuhr Charlotte Thomas an. Sie wurde rot, als sie merkte, wie barsch sie gewesen war.

„Charlotte, bitte!“ Thomas machte eine rasche Kopfbewegung in Richtung der Fotografen.

„Sorry. Trotzdem: Aasgeier!“

„Ich würde vorschlagen, wir beruhigen uns jetzt alle wieder“, sagte Thomas, „gehen das Gepäck als vermisst melden und fahren im Anschluss nach Hause.“

Charlotte widersprach ihm nicht, aber ihre Miene vermittelte nur zu deutlich, was sie von der Idee hielt, als sie ihm dicht auf den Fersen folgte, den Pulk von Fotografen hinter sich herziehend.

2.

Zwei Stunden später standen Thomas, Charlotte und Regan vor dem Flughafen. Das Gepäck als vermisst zu melden wäre eigentlich keine große Sache gewesen, da aber immer wieder Reporter und Fotografen versucht hatten, den Stand der Fluglinie zu stürmen und ein Interview oder Bilder von Charlotte und Thomas zu bekommen, hatte sich der Vorgang schlimmer in die Länge gezogen als ein schlechter Liebesroman. Charlotte presste die Lippen aufeinander, als sie sich daran erinnerte, wie die Flughafensicherheit zwei besonders aufdringliche Paparazzi aus dem Büro hatten entfernen müssen, weil sie ein Foto von dem ausgefüllten Formular hatten machen wollen.

Charlotte schwankte und unterdrückte ein Gähnen. Sie wollte nur noch nach Hause! Wenn sie daran dachte, dass sie bereits jetzt ihr neues Heim entdecken könnte, wenn nur die Presse nicht wäre!

„Charlotte, da ist noch eine Sache.“

Charlotte blickte zu Thomas hoch. „Was denn jetzt noch?“, fragte sie und runzelte die Stirn, als sie beobachtete, wie er mit den Wagenschlüsseln spielte.

„Es gibt noch ein kleines Problem.“

„ Wovon redest du?“

„Hör zu, ich werde gleich zu meinem Auto gehen. Allein.“ Er sah sie eindringlich an. „Und für Regan und dich habe ich vorhin einen Fahrservice bestellen lassen. Der wird euch zum Haus bringen.“

„Bitte was? Du schiebst uns ab?“

„Lotte, ich schiebe gar niemanden ab“ Er gab ein Lachen von sich, dass wie ein Husten klang. „Du stellst das völlig falsch hin. Ich mach das für unsere Sicherheit. Du hast doch erlebt, was eben los war.“ Er wies mit einer Handbewegung in Richtung des Flughafens. „Möchtest du das wirklich vor deiner Tür haben?“

Charlotte senkte den Kopf. „Nein.“

„Siehst du, deswegen getrennte Wagen. Auf die Art werden sie mir folgen.“

„Und wo bitte wirst du hinfahren, wenn die Fotografen dir folgen?“

„Zu meiner Mutter“

„Zu deiner Mutter!“ Charlotte nickte und sah an ihm vorbei. Sie gab ein Schnauben von sich. „Klasse! Wirklich ganz klasse ausgedacht!“ Charlotte versuchte die Tränen zurückzudrängen. Unwirsch wischte sie sich über die Augen. Sie legte den Kopf in den Nacken und blinzelte ein paar Mal. „Weißt du, ich dachte, wenn wir erst hier wären, wäre alles anders. Ich dachte wir, du und ich, wir würden zusammenleben! Tom, wir haben ein gemeinsames Haus! Das du für uns gekauft hast“, sagte sie, „Ich dachte, wir würden uns das gemeinsam ansehen, wenn ich es zum ersten Mal betrete. Wenn wir es schon nicht zusammen aussuchen konnten, dann doch zumindest das!“

Thomas musterte betreten die Spitze seines Schuhs. „Glaub mir, ich wäre gern dabei, wenn du das Haus zum ersten Mal siehst. Aber du verstehst doch, es ist besser, wenn wir getrennt fahren und die Fotografen in die Irre locken. Charlotte“, er griff nach ihrer Hand, „du wirst doch jetzt nicht streiten wollen?“

„Nein“, meinte Charlotte und verzog die Mundwinkel, als sie einen unscheinbaren, dunklen Kombi, wie es ihn vermutlich zu Tausenden auf Londons Straßen gab, auf sie zukommen und halten sah.

Thomas neben ihr atmete erleichtert aus. „Das ist er. Der Fahrer bringt euch direkt zum Haus.“

„Dann gehe ich davon aus, dass ich dich vor heute Abend nicht zu sehen bekomme“, fragte Charlotte und ließ sich von ihm die Wagentür öffnen.

„Vermutlich nicht. Ich verspreche dir, ich komme, sobald ich kann.“ Er beugte sich kurz herunter, um sie zu küssen. Charlotte ließ es unwillig geschehen.

„Und wenn was sein sollte, kannst du mich auf dem Handy erreichen. Jederzeit.“ Er stockte. Dann grinste er. „Weißt du was, ruf mich einfach an, wenn ihr da seid und du das Haus betrittst. Dann ist es fast so, als wenn ich bei dir wäre, oder?“ Er sah sie um Zustimmung heischend an.

„Ja, sicher“, meinte Charlotte matt, griff nach der Autotür und schloss sie mit einem dumpfen Knall.

3.

Die Straße, in die der Wagen eine gute Stunde später einbog, war mit Kopfstein gepflastert und auf beiden Seiten von hohen Häusern, mit brauner Klinkerfassade gesäumt. Charlotte sah aus dem Fenster und wunderte sich, wo hier ein Haus mit Garten hineinpassen sollte.

„Außerdem wird das auch überhaupt nicht auffallen, dass Thomas Donoghue in dem einzigen kleinen, schnuckligen Haus lebt, zwischen all diesen mindestens fünfstöckigen Mietskasernen. Das findet jeder Fan auf Anhieb! Das ganze Theater hätten wir uns sparen können!“, murmelte sie, drehte den Anhänger hin und her und lehnte den Kopf müde gegen die Scheibe.

„Wie bitte?“, fragte der Fahrer.

„Nichts.“

„Keine Sorge, wir sind gleich da“, sagte der Fahrer. „Es scheint uns keiner gefolgt zu sein.“ Als sie sich zu ihm wandte, lächelte er. „Sie haben sich wohl alle auf Tom gestürzt.“

„Ja, scheinbar.“

Er bog um eine Ecke in der Straße und lenkte den Wagen an den Bürgersteig vor einem Haus mit Schrägdach und hielt. „Da wären wir.“

Charlotte warf einen Blick aus dem Fenster.

„Offensichtlich“, murmelte sie und stieg aus dem Wagen.

Der Fahrer folgte ihr und Regan kletterte aus dem Fond.

„Das ist aber nicht sehr groß“, bemerkte Regan. „Und wo ist der Garten? Ich seh keinen Garten.“

„Könnte das daran liegen, dass der hinter dem Haus ist?“, erwiderte Charlotte und erntete einen finsteren Blick von ihrer Tochter.

„Hier sind die Schlüssel.“, beflissen händigte der Fahrer Charlotte einen silbernen Ring aus, an welchem drei Schlüssel hingen. „Der Große ist für die Garage. Der ganz Kleine für den Briefkasten und der Letzte für die Haustür“, er hielt inne, „Vorausgesetzt Sie brauchen nichts mehr, würde ich jetzt fahren“, meinte er.

„Kein Problem. Wir haben alles was wir brauchen. Gehen Sie nur. Wir wollen Sie nicht aufhalten. Danke fürs Herbringen.“

„Oh, nichts zu danken.“ Der Fahrer lief bereits in Richtung Wagen, als er das sagte.

„Sicher“, meinte Charlotte und ging auf das Haus zu. Irgendwie musste sie Regan recht geben. Es war wirklich nicht sehr groß. Hatte Thomas nicht was von einem Obergeschoss erzählt? Sie blickte an der Hausfassade nach oben. Doch dort fand sie nur das von Dachfenstern durchbrochene Dach.

„Seit wann nennt man einen ausgebauten Dachstuhl ein Obergeschoss?“, sagte sie in verächtlichem Ton, bevor sie beschloss durchzuatmen und abzuwarten. Thomas war dermaßen begeistert von dem Haus gewesen, vielleicht sollte sie ihm und dem Ganzen eine Chance geben? Vielleicht war es innen wirklich größer, als es von außen wirkte? Wie genau das funktionieren sollte, war ihr ein Rätsel, aber vielleicht hatte der Architekt irgendwas mit der Tiefe gemacht?

Resolut steckte sie den Schlüssel ins Türschloss. Hinter der massiven weißen Haustür erwartete sie ein enger Flur, an dessen Ende Licht durch die einzig offene Tür fiel. Neugierig darauf, was sie dahinter erwartete stellte Charlotte ihre Handtasche auf der nahestehenden Kommode ab.

„Ich geh nach oben!“ Regan schoss an ihr vorbei, die Treppe hoch, die in den ausgebauten Dachstuhl, oder aber das Obergeschoss, wie Thomas es so schwärmerisch nannte, führte.

„Ja, aber mach keine Dummheiten“, warnte Charlotte sie.

Langsam ging sie auf das Lichtrechteck am Ende des Flurs zu, um sich in der Küche wiederzufinden. Das Erste, was ihr ins Auge sprang, waren die Küchenmöbel. Ober- und Unterschränke erstrahlen in Weiß. Unschuldigem, sauberem, kühlem Weiß. Charlotte schloss die Augen und ließ den Kopf hängen.

„Auf denen sieht man innerhalb kürzester Zeit jeden Fleck“, murmelte sie und fuhr sich durch die Haare. Hatte sie ihm nicht erklärt, dass man mit einem Kind im Schlepptau andere Prioritäten hatte, als schöne Küchenmöbel? Als sie die Augen wieder öffnete, bemerkte sie die Arbeitsflächen und den Kühlschrank.

„Mattierte Edelstahloberflächen! Das ist nicht dein Ernst!“ Fassungslos schüttelte sie den Kopf, drehte sich auf der Stelle um und lief zu ihrer Handtasche zurück und zückte ihr Handy.

„Hey Schatz!“, seine Stimme überschlug sich vor Freude.

Charlotte stemmte die freie Hand in die Hüfte. „Hey“, gab sie zurück.

„Seid ihr schon angekommen?“

„Oh ja, das kann man wohl sagen!“

„Was ist denn los?“ Er klang aufrichtig verblüfft.

Charlotte stapfte durch den Flur in Richtung Küche zurück und stellte sich vor den weißen Küchenschränken auf. „Was los ist?“, fragte sie. „Weiße Küchenschränke, das ist, was los ist!“

Am anderen Ende herrschte Schweigen.

„Hatten wir nicht gesagt, wir wollten keine weißen Küchenmöbel? Hmm?“, fuhr Charlotte Thomas an. „Ich meine mich erinnern zu können, dass wir uns auf so etwas geeinigt hatten. Und wenn ich mich recht erinnere, meine ich auch gesagt zu haben warum. Was auch für matte Edelstahloberflächen gilt! Die wollten wir auch nicht haben!“

„Charlotte, ich ... “

„Mattes Edelstahl! Weiße Küchenmöbel! Thomas bist du verrückt! Da sieht man jeden Handabdruck drauf und jeden Fleck!“, schimpfte Charlotte, „Wer bitte soll das putzen? Du etwa?“

Sie hörte erst ein Räuspern und dann sagte er: "Die Möbel waren schon in dem Haus drin.“

„Und du hast es genommen? Obwohl du wusstest, dass ... “

„Es sind doch nur die Küchenmöbel, herrje! Außerdem ist das Haus doch sonst sehr niedlich und die Zeit hat gedrängt. Charlotte, was hätte ich denn tun sollen? Hätte ich das Haus nicht nehmen sollen, nur der Küchenausstattung wegen?“

„Niedlich, ja das trifft es“, schnappte Charlotte und begann den Anhänger zwischen Daumen und Zeigefinger zu reiben. „Ach, und wo wir schon mal dabei sind, hattest du nicht was von einem Obergeschoss gesagt?“ Charlotte blitzte sich selbst in der matten Reflexion des Kühlschranks an.

„Das Obergeschoss kann von der Treppe aus im Flur betreten werden. Es bringt euch direkt zu den drei Schlafzimmern. Wenn du in der Küche bist ...“

„Mum! Hier gibt´s `nen Balkon! Mitten im Haus!“

Charlotte erstarrte für eine Sekunde, als sie Regans Stimme von irgendwo über sich kommen hörte. Schnell trat sie ein paar Schritte zurück, legte den Kopf in den Nacken und entdeckte sie, fröhlich winkend, wie sie, den Kopf voran, die Füße auf den unteren Streben, über ein Galeriegeländer beugte.

„Regan, nein!“ Charlotte ließ das Handy fallen. Sie riss die Arme hoch und machte eine Bewegung, als wollte sie das Kind wieder über das Geländer zurückschieben. "Runter da! Sofort!“

Langsam kletterte Regan von der unteren Strebe. „Ist doch gar nichts passiert.“

Charlotte, Regan nicht aus den Augen lassend, atmete ein paar Mal durch. „Geh weiter zurück. Bis an die Wand“, befahl sie ihrer Tochter. „So ist es gut.“ Sie hob sie einen Finger. „Ich möchte dich nie, nie wieder auf dieses Geländer klettern sehen!“, warnte sie Regan. „Weißt du was da alles hätte passieren können? Du hättest kopfüber herunterstürzen können!“

Regan zog ein beleidigtes Gesicht. „Es ist doch gar nichts passiert. Ich habe mich doch festgehalten.“

„Ja, dieses Mal. Aber das nächste Mal kann es schon ganz anders aussehen. Mit so etwas spaßt man nicht!“

Regan verdrehte die Augen.

„Das ist nicht witzig!“ Charlotte beugte sich nach dem Handy auf dem Fußboden und hob es langsam ans Ohr.

„Ich möchte, dass du jetzt sofort da runterkommst. Hierher zu mir. Und dann sehen wir weiter“, sagte sie zu ihrer Tochter. „Keine Widerrede!“

Charlotte beobachtete, wie Regan verschwand und hörte sie kurz darauf auf der Treppe, die in den Flur führte.

„Wir haben eine Galerie?“, zischte sie in das Handy.

„Oh, ihr habt sie schon entdeckt.“ Er schien nicht mal den Versuch sich zu verteidigen machen zu wollen.

„Ob ich sie schon entdeckt habe? Regan hat sie entdeckt. Und ich frage dich noch mal: Wir haben eine Galerie? Ist das dein Ernst?“

„Sie macht sich doch gut.“

„Ja, besonders als Indoor Klettergerüst für Kinder!“, fauchte Charlotte. „Bist du wahnsinnig? Weißt du, was da alles passieren kann? Hast du dir mal überlegt, wie das hier aussieht, wenn allein nur Regan durch das Haus tobt? Wie soll das erst werden, wenn sie mal Freunde mitbringt?“, fuhr sie ihn an. „Sehr schön. Setz dich da hin. Ich überlege mir gleich was für dich“, sagte sie zu Regan und drückte sie auf das Sofa.

„Kann ich nicht in den Garten?“, fragte Regan.

Charlotte warf einen schnellen Blick aus der Terrassentür. „Garten?“, entfuhr es ihr. „Wohl eher ein Gefängnishof! Aber ja, das sieht sicher aus. Zumindest wirst du da wohl kaum türmen können“, meinte sie und öffnete die Terrassentür. „Und mach keinen Blödsinn. Ich bin nur kurz oben und sehe mir die Zimmer da an.“

„Schon klar.“

„Thomas, das hier ist eine Katastrophe bis jetzt“, zischte sie ins Telefon. „Allein hier im Untergeschoss stimmt gar nichts.“

Sie stieg die Treppe in den zweiten Stock hoch. „Ich meine, so viel Platz gibt es nicht mehr in diesem Kasten. Ich denke also nicht, dass mich hier oben noch irgendwelche Überraschungen erwarten werden.“

„Charlotte, halte mal die Luft an“, meinte Thomas. „Ich weiß gar nicht, was du willst! Das Haus ist ein Traum! Wir haben an die Hundertzwanzig Quadratmeter und das noch in der besten Lage Londons! Abgesehen von dem Garten! Ich verstehe gar nicht, warum und worüber du dich so aufregst!“

„Worüber ich mich aufrege?“ Charlotte warf einen skeptischen Blick in das erste Zimmer, das von der Galerie abging. Es war vollständig zugestellt mit drei Bücherregalen und einem schmalen Bett. „Ein Gästezimmer? Oder soll das Regans Zimmer sein?“

„Du bist also oben“, stellte er fest. Charlotte fand, es kam genervt rüber.

„Ja, stell dir vor, ich bin oben. Und ich darf gerade das famose „Kinder – Schrägstrich - Gästezimmer“ bewundern. Aha, das ist dann wohl unser Schlafzimmer. Zumindest vermute ich es, da hier ein Doppelbett steht. Zugegeben, viel mehr passt auch nicht rein“, schimpfte Charlotte.

Sie hörte ihn scharf einatmen. „Jetzt mach aber mal `nen Punkt!“

„Was? Ist doch so! Hast du dir das Zimmer mal angesehen?“, ereiferte sich Charlotte. „Hier steht das Bett drin und am anderen Ende gibt es noch diesen Schrank. Aber für mehr ist kein Platz! Kannst du mir sagen, wo ich mein Zeug unterbringen soll?“

„So klein ist der Raum nun auch wieder nicht. Der Schrank ist groß genug für uns beide. Aber wenn du meinst, dass deine aus Deutschland mitgebrachten Galaroben da nicht reinpassen, bin ich sicher, dass wir auch noch eine Kommode oder so was im Schlafzimmer unterbringen können.“

„Galaroben hängt man in einem Schrank auf! Und noch so einer passt hier nicht mehr rein!“, sagte sie. „Aber weißt du was, wir können einfach einen großen Schrank kaufen und stellen den auf die Galerie. So schirmt er das Geländer ab und wir haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wir haben Platz für unsere Sachen und gleichzeitig die Gefahrenquelle Galeriebrüstung aus dem Weg geräumt!“

Er murmelte etwas Unverständliches.

Sie öffnete eine Tür und spähte in einen Raum, der seitlich vom Schlafzimmer abging. "Ein Bad. Ein kleines Bad. Mit einer sehr kleinen Badewanne! Was soll das sein? Etwa das Masterbad?“

"Wenn du ein größeres Bad willst, nimm das unten im Haus“, seufzte er.

„Wer hat das Ding hier gebaut?“, wunderte sich Charlotte. „Der muss sehr verwirrt gewesen sein! Was soll ich mit einem Bad, in dem ich mich kaum bewegen kann? Noch dazu, wenn es an den Masterbedroom angrenzt. Sollte es da nicht riesig sein?“

„Offenbar nicht immer.“

„Da muss ich dir recht geben.“ Sie schloss die Tür. „Weißt du was ich dir vorschlage?“, fragte sie.

„Nein.“

„Wir reißen das Bad raus und machen einen begehbaren Kleiderschrank draus. So ein lächerliches kleines Bad ist die pure Raumverschwendung!“

Er seufzte nur.

„Ich weiß nicht, was dich getrieben hat, dieses Ding hier zu kaufen! Bitte sag mir, dass du besoffen warst oder unter Drogen, als du den Vertrag unterschrieben hast!“

„Charlotte“, seine Stimme war jetzt leise, aber drohend, „Ich weiß, dass du einen harten Tag hattest und das es dich aufgeregt hat, was am Flughafen passiert ist. Das will ich alles mal zu deinen Gunsten sprechen lassen. Und ja, ich rechne auch mit ein, dass das Haus nicht ganz deinen Vorstellungen entspricht. Aber so ist das nun im Leben, das Hundertprozent - Sorglos Paket gibt es nie! Du wirst immer Abstriche machen müssen!“

„Thomas“, versuchte Charlotte ihn zu unterbrechen.

„Nein! Jetzt rede ich! Ich habe mir deine Tiraden lang genug angehört und ich glaube nicht, dass ich mir noch mehr anhören muss. Das Haus ist groß genug für uns alle. Es ist in einem guten Stadtteil. Es ist umgeben von guten Schulen und die Lage ist in Ordnung. Es hat einen Garten.“

„Ein Gefängnishof!“

„Egal, wie klein er ist, es ist ein Garten! Und mit etwas Elan und Fantasie kann man auch aus kleinen Gärten eine Oase machen!“

„Und wer soll diesen Elan aufbringen? Doch nicht etwa ich, oder? Du weißt wohl, dass bei mir jede Grünpflanze eingeht“, spottete Charlotte.

„Dann hast du ja jetzt ein Feld zum Üben“, meinte er nur bissig. „Charlotte, ich habe uns ein Haus besorgt, nach den Auflagen, die du mir gegeben hast und in der Zeit, die du mir gegeben hast. Es tut mir leid, sollte es nicht ganz deinen Vorstellungen entsprechen, aber irgendetwas musste ich nehmen. Und da du es vorgezogen hast, alle anderen Häuser und Wohnungen abzulehnen, blieb nichts Anderes übrig. Oder wäre es dir lieber gewesen, wir wären in das alte Haus gezogen?“

Charlotte schwieg.

„Dachte ich es mir doch. Ich schlage vor, wir vergessen das Ganze und einigen uns darauf, dass wir heute alle einen stressigen Tag hatten. Wir einigen uns darauf, dass nicht alles so gelaufen ist, wie wir das wollten, dass wir aber froh sind, endlich zusammen zu sein.“

„Außer dem Fakt, dass du nicht hier bist“, gab Charlotte zurück.

„Ja, nun, heute Abend wird sich das sicherlich ändern. Ich habe meine Schwester um ihr Auto gebeten, damit mich die Fotografen nicht erkennen, wenn ich zu euch fahre. Ich denke, ich werde noch ein paar Stunden hier bleiben, bis der Großteil der Meute da draußen aufgegeben hat. Ich soll dich auch schön grüßen. Von meiner Mutter und meiner Schwester. Sie können es kaum erwarten dich und Regan endlich kennenzulernen.“

„Ja toll“, motzte Charlotte.

„Kein Problem, natürlich werde ich sie von dir herzlich zurückgrüßen“, bot Thomas an. „Wir sehen uns heute Abend.“

„Tu das. Bis heute Abend.“ Mit saurer Miene legte Charlotte auf.

4.

„Mist! Mist! Auch Mist!“ Charlotte drückte den Ausknopf an der Fernbedienung und warf sie auf das Sofa. „Nur Mist!“, wiederholte sie.

Was nutzte es einen Fernseher zu haben, der so groß war wie eine Kinoleinwand, wenn doch nur Blödsinn geboten wurde. Als ob die Dummheiten der Talkshows weniger hohl würden, wenn man sie in extra breitem Format gezeigt bekam.

Sie schürzte die Lippen.

Wem machte sie sich eigentlich was vor? Sie wusste doch ganz genau, dass es nicht am Fernseher oder an dem was geboten wurde, lag, dass sie sich so schlecht fühlte.

Jetzt lief sie im Wohnzimmer auf und ab, auf die Stille im Haus lauschend, die nur von dem einen oder anderen vorbeifahrenden Wagen durchbrochen wurde.

Charlotte presste die Hände auf die Ohren. Dies Stille im Haus war nicht zu ertragen!

Wenn nur jemand hier wäre, dachte sie. Jemand zum Reden, jemand, der Lärm macht, dachte sie und überlegte, ob sie nicht doch den Fernseher wieder anstellen sollte. Keine Lust, dachte sie. Darauf hab ich jetzt keine Lust!

Mit ein paar schnellen Schritten war sie bei der Terrassentür, riss sie auf und trat hinaus in den Garten. Sie lehnte sich gegen die Hauswand und atmete die kühle Luft ein paar Mal tief ein. Langsam wurde sie ruhiger. Die drückende Stille, die vorhin auf ihr gelastet hatte, war gewichen und Charlotte fühlte, wie die Anspannung der letzten Stunden ihren Körper verließ. Langsam griff sie nach ihrem Anhänger und zwirbelte das Band zwischen Daumen und Zeigefinger.

In der Nacht sieht der Garten gar nicht mehr so hässlich aus, überlegte sie und zeichnete die Konturen der Schneeflocke nach. Neugierig besah sie sich die erleuchteten Fenster der gegenüberliegenden Häuser und Sehnsucht beschlich sie, als sie sich vorstellte, dass hinter all diesen erleuchteten Vierecken andere Menschen ihrem täglichen Leben nachgingen. Ihrem täglichen Glück oder ihren alltäglichen Sorgen. Neidisch bemerkte sie in einem Fenster zwei verschwommene Schatten, die zu einem verschmolzen und sich wieder voneinander lösten.

„Ach, ja, was muss Liebe doch schön sein“, seufzte sie, bis ihr aufging, dass auch sie das hätte haben können. Mit einem Mal verspürte sie keine Lust mehr auf fremdes Glück und Liebe, die ihr nicht gehörte. Abrupt ließ sie die Hand, die sie um die Schneeflocke geschlossen hatte, sinken und drehte den gegenüberliegenden Häusern den Rücken zu.

„Das Haus.“ Sie seufzte, als sie der Terrassentür gegenüberstand.

Das Haus war der absolute Höhepunkt gewesen.

Es war ein hübsches Häuschen. Für einen alleinstehenden Mann oder ein kinderloses Paar gut geeignet. Aber für eine Familie nicht ganz das Passende. Sicher, sie musste ihm recht geben, dass er vermutlich das Beste getan hatte, was er in der kurzen Zeit hatte erreichen können. Sie hatte schließlich auf einem neuen Haus bestanden. Theoretisch hätten sie auch in sein altes Haus ziehen können. Das hätte den Anforderungen besser entsprochen. Wesentlich größer, am Stadtrand gelegen und einen größeren Garten hätte es auch gehabt.

„Nicht so einen Gefängnishof!“, murmelte sie.

Aber es wäre nie ihr Haus gewesen. Es war das Haus, dass Thomas mit seiner Ex Norah gekauft hatte. Es wäre das Haus gewesen, für das er mit Norah Möbel ausgesucht hatte. Es wäre das Haus, dass Norah, das Model, dekoriert und eingerichtet hatte. Es wäre Norahs Haus gewesen.

Nicht einen Fuß hätte sie dort über die Türschwelle gesetzt, geschweige denn darin gewohnt! Wenn er mit ihr eine Beziehung wollte, dann auf neutralem Boden und nicht auf einem an dem es ihr aus jeder Ecke „Norah!“ entgegen schrie.

Fröstelnd legte sie die Arme um ihren Körper. Es war doch kälter als sie gedacht hatte. Langsam ging sie in das immer noch stille Haus und warf einen Blick auf die Uhr.

Schon nach Neun, dachte sie. Er hätte schon längst hier sein können.

Sie presste die Hand auf den Bauch, als sie dort einen Schmerz spürte, als wenn eine Eisenstange von innen heraus durch die Bauchdecke brechen wollte.

Vermutlich wird er von seiner Mutter aufgehalten und mal ehrlich, überlegte sie, so wie du ihn vorhin behandelt hast, würdest du da freiwillig nach Hause kommen?

Sicher nicht, gab sie sich selbst die Antwort und presste die Lippen aufeinander. Energisch schloss sie die Tür und zog den Vorhang vor.

Wieder durchbrach das Brummen eines Autos auf dem Kopfsteinpflaster das Schweigen im Haus und sie spitzte die Ohren, als es langsamer wurde, anhielt und eine Tür klappte.

„Honey, ich bin zu Hause!“

Rasch lief sie zur Küchentür. Ihr Herz klopfte schneller, als sie sah, wie er die Tür hinter sich zuschob, den Schlüssel auf die Kommode warf. Seine blauen Augen funkelten in dem Lichtschein, welcher hinter ihr durch die Tür fiel und sie merkte, dass er sich kleiner machte, als er es war, indem er den Kopf einzog, als er auf sie zukam.

Wie immer, wenn er unsicher ist oder sich schuldig fühlt, dachte Charlotte und es gab ihr einen Stich.

„Tom“, flüsterte sie und lief auf ihn zu.

„Oh, war ich zu laut? Tut mir leid. Regan schläft wohl schon, wie?“, meinte er und blieb mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck stehen.

„Du bist da!“, flüsterte Charlotte, warf sich in seine Arme.

„Hey!“, wisperte er und hielt sie fest. „Nicht so stürmisch!“ Er löste eine seiner Hände von ihrer Taille und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Charlotte blinzelte. „Ich dachte, du kommst heute gar nicht mehr zurück“, brachte sie heraus, schluckte, weil ihr Magen einen Überschlag machte, als sie in seine Augen sah. „Du hast mir so gefehlt“, flüsterte sie.

Thomas gab ein leises Lachen von sich, das durch seinen ganzen Körper lief. „Wenn ich ab jetzt immer so empfangen werde, komme ich jederzeit gern nach Hause“, sagte er und beugte sich zu ihr herunter, um ihr einen innigen Kuss zu geben. Als sie sich atemlos trennten, begann Charlotte: „Ich ... ich wollte mich für vorhin entschuldigen.“ Sie schluckte. „Das sollte alles ganz anders laufen“, gestand sie ihm. „Ich wollte dich nicht so runtermachen. Es ist nur alles so blöd gelaufen. Erst am Flughafen und dann das Haus.“

Er sagte nichts, sondern zog sie nur mit sich, lehnte sich bequem gegen die Flurwand. „Hmmm“, machte er nach einer Weile und Charlotte spürte den Laut in seinem Körper vibrieren.

„Du weißt doch, wie ich bin“, verteidigte sie sich. „Manchmal bin ich einfach ... “

„Unausstehlich?“

„Temperamentvoll!“, gab Charlotte zurück, und als sie zu ihm aufblickte, sah sie seine Augen in dem Gespinst aus Lachfältchen spöttisch funkeln. Sie rümpfte die Nase. „Ich versuche mich hier zu entschuldigen und was machst du?“

„Ich helfe dir dabei.“

„Na danke! Was ich meine ist, es tut mir leid, und wenn ich könnte, würde ich die Zeit am liebsten zurückdrehen. So habe ich mir die ersten Stunden unseres gemeinsamen Lebens nämlich nicht vorgestellt.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Nicht? Wie sonst?“

Charlotte sah ihn schief an.

„Das interessiert mich jetzt, wirklich.“

„Ach komm, du weißt wie.“, meinte Charlotte und das Blut schoss ihr in die Wangen.

Er schüttelte nur den Kopf.

„Tom!“

„Nein, keine Ahnung“, sagte er. Als Charlotte sich aus seinen Armen winden wollte, setzte er hinzu: „Aber du kannst es mir gern zeigen, wenn du willst!“ Er grinste.

„Ich glaube, ich habe nicht den leisesten Schimmer, wovon du redest“, sagte sie und versteifte sich in seinen Armen.

Er lachte laut heraus, erstickte den Lacher aber kurz darauf, indem er sich eine Hand vor den Mund hielt. „Als ob du die Unschuld vom Lande wärst!“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Komm schon, erzähl mir nicht wir denken nicht das Gleiche.“ Sein Atem streifte ihren Hals, als er sich herabbeugte und mit seiner Nase ihre Schulterbeuge streifte „Als ob du nicht genau wüsstest“, der Rest seiner Worte verlor sich in ihren Haaren.

Charlotte unterdrückte ein Zittern, als er ihren Pullover über ihre Schulter schob und ihr einen Kuss auf ihren Nacken gab.

„Was ich will.“ Er tauchte aus ihren Haaren auf und musterte sie.

„Hausführung?“

„Eine Hausführung?“, echote er.

In seiner Miene konnte Charlotte die Verwirrung ablesen, die sich in ihm ausbreitete. „Ja. Eine Hausführung“, sagte sie und musste schmunzeln. „Und ich würde sagen, wir fangen im Schlafzimmer an. Glaubst du, du kannst mir folgen?“, sie löste sich von ihm, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich.

„Dir?“, gab er zurück. „Immer und überallhin.“

5.

Wohlig erschöpft kuschelte sich Charlotte an ihn.

„Das war“, er beendete den Satz nicht und sie lachte, als er erst den Kopf schüttelte und sie enger an sich zog. Träge beobachtete sie, wie er ihre Hand nahm, sie an seine Lippen führte, jede Fingerkuppe küsste und seine Hand mit ihrer verschlang.

„Der Wahnsinn?“, murmelte sie und schob den anderen Arm unter ihren Kopf.

„Oh ja“, seufzte er, „der Wahnsinn.“

Sein Herzschlag beruhigte sich und sein Atem wurde regelmäßiger.

„Wie machst du das?“ Seine Stimme klang schläfrig, war kaum mehr ein Flüstern.

Sie zuckte nur mit der Schulter. „Keine Ahnung“, wisperte sie, „es überkommt mich einfach und dann ...“ Sie überlegte. „Dann ist alles andere weg.“

Charlotte spitzte die Ohren und wartete darauf, was er antworten würde, doch er gähnte nur und blickte nach oben, aus dem Dachfenster über ihnen, in den grauen Nachthimmel, an dem zwei verlorene Sterne blinkten.

„O. k.“, sagte Thomas schließlich und es klang zerknirscht, „ich gebe zu, das mit dem Sternenhimmel hatte ich mir üppiger vorgestellt.“

Ein Flieger auf dem Weg vom oder zum Flughafen kreuzte durch das Fenster, gefolgt von einem Hubschrauber, der sich durch das Positionslicht und das Rotorengeräusch verriet.

„Dafür ist die Flugshow doch ganz beeindruckend.“

Sie hörte ihn leise lachen und genoss den Kuss, den er in ihre Haare hauchte. „Hmmmm“, sagte er. „Weißt du, was ich am meisten an dir liebe?“

„Nein.“

„Deinen Geruch! Du riechst so frisch, kühl ... Wie frisches Wasser. Ich kann dich gut riechen.“

Charlotte schüttelte den Kopf. „Du bist albern.“

„Genau dafür liebst du mich doch.“

„Unter anderem“, gab Charlotte zurück, küsste seinen Oberkörper und blies sanft gegen die Gänsehaut, die sich unter ihrem Kuss gebildet hatte. „Wir sollten schlafen“, schlug sie vor.

„Noch mal? Hat dir das eben noch nicht gereicht? Du bist unersättlich.“

„Nicht unersättlich, nur auf den Geschmack gekommen. Und im Gegensatz zu dir braucht meine Hardware nicht so lange zum Hochfahren. Aber wenn du noch Zeit benötigst, können wir das gern auf Morgen verschieben“, Charlotte blinzelte ihn unschuldig an.

6.

„Guten Morgen“, säuselte Charlotte.

Thomas reckte sich und gähnte. „Guten Morgen.“

„Und?“, fragte Charlotte und stemmte sich auf die Ellenbogen hoch, um besser in sein Gesicht sehen zu können. „Wie hast du geschlafen?“

„Sehr gut!“ Er zog sie an sich heran und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund. „Und du?“

„Wie ein Baby!“

Thomas sah sich suchend um. „Wie spät ist es?“

„Keine Ahnung. Vermutlich nicht mal sieben. Regan ist noch nicht wach, also kann es noch nicht so spät sein.“

Thomas machte ein verdrießliches Gesicht. „Noch nicht mal sieben? Und warum weckst du mich?“

Anstelle einer Antwort ließ Charlotte eine ihrer Hände unter das Leinentuch gleiten, welches ihnen als Decke diente. „Vielleicht, weil du mir gestern noch was versprochen hattest?“, neckte sie und beobachtete, wie er nach Luft schnappte.

„Ich hab was versprochen? Ich kann mich an nichts erinnern.“

„Nicht?“, fragte Charlotte. „Macht nichts. Ich glaube, mit ein oder zwei Handgriffen kann ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.“

„Uhh“, Thomas ließ ihre Hände, die sich unter dem Laken hin und herbewegten nicht aus den Augen. „Daran habe ich keinen Zweifel.“

„Selbst wenn du einen hättest“, Charlotte lächelte, „wüsste ich, wie ich ihn zu hundert Prozent zerstreuen könnte.“ Sie packte etwas fester zu.

„Und du hältst das für eine gute Idee?“ Er klang ein wenig außer Atem.

„Warum nicht?“

„Was ist mit“, er schluckte, „mit dem Kind? Was ist wenn ...“

„Regan wach wird? Die schläft noch. Und wenn ich du wäre, würde ich die Zeit nutzen, wenn du verstehst, was ich meine“, murmelte Charlotte, nahm die Hände unter dem Laken hervor und setzte sich auf ihn. „Und? Wie entscheidest du dich?“

„Musst du das wirklich fragen?“

Charlotte richtete sich auf, schob die Haare über ihre Schulter und lächelte ihn an. „Na dann, mach mal!“, forderte sie ihn auf.

„Immer gern“, hörte sie ihn murmeln und biss sich auf die Unterlippe, als sie seine Hände auf ihrer Taille spürte.

„Du hast keine Ahnung, wie lange ich auf das hier gewartet habe“, seine Stimme klang noch genauso sehnsüchtig wie am vorigen Abend.

„Dabei musstest du nicht mal sieben Stunden warten“, flüsterte sie und seufzte wohlig.

„Sieben Stunden, sieben Jahre, wo ist da der Unterschied?“

„Ich habe keine Ahnung“, wollte Charlotte antworten, doch sein Kuss schnitt ihren Satz ab. Langsam strich ihre Zunge über seine Unterlippe, als irgendwas auf dem Flur vor der Schlafzimmertür polterte. Irritiert hielt Charlotte inne. „Was war das?“

„Ist doch egal, mach weiter!“ Thomas zog sie wieder zu sich hinunter und Charlotte stöhnte auf, als er sein Becken hob.

„Du hast keine Ahnung, wie sexy du bist“, sagte er und seine Hände glitten an ihrem Rücken hinauf, um nach ihren Haaren zu greifen. „Wie kann jemand ...“

Noch, bevor Thomas den Satz beenden konnte, flog die Zimmertür mit einem lauten Knall gegen die Wand.

„Morgen Mum!“ Regans schwungvoller Gruß verstummte. Schockiert starrte sie auf das Bett.

„Regan!“ Mit einem Aufschrei warf Charlotte sich auf ihre Seite des Bettes, riss das Betttuch an sich.

„Charlotte!“ Es gab ein reißendes Geräusch, als Thomas am anderen Ende zog. Charlotte wandte den Kopf und sah, wie Thomas versuchte, sich, mit dem Stofffetzen, den er in der Hand hielt, zu bedecken.

„Raus!“, brüllte er und gestikulierte wild in Richtung Regan und der Tür.

Regan sah sie mit großen Kinderaugen an.

„Raus! Raus!“

Regans Gesicht verzog sich, bevor sie sich herumwarf und aus dem Schlafzimmer stürmte. Es knallte, als die Tür zufiel und draußen auf dem Flur war ein sich schnell entfernendes Kindergeheul zu hören.

„Regan!“ Wütend fuhr Charlotte zu Thomas herum. „War das jetzt wirklich nötig gewesen?“

Er ließ die Hand langsam sinken, die immer noch in der Luft gehangen hatte. „Sie ist hier einfach reingeplatzt!“

„Und?“

„Und?“ Seine Blicke huschten über ihr Gesicht. „Und?“, wiederholte er. „Wir waren gerade mitten drin gewesen ... “ er brach ab.

„Sex zu haben?“, fauchte Charlotte und ignorierte, dass er rot wurde. „Na und! Das ist doch kein Grund sie so anzufahren!“, sagte sie zornig und beugte sich über ihre Seite des Bettes, sie griff sich ihr Unterhöschen, ihren BH und das Shirt, das halb unter dem Bett lag.

„Entschuldige bitte, wenn ich das etwas anders sehe, aber ich glaube, dass Regan alt genug ist, zu begreifen, dass sie nicht einfach so in unser Schlafzimmer platzen kann, wenn es ihr passt!“

Charlotte hantierte mit dem Verschluss ihres BHs und gab nur ein Knurren von sich.

„Ich weiß nicht, warum du ein Fass aufmachst. Das hat was mit Privatsphäre zu tun und Kinder sollten das respektieren! Mag sein, dass es noch anders war, als du mit ihr allein gelebt hast, aber jetzt sind wir zusammen. Das ist mein Schlafzimmer und was wir darin machen, das geht niemanden etwas an und ich möchte dabei nicht von ihr gestört werden.“

„Ach, und wie hast du dir vorgestellt, wie das ablaufen soll, wenn ich im Schlafzimmer bin und Regan etwas braucht? Verdammter Verschluss!“ Charlotte schleuderte den BH über das Bett in Richtung Badezimmer.

Thomas guckte ihm hinterher. „Wenn die Tür zu ist, soll sie eben klopfen und auf eine Antwort warten“, schlug er vor.

Charlotte schnaubte nur und zog sich das Shirt über. „Ganz schön prüde, findest du nicht!“

„Nein“, Thomas schüttelte den Kopf. „Nein, ich finde, das ist eine gesunde Einstellung, dass Kinder nicht jederzeit ins Schlafzimmer platzen dürfen. Manche Dinge gehen sie einfach nichts an.“

Charlotte setzte die Füße auf den Boden und stand auf. „Diese gesunde Einstellung ist aber noch lange kein Grund meine Tochter so zur Sau zu machen!“, rief sie über die Schulter und warf die Schlafzimmertür hinter sich zu.

7.

Charlotte wendete bereits den fünften Pancake, als Thomas die Treppe herunter kam.

„Entschuldige. Alles wieder in Ordnung?“, fragte er und gab ihr einen Kuss auf den Nacken.

Charlotte antwortete nicht. Sie schob den fertigen Pancake aus der Pfanne auf den neben dem Herd stehenden Teller.

„Darling?“

Charlotte kippte eine neue Ladung Teig in die Pfanne.

„Lotte? Alles in Ordnung?“

„Ja, alles in Ordnung.“

„Schön“ Sie hörte das Lächeln in seinem Kommentar. „Wenn jetzt wieder alles in im Lot ist ...“

Das Klingeln des Festnetz unterbrach ihn.

„Ich geh.“

Charlotte hob kaum den Kopf, als Thomas in den Flur ging und den Anruf annahm.

„Das ist James.“

Charlotte zog die Augenbrauen hoch und rührte im Teig.

„James, was gibt es?“

Für einige Minuten herrschte Stille, dann ließ ein Jubelschrei Charlotte zusammenzucken.

„Nein! Wirklich? Wow!“ Thomas war mit einem Mal so laut, dass Charlotte glaubte die Nachbarn noch zwei Häuser weiter müssten ihn hören können. Neugierig guckte sie um die Ecke.

„Wow!“ Thomas machte einen Luftsprung. „Das ist der Hammer! Danke! Danke!“, rief er in das Telefon und lachte lauthals.

„Tom?“

Thomas legte eine Hand über das Telefon. „Gleich“, flüsterte er und wandte sich wieder James zu. „James, einen Moment, ich stell dich mal auf laut.“

„Ja mach nur“, tönte plötzlich James Stimme, Thomas Manager und Agent durch den Flur.

„Schatz, das wirst du nicht glauben!“ Thomas tänzelte mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf Charlotte zu. „James hat das Ding für uns!“ Seine Augen leuchteten.

„Das Ding?“

„Sag es ihr James!“

„Tja, also, ich habe Tickets für euch.“

„Tickets? Für was? Für´s Kino?“, fragte Charlotte. Als Thomas neben ihr zu kichern begann, beschlich sie der Verdacht, dass sie irgendwie meilenweit neben der Wahrheit lag. „Das ist nett von dir. Aber ich glaube nicht, dass ich heute ins Kino will“, Charlottes Blicke huschten über Thomas Gesicht, in dem sich Belustigung spiegelte. „Ich glaube, wir möchten heute einen ruhigen Abend verbringen.“

„Und das sollt ihr auch. Es geht nicht um ein Engagement für heute, sondern für morgen Abend.“

„Engagement?“ Charlotte stutzte. „Moment, wenn du Engagement sagst, meinst du dann...“

„Dass James Karten für das McQueen Rennen ergattern konnte!“, posaunte Thomas die gute Nachricht hinaus. „Ist das nicht sensationell?“

„McQUeenn Rennen? Was ist denn ein McQueen Rennen?“

„Das ist ein Charityrennen, bei dem sich die Großen der Film- und Werbebranche die Klinke in die Hand geben. Alles, was Rang und Namen hat, wird dort sein“, sagte James.

„Wenn ich es wirklich zu etwas bringen will im Filmbusiness, dann muss ich dahin. Allein dass James Karten bekommen konnte, gleicht einem Ritterschlag!“

„Moment“, sagte Charlotte, „verstehe ich das richtig? Ihr wollt, dass Tom morgen Abend zu einer Charityveranstaltung geht?“