Schattensprung - Victoria Benner - E-Book

Schattensprung E-Book

Victoria Benner

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Beschreibung

Charlotte Grottinger, eine Frau, ein ätzendes Mundwerk und eine Mauer aus Eis um ihr Herz, trifft auf Tom Donoghue, angehendes Sternchen mit einer Wolke aus positivem Sonnenschein um sich herum, der im Nu jedes Herz erobert. Kann es gut gehen, wenn sich zwei so unterschiedliche Charaktere verlieben und wird Charlotte über den eigenen Schatten springen können?

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Seitenzahl: 199

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Impressum

© 2015 Victoria Benner

Erzeugt mitWriter2ePub von Luca Calcinai

Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-7226-2

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1.

Es war kalt geworden in den letzten paar Tagen und der Nebel hing in den Feldern, als Sania Besassys die Fahrt in Richtung „Le Dauphin“ antrat. Sie blickte zu den Umrissen der schweren Wolken am Himmel hoch und hoffte, sie käme noch vor dem Einsetzen des Schneefalls dort an, um pünktlich ihre Schicht als Bedienung anzutreten. Ihrer Erfahrung nach lohnte es sich durchaus, diesen Knochenjob in der Weihnachtszeit zu machen.

An Hochzeiten oder aber Weihnachtsfeiern waren die meisten der Gäste sowohl betrunken als auch rührselig eingestellt. Alles in allem eine verheerende Mischung für ihr Portemonnaie.

All das sagte sich Sania wieder mal tapfer, als sie ihre Zweite zehn – Stunden - Schicht an diesem Wochenende antrat. Sie sah bereits von Weitem, dass ihr Chef mehr als angespannt war. Kein Wunder, mit gleich zwei Weihnachtsfeiern war sein Lokal vollständig ausgebucht und sein Personal mehr als beschäftigt.

Doch als sie an den Tresen trat, überfiel ihr Chef sie mit einer noch viel größeren Hiobsbotschaft. Neben den langwierigen Feiern würde es am Abend noch einen weiteren speziellen Gast geben. Dieser drohte mit seiner glänzenden Anwesenheit dem „Dauphin“ die endgültige Ehre anzutun. Da das Restaurant beinahe direkt neben dem größten und teuersten Hotel der Stadt lag, war es nicht das erste Mal, dass ein Superstar oder einer der Mächtigen aus Politik oder Wirtschaft dort einkehrte. Sanias Chef versuchte, das drohende Unheil von seinem Laden abzuwenden. Doch alle Vorschläge wurden in höflichem, wie auch in sehr schlechtem Französisch abgelehnt. Sania begann sich zu fragen, was wohl mehr zur Wut ihres Chefs beitrug. Die Tatsache für eine Berühmtheit jede Menge Unpässlichkeiten auf sich nehmen und einen Raum seines Lokals sperren zu müssen oder die Tatsache dass dieser „Engländer“, wie ihr Chef zwischen den Zähnen vorstieß, es wagte Sebastians schöne Muttersprache zu verstümmeln. Der Fakt das bereits jetzt schon kreischende Mädchen das Restaurant umlagerten, lies ihn nur noch wütender werden. Sania wunderte sich, wie schnell sich die Nachricht, herumgesprochen hatte. Und sie musste leicht grinsen, als sie die Predigt ihres Chefs hörte, die Belegschaft habe sich strikt an die Professionalität zu halten. Er, Sebastian, wünsche keine Grenzübertretungen zwischen dem Personal und den Gästen. Bitten um Autogramme oder andere Anbändelungsversuche wolle er hier nicht sehen. Sein Lokal müsse seinen Ruf wahren.

Während sich Sebastian immer mehr in seine Vorstellungen von Moral und Professionalität verstieg, klingelte Sanias Handy. Auf dem Display des Geräts leuchtete die Nummer ihres zweiten Chefs, Redakteur des örtlich ansässigen K.-Kuriers, auf. Sania ahnte die Katastrophe kommen. Natürlich hatte der Redakteur, ähnlich den vor dem Restaurant wartenden Damen, Wind von der brisanten Neuigkeit bekommen und wollte sich seinen Teil an der Beute sichern.

„Ich bin bereits vor Ort“, war alles was Sania unauffällig in das Telefon flüsterte. Nach dieser Information begann ihr Redakteur vor Freude zu jubeln.

Sania aber überlegte, ob sie die Sache nicht lieber ablehnen sollte. Sebastian hatte vorhin sehr deutlich gemacht, was er von Annäherungsversuchen jedweder Art halten würde. Und Sania vermutete, dass ein Interview, egal wie professionell, da keine Ausnahme darstellte.

Außerdem war der Star ein Engländer und ihre Sprachkenntnisse mehr als dürftig. So oder so drohte ihr eine totale Katastrophe, eventuell sogar der Verlust eines ihrer Jobs. Andererseits konnte sie es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Das Geld, das der Artikel einbrächte, könnte sie gut gebrauchen.

Also sah Sania sich nach dem letzten Strohhalm greifen, der ihr einfiel.

Kurz, nachdem ihr Redakteur aufgelegt hatte, wählte sie die Nummer einer Studienfreundin.

Charlotte sollte den Star für sie übernehmen und auf Herz und Nieren prüfen. Sie war sich sicher, Charlotte würde sich eine derartige Gelegenheit nicht entgehen lassen, so wie sie drauf war. Charlotte war ziemlich schlagfertig, geradezu großmäulig, bis über beide Ohren durchgeknallt und, wie sie zu sagen pflegte: „… für dieses Kaff viel zu hochkarätig“.

Jemand wie sie wäre die Richtige für diese Art von Auftrag und für dieses Schauspiel. Sania begann ihr hastig am Telefon zu erklären, wie genau ihr Schlachtplan aussah. Charlotte sollte mit Sanias Papieren und Informationen ausgestattet versuchen sich dem Sternchen zu nähern um ein paar exklusive Momente und Auskünfte aus ihm herauszupressen.

Charlotte lachte. „Endlich mal was los in diesem Dorf hier! Ist mir immer noch unerklärlich, warum der in eurem Kaff abgestiegen ist. München, ja vielleicht, Stuttgart, sicherlich … Aber hier?“

Sinnlos Charlotte zu erklären, wer schon alles im „Dauphin“ abgestiegen war. Sania dachte sich, wenn man in der weiten Welt aufgewachsen war, dann war es unter Umständen vermutlich echt unglaublich, dass es so ein Hotel genau hier geben sollte. Immerhin, sie konnte Charlotte von ihrem Plan „Doppeltes Lottchen“ zu spielen überzeugen.

2.

Mit den ersten Schneeflocken traf auch endlich Charlotte ein. Nass und frierend betrat sie das dumpf-warme überfüllte Lokal.

Sie schimpfte auf die Bahn, die sie, des Wetters wegen, im Stich gelassen hatte.

Sie hasste es, zu spät zu kommen. Und schließlich war sie fast zu spät dran.

Bereits vor der Tür hatte sie erbitterte Kämpfe austragen müssen. Ihre Vorstellung gelassen und geordnet ankommen zu können war gänzlich dahin. Alles, was jetzt noch zählte, war Sania zu finden und sich des Sternchens zu bemächtigen. Sie hatte schon immer mal Reporterin spielen wollen und nun bot sich ihr eine solche Gelegenheit!

Charlotte sah Sania an der Theke stehen, wo sie auf eine Getränkelieferung wartete, welche sie in den abgetrennten Raum bringen sollte, aus dem bereits die heitere feucht-fröhliche Stimmung schwappte, die typisch für die winterliche Jahreszeit war.

Als sie mit dem vollen Tablett an ihr vorbeikam, schüttelte sie kurz den Lockenkopf.

ChlarCharlotte überlegte. Was hieß das jetzt? Dass das Ziel noch nicht da war? Das Sania gerade nicht konnte oder das es schlicht unmöglich war, an ihn heranzukommen? Charlotte beschloss, vorerst zu warten.

Als ihre Freundin mit dem leeren Tablett von der Feier kam, griff sie nach ihr und zog sie die Treppe zu den Angestelltenräumen hoch.

„Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr“, zischte Sania.

„Die Bahn wollte nicht kommen. Sorry. Ich musste ewig warten“, erwiderte Charlotte darauf.

Sania machte einen entnervten Eindruck. Dann meinte sie: „Zum Glück ist er noch da. Pass auf, ich gebe dir meinen Ausweis für den Fall das. Und er sitzt im „Kleinen Raum“.“

Charlotte wusste aus Sanias Beschreibungen, dass dies der Raum mit den Schiebetüren auf der rechten Seite war. Diese Türen waren, soweit es ihr aufgefallen war, fest geschlossen.

„Wie bitte soll ich da unauffällig reinkommen? Wo er sich doch mit seinen Leuten da drin verbarrikadiert? Ich kann da ja nicht so einfach reingehen. Schließlich vermute ich mal, dass du nicht offiziell mit ihm verabredet bist und einen Termin vereinbaren konntest. Sondern das du vorhattest auf ‚schön Wetter‘ zu machen?“

Die Möglichkeit aus purem Zufall an ein Interview zu kommen schien ihr gleich null.

Sania winkte ab: „Ich dachte entweder du mischst dich unters Volk, während wir bedienen. Es sind noch nicht alle Plätze belegt. Einer mehr fällt bei dem Treck nicht auf. Oder du siehst zu, dass du ihn allein abfängst.“

„Wo das denn? Auf dem Klo?“, fragte Charlotte.

Sania nickte begeistert.

Charlotte aber schnaubte nur verächtlich. „Sania, auf dem Klo will keiner gestört werden! Wenn ich ihn da abfange, ob davor oder danach, ist er sauer. Und dann musst du echt aus Scheiße Gold machen können, weil er entweder nix sagen wird oder aber weil er unfreundlich sein wird.“

Sania lachte auf und drückte ihr den Ausweis in die Hand.

„Na schön“, murrte Charlotte, „Ich versuche mich einzuschleichen.“

Sie sah Sania ergeben an. Als sie den fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, meinte sie: „Ja, ich weiß. Ich soll aufpassen, dass ich nicht auffalle. Aber trotzdem Augen, Ohren und Nase offen halten, damit du am Ende was zum Basteln bekommst.“ Charlotte sah, wie Sanias Miene sich aufhellte. Sie runzelte die Stirn. „Dir ist aber schon klar, dass ich improvisieren muss?“

Sania legte den Kopf schief.

„Normale Standardfloskeln fallen unter den Tisch, wenn ich nicht auffallen soll“, erklärte Charlotte. „Aber keine Sorge, ich lass mir was einfallen. Und bis dahin“, Charlotte blickte sich im Restaurant um, „bleibt mir erstmal nicht anderes übrig als brav zu warten,bis du mir ein Zeichen gibst. Bis dahin würd ich sagen verzieh ich mich an die Bar. Du weißt ja dann wo du mich findest.“ Sie winkte Sania lässig zu.

Charlotte sah den Abend bereits völlig unproduktiv an sich vorüberziehen, als plötzlich ein Schatten an ihr vorbeihuschte. Sie hob den Kopf von ihrer Cola, nur um festzustellen, dass das Objekt der Begierde gerade in den hinteren Teil des Lokals verschwand. Dies eröffnete nun zwei Möglichkeiten. Entweder er ging den Weg, den jeder Mensch mal gehen musste oder Herr Donoghue war damit beschäftigt, sich hinterrücks in den kleinen Schlossgarten und in die enge Seitengasse abzusetzen! Charlotte ließ ihre Cola stehen. Wenn der Typ nicht aufs Klo gehen würde, sondern sich absetze, war Sanias Job im Eimer.

„Mist!“, fluchte Charlotte als ihr nach einigen Minuten Wartezeit klar wurde, dass er auf und davon war. Sie stürmte kurz entschlossen durch den Hintereingang zum Schlosshof. Doch auch hier herrschte gähnende Leere. Nur das Teeniespektakel vorn auf der Straße war zu hören. Charlotte wusste, dass die kleine Pforte zur Seitengasse im Winter abgeschlossen war, da der Garten im Winter ungenutzt im Dornröschenschlaf lag. Sie überlegte kurz: „Der ist doch nicht etwa über die Mauer geklettert?“

Andererseits, durch die Vordertür zu gehen ohne Personenschutz war bei dem Auflauf ausgeschlossen.

Charlotte fluchte. Was nun?

Entweder sie musste sich vorn durch die Menge seiner Fans kämpfen, aber dann verlöre sie nur kostbare Zeit.

Oder sie musste Sania ausfindig machen und sie um den Schlüssel für die Gartentür bitten. Auch dies war ein Zeitverlust, denn wer wusste schon wie lange Sania dafür bräuchte?

„Letztendlich wirst du rübermachen müssen“, seufzte Charlotte. „Herrjeh, was tu ich nicht alles für dich, Sania.“

Also tat Charlotte, was sie tun musste. Sie holte ihre Tasche, Sanias Ausweis und hinterließ an der Bar eine Nachricht für die Freundin, sie sei auf der Verfolgungsjagd nach ihrem Job. Dann begann sie ihren Aufstieg über die Mauer.

3.

Charlotte lag richtig mit ihrer Vermutung. Tom Donoghue war über die Mauer geklettert. Kaum schob sie sich ächzend über den Steinwall, sah sie ihn noch, wie er am Ende der Gasse in die Innenstadt verschwand. Charlotte wettete noch immer darauf, dass sie es schaffen würde ihn zu einem Interview zu überreden, solange sie mit ihm allein sein würde.

„Für Sania!“, ächzte sie. Sie musste nur an ihn herankommen.

Am Marktplatz holte sie Tom wieder ein, der gerade dabei war die neu gewonnene Freiheit zu feiern.

Bisher hatte er noch keine Aufmerksamkeit erregt. Noch ahnte niemand, wer er war.

Charlotte erkannte, sie würde schnell handeln müssen, wollte sie ihr Interview bekommen, bevor jemand auf Mr. Donoghue zustürmen könnte.

Sie raffte all ihren Mut zusammen und tippte ihn von hinten auf die Schulter.

Charlotte biss sich auf die Zunge, weil sie es nicht fassen konnte, dass sie sich tatsächlich traute einen Superstar anzusprechen.

Ja sie konnte noch nicht mal fassen, dass es überhaupt alles real war. Mitten auf dem Marktplatz des Dorfes K. existierte Tom Donoghue!

Ruckartig fuhr er herum und starrte sie an. Sorgfältig von oben bis unten.

Charlotte glaubte fast spüren zu können, wie seine Augen bei ihrem Haar, ihrem Gesicht und ihren Augen verweilten.

„Rot wie Blut, weiß wie Schnee“, stieß er verblüfft hervor.

„Schwarz wie Ebenholz“, beendete Charlotte den Satz.

Sie sah, wie er sie fasziniert anstarrte. Um das peinliche Schweigen zu brechen, das sich nach seinem Ausrutscher eingestellt hatte, tat sie das Erste, das ihr in den Sinn kam. Sie hielt ihm die Hand hin, zur Begrüßung.

„Nein Mr. Donoghue, ich bin nicht Schneewittchen!“, lachte sie, verwundert darüber, wie natürlich ihr Lachen klang.

Immer noch verwundert starrend ergriff er ihre Hand und schüttelte sie.

„Gut,“, sagte er, offenbar hatte er sich langsam von der Überraschung erholt, „wenn du nicht Schneewittchen bist, mit wem habe ich dann die Ehre?“

„Typischer Engländer“, dachte Charlotte sich. „Diese eigenartigen blonden Löckchen! Dafür morden also die Frauen?“

Sie verzog kurz den Mund.

Dann erhaschte sie im Licht einer Straßenlaterne einen kurzen Blick auf seine Augen und diese stimmten sie versöhnlich. Ebenso wie die langen schlanken Hände, die ihre immer noch festhielten.

„So eine könnte mein Herz schon zum Schmelzen bringen“, musste Charlotte sich eingestehen. „Vorausgesetzt ich hätte Zeit mich zu verlieben.“

„Ich weiß nicht, Alice? Alice im Wunderland vielleicht?“, sagte sie spöttisch.

„Alice?“, gab er in fragendem Ton zurück.

„Ja klar, denn wenn nicht wo als im Wunderland könnten solche Sachen passieren? Dass ich einen bekannten und begehrten Engländer einfach so auf der Straße treffe? Demnach müsste ich wohl fest daran glauben, entweder zu träumen oder aber im Wunderland zu sein.“

„Hmm … verständlich“, meinte er, jetzt etwas nervös. „Ade du schöne Freiheit“, hörte Charlotte ihn leise seufzen. An sie selbst gewandt sagte er hingegen: „Nun Alice, da du weißt wer, ich bin, was hast du vor? Willst du jetzt den roten Ritter rufen und meinen Kopf meistbietend verkaufen?“

Charlotte begann Gefallen an diesem eigenartigen Lulatsch zu finden, der so einfach auf ihr Spiel einging. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie ihn in der Hand hatte. Ein einfaches „Donoghue“ laut genug gerufen würde reichen, um im Nu tausender kreischender Teenies, gleich der Sintflut, auf den Platz zu locken.

Charlotte lachte hell auf: „Ich werde sie nicht versteigern Mr. Don…“.

Hier wurde sie unterbrochen. „Lieber nicht den ganzen Namen“, fiepte er leicht panisch.

„Gütiger Himmel, was sind wir Diva“, dachte Charlotte, ging dann aber darauf ein. „Gut Mr. X. Ich werde sie nicht ausliefern und versteigern. Vorerst nicht, denn sie sind zu interessant für mich. Deswegen, und weil ich noch etwas von ihnen möchte, würde ich vorschlagen wir schauen beim Hutmacher vorbei, um dort gesittet eine Tasse Tee zu trinken. Was halten sie davon FanThomas?“.

„Oder sollte ich dich wegen des leichten Rotschimmers deiner Haare lieber Rotkäppchen taufen?“, spottete sie insgeheim.

Tom blickte sich auf dem dämmrigen, fast leeren Platz um. Er kam nicht umhin es leicht dämlich zu finden sich von einer jungen Frau abschleppen und befehlen lassen zu müssen. Es war einfach lächerlich. Hier stand er, mindestens gute 10 bis 20 Zentimeter größer als diese bizarre Dame, er könnte sie im Nu unter den Arm klemmen, um mit ihr davon zu laufen. Und doch musste er mit ihr mitgehen. Sonst würde sie vermutlich gleich anfangen zu schreien.

Ach ja und wie war das? Eine Gegenleistung für ihr Stillschweigen wollte sie ebenfalls.

So lief es doch immer, oder? Ständig wollte jemand etwas von ihm. Autogramme, Fotos, Hilfe für sich oder für andere, weil er es mit seinem Ruhm ja bewirken konnte. Die Fans wollten förmlich ganze Teile von ihm.

„Ruhm sollte sorgenfrei, nicht sorgenvoll machen“, überlegte er sich.

Er hasste diese Seite seines Jobs. Aber er liebte das Schauspiel. Dieses in eine fremde Haut schlüpfen, das fremde Motive und Gedanken oder aber Gefühle zu den eigenen Motiven und Gefühlen werden lassen. Freunde zu gewinnen, auch wenn sie nicht real waren.

Er gab sich einen Ruck. „Den Hutmacher wollen wir besuchen?“

Die junge Frau,die ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, nickte und sagte: „Sie mögen über Ruhm verfügen. An der Freiheit diesen zu genießen sowie den jetzt wesentlich praktischeren Ortskenntnissen mangelt es ihnen jedoch.“

Sie amüsierte sich sichtlich. Tom fiel auf, dass sie trotzdem nach wie vor kühl, wenn auch höflich ihm gegenüber war. Als fürchte sie sich wehzutun, käme sie ihm zu nah.

„Deswegen“, führte sie weiter aus, „Schlage ich vor sie folgen mir. Es gibt hier um die Ecke einen sehr gutes Tee- und Caféhaus. Die haben noch geöffnet und sollten zur Zeit nur von älterem Publikum frequentiert werden. Wir dürften dort nicht weiter auffallen.“

„Na dann. Eine Wahl bleibt mir wohl kaum“, äußerte er. „Zudem kann ich interessanten Frauen ohnehin keinen Wunsch abschlagen.“

Er lächelte sie an und sah, wie ihr die Gesichtszüge entglitten. Erschrocken glaubte er für einen Moment so etwas wie Verachtung oder Ekel in ihren Augen flackern zu sehen und er hörte sie undeutlich etwas murmeln. Etwas, das ganz sicher nicht für seine Ohren bestimmt war.

Er dachte schon, er wäre sie nun los, als sie den Arm, den er ihr gerade anbot doch annahm und ihn bestimmt in Richtung Teehaus bugsierte.

4.

Im Tee- und Caféhaus saßen, wie Charlotte es vorausgesehen hatte, nur die üblichen zehn älteren Damen und Herren, die dieses Haus regelmäßig zu schmücken pflegten.

Aufgrund der Tatsache, dass es kein hipper jugendlicher Coffeeshop, sondern eher ein ruhiges Kaffeekannenetablisment war, trauten sich hier so gut wie nie Teenager oder anderes mit der Erscheinung Tom Donoghue vertrautes Publikum herein. Der Laden war gemütlich aber leider auch ziemlich altmodisch eingerichtet. Es gab eine Holzvertäfelung an den Wänden, welche in den Neunzigern in einem Anfall von Modewahn grau-weißlich angestrichen worden waren und grün-grau melierte Stuhlbezüge um die schlichten Holztische.

Was die Optik nicht vermochte, machte der Geschmack der Produkte, aber leider auch die Preise wieder wett.

Nachdem der bestellte Tee gekommen war, saßen beide still und in sich versunken da. Charlotte bemerkte, dass ihr Gegenüber intensiv in die Tasse starrte, als wolle er seine Zukunft aus den Teeblättern lesen. Und während sie selbst ihre Tasse mit beiden Händen umfasst hielt und ihn so beobachtete, fragte sie sich, was sich wohl jemand wie er noch wünschen konnte.

„Gefunden, was du suchst?“ Tom zog eine Augenbraue kritisch hoch, während Charlotte ertappt zusammenzuckte.

Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, dass er den Kopf gehoben hatte. Wie peinlich. Vermutlich hatte sie ihn angestarrt wie ein hypnotisiertes Kaninchen und jetzt glaubte er, er könnte sich etwas darauf einbilden!

„Wenn ich auf der Suche nach dem Sinnbild des typischen Engländers wäre, so müsste ich jetzt mit „Ja“ antworten“, fing sie sich schnell wieder.

„Sinnbild eines typischen Engländers“, wiederholte er, nur um anschließend zu fragen: „Ist das nicht eine ziemlich abfällige Bemerkung? Leute aufgrund ihres Aussehens in Schubladen zu stecken ist nicht gerade sehr tolerant und aufgeschlossen. Machst du das des Öfteren?“

Charlotte ging gar nicht auf diesen Vorwurf ein. „Und sie? Klettern sie „des Öfteren“ über Mauern und stehlen sich fort? Was wird ihr Entourage dazu wohl sagen?“

„Meine Entourage“, lachte er, „wird in der Tat sehr panisch sein, wenn das herauskommt. Aber, was sollte dich das interessieren?“

„Gute Frage“, überlegte Charlotte. „Vielleicht sollte mich das nicht die Bohne jucken. Vielleicht sollte ich diesen Teil überspringen und gleich zu dem kommen, weswegen ich sie ansprach.“

Tom begann ablehnend und wütend zu wirken und meinte: „Ja, natürlich. Tu was du nicht lassen kannst Schneewittchen oder Alice, oder wie auch immer du heißen magst.“

Charlotte lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete den Typen vor sich, der nun mit einem wütenden Gesichtsausdruck dasaß. Sie versuchte ihn zu beschwichtigen: „Machen wir reinen Tisch.“ Sie nickte in Richtung ihres Gesprächspartners. „Sie sind abgehauen. Ich vermute mal der Trubel um ihre Person geht ihnen mächtig auf die Nerven und da wollten sie sich eben mal die Füße vertreten.“

Hier versuchte er kurz zu Wort zu kommen, aber er bekam keine Chance.

„Ist ja egal, ich respektiere das. Aber so sehr ich es auch respektiere, es gibt da ein Problem. Ich brauche leider dieses Interview mit ihnen. Für meinen Chef, der sich erhofft, so die Auflage seiner Zeitung zu steigern und das Blatt auf diese Weise retten zu können.“

Sie sah ihn an, ob er noch etwas darauf sagen wollte oder wie er überhaupt darauf zu reagieren gedachte. Als nichts weiter kam, schließlich war er bereits empört und verletzt, fuhr sie fort: “Hören sie, ich mach das für meinen Chef …“, sagte sie.

„Und für eine gute Freundin“, setzte sie in Gedanken hinzu und versuchte sich so zumindest teilweise für ihren Überfall zu entschuldigen.

Tom wirkte genervt.

„Ich wollte das alles etwas lockerer angehen. Nicht so das typische Interview a la: „Wie geht es dir?“, „Welchen Charakter magst du am meisten?“, „Wie ist es mit Größen wie Portmann und anderen zusammenzuarbeiten?““

Sie zuckte wegwefend mit den Schultern. „Ist mir zu blöde.Auch von den üblichen Teeniefragen nach der Lieblingsfarbe, dem Lieblingstier und so, halte ich nichts“, gestand sie.

„Und wie sollte das hier dann ablaufen?“, gab er zynisch zurück.

„Ich dachte wir könnten es als eine Art Gespräch gestalten“, gab Charlotte pikiert zurück, in Anbetracht der Ablehnung die sie erfuhr. So nett war er wohl doch nicht, der liebe Tom. Zumindest dann nicht, wenn er mal nicht im Scheinwerferlicht stand. „Nein“, korrigierte sich Charlotte, „Ich hatte, bzw. habe keine Idee, wie ich es anstellen wollte. Ich weiß lediglich, die übliche Vorgehensweise finde ich öde. Und ich dachte sie auch. Mal ehrlich“, fügte sie hinzu, „wer will schon zum hundertsten Mal nach seiner letzten Rolle gefragt werden?“

Aber sie erhielt keine Antwort.

„Ich würde ja sagen, wir unterhalten uns nett. Aber dafür sind sie jetzt vermutlich viel zu sauer drauf und außerdem, worüber unterhält man sich schon mit einem Fremden?“, versuchte sie einen erneuten Anlauf.

„Ich weiß nicht … Über das Wetter?“, schlug er wütend vor.

„Übers Wetter?“, wiederholte sie, „Jetzt fallen sie doch ins Klischee. Aber mich dafür rundmachen, dass ich sie als typischen Engländer bezeichnet habe.“

Tom kämpfte mit einem Grinsen. „Da muss ich leider zustimmen. Der Punkt geht an dich.“

„Na also“, dachte sich Charlotte. Sie hatte das Ruder scheinbar zu ihren Gunsten herumgerissen. „Alles wird gut, nur tief durchatmen“, sprach sie sich selbst Mut zu. „In Ordnung“, sagte sie laut zu ihrem Gegenüber. „Aber, wie soll ich die Sache denn dann angehen? Wenn wir nicht über das Wetter reden wollen und ich nicht mal deinen Namen sagen darf? Wie soll ich dich sonst nennen?“

„Tom. Für gewöhnlich nennen mich die Leute Tom.“

„Gut, dann also Tom.“

„Und wer bist du?“, fragte er neugierig. „Ich kann dich ja schlecht Schneewittchen oder Alice nennen. Es sei denn, du hießest wirklich Alice.“

„Cha… Sania“, stellte Charlotte sich vor.

Nochmals ergriff Tom ihre Hand. „Gut, Sania. Ein Interview mit mir soll es also sein. Aber du hast keine Lust auf blöde Fragen.“

„Nein, keine blöden Fragen.“ Charlotte zwinkerte ihm zu. „Normalerweise würde ich mich nach deinen lieben Verwandten oder aber gemeinsamen Freunden erkundigen“, lachte Charlotte, „Aber zum einen gibt es keine gemeinsamen Freunde und zum anderen kenne ich keine Verwandten von dir.“

„Nicht?“, fragte Tom perplex.

Charlotte begann sich zu fragen, ob er nur spielte oder ob es ihm Ernst war. „Nein, ich weiß nichts über dich. Außer vielleicht, in welchem Film du gerade mitgespielt hast.“ „Hmm …“, meinte er, „Das ist eher ungewöhnlich“, setzte er noch hinzu.

Charlotte konnte das wohl kaum verhehlen. „Ja, blöde Situation. Allerdings ist das für uns die Chance ein völlig ungewöhnliches Interview führen zu können.“

„Gut, in Ordnung, was schlägst du vor?“

„Na ja, ich weiß nicht. London? Warum erzählst du nicht von London?“

„London? Warum gerade London?“, wollte Tom wissen, „Ja, es ist meine Geburtsstadt und ich lebe dort. Sicher ist es eine der besten Städte der Welt, aber wenn dich interessiert, wo ich überall war, dann könntest du mich auch nach Paris, New York oder aber L.A. fragen.“

„Du warst in Paris?“, staunte Charlotte, was ihn nur laut auflachen ließ.

„Ich sage dir, ich war in L.A. und New York und du fragst mich ausgerechnet nach Paris?“

„Ja, na klar. Warum nicht? Was interessiert mich New York? Absolut stressige Stadt, wenn du meine Meinung hören willst. L.A. kenne ich nicht, aber damit verbindet mich auch nichts.“

Tom lachte nun noch mehr. „Aber Paris! Was hast du mit Paris zu schaffen?“

„Hör mal“, antwortete sie ihm, „Jeder in Frankreich kennt Paris. Paris hält sich für das Zentrum des Universums.“

„Ah ja, schon mal dagewesen?“, fragte er.

„Zählt die Rocade?“, fragte sie frech zurück.