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Er ist alles, was mein Herz je begehrt hat. Aber unsere Liebe ist verboten.
Eine Forbidden Lovers Vampir Romance mit viel Leidenschaft und noch mehr Gefahr.
Blue ist jung, wunderschön und eigentlich wie jede andere Frau in ihrem Alter. Aber eben nur fast. Blue ist ein Vampir und lebt wie viele andere ihrer Art, unentdeckt inmitten der menschlichen Gesellschaft. Doch die Welt der Vampire ist von einem seit Jahrhunderten andauernden Krieg gegen vampirische Rebellen zerrissen. Blue ist die rechte Hand von Boss, einem berüchtigten und mächtigen Drogenbaron der Stadt. Sie träumt von einem Leben abseits von Gewalt und Angst, doch bringt nicht den Mut auf, für ihr Schicksal zu kämpfen. Bis ihr Tom begegnet. Attraktiv, leidenschaftlich – und ein Mensch. Durch ihn wird Blues Leidenschaft neu entfacht und sie möchte niemanden anders an ihrer Seite haben. Doch ihre Liebe wird auf harte Proben gestellt, die jede Vorstellungskraft übersteigt…
Erste Leser:innenstimmen
„Ich habe mich in die Liebesgeschichte von Tom und Blue verliebt!“
„Eine packende Romantasy mit Leidenschaft und Gefühl.“
„Ein romantischer Pageturner, einfach toll!“
„So spannend und leidenschaftlich, ein super Vampirroman.“
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Seitenzahl: 461
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Blue ist jung, wunderschön und eigentlich wie jede andere Frau in ihrem Alter. Aber eben nur fast. Blue ist ein Vampir und lebt wie viele andere ihrer Art, unentdeckt inmitten der menschlichen Gesellschaft. Doch die Welt der Vampire ist von einem seit Jahrhunderten andauernden Krieg gegen vampirische Rebellen zerrissen. Blue ist die rechte Hand von Boss, einem berüchtigten und mächtigen Drogenbaron der Stadt. Sie träumt von einem Leben abseits von Gewalt und Angst, doch bringt nicht den Mut auf, für ihr Schicksal zu kämpfen. Bis ihr Tom begegnet. Attraktiv, leidenschaftlich – und ein Mensch. Durch ihn wird Blues Leidenschaft neu entfacht und sie möchte niemanden anders an ihrer Seite haben. Doch ihre Liebe wird auf harte Proben gestellt, die jede Vorstellungskraft übersteigt…
Erstausgabe März 2025
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-685-5
Covergestaltung: Nadine Most unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © FlexDreams, © leolintang, © Artnizu Korrektorat: Johannes Eickhorst
E-Book-Version 16.04.2025, 11:56:30.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Jemand wird kommen Er wird stürzen Sein eigen Blut wird siegen Samtene Nacht, des Ozeans Blau
Man nennt mich Claudio, den Schreiber. Mir wurde die Aufgabe zuteil, unsere Geschichte niederzuschreiben. Auf dass sie niemals vergessen werde.
Es ist das Jahr 1705 der menschlichen Zeitrechnung.
Einst lebten die Clans der Sangualunaris und der Delcours in Eintracht miteinander. Doch durch den Wahnsinn eines Einzigen wurden Freundschaften zerstört, Familienbanden zerschlagen und sowohl Vampire als auch Menschen mussten ihr Leben lassen …
… Ich hatte einen Traum. Eine Frau, die so alt war, dass man ihre Jahre nicht mehr zählen konnte, sprach zu mir. Ihre Worte haben sich in mein Gedächtnis gebrannt und ich muss sie hier erwähnen.
Jemand wird kommen
Er wird stürzen
Sein eigen Blut wird siegen
Samtene Nacht, des Ozeans Blau
Jemand wird kommen
Die Ausgeschlossenen, Vergessenen und
Die sich Erhabenen zu einen
Samtene Nacht, des Ozeans Blau
Jemand wird kommen
Sie müssen sich finden
Um den Anderen zu bezwingen
Samtene Nacht, des Ozeans Blau
Zwei werden kommen
Nur wenn sich das Blut verbindet
Werden sie gewinnen
Samtene Nacht, des Ozeans Blau
Was sie zu bedeuten haben, wird allein die Zeit zeigen. Doch steht zu befürchten, dass diese Prophezeiungen von den falschen Personen zu falschen Zwecken ausgelegt werden …
… Menschen, was sind Menschen? Für uns sind sie nichts anderes als Vieh, das wir ohne ihr Wissen halten, um uns zu nähren und uns zu unterhalten. Sie sind dumme Herdentiere, die sich für größer halten, als sie tatsächlich sind. Zu welchem anderen Zweck sollten sie existieren, wenn nicht, um mit ihrem Lebenssaft unsere Bedürfnisse zu stillen? Blutsklaven sind sie, nichts anderes kann ihre Bestimmung sein.
Unser König ist schwach, er zwingt uns, von unserer eigenen Spezies zu trinken. Er befiehlt uns, Kannibalen zu sein, obwohl genug andere Nahrung direkt vor unserer Nase lebt. Wir werden das nicht länger akzeptieren. Wir werden aufstehen und unsere Freiheit erkämpfen! Das Joch des Kannibalismus und des Versteckens wird fallen …
… Der Krieg tobt seit Dekaden. Beide Seiten bluten aus körperlichen und seelischen Wunden. Das Volk ist entzweit mit verhärteten Fronten. Unsere Seite hat schwere Verluste erlitten. Des Königs Truppen gehen erbarmungslos gegen uns vor. Uns gehen die Krieger aus. Vor einigen Jahren haben wir begonnen, uns mit Menschenfrauen zu paaren. Sie werden entführt und zu den stärksten und besten Männern unseres Lagers gebracht. Menschenfrauen haben einen schwachen, leicht zu beeinflussenden Geist, weshalb für die Vereinigung selten Gewalt angewendet werden muss. Leider sind unsere Versuche neue Krieger zu züchten, fehlgeschlagen. Die Menschenfrauen gebären durchwegs nur menschliche Kinder …
… Wir haben eine neue Art Vampir erschaffen. Einige der Sprösslinge unserer Verbindungen mit Menschen haben sich zu Vampiren gewandelt, nachdem sie von einem von uns gebissen worden waren. Darius biss seinen Sohn Leander im Zorn, da dieser nur menschlich und daher vernachlässigbar war. Kurz darauf trat eine Veränderung im Körper des Jungen auf, welche ihn innerhalb weniger Stunden zum Vampir werden ließ. Leander krümmte sich vor Schmerzen und schrie die ganze Nacht. Wir konnten hören, wie seine Knochen von selbst brachen und sich danach wieder zusammenfügten.
Darius war durch diesen Zauber wie geblendet und eilte in die Zimmer seiner anderen drei Söhne. Jeden biss er und wartete ab. Igor und Janus wandelten sich, nur Erik blieb ein Mensch. In seiner Wut tötete Darius sein eigen Fleisch und Blut, indem er ihn blutleer trank …
… Wer hätte gedacht, dass das dunkle Zeitalter noch dunkler werden könnte? Darius ist tot, der König ist ebenfalls gefallen und seine Gemahlin, die Königin, dem Wahnsinn verfallen.
Leander, Igor und Janus haben nun das Kommando über uns. Auf der feindlichen Seite stehen Orion und Andromeda an der Spitze. O Schicksal, steh uns bei! Der Krieg ist in die Hände von jungen Vampiren gefallen, die beinahe noch Kinder sind. Leander ist ruhig und bemüht, weise zu entscheiden. Igor ist ein Hitzkopf und Janus erfüllt von Brutalität und Gewalt.
Wie es um Orion und seine Schwester Andromeda steht, vermag ich zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen …
Ihr Handy klingelte. Der Klingelton, Assassin von Muse, sagte ihr nur zu deutlich, wer sie da anrief. Es war Boss, ihr Mentor, ihr Auftraggeber. Hin und wieder betrachtete er sie auch als seine Blutsklavin. Obwohl sie mit dieser Angelegenheit ganz und gar nicht einverstanden war, musste sie sich seinem Befehl beugen. Sie stand ihm zur Verfügung. Jederzeit.
Wenn er sie anrief, ging es um eine heikle Angelegenheit. In solchen Fällen war sie seine erste Adresse. Sie war bekannt und berüchtigt für ihre speziellen Fähigkeiten in Sachen Überzeugung. Leider … denn sie war nicht immer so gewesen.
Sie legte die zehn Kilo Kurzhantel auf den Boden und nahm den Anruf entgegen. Den Knoten, der sich in ihrer Magengegend gebildet hatte, ignorierte sie.
„Ja“, meldete sie sich.
„Ich habe einen Auftrag für dich. Komm zum Club“, sagte Boss.
„Gib mir fünfundvierzig Minuten“, antwortete sie und legte auf. Eisige Kälte breitete sich in ihr aus, während sie versuchte, nicht daran zu denken, was ihr bald bevorstand.
Nachdem sie den Trainingsraum verlassen hatte, ging sie zwei Türen weiter ins Bad. Die 6-Zimmer-Attikawohnung lag hoch über Zürich. Es war November und dichter Nebel verhüllte sowohl die Hochhäuser als auch den Nachthimmel.
Als sie geduscht hatte, öffnete sie den Kleiderschrank. Die Leere darin schrie sie an. Dieselbe Leere, die auch in ihrem Leben herrschte und sie manchmal zu ersticken drohte. Sie griff nach einer schwarzen, eng anliegenden Stretch-Hose, einem schwarzen engen T-Shirt und ihren fast kniehohen Schnürstiefeln mit den stahlverstärkten Kappen. Der Blockabsatz verlieh ihr trotz allem Weiblichkeit und bot Standsicherheit, wenn sie diese brauchte.
Nachdem die Kleidung saß, holte sie das Schulterholster vom Haken und streifte es über. Dann nahm sie ihre SIG Sauer P226 aus dem Waffenschrank, überprüfte um der Routine willen das Magazin und steckte sie in das Holster unter ihrem linken Arm. Danach folgten zwei Reservemagazine, welche unter ihrem rechten Arm in den Magazintaschen Platz fanden. An ihrem Hosengürtel befestigte sie den Dolch, den sie immer bei sich trug, gut verborgen an ihrem Rücken unter dem Mantel. Ein weiteres Messer, ein Seal Pup Elite, fand in einer versteckten Scheide im Stiefelschaft seinen Platz. Danach griff sie in die Schublade im Waffenschrank und holte einen Satz Schlagringe heraus, die in die Manteltaschen wanderten. Als Letztes nahm sie die Ledermanschetten aus der Schublade, zog sie sich über die Handgelenke und schnürte sie straff. Sie gaben ihr im Notfall Stabilität.
Bevor sie das Schlafzimmer verließ, warf sie einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Das schwarze Haar fiel glänzend bis zur Taille. Die tiefblauen Augen leuchteten ihr aus dem blassen Gesicht entgegen. Das schwarze Shirt hatte einen tiefen V-Ausschnitt und verdeckte ihr großes Tattoo kaum. Die feinen Ranken begannen tief zwischen ihren Brüsten auf dem Brustbein und zogen auf beiden Seiten zu ihren Schulterspitzen. Von da nach hinten über die Schulterblätter, vereinigten sich und verliefen als ein Strang über die Wirbelsäule bis zum Kreuzbein.
Ja, das war sie: Blue. Früher, vor jener verhängnisvollen Nacht, war sie Mia Müller gewesen. Ein Mädchen, das niemandem auch nur ein Haar hatte krümmen können. Doch das war jetzt vorbei. Mia Müller starb, als Blue geboren wurde. Blue, eine Auftragskillerin, Geldeintreiberin, Security-Angestellte eines Clubs und die rechte Hand des Bosses der Unterwelt, der sich selbst als König bezeichnete.
Drogen, Spiel und Prostitution gehörten zu ihrem Alltag, oder besser gesagt Allnacht. Und doch, trotz allem, was sie bis jetzt getan hatte, war sie nicht stolz darauf und würde sich nie daran gewöhnen. Ihr einziges Ziel galt der Suche nach dem Arschloch, das ihr das angetan hatte. Wie lange war das her? Schätzungsweise zehn Jahre, welche sich jedoch wie hundert anfühlten.
Sie wurde verdammt, ohne dass sie sich dagegen hatte wehren können. Sie hatte ihr Schicksal nicht selbst gewählt. Bis zu jener Nacht hatte sie nicht einmal geahnt, dass eine Welt wie diese überhaupt existierte. Natürlich wusste sie von Drogen, Mord und Prostitution. Aber sie hatte keine Ahnung von der Existenz jener Wesen, zu denen sie nun gehörte. Sie waren Kinder der Nacht, überaus stark und hatten sich die Dunkelheit Untertan gemacht.
Ihr Boss fand sie, nachdem sie überfallen worden war. Verwirrt, blutend … an einem Montag kurz vor Sonnenaufgang. Am Freitag zuvor war sie ins Zentrum gefahren, um sich mit Freunden zu treffen. Sie war nie angekommen. Das Nächste, was ihr Gehirn gespeichert hatte, war, wie Boss sie in seinen Audi R8 geladen hatte und davongefahren war.
Er hatte ihr alles erklärt. Was mit ihr geschehen war, was sie jetzt war und wie ihr Leben von nun an aussah. Erst hatte sie ihm nicht geglaubt. Dachte er wäre ein totaler Spinner. Die Wesen, von denen er sprach, gab es nur in Mythen und Legenden. Erst, als sie brennenden Durst bekommen hatte, und den verlockenden, feuchten Herzschlag der Menschen im Haus nebenan hören konnte, war sie überzeugt gewesen. Vorsichtig hatte sie gewagt, mit der Zunge über die obere Zahnreihe zu fahren und fand, wovor sie sich gefürchtet hatte: Spitze, scharfe Fänge. Vampir, schoss es ihr durch den Kopf, unmöglich!
Boss hatte ihr die ganze Geschichte erklärt und mit allen Klischees aufgeräumt. Menschen werden nicht automatisch zum Vampir, wenn sie von einem solchen gebissen werden. Es ist vielmehr so, dass ein Mensch ein latentes Gen in sich tragen muss, um zu einem Blutsauger zu werden. Dieses Gen kommt bei ungefähr einem von tausend Menschen vor. Solche Menschen werden Träger genannt.
Wird ein Träger von einem Vampir gebissen, aktiviert ein spezielles Enzym im Vampirspeichel das Gen und die Mutation beginnt wenige Minuten später. Die gesamte Transformation dauert nur ein paar Stunden und ist äußerst schmerzhaft. Danach ist man komplett verändert. Nicht wiederzuerkennen.
Entgegen allen Mythen verbrennen Vampire nicht in der Sonne. Nur ihre Augen, die auf Nachtsicht eingestellt sind, schmerzen. Das ist auch der einzige Grund, warum sie selten bei Tageslicht draußen sind. Das lächerliche Gerede über Pfählen, Knoblauch, Kreuze und so weiter … totaler Bullshit. Jedes Lebewesen stirbt, wenn man ihm einen Pfahl durch das Herz rammt. Und sie sind nicht untot. Sie fühlen, atmen und ihre Herzen schlagen.
Nur zwei der vielen Gerüchte sind teilweise wahr. Es stimmt, dass Vampire langlebiger sind als ihre menschlichen Verwandten. Bei Weitem nicht unsterblich, aber sie haben eine etwa zehnfache Lebenserwartung. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Vampire das tausendste Lebensjahr erreichen. Und ja, sie trinken Blut. Sie töten dafür jedoch keine Menschen. Sie haben Blutkonserven. Sie lieben es zwar, normale Nahrung zu sich zu nehmen, ihr Körper kann jedoch nicht alle Nährstoffe daraus gewinnen, um auf Dauer gesund zu bleiben.
Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage des Hochhauses, in dem sie wohnte und stieg in ihren Chevrolet Camaro. Die Nacht gehörte den Vampiren, aber sie lockte auch den Abschaum auf die Straßen. Menschen und anderes. Es gab eine Vampirgruppe, die sie die Outlaws nannten. Sie hielten sich nicht an die Regeln und betrachteten Menschen als Freiwild. Blue und die Sippe, der sie angehörte hingegen, hielten ihre Existenz bedeckt, obwohl sie natürlich auch alles andere als eine weiße Weste hatten. Der Anführer der Outlaws, Igor, war darauf aus, Boss’ Platz einzunehmen. Er wollte der König der Nacht und des Milieus werden, weswegen es immer wieder zu Konfrontationen mit ihm und seinen Leuten kam.
Blue parkte ihren Wagen am Hintereingang des Clubs. Vorn im legalen Teil tanzten sich die Gäste wahrscheinlich die Füße wund und waren auf der Suche nach unverbindlichem Sex. Der hintere Teil gehörte der einschlägigen Klientel. Ein Treffpunkt eben jenes Abschaums.
Tom, der Türsteher, öffnete ihr die Tür und nickte. Er war groß und definitiv als Schrank zu bezeichnen. Toms grüne Augen musterten sie unmissverständlich. Er stand auf sie, das wusste sie schon lange. Leider gaben ihr menschliche Männer nichts. Wäre da nicht die Nervosität gewesen, die sie stets erfüllte, wenn Tom in ihrer Nähe war … Selbst ihre Coolness, die sie immer als Schutzschild vor sich hertrug, bekam in seiner Gegenwart mikroskopisch kleine Risse. Sie konnte sich nichts vormachen, sie mochte den Mann. Vor ihrer Wandlung war sie total grün in Sachen Sex gewesen und danach war Boss ihre einzige Erfahrung. Aber selbst mit ihm war es nie bis zum Ende gekommen. Tom war definitiv ein Mensch ohne Vamp-Gen. Sie konnte es meistens riechen, wenn einer das darwinsche Los gezogen hatte. Menschen, die das Gen in sich trugen, rochen leicht metallisch mit einer Prise Pfeffer. Für sie zumindest. Andere Vampire berichteten auch schon über andere Geruchseindrücke.
Sie durchquerte den Gastraum in Richtung ihres Büros. Vorbei an den Huren und deren Kunden. Schon auf halber Strecke konnte sie das nervöse Schlagen des Herzens hören, dessen Besitzer sie eine Lektion erteilen sollte. Er war definitiv ein Mensch. Vampire waren nicht so schnell aus der Fassung zu bringen.
Sie betrat den Raum und ließ ihren Blick über die Runde schweifen. Mit dem Rücken zu ihr saß Richi, die Hände nach hinten an die Stuhllehne gefesselt. Neben ihm stand einer der Sicherheitsleute des Clubs. Er nickte ihr zu und trat zur Seite. Betont langsam ging sie zum Schreibtisch und setzte sich auf die Tischkante.
„Hallo, Richi“, sagte sie leise.
Richi hob den Kopf und funkelte sie überheblich mit seinen schwarzen Augen an. Das dunkle Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht.
„Blue. Erledigst du mal wieder die Drecksarbeit für Boss?“
Der Hohn in seiner Stimme ließ sie müde lächeln. Diesem kleinen Wurm würde seine Überheblichkeit schnell vergehen. „Ach Richi. Wenn Leute wie du ihre Schulden termingerecht begleichen würden, müsste ich meine Zeit nicht mit solchem Mist verschwenden.“ Seufzend stand sie auf und zog ihren knöchellangen Ledermantel aus. Nachdem sie ihn abgelegt hatte, drehte sie sich wieder zu Richi um und sah ihn an.
„So, wann sagst du, zahlst du die zwanzigtausend Mäuse zurück? Du bist mehrfach gewarnt worden und trotzdem hältst du dich nicht an die Abmachungen.“ Während sie das sagte, ließ sie provokativ ihre Fingerknöchel knacken. Ihre Maske saß perfekt, verrutschte keinen Millimeter. Niemand bemerkte ihren Abscheu gegen solche Dinge.
In dem Moment wich alle Arroganz aus Richis Gesicht und machte einer ungesunden Blässe Platz. Nervös begann er, auf dem Stuhl hin und her zu rutschen. Seine Augen blitzten immer wieder zu ihrer linken Seite. Die SIG Sauer im Schulterholster machte ihn sichtlich nervös.
„Ich … ähm … ich hab’s nicht.“
Er räusperte sich verlegen und blickte sie mit großen Hundeaugen an. Da sie mit dieser Antwort gerechnet hatte, war sie vorbereitet. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und ließ ihn ihre Fänge sehen.
Richi sprang auf und verlor das Gleichgewicht, weil er noch immer an den Stuhl gebunden war. Er wollte fliehen, stolperte aber über seine Füße und fiel mit der Nase voran auf den Betonboden. Ein ekelerregendes Knacken war zu hören und in der gleichen Sekunde keuchte Richi auf. Blut lief in Strömen aus seiner Nase und versaute sein weißes Designer-Seidenhemd.
Ein Brennen erfüllte Blues Kehle und verursachte einen Tunnelblick. Sie hasste diese Reaktion ihres Körpers: Blutdurst. Doch sie war selbst schuld daran. Sie wartete immer zu lange, bevor sie Blut zu sich nahm. Ein durchschnittlicher Vampir trank alle ein bis zwei Wochen Blut. Je nach Gesundheit und Belastung. Sie zog es vor, die Zeit dazwischen zu vervierfachen. Der Gedanke Blut zu trinken, verursachte ihr auch nach all den Jahren noch immer Übelkeit.
Als sie Richis Blut roch, schoben sich ihre Fänge schmerzhaft pochend aus ihrem Oberkiefer und ihre Zunge leckte unwillkürlich über die Lippen. Geschockt drehte sie sich kurz weg, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Voller Wut auf Richi und erfüllt von Selbsthass knurrte sie den Security-Mann an, er solle Richi auf die Beine helfen und seine Fesseln lösen.
Sie griff brutal in Richis Schritt, erhöhte den Druck und blickte ihm ins Gesicht. „Fangen wir noch einmal von vorn an. Wann bezahlst du?“
Er keuchte, wand sich und wimmerte. Wie erbärmlich. Sie erhöhte den Druck erneut.
„Bitte! Aufhören! Ich werde bezahlen. Zwei Wochen, ich brauche zwei Wochen.“
Sie versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, sodass er rückwärts mitsamt Stuhl zu Boden ging. „Du hast zwei Tage. Keine Minute länger. Und damit du dir die Konsequenzen von gebrochenen Abmachungen auch vorstellen kannst, wirst du dich jetzt von deinem kleinen Finger verabschieden. Du hast von Anfang an gewusst, dass Boss sich nicht verarschen lässt und wie er mit Leuten wie dir verfährt. Ich will das nicht tun, aber ich habe keine andere Wahl. Es wird schnell gehen.“
Sie ging in die Hocke, zückte ihr Messer und schnitt ihm mit einem Ruck den kleinen Finger ab. Richi hatte sie die ganze Zeit fassungslos angestarrt. Er war unfähig, zu schreien. Obwohl sie Mühe mit ihrer Selbstbeherrschung hatte, sah sie ihn noch einen Moment eindringlich an, bevor sie sich umdrehte. Sie entschuldigte sich in Gedanken bei ihm.
„Bring ihn raus“, sagte sie heiser zum Security-Mann und an Richi gewandt: „Denk daran, du hast zwei Tage. Falls du bis dahin deine Schulden nicht bezahlt hast, wirst du für den Rest deines erbärmlichen Lebens jemanden brauchen, der dir den Hintern abwischt.“
Das Nächste, was sie hörte, war Rascheln von Kleidung und kurz darauf fiel die Tür zu. Sie schloss einen Moment die Augen. Sie hasste, was sie tat, sie hasste sich und sie hasste ihr beschissenes Leben. Aber noch mehr hasste sie den Typen, der sie damals gebissen hatte. Wenn es doch nur einen Weg gäbe aus dieser Misere, die ihr Leben war, zu fliehen.
Schließlich riss sie sich zusammen und hob, von Grauen erfüllt, Richis kleinen Finger vom Boden auf. Boss wollte immer einen klaren Beweis für die Erledigung seiner Aufträge.
Als sie mit dem Finger in einem Plastikbeutel vor seinem Büro stand, musste sie all ihren Mut aufbringen, denn sie wusste, was ihr blühte. Mit einem Knoten in der Brust klopfte sie kurz an und trat ein.
Boss saß, selbstgefällig, wie er war, hinter seinem Schreibtisch. Als er sie sah, blitzten seine Augen erfreut auf und jagten ihr kalte Schauer über den Rücken. Er stieß seinen Stuhl vom Tisch weg und lehnte sich zurück. Seine Arme verschränkte er vor seiner Brust.
„Blue“, schnurrte er, „hast du mir was Schönes mitgebracht?“
Sein breites Grinsen löste bei ihr akuten Würgereflex aus. Krampfhaft versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. Nachdem sie sich gefangen hatte, machte sie einen Schritt auf ihn zu und warf den Plastikbeutel mit dem Finger auf die Tischplatte. Boss war geradezu entzückt.
„Wie ich sehe, hast du meinen Auftrag wie üblich zufriedenstellend erledigt. Was hast du ausgehandelt?“
Bevor sie antworten konnte, musste sie sich räuspern. Ihre Stimme wollte ihr nicht gehorchen und ihr Mund war staubtrocken. „Er hat zwei Tage Galgenfrist. Als kleine Warnung kann er sich die nächste Zeit nur noch mit links einen runterholen.“
Boss schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und lachte brüllend. „Du bist fantastisch, Blue. Die Härtesten meiner Jungs können dir nicht das Wasser reichen.“
Danke für das Kompliment. Als ob sie stolz darauf sein könnte. Der Gedanke ließ sie ein verächtliches Schnauben ausstoßen.
„Was hast du? Du kannst stolz auf dich sein. Du bist ein Naturtalent im Kämpfen und hast eine wahnsinnige Überzeugungskraft.“ Er grinste verschlagen und fügte hinzu: „Wenn du verstehst, was ich meine.“
Er erhob sich und schlenderte betont gleichgültig um den Schreibtisch herum auf sie zu. Dicht, zu dicht, vor ihr blieb er stehen. Sie wusste erschreckend gut, was jetzt geschah. Er würde sie erniedrigen, seine Macht ausspielen. Seine Hand glitt von ihrem Kinn nach hinten zum Ohr und dann langsam am Hals entlang zu ihrem Schlüsselbein. Angewidert drehte sie den Kopf auf die andere Seite, von ihm weg. Er drückte unterdessen seinen massigen Körper gegen ihren und legte seine Lippen auf die weiche Haut oberhalb ihres Schlüsselbeines. Gleich würde es passieren. Gleich würde er seine Fänge in ihr Fleisch bohren.
Vampire tranken voneinander aus zweierlei Gründen. Zum Ersten bei schweren Verletzungen, um die Heilung zu beschleunigen, denn Menschenblut ernährte sie zwar, war aber schwach und für solche Zwecke nicht dienlich. Klar könnten sie sich auch voneinander nähren, aber das hatte etwas von Kannibalismus.
Zum Zweiten bissen sie einander beim Sex. Es gehörte zur Leidenschaft dazu, hatte sie sich sagen lassen. Da Boss nun aber offensichtlich nicht verletzt war, biss er sie aus dem zweiten Grund. Er tat es immer in solchen Situationen. Es machte ihn scharf, wenn sie auf seinen Befehl hin andere Menschen oder Vampire verletzte oder gar tötete. Er nahm es sich immer von ihr und sie hatte nicht den Mut, sich ihm zu widersetzen. Hätte Feigheit einen anderen Namen, würde sie Blue heißen. Für ihn ging es um nichts anderes als um Machtdemonstration und Erniedrigung.
Sie schloss die Augen und hoffte, dass er es schnell hinter sich bringen würde. Der Schmerz des Bisses war kurz und scharf. Sein Keuchen zu hören und seinen Atem auf ihrer Haut zu spüren, war schrecklich. Schließlich ließ er von ihrem Hals ab und sah sie aus schmalen Augen an.
„Dein Blut ist dünn. Du verweigerst dir immer noch das regelmäßige Trinken.“
„Es ist mein Blut! Verdammt! Ich trinke, wann ich es für nötig halte.“
Boss zuckte lediglich mit den Schultern und machte sich weiter an ihr zu schaffen. Sie schauderte.
„Blue, wir haben ein Problem“, ertönte Toms Stimme in dem Mini-Kopfhörer in ihrem Ohr.
Sie hielt inne und auch Boss, mit seinem Vampirgehör, hatte es vernommen. Sie drückte auf den Knopf für das Mikrofon und atmete erleichtert durch. „Was gibt’s?“
„So ein Penner von Freier macht Tamtam wegen einem der Mädchen.“
Sie seufzte. Das Glück schien ihr hold und bot ihr eine Fluchtmöglichkeit. „Bin gleich da.“
Boss stand immer noch vor ihr, seine Fänge ausgefahren. Er schien verärgert, doch er wusste, dass Ruhe und Frieden im Club essenziell waren.
„Los, geh. Das hier können wir später erledigen.“ Er knurrte regelrecht, wischte sich aber den Mund ab.
Sie konnte es nicht vermeiden, tief durchzuatmen. Fluchtartig verließ sie Boss’ Büro und nahm noch einmal Kontakt mit Tom auf. „Tom, wo bist du?“ Es knisterte in der Leitung.
„Keine Eile, Blue. Es ist nichts los.“
Nun verstand sie nichts mehr. Eben noch ein Notfall und jetzt … „Was soll das heißen? Was ist mit diesem Freier, der gerade eben noch Terror gemacht hat?“
„Den gibt’s nicht.“
Sie erschrak sich beinahe zu Tode, denn Tom stand direkt hinter ihr. Seine Augen blickten besorgt auf sie herab. Obwohl sie eins achtzig groß war, überragte er sie um mindestens einen halben Kopf. Er nahm sie am Ellbogen und führte sie an die Bar. Als sie nichts entgegnete, sprach er weiter.
„Ich habe dir lediglich eine Fluchtmöglichkeit besorgt. Das ist alles. Ich weiß doch, was dir Boss immer antut, wenn du bei ihm im Büro bist.“
Sie konnte fühlen, wie sie ihren Kopf einzog. Tief zwischen die Schultern. „Danke“, flüsterte sie.
Tom klopfte ihr kumpelhaft auf die Schulter. Dann wurden seine Augen schmal und er schob ihre Haare zur Seite. „Du blutest“, stellte er trocken fest.
Sie nickte und versuchte, das aufkeimende Gefühl von Boss’ Zähnen in ihrer Haut zu verdrängen. Aus einem unerfindlichen Grund schämte sie sich.
„Ich bin zwar kein Experte in vampirischer Physiologie, aber sollte das nicht längst zu sein?“
„Ja, sollte es.“
„Und warum blutet es dann noch? Du trinkst nicht regelmäßig, stimmt’s?“
„Jetzt fängst du auch noch an! Verdammt, du solltest noch nicht einmal davon wissen. Also gib mir keine Ratschläge, okay?“
Er zuckte zusammen und schwieg.
Sie bestellte einen Tequila und labte sich am schlechten Gewissen. Tom hatte es nur gut gemeint. Sie fühlte seinen prüfenden Blick und atmete durch. „Sorry, Tom. Es war nicht so gemeint. Ich bin einfach ein wenig empfindlich, was diese ganze Bluttrinkerei betrifft.“ Mit Schwung schüttete sie den Tequila hinunter und knallte das Glas auf die Theke. Mit erhobenem Finger bestellte sie gleich noch einen.
„Blue, du wirst sterben, wenn du nicht regelmäßig trinkst.“
Sie konnte auf diese Bemerkung nur mit den Schultern zucken. Seine Hand landete wieder auf ihrer Schulter und zwang sie, ihn anzusehen.
„Heißt das, du willst sterben? Aber warum?“ Seine Augen waren so grün, dass sie fast leuchteten.
Warum fiel ihr das gerade jetzt auf? „Ich hasse dieses Leben, diese Existenz. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Alles, was ich mir wünsche, ist wieder Mensch zu sein. Mit allen Krankheiten, dem Altern und der körperlichen Schwäche. Und ich hasse diese kranke Abhängigkeit von Boss.“
Inzwischen war auch der zweite Tequila durch ihre Kehle gesickert.
„Aber warum suchst du dir dann nicht einen anderen Job? Weg vom Milieu. Etwas Gutbürgerliches?“
„Und was bitte sollte das sein? Du weißt verdammt gut, dass ich in der Menschenwelt nicht Fuß fassen kann, und abgesehen davon wird mich Boss nicht lebend gehen lassen. Das ist ja wohl total klar.“ Resigniert ließ sie die Schultern fallen und bemerkte in ihrem Selbstmitleid am Rande, wie Tom etwas mit der Barfrau besprach. Dann sah er sie an.
„Was hat Boss gegen dich in der Hand, dass du dir das gefallen lässt? Du scheinst mir nicht der Typ zu sein, der so leicht unterzukriegen ist.“
Seine Frage überraschte sie ein wenig und sie überlegte, ob sie überhaupt bereit war, zu antworten. „Boss setzt mich unter Druck. Wenn ich ihm nicht gebe oder tue, was er verlangt, verstößt er mich aus der Vampirgesellschaft. Das ist mit der Vogelfreiheit zu vergleichen und die Versorgung mit Blutkonserven ist dann auch nicht mehr so einfach.“
Tom runzelte die Stirn, beschloss aber wohl, nicht weiter nachzufragen.
Im Club verkehrten Menschen und Vampire. Wobei sich die Menschen der Existenz der Letzteren nicht bewusst waren. Die Vampire bekamen artgerechte Verpflegung. Drogen, Huren, menschliche und vampirische, und Blut.
Erst als ein schwarzes blickdichtes Glas vor ihrer Nase auftauchte, begriff sie, was Tom getan hatte. Er hatte um Blut für sie gebeten. Igitt! Wieder begann ihre Kehle zu brennen und die Reißzähne schossen buchstäblich in ihre Mundhöhle.
„Los, trink das.“
Er duldete keine Widerrede. Doch es war undenkbar, das Zeug in seiner Gegenwart zu schlucken. Sie hatte schon Mühe damit, es allein zu tun. „Ich kann nicht. Es ist einfach zu widerlich.“ Sie kam sich weinerlich vor.
Tom drückte ihr das Glas in die Hand. „Halte dir die Nase zu oder was auch immer. Aber das Zeug wirst du zu dir nehmen. Oder willst du, dass ich es dir gewaltsam einflöße?“
Sie drehte das Glas in ihrer Hand. Es war warm. Vampire tranken Konservenblut immer leicht temperiert. Kaltes Blut war noch ekelhafter. Falls das überhaupt möglich war. Seufzend setzte sie es an die Lippen und trank. Sie konnte spüren, wie ihr Körper sich danach verzehrte. Er war ausgehungert. Während der ganzen Zeit strich Toms Hand über ihren Rücken und löste ein Kribbeln in ihrem Inneren aus. Was war nur mit ihr los? Drehte sie langsam durch? Und seit wann ließ sie sich von einem Menschen herumkommandieren? Was war das nur mit ihm?
Als sie das Glas mit verzogenem Gesicht abstellen wollte, sah sie, dass er bereits eine zweite Runde bestellt hatte. Sie sah ihn flehend an und dachte, er möge sie bitte verschonen. Er schien ihre Gedanken zu lesen.
„Ich weiß zwar nicht, wie viel ihr normalerweise trinkt, aber ein Glas scheint mir in deinem ausgehungerten Zustand nicht genug.“
„Warum tust du mir das an? Du quälst mich.“
Er lächelte und drückte ihr das zweite Glas in die Hand. „Ich bin dein Freund, und Freunde sind füreinander da. Auch wenn’s manchmal nervt.“
Nach der zweiten Ladung fühlte sie sich tatsächlich besser. Wärmer. Die klamme Kälte, die sie ausgefüllt hatte, war verschwunden.
„Und überhaupt. Du hast heute frei.“
Sie räusperte sich. „Du hast recht, deshalb werde ich jetzt gehen. Ich wollte sowieso noch trainieren.“ Während sie aufstand, musterte er sie vom Haaransatz bis zum kleinen Zeh.
Tom blickte sie mit aufeinandergepressten Lippen an. Dann schüttelte er den Kopf und stand ebenfalls auf. Er vergrub die Hände tief in den Taschen seiner Vintage-Jeans und wirkte verlegen.
„Ich wollte dich fragen, ob du noch einen Trainingspartner brauchen könntest. In zwei Stunden wäre ich hier fertig.“
Eigentlich war ihr die Einsamkeit während des Trainings wichtig. Nur so konnte sie ihre Gedanken ordnen und zur Ruhe kommen. Aber andererseits war es vielleicht an der Zeit, einen Freund in ihr Leben zu lassen. Sie war schon zu lange einsam und hielt alle auf Distanz. Und sie konnte noch nie jemandem eine Bitte abschlagen. Vor allem nicht, wenn sie in solch einer attraktiven Verpackung daherkam. Mensch oder nicht. Sie rückte ihren Mantel zurecht und blickte Tom in die grünen Augen.
„Okay, wenn du glaubst, mit mir mithalten zu können, komm nach deiner Schicht zu mir ins Appartement. Du weißt ja, wo ich wohne.“ Dann drehte sie sich mit einem Grinsen um und ging davon. Sie versuchte, das nervöse Flattern in der Nähe ihres Herzens zu ignorieren.
Blue hatte den Club durch den Hinterausgang verlassen und öffnete die Autotür des Camaros, als Boss nach draußen kam. Zuerst drängte sich ihr der Gedanke auf, einfach davonzufahren. Was allerdings keine prickelnde Idee war. Er würde nicht erfreut sein. Niemand widersetzte sich ihm. Als er sie entdeckt hatte, kam er schnellen Schrittes auf sie zu. Hätte sie ihn nicht auf andere Art gekannt, hätte er Eindruck auf sie gemacht. Er war ein Riese, muskelbepackt und mit einer Ausstrahlung, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Definitiv ein Mann, der seine Sippe um jeden Preis beschützen würde. Aber leider hatte er mit seinem Verhalten ihr gegenüber alles kaputtgemacht. Sie konnte ihn nur verachten. Um ihren Unmut zu verbergen, lehnte sie sich gelassen an ihren Wagen.
Boss blieb dicht vor ihr stehen. Seine Augen funkelten sie durch die Dunkelheit an. „Du gehst schon? Ich dachte, wir hätten noch eine Verabredung.“
Ihr Herz kam ins Stocken. Er wusste immer, wann sie das Haus verließ. „Ich fühle mich nicht gut und heute ist mein freier Tag. Warum nimmst du nicht eins der Mädchen? Sie stehen dir liebend gern zur Verfügung.“
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ich glaube, du vergisst, wen du vor dir hast. Dank mir bist du nicht tot oder in den Händen der Outlaws. Ich denke, ein solch kleiner Dienst hin und wieder ist nicht zu viel verlangt. Und jetzt komm, ich will nicht länger warten.“
Innerlich fluchend verschloss sie das Auto und folgte ihm zurück in den Club, vorbei an den Huren. Sie fühlte sich plötzlich wie eine von ihnen. Nur dass die wenigstens dafür bezahlt wurden und es ihr Job war.
Vorbei an Tanzenden mit verschwitzten Leibern, vorbei an der Bar in Richtung der Privaträume. Sie sah Tom an einer der Säulen stehen. Als er sie entdeckte, bekam er einen besorgten Gesichtsausdruck und wollte ihnen folgen. Mit einem kurzen Kopfschütteln gebot sie ihm Einhalt. Sie wollte nicht, dass er auch nur im Geringsten etwas davon mitbekam, was sich gleich abspielen würde.
Als sich die Bürotür hinter ihnen schloss, hatte sie das Gefühl Regenwürmer im Magen zu haben.
Boss öffnete sein Hemd. „Zieh den Mantel aus.“
Der Lift nach oben in Blues Wohnung war definitiv zu langsam. Sie verspürte den unendlichen Drang, sich sofort die Kleider vom Leib zu reißen, sie zu verbrennen und danach ein Tauchbad in Desinfektionsmittel zu nehmen. Die ‚Sitzung’ bei Boss war kurz, aber heftig gewesen und sie hatte sicher blaue Flecken davongetragen. Boss hatte einen festen Griff und er liebte es, seine Kraft auszuspielen.
Nachdem sie das Badezimmer in eine Dampfsauna verwandelt hatte, stieg sie aus der Duschkabine, flocht sich ihre Haare zu einem Zopf und zog eine Trainingshose, einen Sport-BH und ein enges Tank Top an. Alles in Schwarz. Der Trainingsraum war ihre Oase. Mit den vielen verschiedenen Hanteln, Kraftgeräten, dem Sandsack, einem Laufband und einem Spinning-Bike. Der Boden war mit blauen Turnmatten ausgelegt und an der Wand stand eine Hi-Fi-Anlage. In jeder Ecke hingen Lautsprecher. Heute Nacht beschallten sie den Raum mit harten Technobeats.
Zuerst absolvierte sie ein paar Kilometer auf dem Laufband. Danach bearbeitete sie den Sandsack hart. Mit blanken Fäusten, Fuß- und Kniekicks. Angeheizt von der Musik und dem Frust hämmerte sie immer weiter, bis die Türklingel sie aus einem tranceartigen Zustand holte.
Tom. Den hatte sie in ihrem Elend total vergessen. Beim Verlassen ihrer persönlichen Folterkammer griff sie sich ein Handtuch aus dem Regal und schickte Tom den Fahrstuhl nach unten. In der Zwischenzeit wischte sie sich den Schweiß ab. Dabei bemerkte sie, dass die Bisswunden, die sie an diesem Tag davongetragen hatte, zwar geschlossen, aber immer noch empfindlich waren. Boss hatte sich wirklich Mühe gegeben. Seine Zahnabdrücke befanden sich an ihrem Hals, an der Innenseite des linken Oberarmes, an beiden Handgelenken und in der Leistengegend.
Mit einem leisen Dring meldete der Aufzug seine Ankunft. Die Tür glitt zur Seite und Tom kam zum Vorschein. Seine Füße steckten in schweren Biker-Stiefeln, die Jeans hing ihm auf den Hüften und eine lederne Motorradjacke betonte seine breiten Schultern. In den Händen trug er Helm und Sporttasche. Blue schluckte hart.
Er blickte sie prüfend an. Zwischen seinen Augen hatte sich eine Sorgenfalte gebildet. „Hey“, sagte er mit skeptischem Unterton.
„Hey. Komm rein.“ Dann trat sie beiseite und ließ ihn eintreten. Wieder begann dieses Flattern in der Brust, von dem sie nicht wusste, was sie damit anfangen sollte. Sie kannten sich schon zwei Jahre und anfangs hatte sie Tom kaum beachtet. Er war nur ein neuer Mitarbeiter gewesen. Doch dann hatte er sich heimlich in ihr Herz geschlichen und jetzt wusste sie nicht, wie sie mit diesen Gefühlen umgehen sollte.
Er war zuverlässig und hatte ihr schon öfter Rückendeckung gegeben. Er war nicht nur Türsteher, sondern wie sie für die Sicherheit aller Angestellten verantwortlich. Deshalb war er in Selbstverteidigung und Waffengebrauch ausgebildet worden. Er hatte gelernt, Krisensituationen zu erkennen und zu entschärfen, bevor sie eskalierten.
Seit er im Club arbeitete, war er zunehmend zu einer Konstante in Blues Leben geworden. Tom war immer da. Ob sie nun Hilfe bei der Arbeit benötigte oder nur für ein nettes Wort, eine sanfte Berührung. Alles Mangelware im Milieu.
Er ging weiter und sah sich um. „Eine schöne Wohnung hast du. Die Aussicht ist fantastisch.“
Sie musste schmunzeln. Immer, wenn er so ungezwungen mit ihr sprach, schlich sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
„Danke. Wo hast du deine Hayabusa abgestellt?“
„Auf dem Gästeparkplatz in der Parkgarage. Warum?“
Sie nahm ihm Helm und Jacke ab und legte beides in die Garderobe. „Alles, was hier nicht niet- und nagelfest ist, kriegt Beine. Aber in der Garage ist sie sicher.“
Tom liebte seine weißgraue 197-PS-Maschine heiß und innig. Und es ließ sich kaum leugnen, dass er mächtig sexy aussah auf dem Bike. Verunsichert fuhr sie sich über ihre geflochtenen Haare. Tom holte zischend Luft und nahm vorsichtig ihre Hand. Er drehte sie, bis er die Bisswunde am Handgelenk und am Oberarm anschauen konnte.
„Verdammtes Arschloch. Wie geht es dir?“
Sie entzog ihm den Arm und sah ihm in die Augen. „Es geht mir gut. Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Das ist nicht deine Angelegenheit.“
Ein Schatten glitt über seinen grünen Blick, dann strich er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Ein Kribbeln erfüllte wieder ihren Körper. Das ging zu weit, das würde nur kompliziert werden. Definitiv.
„Tom, bist du hier, um zu trainieren oder mich ins Bett zu zerren?“
Langsam ließ er die Hand sinken und setzte ein verdammt scharfes, schiefes Lächeln auf. Ohne seinen Blick zu senken, glitt seine Hand auf ihren Rücken und strich sanft tiefer. Jeder Zentimeter war ein stummes Versprechen. „Beides, Süße, erst das eine und danach das andere.“
Sie musste ihren Lungen befehlen, sich mit Luft zu füllen und wahrscheinlich sah sie dabei ziemlich dämlich aus. Tom lachte.
„Man kann dich also doch in Verlegenheit bringen. Sonst gibst du immer die ganz Harte.“
Sie gab ihm einen Stoß gegen die Schulter und zeigte ihm das Gästezimmer, wo er sich umziehen konnte. Bevor er die Tür öffnete, warf er ihr einen verschmitzten Blick über die Schulter zu.
„Rot steht dir gut.“
Es dauerte einen Augenblick, bis sie kapierte, dass er ihre Gesichtsfarbe meinte. Sie warf ihr Handtuch nach ihm. Er duckte sich lachend und verschwand in dem Raum.
Als Tom sich umgezogen hatte, erschien er in der Tür zum Trainingsraum. Er trug eine schwarze weite Trainingshose und ein graues ärmelloses Shirt. Das Handtuch, das sie nach ihm geworfen hatte, lag auf seiner Schulter. Sie war bereits wieder mit dem Sandsack beschäftigt.
„Sag mal, wie bezahlst du das alles hier? Boss bezahlt gut, aber so gut nun auch wieder nicht.“
Blue rieb sich die schmerzenden Fingerknöchel. Sie wusste nicht, wie viel sie ihm erzählen durfte und konnte. „Manchmal erledige ich Sonderaufträge, die ihn bedeutend mehr als einen Monatslohn kosten.“
Tom hob eine Augenbraue und kam auf sie zu. Er stellte sich hinter den Sandsack und fixierte ihn. Sie verstand, was er wollte und schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, ich hab den für heute genug zu Brei geschlagen. Lass uns zum Eisen übergehen.“
Sie nahm eine zehn Kilo Hantel und begann, ihren Bizeps zu foltern. Tom schnappte sich die zweite und machte es ihr nach. Leicht verwirrt sah er ihr einen Moment zu, als glaubte er nicht, was er sah, denn er hatte deutlich Mühe mit dem Gewicht.
„Was für Sonderaufträge? Solche wie heute Nacht mit Richi? Oder meinst du mehr die Aktivitäten danach?“
Ihr fiel beinahe das Eisen aus der Hand. „Was hältst du von mir? Ich bin keine Hure, verdammt noch mal!“ Im Ärger waren ihre Reißzähne tief in die Mundhöhle geschossen. Unbewusst hatte sie die Zähne gefletscht. Erst als Tom entsetzt einen Sprung nach hinten machte, besann sie sich.
„Sorry. Ich wollte dich nicht anpissen.“
Er zuckte mit den Schultern, setzte sich wieder und führte sein Training fort. „Ist schon okay. Eigentlich finde ich es beeindruckend, wenn du so wild bist. Aber ich sollte mich entschuldigen, denn ich wollte dich nicht beleidigen. Ich bin nur neugierig.“
Die Hantel wanderte von ihrer rechten zur linken Hand. „Aufträge wie heute gehören zu meiner Stellenbeschreibung, wenn man es so ausdrücken kann.“
Eine Weile sagte keiner ein Wort. In der Zwischenzeit hatten sie vom Bizeps-Training zum Bankdrücken gewechselt und beluden die Stange mit Gewichtsscheiben. Tom legte sich zuerst auf die Bank und sie assistierte ihm.
„Wenn also Boss’ Befriedigung und Richis Gesichtsremodellierung nicht zu deinen Sonderleistungen gehören, was ist es dann? Putzt du ihm das Klo oder bringst du Leute für ihn um?“
Er hatte es als Scherz gemeint, ihr verknotete sich jedoch der Magen. Sie war unfähig, zu antworten. Tom konnte eine totale Nervensäge sein.
Erst sah er sie kopfüber an, runzelte die Stirn und setzte sich danach ruckartig auf. „Scheiße“, brummte er, „sag mir, dass du ihm das Klo putzt und nicht Menschen in seinem Namen ermordest.“
Sie konnte immer noch nicht antworten und drehte den Kopf weg.
„Scheiße, Blue, rede mit mir!“
Sie drehte sich um und ging. Sie fühlte sich schmutzig, verdorben und minderwertig. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, jemanden auch nur andeutungsweise in ihr Leben zu lassen? Im Wohnzimmer stieß sie die Terrassentür auf und trat hinaus. Die Novemberkälte biss im Gesicht und auf den nackten Armen. Innerhalb weniger Minuten zitterte sie am ganzen Körper, aber das half, einen klaren Kopf zu bekommen.
Tom war ihr gefolgt und stand hinter ihr. Sie konnte seinen Herzschlag hören und seinen Atem fühlen. „Ich bin nicht stolz auf die Dinge, die ich tue. Aber was bleibt mir anderes übrig?“ Sie hatte geflüstert, um zu verbergen, dass ihre Stimme nicht hielt. Wieso hatte sie auf einmal das Gefühl, sich vor Tom rechtfertigen zu müssen?
Er trat neben sie. „Vielleicht hast du recht. Boss ist schonungslos. Es ist nur schwer vorstellbar, dass du zu so etwas fähig bist.“
Hätte er ihr mit der Faust in den Magen geschlagen, wäre es nicht schmerzhafter gewesen. „Ich war nicht immer so. Und glaub mir, mit jedem Mord, den ich begehe, stirbt ein Teil von mir mit.“
Tom trat noch näher, legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie fest an sich. Ob er sich im Klaren war, dass sie ihm den Arm mit einer einzigen schnellen Bewegung brechen konnte? Aber es tat gut, die Nähe eines anderen zu fühlen. Seit ihrer Verseuchung mit Vampirspeichel hatte sie niemanden mehr an sich herangelassen.
Tom führte sie wieder in die Wohnung. „Was ist eigentlich mit dir passiert? Du bist ganz deutlich nicht freiwillig in die Vampirliga aufgestiegen.“
Sie löste sich von ihm und ging in die Küche. Er folgte ihr wie ein Schatten.
„Bier?“, fragte sie aus dem geöffneten Kühlschrank heraus.
„Gern.“
Sie stellte die zwei Flaschen auf die Arbeitsfläche und öffnete sie. Tom wartete geduldig auf ihre Antwort, lässig an die Küchenkombination gelehnt. Er passte gut in die in Chrom und Schwarz gehaltene Küche.
„Mit oder ohne Glas?“, fragte sie.
„Ohne.“
„Vor diesem One-Way-Ticket ins Grauen war ich ganz normal. Eher unscheinbar und ich hatte gerade mein Studium in Biochemie abgeschlossen. An jenem Abend hatte ich mich mit Freunden verabredet und auf dem Weg dorthin wurde ich überfallen. Was genau passiert ist, weiß ich nicht mehr. Boss hat mich damals gefunden und unter seine Fittiche genommen. Den Rest kennst du.“
Tom trat auf sie zu. Er musterte sie eingehend. „Du warst eine Laborratte?“
Sie konnte nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken. „So kann man es nennen. Ich gehörte zu den Besten meines Jahrgangs.“ Der Gedanke an die Zeit verursachte ihr Stiche im Herz. Sie sehnte sich nach dieser unscheinbaren Normalität.
Tom leerte den Rest der Flasche und stellte sie neben die Spüle. Seine Rückansicht war … wahnsinnig. V-förmig, muskulös und ein kleiner runder Knackarsch krönte das Ganze. Sie fühlte, wie sich ihre Triebe an die Oberfläche wühlen wollten, was vollkommen inakzeptabel war. Um sich abzukühlen, nahm sie einen großen Schluck Bier und verschluckte sich prompt.
Tom grinste breit und klopfte ihr kräftig auf den Rücken. Als sich der Husten gelegt hatte, wurde er wieder ernst und sie spürte seine nächste Frage kommen.
„Wer hat dir das alles beigebracht?“
„Mir was beigebracht?“
„Das Kämpfen, den Umgang mit Waffen und das alles.“
„Das ist das Merkwürdigste überhaupt. Das Wissen war einfach da. Als ob ich es mir über Jahrzehnte angeeignet hätte. Dabei hatte ich vor diesem Leben hier keine Ahnung von solchen Dingen.“ Ohne dass sie es bemerkt hatte, war Tom nähergekommen. Er machte sie nervös. Die Wärme, die er ausstrahlte, drang bis in ihr Herz. Sie hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können und ihre Hände zitterten. Es war ihr Wunsch, in diesem Augenblick verharren zu können. Sie wollte ihn auskosten, obwohl sie sich fürchtete. Was war, wenn sie seine Signale falsch deutete? Er hatte gesagt, sie wären Freunde. Weshalb hatte sie nicht die Gabe des Gedankenlesens bekommen? Ihr Blick wanderte von seiner Stirn über seine grünen Augen zu seinen vollen Lippen. Wie es sich wohl anfühlte, diese Lippen zu küssen? Was dachte sie hier bloß?
Sie setzte ihre Musterung fort und konnte seinen Pulsschlag unter der zarten Haut seines Halses erkennen. Ihre Fänge begannen sofort, zu kribbeln. Sie hatte noch nie zuvor das Verlangen verspürt, einen Menschen aus purem Genuss zu beißen. Ihr Blick glitt über seine breite, gut ausgebildete Brust. Durch ihre Nähe zu ihm drang sein unverkennbarer Duft in ihre Nase. Eine verführerische Mischung aus Nadelholz und Moschus. Ein drängendes Brennen breitete sich in ihrer Mitte aus und schien sie zu versengen.
Auch seine Atmung ging nun schneller und sie hoffte, dass er sie berühren würde. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, legte er ihr eine Hand in den Nacken und strich mit dem Daumen über ihren Unterkiefer. Sie schloss die Augen und genoss die Berührung.
Plötzlich überkam Blue Panik. Was taten sie hier? Tom war ein Mensch und sie so unerfahren wie die Jungfrau Maria. Vorsichtig schob sie ihn von sich. Sie wollte ihn nicht beleidigen. Er richtete sich auf und sah sie an.
„Was ist?“
Blue schob sich an ihm vorbei. „Nichts. Ich bin müde.“
„Lahme Ausrede“, sagte er ruhig.
„Richtig. Ich will dich nicht verletzen.“
Er trat wieder näher und sah sie forschend an. „Sag’s mir, ich kann’s verkraften. Vertrau mir, Süße.“
Süße? „Du bist ein Mensch und ich hab nicht viel Ahnung von solchen Dingen. Ich brauche Zeit.“
Er atmete aus. „Dann werde ich wohl besser gehen.“ Doch bevor er sich abwandte, zog er sie in seine Arme.
Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und atmete noch einmal seinen Geruch tief ein.
Während er sich im Gästezimmer umzog, ging sie zurück in den Trainingsraum und schaltete die dröhnende Musik aus.
Kurz darauf standen sie vor dem Fahrstuhl. Seine Hand ruhte auf ihrem Oberarm und ließ feurige Hitze durch Blues Körper rasen.
„Darf ich morgen wiederkommen und mit dir das Training beenden?“
Seine tiefe Stimme brachte eine Saite in ihrer Seele zum Schwingen und sie nickte stumm. Was tat er nur mit ihr?
Nachdem er gegangen war, stieg sie erneut unter die Dusche. Zum dritten Mal in dieser Nacht. Es dämmerte draußen bereits.
Mit geröteter Haut und nassen Haaren stieg sie ins Bett. Diese Nacht war schrecklich gewesen und zugleich schön. Nur nicht in der Kombination, im Sinne von schrecklich schön. Den ersten Teil der Nacht wollte sie um jeden Preis vergessen, den zweiten nicht. Als sie das Licht gelöscht und die Fensterläden mit der Fernbedienung geschlossen hatte, war das Letzte, was sie vor sich sah, Toms grüne Augen, und sie genoss das Flattern in der Nähe ihres Herzens.
Wieder einmal holte das Handy Blue in die Realität zurück. Dieses Mal aus dem Tiefschlaf.
„Ja“, bellte sie in das Smartphone. Gleichzeitig schaute sie auf den Wecker. Es war zehn Uhr. Sie hatte gerade mal drei Stunden geschlafen.
„Was, bist du auch gut aufgelegt?“, erklang die heisere Stimme belustigt am anderen Ende.
„Was willst du, Boss?“ Sie war seiner Sprüche so überdrüssig.
„Heute Nacht findet eine Transaktion mit den Kolumbianern statt. Du wirst dieses Geschäft abwickeln.“
Mit einem Seufzen setzte sie sich im Bett auf und raufte sich mit der freien Hand die Haare. „Drei Fragen: Wann? Wo? Und warum machst du diesen Scheiß nicht selbst?“
Boss lachte gekünstelt. „Drei Antworten: Um null Uhr, am üblichen Autobahn-Rastplatz und ich hab schon etwas anderes zu tun. Ein neues Mädchen stellt sich heute vor. Im Übrigen, dank diesem Scheiß bekommst du deinen Lohn, verstanden? Das sollte genug Motivation sein.“
… und klick, weg war er.
Nun war definitiv nicht mehr an Schlaf zu denken. Blue rollte sich aus dem Bett und machte sich auf zur Küche. Sie brauchte einen Kaffee.
Der Abend hatte gemächlich begonnen, was allerdings logisch war. Der große Tumult brach meist erst Donnerstag oder Freitag los. Anfang der Woche war es ruhig.
Tom hatte seinen freien Tag und David schob heute Dienst an der Tür. Mit einem Nicken öffnete er ihr. Blue verspürte einen kurzen Stich im Herzen, weil Tom nicht da war. Sie hatte ihn bisher nie bewusst vermisst, wenn er seinen freien Tag hatte. Aber nach vergangener Nacht konnte sie sich nichts mehr vormachen. Er war ihr wichtig.
Ihre erste Tat war die Kontrolle der Toiletten und die Überprüfung der Vorräte hinter der Bar. Danach ging sie zu den Mädchen. Lucinda, die Chefin, zog sich gerade um. Sie war feingliedrig mit endlos langen Beinen und hatte das Gesicht eines Engels. Mit ihren langen blonden Haaren hätte sie durchaus als Topmodel durchgehen können. Allein ihre Augen zeugten von den Dingen, die sie in ihrem Leben bereits erlebt hatte. Die anderen fünf Professionellen trudelten nacheinander ein und bereiteten sich auf ihre Schicht vor.
„Hi, Lucy.“
Die Vampirin lächelte Blue freundlich an. „Guten Abend, Blue. Wie geht es dir?“
Blue wurde das Herz leicht. Wahrscheinlich war Lucy das, was einer Freundin nahekam. Die Einzige, der sie sich anvertrauen würde, sollte sie es brauchen. „Gut, danke. Ist bei euch alles im grünen Bereich?“
Sie nickte. „Wir haben, was wir brauchen. Andernfalls hörst du von uns.“
Nachdem Blue sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging sie zu Boss.
Er saß wie üblich hinter seinem Schreibtisch und schob Papierstapel von links nach rechts. Sein Büro war schlicht eingerichtet. Ein Schreibtisch, zwei Stühle davor, ein Bürostuhl dahinter, zwei Aktenschränke, Laptop mit Drucker und, was nur er und Blue wussten, einen hinter der Wandtäfelung versteckten Safe.
Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sah sie, dass neben dem Schreibtisch zwei Sporttaschen auf dem Boden standen. Neutral, schwarz, mit Reißverschluss.
Boss schaute zu ihr hoch, legte den Stift beiseite und grinste sie verschlagen an. Seine spitzen Fänge blitzten hinter seinen Lippen hervor und verursachten ihr wie immer eine Gänsehaut. Wie oft hatte er sie in ihre Haut geschlagen? Und nicht nur in ihre. Sie wagte es, ihm in die Augen zu schauen und zuckte kurz zusammen. Dieser Ausdruck erinnerte sie an jemanden. Sie kam nicht drauf. Er bemerkte ihren Blick und hob die Augenbrauen.
„Was ist?“
„Nichts. Was hast du für mich?“
Boss stand auf, rückte das Jackett seines Hugo Boss-Anzugs zurecht und kam um den Tisch herum. „Du hast Angst vor mir, stimmt’s?“
Sie zuckte mit den Schultern. Was sollte sie denn sonst tun? Sie konnte ihre Gefühle für ihn kaum in Worte fassen. Einerseits hasste sie ihn für das, was er von ihr verlangte. Den nicht einvernehmlichen Blutaustausch, den Tod und den Schrecken, den sie in seinem Namen verbreiten musste. Sie wollte nicht, dass man sie als gewissenloses Monster sah. Es war doch nur ihr Job, den sie erledigte und dabei hatte sie keine Wahl.
Andererseits war sie ihm unendlich dankbar, dass er für sie da gewesen war, als ihr niemand anderes helfen konnte. Irgendwie waren ihre Gefühle für ihn wie für einen Vater, weswegen es sich so falsch anfühlte, wenn er mit ihr … Nicht, dass sie jemals erfahren hatte, wie es war, einen Vater zu haben, den man lieben konnte. Sie war als Waise bei Pflegefamilien aufgewachsen. Aber Angst? Nein, Angst hatte sie keine. Sie hatte lediglich einen überlebensfördernden Respekt vor ihm.
„Du musst keine Angst vor mir haben, ich werde dir nichts tun“, sprach er weiter, „vorausgesetzt, du tust, was ich von dir erwarte.“
Wusste sie doch, dass seine Aussage einen Haken hatte. Die Worte lagen ihr auf der Zungenspitze, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen.
Dann widmete er sich den Sporttaschen. „Hier ist das Geld für das heutige Geschäft. Die Kolumbianer liefern dreißig Kilo reines Kokain. Du nimmst den Fetten Freddy mit. Er soll das Zeug testen. Ich bin nicht gewillt, bei einer Transaktion dieser Größe über den Tisch gezogen zu werden.“
Sie nickte. Dann zog Boss die Schreibtischschublade auf und warf ihr einen Autoschlüssel zu. „Du nimmst den Golf und fährst über die A3 zum üblichen Rastplatz. Dort werden sie dich in einem Audi A6 erwarten.“
Als Blue mit dem Fetten Freddy auf den Rastplatz fuhr, stand der Audi bereits da. Bevor sie ausstiegen, griff sie nach ihren Waffen und löste die Halterungen. Nur für den Fall der Fälle … Dann verließen sie den altertümlichen Golf III VR6. Vom Audi lösten sich drei dunkle Gestalten. Nach einer kurzen Musterung holte einer der drei zwei große Taschen und stellte eine davon auf die Kühlerhaube des Autos. Bisher wurden kaum drei Silben gewechselt. Als jedoch Freddy sein Köfferchen hervorholte, wurden die Kolumbianer nervös und begannen an ihren Jacken und Mänteln herumzunesteln. Instinktiv glitt Blues rechte Hand unter ihren Ledermantel an die linke Seite … zu der SIG.
„Wir werden uns jetzt alle etwas entspannen, okay?“, sagte sie in die Runde. „Der Boss will nur auf Nummer sicher gehen.“
Dadurch entschärfte sich die Lage und Freddy konnte sich mit seinem Chemie-Bausatz für Drogenlaboranten an die Arbeit machen.
Mit allen Sinnen versuchte sie, die Umgebung abzuchecken. Die Luft war kalt und roch nach Schnee. Hin und wieder raste ein Auto am Rastplatz vorbei. Nichts deutete darauf hin, dass sich Schwierigkeiten anbahnen könnten.
Freddy holte sie auf den Rastplatz zurück. „Die Ware ist in Ordnung.“
Alle stießen erleichtert die Luft aus und das Geld sowie das Kokain wechselten die Besitzer.
Freddy hatte die wertvollen Pakete in den Kofferraum ihres prähistorischen Klapper-Golfs gelegt, als ihre Gefahrsensoren Alarm schlugen. Ruckartig drehte sie sich um und sah, wie ein anderer Wagen auf den Rastplatz fuhr. Ein Hummer. Outlaws! In all den Jahren hatte sie ein besonderes Gespür für sie entwickelt. Nun war die Kacke am Dampfen. Nein, sie war geradezu am Überkochen. Blue war umgeben von Menschen, die nichts von ihrer Existenz wissen durften und im Kofferraum hatte sie Koks im Wert einer Eigentumswohnung.
„Los!“, rief Blue den Kolumbianern zu. „Ihr müsst von hier verschwinden. Sofort!“
Sie ließen sich das nicht zweimal sagen, bestiegen den Audi und rasten davon.
Blue schob Freddy hinter ihren Rücken und drängte ihn Richtung Schrott-Golf. Gleichzeitig glitt ihre rechte Hand unter die linke Mantelhälfte und griff nach der SIG Sauer. Die linke Hand hingegen schoss auf ihren Rücken und holte die andere SIG hervor, die sie in potenziell brenzligen Situationen immer dabei hatte.
Die Outlaws waren inzwischen ausgestiegen und kamen auf sie zu. Einer löste sich aus der Gruppe und bedeutete den anderen stehen zu bleiben.
Blue hasste diese Typen. Erstens waren sie lästig, zweitens war ihr Verhalten absolut inakzeptabel und drittens stanken sie abscheulich. Da sie Jagd auf Menschen machten und Frischblut bekamen, war ihre Ausdünstung viel herber als bei anderen Vampiren. Sie rochen nach wilden Raubtieren. Jeder, der einmal in einem Zoo war und das Raubkatzengehege besucht hat, wusste, wovon sie sprach.
„Blue“, schnurrte der Anführer. „Welche Ehre, dich hier zu treffen.“
Janus. Er war ihr schon öfter in die Quere gekommen. Er gehörte zur übelsten Sorte der Outlaws und war der Bruder von Igor Delcours, dem Anführer der Outlaws.