Love Letters - Virginia Woolf - E-Book

Love Letters E-Book

Virginia Woolf

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Beschreibung

»Ich habe dich vermisst. Ich vermisse dich. Ich werde dich vermissen. Und wenn du das nicht glaubst, bist du eine langohrige Eule und Eselin.« Auf einer Dinnerparty 1922 lernt die Schriftstellerin Virginia Woolf die Autorin und gefeierte Aristokratin Vita Sackville-West kennen. Es ist der Beginn einer verzehrenden Leidenschaft und einer tiefen Freundschaft, die das literarische Schaffen beider inspiriert; eine Verbindung, die der Zeit trotzt, in der beide Frauen einander finden und erfinden und die Liebe in Kopf und Herz erforschen. Erzählt in ausgewählten Briefen und Tagebucheinträgen, ist die Geschichte von Vita und Virginia Zeugnis einer großen Liebe und des außergewöhnlichen Lebens zweier auf je eigene Weise bedeutender Frauen der Moderne.

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Seitenzahl: 427

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Über dieses Buch

Vita schrieb Romane und schuf den berühmten Weißen Garten von Sissinghurst, Virginia wurde zu einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der Moderne. Erzählt in Briefen und Tagebucheinträgen, ist ihre Geschichte die einer verzehrenden Leidenschaft, einer tiefen Freundschaft und einer ungewöhnlich inspirierenden und fordernden Liebe.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Virginia Woolf (1882–1941) gilt als Englands bedeutendste Schriftstellerin der Moderne. Sie verfasste Romane, zahllose Essays und hinterließ umfangreiche Tagebücher. 1917 gründete sie mit ihrem Mann den Verlag The Hogarth Press, in dem auch Ein Zimmer für sich allein erschien. 1941 nahm sie sich das Leben.

Zur Webseite von Virginia Woolf.

Vita Sackville-West (1892–1962) schrieb zahlreiche Novellen, Romane und Theaterstücke. Sie wurde zwei Mal mit dem Hawthornden-Preis ausgezeichnet. Sackville-West pflegte eine enge Freundschaft zu Virginia Woolf, die Woolf als Inspiration für ihr Schreiben diente.

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Alison Bechdel (*1960 in Pennsylvania) studierte Kunstgeschichte, bekannt wurde sie durch ihre Comic-Serie Dykes To Watch Out For, die Graphic Novel Fun Home und den Bechdel-Test. Für ihr Werk erhielt sie u. a. den Eisner Award und den Lambda Literary Award. Sie lebt in Vermont.

Zur Webseite von Alison Bechdel.

Susanne Höbel (*1953) lebt in Südengland und arbeitet als Übersetzerin englischer und amerikanischer Literatur. Sie wurde vielfach ausgezeichnet. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören Graham Swift, Nadine Gordimer, John Updike, Nicholson Baker, Margaret Forster und William Faulkner.

Zur Webseite von Susanne Höbel.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Virginia Woolf & Vita Sackville-West

Love Letters

Herausgegeben von Alison Bechdel

Aus dem Englischen von Susanne Höbel, Maria Bosse-Sporleder, Sybill und Dirk Vanderbeke, Brigitte Walitzek und Claudia Wenner

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2021 bei Vintage Classics, Penguin Random House.

Übersetzungsnachweis am Ende des Buches.

Originaltitel: Love Letters: Vita and Virginia

© Briefe von Virginia Woolf by Quentin Bell and Angelica Garnett 1977, 1978, 1979, 1980, 1989 © Tagebuch von Virginia Woolf by Quentin Bell and Angelica Garnett 1977, 1978, 1980, 1982, 1984 © Briefe und Tagebuch von Vita Sackville-West by The Estate of Vita Sackville-West 1984, 2021

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Foto Virginia Woolf - George Charles Beresford (Shawshots, Alamy Stock Foto); Foto Vita Sackvile-West - Unbekannter Fotograf (IanDagnall Computing, Alamy Stock Foto)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31178-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 12.03.2024, 12:20h

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Inhaltsverzeichnis

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Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

LOVE LETTERS

Zu diesem Buch — »Ich habe ganz mein Herz verloren«Anmerkung der Herausgeberin1922 – Virginias Tagebuch1923 – Virginia an Vita1924 – Anfang des Jahres kam es in dem Briefwechsel …1925 – Anfang des Jahres trafen sich Vita und Virginia …1926 – Vita blieb mit ihren Kindern über Neujahr bei …1927 – Vita an Virginia1928 – Vita an Virginia1929 – Virginia an Vita1930 – Von Vitas Briefen an Virginia aus den Jahren …1931 – Obwohl aus diesem Jahr keine Briefe von Vita …1932 – Inzwischen war Vita vierzig, Virginia war fünfzig …1933 – In den ersten vier Monaten des Jahres 1933 …1934 – Aus den Jahren 1934–1936 sind nur drei Briefe …1935 – Harold zog 1935 ins Parlament ein und wurde …1936 – Virginia vollendete ihren Roman The Years, darauf folgte …1937 – Vita huldigte ihrer Mutter in Pepita  …1938 – Virginia veröffentlichte Three Guineas. Sie rechnet in diesem …1939 – Vita an Virginia1940 – Die Londoner Häuser der Woolfs wurden durch deutsche …1941 – Die letzte Begegnung zwischen Vita und Virginia fand …Übersetzungsnachweis

Anmerkungen

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»Ich habe ganz mein Herz verloren«

Vita Sackville-West an ihren Ehemann, Harold Nicolson, 1922

Diese Briefsammlung ist nicht die erste ihrer Art, besonders ist sie dennoch, vor allem, weil die ausgewählte Korrespondenz zwischen Vita Sackville-West und Virginia Woolf durch Tagebucheinträge beider und durch Briefe Vitas an ihren Mann, Harold Nicolson, ergänzt wird. So ergeben sich immer wieder Perspektivwechsel, die der außergewöhnlichen Verbindung zwischen Virginia und Vita neue und erhellende Facetten verleihen.

Die Herausgeberin Alison Bechdel, die sich hierzulande mit Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten (2008) und Das Geheimnis meiner Superkraft (2023) einen Namen gemacht hat, ging ihr Projekt der Love Letters mit einem Blick an, der sich über Jahrzehnte wiederholter Lektüre mehrfach gewandelt hat: Als junge Undergraduate-Studentin – sie hatte sich gerade als lesbian geoutet – war sie entzückt von einem Bild, das sie im Kopf hatte: wie Vita gegen Ende des Ersten Weltkriegs, einen Turban überm Haar, um als Mann durchzugehen, mit einem Liebhaber am Arm durch Paris spaziert; auch Virginia Woolf hatte Bechdel bis dato noch nicht gelesen, nur immer dieses legendäre Foto der Zwanzigjährigen an den Zimmerwänden ihrer Kommilitoninnen vor Augen gehabt – Virginias fragile Schönheit, die den Mythos einer feministischen, tragischen Heldin nährte. In ihren Zwanzigern, die Korrespondenz zwischen Woolf und Sackville-West war gerade zugänglich geworden, und Bechdel hatte einige Romane von Virginia Woolf gelesen, bewunderte sie die beseelte Energie, mit der die beiden Schriftstellerinnen ihre Freundschaft nährten; im mittleren Alter war sie vor allem beeindruckt davon, wie Virginia und Vita ihre fantastically busy lives jonglierten – das Schreiben, Familie und gesellschaftliche Verpflichtungen, öffentliche Angelegenheiten und andere Beziehungen, die zu den Ehemännern eingeschlossen – und zugleich ihre intime Verbindung aufrecht hielten und vertieften. Mit sechzig schließlich, ein Jahr älter als Virginia bei ihrem Freitod und zehn Jahre jünger als Vita, die mit siebzig an Krebs starb, fesselt Bechdel wieder ein anderer Aspekt: die vehemente Standfestigkeit, mit der diese beiden Frauen den Zumutungen des Lebens entgegentraten – Verlust, Krankheit, Desillusionierung, schmerzhafte Veränderungen.

Virginia Woolf und Vita Sackville-West hatten sich bei einem Dinner 1922 kennengelernt. Vita war dreißig und bereits eine umschwärmte Femme de Lettres, deren gesellschaftlicher Rang ihr zusätzlich Glanz verlieh, während die eminente literarische Bedeutung der zehn Jahre älteren Virginia Woolf erst langsam einem größeren Kreis bewusst wurde.

Nur wenige Tage nach dieser ersten Begegnung schrieb Vita an ihren Mann: Ich verehre Virginia Woolf einfach, und das würdest Du auch tun. Ihr Charme und ihre Persönlichkeit würden Dich glatt umwerfen … Mrs Woolf wirkt ganz schlicht, aber sie erweckt den Eindruck von etwas Großem. Sie ist völlig unaffektiert, äußerlich ohne jedes schmückende Beiwerk – ihr Bekleidungsstil ist ziemlich schauerlich. Auf den ersten Blick könnte man sie für unauffällig halten, dann vermittelt sich einem eine spirituelle Schönheit, und man beobachtet sie voller Faszination …

Virginia hingegen war zunächst weniger von Vitas Persönlichkeit als von ihren Beinen fasziniert. (Der Hinweis ist amüsant, ein Zeichen für voyeuristische Details ist er erfreulicherweise nicht.) Erst gut eineinhalb Jahre später findet sich ein Vermerk in ihrem Tagebuch, der darauf schließen lässt, wie sehr auch sie sich von Vita angezogen fühlte: Vita war den ganzen Sonntag hier, glitt in ihrem großen neuen blauen Austin durchs Dorf, den sie perfekt zu handhaben weiß. Sie trug einen gelben Ringelpullover & einen großen Hut & hatte ein Reisenecessaire voll mit Silber & Nachthemden, die in Seidenpapier gewickelt waren. (…) Mir gefällt, dass sie hochwohlgeboren ist; & sie ist es wirklich; eine vollkommene Dame, mit dem ganzen Schwung & der Beherztheit der Adeligen & weniger von deren Infantilität, als ich erwartet hatte. Sie hat die Züge einer überreifen Traube, Schnurrbart, Schmollmund, Neigung zur Korpulenz; in der Zwischenzeit schreitet sie mit ihren schönen Beinen aus, in einem gut geschnittenen Rock, & obwohl sie uns beim Frühstück in Verlegenheit brachte, ist sie von einer männlichen Vernunft & Schlichtheit, die sowohl L. als auch mir gefallen. O ja, ich mag sie; könnte sie für immer an meine Equipage heften; & glaube, falls es das Leben erlaubt, es könnte eine Art Freundschaft daraus werden.

Launig und spielerisch mutet die Beziehung zunächst an, bald aber vermitteln die hier versammelten Briefe und Tagebucheinträge den anregenden und zunehmend hingebungsvollen Charakter dieser fast zwanzig Jahre währenden Verbindung, die geprägt war von tiefer Freundschaft, flammender Leidenschaft und gegenseitiger literarischer Inspiration – mit Orlando, heute als Transgender-Kultroman gefeiert, setzte Virginia Woolf der Freundin ein Denkmal.

Virginia Woolf, geboren 1882 in London, als Tochter des Biografen und Literaten Lesley Steven, bildete bereits mit zweiundzwanzig Jahren zusammen mit ihrem Bruder Toby und zwei weiteren Geschwistern den Mittelpunkt der exklusiven, intellektuellen Künstlergruppe Bloomsbury. 1917 gründete sie mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, die Hogarth Press. Dort wurden nicht nur Virginias eigene Werke publiziert, sondern auch T. S. Eliot, Gertrud Stein, H. G. Wells sowie die Gesammelten Werke Sigmund Freuds, um nur einiges zu nennen. Virginia Woolf gilt heute als einflussreichste englische Schriftstellerin der klassischen Moderne, sie wird in einem Atemzug mit Marcel Proust und James Joyce genannt. Ikonisch wurde sie in den 70er- und 80er-Jahren allerdings durch ein Missverständnis: Die apodiktische Fraktion der Frauenbewegung instrumentalisierte Virginia Woolfs platonische Ehe (deren mutmaßlicher Hintergrund ein Missbrauch in der Jugend war) und ihre Beziehung zu Vita Sackville-West und erkor sie zur Vorkämpferin. Die Glorifizierung lesbischer Liebe, weiblicher Kreativität, die sich erst entfaltet, wenn man sich dem paternalistischen System, sprich den Männern, verweigert – ein Cocktail, den Virginia Woolf sicher nicht goutiert hätte.

Vita Sackville-West, geboren 1892 auf dem Familiensitz Schloss Knole in Kent/England, verfasste bereits mit elf Jahren ihre erste Ballade, und seither schrieb sie – Novellen, Romane und Theaterstücke, wobei ihr Leben selbst einem Roman glich. Über Jahrzehnte Virginia Woolfs intimste Vertraute, war ihre Ehe mit dem Diplomaten Harold Nicolson die »wohl ungewöhnlichste Verbindung des Jahrhunderts«, wie ihre Biografin Victoria Glendinning schreibt. Vita und Harold bedeuteten einander alles und führten ein lebhaftes, abwechslungsreiches und glückliches Familienleben. Zahlreiche Affären, meist mit Angehörigen des je eigenen Geschlechts, standen dem nicht im Weg.

Esprit, Schaffenskraft, Eifersucht, Hingabe und Schmerz prägten die wechselvolle und fordernde Liebe zwischen diesen beiden Frauen. Nicht immer blieb die Nähe zwischen ihnen unbedroht. Nach einer Phase der Entfernung jedoch, als Faschismus und Krieg ihre geistige Freiheit und schließlich das Leben beider unmittelbar bedrohten, kamen sie einander wieder näher. Die Anfänge dieser außergewöhnlichen Liebesgeschichte mögen hundert Jahre zurückliegen, die Furchtlosigkeit und Entschlossenheit, mit der Virginia Woolf und Vita Sackville-West sich überkommenen Beziehungsformen verweigerten und, oft unter großen seelischen Anstrengungen, Neues probierten, hat etwas in hohem Maß Modernes, Mitreißendes, Ermutigendes.

Alison Bechdels Sammlung liest sich wie ein pointiert gebauter Roman. Respektvoll und undogmatisch vermittelt ihre Auswahl ein changierendes, anrührendes und frisches Porträt der beiden Frauen, deren überaus schöpferische Verbindung erst mit Virginias Freitod 1941 endete.

Ich glaube immer noch, ich hätte sie retten können, wäre ich bloß da gewesen und hätte gewusst, in welchen Geisteszustand sie geriet …, schrieb Vita an Harold, als man Virginias Leichnam aus der Ouse geborgen hatte.

Vita Sackville-West, die im Juni 1962 auf Schloss Sissinghurst starb, ihr berühmter »Weißer Garten« stand in voller Blüte, überlebte Virginia Woolf um mehr als zwanzig Jahre. Auf ihrem Schreibtisch, der so erhalten ist, wie sie ihn verlassen hat, stehen zwei Fotos: eins von Harold, das andere von Virginia.

Anmerkung der Herausgeberin

Der Band versammelt eine Auswahl von Briefen und Tagebucheinträgen in chronologischer Reihenfolge. In den Originalen fehlende Datumsangaben werden ergänzt anhand der Angaben anderer Herausgeber, darunter Nigel Nicolson, Joanne Trautmann Banks, Quentin Bell, Louise DeSalvo und Mitchell A. Leaska. Für den Leser hilfreiche Anmerkungen wurden eingefügt. Kürzungen innerhalb eines Texts sind mit Ellipsen […] gekennzeichnet; Kürzungen am Anfang oder Ende eines Textes sind nicht markiert.

1922

Virginias Tagebuch

15. Dezember

Mein Kopf ist so benommen, dass ich nicht klar denken kann. Der Grund dafür ist teils das Essen gestern Abend bei Clive1, wo ich die reizende, begabte, aristokratische Sackville-West kennenlernte. Nicht nach meinem eher strengen Geschmack – bunt, Oberlippenbart, laute Farben, mit der unbefangenen Geschmeidigkeit der Aristokratie, aber ohne den Geist des Künstlers. Sie schreibt fünfzehn Seiten am Tag – hat wieder ein Buch fertig – wird bei Heinemann verlegt – kennt jeden. Aber werde ich sie je wirklich kennen? Ich soll am Donnerstag dorthin zum Essen kommen. Das aristokratische Gebaren hat etwas von einer Schauspielerin – keine gezierte Scheu oder Bescheidenheit –, sodass ich mir jungfräulich und schüchtern vorkomme, wie ein Schulmädchen. Aber nach dem Essen habe ich mit Ansichten aufgewartet. Sie ist ein Grenadier, hart, attraktiv, männlich, mit Neigung zum Doppelkinn.

Vita an Harold2

Long Barn, Sevenoaks, 19. Dezember

Ich verehre Virginia Woolf einfach, und das würdest Du auch tun. Ihr Charme und ihre Persönlichkeit würden Dich glatt umwerfen. Es war eine gute Party. Sie hatten viele Fragen zu Deinem Tennyson.3 Mrs Woolf wirkt ganz schlicht, aber sie erweckt den Eindruck von etwas Großem. Sie ist völlig unaffektiert, äußerlich ohne jedes schmückende Beiwerk – ihr Bekleidungsstil ist ziemlich schauerlich. Auf den ersten Blick könnte man sie für unauffällig halten, dann vermittelt sich einem eine spirituelle Schönheit, und man beobachtet sie voller Faszination. Gestern Abend war sie besser angezogen, das heißt aber nur, dass sie statt der orangefarbenen Strickstrümpfe gelbe Seidenstrümpfe trug, dazu dieselben Pumps wie zuvor. Sie ist sowohl zurückhaltend als auch menschlich, sie schweigt, bis sie etwas sagen möchte, und dann sagt sie es auf vollendete Weise. Sie ist ziemlich alt. Ich habe nur selten eine solche Anziehung zu einem Menschen empfunden, und ich glaube, sie mag mich. Zumindest hat sie mich nach Richmond eingeladen, wo sie lebt. Liebling, ich habe ganz mein Herz verloren.

1923

Virginia an Vita

Hogarth House, Paradise Road, Richmond, Surrey, 3. Januar

Liebe Mrs Nicolson,

ich hätte nie gewagt, Sie so zu bedrängen, hätte ich die Großartigkeit des Buches4 gekannt. Ich schäme mich wirklich sehr und möchte Ihnen sagen, dass Exemplare all meiner Bücher zu Ihrer Verfügung stehen, sobald Sie nur den Finger heben – aber sie sehen allesamt behäbig und schlampig und schäbig aus. Es gibt nichts, was ich mehr liebe als Familiengeschichten, und so falle ich über Knole her, sobald ich einen Augenblick Zeit habe.

Würden Sie vielleicht zum Dinner zu uns kommen?

Es ist nicht so sehr ein Dinner als vielmehr ein Picknick, da die Press in Speisekammer und Esszimmer vorgedrungen ist, und wir ziehen uns nie um.

Ich würde Ihnen einen Zug heraussuchen und Ihnen eine Wegbeschreibung geben, wenn Sie kommen können, was ich hoffe.

Ihre sehr ergebene

Virginia Woolf

Vita an Harold

182 Ebury Street, London, 10. Januar

Morgen werde ich mit der lieben, verehrten Mrs Woolf in Richmond speisen […] Ich liebe Mrs Woolf mit verzehrender Leidenschaft. So wird es Dir auch gehen. Wer weiß, vielleicht stelle ich sie Dir lieber nicht vor.

Vitas Tagebuch

22. Januar

Habe mit Virginia in Richmond gespeist. Sie ist gleichbleibend köstlich. Wie sehr sie doch recht hat, wenn sie sagt, die Liebe mache aus den Menschen Langweiler, während die Aufregung des Lebens darin bestehe, sich »in kleinen Schritten« aufeinander zuzubewegen. Aber vielleicht empfindet sie so, weil sie eine Erforscherin der Menschheit ist und in ihrem eigenen Leben keine grande passion hat.

Virginias Tagebuch

19. Februar

Wir hatten einen Überraschungsbesuch von den Nicolsons. Sie ist eine ausgesprochene Sapphistin, & wirft vielleicht, meint Ethel Sands, ein Auge auf mich, obwohl ich alt bin. Vielleicht hat die Natur ihre Fähigkeiten geschärft. Versnobt, wie ich bin, verfolge ich ihre Leidenschaften fünfhundert Jahre zurück, & sie werden romantisch für mich, wie alter gelber Wein. Harold ist einfach durch und durch ein Blender; trägt ein kurzes schwarzes Jackett & Karohosen; wäre gerne Schriftsteller, ist es aber nicht, wie ich gehört habe & durchaus glaube, seiner Natur nach. Es versteht sich, dass die Seele all diese Urteile diktiert, & dass sie sagt, das ist nicht nach meinem Geschmack, das ist zweitklassig, das ordinär; das schön, aufrichtig, & so weiter. Ach, meine Seele wurde im Laufe des Abends kleiner.

Virginias Tagebuch

17. März

Ich fand die Nummer 46 Gordon Square diesen Winter sehr angenehm. Vor zwei Tagen waren die Nicolsons dort zum Dinner. Bei elektrischem Licht sah man schwarze Flecken auf den Eiern. Ich meine damit, dass wir sie beide unheilbar stupide fanden. Er ist ein Blender, aber so, dass es jeder sieht; sie richtete sich nach ihm, meinte Duncan5, & hatte nichts Eigenes zu sagen. Da war Lytton6, geschmeidig & fein wie ein alter Lederhandschuh, neben dem die Steifheit der beiden nur noch mehr hervortrat. Es war ein steiniger, steiler Abend.

Vitas Tagebuch

19. März

War zum Lunch bei Virginia in London, wo sie gerade angekommen war. Das erste Mal, dass ich länger mit ihr allein war. Habe danach Mama besucht, und währenddessen schwirrte mein Kopf von Virginia.

Vita an Virginia

182 Ebury Street, 26. März

Liebe Mrs Woolf

Ich schreibe dies heute Abend, weil ich mich zu erinnern meine, dass Sie am 27. nach Spanien fahren, und ich möchte, dass Sie dies vor Ihrer Reise bekommen. Der Vorstand des PEN Club möchte sehr gerne, dass Sie dem Club beitreten, und so habe ich Sie vorgeschlagen – werden Sie jetzt so nett sein und sich als Mitglied aufnehmen lassen? Mir zuliebe, wenn schon aus keinem anderen Grund. Es kostet nur eine Guinee im Jahr, und die Mitglieder des Vorstands würden sich sehr freuen. Man speist einmal im Monat zusammen; es ist recht amüsant. Tun Sie es und kommen Sie bitte zu dem Essen im Mai, es werden erlesene Gäste aus dem Ausland zu Gast sein. Im Vorstand hat es Ihretwegen einen kleinen Aufschrei der Erregung gegeben, und John Galsworthy7 hat sich (bildlich gesprochen) erhoben und einen Kniefall gemacht.

Ich hoffe, es gefällt Ihnen in Spanien. Es ist das beste Land, das ich kenne. Bitte sagen Sie mir, wann Sie zurückkommen, denn ich möchte Sie beide nach Long Barn einladen und mit nach Knole nehmen. Und ich erfahre nur, dass Sie wieder da sind, wenn Sie es mir sagen.

Sehr freundliche Grüße

Vita Nicolson

Virginia an Vita

Hotel Ingles, Madrid, 30. März

Liebe Mrs Nicolson,

(ich wünschte, Sie könnten bewogen werden, mich Virginia zu nennen.) Ihren Brief habe ich erhalten, als wir aus Richmond wegfuhren. Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass der PEN mich als Mitglied gewinnen möchte.

Ich würde der Einladung gern folgen, nur dass ich nicht weiß, was das mit sich bringt. Verpflichtet man sich, Reden zu halten, oder regelmäßig teilzunehmen oder Vorträge beizusteuern? Da wir so weit draußen wohnen, sind Essen eher schwierig, und Reden halten kann ich nicht.

Vita an Virginia

Long Barn, Sevenoaks, 8. April

Meine liebe Virginia,

(Wie Sie sehen, bin ich schnell bewogen. Könnten Sie ebenfalls bewogen werden?)

Wie schön, dass Sie bereit sind, dem PEN Club beizutreten, solange Sie keine Reden halten müssen. Ich kann Ihnen versichern, dass das Halten von Reden laut einer Clubregel verboten ist. Als Äußerstes gibt es kurze Stellungnahmen des Vorsitzenden. Auch brauchen Sie an den Essen nur teilzunehmen, wenn Sie das wünschen. Und Vorträge gibt es auch keine. Sie kommen einfach zu einem der Essen, wenn Sie Lust dazu haben, und je nachdem sitzen Sie neben H. G. Wells oder neben einem pickligen jungen Journalisten.

Vermutlich wird dieser Brief Sie nicht erreichen. Es kommt mir immer ganz unglaublich vor, dass Briefe überhaupt an ihr Ziel gelangen. Aber ich glaube, Sie haben bereits alles gesagt – oder vielmehr geschrieben –, was es über Briefe zu sagen gibt. Da will ich lieber nicht mit Ihnen wetteifern.

Ich beneide Sie um Spanien mehr, als ich es ausdrücken kann. Ich wünschte, ich wäre mit Ihnen dort – aber das Wiesenschaumkraut vor den Hecken ist sehr hübsch, und die Tulpen fangen gerade an zu blühen.

Sehr freundliche Grüße

Vita Nicolson

[In Bleistift] Dieses Papier ist wie Löschpapier, wenn man mit Tinte darauf schreibt.

Virginia an Vita

Murcia, Spanien, 15. April

Liebe Mrs Nicolson

Die Sekretärin des Pen Club hat mir in einem Schreiben mitgeteilt, dass ich als Mitglied aufgenommen werden kann. Bedauerlicherweise musste ich das ablehnen – denn den Club-Regeln entnehme ich, dass es sich ausschließlich um einen Dining-Club handelt, und meiner Erfahrung nach kann ich nicht einem Dining-Club angehören, weil ich in Richmond lebe. Ich habe es mit zwei anderen Dining-Clubs versucht, beide Male ein völliger Reinfall. Allerdings tut es mir sehr leid, denn ich würde die Mitglieder gern kennenlernen, und Sie auch.

Letzteres kann, so hoffe ich, auch anders erreicht werden.

1924

Anfang des Jahres kam es in dem Briefwechsel zu einer Unterbrechung. Aber als Virginia und ihr Mann Leonard im März [1924] in Tavistock Square, Bloomsbury, einzogen, war Vita eine der ersten Besucherinnen. Virginia schlug ihr vor, bei der von den Woolfs betriebenen Hogarth Press ein Buch zu veröffentlichen. Daraufhin schrieb Vita Seducers in Ecuador, während sie mit ihrem Mann Harold auf einem Wanderurlaub in den Dolomiten war.

Virginias Tagebuch

Samstag, 5. Juli

Eben wieder zurück, nicht vom 17er-Club; sondern von Knole, wo ich tatsächlich eingeladen war, allein mit Seiner Lordschaft zu speisen. Seine Lordschaft wohnt im Kern einer riesigen Nuss. Man durchwandert meilenlange Galerien; überspringt unzählige Schätze – Stühle, auf denen Shakespeare gesessen haben könnte – Tapisserien, Gemälde, Fußböden aus halben Eichen; & dringt schließlich zu einem runden glänzenden Tisch vor, auf dem für eine Person gedeckt ist. Aber die Trakte ganz außen & selbst die inneren Teile sind abgestorben. Die Räume sind zur Hälfte mit Seilen abgesperrt; die Sessel & Gemälde wirken konserviert; es ist kein Leben mehr darin. Schon seit hundert Jahren nehmen die Gefolgsleute ihr Dinner nicht mehr im großen Saal ein. Dann ist da Mary Stuarts Altar, an dem sie vor ihrer Hinrichtung gebetet hatte. »Einer unserer Vorfahren überbrachte ihr das Todesurteil«, sagte Vita. Diese ganzen Vorfahren & Jahrhunderte & Silber & Gold haben einen vollendeten Körper hervorgebracht. Sie hat etwas von einem Hirsch oder einem Rennpferd, abgesehen von ihrem Schmollgesicht, & hat keinen sehr scharfen Verstand. Aber körperlich gesehen ist sie vollkommen. So viele seltene & merkwürdige Gegenstände treffen einem das Gehirn wie Schrotkörner und breiten sich möglicherweise später aus. Vitas Lebensart aber nehm ich als Eindruck mit, und sie & Knole hatte ich vor Augen, als ich mit der unteren Mittelschicht durch die Elendsviertel fuhr. Da ist Knole, in dem all die verzweifelten Armen aus der Judd Street unterkommen können, & zuallerinnerst wohnt nur dieser eine zurückgezogene Earl.

Vita an Virginia

Tre Croci, Cadore, Italien, 16. Juli

Ich hoffe, dass ich noch nie vor eine Herausforderung gestellt wurde, die ich nicht bereitwillig aufgegriffen habe, und dass so etwas auch in Zukunft nicht vorkommen wird. Du hast mich gebeten, eine Geschichte für Dich zu schreiben. Auf Berggipfeln und an Ufern grüner Seen schreibe ich sie für Dich. Ich verschließe meine Augen vor dem Blau des Enzians und dem Korallenrot von Mannsschild; ich verschließe meine Ohren vor dem Tosen des Baches und meine Nase gegen den Duft der Pinien; ich konzentriere mich auf meine Geschichte. Vielleicht bist Du die Höfliche Verlegerin, und meine Geschichte kommt zu mir zurück – »Die Hogarth Press bedauert, dass beiliegendes Manuskript« etc. – oder wie immer Ihr das formuliert. Gleichwohl, ich werde das ohne Groll hinnehmen. Die Gipfel und die grünen Seen und die Herausforderung werden es wert gewesen sein, und Dir allein wird sie gewidmet sein. Aber natürlich war die eigentliche Herausforderung nicht die Geschichte (schließlich war das nur ein »geschäftlicher Vorschlag«), sondern der Brief. Du hast gesagt, ich schriebe Briefe von unpersönlicher Kühle. Ja, vielleicht ist es schwierig, das nicht zu tun in einem Land, wo zwei felsige Gipfel in kompromissloser Erhabenheit unmittelbar vor Deinen Fenstern in den Himmel streben und wo ein Amphitheater von Bergen den eigenen Horizont und die eigenen Schritte umschließt. Heute bin ich in den Ewigen Schnee hinaufgestiegen und fand dort leuchtend gelbe Mohnblumen, die dem Gletscher und dem Unwetter gleichermaßen trotzten, und angesichts ihres Mutes war ich beschämt. Die Folge ist, musst Du wissen, dass man sich äußerst unpersönlich und äußerst unbedeutend vorkommt. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie viele Höhen und Dolomiten-Meilen ich inzwischen in meinen Beinen habe. Ich habe das Gefühl, dass der ganze Intellekt von rein physischer Energie und körperlichem Wohlbefinden verschlungen worden ist. So sollte jeder sich fühlen, davon bin ich überzeugt. Ich betrachte die jungen Bergsteiger, behängt mit Seilen und Eispickeln, und komme zu dem Schluss, dass sie allein wissen, wie man das Leben leben muss. – Ob Du Dich jemals losmachen wirst von Bloomsbury und der Kultur, frage ich mich, und mit mir auf Reisen kommst? Nein, natürlich nicht. Ich habe einmal gesagt, ich würde lieber mit Dir als mit jeder anderen nach Spanien reisen, und Du schienst verwirrt, und ich hatte das Gefühl, einen Fehltritt begangen zu haben – zu persönlich gesprochen zu haben –, aber die Aussage ist immer noch wahr, und ich werde erst Ruhe geben, wenn ich Dich fortgelockt habe. Wirst du nächstes Jahr mit an den Ort kommen, wohin die Zigeuner aller Nationen eine jährliche Pilgerfahrt zu einer Madonna machen? Den Namen habe ich vergessen. Aber der Ort liegt in der Nähe des Baskenlandes, wohin ich schon immer wollte, und nächstes Jahr MACHE ICH DIESE REISE. Ich finde, Du solltest auf jeden Fall mitkommen. Du kannst es ja, wenn Du willst, als Schreibstoff betrachten – so wie Du, glaube ich, alles andere auch, menschliche Beziehungen eingeschlossen, betrachtest. O ja, Du magst Menschen lieber durch den Kopf als durchs Herz – verzeih mir, wenn ich mich täusche. Natürlich, es wird Ausnahmen geben; es gibt immer Ausnahmen, aber im Allgemeinen. […]

Außerdem glaube ich, dass man Menschen in ihrer vertrauten Sphäre niemals richtig kennt; man erkennt sie nur, wenn all ihre Einbindungen und Spinnweben der Gewohnheiten entfernt sind. Long Barn, Knole, Richmond, Bloomsbury. Alles so vertraut und festgezurrt. Entweder bin ich zu Hause, und Du bist fremd, oder Du bist zu Hause, und ich bin fremd, so sind wir beide nicht wir selbst, und das führt zu Verwirrung. Aber im Baskenland, inmitten einer Horde Zingaros, wären wir beide gleichermaßen fremd und gleichermaßen wirklich.

Alles in allem finde ich, Du solltest Dich endlich entschließen, Ferien zu machen und mitzukommen.

Virginia an Vita

Monk’s House, Lewes, 19. August

Bist Du zurück, und hast Du Dein Buch fertig – wann schickst Du es uns? Das schreibe ich und mache mich nur unbeliebt mit all den Fragen.

Dein inniger Brief aus den Dolomiten hat mir gut gefallen. Er hat mir großen Schmerz zugefügt – was ja zweifellos das erste Stadium von Innigkeit ist – keine Freunde, kein Herz, nichts weiter als ein gleichgültiger Kopf. Macht nichts: mir haben Deine Beschimpfungen sehr gefallen. […]

Aber ich schreibe nicht weiter, sonst wird dies noch ein wirklich inniger Brief, und dann würdest Du mich noch weniger mögen, noch weniger als ohnehin schon.

Aber sag mir bitte Bescheid wegen des Buchs.

Vita an Virginia

Long Barn, 22. August

Ist es nicht gemein von Dir, mir das Gefühl zu geben, gemein zu sein? Ich habe mein Gehirn durchforscht nach dem, was Dir in meinem Brief »großen Schmerz zugefügt« hat. Oder war das einfach einer Deiner Ausdrücke, mit dem Du mich reizen wolltest? Jedenfalls war das nicht meine Absicht, wie Dir sicherlich klar ist. Meinst Du jemals, was Du sagst, oder sagst, was Du meinst? Oder macht es Dir einfach Spaß, die Menschen, die Dir ein wenig näherkommen wollen, vor den Kopf zu stoßen?

Meine Geschichte ist, fürchte ich, eine verrückte Angelegenheit. Würdest Du mir einen festen Termin setzen, zu dem sie, getippt und korrigiert, bei Dir eintreffen müsste, dann würde ich ihn einhalten, denn ich bin sehr folgsam. Würdest Du sagen, Du brauchst sie nächste Woche, dann würde ich die ganze Nacht aufbleiben und sie fertig schreiben. Sagst Du aber, »jederzeit ist mir recht«, werde ich sie mir jeden Tag angewidert ansehen und dann, ohne auch nur ein Wort hinzuzufügen, wieder in die Schublade legen. Sie ist jetzt drei Viertel fertig geschrieben, und Dein Brief hat mir einen Anstoß gegeben. Gib mir bitte einen verbindlichen Termin.

»Würdest Du mich noch weniger mögen.« Liebe Virginia (sagte sie und legte ihre Karten offen auf den Tisch), Du weißt ganz genau, dass ich Dich maßlos gern mag. Das könnten alle meine Freunde bestätigen. Aber vermutlich perlt es an Dir ab, ob Leute Dich mögen – nein, das stimmt nicht – das nehme ich zurück.

Beinahe hätte ich Dich letzten Sonntag besucht, als ich von einem Besuch bei meiner Mutter in Brighton zurückfuhr, aber ich dachte, das würde Dir vielleicht nicht gefallen. Außerdem war es ein entsetzlicher Tag voller Sturm und Regen.

Jetzt sollte ich mich besser wieder an die Geschichte machen.

Virginia an Vita

Monk’s House, 26. August

Meine Haltung zu Deiner Geschichte sieht so aus: Wenn Du sie uns bis zum 14. September schicken könntest, würden wir uns bemühen, sie im Herbst zu veröffentlichen; bekommen wir sie später, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass wir sie vor Anfang nächsten Jahres veröffentlichen können. […]

Aber Du hast wirklich und wahrhaftig gesagt – ich weiß nicht mehr den Wortlaut, aber dem Sinn nach, dass ich in all meinen Freunden Schreibstoff sehe und sie durch den Kopf mag, und nicht mit dem Herzen. Aber wie gesagt, ich weiß es nicht mehr genau, und so betrachten wir das Ganze als gelöscht.

Vita verbrachte die Nacht vom 13. September bei Virginia und Leonard, ihr erster Besuch in Monk’s House. Sie hatte das Manuskript ihrer Geschichte Seducers in Ecuadordabei.

Virginias Tagebuch

15. September

Vita war den ganzen Sonntag hier, glitt in ihrem großen neuen blauen Austin durchs Dorf, den sie perfekt zu handhaben weiß. Sie trug einen gelben Ringelpullover & einen großen Hut & hatte ein Reisenecessaire voll mit Silber & Nachthemden, die in Seidenpapier gewickelt waren. Nelly Boxall, die Haushälterin der Woolfs, sagte, »Wenn sie bloß keine Hochwohlgeborene wäre!«, & konnte ihr das heiße Wasser nicht bringen. Aber mir gefällt, dass sie hochwohlgeboren ist; & sie ist es wirklich; eine vollkommene Dame, mit dem ganzen Schwung & der Beherztheit der Adeligen & weniger von deren Infantilität, als ich erwartet hatte. Sie hat die Züge einer überreifen Traube, Schnurrbart, Schmollmund, Neigung zur Korpulenz; in der Zwischenzeit schreitet sie mit ihren schönen Beinen aus, in einem gut geschnittenen Rock, & obwohl sie uns beim Frühstück in Verlegenheit brachte, ist sie von einer männlichen Vernunft & Schlichtheit, die sowohl L. als auch mir gefallen. O ja, ich mag sie; könnte sie für immer an meine Equipage heften; & glaube, falls es das Leben erlaubt, es könnte eine Art Freundschaft daraus werden.

Sie hat uns nach Charleston8 gefahren – & wie einem die Welt ins Wirbeln gerät – im Licht ihrer Gegenwart sah alles sehr grau & schäbig & konturlos aus. Auch Monks House ist zu einer zerfallenen Scheune geworden, &, wir haben im Abfallhaufen gepicknickt.

Virginia an Vita

Monk’s House, 15. September

Mir gefällt die Geschichte sehr, sehr gut – ich habe gleich, nachdem Du gefahren warst, angefangen, sie zu lesen, wurde von Clive unterbrochen, habe einen Spaziergang gemacht, dachte die ganze Zeit daran, kam zurück, las sie zu Ende, erfüllt von einem besonderen Interesse, das, vermute ich, damit zu tun hat, dass ich selbst etwas Ähnliches gern schreiben würde. Ich weiß nicht, ob diese Tatsache mein Lob in Deinen Augen schmälert, aber ich bin mir sicher, dass Du hier etwas viel Interessanteres gemacht hast (wenigstens in meinen Augen) als bisher. Sie ist sicherlich nicht streng durchgearbeitet, und ich finde, sie könnte gestrafft werden, mit einer klareren Zielrichtung, aber das ist nichts, was sie verdirbt. –

Das alles ist ganz ehrlich gemeint, wenn auch nicht gut ausgedrückt.

Ich freue mich sehr, dass wir die Geschichte veröffentlichen werden, und bin äußerst stolz und, in meiner kindlich berauschten Zuneigung zu Dir, auch gerührt, dass Du sie mir gewidmet hast.

Vita an Virginia

Long Barn, 17. September

Seit ich Deinen Brief bekommen habe, gehe ich auf Wolken. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie gut mir Dein Zuspruch tut, und wenn ich die Geschichte kompakter machen kann, dann werde ich das tun – es war auch mein eigenes Gefühl, dass es nötig ist. Vorschläge nehme ich gerne entgegen.

Wie charmant, dass Du auf dem Mühlstein sitzt und freundliche Dinge sagst. Insgesamt kam ich mir nach der Lektüre Deines Briefes vor wie eine liebkoste Katze. Ich schätze nämlich die Tatsache, dass Ihr beide keine leicht zufriedenzustellenden Kritiker seid […], weder was die Arbeit, noch was die Menschen angeht.

Virginia an Vita

52 Tavistock Square, 4. Oktober

Wir sind gerade zurück, und was finde ich auf dem Wohnzimmertisch? Einen Brief von Dir, aus dem ich (um mich selbst zu rechtfertigen und Dich tief zu beschämen) folgenden Satz zitiere:

»Du kannst es ja, wenn Du willst, als Schreibstoff betrachten – so wie Du, glaube ich, alles andere auch, menschliche Beziehungen eingeschlossen, betrachtest. O ja, Du magst Menschen lieber durch den Kopf als durchs Herz –«, etc. Da hast Du es. Komm und lass Dir verzeihen. Seducers of Ecuador sieht sehr hübsch aus, ein bisschen wie ein Marienkäfer. Von dem Titel sind die alten Herren von Bloomsbury einigermaßen beunruhigt.

Vita an Virginia

66 Mount Street, London, 6. November

Heute war ich am Tavistock Square. Ich ging nach oben und klingelte bei Euch – ich ging nach unten und klingelte bei Euch. Nur dunkle, abweisende Treppen, die sich mir entgegenstellten. Ich war untröstlich. Ich wollte

a)

Dich sehen,

b)

fragen, ob Exemplare unseres gemeinsamen Produkts verkauft worden seien, und wenn ja, wie viele,

c)

um ein paar Handzettel bitten,

d)

Dich bitten, mir zwei Exemplare Deines Buches, die meine Mutter gerade gekauft hat, zu signieren,

e)

Verzeihung zu erlangen.

Ich ging davon, ohne dass auch nur einer dieser Wünsche erfüllt worden wäre.

Jetzt kehre ich zurück in mein Morastland, wo ich bis zum 1. Dezember bleibe, dann fahre ich nach Knole.

Ich erwarte Besprechungen mit einiger Beklommenheit.

Virginia an Vita

52 Tavistock Square, 9. November

Du hast Deiner Sündenlast noch hinzugefügt, weil Du ohne telefonische Anmeldung gekommen bist – ich bin lediglich durch die Straßen gestreunt, um frische Luft zu schnappen – hätte ebenso gut zu Hause bleiben können, wollte Dich sehr gern sehen […]

Ich signiere so viele Bücher, wie von Lady Sackville gewünscht. Nein: Ich werde Dir nicht verzeihen. Kannst Du nicht bald für einen Tag kommen, und kannst Du mir bitte vorher Bescheid geben?

Vita an Virginia

Long Barn, 13. November

Dies in Eile.

Ich werde erst im Dezember in die Stadt kommen, werde aber die Vorsorge treffen, vorher zu telefonieren! Nur dass ich Menschen ungern am Telefon belästige.

Ich bin dankbar für den Zwischenbericht – ich hoffe, die 430 Exemplare werden an Glanz gewinnen.

SÜNDEN:

Dass ich gesagt habe, VW betrachtet Freunde als Schreibstoff.

Dass ich gekommen bin, ohne vorher zu telefonieren.

Und sonst?

Ich will eine Wiedergutmachung versuchen, indem ich einige Bemerkungen aus einem Brief, den ich heute bekam, weiterleite: »Ich lese Jacob’s Room zum zweiten Mal. Ich bin der Meinung, es ist eins der besten Bücher unserer Zeit. Das erschreckt mich. Es ist ein Buch, neben dem jedes andere Buch wie ein Gemeinplatz und auch gewöhnlich erscheint. Das eigene Schreiben kommt einem dagegen schauerlich und vulgär vor.«

Na also: Weihrauch für Dein Weihrauchfass.

Virginias Tagebuch

21. Dezember

Es ist wirklich eine Schande – die vielen leeren Seiten in diesem Buch! London hat eine eindeutig schlechte Auswirkung auf Tagebücher. Das hier ist, glaube ich, das magerste von allen.

Mit welcher Schärfe das Gesellschaftsleben einen hervortreten lässt – oder vielmehr die anderen! Zum Beispiel Roger9 neulich Abend mit Vita. Das wirkte auf Vita katastrophal.

Sein Quäkerblut begehrt auf gegen Vitas schwere weinähnliche Flüssigkeit; & sie hat die Angewohnheit, Lob zu verteilen & unkritisch über Kunst zu sprechen, womit sie in ihren Kreisen ankommt, aber nicht bei uns. Es war alles sehr delikat, bis Clive, der gute Kerl, dazukam & sich anschickte, die gute alte störrische, aristokratische, leidenschaftliche, an einen Grenadier erinnernde Vita versöhnlich zu stimmen.

1925

Anfang des Jahres trafen sich Vita und Virginia gelegentlich in London. Vita fing mit ihrem Langgedicht The Land an, und Virginia begann zwischen Krankheitsphasen mit der Arbeit an To the Lighthouse.

Vita an Virginia

Long Barn, 26. Mai

Es ist furchtbar saumselig von mir, dass ich mich noch nicht für Mrs Dalloway bedankt habe. Aber weil ich nicht einen Brief nach dem Muster »Wie reizend, dass Du mir Dein Buch geschickt hast, ich freue mich schon darauf, es zu lesen« schreiben wollte, beschloss ich zu warten, bis ich sowohl den Roman als auch The Common Reader gelesen hatte, und ich bedauere sehr, sagen zu müssen, dass ich inzwischen beide gelesen habe. Ich bedauere es, weil ich die Bücher zwar wiederlesen werde, aber die erste Erregung, Dir auf einem unbekannten Pfad zu folgen, ist vorbei, und nichts bereitet der Überraschung so schnell ein Ende wie Vertrautheit. Allerdings gibt es Passagen in The Common Reader, die ich am liebsten auswendig lernen würde. Das Buch ist überwältigend, mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich kann mir kein anderes Buch denken, das mir besser gefallen hätte oder das ich öfter lesen möchte. Mrs Dalloway ist etwas anderes, es ist ein Roman, seine Schönheit liegt hauptsächlich in seiner Strahlkraft; es verstört, erhellt, enthüllt. The Common Reader wird im Laufe der Lektüre ein Leitfaden, ein Philosoph und Freund, während Mrs Dalloway ein Irrlicht, eine funkelnde, entzückende Bekanntschaft bleibt. Eins hat Mrs Dalloway ein für alle Mal bewirkt: Ich brauche jetzt nie wieder nach London zu fahren, denn London im Juni findet sich in seiner Gänze auf Deinen ersten zwanzig Seiten. (Kannst Du auch ein Winter-London schreiben? Mit Nebel und Leuchtfeuern und sauber gefegten Straßen?)

Wie ich Dir Dein Englisch neide – dass es Dir gelingt, es so flüssig und biegsam zu machen wie Französisch und ihm trotzdem die Tiefe seiner speziellen Genialität zu bewahren.

Wann kommst Du zu uns? Übers Wochenende oder in der Woche? Wer bin ich überhaupt, dass ich Dich um einen Besuch bitte? Aber Du hast versprochen, im Sommer zu kommen – falls ein Versprechen, das Du auf den Stufen vor Deinem Haus gegeben hast, bindend ist. Ich verreise über Pfingsten, aber davon abgesehen habe ich vor, mich mehrere Monate lang nicht vom Fleck zu rühren. Ich kann nicht schreiben, deshalb verlege ich mich auf die Hühnerzucht. Komm bitte. Ich werde Dich nicht mehr »nett« finden, wenn Du nicht kommst.

Virginia an Vita

52 Tavistock Square, 27.Mai

Haha! Ich dachte, Mrs Dalloway würde Dir nicht gefallen.

Andererseits hatte ich vermutet, dass Dir The Common Reader gefallen würde, und ich bin sehr froh, dass das der Fall ist. […] Ich versuche, den Kopf in den Sand zu stecken, oder ich spiele Wettrennen zwischen dem Roman und den Essays und lasse die Meinungen meiner Freunde der Maßstab sein. Manchmal liegt Mrs D. vorn, dann wieder der Common Reader.

Virginias Tagebuch

5. Juni

Und wir hatten Vita, Edith Sitwell, Morgan10, Dadie11, Kitty Leaf – und die gute Vita überreichte mir einen ganzen Busch blauer Lupinen, & war sehr ungehobelt & ungeschickt, während Edith wie eine römische Kaiserin war, so exakt, bestimmt, gebieterisch, & doch mit einer Spur dieses Fischweibhumors scheu beglückt von Morgans Komplimenten (& er lobte Vita überhaupt nicht, die gekränkt dasaß, bescheiden, schweigend, wie ein abgekanzelter Schuljunge).

Virginia an Vita

52 Tavistock Square, 24. August

Ich habe eine vollkommen romantische und zweifellos unrichtige Vision von Dir im Kopf – wie Du in einem großen Bottich in Kent Hopfen stampfst – splitterfasernackt, braun wie ein Satyr, und sehr schön. Erzähl mir nicht, dass das alles eine Illusion ist.

Aber bitte erzähl mir von Deinem Gedicht [The Land]. Schreibst Du es? Ist es schön? Ich denke fast, dass es mir gefallen wird: Ich wünsche mir, dass Du Dich ernsthaft mit Fakten befassen würdest. Ich will keine weiteren haargenauen Beschreibungen von Hahnenfüßen mehr, und wie sie auf der einen Seite poliert sind, aber nicht auf der anderen. Was ich will, sind die Gewohnheiten von Erdwürmern; das Essen, das im Arbeitshaus ausgeteilt wird: alles Genaue über eine Tatsache – Milch, zum Beispiel – eine Stunde des Kühlens, Melkens etc. Von da gehe zu Sonnenuntergängen über, und transparenten Blättern, und dem ganzen Rest, den ich, mit meinem in Fakten verwurzelten Geist, dann mit unendlicher Freude umarmen werde. Glaubst Du, dass in alldem eine Wahrheit steckt? Aber da Du einst eine Bäuerin warst, ist das alles sicher schon fertig in Deinem Kopf.

Vita an Virginia

Long Barn, 25. August

Letzten Freitag stand ich um Mitternacht oben auf Euren Downs und versuchte zu erraten, während ich auf die verschiedenen schwarzen Buckel hinuntersah, in welchem Tal Rodmell12 liegt und darin schlafend Du. Und gerade kommt Dein Brief, dem ich entnehme, dass Du im Gegenteil wahrscheinlich wach und von Schmerzen geplagt warst13. Da ich aber in dem Moment davon nichts wusste, sammelte ich meine Hunde, die wild über die Downs rannten, wieder ein, kletterte ins Auto und fuhr auf verlassenen Straßen durch die schlafenden Dörfer von Sussex und Kent, in dem geheimen Wissen, dass ich Dich besucht hatte, ohne dass Du davon wusstest – romantischer, wenn auch weniger befriedigend als die Tasse Tee, zu der Leonard mich am Samstag gebeten hatte.

Das Bild von mir […] im ausgelassenen Tanz in den Fässern, […] gefällt mir außerordentlich. Bitte erhalte es Dir. Ich werde Dir nicht erzählen, wie es in Wahrheit war. […] Eine Seite später jedoch widersprichst Du Dir auf Deine großartige Art und verlangst lautstark Präzision bei den banalsten Beschreibungen. Seltsamerweise triffst Du genau das, wovon mein Gedicht (das keinesfalls schön ist) handelt, denn mit den darin enthaltenen Informationen könntest Du einen kleinen Hof betreiben […] Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Zeit für blumige Poesie vorbei ist, nur prosaische Kunst (die ja auch ihren Charme hat) gilt noch, oder das Intellektuelle. Eine schlechte Definition, aber ich bin mir sicher, Du verstehst, was ich meine. Im Übrigen gibt es durchaus Blumiges, aber mit gründlich zerriebenen Wurzeln in gut gedüngtem Boden. – Mein eigenes Interesse an meinem Gedicht war dabei zu erlöschen, aber Du hast die Glut wieder entfacht, und heute brennt ein munteres Feuer. […]

Lass mich kommen, wann immer Dir danach ist, dann hole ich Dich in Rodmell ab. Ich kenne die Straßen so gut, weil ich meine Mutter oft in Brighton besuche, dass ich mit geschlossenen Augen durch die Gegend trudeln kann. Ich könnte mir viele Orte ausdenken, die ich mit Dir besuchen würde.

Virginia an Vita

52 Tavistock Square, 1. September

Wie schön es doch wäre, wieder einmal einen Brief von Dir zu bekommen – noch besser, Dich zu sehen. Ich habe es nicht vorgeschlagen, weil die Kopfschmerzen diesmal doch ein schreckliches Ärgernis sind, und ich habe wieder eine Woche im Bett verbracht. Aber jetzt gibt selbst Leonard zu, dass es mir wieder besser geht.

Ich stelle mir vor, dass Du auf Deinem Weg bei uns vorbeikommst und zum Tee oder Essen bleibst, was immer Du möchtest, und zu einem kleinen Gespräch. Nächste Woche vielleicht? Ich verhalte mich ganz still und wage nicht, das vorzuschlagen, was ich am liebsten möchte – einen Ausflug nach Amberley. Aber wenn ich wieder bei bester Gesundheit bin, was bald der Fall sein wird, wäre es dann wirklich eine Möglichkeit? […]

Ich muss jetzt aufhören, sonst würde ich erklären, warum es in Ordnung ist, wenn ich mir Dinge ausdenke, Du aber genau sein musst. Ich schreibe Prosa, Du Dichtung. Dichtung, die ja die einfachere Form ist, elementarer, und durch Reim und Rhythmus zusätzlichen Charme erhält, kann, anders als Prosa, keine Schönheit vermitteln. Schon sehr wenig steigt ihr zu Kopfe. Du sagst: Definiere Schönheit –

Aber nein: Ich gehe schlafen.

Vita an Virginia

Long Barn, 2. September

Wie gern bekomme ich Briefe von Dir.

Mit welcher Begeisterung trete ich dann dem Tag entgegen.

Ich bekomme sie so gern, dass ich sie aufhebe und als letzten Brief meiner Morgenpost öffne, wie ein Kind, das sich ein Stückchen Schokolade bis zum Schluss aufhebt –

Aber ich mag es weniger, wenn ich lese, dass Du eine Woche lang krank warst. Ich fühle mich dann schuldig für jeden Augenblick, den ich kräftig und gesund mit so derben Tätigkeiten wie Gärtnern oder Tennisspielen verbracht habe –

Ich werde nächste Woche für einen Tag meine Mutter besuchen. Könnte ich auf der Rückfahrt zum Abendessen in Rodmell haltmachen? (Aber nur, wenn es nicht lästig ist.) Ich würde es Dich wissen lassen, an welchem Tag. Das hängt von meiner Mutter ab. Anfang der Woche, nehme ich an. Ich werde ihr Montag oder Dienstag vorschlagen. Und Amberley, wann immer Du willst – Du kannst aus meiner Betonung eine Bereitschaft ablesen, alle anderen Verabredungen über Bord zu werfen, um mich Deinen Plänen anzupassen –

Aber was für einen Unsinn Du redest. Es liegt 100 % mehr Poesie auf einer Seite von Mrs Dalloway (von der Du dachtest, ich würde sie nicht mögen) als in einem ganzen Abschnitt meines verdammten Gedichtes. Und was Mr Palmer angeht! ja, ich vermute, Du hast ihm einen Gefallen getan, aber nur ihm. Nicht seinen Lesern. Ich kann Desmond14 Mr Palmer nicht verzeihen – sein Lämmchen, sein Täubchen.

Es sind jetzt zwei Leute hier im Zimmer und reden; und die Bruchstücke ihres Gesprächs, die ich mitbekomme, bringen mich dazu wie rasend und in Kursivschrift an Dich zu schreiben – aus einem Feuerofen der Empörung heraus. – Sollte mein Brief zusammenhanglos und hysterisch erscheinen, so musst Du das aus diesem Grund entschuldigen.

Ich bin verwirrt über deine Entrüstung, weil ich gesagt habe, Dein Gefallen an Crabbe sei offen eingestanden, sodass ich mich als Erklärung zu der unwahrscheinlichen Theorie getrieben sehe, dass Du vergessen hattest, was offen eingestanden bedeutet! Oder hast Du nur gemeint, ich hätte gedacht, Du hättest es bisher verborgen gehalten und wärest jetzt schließlich damit ans Licht getreten? Was den Rest betrifft, wenn man willkürlich eine Sache ausdrücken könnte, indem man eine andere sagt, hätte man tatsächlich schon das halbe Geheimnis der Poesie bezwungen – Aber wie schafft man das? Durch welche Formel aus Anspielung, den Lauten von Vokalen und Konsonanten? durch welches schiere Geräusch, das ein komplementäres Geräusch nahelegt, so wie Blau Rot nahelegt oder was auch immer? Warum klingt »bare ruined choirs« [verfallne Chöre15] so ungemein dünn?

Und mit diesem Vermögen geht die Fähigkeit einher, den Wunsch zu schreiben in anderen zu entzünden – zumindest kommt es mir so vor. Ich weiß genau, was ich aus dem Regal ziehen muss, um Funken aus mir zu schlagen, Du nicht? Oder bist Du Feuerstein in einem? Ich vermute es.

Würdest Du Leonard eine sehr unangenehme Nachricht übermitteln? Es handelt sich um Folgendes: Ich kann unmöglich eine Besprechung über John Drinkwater16 schreiben. Ich kenne ihn zu gut, und es gibt nichts, was ich sagen könnte, das ihn nicht furchtbar beleidigen würde. Wenn Leonard sagt, was er haben möchte, schicke ich die Bücher an wen auch immer er will. Ich stelle mir vor, dass das eine der typischen Heimsuchungen ist, die einen Herausgeber verfolgen.

Ich habe einen winzigen Garten mit Alpenblumen in einem alten Steintrog angelegt – Eine echte Freude. Er weckt in mir die Sehnsucht nach dem Frühling. Mein botanischer Geschmack richtet sich mehr und mehr auf Blumen, die mit dem bloßen Auge kaum zu sehen sind. – Soll ich für Dich noch einen winzigeren anlegen? in einer Keimschale mit Liliput-Felsen? Ich bringe ihn nächste Woche mit. Aber Du musst freundlich mit ihm umgehen und ihn nicht vernachlässigen. (Das passt alles zu der Theorie, dass Menschen, die auf dem Land leben und Blumen mögen, gut sind.)

Vita an Virginia

52 Tavistock Square, 7. September

Nun, ich verstehe nicht, warum Du mir nicht schreibst, aber vielleicht bin ich dran, nur bist Du, um Briefe zu schreiben, in einer besseren Lage als ich. In Deinem Zimmer sind zwei Menschen, die Du reden hören kannst. In meinem Zimmer ist ein Hund und sonst nichts als Bücher, Papiere, Kissen und Milchgläser und Decken, die von meinem Bett gefallen sind, und so weiter. Das hat in mir einen solchen Wunsch geweckt, zu erfahren, was Deine zwei Leute sagen, dass ich Dich anflehe, es mir zu erzählen …

Erzähl mir, wen Du getroffen hast, selbst wenn ich noch nie von ihnen gehört habe – das wäre noch besser. Ich versuche, Dich für mich zu erfinden, merke aber, dass ich eigentlich nur zwei Zweige und drei Strohhalme dafür habe. Ich kann das Gefühl erreichen, Dich zu sehen – Haar, Lippen, Farbe, Größe, sogar ab und zu die Augen und Hände, aber ich merke, wie Du Dich entfernst; um im Garten spazieren zu gehen, Tennis zu spielen, Dich zum Rauchen und Reden niederzulassen, und dann kann ich nichts erfinden, was Du sagst – Das beweist, worüber ich Ries um Ries schreiben könnte – wie wenig wir irgendjemanden kennen, nur Bewegungen und Gesten, nichts Zusammenhängendes, Fortwährendes, Tiefgehendes. Aber gib mir einen Tipp, flehe ich.

… »Offen eingestanden« sollte ganz einfach sein, hat aber inzwischen die Bedeutung »beteuerte Unaufrichtigkeit« angenommen, zumindest für mich, die ich, wie ich annehme, in Sünden ergraut bin und guten englischen Wörtern Bedeutungen zuschreibe, die sie, wie ich zugebe, nicht haben. Aber schreibe Deiner liebevollen Schurkin trotzdem.

Vita an Virginia

52 Tavistock Square, 8. September

Es tut mir so leid …

Deine Geschichte von den heruntergefallenen Decken geht mir wirklich zu Herzen. Ich fahre heute über Deine Downs nach Brighton und werde diesen Brief gemeinsam mit Deinem Garten-in-der-Untertasse auf Deiner Türschwelle hinterlassen. Im Augenblick sieht er noch langweilig aus, aber im Frühling wird er Dir Blumen bringen. Du musst ihn gut gießen.

Die beiden Leute in meinem Zimmer waren in Wirklichkeit Bulldog Drummond17