Love with the Devil 2 - June Firefly - E-Book

Love with the Devil 2 E-Book

June Firefly

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Beschreibung

Schönheit, ewige Jugend und ein Leben im Rausch: Tina hat alles, was sie sich je gewünscht hat. Und alles was sie dafür tun musste, war, ihre Seele an die Hölle zu verkaufen. Wenn sie sich nur daran erinnern könnte! Denn neben ihrer Seele hat sie auch ihre Erinnerung und ihre Identität verloren. Jetzt taumelt sie unter dem Namen Juliette durch ein Höllenfeuer aus Reichtum, Lust und Verzweiflung, doch selbst die wildesten Orgien können das wachsende Gefühl der Leere in ihrem Inneren nicht füllen. Sie muss sich entscheiden: Ein leichtes, seelenloses Leben als Dienerin der Hölle - oder der beschwerliche Kampf um ihre wahre Liebe, an die sie sich nicht erinnern kann feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 3, Humor: 1 Gefühl: 1; Fantastisch: 3 »Love with the Devil 2« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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June Firefly

Love with the Devil 2

Höllisches Verlangen

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Teil eins: Bittersüßes SpielEin neues LebenSophie-ElleDie VerlobteWarnung an LucillePariser PartynachtDer erste TraumNachbarschaftshilfeKatzenrettungGwenDer erste AuftragLauscher an der WandTeil zwei: Bittersüße SehnsuchtManipulationLucilles PlanDer zweite TraumDie Tiefen der BibliothekBegegnung in der OperDer Fluch des freien WillensDer letzte FunkeTeil drei: Bittersüße DunkelheitFeminine VerführungUnerklärliche SehnsuchtBeinah verlobtTötet die Sukkubus!Ein AmulettVerratenGroße PläneGewissensbisseDer dritte TraumSommerküsseScharfes VerhörVerbotene GefühleDer RufTeuflische Verführung und ein Kampf um die Seele
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Teil eins: Bittersüßes Spiel

»In einer Welt ohne Böses wäre das Leben nicht lebenswert.«

 

Thomas Stearns Eliot (1888 – 1965)

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Ein neues Leben

Juliette schrie auf, als sie zum Höhepunkt kam, doch Raoul gewährte ihr keine Pause. Sein Grinsen kratzte wie Diamant über das unbefleckte Glas ihrer Seele. Wobei … so unbefleckt war ihre Seele nicht mehr, wenn man es bei Licht besah. Auch das war seine Schuld. Sie würde ihm deswegen grollen. Später. Wenn sie wieder Luft bekam, ohne vor Lust zu wimmern, zu stöhnen oder um Gnade zu betteln.

Er verringerte das Tempo seiner Stöße, umspielte ihren Eingang und lächelte diabolisch. Sie liebte dieses böse Lächeln. Es passte zu einem mächtigen Feldherrn der Hölle. Juliette warf den Kopf hin und her und seufzte, doch er ließ sich natürlich nicht erweichen. Alles andere hätte sie enttäuscht.

»Bist du etwa schon erschöpft, mein Schatz?« Er biss sie in den Hals.

Eine neue Lustwoge durchrollte sie und überlagerte die Mattigkeit.

»Das ist allein deine Schuld!«

Sie wusste nicht, ob sie damit ihre Erschöpfung meinte oder den Schatten über ihrem Leben, den er geworfen hatte. Seit sie seine und damit die Geliebte der Hölle war, hatte sich viel in ihrem Leben verändert. Nicht zuletzt hatte sie den Großteil ihrer Erinnerungen verloren.

»Natürlich ist es das.« Raoul suchte ihren Mund und brachte sie mit einem Kuss zum Verstummen, der ihr den Atem raubte. Seine Hände spielten an ihren Brüsten und entfachten süße Schauer in ihr.

Juliette wand sich hin und her, doch sie konnte ihm nicht entkommen. Kein Mann auf der Welt konnte es im Bett oder jenseits davon mit Raoul aufnehmen. Auf seinem muskulösen Körper zeichneten sich einige Narben ab, die jedoch so alt zu sein schienen, dass sie die gleichmäßige Bräune seines restlichen Körpers angenommen hatten. Schweiß schimmerte im Kerzenlicht auf seiner Haut und ließ das Spiel der Muskeln seines Oberkörpers noch verführerischer erscheinen. Sie war ihm verfallen. Unvorstellbar, dass sie einmal ohne das Feuer seiner Berührungen hatte existieren können.

»Wie machst du das bloß?«, fragte sie.

»Wie mache ich was?« Seine weißen Zähne blitzten im Kerzenlicht und ließen den sorgfältig gestutzten Bart noch schwärzer erscheinen. In seinen dunklen Augen funkelte das Feuer der Hölle und schien ihr zuzuzwinkern.

»Das hier.« Sie machte eine Geste, die sowohl den Raum wie auch ihre ineinander verschlungenen, durchgeschwitzten Körper umfassen konnte.

»Dich nach allen Regeln der Kunst in den Wahnsinn treiben?« Er veränderte leicht seine Position, griff mit einer Hand unter ihren Hintern und zog sie nach oben. Dadurch konnte er mit der Spitze perfekt über ihren G-Punkt reiben. Langsam, behaglich … unerträglich.

Juliette wimmerte. Man hätte meinen können, die vorherigen Höhepunkte hätten ihr Verlangen gemildert, sie erschöpft und in sich zusammensinken lassen, sodass sein Spiel an ihren geheimen Knöpfen sie nicht länger um den Verstand brachte. Stattdessen schienen die Orgasmen, die Raoul ihr bereitete, ihren Körper zunehmend stärker für seine Liebkosungen zu sensibilisieren. Ihre Haut verwandelte sich in Feuer und ihre Nervenbahnen in flüssiges Gold, das selbst die kleinsten Impulse in elektrische Blitze transformierte. Ihr Körper zitterte, als würde er nicht länger ihr gehören. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, noch nie zuvor so wahrhaft und vollständig sie selbst gewesen zu sein.

Juliette schüttelte den Kopf.

»Nein, ich meine, das alles … Dieses Zimmer. Das ganze Geld. Das, was du mit mir …« Sie japste nach Luft, als er seine Lippen um ihre Knospe schloss und sie sanft mit der Zunge liebkoste. Wie zärtlich er sein konnte!

Das Thema Zimmer allein würde ausreichen, um daraus eine ausschweifende Diskussion zu entspinnen – wenn sie sich länger als einige Sekunden darauf konzentrieren könnte. Die Stofftapeten, die aussahen, als ob sie aus Seide mit hineingewebten Mustern bestanden, die Abermillionen Kerzen, die sich auf ein Fingerschnippen von Raoul hin entzündet hatten, das gusseiserne Bett mit den zarten Chiffonvorhängen, von denen sie einen bei einem Stellungswechsel aus Versehen heruntergerissen hatte …

»Nicht so viel denken, Cherie. Wird dir langweilig, Juliette?« Raoul streichelte über ihren Bauch, glitt hinab und fand ihre Perle.

Die Gedanken verflogen von einer Sekunde zu nächsten. Juliette stemmte sich mit den Händen gegen die Matratze und drückte sich fester gegen ihn. Raoul zog sie weiter nach oben, bis ihre Wirbelsäule sich schmerzhaft durchbog. Das Ziehen im Rücken, das Gefühl des Ausgeliefertseins, schien ihre Lust noch einmal anzufachen. Da, wo er sie ausfüllte, breitete sich flüssiges Feuer in ihr aus, bei jedem Stellungswechsel ein bisschen mehr.

»Langweilig? Wie kommst du darauf?«

Juliette – das war nicht ihr wahrer Name, verdammt! – keuchte und krallte ihre Fingernägel in seinen Oberkörper, um ihn tiefer in sich zu ziehen. Sie erinnerte sich dunkel, dass ihre Fingernägel am Anfang kurz und abgekaut gewesen waren, aber seit sie in die Lehre der Hölle ging, waren sie gewachsen und hatten fast von allein die herrlich ovale Form angenommen, die sie inzwischen mit dem gleichen Dunkelrot wie ihre Lippen anmalte.

War es wirklich erst gestern geschehen, dass Raoul sie vor dem Überfall ihrer eifersüchtigen Lehrmeisterin Lucille gerettet hatte?

»Ich – habe – das Gefühl«, er unterbrach den Redefluss bei jedem Stoß minimal, »du bist – nicht – ganz – bei der Sache …« Er fasste unter ihren Hintern, hob sie nach oben, sodass nur noch seine Hände und der süß brennende Pfahl in ihrem Inneren sie hielten. Als er seine Hüfte hin und her drehte, pendelte sie von links nach rechts.

Ihr wurde noch schwindliger.

»Du hast völlig recht«, keuchte sie. »Ich denke die ganze Zeit daran, warum ich in deinen Armen so dermaßen abgehe, während du die ganze Zeit voll Selbstbeherrschung bist. Lasse ich etwa nach?«

Er stieß ein paarmal tief in sie und presste ihren Hinterkopf und Nacken damit gegen die Matratze. »Das ist heute nur für dich, Schätzchen. Ich mag die harte Tour lieber, aber manchmal hab ich auch Lust, dich zu verwöhnen. Damit du bei der Stange bleibst und dich nicht mit der Konkurrenz einlässt.« Er lachte.

Juliette wand sich hin und her, doch es war unmöglich, in dieser Position so etwas wie Bequemlichkeit zu finden. »Das ist für dich noch die softe Tour? Was machst du, wenn es härter werden soll?«

»Willst du das wirklich wissen, Schätzchen?« Sein Glied schwoll bei diesen Worten in ihr an und wurde noch härter, wenn das überhaupt möglich war. »Das könnte wehtun. Erst dann gefällt es mir wirklich.«

Ein ahnungsvoller Schauder durchlief sie. »Und du glaubst, davor habe ich Angst? Vielleicht gefällt es mir ja!«

»Vielleicht solltest du das … Angst haben, meine ich.« Er fasste mit einer Hand in ihre Taille und stützte sie so, dass sie hochkommen konnte. »Du könntest deine Neugier noch bitter bereuen.« Er umspielte ihren Nippel mit der Zunge und biss schmerzhaft zu.

»Aua!« Juliette wimmerte und krümmte sich. »Doch nicht so fest!«

Er ließ sie los und schob sie hart genug von sich, dass er aus ihr hinausglitt und sie auf die Matratze fiel. »Versprich nichts, was du nicht halten kannst, Schätzchen. Oder sollte ich dich besser … meine kleine Schlampe nennen? Eine egoistische Schlampe, die nicht gut genug ist, um mir wenigstens ein bisschen von der Lust zurückzugeben, die ich dir in den vergangenen zwei Stunden so großzügig geschenkt habe?«

Seine Worte waren eine kalte Dusche. In den vergangenen Minuten oder Stunden – sie hatte längst jeden Zeitbegriff verloren – hatte Raoul sich ein weiteres Mal als der zärtlichste Liebhaber erwiesen, den sie sich hätte wünschen oder vorstellen können. Sie konnte nicht anders, als zu glauben, dass das seine wahre Persönlichkeit zeigte. Aber stimmte das? Sie würde nie verstehen, warum er sich manchmal von einer Sekunde auf die nächste derart veränderte.

»Warum bist du auf einmal so gemein zu mir?«

»Du hast doch gesagt, du magst es, wenn es wehtut.« Er umfasste ihre Hüften mit beiden Händen, kniete sich hin und hob sie so an, dass ihr Gewicht allein auf den Schulterblättern lag.

Sie schluckte. »Ja, aber …«

»Ts, ts. Klappe halten, wenn dein Herr mit dir redet. Du meintest wohl ein paar sanfte Klapse auf den Hintern oder eine liebevolle Seidenfessel mit geschlossenen Augen, damit sich alles noch intensiver anfühlt, was? Soll ich für dich nicht nur den perfekten Liebhaber, sondern auch den Bilderbuch-Dom geben?« Er drehte den Kopf und spuckte auf den Boden neben dem Bett.

Verrückt, wie schnell er sich von seinem sanften Ich in diesen streng blickenden Mann mit kalten Augen verwandelt hatte, vor dem sie sich fast ein bisschen fürchtete. Juliette konnte nicht anders, als zu glauben, dass diese harte Fassade nur eine Maske war. Warum hatte er so eine Angst vor Liebe und Nähe, dass er sie immer wieder von sich stoßen musste, wenn sie anfing, ihm zu vertrauen?

Juliette schluckte erneut, um die Trockenheit in ihrem Mund zu vertreiben. »Ja, ehrlich gesagt habe ich mir so etwas gewünscht, Raoul.«

Er ohrfeigte sie sanft und grinste, als sie zurückzuckte. »Du hast gesagt, du würdest dir wünschen, dass ich härter mit dir wäre, kleine Schlampe, wenn es das ist, wonach ich mich sehne. War das gelogen? Was, wenn mich die Schmerzen viel stärker erregen, die ich dir mit Worten zufügen kann, mein süßes Dreckstück?«

Sein Blick schien Funken zu sprühen. Zwischen ihren Beinen breitete sich gähnende Leere aus, pulsierte und sehnte sich nach der Vollkommenheit, mit der er sie zuvor dort ausgefüllt hatte. Es wäre herrlich, seinen Höhepunkt intensiv und brennend dort zu spüren und sich von seiner Explosion mittragen zu lassen.

Aber … wollte sie sich als Schlampe und Dreckstück bezeichnen lassen? Sehnte sie sich nicht eigentlich danach, seine Liebe und seine Hochachtung zu gewinnen, damit er sie eines Tages in die Arme schloss und ihr versicherte, dass sie ihm die liebste all seiner Sukkubi sei?

Er sollte sie mehr lieben als diese blöde Lucille, das war es, wonach sie sich sehnte. Lucille war eine garstige Hexe, die es nicht verdiente, einen so wundervollen Mann zu küssen, ganz zu schweigen vom Rest.

Eine unbekannte Kälte breitete sich in ihr aus, floss durch ihren Unterleib und stieg ihr Rückgrat empor. Es war nicht unangenehm. Ein wenig erinnerte es sie an Eiswürfel, die sie von innen abkühlten, die Lust vordergründig dämpften und ihr damit ermöglichten, dem zu erwartenden Orgasmus ganz neue Qualitäten zu verleihen. Nur, dass diese Kälte nicht ihren Körper erregte, sondern ihr Herz und ihren Geist. Raouls Lächeln schien sie herauszufordern, sich von ihm tiefer in den Abgrund stoßen zu lassen, damit sie gemeinsam noch höher fliegen konnten.

»Dein Wille sei mir Befehl«, sagte sie und versuchte, seine Augen mit ihrem Blick zu bannen und seinen Willen in sich hineinzusaugen. »Was dir Lust bereitet, wird auch mir gefallen. Für dich ertrage ich alles, was du mir antun kannst.«

Eine wahrhaft brillante Sukkubus fürchtete sich niemals vor dem, was ein Mann ihr antun konnte, hatte Raoul einmal gesagt. Sie weckte sein tiefstes Verlangen, seine dunkelsten Abgründe und geheimsten Sehnsüchte, tauchte hinein und fand den Punkt in seinem Inneren, an dem das hellste Licht brannte. So machte sie ihn abhängig von sich und nährte sich gleichzeitig von der Lebensenergie, die er ihr schenkte.

Raoul musterte sie prüfend. Sie hatte das Gefühl, dass sich zwischen ihm und ihr ein stummes Duell entfaltete, wo es um Willenskraft und Abgebrühtheit ging. Er wollte ihr nicht wirklich wehtun, las sie in seinen Augen. Oder nein, das stimmte nicht ganz, er wollte ihr wehtun … wenn … wenn sie nicht stark genug wäre, ihm mit ihrem Lächeln und ihrer Zustimmung Widerstand zu leisten – so zart und unaufdringlich wie eine Weide, die von einem Fluss überschwemmt wurde und sich beugte, um sich nach Ende des Hochwassers unberührt und gereinigt aufzurichten, als wäre nichts geschehen.

Ich bin stark, versicherte sie ihm ohne Worte. Ich werde um Gnade flehen, wenn es das ist, was du suchst. Wenn es dein Wunsch ist, werde ich mich unter deinen Schlägen zusammenkrümmen oder durch deine Worte in Tränen ausbrechen und weinen, als ob ich nie wieder aufhören könnte. Wenn du danach verlangst, werde ich dir alles geben, was ich bin, meinen Stolz, meine Würde und die wenigen Erinnerungen, die mir geblieben sind. Das, was mich ausmacht, geht tiefer als alles, was du mir nehmen kannst. Und das weißt du. Deswegen liebst du mich.

Raouls Lächeln war nur an seinen Augen zu erkennen, der Rest seines Gesichts blieb ausdruckslos. Wenn du das so siehst, warum hast du meinen Vertrag unterschrieben und deine Seele verkauft?

Die Kälte durchfloss Juliettes Gedanken und ließ den Nebel kristallisieren, der ihren Geist verdunkelt hatte. Ich könnte behaupten, dass ich es getan habe, um reich zu werden, damit mich nie wieder jemand herumscheuchen kann. Oder weil ich ein Engel war, der die Nase voll von der Herrlichkeit des Himmels hatte, wie du mir direkt nach dem Aufwachen erzählt hast, du Lügner. Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß. Du hast mir meine Erinnerung geraubt. Schon vergessen?

 

Ihre Erinnerung endete an einem frühen Morgen vor einigen Wochen. Sie konnte nicht mal mehr den genauen Tag nennen. Sobald sie versuchte, sich genauer auf ihr Erwachen zu konzentrieren, nach Hinweisen zu suchen, was ihr Leben in den Monaten und Jahren davor ausgemacht haben könnte, schob sich schwarzgrauer Nebel vor ihre Gedanken und verursachte heftige Kopfschmerzen.

Sie war in Raouls Armen erwacht. Ein verängstigtes und ratloses junges Mädchen, dessen Körper nach Sex und Unschuld roch. Seidenlaken hatten ihre Haut gekühlt, während die Erinnerung an heiße Leidenschaft in ihrem Blut pulsierte.

Wer bin ich, hatte sie geflüstert.

Raoul hatte gelacht und ihr eine lange Geschichte erzählt. Angeblich war sie ein Engel, der vom Himmel gefallen war. Es war eine schöne Geschichte, dramatisch und ein wenig düster, aber wahrscheinlich war sie von vorn bis hinten erlogen. Lucille, ihre erste Lehrerin, hatte das mehr als einmal angedeutet. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass der Geschichte von dem gefallenen Engel, der gegen die allmächtige Herrschaft des Himmels und des Guten rebellierte, eine tiefere Wahrheit zugrunde lag, an die Raoul glaubte. Etwas, was sie entdecken musste, wenn sie die Ewigkeit überstehen wollte, ohne wahnsinnig zu werden.

Sie blickte in seine Augen und erschrak. Für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, dass er schwächer war als sie. Oder nein, nicht schwächer, es war etwas anderes … Etwas, was man vielleicht nie begreifen konnte, wenn man nicht unsterblich war. Sie hatte einen leichten Anflug davon in Lucilles Augen gesehen, kurz bevor ihre damalige Lehrmeisterin ausrastete.

Konnten Menschen es ertragen, für immer zu leben?

Vielleicht habe ich es getan, weil du mir leidgetan hast, du höllischer Verführer. All die Jahrhunderte, in denen du nichts weiter getan hast, als Mädchen zum Bösen zu verführen … Wird das nicht irgendwann langweilig?

Er zuckte zusammen, als ob sie einen wunden Punkt getroffen hätte. Doch bereits eine Sekunde später kehrte sein spöttisches Lächeln zurück. Solange es respektlose Mädchen wie dich gibt, die ich bändigen muss, komme ich mit der Langeweile klar, Juliette.

Juliette sackte zusammen. Die unwirkliche Kraft, die sie während des Disputs aufrecht gehalten hatte, versickerte im Boden und ließ nichts zurück als Erschöpfung.

»Dann bändige mich«, sagte sie. »Tu, was du tun musst. Du weißt, dass ich dich liebe.« Ihre Zähne klapperten und sie zitterte am ganzen Körper.

Die harte Maske seines Gesichts bröckelte, und die Sanftheit kehrte zurück. »Ein anderes Mal, mein Schatz.« Er zog sie an sich.

Juliette realisierte, dass sie nackt war, mehr noch, dass sie und Raoul die ganze Zeit keine Kleidung getragen hatten. Hatte sie wirklich vor nicht einmal fünf Minuten in seinen Armen gelegen und sich von ihm um den Verstand vögeln lassen?

Langsam ließ das Zittern nach. Gleichermaßen verschwand die Erinnerung an das seltsame Kräftemessen, das sich zwischen ihren Augen abgespielt hatte. Alles, was blieb, war das schöne Gefühl, von ihm begehrt und geliebt zu werden.

»Ich bin müde«, gab sie zu.

»Vielleicht wird es Zeit, dass du dich ein bisschen ausruhst.« Er machte eine Kunstpause. »In deiner eigenen Wohnung.«

Eine eigene Wohnung? Nach einer gefühlten Ewigkeit zu Gast bei einer halb wahnsinnigen Sukkubus erschien ihr die Vorstellung eines eigenen Zuhauses unerwartet verlockend.

Herrliche Bilder blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Ein Himmelbett mit Seidenvorhängen, ein Badezimmer mit riesengroßer Wanne und eingebauter Whirlpool-Funktion … Sie würde keinen Flauschteppich wählen wie Lucille, sondern den Boden mit feinem Korklaminat auslegen lassen. Wobei, das würde bestimmt schnell Dellen bekommen, wenn sie mit den Stilettoabsätzen an ihren Hauspantöffelchen darüber lief. Vielleicht doch lieber dunkles Echtholzparkett? Und Sofas, was für Sofas würde sie wählen? Auf keinen Fall mintgrünes Wildleder zu weißgoldenen Strukturtapeten wie bei Lucille … Aber was dann?

Vorsicht, ermahnte sie sich. Steigere dich nicht in falsche Hoffnungen hinein.

»Eigene Wohnung?«, fragte sie und bemühte sich um eine gleichmütige Stimme. »Wie meinst du das?«

Er schnippte mit den Fingern. »Du hast nachher einen Termin bei Sophie-Elle. Am besten, du gehst unter die Dusche und machst dich frisch. Du willst ihr kaum so unter die Augen treten, oder?«

Sie blickte an sich hinab. Durchtrainierter Bauch, straffe Beine und ein schmaler Haarstreifen im ansonsten glattrasierten Bereich zwischen ihren Beinen. »Wieso, sieht doch gut aus.«

Irgendwie missfiel ihr, dass der Sex dieses Mal ohne richtigen Abschluss zu Ende ging. Sie war oft genug gekommen, um sich nicht beschweren zu wollen, aber … Etwas fehlte.

»Freches Mädchen.« Es klang liebevoll. »Na los, ab unter die Dusche mit dir. Du sollst einen guten Eindruck bei ihr hinterlassen.«

»Wieso, wer ist Sophie-Elle denn?«

»Eine von uns und vielleicht deine neue Lehrerin. Außerdem arbeitet sie als Innenarchitektin.«

[home]

Sophie-Elle

Als Juliette zweieinhalb Stunden später die Tür zu Sophie-Elles Innenarchitekturbüro durchschritt, war sie heilfroh, ausreichend Zeit in das Bändigen ihrer hellen Locken und in ein dezentes Make-up gesteckt zu haben. In dieser edlen Wohngegend wollte sie sich nicht durch ihr Outfit blamieren.

Das Büro befand sich im ersten Stock eines alten Fachwerkhauses. Das Geländer im Treppenhaus bestand aus einem entrindeten dicken Ast oder schlanken Baum, der abgeschliffen und mit Bienenwachs behandelt zu sein schien, auf jeden Fall erfüllte den grob verputzten Eingangsbereich mit dem schimmernden Holzfußboden ein angenehmer Honigduft, der sich mit dem Blütenaroma aus dem Vorgarten mischte. Kaum zu glauben, dass sie noch vor fünf Minuten den Geruch von verbranntem Gummi und Autoabgasen wahrgenommen hatte, als an der Kreuzung der nahen Hauptstraße ein junger Mann etwas zu heftig angefahren war.

Sophie-Elles Wartezimmer war ein Traum aus Licht und Schatten, in dem sich Juliette unwillkürlich entspannte. Die Atmosphäre erinnerte an eine Lichtung im Wald, auf der eine kleine Quelle entsprang, die von Nymphen oder Dryaden aus uralten Zeiten bewohnt wurde. Der unwirkliche Eindruck musste etwas mit den Hängepflanzen zu tun haben, die sich um die scheinbar altersdunklen Holzbalken rankten. Versteckte Minilampen ließen Details wie den roten Vorhang neben dem Tresen erglühen und ein großes Gemälde einer Buddha-Statue im Schatten versinken. Dadurch wurde der Blick weniger auf das Gemälde gelenkt als auf die Frage, warum Menschen das Licht ernster nahmen als die Schatten.

Juliette schritt langsam über das Parkett und blickte sich um. »Hallo?«

Eine schlanke Brünette in einem blassgrauen Kostüm kam hinter dem roten Vorhang hervor.

»Da bist du ja, Liebling«, sagte sie mit melodiöser Stimme.

Juliette stolperte auf dem glatten Parkettboden und verfluchte ihre Ungeschicklichkeit. »Bist du Sophie-Elle?« Verglichen mit der Fremden klang ihre Stimme rau und unmusikalisch.

»In der Tat.« Sophie-Elle reichte Juliette anmutig die Hand. »Und du bist meine neue Kollegin, die Raoul vorhin so kurzfristig angekündigt hat, dass ich die Vertreterin des Autohauses auf einen anderen Termin vertrösten musste. Egal. Am Freitag hatte ich eh keine Lust auf sie.«

Hitze schoss in Juliettes Wangen. »Es … es tut mir leid, das wollte ich nicht.«

»Warum denn?« Sophie-Elle lachte leise. Wieder versetzte der Klang ihrer Stimme Juliette in Entzücken. »Ich arbeite hundertmal lieber für eine von uns als für eine hässliche alte Schachtel, die sich gegen die Falten eine Creme von Dior ins Gesicht klatscht und glaubt, dass sie männlicher als die Männer sein müsse, um in dieser Welt zurechtzukommen.«

Juliettes Befangenheit ließ nach. »So eine ist das also? Dein Job muss anstrengend sein.«

»Besser als …« Sophie-Elle biss sich auf die Lippen. »Na ja. Hast du Lust auf einen Kaffee, einen Obstsaft – oder lieber etwas Alkoholisches? Wir haben den ganzen Abend Zeit, um herauszufinden, was ich tun muss, um deine Wohnung in das perfekte Heim für dich zu verwandeln.« Sie führte Juliette in einen anderen Raum, in dem ein Blumenstrauß auf dem Tisch einer modischen Sitzgarnitur Frühlingsgefühle verbreitete.

»Hast du Orangensaft? Oder Sekt?« Juliette ließ sich in das weiche Polster sinken. Dieser Raum wirkte anders als der Empfangsbereich. Geschäftsmäßiger, auch wenn es mit den pastellfarbenen Polstermöbeln und den dunklen Gardinen immer noch gemütlich war. Während der Eingangsbereich zum Träumen einlud, hatte man hier eher das Gefühl, Inspiration zum Arbeiten zu finden.

»Natürlich.« Sophie-Elle verschwand und kam kurz danach mit einer Glaskaraffe mit Orangensaft und einer Flasche trockenen Sekts zurück. Sie ließ sich neben Juliette nieder. »Dieses Apricot steht dir übrigens ausgezeichnet.«

»Danke.« Juliette beugte sich über den Tisch und schenkte Sophie-Elle und sich von dem Orangensaft ein. »Äh, ich hoffe, das war jetzt in deinem Sinne?«

Sophie-Elle lächelte. »Natürlich. Ich mag Orangensaft. Und jetzt erzähl mir, was dich zu einer außergewöhnlichen Frau macht und was dir im Leben wichtig ist. Das muss ich wissen, wenn deine künftige Wohnung zu dir passen soll.«

»Erzählen …« Juliette nahm einen Schluck Orangensaft. »Da gibt es ein kleines Problem. Ich weiß kaum etwas über mich. Das liegt wohl an diesem Zauber, den Raoul über uns alle … Ähm, du bist doch …«

»Eine Sukkubus? Na klar. Sieh mich an.« Sophie-Elles Lachen perlte durch den Raum.

Jeder Zentimeter ihres Körpers, jedes Detail ihrer Kleidung sprach von zurückhaltender Sinnlichkeit. Ihre blasse Haut schien wie Schnee in der Mittagssonne zu glühen. Sophie-Elle war ohne Zweifel eine Frau von erlesener Schönheit, obwohl sie auf den ersten Blick bescheidener, zurückhaltender und auch eleganter als die leidenschaftliche Lucille wirkte. Nun, von ihrer ersten Lehrerin hatte Juliette mehr als genug. Sie wäre nicht traurig, wenn sie Lucille nie wieder sehen müsste.

»Und warum arbeitest du als Innenarchitektin? Könntest du nicht …«

»… mit einem Toyboy auf einer Jacht durch die Karibik ziehen, ihm dabei zusehen, wie er mit nacktem Oberkörper den Außenpool reinigt, und mir bei Cocktails aus einer Kokosnussschale den Teint ruinieren?« Ihre Augen blitzten fröhlich. »Das halte ich keine zehn Jahre durch, danach sterbe ich an Langeweile.«

»So habe ich das noch nicht betrachtet«, räumte Juliette ein. »Wenn man alle Zeit und alles Geld der Welt hat … Ich glaube nicht, dass ich arbeiten würde. Feiern, vögeln und tanzen reichen völlig aus, oder? Du hast doch gesagt, dass diese Zicke von dem Autohaus dich nervt.«

»Kann sein, aber es ist ein herrlicher Triumph, wenn ich es geschafft habe, dass sie mir am Ende aus der Hand frisst und glaubt, dass sie sich gegen mich durchgesetzt hat, während sie in Wahrheit genau das tut, was ich von ihr will.«

Juliette nippte an ihrem Orangensaft. »Das wäre mir zu blöd, wenn ich ehrlich bin. Ist doch demütigend, wenn man vor jemand Fremdem auf dem Boden rumrutschen muss. Wir können frei sein. Warum genießt du das nicht?«

Ein undeutbares Lächeln spielte um Sophie-Elles Lippen. »Du glaubst also, dass du frei bist und nie vor jemandem kuschen musst, der dir unsympathisch ist? Hat Raoul dir das eingeredet?«

Wie häufig in jüngster Zeit hatte Juliette das Gefühl, dass alle außer ihr Dinge wussten, die man ihr verschwieg. Sie ließ den Orangensaft langsam über ihre Zunge fließen und zögerte.

»Du brauchst nicht zu antworten.« Sophie-Elles Lächeln erreichte ihre Augen. »Aber wenn du einen Tipp von einer möchtest, die verdammt lange dabei ist und weiß, wie es funktioniert … Sei nicht ehrgeizig. Das kostet dich auf Dauer den Verstand. Kämpf dich nicht hoch, sondern versuch, so bald wie möglich in der Unsichtbarkeit zu versinken. Such dir ein Hobby, was dir gefällt, und geh Raoul aus dem Weg. Meinetwegen werde Tanzlehrerin. Ich weiß, dass sich das nicht aufregend anhört, aber für deine geistige Gesundheit ist es auf Dauer besser.«

»Ich werde es mir merken.« Juliette lächelte und verbarg ihre Gedanken. Natürlich würde sie keinesfalls versuchen, in der Versenkung zu verschwinden und für Raouls Wahrnehmung unsichtbar zu werden. Im Gegenteil. Sie wollte seine Nummer eins werden und bleiben.

»Nun gut.« Sophie-Elle schlug die Beine übereinander. Ihre Haltung wurde geschäftsmäßiger, als ob sie gemerkt hatte, dass Juliette keine Lust auf private Gespräche hatte. »Wie gesagt, wenn ich deine Wohnung so gestalten soll, dass sie zu deiner Persönlichkeit passt, musst du mir mehr über dich erzählen. Bei nichtsahnenden Klienten dringe ich dafür in den Geist ein, aber ich fürchte, dass du mir das als schlechten Stil auslegen könntest …?« Ein trockenes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Juliette lachte auf. »Ich war fest entschlossen, dir gegenüber wachsam zu bleiben, aber ich glaube, ich mag dich.«

Sophie-Elle grinste. »Und das, obwohl ich so bescheiden und natürlich wirke und nicht so dramatisch wie Lucille, eh?« Sie zwinkerte. »Nimm dir ein Beispiel an meinem Talent. Bescheidenheit ist für deine Gegner gefährlicher als Drama und Leidenschaft.«

»Also gut.« Stockend erzählte Juliette Sophie-Elle das Wenige, woran sie sich erinnerte.

Die Innenarchitektin verstand sich darauf, unaufdringlich zuzuhören. Schnell verlor Juliette das Gefühl, eine besondere Frau darstellen zu müssen, um interessanter zu erscheinen. Die andere entlockte ihr Wünsche, die sie bis dahin nicht mal bewusst wahrgenommen hatte.

»Eine große, gemütliche Küche?«, fragte Sophie-Elle erstaunt. »Wirklich? Du bist die erste Sukkubus, von der ich höre, dass sie gern kocht.«

Juliette senkte den Blick. »Ich habe keine Ahnung, ob ich gern oder gut koche. Solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich es nicht getan. Aber ich möchte gern … keine Ahnung. Kuchen backen, wenn ich abends allein bin. Auch, wenn ich niemanden habe, der den Kuchen hinterher essen wird.«

»Du bist herzlich willkommen, mich damit zu besuchen. Ich liebe Mokkakuchen mit weißem Schokoguss. Ist es nicht schön, dass wir essen können, was wir wollen, ohne ein Gramm Fett an den falschen Stellen anzusetzen?«

»Können wir?« Das hatte sie noch nicht gewusst.

»Natürlich. Und wenn du in den Teig große Vollmilchschokostückchen gibst, erkaufst du dir damit meine immerwährende Loyalität, selbst wenn du eines Tages beschließen solltest, gegen die Fürsten der Hölle persönlich in den Krieg zu ziehen.«

Sie lachte.

Ein paar Geheimnisse behielt Juliette wie kostbare Schätze für sich. Die wiederkehrenden Träume, in denen sie an einem Teich unter Bäumen saß und zu den Sternen emporblickte, manchmal allein, manchmal zusammen mit einem Mann, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte. Sie wollte glauben, dass Raoul dieser Mann war, doch die Gegenwart des Fremden fühlte sich jedes Mal völlig anders an. Reiner. Heiliger. So, als ob sie bei ihm zur Ruhe kommen und gemeinsam auf Pferdediebstahl gehen könnte.

Auch das Gedankenbild, das vielleicht ihre Mutter zeigte – und vielleicht auch nicht –, behielt sie für sich. Vor einigen Tagen hatte sie in einem Tagtraum eine Frau in rosa Leggins gesehen, die sich die Haare toupierte und damit ihr Gesicht verbarg. Obwohl die Frau im ersten Moment wütend gewirkt hatte und Juliette sich an so etwas wie Angst erinnerte, ging von dem Erinnerungsbild gleichzeitig ein tiefes Gefühl von Wärme und Sicherheit aus. Etwas, was nicht zum Leben einer mondänen Sukkubus passte, einer professionellen Verführerin und Lebenskünstlerin, und doch … Einmal musste doch auch sie ein kleines Mädchen gewesen sein und sich nach Liebe gesehnt haben.

Bei Sophie-Elles Frage danach, was sie für Raoul empfand, musste sie schlucken. Wie sollte sie das in Worte fassen? Er erregte sie und forderte sie heraus. Wann immer er sie ansah, war sie fest davon überzeugt, ihn mehr zu lieben als je zuvor einen Mann. Doch sobald er fortging, schien ein scheues Stimmchen in ihrem Hinterkopf zu wispern und vor ihm zu warnen. Dieser Mann bedeutete Gefahr.

Sie wich Sophie-Elles Frage aus und lenkte das Gespräch in ungefährlichere Bahnen. Eine Katze hätte sie gern, sagte sie, aber sie wollte keine Rassekatze kaufen. Ein Kätzchen musste einem zulaufen, sonst zählte es nicht. Sie hätte nicht sagen können, woher diese Überzeugung kam, aber sie schien tief in ihrer Erinnerung verankert. Hatte sie in ihrem alten Leben eine Katze versorgt? Ein schnurrendes, weiches kleines Kätzchen, das irgendwo auf sie wartete und sich in ihrem Arm zusammenrollen würde, wenn sie es streichelte …?

Es war unwahrscheinlich, musste sie sich eingestehen. Raoul hätte ihr kaum das Gedächtnis geraubt, wenn ein hilfloses Kätzchen von ihrer Fürsorge abhängig wäre. So böse konnte niemand sein, nicht einmal er. Aber schön wäre es doch, wenn irgendwo eine schnurrende Katze auf sie wartete und sie liebte …

Bei der letzten Frage, ob es sonst noch etwas gäbe, schüttelte Juliette hastig den Kopf und senkte den Blick. Wieder kam die Erinnerung an den seltsamen Traum mit dem jungen Mann an ihrer Seite hoch, von dem diese seltsame Wärme ausging, die sie von allen Seiten einhüllte und vollständig machte. Sie schwieg. Sophie-Elle war nett und sie plauderte gern mit ihr. Aber man konnte nie wissen, ob sie in Wahrheit nicht doch eine Spionin Raouls war, die herausfinden sollte, ob sie Geheimnisse vor ihm verbarg.

Ob dieser junge Mann tatsächlich existierte? Was er wohl gerade tat?

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Die Verlobte

Niklas kickte einen Stein vom Fußweg auf die Straße. Er blieb neben einem Gullideckel liegen. Noch zweihundert Meter. Wenn er sich nicht irrte, gehörte der weiße Zaun da vorn bereits zum Haus der Thilkins. Egal, wie langsam er ging, früher oder später würde er ankommen.

»Passen Sie auf, junger Mann«, fuhr ihn ein älterer Herr mit einem Spazierstock an. »Sie hätten jemanden treffen können.«

Niklas entschuldigte sich. »Ich bin nervös«, setzte er hinzu.

»Hah!« Der Mann grinste. »Ein Mädchen, was?«

»Nein. Eine Frau.« Niklas hob die Hand an die Schläfe, als würde er einen Hut berühren, und ging weiter. »Schönen Tag noch!«

»Ebenso.«

Offenbar hatte er trotz der Steinkickerei Gnade vor den Augen des Herrn gefunden. Wie schön. Wenn sich nur alles so leicht regeln ließe.

Kein Mädchen, sondern eine Frau. Gwen Thilkins war fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hatte ihr Studium beendet und arbeitete bereits als Chemikerin. Was sie wohl davon hielt, dass sie einen Mann heiraten sollte, der gerade erst achtzehn geworden war? Die Hochzeit sollte schon bald stattfinden, hatte sein Vater erklärt.

Dabei liebte er eine andere Frau. Tina. Er war ihr nur einmal begegnet, an einem verzauberten Abend im Stadtpark am Ufer des kleinen Teichs, wo sie gemeinsam die Sterne angesehen hatten. Tinas Nähe hatte ihn so verzaubert, dass er vergessen hatte, dass sie zuvor von einem Diener der Hölle namens Raoul Saint Georges angesprochen worden war, den Niklas beschatten sollte. Als Raoul zurückkehrte, war es zu spät. Der dunkle Magier setzte Niklas mit wenigen magischen Schlägen außer Gefecht und nahm Tina mit sich.

Seine Familie hatte sich geweigert, einen Versuch zu unternehmen, Tina zu retten. Sein Vater meinte, das Mädchen sei von Anfang an eine Sukkubus gewesen, und Niklas’ Faszination für sie zeige nur, wie talentiert und hinterhältig die dunkle Seite sei. Deswegen sei es umso wichtiger, dass Niklas aller Welt bewies, welch rechtschaffener Sohn er sei, der seine Verpflichtung seiner Familie gegenüber erfüllte.

Trotzdem träumte er jeden Abend im Bett von Tina und davon, sie irgendwie zu retten. Wenn er nur wüsste, wo er dafür ansetzen sollte!

Er öffnete die weiß gestrichene Gartenpforte und ging über den unkrautfreien hellen Pflasterweg auf die mit Schnitzereien verzierte Eingangstür zu. Weinranken verbargen die Backsteine der Außenverkleidung in der Nähe der Tür. Die Büsche, Blumen und Natursteine des Vorgartens standen in Reih und Glied. Man hätte meinen können, sie versuchten, zu salutieren. Niklas holte tief Luft und verharrte mit dem Finger über der Türklingel.

Die Tür öffnete sich, kurz bevor er den Knopf berührte. Für einen Augenblick glaubte er, sich ins neunzehnte Jahrhundert verirrt zu haben. Vor ihm stand ein Hausmädchen in einem schwarzen bodenlangen Kleid mit weißer Schürze. Niklas ertappte sich dabei, dass er sie anstarrte. Sicher, bei ihnen gab es ebenfalls Haushaltshilfen und eine Köchin, aber die trugen normale Straßenkleidung. Jeans oder so.

»Da sind Sie ja endlich.« Das Hausmädchen knickste mit unbewegtem Gesichtsausdruck.

»Wissen Sie, der Bus war etwas zu spät, und dann gab es noch einen Auffahrunfall auf der Strecke, und wir mussten einen Umweg fahren«, schwadronierte er, als ob er bei einem strengen Lehrer zu spät zur ersten Stunde gekommen wäre. Es war das gleiche Gefühl. Man erwartete nicht, dass der andere einem glaubte, selbst wenn es der Wahrheit entsprochen hätte und er nicht bloß am Bushäuschen stehen geblieben wäre, um die Ritzen im Pflaster zu zählen.

»Hat Ihre Familie keinen Chauffeur?«

Trotz des ausdruckslosen Gesichts glichen ihre Worte einer Ohrfeige.

Niklas straffte sich. Er war der Sohn von Jonathan Parker. Zwar nur der dritte Sohn, dessen magisches Talent niemals ausreichen würde, um auch nur annähernd in die Fußstapfen seines mächtigen Vaters zu treten, aber niemand beleidigte ungestraft seine Familie. Das hier war eine Hausangestellte, er dagegen war ein geladener Gast.

»Bringen Sie mich bitte zu meiner Verlobten und ihrer Familie«, sagte er so würdevoll, wie er konnte.

Hätte er auf das bitte verzichten sollen, um ihr klarzumachen, dass er ihre Anspielung auf seine Familie daneben fand?

Nein. Der Patriarch, sein Vater, hatte einmal gesagt, dass Höflichkeit gegenüber Untergebenen das Merkmal eines wahren Gentlemans sei. Das habe nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern mit dem Bewusstsein seiner Stellung und der Verantwortung, die damit einherging.

Das Hausmädchen brachte ihn in den Salon. Eine Mustertapete im Stil der Fünfziger rang mit gemalten Porträts und Schwarzweißaufnahmen älterer Familienmitglieder um Aufmerksamkeit. In der Ecke stand ein zugeklappter Flügel, auf dem trotz der Staubfreiheit vermutlich niemand musizierte. Sonst hätte man keinen Blumenstrauß und weitere Bilderrahmen darauf abgestellt.

Der distinguierte Mann mit kalten Augen und grauen Schläfen, am Kopf des Tisches, stand auf und reichte Niklas zur Begrüßung die Hand. Im Gegensatz zu dem Hausmädchen erwähnte er Niklas’ Verspätung mit keinem Wort, sondern stellte ihm seine Tochter Gwen und seine Söhne Marcel und Jason vor. Die Dame zuerst, wie es sich gehörte.

Wenn man nicht von ihm erwarten würde, dass er Gwen heiratete, hätte er sie hübsch gefunden. Ihre hellbraunen Haare waren zu einem kunstvollen Knoten hochgesteckt, aus dem einzelne Löckchen sich wie zufällig herausringelten. Wache braune Augen musterten ihn prüfend von Kopf bis Fuß.

Sie setzten sich. Das ziselierte Silberbesteck blinkte in einem Nachmittagssonnenstrahl, der sich durch das Holzfenster verirrt hatte. Trotz der verlockenden Zitronenrolle, der Buttercremetorte und des gedeckten Apfelkuchens in der Mitte des Tischs verspürte Niklas keinen Appetit. Das Hausmädchen kam mit dem Tee herein, schenkte allen ein Tässchen ein und verschwand wieder. Gwen fragte die Anwesenden nach ihren Kuchenwünschen und verteilte die Stücke mit zusammengepressten Mundwinkeln.

Was für eine unbehagliche Atmosphäre! Zu Hause gab es wenigstens seinen Bruder Daniel, der ihm manchmal eine Grimasse schnitt und heimlich mit ihm über die kalte Art des Familienpatriarchen witzelte. Aber hier?

»Du möchtest also in unsere Familie einheiraten«, sagte Patriarch Thilkins schließlich. »Aus welchem Grund sollen wir uns für dich entscheiden?«

Niklas verschluckte sich am Kuchen und unterdrückte ein Husten. »Es ist der Wunsch meines Vaters, Sir. Ich bin ein ganz normaler junger Mann, fürchte ich. Um ehrlich zu sein, wahrscheinlich bin ich auch kein besonders guter Magier, obwohl ich mir natürlich große Mühe gebe.«

Wahrscheinlich war es vermessen, zu hoffen, dass er sich mit Bescheidenheit vor dieser Ehe drücken konnte.

»Hm.« Das klang nicht gerade begeistert. »Gwen ist meine einzige Tochter. Wirst du sie ernähren können? Wie planst du deine berufliche Zukunft, wie sieht es mit deinen Schulleistungen aus?«

Niklas ignorierte Gwens Grimasse – dadurch wurde sie ihm ein Stück weit sympathischer – und konzentrierte sich auf den Patriarchen. Offensichtlich war das Ziel dieses Nachmittagstees nicht, dass er seine zukünftige Verlobte kennenlernte, sondern dass ihr Vater sich ein Bild von ihm machen konnte. Dem leicht angewiderten Zug um dessen Mundwinkel zufolge entsprach das Bild nicht unbedingt seinen Erwartungen.

Kein Wunder. Er wollte Gwen nicht heiraten, sondern Tina wiedersehen. Irgendwie musste er seinen Vater davon überzeugen, dass es ihre Aufgabe als Lichtmagier war, das hilflose Mädchen aus den Fängen der Hölle zu retten. Wenn er dieses Gespräch hinter sich gebracht hatte, ohne zu stottern oder versehentlich eine Teetasse zu zerbrechen.

»Du hast zwei ältere Brüder, die beide unverheiratet sind«, fuhr der Patriarch unbeirrt fort. »Warum bietet dein Vater ausgerechnet dich an und keinen der beiden Älteren, die laut deiner Aussage bessere Magier sind?«

Niklas unterdrückte den aufsteigenden Seufzer. »Mein ältester Bruder Carl ist bereits mit einer anderen Frau verlobt, auch wenn ich nicht weiß, welche es ist und warum die Hochzeit bis heute nicht stattfand. Soweit ich weiß, befindet sie sich zurzeit in Südafrika. Das müssen Sie bitte meinen Vater fragen. Und Daniel, mein anderer Bruder, war zum Zeitpunkt der Verhandlungen lebensgefährlich verletzt und lag im Koma. Die Ärzte hatten ihn aufgegeben.«

Der Patriarch ignorierte Niklas’ Unbehagen bei dem Thema. »Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat sich Daniel inzwischen erholt. Wie alt ist er?«

»Zweiundzwanzig.«

»Das wäre altersmäßig näher an mir dran«, mischte sich Gwen in das Gespräch ein.

»Ich werde das mit Niklas’ Vater besprechen«, sagte der Patriarch und warf Gwen einen strengen Blick zu. »Allerdings hat sich Daniel von einer Sukkubus verführen lassen. Damit wird er als Ehemann nicht attraktiver. Vielleicht wird eine andere Familie ihn aufnehmen.«

Unwillkürlich verglich Niklas dieses steife Kennenlernen mit dem verzauberten Abend im Park vor einigen Wochen. Warum hatte er damals nicht Tinas Arm genommen und sie mit sich fortgezogen? Ihr Lächeln hatte ihn berauscht. Sie hatte so frei gewirkt, so unschuldig und neugierig auf alles, was er ihr über die Sterne und seine Träume erzählt hatte. Natürlich kam sie nicht aus seinen Kreisen, aber in ihren Augen hatte eine wache Intelligenz gelegen, die tausendmal mehr verzauberte als Gwens elegante Fassade. Solche Mädchen gab es weder in der Magiergemeinschaft noch in seiner Schule.

»Gwen, erzähl Niklas doch ein wenig von deinem Studium«, bestimmte der Patriarch.

»Vater, ich bin längst fertig damit. Ich arbeite seit fast einem Jahr bei Cont…«

»Da du weißt, dass Niklas noch nicht mit einem Studium begonnen hat, ist es unhöflich von dir, darauf hinzuweisen. Bitte erzähl von der Universität, damit Niklas dazulernt und sich mental auf sein Studium vorbereiten kann.«

Gwen rollte mit den Augen und begann, zu erzählen.

Niklas’ Gedanken schweiften ab zu dem Mädchen, nach dem er sich sehnte. Tina hatte sich seit ihrem Verschwinden nicht mal bei ihrer Mutter Meg gemeldet.

Niklas war Meg durch einen Zufall begegnet, als der Dämon Raoul versucht hatte, sie umzubringen. Angeblich, um zu verhindern, dass Meg etwas tun könne, was Tinas Erinnerungen zurückbrachte. Wenn das stimmte, bedeutete das … Ja, was? Besaß ihre Mutter einen Schlüssel, der Tina die Erinnerungen zurückgeben konnte, die Raoul ihr offenbar geraubt hatte?

Er hatte Tinas Mutter nicht alles erzählt, es wäre ihm zu kitschig erschienen. Was hätte sie davon gehalten, wenn er berichtet hätte, wie Tina ihren Kopf an seine Schulter gelegt hatte und ein süßer Duft von ihren Haaren aufgestiegen war, der die Nacht in ein Paradies verwandelt hatte, in dem er die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen vergessen hatte?

Meg würde ihm den Kopf abreißen. Sie war eine vernünftig und praktisch denkende Frau. Natürlich würde sie fragen, warum er so blöd gewesen war und Tina nicht zuerst in Sicherheit gebracht hatte, bevor er an Romantik dachte.

»… und dann muss man halt sehen, dass man es in der Regelstudienzeit schafft, um seine Jobchancen nicht zu verringern«, beendete Gwen ihre Erzählung. »So, jetzt bist du dran. Was willst du studieren?«

Wenn er das wüsste. »Vielleicht Biologie. Ich würde gern versuchen, die Wale zu retten oder so etwas.«

»Wie süß.« Gwen krauste die Nase.

»Ist es das?«

Einer ihrer Brüder begann mit einer Erzählung davon, wie er nach Rom gereist war, um in der Bibliothek des Vatikans ein bestimmtes altes Schriftstück zu finden. Gwen verspeiste ihr Stück Zitronenrolle mit eleganten Happen und nahm zwischendurch kleine Schlucke Tee mit abgespreiztem kleinen Finger. Sie wirkte kühl und stolz.

Es musste schwer sein, als einzige Frau in einer Magierfamilie zu leben und zu wissen, dass sie allein niemals die Erlaubnis erhalten würde, ihre angeborenen magischen Fähigkeiten zu entfalten. Wenn eine Frau sich mit Magie beschäftigte, würde sie sich früher oder später der dunklen Seite hingeben, hatte er gelernt. Irgendetwas in ihrem Blut, in ihrer ungezügelten Körperlichkeit, brachte Frauen dazu, früher oder später gegen die Regeln der Selbstkontrolle zu verstoßen und ihren Willen über den Schutz der Allgemeinheit zu stellen. Wenn das geschah, gab es keine andere Möglichkeit, als diese Frauen zu töten. Magie musste dem Licht dienen oder ausgerottet werden.

Was Gwen von diesen Einschränkungen hielt?

Sie reckte ihr Kinn stolz nach vorn, als ob sie seinen Blick spüren könnte. Das war keine Frau, die sich auf Küche und Kinder beschränken ließ. Ihr kühler, unberührter Gesichtsausdruck erinnerte ihn an das Porträtfoto seiner Mutter. Nein, das stimmte nicht ganz. Da, wo seine Mutter ätherische, körperlose Eleganz ausgestrahlt hatte, brannte etwas in Gwen und verlieh ihren Augen eine wilde Lebendigkeit, die sie hinter ihrer ausdruckslosen Maske zu verstecken versuchte.

Sie schien seinen Blick zu spüren und wandte sich ihm zu. »Was starrst du mich so an?«

Das Feuer in ihren Augen schimmerte. Hinter ihrer kühlen Fassade war Gwen offenbar eine leidenschaftliche Frau. Ohne es von ihr ausgesprochen zu hören, begriff Niklas, dass diese Leidenschaft keinesfalls der Tatsache galt, dass sie mit einem Jungmagier verheiratet werden sollte, der sieben Jahre jünger war als sie.

Liebte sie einen anderen?

»Ich habe darüber nachgedacht, wie schön deine Frisur deine Augenfarbe zur Geltung bringt«, erfand er hastig ein Kompliment. Gwens haselnussbraune Augen, die geheimnisvoll mandelförmig schimmerten, waren in der Tat ein Hingucker.

Gwen schnaubte fast unhörbar. »Das hast du irre romantisch gesagt«, säuselte sie. »Damit bringst du mein Herz voll zum Schmelzen, Niklas.«

Der beißende Sarkasmus war nicht zu überhören.

Ihr Vater warf ihr einen strengen Blick zu. »Wie schön, dass ihr beide euch versteht. Das gibt mir Hoffnung für einen glücklichen Verlauf eurer Ehe. Ich freue mich, dass ihr beide euch so aufrichtig darum bemüht, das Beste aus dem Unvermeidlichen zu machen.«

Was für eine verbale Ohrfeige.

Niklas verschluckte die spöttische Antwort für Gwen, die ihm auf der Zunge gelegen hatte. »Es ist nur die Wahrheit«, sagte er stattdessen. »Gwen, du bist eine ungewöhnlich elegante Frau.«

»Und du scheinst ein Mann zu sein, der sich ehrlich bemüht.« Gwen klang weniger sarkastisch. »Es ist natürlich eine schwierige Situation für uns … Aber vielleicht finden wir einen Weg, um das Beste daraus zu machen.«

»Natürlich werdet ihr das.« Der Patriarch musterte sie streng. »Und da ihr euch offenbar gut versteht … Es wird Zeit, einen Termin für die Hochzeit auszumachen. Ich möchte damit nicht zu lange warten.«

Dieses Mal verschluckte sich Gwen. Niklas presste die Zähne aufeinander, um es ihr nicht gleichzutun.

Gwen wendete sich an ihren Vater. »Du … du scheinst es sehr eilig mit dieser Hochzeit zu haben. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?«

In ihrer Stimme klang mit, dass sie ihn das wohl schon häufiger gefragt hatte und sie hoffte, dass er ihr in Anwesenheit eines nicht zur Familie gehörigen Gastes aus Höflichkeit endlich antworten würde.

»Die Gründe brauchen euch nicht zu interessieren.« Der Blick, den er seiner fünfundzwanzigjährigen Tochter zuwarf, hätte für ein Schulmädchen gepasst. »Niklas’ Vater und ich haben entschieden. Das sollte für euch ausreichen.«

Gwen schob die Unterlippe vor. »Ganz ehrlich, Vater, das geht mir zu schnell. Gib Niklas und mir wenigstens die Chance, uns kennenzulernen.«

Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Ihr habt euch gerade kennengelernt.«

»Vater …« Sie legte die Hand auf seine. »Ich finde wirklich, dass er und ich mehr Zeit bekommen sollten. Warum muss alles so überhastet gehen? Sollen die anderen Magier etwa glauben, ich sei schwanger geworden und müsse schnell unter die Haube gebracht werden?«

Niklas hielt den Atem an. Er hätte nie gewagt, seinem Vater auf diese Weise zu widersprechen.

Patriarch Thilkins schien seiner Tochter gegenüber weniger streng eingestellt zu sein, als Niklas zunächst vermutet hatte. Er wiegte seinen Kopf und nickte schließlich. »Von mir aus könnt ihr nächste Woche zu zweit Tee in deinem Zimmer trinken und die Dinge bereden, die nicht bis zur Hochzeit warten können. Wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert.« Er warf einen kurzen, fast unmerklichen Blick zu der Wand mit den Porträts und schüttelte minimal den Kopf. »Wann wollt ihr euch treffen?«

Gwen strahlte ihren Vater an. »Am Dienstagnachmittag. Siebzehn Uhr. Okay, Niklas?«

Niklas nickte. Was für eine Wahl blieb ihm? Und warum wurde auf einmal schon von einem Hochzeitstermin gesprochen, während Daniel noch im Krankenhaus lag?

»Dann ist es abgemacht.« Der Patriarch drückte eine kleine Klingel auf dem Tisch, die Niklas bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefallen war. »Wir brauchen frischen Tee.«

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Warnung an Lucille

Für einen Moment wünschte sich Raoul, Tina wäre statt Lucille bei ihm und würde seinen Schwanz lutschen.

Moment. Tina?

Er fluchte innerlich. Hatte er Juliette tatsächlich bei ihrem alten Namen genannt, und sei es nur in Gedanken? Normalerweise war er der Erste, der darauf bestand, dass die Mädchen mit dem Ablegen ihres alten Lebens auch alle Erinnerungen und ihre Persönlichkeit verloren. Das alles wurde durch den Diebstahl ihres Namens symbolisiert.