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Maci steht vor dem Nichts. Mit gebrochenem Herzen musste sie die traumhafte Karibikinsel Lovett Island und ihre Freunde verlassen – in Trevors Welt war einfach kein Platz für sie. Auch Violet steht vor großen Herausforderungen, als schmutzige Wahrheiten über den Inselbesitzer Baron Wilkins ans Licht kommen. Und Blair versteht endlich, dass weder Parkins noch Trevor ihre Zukunft sind, sondern Lovett Island selbst. Sie setzt alles daran, die paradiesische Insel nicht zu verlieren – doch dafür muss sie einen hohen Preis zahlen ...
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Seitenzahl: 437
Veröffentlichungsjahr: 2021
Buch
Maci musste die traumhafte Karibikinsel Lovett Island verlassen – ausgerechnet wegen Trevor Parker, des angehenden Baseballstars und Erben eines Sportartikelimperiums, an den sie ihr Herz verloren hat. Ohne Job und mit verlorenem Stipendium steht sie vor dem Nichts und muss einen Menschen um Hilfe bitten, den sie nie wiedersehen wollte: ihren ehemaligen Tennistrainer Chad. Gleichzeitig muss sich ihre Freundin Violet nicht nur ihrer Vergangenheit, sondern auch dem Inselbesitzer Baron Wilkins stellen, nun, da schmutzige Wahrheiten ans Licht gekommen sind. Brent steht ihr dabei zur Seite, doch als Violet glaubt, dass sich nichts mehr zwischen sie stellen kann, setzt sein Geheimnis ihre Liebe aufs Spiel. Und Blair steht kurz davor, wegen ihres Vaters alles zu verlieren: Trevor und ihre Zukunft bei Parkins. Das Einzige, worum sie noch kämpfen kann, ist Lovett Island selbst – doch für die paradiesische Insel muss sie einen hohen Preis zahlen …
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sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin
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EMILIA SCHILLING
LOVETT ISLAND
Sommerprickeln
Roman
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Deutsche Erstveröffentlichung Juli 2021
Copyright © 2021 by Emilia Schilling
Copyright © 2021 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der Literarischen Agentur Peter Molden, Köln.
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Li-Sa Vo Dieu
MR · Herstellung: ik
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-25145-1V001
www.goldmann-verlag.de
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Für Christian
Die Sonne schien mir in den Nacken, als ich vor der Abraham O’Neil Tennis Academy stand und auf den rund gebauten, mehrstöckigen Gebäudekomplex blickte, an dessen Glasfassade das Licht in allen Farben reflektierte. Kein Wunder, dass es der Sunshine State war. Wann immer ich fürs Intensiv-Training in Florida war, gab es strahlenden Sonnenschein. Zu Beginn hatte ich die Luft hier immer als zu heiß und stickig empfunden, aber nachdem ich über einen Monat auf Lovett Island gewesen war, hatte ich mich an dieses schwüle Klima gewöhnt.
Die Tennisakademie der Familie O’Neil zählte zu den renommiertesten in den USA und war schon für einige große Tennisspieler ein Sprungbrett gewesen. Meine Eltern hatten immer gehofft, dass ich in die Fußstapfen dieser großen Namen trat.
Mit weichen Knien stieg ich die Stufen zum Eingang hoch. Mein Trolley war noch genauso leer wie bei meinem Weg von North Dakota nach Lovett Island. Ich hatte die von Karlee und Violet geliehenen Klamotten auf der Insel zurückgelassen. Ebenso die dunkelblaue Tennistasche mit goldenen Akzenten, die Trevor mir geschenkt hatte. Sie bedeutete mir nichts mehr. Limitierte Stückzahl hin oder her. Ich wollte einen Schlussstrich ziehen, und jedes Andenken hätte mir meinen Abschied umso schwerer gemacht.
Die Gedanken an Trevor schnürten mir die Kehle zu. Selbst zwei Tage nach meiner Abreise konnte ich nur erahnen, warum er das getan hatte. Ich hatte nicht mehr mit ihm darüber gesprochen. Zu groß waren meine Wut und Enttäuschung in dem Moment gewesen, als ich realisiert hatte, dass er der Grund für meine Kündigung war.
Als ich vor der Tür stand, schob sie sich automatisch auf, und ich ging zaghaft hinein. Die Akademie zu betreten fühlte sich anders an als sonst. Früher hatte ich mich immer gefreut hierherzukommen. Die Camps waren eine willkommene Abwechslung zum Training meines Vaters gewesen. Zwar hatten mir die Trainer viel abverlangt, doch auch der Spaß war nicht zu kurz gekommen. Heute kam ich, ohne ein Camp gebucht zu haben. Niemand erwartete mich. Dennoch hoffte ich, hier in einen sicheren Hafen einzulaufen, immerhin war das viele Jahre mein zweites Zuhause gewesen, und auch Elliott war hier.
In der Eingangshalle legte sich die kühle Luft der Klimaanlage auf meine überhitzte Haut. Ich warf einen flüchtigen Blick durch die breite Glasfront auf die Indoor-Plätze, wo reger Betrieb herrschte. Rechts davon waren die Zugänge zu den unterschiedlichen Bereichen der Akademie: Unterkünfte, Kantine, Gym, Wellnessbereich und Seminarräume. Ich kannte dieses Gebäude wie meine eigene Westentasche.
»Willkommen an der Abraham O’Neil Tennis Academy. Wie kann ich Ihnen helfen?«, begrüßte mich eine junge Frau mit roten Haaren und einem blasslila Poloshirt, die am Empfangstresen auf der linken Seite der Eingangshalle saß.
Ich ging auf sie zu. »Hi, ich würde gerne Elliott sprechen.«
»Haben Sie denn einen Termin mit Mr O’Neil junior?«, fragte die Frau, als wüsste sie, dass der Juniorchef mich nicht erwartete. Laut ihrem Namensschild hieß sie Shannon.
»Nein, aber er wird mich sprechen wollen, wenn er weiß, dass ich hier bin«, sagte ich sicher.
Vermutlich wäre es besser gewesen, Elliott meine Ankunft anzukündigen. Ich hatte sogar bereits Münzen in ein Telefon am Flughafen geworfen, doch den Mut verloren, ehe ich die Nummer eingetippt hatte. Zu groß war meine Befürchtung, Elliott hätte mich sonst davon abgehalten herzukommen. Zu viel war passiert, seit ich das letzte Mal, im Herbst des vergangenen Jahres, hier gewesen war.
»Mr O’Neil junior ist heute sehr beschäftigt«, entgegnete mir Shannon mit spitzen Lippen.
»Er ist bestimmt auf einem der Plätze«, sagte ich. »Ich kann selbst nach ihm suchen.«
»Das ist völlig unmöglich.« Entrüstet schüttelte Shannon den Kopf. »Das ist ein exklusiver Club, der ausschließlich für Mitglieder und Tennisschüler zugänglich ist.«
»Das weiß ich. Ich war schon oft hier.«
»Dann kennen Sie sich ja aus.« Sie zog die Augenbrauen erwartungsvoll hoch.
Ich holte tief Luft, um meine Nerven zu beruhigen. Ich wollte nicht mit Shannon streiten. »Darf ich kurz Ihr Telefon benutzen?«, fragte ich und deutete auf den Apparat auf ihrem Tisch. »Dann rufe ich Elliott selbst an.« Ich wollte gerade danach greifen, als Shannon schützend ihre Hand darüberlegte.
»Tut mir leid«, zischte sie und krallte ihre Hand um den Hörer, als würde sie ihn zur Not auch als Waffe gegen mich benutzen.
Ich hatte keine Lust, hier einen Aufstand zu machen. Es wäre so viel leichter, wenn sie mich einfach durchgehen ließ. Resignierend seufzte ich. »Dann rufen Sie ihn bitte an. Es wäre wirklich dringend, Shannon.« Ich bemühte mich um ein freundliches Lächeln, was angesichts ihres argwöhnischen Blicks aussichtslos zu sein schien.
Sie zögerte. Dann zog sie widerwillig einen Notizzettel hervor. »Und Sie sind?«, fragte sie betont genervt.
»Maci Stiles.«
Sie notierte meinen Namen.
»Ich werde sehen, ob ich Mr O’Neil junior erreichen kann«, sagte sie, worauf ich erleichtert meine Schultern sinken ließ. »Das kann jedoch dauern«, fügte sie hinzu und deutete mir mit einer wegweisenden Handbewegung, bis dahin im Wartebereich Platz zu nehmen.
Ich mochte sie nicht.
Auch wenn ich nicht verstand, warum sie ihn nicht gleich anrief, ging ich zu den dunkelvioletten Sofas mit weißen Kissen, die für Besucher bereitstanden. Mir fehlte nach den letzten Tagen die Kraft für eine Diskussion. Außerdem würde ich mit etwas Glück eine Weile bleiben, weshalb ich es mir mit Shannon nicht bei unserem ersten Treffen verscherzen wollte.
Ich ließ mich auf eines der Sofas nieder, den Blick auf den Empfangstresen gerichtet. Ich wollte Shannon im Auge behalten, ebenso wie die Türen zum Trainingsgelände. Tagsüber war Elliott meist dort unterwegs, teilweise gab er selbst Unterricht, manchmal spielte er mit wichtigen Geschäftspartnern.
Das Telefon am Schalter klingelte, und die Frau nahm den Hörer ab. Ich hörte ihre fröhliche Stimme zwitschern: »Hallo, Tracy, bleibt es bei heute Abend im Saint Johns Club? Ich habe dieses supersüße neue Kleid, das ich unbedingt anziehen will. Weißt du, ob Matt mitkommt?«
Offenbar waren ihr supersüßes neues Kleid und Matt wichtiger als meine Bitte. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und ließ den Blick zur Decke schweifen. Dem zufriedenen Lächeln auf ihren Lippen nach würde Matt kommen.
Einen Moment lang beobachtete ich Shannon, die ihre Nägel betrachtete, während sie Tracy lauschte. Als ich mich sicher fühlte, schob ich unauffällig meinen Trolley hinter das Sofa, wo ich ihn vorerst stehen lassen wollte. Vielleicht konnte ich mich an ihr vorbeischleichen, während sie telefonierte. Ich richtete mich ein Stück weit auf, um ihre Aufmerksamkeit zu prüfen, da traf mich ihr wachsamer Blick.
Frustriert ließ ich mich in die Kissen zurücksinken. Ich wollte dieses Gespräch mit Elliott endlich hinter mich bringen. Denn selbst wenn er mir helfen wollte, gab es einen Haken. Und der machte mir mehr Angst, als ich mir eingestehen wollte.
Shannons Telefonat mit ihrer Freundin dauerte noch weitere fünf Minuten und endete erst, als eine Gruppe von zwei Erwachsenen und mehreren Jugendlichen in die Eingangshalle kam. Blitzschnell legte Shannon auf und begrüßte die Besucher ebenso professionell wie mich. Dieses Mal blieb sie jedoch freundlich.
Das Gedränge um den Empfangsschalter war groß, und wie ich kurz prüfte, war Shannon abgelenkt genug, um den Augenblick ausnutzen zu wollen. Ohne lange zu zögern, stand ich auf und ging geradewegs auf jenen Bereich zu, der zu den Trainingsplätzen führte. Ich war schon so oft hier entlanggelaufen, dass ich fast die Schritte zählen konnte. Selbst wenn ich Elliott nicht bei den Courts fand, wüsste ich schon, wie ich weitersuchen konnte. Ich kannte genug Wege, um nicht noch einmal an Shannon vorbeizumüssen.
»Ms Stiles!«, hörte ich Shannon empört rufen, doch da war ich schon durch die erste Tür hindurch.
Ich lief an den Umkleiden und Waschräumen vorbei und stieß die Glastür auf, die mich ins Freie führte. Die drückende Hitze schlug mir entgegen.
»Sie dürfen da nicht einfach durch«, rief Shannon, doch dann fiel die Tür zu, und ich hörte nicht mehr, was sie sagte.
Es gab zehn Freiluftplätze, die einen Großteil des Areals einnahmen. An mehreren davon fanden gerade Trainingsspiele statt. Ich entdeckte Elliott unweit vor mir, wie er ein Spiel beobachtete und sich dabei Notizen auf einem Klemmbrett machte.
»Hey, Elliott!«, rief ich, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Ich konnte nicht warten, bis er mich von selbst entdeckte, sonst würde mich wohl gleich Wachhund Shannon außer Gefecht setzen und an den Haaren zurückschleifen, ehe er überhaupt mitbekommen hatte, dass ich hier war. Jedes Unternehmen brauchte anscheinend einen Aufpasser. Lovett Island hatte Peyton und die Tennisakademie Shannon.
Überrascht blickte Elliott auf. Als er mich sah, breitete sich ein Lächeln in seinem Gesicht aus. »Maci, was machst du denn hier?«
»Dich besuchen«, antwortete ich und umarmte ihn zur Begrüßung. Hinter mir hörte ich die Tür aufschlagen. »Sorry, aber du musst deinen Wachhund zurückpfeifen«, flüsterte ich, ehe ich einen Schritt von ihm wegtrat.
»Elliott, sie ist einfach durchgelaufen«, beschwerte sich Shannon. Ihr Gesicht hatte die gleiche Farbe wie ihr karottenrotes Haar angenommen. Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und keuchte. Offenbar war sie selbst nicht sehr sportlich. Vielleicht wollte sie aber auf diese Weise einen noch bedrohlicheren Eindruck machen.
»Sie hat sich geweigert, dich anzurufen«, erklärte ich mit gespielt unschuldiger Miene, um Shannon noch ein wenig mehr zu ärgern.
»Ich war beschäftigt«, blaffte sie mich an.
»Schon gut!« Elliott trat zwischen uns. »Maci ist eine sehr gute Freundin. Sie darf sich selbstverständlich auf dem gesamten Areal frei bewegen.«
Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu und verkniff mir einen weiteren spitzen Kommentar. Shannon war eine Mitarbeiterin der Akademie, und wenn mein Plan aufging, würde ich auch bald zu dem Team gehören.
Die Empfangsdame löste nur schwer ihren Blick von mir, ehe sie sich mit zusammengepressten Lippen abwandte und zurück in das Gebäude lief.
»Ich glaube, wir werden noch Freundinnen«, sagte ich, als sie weit genug weg war, um mich zu hören.
»Ich wusste nicht, dass du vorbeikommst. Nach unserem letzten Treffen war ich nicht sicher, ob du überhaupt noch was mit mir zu tun haben willst.« Elliott lächelte mich entschuldigend an und fuhr sich nervös durchs Haar.
Blairs Plan, Elliott abzufüllen, um Informationen über mich herauszufinden, war hinterhältig gewesen, doch zum Glück hatte sie Trevor damit nicht beeinflussen können.
»Schon gut«, winkte ich ab, weil ich nicht wollte, dass das zwischen Elliott und mir stand. Mein Blick fiel auf das Klemmbrett in seiner Hand und die Notizen, die er ziemlich unleserlich darauf gekritzelt hatte. »Viel zu tun?«, fragte ich und deutete darauf.
Elliott stöhnte leise. »Zwei Tennistrainer sind ausgefallen«, erklärte er. »Deswegen springe ich jetzt ein.«
Ich wusste, dass er Wichtigeres zu tun hatte. Eigentlich müsste er Trainingspläne erstellen, Personalaufgaben zuweisen, Events organisieren und den Sponsoren Honig ums Maul schmieren. Sicherlich war es für ihn purer Stress, auch noch auf dem Platz zu stehen.
»Könntest du Unterstützung brauchen?«, fragte ich daher voller Hoffnung.
»Sag bloß, du willst hier einen Job.« Elliott lachte amüsiert. »Was ist mit Lovett Island?«
Ich holte erst Luft, bereit für eine Erklärung, doch dann merkte ich, dass ich im Moment nicht die Kraft dazu hatte. Ich wollte nicht aussprechen, dass ausgerechnet Trevor für meine Entlassung verantwortlich war. »Das war eine gute Zeit, aber sie ist vorbei«, antwortete ich. »Also, wie sieht’s aus?«
»Ich würde dich ja sofort einstellen«, sagte er zögernd, »aber ich muss dafür vorher mit Chad reden. Nach der Sache zwischen euch kann ich die Entscheidung nicht über seinen Kopf hinweg treffen.«
Das wäre ja auch zu schön gewesen, wenn Chad dabei keine Rolle spielen würde. Was hatte ich erwartet? Herkommen zu können, ohne ihn erneut in mein Leben lassen zu müssen? Ich nickte dennoch einsichtig, auch wenn ich gehofft hatte, Elliott würde einen anderen Weg wissen. Ich wollte nicht von Chads Wohlwollen abhängig sein. Er hatte damals mein Herz erobert und es mit seiner Zurückweisung in tausend Stücke zerbrochen. Wir waren ohne eine Aussprache auseinandergegangen, und er wusste bis heute nicht, was nach seiner Abreise passiert war.
»Er ist heute unterwegs, aber wenn du mir deine Nummer dalässt, rufe ich dich an, sobald ich das geklärt habe«, schlug Elliott vor.
»Um ehrlich zu sein, hab ich mir kein Handy mehr zugelegt, seit meine Eltern es mir weggenommen haben.«
Elliott lachte. »Du bist wohl die einzige Achtzehnjährige in den USA, die ohne Handy auskommt. Dann komm einfach morgen um neun noch mal vorbei. Da weiß ich bestimmt mehr.«
»Mach ich.« Ich war schon so sehr auf seine Hilfe angewiesen, dass ich nicht auch noch nachfragen wollte, ob er wusste, wo ich die Nacht verbringen konnte. Solange das mit Chad nicht geklärt war, wollte ich mich ihm nicht weiter aufdrängen.
»Ich muss schon weiter«, seufzte Elliott mit einem Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sehen uns morgen, Maci.«
Ich verabschiedete mich und ging vom Platz. Gerade als ich das Akademiegebäude erreichte, stieß jemand die Tür auf.
»Qué demonios …!«, schnaubte eine junge Frau in Tennisklamotten und sprang einen Schritt zurück, um mir die zufallende Tür aufzuhalten. Sie erinnerte mich ein wenig an die junge Serena Williams, hatte ihre Cornrow Braids zu einem tiefen Zopf gebunden und sogar bunt lackierte Nägel, wenn auch nicht so lang wie die Tennis-Ikone. »Pass besser auf, wenn du da reingehst, Shannon hat mal wieder eine Superlaune.«
»Das geht wohl auf meine Kappe«, sagte ich schuldbewusst. Anscheinend hatte sich Shannon noch nicht abreagiert.
Die Frau musterte mich, dann stahl sich ein Grinsen auf ihre Lippen. »Verrätst du mir auch, wie du das geschafft hast?«
»Ich bin hier durchgelaufen, obwohl sie mich nicht vorbeilassen wollte, und dann hat Elliott mich auch noch vor ihr in Schutz genommen.«
Wissend nickte sie. »Das erklärt einiges. Shannon steht schon lang auf ihn.«
»Hätte ich das mal eher gewusst.«
Sie grinste, dann musterte sie mich neugierig. »Bist du eine von den neuen Trainerinnen, die Elliott sucht?«
»Das hoffe ich. Er sagt mir morgen Bescheid. Kennst du zufällig ein günstiges Hotel in der Nähe, wo ich unterkommen kann?«
»Kennen ja, aber das kann ich dir nicht empfehlen. Wenn du willst, kannst du bei mir auf der Couch pennen. Ich bin übrigens Rosie.«
»Maci.« Wir schüttelten uns kurz die Hand. »Ich will dir aber echt keine Umstände machen.«
Sie winkte schnell ab. »Shannons Feinde sind meine Freunde. Ich hab aber noch eine Trainingsstunde vor mir, danach können wir los.«
Hugh Parkers Büro lag direkt unter meinem Zimmer. Ich war dennoch noch nie darin gewesen, und dass ich heute hierherzitiert wurde, machte mich richtig nervös.
»Violet, ich möchte dir Dr. Andrew Hofstadter vorstellen«, begrüßte mich Hugh Parker, als ich durch die Tür trat.
Ich lief vorsichtig in das penibel gereinigte Zimmer und setzte mich an den blank geputzten Glastisch. Ich gab acht, nichts anzufassen. Nicht, dass ich Fingerabdrücke hinterließ. Es reichte ja schon, dass meine nackten Oberschenkel auf dem Leder des Stuhls kleben blieben.
Ich ahnte, worum es ging. Seit die Sache mit Maci vor zwei Tagen passiert war und ich ihre Anschuldigungen gegen Baron bekräftigt hatte, überkam mich ständig der Gedanke, dass ich etwas zu voreilig in Peytons Büro gestürmt war.
Nachts wälzte ich mich stundenlang von einer Seite zur anderen, weil mich die Schuldgefühle und die Angst vor den Konsequenzen nicht schlafen ließen. Hatte ich falsch reagiert? Hätte ich, statt Baron hinterrücks der sexuellen Belästigung zu beschuldigen, ihn einfach zurückweisen sollen?
»Dr. Hofstadter berät mich seit vielen Jahren in Rechtsangelegenheiten«, fuhr er mit monotoner Stimme fort und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
Der Anwalt war ein leicht untersetzter Mann, Mitte fünfzig, um dessen Bauch sich das weiße Hemd spannte. Er nickte mir kurz zu, während seine dicken Finger auf einer dunklen Dokumentenmappe lagen. Ein goldener Ring steckte an seinem Finger und sah aus, als ließe er sich gar nicht mehr herunternehmen. Wir nickten uns kurz zu.
»Violet, wir möchten mit dir über Baron Wilkins sprechen«, erklärte Hugh Parker. Wie er Barons Namen aussprach, als ginge es um eine fremde Person und nicht seinen jahrzehntelangen Geschäftspartner.
»Ich weiß«, sagte ich leise, obwohl sich alles in mir dagegen sträubte. Ich wollte die Erinnerungen an unangenehme Momente mit Baron nicht noch mal aufleben lassen. Nicht vor jemand anderem und schon gar nicht vor den beiden.
»Ms Braga, Sie sind seit einem Jahr als Staffmitglied auf Lovett Island tätig. Ist das korrekt?«, fragte Dr. Hofstadter und schlug die Mappe vor sich auf.
»Ja.« Unter der Tischplatte presste ich die Fingerkuppen in meine Oberschenkel. Ich wollte diese Unterhaltung so schnell wie möglich hinter mich bringen.
»Ms Braga, Sie wurden am 10. August 2000 geboren?«
Ich nickte und überlegte, ob ich ihn angesichts meines Nachnamens korrigieren sollte, entschied mich aber dagegen. Ich wusste nicht, woher er meine Daten hatte. Doch meine Entscheidung, Wyatts Nachnamen nicht länger tragen zu wollen, stand seit meiner Ankunft auf Lovett Island fest.
»Eine klare Antwort, Violet«, mahnte Hugh Parker mich.
Erschrocken über diesen Tonfall sah ich auf, dann räusperte ich mich schnell. »Ja, Sir.« Ich ließ es als Antwort für beide Männer im Raum stehen.
»Geboren und aufgewachsen in Las Vegas?«
»Ja, Sir.«
»Bei Ihrem Vater Charles Newman, der vor drei Jahren verstorben ist?«
Die Erinnerungen an meinen Dad und an seinen aussichtslosen Kampf gegen den Krebs bohrten sich schmerzhaft in meine Brust und trieben heiße Tränen in meine Augen. Es war ihnen scheißegal, in welcher Situation ich gerade war. Sie wollten einfach nur raus.
»Violet?«, drängte Hugh Parker.
»Ja, Sir«, antwortete ich und zwang meine Tränen zu bleiben, wo sie waren. Meine Kehle war trocken, doch ich griff nicht nach der Glaskaraffe und einem Trinkglas, die vor mir bereitstanden. Ich wollte nichts verschütten und hässliche Wasserflecken am Tisch hinterlassen.
»Ihre leibliche Mutter ist Gabriela Maria Braga?«
Ihren Namen zu hören ließ einen heißen Schmerz meine Kehle hochkriechen. Er schnürte mir die Luft ab. Was hatten die beiden hier vor? Ich dachte, wir wollten über Baron sprechen und nicht über meine Familienverhältnisse!
»Ms Braga?«, hakte Dr. Hofstadter nach.
»Ja, Sir.«
»Sie tragen den Namen Ihrer Mutter, obwohl diese nach Brasilien ausgewandert ist, als Sie ein Jahr alt waren?«
»Ja«, log ich, weil ich nicht erklären wollte, warum ich in Wahrheit weder Braga noch Newman hieß.
Dr. Hofstadters Blick haftete noch kurz auf mir, als kannte er die Wahrheit, dann widmete er sich erneut seinen Unterlagen. »Vor Ihrer Anstellung auf Lovett Island waren Sie in Las Vegas als … Bardame tätig?«
Mir entging die kurze Pause nicht. Sollte er doch davon halten, was er wollte. Es gab nichts, wofür ich mich schämen musste. »Das ist richtig«, antwortete ich und reckte mein Kinn ein Stück vor.
»Wie haben Sie Mr Wilkins kennengelernt? In … Las Vegas?« Dr. Hofstadter spuckte diesen Namen aus, als wäre er etwas Widerwärtiges. Etwas Verruchtes. Ich wettete, dass er noch nie dort gewesen war. Und wenn, dann nur in einem dieser teuren Hotels am Las Vegas Strip, wo er sich erst Hummer und Champagner und anschließend für vierhundert Dollar eine spektakuläre Abendshow gegönnt hatte.
»Baron …« Ich stockte und räusperte mich. »Mr Wilkins kam eines Abends in den Club, in dem ich als ›Bardame‹ tätig war, und bestellte bei mir etwas zu trinken.«
Die Männer warfen sich einen flüchtigen Blick zu, der ihre Zweifel an meiner Geschichte nicht verheimlichen konnte.
»Hat er Sie für mehr bezahlt als nur für Drinks?«, erkundigte sich Dr. Hofstadter weiter.
Die Frage überraschte mich nicht. Sie unterstellten mir, auch als Stripperin gearbeitet zu haben. Vielleicht sogar als Prostituierte. Als Latina aus Vegas war ich Vorurteile leider gewöhnt.
»Nicht an diesem Abend«, antwortete ich.
Der Anwalt notierte sich etwas. »Kam er öfters?«, fragte er, den Blick noch aufs Papier gerichtet.
»Zwei, nein, drei Tage später war er wieder im Club.« In den Tagen dazwischen war viel passiert. Wyatt war nach längerer Abwesenheit wieder aufgetaucht und wollte Geld von mir haben. Nicht zum ersten Mal. Dabei reichte mein Einkommen aus der Bar gerade mal für die Miete, Essen und die Schulden beim Krankenhaus.
Nur einen Tag später hatten mich Wyatts »Freunde« besucht. Darunter ein bis zu den Zähnen tätowierter Muskelprotz, der behauptet hatte, Wyatt würde ihm einen Haufen Kohle schulden. Auf der Suche nach Geld hatte er erst meine Wohnung auseinandergenommen und mir anschließend den Ringfinger gebrochen. Mit dem Versprechen, in drei Tagen wiederzukommen und mir mehr anzutun, wenn nicht entweder das Geld oder Wyatt hier war. Doch drei Tage später war ich nicht mehr in Las Vegas gewesen. Dank Baron.
»Wurden Sie und Mr Wilkins an diesem zweiten Abend miteinander intim?«, riss mich Dr. Hofstadter aus den Erinnerungen.
Ich starrte ihn fassungslos an. Er und Hugh Parker wollten tatsächlich wissen, ob ich mit Baron Sex gehabt hatte. Selbst wenn, ging es sie, verdammt noch mal, nichts an!
»Muss ich darauf antworten?«, fragte ich patzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte keine Lust mehr auf diese Befragung. Nicht, wenn sie längst ein Bild von mir hatten, an dem nicht mehr zu rütteln war. Dass ich damals furchtbare Angst vor diesen Schlägertypen gehabt und sogar überlegt hatte, für Kohle noch weiter zu gehen, interessierte sie nicht. Sie sahen nur das Stereotyp einer Brasilianerin, einer Schulabbrecherin ohne Eltern, einer Schlampe aus Vegas, die für Geld auf den Schoß eines jeden Mannes sprang.
»Du würdest uns mit einer klaren Aussage wirklich helfen, Violet«, antwortete Hugh, der ziemlich angespannt wirkte. Als müsste er sich beherrschen, um seine Geduld nicht zu verlieren.
»Und mir würde es helfen, diese Erinnerungen nicht mehr hochkommen zu lassen«, erwiderte ich, obwohl Hugh mein Boss war und mich damit ziemlich schnell loswerden konnte.
»Weil Sie miteinander Sex hatten?«, schlussfolgerte Dr. Hofstadter.
»Nein!«
»Sondern?«
»Fragen Sie doch Mr Wilkins.«
»Gern«, antwortete Dr. Hofstadter etwas zu schnell. »Dann erkundige ich mich auch, welche Strafen anstehen, wenn man mit einem falschen Nachnamen eine Arbeitsstelle antritt, Ms Fox.«
Ich wollte gerade zur nächsten Antwort ansetzen, als ich innehielt. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Es war mir vor einem Jahr sicherer erschienen, den Namen meiner Mutter zu verwenden. Ich hatte kein Risiko eingehen wollen, gefunden zu werden.
»Violet«, begann Hugh Parker nun in versöhnlichem Ton. Er mochte ihm dennoch nicht so ganz gelingen. »Wir könnten das alles hier abkürzen, wenn du uns das sagst, was wir brauchen können.«
Was sie brauchen konnten? Wofür brauchen?
Ich sah fragend von Hugh zu Hofstadter und wieder zurück.
»Wurdet ihr an diesem Abend intim?«, wiederholte mein Boss die Frage, um die sich alles drehte.
Die Blicke der beiden bohrten sich in mich. Die Erinnerungen an den Abend flackerten vor meinem inneren Auge auf. Das bunte Licht, die Musik mit dem schweren Bass, die Hitze auf meiner Haut. Barons Angebot. Sie warteten auf meine Antwort. »Mehr oder weniger«, antwortete ich schließlich genervt.
»Erläutern Sie das bitte näher.« Dr. Hofstadters Augen waren starr auf mich gerichtet.
»Baron hat mir hundertfünfzig Dollar für einen Lapdance in den Ausschnitt gesteckt.« Ich war selbst über den nüchternen Ton in meiner Stimme überrascht. »Also bin ich mit ihm in eine der Kabinen im hinteren Bereich verschwunden. Sie wissen schon, die mit den roten Sofas, auf denen es sich der Kunde bequem machen kann. Im Hintergrund läuft laute Musik, damit man das Stöhnen aus den Nebenkabinen nicht hören kann.« Ich machte eine kurze theatralische Pause.
Hugh Parker saß mir wie versteinert gegenüber und betrachtete mich mit eiserner Miene. Hatte er trotz Klimaanlage Schweißperlen auf der Stirn?
»Dort habe ich für Baron getanzt«, setzte ich fort und beugte mich ein Stück weit vor. »Erst habe ich mit dem Hintern vor seiner Nase rumgewackelt und ihm dann meine Titten …«
»Violet!« Hugh Parker schlug so fest mit der Faust auf die Tischplatte, dass die Gläser klirrten.
Ich zuckte zusammen, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen. Mit verschränkten Armen lehnte ich mich zurück. »Sie wollten es doch näher erläutert haben«, verteidigte ich mich.
Tiefrote Flecken hatten sich auf Hugh Parkers Gesicht und Hals ausgebreitet. Ob aus Wut oder Scham wusste ich nicht. Er und sein Anwalt sahen gleich verklemmt aus.
»Baron und ich hatten keinen Sex«, stellte ich klar, weil ich sonst nie aus diesem Verhör herauskommen würde. »Weder an diesem Abend noch an einem anderen.« Ob sie mir glaubten oder nicht, konnte ich sowieso nicht beeinflussen.
Hugh Parker atmete lang aus, er wirkte fast schon enttäuscht. »Warum hast du dann behauptet, er hätte dich sexuell belästigt?«
»Sexuelle Belästigung fängt nicht erst bei einer Vergewaltigung an!«
Kein Wunder, dass sich viele Frauen nicht gegen diese Demütigung zur Wehr setzten, wenn Männer wie Hugh Parker diese Ansichten hatten.
Ehe mich die Entschlossenheit verließ, setzte ich mit zusammengebissenen Zähnen fort: »Glauben Sie, Frauen gefällt es, wenn man ihnen ungefragt an den Hintern fasst? Oder ganz zufällig mit der Hand ihre Brust berührt? Wir Frauen wollen auch keine anzüglichen Bemerkungen über unsere Beine, unseren Rock oder unser Dekolleté hören. Egal, wie figurbetont wir uns kleiden. Wir werden nicht gerne Schätzchen oder Süße genannt, und freuen uns auch nicht über ungewünschte Nackenmassagen. Wir wollen nicht erklären, welche sexuellen Vorlieben wir angeblich haben, oder hören, was unser Gegenüber mit uns gern anstellen würde. Und ja, auch Blicke können unangemessen sein.«
Die Worte waren einfach aus mir herausgesprudelt. Und obwohl ich es sehr allgemein gehalten hatte, fühlte ich mich nackt und entblößt. Als hätte ich gerade gestanden, was Baron alles mit mir getan hatte. Dennoch tat es gut, es ausgesprochen zu haben. Zwar hatte es mich viel Kraft gekostet, aber es ließ etwas von dem Druck ab, der sich in mir angestaut hatte.
Die beiden Männer blickten mich regungslos an, fast, als hätte ich sie mit dieser Darstellung überfordert. Doch wie konnte das sein? Dr. Hofstadter war Anwalt. Er musste wissen, was unangebracht war. Und auch ein Mann in Hugh Parkers Position sollte das.
»Wenn es mich meinen Job kostet, werde ich damit leben müssen«, fuhr ich nach einer Weile der Stille fort. »Aber ich will keinen weiteren Tag Barons widerliches Verhalten ertragen müssen.«
»Das wirst du nicht«, sagte Hugh Parker ernst. Nun hatte er nicht mehr diese Verachtung in seinem Blick. Er wirkte eher, als täte es ihm leid, nicht früher bemerkt zu haben, wie sein Geschäftspartner Frauen behandelte.
Als brauchte er für den nächsten Satz die Bestätigung seines Rechtsanwalts, sah er zu Dr. Hofstadter hinüber. Dieser nickte kaum merklich. Hugh Parker blickte mich wieder an und setzte dann fort: »Vor ein paar Jahren hat es bereits einen Vorfall der sexuellen Belästigung von Baron gegeben.«
Obwohl ich bislang noch nichts davon gehört hatte, überraschte mich diese Aussage nicht. Was mich aber überraschte, war, dass anscheinend nichts unternommen worden war, um weitere Vergehen zu verhindern.
»Die Sache wurde außergerichtlich geregelt, allerdings wurden Vorkehrungen getroffen, um weitere Vorfälle dieser Art zu verhindern«, erklärte Hugh Parker.
»Offenbar nicht sehr erfolgreich«, murmelte ich. Hugh ignorierte meinen Kommentar.
»Mit deiner Aussage haben wir etwas in der Hand, um Baron anzuklagen«, sagte er stattdessen.
Ich sollte gegen Baron aussagen? Etwa vor Gericht? Vielleicht noch in seinem Beisein? Mir drehte sich der Magen um.
»Ms Fox, schaffen Sie das?«, fragte nun Dr. Hofstadter.
Ich starrte ihn an, spürte dabei, wie mein Körper kalt und zittrig wurde. Ich konnte das nicht, ich wollte das nicht. Ich wollte ihn nie wieder sehen, nicht mal an ihn denken!
»Sie wollen doch auch, dass Mr Wilkins seine gerechte Strafe bekommt und Frauen zukünftig vor ihm geschützt sind, oder?«, fuhr Dr. Hofstadter fort, weil ich noch nicht geantwortet hatte, und sah mich eindringlich an.
Ich nickte schwach, während ich niederrang, was er mit seinen Fragen hochholte.
»Dafür brauchen wir Aussagen vor Gericht, die zu einer Verurteilung führen«, setzte der Anwalt fort. »Ich frage Sie erneut, Ms Fox, schaffen Sie das?«
Alles in mir schrie Nein, einfach nur, weil ich nicht mehr daran denken wollte. An die grässlichen Momente ebenso wenig wie an die Vorstellung, Baron noch mal zu begegnen. Doch ich war schon einmal stark gewesen, vor zwei Tagen, um Maci zu helfen. Es lag an mir, noch einmal stark zu sein und auch andere Frauen zu schützen.
»Ja, ich schaffe das.«
Ich klopfte an Trevors Tür. Immer wieder und wieder. Ich wusste genau, dass er nirgendwo anders als in seinem Appartement sein konnte. Vor einer Stunde war er auf Lovett Island gelandet und im Familientrakt verschwunden, das hatte mir Peyton erzählt. Im gleichen Atemzug hatte sie mir einen Brief in die Hand gedrückt. Nachdem ich die Zeilen überflogen hatte, hatte ich keine weitere Sekunde zögern können und war hierhergerannt. Ich war immer noch völlig außer Atem.
Endlich wurde die Tür aufgerissen. Trevor sah mir genervt entgegen. »Was ist denn los?«
Ich drückte ihm das Schreiben gegen die Brust. »Ich habe gerade den hier bekommen.«
Trevor entfaltete das Schriftstück, während ich aus dem Hintergrund ein Geräusch wahrnahm: Ezra Sweeting. Was zum Teufel machte der schon wieder hier? Er verhielt sich immer mehr wie Trevors Schoßhündchen.
»Was ist das?«, fragte Trevor mit zusammengeschobenen Augenbrauen.
»Eine Nachricht von Hofstadter.«
Als wüsste er schlagartig, worum es hier ging, verspannten sich Trevors Schultern, und er presste die Lippen aufeinander. Andrew Hofstadter war schon lange Hughs Anwalt gewesen, bevor wir zwei auf der Welt waren. Ich kannte ihn hauptsächlich von Veranstaltungen, die im Namen von Parkins organisiert wurden.
Trevor begann den Brief zu lesen und sah erst wieder auf, als er fertig war. In seinem Blick erkannte ich die unausgesprochene Entschuldigung, die ihm auf den Lippen lag. Dazu mischte sich eine Distanziertheit, als wollte er sich in diese Angelegenheit nicht einmischen. Doch mit dem Namen Parker gehörte er ebenso zu diesem Thema wie ich.
»Du wusstest davon?«, fragte ich fassungslos, obwohl es mehr eine Feststellung war. Wobei ich Hugh auch zugetraut hätte, dass er selbst Trevor bei seinen Plänen außen vor ließ.
»Worum geht’s denn?«, mischte sich nun Ezra ein. Er kam näher und warf einen Blick über Trevors Schulter auf den Brief.
Ich hätte dieses Gespräch lieber unter vier Augen geführt, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Öffentlichkeit davon Wind bekam. Die Medien würden sich auf diese Story stürzen wie ein Rudel Hyänen auf ein Stück Fleisch.
»Sein Vater«, sagte ich betont vorwurfsvoll mit einem kurzen Blick auf Trevor, »will meine Anteile von Parkins.« Mit hochgezogenen Augenbrauen wandte ich mich erst Ezra, dann Trevor zu, doch beide ließen sich nichts anmerken. Sag bloß, auch Ezra hatte schon davon gehört.
Ihre ausbleibenden Reaktionen machten mich wütend. Trevor und ich waren Freunde. Ich erwartete mir von ihm Rückhalt. Oder hatte ich mich nach so vielen Jahren enger Freundschaft in ihm getäuscht? Würde er mir genauso in den Rücken fallen wie sein Vater? »Starrt mich nicht an wie zwei Kühe, die auf der Straße stehen und einen Truck auf sich zurasen sehen!«
»Komm erst mal rein«, sagte Trevor mit einem schweren Seufzen und trat zur Seite.
Ich stampfte im Zimmer auf und ab. Meine Beine verlangten nach Bewegung. Irgendwie musste ich die angestauten Emotionen rauslassen.
»Willst du etwas trinken?«, fragte Trevor und folgte mir.
»Eine Cola«, antwortete ich. Etwas Nervenberuhigung in Form von purem Zucker würde mir im Moment nicht schaden. Scheiß auf die Kalorien!
Während Trevor zwei Dosen aus dem Kühlschrank nahm, warf ich einen Blick zu Ezra, der längst den Brief in der Hand hatte, ihn mit einem Stirnrunzeln las und anscheinend dabei vergessen hatte, sich hinzusetzen.
»Es geht um die Anteile deines Vaters, Blair«, erklärte Trevor, gab mir eine Dose und deutete mit einem Kopfnicken auf das Sofa. Als wir beide saßen, öffnete er mit einem Zischen seine Getränkedose und nahm ein paar Schlucke davon.
»Das ist aber ein Angebot an Blair«, stellte Ezra nachdenklich fest.
»So hätte ich es auch verstanden«, sagte ich und tippte nervös mit dem Fingernagel gegen das Blech meiner Cola-Dose. Ich hoffte, Trevor konnte mir weiterhelfen, denn zu Dad konnte ich nicht. Der kümmerte sich ohnehin nicht um mich.
Trevor stieß einen schweren Atemstoß aus. »Mein Vater hat etwas angedeutet. Er wollte mir aber keine Details verraten. Nur, dass die Zukunft von Parkins anders aussehen soll als die Vergangenheit.«
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass nicht nur Hugh Details aussparte. Trevor erzählte mir nicht alles, das konnte ich spüren. Etwas, das mit diesem Brief zu tun hatte.
»Ich kann dir sagen, wie sie aussehen soll«, brachte ich aufgebracht hervor. »Parkins soll fortan ohne Dad und mich auskommen.«
Trevor schluckte schwer und lehnte sich kaum merklich ein Stück von mir weg. »Dein Dad hat sich schon vor ein paar Jahren aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.«
»Und warum?« Hier stimmte doch etwas ganz gewaltig nicht, und ich würde Trevor nicht auskommen lassen, bis ich es wusste.
»Blair«, sagte er zögerlich. »Warum sprichst du nicht erst mal mit deinem Dad darüber?«
»Warum ich nicht mit meinem Dad darüber spreche? Du kennst ihn, du kennst mich, und du kennst unser Verhältnis. Trevor, ist das dein Ernst nach all den Jahren unserer Freundschaft?«
Er presste die Lippen aufeinander. Anscheinend fiel es ihm schwer, mich weiterhin auf Distanz zu halten.
»Parkins ist mein Leben«, fuhr ich fort. Wenn jemand wissen musste, wie sich das anfühlte, dann er. »Seit meiner Geburt war es mein Plan, eines Tages mit dir die Firma zu übernehmen. Ich mache den Vertrieb und das Marketing, du kümmerst dich um die wirtschaftlichen Details. Trevor, so war es immer bestimmt.«
»Ja, da hast du recht«, antwortete er harsch – was er wohl selbst merkte. Denn er räusperte sich und fuhr etwas sanfter fort: »Aber noch ist es nicht so weit. Ich habe mit den Plänen meines Vaters nichts zu tun, weil meine eigenen Pläne meine Baseball-Karriere betreffen. Reicht es nicht, dass ich mich in ein paar Jahren voll und ganz Parkins widme?«
»Blair, wenn du deine Anteile nicht hergeben willst, musst du das ja nicht tun«, sagte Ezra naiv.
»Nicht?«, blaffte ich Ezra an. Dieser Schoßhund hatte doch vom Business keine Ahnung. Er lebte in seinen bescheuerten fiktiven Romanzen, doch die echte Welt sah nun mal anders aus. »Hugh wird mich in ein Gerichtsverfahren verstricken, das mir das Geld aus den Taschen zieht. Ist doch so, oder, Trevor?« Mein wutentbrannter Blick fiel wieder auf ihn.
»Ich weiß nicht, was er vorhat«, knurrte er durch zusammengebissene Zähne. Er konnte mir dabei nicht mal ins Gesicht sehen.
»Und ich soll dir glauben?«
»Blair, du kennst meinen Vater. Also zweifle nicht daran, dass er ein berechenbarer und eiskalter Unternehmer ist, der nicht mal seinen eigenen Sohn in seine Pläne miteinbezieht.«
»Du hast recht«, sagte ich, wenn auch nicht versöhnlich. »Ich kenne Hugh gut genug. Und ich weiß, dass er über Leichen geht, wenn es um Geschäfte geht.« Selbst, wenn er damit jenes Mädchen hinterging, das als Sechsjährige beim Barbecue in seinem Garten auf seinem Schoß gesessen hatte. Jenes Mädchen, dem er zum vierzehnten Geburtstag ein Pferd geschenkt hatte, weil der Vater die Wünsche der eigenen Tochter vergessen hatte. »Aber du kannst ihm ausrichten, dass Dad und ich uns das nicht gefallen lassen werden.« Die Cola-Dose knackste unter meinem festen Griff.
»Das mit deinem Vater ist ein eigenes Thema«, sagte Trevor leise.
Ich wollte gerade aufstehen, hielt jedoch in der Bewegung inne. Ich starrte Trevor auf eine Erklärung wartend an, doch er sagte nichts.
»Warum ist mein Vater ein eigenes Thema?« Unnachgiebig behielt ich ihn im Blick. Doch da war nichts, was mir mehr verriet. Kein Zucken, keine kleine Bewegung, nichts.
Es war Ezra, der die Stille durchbrach. »Trevor, ich finde, sie sollte es erfahren«, sagte er leise, aber eindringlich.
Kaum wahrnehmbar sah Trevor zu seinem besten Freund hinüber. Ohne mehr zu bewegen als seine blauen Augen.
»Verdammt, sogar Sweeting weiß mehr als ich?«, rief ich. »Jetzt sag schon, was los ist!«
Ich würde Trevor nicht davonkommen lassen. Zur Not würde ich auch Ezra in die Mangel nehmen. Ich wollte endlich wissen, was hier gespielt wurde.
Trevor holte langsam tief Luft. Dann drehte er seinen Kopf mir zu. »Was weißt du bereits?«, sprach er so vorsichtig aus, als müsse er mich schonen. War das die Ruhe vor dem Sturm?
»Nichts!« Meine Stimme schoss ungewollt in die Höhe. »Dad meinte nur, er müsse sich in Florida um irgendwelche Probleme kümmern.«
Ich zog meine Schultern hoch, die mir auf einmal unglaublich schwer vorkamen, und ließ sie dann wieder sacken. Ich bemerkte, wie Trevor und Ezra sich einen verdächtigen Blick zuwarfen. Je länger sie die Wahrheit vermieden, desto heftiger raste mein Herz, und eine innere Unruhe überkam mich.
»Blair«, begann Trevor mit dieser Tonlage, mit der man richtig, richtig schlechte Nachrichten überbrachte. Genauso hatte auch Laureen geklungen, als sie mir vor sechzehn Jahren erklärt hatte, dass meine Mom nicht mehr nach Hause kommen würde. Ich hielt panisch die Luft an. »Es gibt Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen deinen Vater.«
Ich zuckte zusammen, als ich das hörte. Mein Körper ging automatisch in einen Abwehrmodus über. Das konnte nicht wahr sein. Mein Vater war zwar kein Unschuldslamm, doch er würde nie diese Grenze überschreiten. Das taten Väter nicht. Zumindest meiner nicht.
Ich fühlte, wie mir das Blut aus den Gliedern wich. Meine Finger wurden schlagartig eiskalt, und Übelkeit kämpfte sich meine Kehle hoch. »Von wem?«, brachte ich nur mühevoll hervor.
Trevor zögerte mit einer Antwort. Es war also jemand, den ich kannte. »Violet«, sagte er leise.
»Von ihr?«, rief ich entsetzt. »Sie ist Stripperin aus Vegas!«
»Blair«, warf Ezra in einem beschwichtigenden Tonfall ein.
»Misch dich nicht ein!«, fuhr ich ihn an. Er war mit Abstand der Letzte, den ich gerade in meiner Nähe haben wollte. Bestimmt gefiel es ihm, mich hier im freien Fall zu sehen.
»Violet ist nicht die Erste«, setzte Trevor fort. »Und auch nicht die Einzige.«
Vor meinem Blickfeld drehte sich alles. Für einen Augenblick dachte ich, das Bewusstsein zu verlieren, doch so viel Glück hatte ich dann doch nicht. Ich musste das weiter ertragen. Diese bittere Wahrheit, die wie ein Schlag ins Gesicht war. Ich hatte mit so vielem gerechnet, aber nicht damit. Ich war völlig überfordert und absolut planlos, wie ich auf all das reagieren sollte.
»Erinnerst du dich an Liza?« Trevors Worte drangen wie durch einen Nebelschleier zu mir durch. Er war offensichtlich darauf bedacht, mir diese Nachricht schonend beizubringen, doch wenn wir ehrlich waren, gab es hierbei keine Schonung. Und ich fürchtete, die wirklich schlechten Nachrichten waren noch gar nicht ausgesprochen.
Ich brachte kein Nicken zustande, doch als ich Trevor einfach regungslos anstarrte, setzte er auch ohne eine Antwort von mir fort.
»Ich habe dir damals erzählt, dass sie mit mir Schluss gemacht hat und nicht mehr auf Lovett Island bleiben wollte.«
Die Worte drehten sich in meinem Kopf. Was zum Teufel sollte das bedeuten?
»Das ist nicht die Wahrheit. Zumindest nicht die ganze.« Trevor richtete sich ein Stück weit auf und holte erneut tief Luft. Gebannt starrte ich ihm auf die Lippen, bis er endlich den Mut zusammenbrachte und sie öffnete. »Dein Dad hat Liza sexuell belästigt.«
Mir entwich ein erstickter Laut.
Ich glaubte, mich gleich übergeben zu müssen.
»Ich kam zufällig dazwischen, ehe er ihr mehr antun konnte.« Trevors Stimme war leise und dünn, sein Blick verschleiert, als kämpfte er mit den Bildern von damals.
Ich schüttelte den Kopf. Fester und fester, als könnte ich das eben Gehörte aus meinem Kopf schütteln. »Nein!« Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich WOLLTE es nicht wahrhaben. »Du willst sagen, mein Dad hätte Liza vergewaltigt, wenn du nicht gekommen wärst?« Schon die Vorstellung davon riss die Füße unter mir weg.
Trevor nickte leicht.
Ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Wie konnte er das nur tun? Hatten ihm nicht die vielen Frauen genügt, die des Geldes wegen alles für ihn getan hätten? Konnte er nicht die flachlegen, die sich ihm ohnehin anbiederten? Musste er stattdessen hier auf Lovett Island bei einer Mitarbeiterin aufdringlich werden? Was, wenn Liza nicht die Einzige war? Wenn es Situationen gegeben hatte, in denen kein Trevor rechtzeitig dazwischengekommen war?
»Nein, nein, nein!«, flüsterte ich unter meinen Händen. Ich wollte sie nie mehr wegziehen. Wollte nie mehr in Trevors Gesicht sehen. Das alles erklärte so viel. Warum Trevor und Dad sich nicht ausstehen konnten. Und warum ich bei Trevor nie eine richtige Chance gehabt hatte. Mein Vater hatte alles zerstört. Nicht nur das Leben anderer, junger Frauen, sondern auch meines.
Irgendwann ließ ich die Hände sinken. Meine Handinnenflächen waren nass von meinen Tränen. Ich blinzelte und sah Trevor verängstigt vor weiteren Offenbarungen an. Wie schaffte er es nur, nach diesen Geschehnissen neben mir sitzen zu können? Mich ansehen zu können? Er musste mich doch ebenso hassen wie meinen Vater.
Etwas an seiner Mimik verriet mir, dass noch nicht alles gesagt war. Doch war ich bereit für weitere Details?
Trevor fand offenbar schon. »Mein Vater hat Liza Schweigegeld bezahlt«, erklärte er weiter. »Er wollte nicht, dass diese Sache an die Öffentlichkeit gelangte. Und Liza wollte nicht mehr auf Lovett Island bleiben. Deshalb ist sie gegangen.«
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. All das war mir zu viel. Diese plötzliche Enthüllung war wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag, der mich völlig ausgeknockt hatte. Wie sollte ich da noch mal auf die Beine kommen?
»Du hättest es mir sagen sollen.« Meine Stimme zitterte. Ich erinnerte mich, wie aufgewühlt Trevor nach Lizas Abreise gewesen war. Ich war so sicher gewesen, sie hätte ihn nur ausgenutzt. Nie hätte ich daran gedacht, dass es einen anderen Grund für das Ende ihrer Beziehung geben konnte. Schon gar nicht einen solchen. Kein Wunder, dass Trevor so am Boden zerstört gewesen war.
»Das konnte ich nicht«, erklärte Trevor leise. »Mal abgesehen davon, dass ich selbst nicht mit der Sache klarkam, durfte ich mit niemandem darüber reden.«
Mein Blick fiel auf Ezra. »Aber du wusstest davon, oder?«
Ezra wollte etwas sagen, ließ es aber bleiben. Das war auch besser so. Ich wusste nicht, wie ich auf irgendeinen Kommentar seinerseits reagieren würde.
Trevor legte seine Hände auf meine, freundschaftlich und tröstend. »Ich will ehrlich mit dir sein«, begann er ruhig. »Für meinen Vater war es ein gefundenes Fressen. Du weißt, wie berechnend er ist. Er wollte deinem Vater schon damals alle Anteile abkaufen, doch dein Dad hat sich dagegen gesträubt. Also hat mein Vater ihm eine Klage vom Hals gehalten und im Gegenzug vertraglich geregelt, dass Baron bei einem weiteren Vergehen sämtliche Anteile von Parkins abgeben muss.«
Wie hatte ich nur nichts davon mitbekommen können? War ich zu jung gewesen? Zu naiv? Von zu vielen Belanglosigkeiten abgelenkt gewesen? Und warum zum Teufel hatte mir niemand davon erzählt? Ich war ein Teil dieser Konstellation, ein Teil der Zukunft Parkins’. Sie hätten es mir sagen müssen!
»Und Violet war die Nächste?«, fragte ich kraftlos. Ein dunkler Verdacht blitzte in meinem Kopf auf. Was, wenn Hugh sie auf meinen Dad angesetzt hatte? Um ihn erst zu verführen und dann Vorwürfe zu erheben?
»Sie war es nicht, die die Sache erneut ins Rollen gebracht hat«, antwortete er mit belegter Stimme.
»Sondern?« Die Stille, bis er weitersprach, zerrte an meinen Nerven. Ich sah hilfesuchend zu Ezra, doch dieser ließ sich nichts anmerken. Er stand einfach nur neben dem Sofa und beobachtete alles schweigend. Ich ahnte Schlimmes.
»Maci.«
Ich schloss die Augen. Alles drehte sich.
Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.
Wusste mein Vater eigentlich, was er mir damit antat? Was für einen Keil er damit zwischen Trevor und mich stieß? Ich konnte uns abschreiben. Als Paar, als Freunde, als Geschäftspartner. Ein Wunder, dass er mich noch in seinem Appartement duldete.
Als ich die Augen wieder öffnete, war nichts besser. Immer noch war mir schwindlig und schlecht. Meine Gedanken rotierten. Ich brauchte mehrere Sekunden, um sie zu ordnen. Dieser eine Gedanke ließ mich nicht mehr los. Es war ein Risiko, ihn laut auszusprechen, doch was hatte ich jetzt noch zu verlieren? Selbst wenn Trevors Hände im Augenblick auf meinen lagen, hatte ich ihn längst verloren. »Könnte es sein, dass dein Vater sie auf meinen angesetzt hat?«
»Was?«, rief Trevor entsetzt und zog seine Hände zurück.
Ich konnte ihm seine Reaktion nicht verübeln. Er musste mich hassen.
»Wenn dein Vater schon seit Jahren solche Pläne hatte, wäre es doch denkbar, wenn er eine Frau ansetzt, um meinen Dad in eine Falle zu locken«, erklärte ich meine Überlegung. So abwegig war das nun auch wieder nicht.
»Aber nicht Maci!« Nun sah Trevor tatsächlich so aus, als würde er mich gleich hochkant aus seinem Appartement werfen. »Und ich warne dich, ihr das noch einmal zu unterstellen.«
Ich hob abwehrend die Hände. »Du musst zugeben, dass es deinem Vater zuzutrauen wäre.« Jeder, der Hugh kannte, würde mir in der Hinsicht zustimmen.
Selbst Trevors Gesichtszüge lockerten sich bei diesen Worten. Dennoch schüttelte er entschieden den Kopf. »Aber nicht Maci«, wiederholte er.
»Okay. Entschuldigung. Vermutlich hast du recht«, flüsterte ich resignierend. »Wo ist Maci eigentlich?«
Erschöpft ließ sich Trevor in die Kissen fallen. »Ich weiß es nicht«, seufzte er und fuhr sich durch sein dunkelbraunes Haar. Er sah verzweifelt aus. »Ich hab an der Uni nachgefragt, aber die meinten, sie hätte ihr Stipendium schon vor Wochen abgelehnt.«
»Abgelehnt?« Ich bemühte mich, ahnungslos zu klingen. Wenigstens war mein Plan aufgegangen, Trevor dazu zu überreden, Maci zu ihrem Glück zu zwingen. Vor drei Tagen hatte er sie von Lovett Island weggeschickt, damit sie ihr Stipendium annahm. Nur, dass sie gar keines mehr hatte. Zwar hatte ich mit Maci ebenso wie mit Violet und Liza großes Mitgefühl, was das widerliche Verhalten meines Vaters betraf, doch ich bereute nichts an meiner Entscheidung, Maci von Lovett Island loswerden zu wollen. Das hier war immer noch unsere Insel. Trevors und meine.
»Ich verstehe das nicht.« Trevor sah mich an, als wüsste ich die Antwort. Ein Glückstreffer, doch das würde ich ihm nicht sagen.
»Vielleicht hatte sie ein anderes Angebot«, schlug ich gespielt besorgt vor.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Wir werden sie schon finden«, warf Ezra ein. In den letzten Minuten hatte ich seine Anwesenheit tatsächlich ausgeblendet. »Ich kümmere mich darum.«
»Bist du neuerdings Sherlock Holmes?«, spottete ich, doch Ezra ignorierte meinen Kommentar. Wieder einmal.
»Bei Karlee und Vi hat sie sich auch noch nicht gemeldet«, sagte Trevor besorgt. Erwartete er etwa, sie würde sich bei ihm melden? Glaubte er ernsthaft, er könnte sie erst feuern lassen und ihr anschließend romantisch nachtänzeln?
»Kennt Peyton nicht die Adresse ihrer Eltern?«, schlug ich vor, auch wenn ich mich verfluchen würde, wenn Trevor dadurch auf die richtige Fährte kam. Ich hoffte inständig, er würde sie nicht finden.
»Dort ist sie bestimmt nicht«, entgegnete er mir entschlossen. »Und ich hab nicht mal Zeit, sie selbst zu suchen. Ich muss zurück auf ein Trainingslager. In drei Wochen findet ein Benefiz-Baseballspiel statt.« Er sah mich mit einem bedauernden Blick an. »Die Sache mit dem Brief tut mir leid, aber du musst dich leider ohne meine Hilfe darum kümmern.«
»Kannst du mir wenigstens einen guten Anwalt empfehlen?«
»Mi casa es su casa.« Rosie stieß ihre Wohnungstür auf, die gegen eine Garderobe mit allerlei Jacken knallte, die den Aufprall abfederten. Sie warf ihre Schlüssel in eine bunte Tonschale auf einer Kommode, auf der auch mehrere gerahmte Bilder standen. Eines war ein Familienfoto, das andere ein Gruppenfoto mit Gleichaltrigen.
»Ich hab nicht viele Regeln, aber die Schuhe bleiben im Flur«, rief Rosie, die längst weitergelaufen war. Ihre Sneakers lagen verstreut zwischen einer Tennistasche, einem Korb mit Schmutzwäsche und einem Rucksack.
Ich trat mir die Schuhe von den Füßen und ließ meinen Trolley erst mal im Flur stehen. Dann folgte ich Rosie in einen Wohnbereich, in dem auch die Küche untergebracht war. Er war nicht sehr groß, hatte aber einen Esstisch für vier Personen, eine beige Couch und ein Lowboard mit einem Fernseher darauf.
Rosie pflückte gerade ein paar Socken, eine Jogginghose, eine zerknüllte Decke und zwei Magazine vom Sofa und legte sie stattdessen auf den Esstisch. »Darauf schläft sich’s richtig gut«, versicherte sie mir mit einem Augenzwinkern und stocherte dann mit der Hand in den Ritzen der Kissen herum.
»Für ein, zwei Nächte reicht’s bestimmt«, sagte ich schnell, weil Rosie wissen sollte, dass ich ihre Gastfreundschaft nicht überstrapazieren wollte. »Wenn ich den Trainerjob bekomme, suche ich mir gleich etwas Eigenes.«
»Dann viel Glück. Ich hab auf die Bude drei Monate gewartet. Das meiste in Miami ist einfach zu teuer, also lass dir Zeit mit der Suche.« Triumphierend holte sie eine Fernbedienung zwischen den Kissen hervor. »Magst du Back-Shows? Ich könnte die den ganzen Tag gucken.« Sie knipste den Fernseher an, und es lief prompt eine Backsendung. Doch Rosie schenkte ihr kaum Beachtung, sondern wandte sich gleich ihrer Küche zu.
Ihre Wohnung war nicht tipptopp aufgeräumt, doch sie machte einen wirklich gemütlichen Eindruck. Die Küche war dunkelgrün, die Stühle um den Esstisch rot gepolstert. Eine Wand war orange und die anderen gelb gestrichen.
»Du hast ein Fahrrad an der Wand hängen«, stellte ich amüsiert fest. Gleich neben dem Fernseher, wo eigentlich Platz für Bilder wäre, hing ein blaues Fahrrad mit weißem Sattel.
»Mir wurde schon zwei Mal eines vor der Wohnung geklaut, deswegen brauchte ich eine andere Lösung«, erklärte Rosie und steckte ihren Kopf in den Kühlschrank. »Ich hab noch Gemüsereis vom Lieferservice, oder ich mach uns Sandwiches.« Sie zog den Kopf raus und sah mich fragend an.
»Sandwiches klingen super. Kann ich dir helfen?« Ich kam zu ihr in die Küche.
»Ich mach das schon! Setz du dich einfach hin und entspann mal. Willst du ein Wasser?« Noch bevor sie fertig gesprochen hatte, stellte sie mir bereits eine kleine Wasserflasche auf den Tisch und verschob dafür ihre Jogginghose ein Stück.
»Danke, aber du musst dir wegen mir echt keine Mühe machen.« Ich schraubte die Flasche auf und trank ein paar Schlucke.
»Ist schon egal, ob ich zwei oder vier Sandwiches mache«, sagte sie lachend und holte Brot aus einem Schrank. »Schnarchst du eigentlich?«
Irritiert sah ich auf. »Ich denke nicht.«
»Das ist gut. Ich habe nämlich keine Tür zum Schlafzimmer. Ein Kumpel ist mal besoffen dagegengefallen und hat sie kaputt gemacht. Und so ein Vorhang war dann billiger als eine neue Tür.«
Ich folgte Rosies Blick und sah den Türvorhang, der aus flauschigen, blau-weißen Fäden bestand, die von einer Schiene herabhingen.
»Wenn du mehr Privatsphäre brauchst, musst du ins Bad gehen. Das ist gleich da hinten«, sagte Rosie schulterzuckend. Sie sah nicht so aus, als würde sie Angst um ihre Privatsphäre haben.
»Dann schau ich mir mal das Bad an und erledige auch schnell einen Anruf, okay?«, sagte ich und zückte das Handy, das ich mir besorgt hatte, während Rosie noch ihre Trainingsstunde erledigt hatte.
»Klar, mach nur. Magst du Schinken und Käse?«, fragte sie noch, ehe ich davonging.
»Ja, bitte.«
Ich verzog mich ins Bad, das klein und auch etwas unaufgeräumt war, aber sauber zu sein schien. Es gab sogar ein kleines Fenster, das in einen Hof zeigte.
Ich setzte mich auf die zugeklappte Toilette und öffnete die Kontakte meines neuen Handys. Ich hatte erst drei Telefonnummern eingespeichert: Rosies, die die Erste hatte sein wollen, Vis und Karlees. Meine Freundinnen hatten mir ihre Nummern aufgeschrieben, ehe ich Lovett Island verlassen hatte. Ich hatte ihnen versprochen, mich zu melden, und versuchte es zuerst bei Vi, die um diese Zeit meist im Strandhaus war, während Karlee vielleicht Yoga, Pilates oder etwas anderes unternahm. Es dauerte nicht lang, bis meine Freundin abnahm.
»Hallo?«
»Hallo, Violet, hier ist Maci.« Es tat so gut, ihre Stimme zu hören, selbst wenn sie viel zu weit weg war.
»Maci, Süße, wie geht’s dir?« Vis Stimme wurde ganz weich und gleichzeitig aufgeregt. »Wo bist du denn gelandet?«