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Mit ihrer Leidenschaft für Blumen verzaubert die Wiener Floristin Rita frisch Verliebte und Brautpaare gleichermaßen. Ihr eigenes Liebesglück lässt jedoch auf sich warten. Um bei einer Hochzeit nicht am Singletisch platziert zu werden, kündigt Rita an, in Begleitung zu erscheinen. Doch wo soll sie diese Begleitung so schnell finden? Als sie den charmanten Marcel kennenlernt, scheint ihr Leben endlich perfekt. Doch schon bald muss sie feststellen, dass Marcel etwas vor ihr verbirgt. Und dann zieht auch noch René, der chaotische Freund ihres Bruders, vorübergehend in ihre Wohnung …
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Seitenzahl: 361
Veröffentlichungsjahr: 2018
Buch
Mit ihrer Leidenschaft für Blumen verzaubert die Wiener Floristin Rita frisch Verliebte und Brautpaare gleichermaßen. Ihr eigenes Liebesglück lässt jedoch auf sich warten. Um bei einer Hochzeit nicht am Singletisch platziert zu werden, kündigt Rita an, in Begleitung zu erscheinen. Doch wo soll sie diese Begleitung so schnell finden? Als sie den charmanten Marcel kennenlernt, scheint ihr Leben endlich perfekt. Doch schon bald muss sie feststellen, dass Marcel etwas vor ihr verbirgt. Und dann zieht auch noch Rene, der chaotische Freund ihres Bruders, vorübergehend in ihre Wohnung …
Informationen zu Emilia Schilling sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Emilia Schilling
***
Sommerglück und Blütenzauber
***
Roman
Inhalt
Brautmyrte
Maiglöckchen
Duftveilchen
Margerite
Klatschmohn
Edelweiß
Rose
Epilog
Danksagung
Glossar
***Brautmyrte ***
Der immergrüne, weitverzweigte Strauch kann eine Höhe von bis zu 5 Meter erreichen. Von Mai bis August zieren etwa 3 cm große, weiße Blüten die Brautmyrte.
Schon die Griechen und Römer verwendeten die Myrte als Brautschmuck. Der Brauch, einen Zweig aus dem Brautstrauß in die Erde einsetzen und bewurzeln zu lassen, fand später auch im deutschsprachigen Raum Anwendung.
1736 erhielt die Erzherzogin Maria Theresia vom osmanischen Sultan zu ihrer Vermählung ein Myrtenbäumchen, das noch heute in der Orangerie im Schlosspark Schönbrunn aufbewahrt und gepflegt wird.
»Schwesterherz, ich brauche Blumen.«
»Dir auch einen guten Morgen, Clemens«, sage ich, ohne aufzusehen. Stattdessen widme ich mich den gelben, orangen und roten Gladiolen, die in einem mit Wasser gefüllten Zinkkübel auf dem Verkaufstresen stehen. An den unteren Enden blühen bereits die farbenfrohen, trichterförmigen Blüten, und nach oben hin reihen sich die Knospen, deren bunte Spitzen sich bald öffnen werden. Zumindest, wenn ich ein bisschen nachhelfe. Deshalb knipse ich die obersten Knospen vorsichtig mit einer Gartenschwere weg. Das ist ein alter Trick, den ich schon als kleines Mädchen von meiner Mutter gelernt habe.
»Vielleicht Rosen oder Nelken.«
»Ich kann mich nicht erinnern, wann du zuletzt hier gewesen bist.«
Nicht, dass ich ihn hier öfters zu Gesicht bekommen wollte. Ritas Blütenzauber ist ganz und gar mein Reich. Es genügt, dass ich mir ein Stockwerk darüber eine Wohnung mit meinem Bruder teilen muss.
Ich schiebe den Grünschnitt zusammen und lasse ihn in einen Korb fallen, der direkt unter der Arbeitsfläche bereitsteht.
»Komm schon, Rita. Gib mir irgendetwas Nettes. In Rot oder Pink oder was weiß ich.«
Clemens seufzt und lehnt sich an den Tresen, als wäre es eine Bar, an der er herumlungern könnte.
Ich werfe einen flüchtigen Blick hinüber zu meiner Großmutter, die gerade auf der anderen Seite des Geschäfts eine Kundin berät, ehe ich meinen Bruder von dem Tresen wegschiebe.
»Letztens hast du noch gesagt, ich verkaufe hier überteuertes Unkraut«, zische ich leise, damit nur er mich hören kann.
»Das war doch bloß ein Spaß«, verteidigt Clemens sich grinsend. »Ich sag das auch nie wieder, versprochen! Bitte, ich muss gleich zu Conny und will ihr einen kleinen Strauß mitbringen.«
»Also gut.«
Als hoffnungslose Romantikerin kann ich es keinem Mann abschlagen, eine Frau mit hübschen Blumen zu überraschen. Selbst meinem Bruder nicht, der seit langer Zeit endlich mal wieder eine feste Freundin hat, auch wenn ich Conny erst einmal getroffen habe. Ich zeige auf die Gladiolen und frage, ob sie für ihn in Frage kommen.
»Was bedeuten sie?«, will Clemens wissen, obwohl er sonst keinen großen Wert auf die Symbolik der Blumen legt.
Mich hingegen hat die Blumensprache schon als Kind fasziniert. Damals, als meine Mutter das Geschäft noch führte und ich jeden Tag nach der Schule zu ihr kam, um ihr zu helfen. Die Symbolik der Blumen ist in den vergangenen zweihundert Jahren beinahe gänzlich in Vergessenheit geraten. Nur selten kommen Kunden, die sich dafür interessieren und entsprechend ihre Wahl treffen.
»Unsere Liebe lohnt allen Kampf des Lebens«, erkläre ich und lächle automatisch, als ich diese Worte ausspreche. Mir gefallen Gladiolen, da sie durch ihre hervorstechende Größe einem Blumenstrauß eine enorme Wirkung geben können. Ich überlege, sie mit weißen Margeriten und etwas Bindegrün optimal zur Geltung zu bringen, doch Clemens wiegt den Kopf skeptisch hin und her.
»Das ist nicht gerade passend«, sagt er nachdenklich. Als ob die Frau, die er trifft, sich mit der Blumensprache so gut auskennen würde! »Was hättest du noch zur Auswahl?«
»Lass uns mal schauen.«
Ich nehme den Zinkkübel und stelle die Gladiolen auf dem Weg zu den anderen Schnittblumen auf ihren Platz zurück. »Hast du heute einen Urlaubstag?«, frage ich, während ich vorsichtig verschiedenfarbige Ranunkeln aus einem Kübel ziehe.
»Jep«, antwortet Clemens nur knapp und deutet dann auf die Blumen. »Wofür stehen die?«
»Ranunkeln sagen der Beschenkten, dass sie zauberhaft ist«, erkläre ich und greife zu weißen Windröschen, die den Strauß abrunden sollen. »Wegen des Spiels heute Abend?«
Clemens sieht mich fragend an.
»Hast du einen Urlaubstag wegen des Eishockeyspiels heute Abend? Klara und ich kommen übrigens auch.«
»Cool. Dann könnt ihr ja auch zu Parkers Party kommen, die er zum Saisonabschluss bei sich schmeißt.«
»Mal schauen«, antworte ich, auch wenn ich schon jetzt weiß, dass meine beste Freundin und ich bestimmt nicht hingehen werden. Ich kann mir etwas Besseres vorstellen, als meinen Freitagabend mit einer Horde betrunkener Eishockeyspieler zu verbringen, von denen einer mein Bruder ist.
»Aber eigentlich habe ich mir heute freigenommen, um mit Conny Schluss zu machen«, erklärt Clemens trocken. »Deshalb sind Blumen, die sagen, Conny sei zauberhaft, nicht ideal.«
Ich halte inne und sehe ihn an, den zur Hälfte fertig zusammengestellten Strauß fest in der Hand.
»Du willst mit ihr Schluss machen?«, frage ich verdattert. »Ihr seid doch noch keine vier Wochen zusammen!«
»Ich vermisse mein Single-Dasein«, antwortet Clemens mit einem Schulterzucken.
Ich vermisse sein Single-Dasein allerdings gar nicht. Wie viele Frauen habe ich in den letzten Monaten an einem Samstag- oder Sonntagmorgen durch unsere Wohnung huschen gesehen? Manche von ihnen haben sich wenigstens bemüht, möglichst unauffällig zu verschwinden, ohne sich noch einem peinlichen Gespräch mit Clemens oder seiner kleinen Schwester stellen zu müssen. Doch andere hatten keinen Genierer und haben sich gelassen an unserem Kühlschrank bedient, das Bad belegt und doch tatsächlich geglaubt, noch den restlichen Tag bei uns verbringen zu können. Keine Einzige von ihnen habe ich ein zweites Mal gesehen.
Frustriert stecke ich Windrosen und Ranunkeln wieder in die Kübel zurück.
»Hast du nicht etwas, das so viel sagt wie ›Du bist wirklich nett, aber ich will lieber meinen Spaß haben, als an dich gebunden zu sein‹?«
Ich starre Clemens einen Moment lang an, ehe ich seufze und an die Seite des Verkaufsraums gehe, wo die Topfblumen auf einer Anrichte aufgereiht stehen. Am hinteren Ende habe ich Kakteen arrangiert, von denen ich einen nehme und demonstrativ in die Höhe halte.
»Wie wäre es damit?«
»Ein Kaktus?« Clemens zieht überrascht seine Brauen hoch. »Und der sagt das aus?«
Zum Teufel mit der Blumensprache, wenn Clemens sie nur dafür nutzt, um einer netten, jungen Frau den Laufpass zu geben.
»Nein, aber wenn sie dir den nachwirft, tut es wenigstens richtig weh.«
Nach Clemens’ langem Betteln und Flehen ringe ich mich schließlich dazu durch, ihm einen kleinen, aber persönlichen Strauß zu binden. Anemonen, Iris, Nelken, Zierquitte und Kamille. Ein Strauß, der in Conny keine falschen Hoffnungen wecken soll und dennoch hübsch ist.
»Ich fahre nachher zu Charlie und Daniel«, sage ich, während ich die Blumen mit einem lilafarbenen Papier umwickle, das den Schriftzug Ritas Blütenzauber trägt. »Wir besprechen das Blumenarrangement für ihre Hochzeit.«
Daniel ist ein Jugendfreund meines Bruders, der das Eppensteiner Hotel in der Innenstadt leitet und dort, genauer gesagt in der Patisserie, seine jetzige Verlobte Charlie kennengelernt hat.
»Ich hab vorgestern eine Einladung bekommen«, sagt Clemens und greift nach dem verpackten Blumenstrauß. Dann will er sich auch schon umdrehen und mein Geschäft verlassen.
»Das macht 22 Euro«, rufe ich ihm nach.
»Was?«
»22 Euro«, wiederhole ich unnachgiebig. »Du glaubst doch wohl nicht, ich gebe dir umsonst Blumen, damit du Frauen abservieren kannst.«
Kurze Zeit später haben Clemens und auch die andere Kundin mein Geschäft verlassen. Ich binde meine Schürze ab und hänge sie über den Haken an der Wand. Dann wende ich mich meiner Großmutter zu, die die Bromelien mit destilliertem Wasser besprüht.
»Ich muss jetzt los. In einer Viertelstunde kommt Erik, okay?«
Erik ist ein junger Verkäufer, der uns seit einem Jahr hier unterstützt. Da meine Großmutter nicht mehr die Jüngste ist, brauche ich jemanden, der ihre Aufgaben übernimmt, wenn sie sich früher oder später in den wohlverdienten Ruhestand begibt. Und auch wenn sie bislang nicht ans Aufhören denkt, ist eine dritte Kraft für uns beide eine Erleichterung.
»Mach dir keine Sorgen und grüß die beiden von mir.«
Im Vorbeigehen tätschelt sie großmütterlich meinen Arm.
Ich verschwinde kurz in den hinteren Bereich, um meine Handtasche zu holen und einen Blick in den Spiegel zu werfen. Eigentlich lege ich nicht viel Wert auf Make-up, aber ich liebe das Gefühl von Lippenstift auf meinem Mund. Meine Mutter hatte die gleichen, vollen Lippen wie ich und trug immer einen dezenten Lippenstift. Clemens hasste es, wenn sie ihm einen Kuss auf die Wange gab und dadurch einen roten Abdruck hinterließ.
Mittlerweile kann ich an keiner Drogerie vorbeigehen, ohne einen Abstecher in die Kosmetikabteilung zu machen. Ich habe eine Schwäche für Lippenstifte mit blumigen Namen. Red Peach, Wilde Pfingstrose, Süße Kirschblüte, Hibiskusrot, Sweet William. Gezielt suche ich nach solchen Namen. Heute fische ich Poppy Flower aus meiner Tasche, in der bestimmt eine Handvoll Lippenstifte verstreut sind.
»Vergiss deinen Mantel nicht! Draußen geht ein kühler Wind.«
Wie immer beherzige ich den Ratschlag meiner Oma und schnappe mir meinen taillierten Wollmantel, den ich im Herbst gekauft habe.
Obwohl die Aprilsonne vereinzelt die dicke Wolkenschicht durchbricht, spüre ich sofort den kalten Wind auf den Wangen. Ich stelle den Kragen meines Mantels hoch und schiebe meine langen braunen Haare darunter, damit der Wind sie nicht zu sehr zerzaust. Von Ritas Blütenzauber, das am Ende der Mariahilfer Straße liegt, bin ich zu Fuß in einer knappen Viertelstunde im Eppensteiner Hotel. Wie üblich ist vormittags auf der Mariahilfer Straße, Wiens größter Einkaufsstraße, noch nicht viel los. Aber nachmittags und samstags tummeln sich hier unbeschreiblich viele Menschen, vor allem in dem Abschnitt der Fußgängerzone.
Hier zu wohnen und zu arbeiten hat seine Vorteile. Nicht nur die vielen verschiedenen Geschäfte, sondern auch die kurze Distanz zur Innenstadt und die gute Infrastruktur sind einzigartig.
Doch was mir am meisten bedeutet, sind die vielen Erinnerungen, die an diesem Ort hängen. Jeden Tag nach der Schule habe ich im hinteren Teil des Geschäfts meine Hausaufgaben gemacht. Im Frühjahr zwischen den duftenden Hyazinthen, im Winter in einem Meer aus Weihnachtssternen. Erst wenn ich fertig war, durfte ich meiner Mutter helfen, die Kränze und Sträuße zu binden, die Topfblumen zu pflegen und die Weihnachtssterne mit Glitzerspray zu verzieren. Manchmal nahm meine Mutter mich auch mit in die Gärtnereien außerhalb Wiens. Sie zeigte mir, worauf man bei der Auswahl von Schnittblumen und Jungpflanzen achten muss. Sie brachte mir alles bei: die unterschiedlichsten Pflanzenarten, deren richtige Pflege und auch die einzigartigen Bedeutungen der Blumen.
Weder mein Vater noch mein älterer Bruder Clemens können mit dieser Leidenschaft etwas anfangen. Ihrer Meinung nach muss ein echter Mann keine Wildrose von einer Kulturrose unterscheiden können. Für sie gibt es nur die Differenzierungen zwischen Blumen und Unkraut, und selbst da haben sie keine klare Grenze.
Nach dem frühen Tod meiner Mutter vor zehn Jahren verlor ich meine engste Bezugsperson, mit der ich meine Leidenschaft für die Flora teilte und von der ich alles gelernt habe, was ich heute weiß und kann. Schnell fasste ich den Entschluss, ihr mühselig aufgebautes Geschäft weiterzuführen. Mit siebzehn brach ich gegen den Willen meines Vaters kurzerhand die Schule ab und machte eine Ausbildung zur Floristin. Während meine Großmutter den Laden weiterführte, arbeitete ich hart daran, schon bald das Geschäft zu übernehmen.
Mittlerweile hat mein Vater eine neue Lebensgefährtin, eine kinderlose, sehr nette Frau namens Tanja, von Beruf Erzieherin, die ihm meiner Meinung nach guttut. Vor vier Jahren ist er zu ihr gezogen und hat Clemens und mir die Wohnung über dem Blumengeschäft überlassen. Wir sind beide die meiste Zeit Singles, schätzen die gute Lage und den akzeptablen Mietpreis, der noch aus alten Verträgen hervorgeht. Abgesehen davon, dass Clemens sein Junggesellendasein für meinen Geschmack zu ausgiebig fristet, funktioniert unser Zusammenleben ganz gut.
Ich komme am Museumsquartier vorbei, überquere den Getreidemarkt und gehe am Kunsthistorischen Museum entlang zum Burgring. Mit einer Gruppe asiatischer Touristen, die staunend die alten, dunkelroten Waggons bewundern, steige ich in die Straßenbahn und fahre zum Eppensteiner Hotel.
Erst vor einem Monat bin ich das letzte Mal in dem Hotel gewesen, anlässlich der alljährlichen Petit-Four-Messe, zu der Charlie und Daniel mich eingeladen hatten. Da haben sie mich auch gefragt, ob ich das Blumenarrangement für ihre Hochzeit erstellen würde, die für August angesetzt ist. Für mich ist das eine große Ehre, weil ich mich gerne an den Anfang ihrer Geschichte vor drei Jahren zurückerinnere, an der auch ich ein klein wenig beteiligt war. Charlie hatte vorgegeben, ihren damaligen Freund Eddie zu heiraten, und Daniel brachte sie zu mir ins Geschäft, damit sie Anstecksträußchen und einen Brautstrauß kaufen konnte. Schon damals hatte ich das Gefühl, dass es zwischen ihnen funkte, doch es dauerte noch eine Weile, bis sie wirklich zueinanderfanden.
Ich starre aus dem Straßenbahnfenster und überlege, wie vielen glücklich verliebten Paaren ich mit meinen Blumen bereits eine Freude bereitet habe. Brautpaare, Kunden, die ihre Frau mit Blumen um Entschuldigung bitten, oder die, die zu besonderen Anlässen einem lieben Menschen eine Freude machen wollen. Sie alle gehören zu meinem Tagesgeschäft. Den meisten Umsatz mache ich natürlich am Valentins- und am Muttertag, die Tage, die viele Kritiker als Erfindung der Blumenindustrie abstempeln. Dabei sind genau diese für den finanziellen Erfolg von Ritas Blütenzauber wichtig und schaffen den nötigen Ausgleich zu Zeiten, in denen die Nachfrage nicht so groß ist. Abgesehen davon gefällt mir die Vorstellung, wie unzählige Menschen ihre Liebsten mit wunderschönen Buketts überraschen. Leider gibt es niemanden, der mich am Valentinstag beschenkt, und meiner Mutter kann ich Blumen nur noch aufs Grab legen.
Ich werfe einen flüchtigen Blick auf die andere Seite des Rings, wo ein Fiaker ein verliebtes Pärchen kutschiert. Als wir an der Staatsoper vorbeikommen, klopfen die asiatischen Touristen begeistert an die Scheiben. In Momenten wie diesen erkennt man die Einheimischen sofort. Auch ich nehme das Gebäude kaum noch wahr. Als geborene Wienerin bin ich hier schon unzählige Male vorbeigekommen. Aber gerne würde ich einmal von einem kultivierten Mann in die Staatsoper begleitet werden. Einer, der Opern ebenso schätzt und genießt wie ich. Die Männer, mit denen ich bisher ausgegangen bin, konnten sich dafür jedoch nicht erwärmen. Einmal hat mich meine beste Freundin Klara in Mozarts »Zauberflöte« begleitet, doch leider hat auch sie sich nicht mitreißen lassen.
Beim Stadtpark steige ich aus und überquere den Ring. Das Stück bis zum Eppensteiner Hotel gehe ich zu Fuß. Pünktlich auf die Minute betrete ich die große Lobby und werde sofort von einem Concierge in weinroter Uniform begrüßt. An der linken Seite der Empfangshalle ist die Rezeption. Ich wende mich einer rotblonden Frau zu und erkläre ihr, mit wem ich einen Termin habe. Sie telefoniert kurz und bittet mich, Platz zu nehmen.
In der Lobby stehen mehrere antik aussehende Sessel, die sich nicht nur als äußerst schick, sondern auch als bequem erweisen. Ich werfe einen flüchtigen Blick in meine Tasche, um mich zu vergewissern, dass ich alle Unterlagen mithabe. Auch wenn Charlie und Daniel nicht nur Kunden, sondern vor allem Freunde sind, will ich wie üblich einen professionellen Eindruck machen. Insofern wäre es unangemessen, die Mappe mit den Anstecksträußchen oder dem Autoschmuck zu vergessen. Ich bin bestens vorbereitet, um den beiden ein perfektes Blumenarrangement für ihre Hochzeit anzubieten.
»Rita!«
Ich höre Charlies vertraute Stimme, und eine Tür fällt ins Schloss. In einer schicken, königsblauen Bluse und engen, schwarzen Stoffhosen kommt Charlie quer durch die Eingangshalle auf mich zu. Normalerweise trägt sie in der Patisserie des Hotels eine weiße Kochjacke, doch diese hat sie offenbar abgelegt. Mit zwei Küsschen begrüßt sie mich, wie wir es mittlerweile immer machen.
»Schön, dich zu sehen! Komm, wir setzen uns weiter hinten hin, da haben wir mehr Ruhe. Daniel kommt auch gleich.«
Sie wendet sich über meine Schulter hinweg an die Rezeptionistin.
»Linda, lass uns doch bitte einen kleinen Schwarzen, zwei Melange und zwei Apfelstrudel bringen.«
»Isst Daniel immer noch nichts von deinen Mehlspeisen?«, frage ich lachend und folge ihr, vorbei an einer geschwungenen Stiege, die vom oberen Stockwerk aus mitten in die Lobby führt. Wir setzen uns an einen der Mahagonitische, und ich lege meine Unterlagen auf den Tisch.
»Du kennst ihn doch.«
Charlie verdreht die Augen und lächelt. Sie streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und offenbart damit einen Mehlfleck an ihrer Schläfe.
Ich überlege kurz, sie darauf hinzuweisen, entscheide mich jedoch höflicherweise dagegen. Vielleicht wäre es ihr unangenehm.
»Deine Haare sind schon wieder länger geworden«, stelle ich stattdessen fest.
Kurz vor der Verlobung hatte Charlie sich ihre langen Haare zu einer flotten Kurzhaarfrisur schneiden lassen. Dann kam Daniels Heiratsantrag, und sie war kreuzunglücklich über die neue Frisur, weil sie an ihrem Hochzeitstag viel lieber lange, gewellte Haare haben wollte. Die Friseurin verspricht ihr eine elegante Hochsteckfrisur, wenn ihr Haar bis August noch mindestens fünf Zentimeter wächst. Als ob Charlie darauf Einfluss hätte!
»Jedenfalls weiß ich jetzt, warum Daniel versucht hat, mich von dem Friseurtermin abzuhalten«, sagt Charlie.
»Hast du wirklich nichts geahnt?«, frage ich.
Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Weder dass man so etwas nicht irgendwie spürt, noch wie man sich bei einem Heiratsantrag fühlt. Noch nie hat ein Mann um meine Hand angehalten, was daran liegt, dass ich es noch nie so weit habe kommen lassen. Bevor ich mich zu lange mit einer Beziehung aufhalte, von der ich weiß, dass sie meiner Vorstellung von einer perfekten Ehe nicht entspricht, mache ich lieber Schluss. Denn womöglich würde ich sonst meinem Traumprinzen nie begegnen.
Charlie schüttelt den Kopf.
»Er hat doch immer gesagt, er will länger mit einer Frau zusammen sein, bevor er sie heiratet.«
»Du hast ihm ordentlich den Kopf verdreht.«
Mein Blick fällt auf Charlies schlanke Hände, an denen ein wunderschöner, weißgoldener Verlobungsring funkelt.
»Einen Mann wie Daniel muss man erst einmal finden. Er hat wirklich Geschmack.«
»Außer wenn es um Mehlspeisen geht«, fügt Charlie sogleich hinzu.
Als leidenschaftliche Konditorin wünscht sie sich von ihrem Partner, dass auch er sich von ihren köstlichen Kreationen betören lässt.
»Das wird sich wohl nie ändern.«
Lachend kommt Daniel die Treppe hinunter auf uns zu. Er begrüßt mich freundlich und drückt anschließend seiner Liebsten einen langen Kuss auf den Mund. Ohne ein Wort zu sagen, streicht er ihr die Mehlreste aus dem Gesicht und schenkt ihr ein verliebtes Lächeln.
»Danke, dass du so kurzfristig Zeit hast, Rita«, sagt er dann und setzt sich zwischen Charlie und mich. »Charlie liegt mir schon die ganze Zeit damit in den Ohren, welche Blumen sie für ihre Hochzeit haben will.«
»Hast du schon eine konkrete Vorstellung?«, frage ich Charlie und breite meine Muster auf dem Tisch aus.
»Hat sie«, antwortet Daniel. »Und zwar jeden Tag eine andere. Heute sollen es Rosen sein, morgen doch lieber Gerbera, und übermorgen schwärmt sie von Pfingstrosen.«
Er verdreht die Augen und sieht mich an, als wäre ich die Lösung des Problems. Lächelnd versuche ich zu signalisieren, dass ich mein Bestes geben werde.
»Aber keine Nelken!«, sagt Charlie und grinst uns an.
Ich weiß, worauf sie anspielt. Jemandem gelbe Nelken zu schenken würde in der Blumensprache heißen: »Ich mag dich nicht.« Was ausgerechnet auf einer Hochzeit ziemlich unpassend wäre, vorausgesetzt, einer der Anwesenden kennt die Symbolik der Blumen.
»Rote Nelken sind durchaus in Ordnung«, sage ich ernst.
Irgendwie fühle ich mich verpflichtet, diese wunderschöne Blume zu verteidigen. Man darf nicht per se etwas gegen Nelken haben, auch nicht gegen gelbe. In einen bunten Nelkenstrauß eingearbeitet, sind sie sehr dekorativ und haben keine negative Bedeutung.
»Gibt es vielleicht eine Farbe, die sich wie ein roter Faden durch die Hochzeit zieht?«
Das ist oft ein guter Anfang für die Überlegungen zum Blumenschmuck.
»Daniel will es klassisch in Rot und Weiß«, erklärt Charlie. »Ich hätte aber lieber etwas Ausgefallenes. Türkis. Oder vielleicht Violett.«
Ich kann beide Überlegungen gut nachvollziehen. Mittlerweile habe ich unzählige Hochzeiten gesehen, von klassisch romantisch über flippig bis extravagant. Jedes Fest hatte seinen eigenen Charme.
»Das sind viel zu knallige Farben«, widerspricht Daniel und legt seine Hand liebevoll um Charlies Handgelenk. Die sieht ihn mit einem verliebten Blick an, der mich wissen lässt, dass sie ihm nichts abschlagen kann.
Da ich Daniel und inzwischen auch Charlie ziemlich gut kenne, habe ich eine Vorstellung, welche Art Blumenarrangement zu ihnen passen könnte.
»Eine nicht ganz so knallige Farbe, aber äußerst hübsch ist Koralle. Wartet, ich glaube, ich habe da etwas Passendes mit.«
Auf der Unterlippe kauend, blättere ich durch meine Mappe mit den Fotos der unterschiedlichsten Brautsträuße. Als ich gefunden habe, wonach ich suche, drehe ich die Mappe um, damit Charlie und Daniel die Abbildungen anschauen können.
»Weiße Orchideen und Lilien, korallenfarbige Calla und Brautmyrte.«
Dieser Strauß überzeugt durch seine harmonisch aufeinander abgestimmten Farben und die großen Blüten mit dem verspielten Grün dazwischen.
Auf Charlies Reaktion gespannt, sehe ich zu ihr hinüber.
»Brautmyrte?« Daniel runzelt die Stirn.
Sein Interesse an den Blumen überrascht mich. In all den Jahren als Floristin habe ich nur selten einen Bräutigam getroffen, der sich so für die Wahl der Hochzeitsblumen interessierte.
»Die Brautmyrte hat eine lange Tradition«, erkläre ich und tippe auf einen grünen Zweig mit feinen, weißen Blüten. »Sie gilt als Schutzpflanze der Liebenden. Früher war es Brauch, dass die Braut nach der Hochzeit einen Zweig davon in Erde steckte, damit er Wurzeln schlug.«
Auch meine Mutter war dieser Tradition gefolgt. Das Myrtenbäumchen hat mein Vater bei seinem Auszug mitgenommen, was ich ihm nicht verübeln kann. Es ist eine sehr schöne Erinnerung an meine Mutter.
»Davon habe ich noch nie gehört.« Charlies Augen glänzen vor Begeisterung. Sie starrt mich an, als könnte sie es nicht erwarten, mehr darüber zu erfahren.
»Auch Kate Middleton hatte einen Myrtenzweig in ihrem Brautstrauß«, fahre ich also fort. »In der britischen Königsfamilie ist es Tradition, den Zweig eines Myrtenbaumes in den Strauß einzuarbeiten, den Königin Victoria 1845 auf der Isle of Wight pflanzen ließ.«
Ich weiß das so genau, weil meine Mutter es mir erzählt hat, als ich noch ein Kind war und weil ich es damals schon unglaublich romantisch fand.
»Ist das wahr?« Charlie scheint die Geschichte zu gefallen, so wie den meisten Frauen, denen ich sie erzähle. »Und was bedeuten die anderen Blumen?«
Ich bin sicher, Charlie würde auch einen reinen Myrtenstrauß nehmen, wenn die anderen Blumen keine passende Symbolik hätten. Doch dem ist nicht so.
»Die Lilie steht für eine reine und edle Liebe. Callas drücken Faszination für eine andere Person aus, und Orchideen symbolisieren Leidenschaft und Fruchtbarkeit.«
Die beiden Verliebten werfen einander einen verstohlenen Blick zu.
»Ist das dein Strauß?«
Daniel zieht fragend eine Braue hoch, woraufhin Charlie ihn anstrahlt und nickt.
»Also gut, damit wissen wir nun, in welche Richtung unser Blumenarrangement geht.«
»Ihr Kaffee.«
Eine junge Kellnerin bringt Kaffee und Apfelstrudel. Bei dem Anblick läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich kenne Charlies Talent in der Patisserie und weiß, wie köstlich der Apfelstrudel schmecken wird.
»Den habe ich gerade erst frisch gemacht«, sagt Charlie und leckt sich über die Lippen. »Er ist bestimmt noch warm.«
»Pass lieber auf, dass du in vier Monaten noch in dein Kleid passt«, meint Daniel neckisch und lehnt sich entspannt zurück, um seiner Liebsten dabei zuzusehen, wie sie genüsslich den Apfelstrudel verschlingt.
Ich wünsche mir wirklich, eines Tages auch von einem so netten, attraktiven Mann angehimmelt zu werden. Während ich mir die fantastische Mehlspeise auf der Zunge zergehen lasse, zeige ich den beiden alle möglichen Blumenarrangements. Daniel sagt zwar zu allen seine Meinung, aber Charlie setzt sich stets mit ihren Wünschen durch. Wie ich allerdings feststelle, hat sie nicht nur eine genaue Vorstellung, wie alles auszusehen hat, sondern auch einen wirklich guten Geschmack. Schließlich wählen sie nicht nur den Brautstrauß, sondern auch Anstecksträußchen für die Gäste, einen ausgefallenen Autoschmuck und die Dekoration für Kirche und Festsaal. Für ihre beiden Brautjungfern ordert Charlie einen Myrtenkranz als Haarschmuck.
»Ich habe alles notiert«, sage ich und klappe zufrieden mein Notizbuch zu. »In etwa zwei Wochen lasse ich euch einen Kostenvoranschlag zukommen. Falls du noch etwas brauchst, Charlie, kannst du mich jederzeit anrufen oder im Geschäft vorbeischauen.« Ich kann es jetzt schon kaum erwarten, Charlies Gesicht zu sehen, wenn sie am Tag ihrer Hochzeit das fertige Arrangement erblickt. Für mich als Floristin sind das immer die schönsten Momente.
»Daniel, vergiss nicht«, sagt Charlie ungeduldig.
»Natürlich.« Gelassen greift Daniel in die Innentasche seines Sakkos und holt ein elfenbeinfarbenes Kuvert hervor. »Für dich.«
Vorsichtig öffne ich den Umschlag und ziehe das gefaltete Papier heraus. Ich überfliege die Zeilen und merke, wie sich mein Mund unweigerlich zu einem breiten Lächeln verzieht. Es ist jedes Mal aufs Neue schön für mich, den großen Tag zweier Verliebter mitzuerleben. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich schon mit ihrer Hochzeitseinladung gerechnet. Schließlich hat Charlie mich schon mehrmals angerufen und gesagt, ich solle den Termin in meinem Kalender eintragen, um ihn ja nicht zu vergessen.
»Ich freue mich sehr über eure Einladung.«
Ich liebe Hochzeiten. Die meisten meiner Schulfreundinnen sind mittlerweile verheiratet. Wie unterschiedlich die Feiern auch waren, ich habe jede gerne besucht und genossen.
»Und vielleicht lernst du am Singletisch ja einen netten Mann kennen.« Charlie sieht mich erwartungsvoll an.
Habe ich gerade richtig gehört?
»Singletisch?«, frage ich tonlos.
Das Wort bleibt mir fast im Hals stecken. Singletisch. Der Albtraum aller ledigen Frauen. Das kann doch nicht ihr Ernst sein! Wie konnte Daniel so einer bescheuerten Idee nur zustimmen? Das dürfen sie mir nicht antun! Abgesehen davon sagen die Leute immer dann »nett«, wenn sie nicht wissen, wie sie etwas Schlechtes gut verkaufen sollen.
»Ja! Wäre das nicht romantisch, wenn du auf unserer Hochzeit jemanden kennenlernst?«
Ich weiß, dass Charlie es nur gut mit mir meint, aber bei der Vorstellung, den ganzen Abend mit den geladenen Singles an einem Tisch zu sitzen, wird mir übel. Wahrscheinlich gibt es bei den meisten gute Gründe, warum sie niemanden an ihrer Seite haben. Vor meinem inneren Auge taucht ein über fünfzigjähriger, angetrunkener Mann neben mir auf und versucht, mit mir zu flirten. Wie soll ich das nur überstehen?
»Muss Clemens auch an den Singletisch?«, frage ich – in der Hoffnung, zumindest einen Beschützer in der Nähe zu haben.
»Nein. Er sitzt bei Daniels Schulkollegen und Jugendfreunden«, antwortet Charlie, »und glaub mir, die können an so einem langen Abend sehr anstrengend sein.« Den letzten Satz hat sie leiser gesagt, als könnte ihr Verlobter sie so nicht hören. Vermutlich hat sie schon entsprechende Erfahrungen gemacht.
Das ist mit Abstand das Furchtbarste, was man mir auf einer Hochzeitsfeier antun kann. War ja klar, dass Clemens dieses Schicksal erspart bleibt. Wobei dem der Singletisch bestimmt gar nichts ausgemacht hätte.
»Es sei denn, du bringst jemanden mit«, ergänzt Daniel, dem mein entgeisterter Gesichtsausdruck offenbar nicht entgangen ist.
»Oh, ja natürlich«, wirft Charlie schnell ein. »Dann kommst du selbstverständlich an den Freundetisch. Allerdings müsste ich das bald wissen, wegen der Tischordnung.«
Sie wirkt verlegen, bestimmt, weil sie nicht in Betracht gezogen hat, dass ich in Begleitung kommen könnte. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln.
»Also, um ehrlich zu sein …«
Ich stocke, weil es eigentlich nicht meine Art ist zu lügen. Schon jetzt liegt mir das schlechte Gewissen wie ein Stein im Magen.
»Es … gibt da jemanden, den ich gerne mitnehmen würde.«
Ob das eine kluge Idee ist?
Charlie und Daniel sehen mich überrascht an. Glauben sie mir nicht? Nur weil ich bislang kein Glück hatte mit den Männern, heißt das doch nicht, dass es immer so bleibt!
»Ich habe ihn erst vor Kurzem kennengelernt«, fahre ich fort und versuche, mit einem dezenten Lächeln meine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. »Es … ist … na ja, noch ganz frisch, aber wenn ich darf, würde ich ihn gerne mitnehmen.«
»Natürlich!«
Charlie wirkt ganz begeistert, und auch Daniel freut sich ehrlich mit mir.
Erleichtert lasse ich die Luft aus meinen Lungen entweichen. Diese kleine Notlüge kann man mir nicht übel nehmen. Alles besser, als an diesem Singletisch zu hocken. Ich habe noch knapp vier Monate Zeit, jemanden zu finden, der mich begleitet, sodass niemand meinen Schwindel bemerkt. Irgendwann muss es das Liebesglück doch auch mit mir gut meinen.
***
Abgesehen von meiner Wohnung, dem Geschäft und Wiens Parkanlagen verbringe ich wohl die meiste Zeit in der Albert-Schultz-Eishalle nördlich der Donau. Dort ist das Zuhause mehrerer großer Wiener Eishockeyvereine, darunter auch der Vienna Steelheads. Mein Vater ist ihr Trainer und mein Bruder ihr wohl bester Stürmer. Das letzte Spiel der Saison fand zwar schon vor einem Monat statt, doch mein Vater hat für heute noch ein Freundschaftsspiel angesetzt, ehe es in die lang ersehnte Sommerpause geht.
Meinem Vater bedeutet der Eishockeysport so viel wie mir die Arbeit als Floristin, deshalb gehe ich regelmäßig zu den Spielen. Er erwartet nicht, dass ich die Steelheads lautstark anfeuere, es genügt ihm, wenn ich anwesend bin. Unzählige Male haben er und Clemens versucht, mir die Regeln zu erklären, aber ich verstehe sie bis heute nicht.
Egal wie oft ich auf der Tribüne Platz nehme – ich fühle mich nie richtig wohl. Die riesige Halle, der Blick auf das kalte Eis, die grölenden Fans und – am schlimmsten – die sich prügelnden Spieler. Während andere jubeln und sie auch noch anfeuern, zucke ich jedes Mal zusammen, wenn sie aufeinander losgehen, sich gegen die Bande drücken und einander mit den Fäusten attackieren. Manche reißen sich den Helm vom Kopf, brüllen quer über das Eis und stürzen sich mit wutverzerrten Gesichtern auf ihre Gegner.
Welcher erwachsene und halbwegs zivilisierte Mensch tut denn so etwas?
Klara sagt, unter den Helmen und der Schutzkleidung könnten auch zivilisierte Männer stecken, aber meine bisherigen Erfahrungen beweisen das Gegenteil. Mein Bruder ist ein Paradebeispiel dafür, und weil ich mir die Wohnung mit ihm teile, weiß ich, wovon ich spreche. Mit seinen 31 Jahren jagt er einem Ziel hinterher, das bereits unser Vater einst verletzungsbedingt aufgegeben hat. Ich glaube, mein Papa versucht seinen Traum, Profi-Eishockeyspieler zu werden, durch Clemens zu verwirklichen. Dafür scheut er keine Mühen und arbeitet nun schon seit Jahren als Trainer, um sein Wissen und seine Erfahrung den Spielern und allen voran Clemens weiterzugeben.
»Da bist du ja!«
Meine beste Freundin setzt sich neben mich. Um den Zeigefinger hat sie eine rote Fruchtgummischnur gewickelt und schiebt sich das Ende zwischen die Zähne. Klara ist süchtig nach dieser Süßigkeit – und nach allem anderen Zuckerzeugs auch.
Klaras Interesse an Eishockey ist ähnlich ausgeprägt wie meines, doch sie begleitet mich jedes Mal solidarisch in die Halle. Und das finde ich wirklich toll.
»Es gibt Neuigkeiten«, sagt sie aufgeregt. »Heute hat mich der Vermieter der alten Schneiderei angerufen. In drei Wochen kann ich das Geschäft besichtigen, und wenn alles passt, bekomme ich den Schlüssel.« Klara sieht mich, an ihrem Fruchtgummi nagend, erwartungsvoll an.
»Das geht aber schnell«, stelle ich erstaunt fest, auch wenn ich mich ehrlich mit ihr freuen will.
Vor etwas mehr als vier Monaten, am Neujahrstag, hat Klara euphorisch verkündet, dieses Jahr auch unter die Unternehmer zu gehen. Mit einem eigenen Laden, den sie nach ihren Vorstellungen führen will. Ähnlich wie Ritas Blütenzauber, nur innovativer, hipper und an eine jüngere Zielgruppe gerichtet. Drei Tage später hatte sie eine außergewöhnliche Idee: Rollschuhe! Die perfekte Marktnische, sagte sie, die es dringend zu schließen gelte. Ihr Geschäft solle der Hotspot für klassische Rollschuhe in Wien und Umgebung werden. Rollschuhe sollten wieder populär werden und auf den Straßen präsent sein.
Nicht dass ich meine Freundin nicht unterstützen oder ihr die Aufgabe nicht zutrauen würde. Ich fürchte nur, sie weiß nicht, was da auf sie zukommt. Ein eigenes Geschäft zu führen bedeutet, vorausschauend zu arbeiten und gut zu kalkulieren. Man muss sein ganzes Herzblut hineinstecken, und ich weiß, wovon ich rede. Ich liebe die Arbeit mit Blumen, daher fällt es mir auch nicht schwer, in schlechten Zeiten optimistisch zu bleiben und meine ganze Energie in den Laden zu stecken.
Trotz meiner vorsichtigen Ratschläge, sie solle ihr Vorhaben nicht überstürzen, ist Klara nicht davon abzubringen. Ich hoffe, sie unterschätzt weder den finanziellen Aufwand noch die Verantwortung oder das Risiko.
»Kommst du mit zu der Besichtigung?«
Klara klemmt das Ende des roten Fruchtgummis zwischen ihre Lippen und rollt es hin und her.
»Sicher doch«, antworte ich.
Schließlich sehen vier Augen mehr als zwei. Trotz meiner Skepsis will ich Klara jedenfalls unterstützen. Denn sie ist immer für mich da, wenn ich sie brauche, und sie kann sich auf mich genauso verlassen. Ich war schon immer ein vorsichtiger Mensch, der kein unnötiges Risiko eingeht. Hätte ich nicht das Geschäft meiner Mutter geerbt, wäre ich heute ganz bestimmt nicht selbstständig. Dazu fehlt mir, ehrlich gesagt, der Mumm. Klara hingegen hat ausreichend Mut für uns beide.
Da geht ein Raunen durch die Halle, und wir schauen hinunter auf das Spielfeld. Ein Spieler der Steelheads drückt einen Gegner ausgerechnet vor uns gegen die transparente Bande. Durch das Visier des Helms erkenne ich, dass es wenigstens nicht mein Bruder ist. Ein weiterer Gegenspieler kommt hinzu und reißt den Steelheads-Spieler an der Schulter nach hinten. Der gefoulte Spieler rutscht mit schmerzverzerrtem Gesicht die Scheibe entlang hinunter und verschwindet hinter der Bande.
»Endlich ist hier was los.« Klara ist erfreut über den Tumult auf dem Eis und zieht die nächste rote Gummischnur aus ihrer Tasche. Ich frage mich, wie viele Schnüre sie noch darin verstaut hat.
Mein Bruder stürmt übers Eis und hilft seinem Mitspieler, als dieser von Gegnern attackiert wird. Ich mag es nicht, wenn Clemens in eine Rauferei verwickelt ist. Weder will ich, dass er jemanden verletzt, noch will ich ihn mit blutüberströmter Nase und zugeschwollenem Auge sehen. Beides habe ich in all den Jahren schon miterlebt. Trotzdem gewöhne ich mich nicht daran.
Auf der anderen Seite der Halle springt mein Vater mit knallrotem Kopf auf und ab. Er hasst es, nicht direkt ins Geschehen eingreifen zu können. Zumindest brauche ich mir um ihn keine Sorgen zu machen.
Die Spieler stoßen einander und brüllen sich wüste Beschimpfungen zu. Die Fans grölen, feuern ihre Teams an und schlagen mit den Händen auf das Plexiglas, das unter der Erschütterung wackelt. Der Schiedsrichter eilt mit seiner Trillerpfeife zwischen den Lippen auf die Raufbolde zu und schlichtet den Streit binnen Sekunden. Er schickt sowohl den gefoulten als auch den foulenden Spieler vom Feld und knöpft sich zwei weitere Spieler vor, um sie zu verwarnen. Einer davon ist Clemens, dessen zornigen Ausdruck ich sogar aus der Ferne erkennen kann.
»Warum muss der denn raus?«, fragt Klara verwirrt und zeigt auf den Spieler, der an die Bande gepresst wurde und ziemlich benommen aussieht.
Aber ich bin wahrlich nicht die Ansprechperson für solche Fragen. »Keine Ahnung«, antworte ich. »Vielleicht hat er vorher selber gefoult.«
Das Geschehen auf dem Eis beruhigt sich wieder, und der Referee lässt weiterspielen. Mein Vater sieht immer noch unzufrieden aus. Er brüllt seine Anweisungen über die Bande und fuchtelt mit dem Arm in der Luft herum, um seine Spieler nach vorne zu treiben.
»Wir könnten uns genauso gut einen Boxkampf ansehen.«
»Ach, Blödsinn!« Klara verdreht die Augen. »Es ist ja nicht so, als gäbe es ständig Schlägereien.«
Sie mag es, wenn es auf dem Eis heiß hergeht. Den normalen Spielverlauf verfolgt sie genauso wenig wie ich, aber sobald die Fäuste fliegen, haben die Spieler ihre volle Aufmerksamkeit.
Clemens gleitet über das Feld und passt den Puck mit einer solchen Geschwindigkeit zu seinen Mitspielern, dass ich es kaum mitverfolgen kann. Meine Gedanken schweifen zu dem heutigen Gespräch im Eppensteiner Hotel ab. Ich hätte vor Charlie und Daniel nicht behaupten dürfen, mit einer Begleitung zu ihrer Hochzeit zu erscheinen. Auch wenn noch ausreichend Zeit ist, um jemanden zu finden, fühle ich mich unter Druck gesetzt. Das Ende meiner letzten Beziehung liegt schon mehr als zwei Jahre zurück. Wenn es einfach wäre, in kurzer Zeit einen neuen Partner zu finden, dann hätte ich das längst getan. Ist es aber nicht, wie ich leider festgestellt habe.
»Ich brauche einen Mann.«
Noch ehe ich die Worte ausgesprochen habe, bereue ich sie auch schon. In der Hoffnung, Klara hätte mich nicht gehört, sehe ich auf.
»Das ist ja mal ganz neu«, sagt sie und zieht ein weiteres Fruchtgummi aus ihrer Tasche. Sie wickelt die Schnur eng um ihren Zeigefinger und knabbert dann das Ende an. Ihre Fingerspitze verfärbt sich allmählich in einen dunklen Rotton. Wenn sie zu lange vergisst weiterzuessen, wird die Fingerkuppe manchmal sogar blau.
»Ich bin zu einer Hochzeit eingeladen und habe angekündigt, in Begleitung zu erscheinen«, erkläre ich.
Natürlich könnte ich irgendjemanden fragen, der mit mir kommt, aber das will ich nicht. Es klingt vielleicht blöd, aber dazu bin ich zu stolz. Wenn ich schon mit einer Begleitung erscheine, muss es mehr als ein belangloses Date sein.
»Warum denn das?«
Klara wirkt nicht so, als würde mein Problem sie besonders interessieren. Sie hebt den Kopf, als auf der anderen Seite der Halle zwei Spieler aneinandergeraten. Noch bevor sich eine Schlägerei entwickeln kann, gehen mehrere Mannschaftskollegen dazwischen und ziehen die beiden Streithähne auseinander. Enttäuscht wendet Klara sich wieder mir zu.
»Das Brautpaar will mich sonst an den Singletisch verfrachten.«
Klara zieht die Luft scharf durch die Zähne. Wenigstens versteht sie mich.
»Wer kommt denn auf so eine Idee?« Mit zusammengezogenen Augenbrauen schüttelt sie den Kopf.
»Charlie und Daniel.«
»Heiraten die nicht im August? Dann hast du wenigstens noch Zeit, um einen zu finden.« Sie macht eine Handbewegung, die so viel heißt wie: Stress dich deswegen nicht.
»Wenn das so leicht wäre, warum habe ich dann noch keinen?«
Klara presst die Lippen aufeinander, als müsste sie länger darüber nachdenken, aber dann sagt sie umgehend: »Weil deine Ansprüche zu hoch sind.«
Jetzt geht das wieder los!
»Meine Ansprüche sind vollkommen in Ordnung«, erwidere ich genervt.
Ich habe es satt, mich jedes Mal rechtfertigen zu müssen, warum sämtliche Männer, die in mein Leben treten, nicht gut genug für eine Beziehung sind. Es ist ja nicht so, als würde ich ihnen keine Chance geben. Es gibt einfach immer einen Grund, warum ich nach wenigen Verabredungen weiß, dass es nicht passt.
»Für eine Adelige des neunzehnten Jahrhunderts vielleicht.«
Klara streicht ihr strubbliges, rotes Haar über die Schulter und sieht mich mit ihren grünen Augen bedauernd an. Ich weiß, was jetzt kommt.
»Rita, du wartest auf den Prinzen, der dich auf seinem Schimmel in ein Schloss mitnimmt.« Sie seufzt. »Den wirst du nur leider nicht finden.«
Ja, das haben mir auch alle anderen schon oft genug gesagt. Zu oft. Mein Vater, mein Bruder und sogar meine Oma. Nur Papas Lebensgefährtin Tanja hält sich bei dem Thema zurück. Ich weiß aber, dass sie dasselbe denkt. Sie meinen wahrscheinlich alle, dass ich mir zu schade für die Männer bin und eh schon ganz verbittert.
Klara scheint meine Gedanken gelesen zu haben. Sie legt verständnisvoll ihre Hand auf meine und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
»Lass den Kopf nicht hängen. Du musst nur offener werden, dann wirst du schon noch den Richtigen finden.«
Das ist leichter gesagt als getan. Es ist ja nicht so, dass ich nicht suchen würde. Aber meine Zeit ist nun einmal begrenzt. Ich bin mit meinem Blumengeschäft voll eingespannt. Die freie Zeit, die ich habe, nutze ich für meine Familie, Freunde und ausgiebige Spaziergänge. Warum treffe ich eigentlich in einem der Stadtparks keinen netten Mann? Einen, der den Anblick schöner Blumen ebenso schätzt wie ich …
»Eigentlich«, beginnt Klara und sieht mich nachdenklich an, ehe sie fortsetzt, »sind da unten dreißig Männer, die mehr oder weniger in deinem Alter sind. Selbst wenn du nur die Steelheads berücksichtigst, hast du gut fünfzehn Kandidaten.«
Das ist nicht ihr Ernst! Ich soll mit einem Eishockeyspieler ausgehen?
»Mal abgesehen davon, dass einer davon mein Bruder ist und der Rest genau solche Idioten wie er«, erwidere ich grantig.
»Gut, dein Bruder ist vielleicht ein Idiot, aber kennst du denn wirklich alle seine Mitspieler?«
Mit offenem Mund starre ich sie an. Worauf will sie hinaus? Die Typen da unten sind alle nach demselben Muster gestrickt. Um das zu wissen, muss ich sie nicht alle persönlich kennen. Das sind aggressive Sportler, die zu Hause die Füße auf den Tisch legen, rülpsen und sich für unwiderstehlich halten, weil sie mit einer Frau nach der anderen ins Bett gehen.
Offenbar ist mein Gesichtsausdruck Antwort genug.
»Du könntest ihnen eine Chance geben und sie kennenlernen«, sagt Klara entschlossen und schiebt sich die restliche Gummischnur in den Mund.
Sie scheint sich ja für die Expertin in Sachen Männer zu halten.
»Ihnen eine Chance geben?«, wiederhole ich langsam und gebe Klara damit die Möglichkeit, ihren absurden Vorschlag zurückzunehmen.
»Ja klar! Sei doch nicht immer so eine Spaßbremse.«
Na klar, denke ich sauer, nur haben die Sportler da unten eine vollkommen andere Vorstellung von Spaß als ich.
»Und wenn sich nun unter einem dieser Helme doch ein kleiner Traumprinz versteckt?«, setzt Klara begeistert nach. »Vielleicht nicht mit Schimmel und Schloss, aber dafür mit Opel und WG-Zimmer.«
Jetzt macht sie sich über mich lustig. Na warte, denke ich und sage: »Ich werde dir gerne das Gegenteil beweisen.«
***
»Gefällt es dir hier?«
Clemens legt seinen schweren Arm um meine Schultern und zieht mich an seine Brust. Er riecht nach Bier und einem billigen Frauenparfüm.
Ich schiebe ihn von mir weg und weiche einen Schritt zurück. Von seiner Alkoholfahne wird mir schlecht. Bis vor zwei Minuten hing er noch an den Lippen einer brünetten Frau, deren lange, zottelige Mähne bis zu den Hüften reicht. Jetzt steht sie bei einer ihrer Cheerleader-Kolleginnen und unterhält sich mit ihr, während Clemens für Biernachschub sorgt.
»Natürlich. Eine super Party, wie immer«, antworte ich mit kaum verhaltener Ironie im Ton.
Ich bin nicht zum ersten Mal bei einer von Parkers berühmt-berüchtigten Partys. Parker ist gebürtiger Amerikaner und linker Flügelstürmer der Steelheads. Abgesehen von der Nationalität unterscheidet Parker und Clemens nur wenig. Sie beide lieben Sport, Frauen und Bier. Nur dass Parker ein eigenes Loft hat, das er sich nicht mit seiner Schwester teilen muss. Es ist eine alte Lagerhalle, die zu einer Wohneinheit umgebaut wurde. Die Außenwände sind aus Backstein und die wenigen Zwischenwände in Betonoptik gehalten. Parkers Mobiliar ist auf die Materialien Leder, Metall und Glas beschränkt, Dekor sucht man vergeblich. Bis auf zwei gerahmte Poster von Parker in Eishockey-Montur hat er nicht einmal Fotos. Alles in dieser Junggesellenbude riecht nach Testosteron.
»Eigentlich wollten wir in die Stadt«, erklärt Clemens grinsend und öffnet zwei Flaschen Bier. »Aber Parker hat versprochen, ein paar nette Frauen zu organisieren.«
Nette Frauen? Ich verdrehe die Augen.
»Ronnie und ich dachten, er meint Stripperinnen, aber Cheerleaderinnen sind auch okay.«