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Cara Lay

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Beschreibung

Ein Detective mit übermenschlichen Kräften und eine junge Frau, die Gedanken manipulieren kann, im Kampf gegen dunkle Mächte. Ein romantischer Fantasy-Roman mit Krimi-Elementen vor der Kulisse Delawares. Ein Leichenfund führt Detective Caden Walsh zu Amber O'Keefe, der Cousine des Opfers. Ihre Familie, so scheint es, ist ins Visier dunkler Mächte geraten. Schnell wird klar, dass sie es mit mystischen Kräften zu tun haben, denen mit gewöhnlichen Mitteln nicht beizukommen ist. Caden ist entschlossen, Amber zu beschützen, denn zwischen den beiden knistert es seit dem ersten Zusammentreffen gewaltig. Doch um Amber in Sicherheit zu bringen, muss er sich uralten Wissens bedienen, das er längst vergessen glaubte. Erst als sie auf den geheimnisvollen Luar treffen, begreifen Caden und Amber allmählich, wie gefährlich ihre Gegner wirklich sind. »Luar« von Cara Lay ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer facebook-Seite. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Cara Lay

Luar – Verbotene Kräfte

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein Detective mit übermenschlichen Kräften und eine junge Frau, die Gedanken manipulieren kann, im Kampf gegen dunkle Mächte. Ein romantischer Fantasy-Roman mit Krimi-Elementen vor der Kulisse Delawares.

Ein Leichenfund führt Detective Caden Walsh zu Amber O’Keefe, der Cousine des Opfers. Ihre Familie, so scheint es, ist ins Visier dunkler Mächte geraten. Schnell wird klar, dass sie es mit mystischen Kräften zu tun haben, denen mit gewöhnlichen Mitteln nicht beizukommen ist. Caden ist entschlossen, Amber zu beschützen, denn zwischen den beiden knistert es seit dem ersten Zusammentreffen gewaltig. Doch um Amber in Sicherheit zu bringen, muss er sich uralten Wissens bedienen, das er längst vergessen glaubte. Erst als sie auf den geheimnisvollen Luar treffen, begreifen Caden und Amber allmählich, wie gefährlich ihre Gegner wirklich sind.

Inhaltsübersicht

Prolog1. Caden2. Amber3. Caden4. Amber5. Caden6. Amber7. Caden8. Amber9. Caden10. Amber11. Caden12. Amber13. Caden14. Amber15. Caden16. Amber17. Caden18. Amber19. Caden20. Amber21. Caden22. Amber23. Caden24. Amber25. Caden26. Amber
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Prolog

Vor einigen hundert Jahren …

Hier würde für ihn alles enden.

Mit einer Behutsamkeit, die ein zufälliger Beobachter diesen knorrigen Fingern niemals zugetraut hätte, strich der Zeremonienmeister über das glänzende Metall des Reifs. Das mit großer Kunstfertigkeit gearbeitete Gold reflektierte das Licht der zahllosen Kandelaber des Gewölbes. Ein beinahe unnatürliches Strahlen, das den Zeremonienmeister schmunzeln ließ. Er kannte die Eitelkeit bedeutender Magier, und einer der großen Meister hatte nicht widerstehen können, das Zeichen seiner Macht und Würde mit Hilfe der alten Kräfte aufzupolieren.

Seine Fingerkuppen erreichten die Enden des Reifs. Die altersmüden Augen konnten die feinen Muster der münzförmigen Abschlüsse nicht mehr erkennen, doch in den Jahrzehnten, in denen ihm der Schutz des Halsschmucks oblag, hatte sich jedes Detail in seine Erinnerung gegraben. Mehr als diese Erinnerung würde ihm nicht bleiben.

Mit zittriger Hand und dennoch großer Sorgfalt bettete er den Reif auf die samtene Unterlage und schloss den Deckel der Schatulle. Seine Arbeit war erledigt. Es endete hier. Alles endete hier. Es war ein schlechtes Omen, dass nicht ein neuer Zeremonienmeister, sondern der große Meister selbst an den Tisch herantrat, um die goldene Kiste an sich zu nehmen. Nie zuvor hatte es so etwas gegeben. Neue Zeiten brachen an.

Die Verfolgung von Magiern und Hexen hatte eine Schneise des Todes in ihren Reihen hinterlassen, und die Schergen von Adel und Kirche schienen nicht nachzulassen in ihren Bemühungen.

Magie und Magier standen vor ihrer Vernichtung. Als der letzte der großen Meister gefallen war, schien ihr Ende besiegelt. Dem jungen Morrigan fehlte die Weisheit seines Vaters, aber er war tollkühn und entschieden. Am Tag, als ihm der goldene Reif der Torques-Potin-Bruderschaft das erste Mal angelegt wurde, hatte er den Aufbruch in die Neue Welt beschlossen. Im ersten Licht des morgigen Tages würden einige Segelschiffe das Land ihrer Vorfahren mit all seinen Brüdern an Bord verlassen.

Die Hand des jungen Morrigan legte sich auf seine Schulter. »Du hast dem Orden treu gedient. Ich bedaure, dass sich unsere Wege hier trennen.«

Der Zeremonienmeister schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Die Reise ist beschwerlich. Ich hätte euch während der Überfahrt ohnehin verlassen. Ich eigne mich nicht als Fischfutter und ruhe lieber in der Erde, in der ich meine Wurzeln habe.«

»Möge die Erde noch lange auf dich warten. Bisher hat man dich nicht als Hexer denunziert. Du wirst hoffentlich in Frieden leben können.«

Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Ordensbrüder voneinander und verließen das Gewölbe, das ihnen seit Generationen als Versammlungsort gedient hatte. Der alte Mann sah ihnen mit leerem Blick hinterher. Alles veränderte sich. Und für ihn endete es hier.

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1. Caden

Mit einem lauten Klatschen landete der Gürtel auf dem nackten Gesäß des Jungen und hinterließ einen blutunterlaufenen Streifen auf der Haut. Das Kind – es mochte ungefähr sechs Jahre alt sein – jammerte und flehte, doch unbarmherzig fügte der Lederriemen eine weitere Strieme hinzu. Schon holte der Mann wieder aus …

Schweißnass fuhr Caden aus dem Schlaf und fasste unwillkürlich an sein Hinterteil, auf dem die Spuren der damaligen Tortur heute, gut dreißig Jahre später, längst abgeheilt waren. Dennoch glaubte er, die Schmerzen nach wie vor zu spüren und schlimmer noch die Demütigung, die mit den Schlägen einhergegangen war. Aber er hatte seine Lektion gelernt. Sein Geheimnis hütete er seitdem, als hinge sein Leben davon ab. Was auf eine gewisse Weise auch stimmte.

Missmutig warf er einen Blick auf den Wecker. Er hatte diese Albträume nur noch selten. Diesen und den anderen von seiner Schwester. Doch wenn sie ihn heimsuchten, war danach – das wusste er aus Erfahrung – an Schlaf nicht mehr zu denken. Dann konnte er sich ebenso gut auf den Weg ins Büro machen. Er schälte sich aus der Bettdecke, fuhr sich durch die zerzausten Haare und tapste mit halb geschlossenen Augen in die Küche zur Kaffeemaschine.

Knappe dreißig Minuten und eine kalte Dusche später, betrat er das Police Department. Zu dieser frühen Stunde war es hier ruhig. Die betrunkenen Störenfriede der Nacht waren wieder nüchtern, die Verkehrsunfälle aufgenommen, und auf frischer Tat ertappte Kleinkriminelle warteten bereits in ihren Zellen. Der neue Tag war noch nicht weit genug vorangeschritten, um schon Ärger zu verursachen. Caden liebte diese friedvolle Zeit des Morgens. Im Grunde ging es in Potinsview ohnehin ruhig zu. Die Stadt am Delaware River hatte die ideale Größe. Groß genug, damit nicht jeder jeden kannte; aber doch so beschaulich, dass Kapitalverbrechen eine Ausnahme waren.

Lächelnd öffnete er die Tür zu dem Büro, das er sich mit seinem Kollegen und Freund Nicolas Fallon teilte. Seit dieser vor einigen Monaten Vater geworden war, erschien Nick morgens fast immer als einer der ersten im Revier.

»Schlafen lässt uns die Kleine ohnehin nicht mehr«, seufzte er häufig und rollte mit den Augen, aber der warme Glanz darin verriet, wie glücklich er trotz allem war. Er hätte alles für seine Tochter getan.

Manchmal spürte Caden einen Stich, wenn er an diese Familienidylle dachte. Wie gut musste es sich anfühlen, Menschen zu haben, die zu einem gehörten? Menschen zu lieben und von ihnen geliebt zu werden. Rasch schüttelte er den Gedanken ab. Schon vor vielen Jahren hatte er akzeptiert, dass ihn solche Grübeleien nicht weiter brachten. Auch jetzt lächelte er deshalb gutmütig, als sein Blick auf Nicolas fiel, der ihm so müde entgegensah, dass Caden das Gefühl hatte, in einen Spiegel zu blicken.

»Morgen, Nick«, grüßte er mit einem Grinsen. »Eine erholsame Nacht gehabt?«

»Hör bloß auf«, grunzte sein Kollege. »Die Kleine bekommt ihren ersten Zahn.« Er rieb sich mit den Händen durch sein Gesicht und erhob sich. »Ich glaube, ich besorge uns erst mal einen Kaffee. Wenn ich dich so ansehe, scheinst du auch dringend einen zu brauchen.« Ohne Cadens Antwort abzuwarten, verließ er den Raum.

Caden widmete sich der üblichen morgendlichen Routine. Er gab der mickrigen Büropflanze, die an der Ecke seines Schreibtischs vor sich hin vegetierte, einen Schluck Wasser. Prompt warf diese ein Blatt ab.

»Undankbares Ding«, murmelte er. »Dafür habe ich dich vor dem Müllcontainer bewahrt.«

Er wartete, bis sein Rechner hochgefahren war, loggte sich mit seiner Dienstnummer ein und sah die E-Mails durch, ohne dass irgendeine von ihnen seinen Puls in die Höhe trieb. Aus diesem Grund liebte er Potinsview. Nach seiner Zeit in Philadelphia war die Arbeit hier beinahe wie Erholungsurlaub. So hatte er sich das bei seiner Bewerbung um die freie Stelle im Potinsview Police Department gewünscht. Natürlich musste er hier vorsichtiger sein. Man ging hier nicht mehr so leicht in der Anonymität der Masse unter wie in der Großstadt. Dennoch überwogen die Vorteile. Weniger Kriminalität, weniger Gewalt. Das bedeutete ein entspannteres Arbeiten.

»Wird wohl wieder mal eine ruhige Schicht«, sagte Caden, als er wenige Augenblicke später seine Kaffeetasse von Nicolas entgegennahm, und überhörte geflissentlich seine innere Stimme, die ihn warnte, mit solchen Prognosen vorsichtig zu sein.

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2. Amber

Amber trat zwei Schritte von der Haustür zurück auf den Bürgersteig. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zur ersten Etage des Gebäudes, das drei Stockwerke hoch über ihr emporragte. Nichts regte sich. Die Fenster waren geschlossen, die Vorhänge zurückgeschoben. Das Schlafzimmer ging nach hinten raus. Nichts verriet, ob die Bewohnerin aufgestanden war.

Sie runzelte die Stirn und strich sich mit einer energischen Bewegung eine Strähne aus dem Gesicht, die der Wind gelöst hatte. Zweimal schon hatte sie geklingelt, doch der Türöffner war stumm geblieben. Nun angelte sie ihr Mobiltelefon aus der Handtasche, suchte mit wachsender Verärgerung Fionas Nummer heraus, drückte auf das Hörersymbol und lauschte dem Tuten des durchgehenden Rufs. Hatte Fiona einen beneidenswert tiefen Schlaf oder war sie gar nicht zu Hause und hatte ihre Verabredung schlicht vergessen?

Amber starrte hoch zur Wohnung ihrer Cousine, als würde sie dort eine Antwort auf ihre Frage finden. Sie hatte sich auf das gemeinsame Frühstück gefreut. Eigentlich sah es ihrer Cousine gar nicht ähnlich, einen Termin zu vergessen – Amber war die Schusselige in der Familie. Fiona neckte sie ständig damit, dass das wohl an ihrer Künstlerseele läge. Dabei illustrierte Amber nur Kinderbücher. Ein Job, der ihr Spaß machte, ihr ein einträgliches Auskommen sicherte, aber keine kreativen Höchstleistungen erforderte. In den Augen der pragmatischen Fiona die laut eigener Aussage nicht einmal einen geraden Strich zustande brachte, war Ambers Arbeit schöpferisch genug, um als Kunst durchzugehen. Amber lächelte. Als Einzelkind hatte sie in der immer gut gelaunten Fiona, die über sich und das Leben lachen konnte wie sonst niemand, den Amber kannte, so etwas wie eine Ersatzschwester gefunden. Deshalb wuchs in ihr allmählich Beunruhigung. So etwas war wirklich nicht Fionas Art. Ob sie krank geworden war?

Amber zögerte einen kurzen Augenblick, dann griff sie erneut in ihre Handtasche und zog den Schlüsselbund heraus. Zur Sicherheit hatten die beiden vor einiger Zeit Schlüssel ausgetauscht, falls sich eine von ihnen aussperrte. Amber fühlte sich zwar nicht ganz wohl dabei, einfach so in Fionas Wohnung einzudringen, aber Fiona würde ihre Beweggründe sicherlich verstehen. Also steckte sie den Schlüssel ins Schloss, öffnete und stand kurz darauf vor Fionas Tür. Sie hielt inne, klopfte und drückte ihr Ohr gegen die kühle Oberfläche der Wohnungstür, doch alles blieb still.

Mit einem leisen Klick drehte sie den Schlüssel und stieß die Tür auf.

»Fiona? Bist du da?« Ihre Frage fühlte sich deplatziert an, fast, als hätte ihr Unbewusstes bereits begriffen, dass etwas nicht stimmte.

Ambers Blick fiel auf die Kommode im Flur. Als sie Fionas Handtasche entdeckte und den Schlüsselbund, der griffbereit in der Glasschale daneben lag, drängte sich das ungute Gefühl auch in ihr Bewusstsein. Es lag etwas in der Luft, das sie weder riechen noch sehen konnte. Aber es war da und es sorgte dafür, dass sich ihr Herzschlag unangenehm beschleunigte.

Die Tür zum Bad stand offen. Beinahe erleichtert nahm Amber zur Kenntnis, dass es leer war. Inzwischen spielten sich in ihrer Fantasie schon furchterregende Szenen ab: Fiona, die ausgerutscht war und bewusstlos auf dem Boden lag; Fiona, die in der Badewanne eingeschlafen war … Auch das Wohnzimmer mit der Kitchenette war schnell kontrolliert. Blieb nur noch das Schlafzimmer.

Mit angehaltenem Atem näherte sich Amber der angelehnten Tür, klopfte, obwohl sie nicht ernstlich an eine Antwort glaubte, und trat ein.

Als sie die Gestalt im Bett erblickte und Fionas brünette Mähne sah, lachte sie vor Erleichterung auf.

»Aufstehen, du Schlafmütze!« Amber zog die Vorhänge zurück und drehte sich wieder zum Bett. »Hast du etwa unsere Verab…« Die Worte blieben ihr im Hals stecken, das Lächeln gefror und machte stummem Entsetzen Platz.

Das Gesicht ihrer Cousine war aschfahl, die Lippen blutleer. Sie wusste es bereits, bevor sie widerstrebend nach Fionas Puls tastete. Die Haut ihrer Cousine war kalt.

[home]

3. Caden

So viel zu unserem Plan von einem ruhigen Tag.« Nicolas brummte unzufrieden. »Hoffentlich kein Mord, das hätte mir gerade noch gefehlt.«

»Das Opfer hatte sich diesen Vormittag bestimmt auch anders vorgestellt.« Caden warf einen Seitenblick auf seinen Kollegen. Sie verstanden sich gut, aber manchmal wunderte er sich, wie abgestumpft sein Freund inzwischen war. Caden war ebenfalls schon einige Jahre dabei. Seit er Detective war, hatte er so viele Leichen gesehen, dass es für ein komplettes Leben reichen sollte, doch keine von ihnen hatte ihn kalt gelassen. Er dachte an ihre Familien, an ihre Freunde, an jeden, der um das Opfer trauerte. Dieser Gedanke hielt das Feuer am Lodern, das dafür sorgte, dass er sich in seine Fälle verbiss. Sein Vorgesetzter in Philadelphia hatte ihn oft gezügelt, ihn ermahnt, dass dieses Verhalten auf Dauer nicht gesund sei. Insgeheim hatte Caden ihm recht geben müssen, wann immer er merkte, wie die Fälle seine Energie aussaugten, wie es ihn frustrierte, wenn wieder einmal ein Täter ungeschoren davonkam, weil man ihm einfach nichts nachweisen konnte. Der Wunsch, diesem fortwährenden Kampf gegen Windmühlen zu entkommen, war einer der Gründe gewesen, sich in das ruhigere Potinsview versetzen zu lassen.

»Die Kollegen haben uns dazu gerufen, weil das Opfer noch so jung und nach Aussage einer Verwandten kerngesund gewesen sein soll«, holte Nicolas ihn aus seinen Gedanken, während er den Wagen an den Straßenrand steuerte.

»Dann schauen wir uns die Sache mal an.« Caden öffnete die Beifahrertür und sah an der Fassade des Gebäudes hoch. Ein unauffälliges Wohnhaus, nicht exklusiv, aber gepflegt, so wie die gesamte Nachbarschaft. Ein Viertel, in dem man keine Probleme erwartete.

Die Haustür stand offen und Caden folgte seinem Kollegen in eine Wohnung im ersten Stock, die zu eng für all die Menschen war, die sich in diesem Moment hier aufhielten. Der Notarzt, der dem Opfer nicht mehr hatte helfen können, die Officers, die nach dem Notruf zuerst vor Ort eingetroffen waren und inzwischen auch die Spurensicherung. Und am Rand saß regungslos eine junge Frau auf einem Stuhl und wirkte seltsam unbeteiligt.

»Das muss die Zeugin sein, die die Tote gefunden hat«, raunte Nicolas ihm zu. »Laut Meldung eine Verwandte.«

»Und dann lässt man sie so unversorgt da sitzen?«, zischte Caden und schüttelte den Kopf. Er hielt einen Kollegen von der Spurensicherung am Arm fest. »Kann ich zu ihr?«, fragte er mit einer Kopfbewegung in Richtung der Zeugin.

»Wir sind mit ihr fertig, auch mit dem Wohnzimmer.« Der Mann nickte kurz und raschelte in seinem Schutzanzug an ihm vorbei.

Caden betrat den Raum und sah sich um. Eine Kitchenette an der einen Wand, gegenüber ein Sofa mit einem kleinen Tisch davor. An der Schmalseite des Zimmers stand ein Esstisch, liebevoll gedeckt für zwei Personen, mit jeweils einem Stuhl an der Seite. Auf einem davon saß die Verwandte des Opfers und blickte wie erstarrt auf eine leere Tasse vor sich. Caden hätte nicht sagen können, ob sie irgendetwas von dem Trubel um sich herum mitbekam.

»Sie hat es nicht vergessen«, sagte die junge Frau plötzlich mit erstickter Stimme.

Redete sie mit ihm? »Entschuldigung, ich verstehe nicht …«, setzte Caden an, aber sie sprach bereits weiter.

»Sie hat den Tisch gestern Abend schon gedeckt. Für uns.« Sie hob den Kopf und sah Caden das erste Mal direkt an.

Ihre Iriden waren von einem eigentümlichen Grün, sehr dunkel und so intensiv, wie Caden es nie zuvor gesehen hatte. Er ertappte sich dabei, einen Moment zu lange in ihre Augen zu sehen. Falls sie sein Starren bemerkt hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. Vermutlich nahmen ohnehin ganz andere Dinge ihr Denken gefangen. Doch schien es Caden, als käme die Frau allmählich wieder im Hier und Jetzt an. Prompt deutete sie ein Lächeln an, das jedoch kaum ihre Mundwinkel erreichte und deshalb umso trauriger wirkte.

»Amber«, sagte sie. »Amber O’Keefe. Sie gehören zur Polizei, richtig?«

Caden nickte. »Detective Caden Walsh vom Potinsview Police Department. Sind Sie in der Lage, mit mir über die Sache zu reden?«

»Ich weiß nicht.« Amber zuckte mit den Schultern, dann straffte sich ihre Haltung. »Ja, vermutlich schon. Was möchten Sie wissen?«

In den nächsten Minuten erzählte sie, wie sie ihre Cousine gefunden und den Notruf gewählt hatte, und bestätigte Caden gegenüber noch einmal, dass ihre Cousine keinerlei gesundheitliche Probleme gehabt hatte. »Sie war beneidenswert fit, ging regelmäßig Laufen, spielte Tennis und achtete zudem auf ihre Ernährung. Nur heute wollten wir sündigen.« Wieder glitt ihr Blick über den Frühstückstisch. »Fiona gehört nicht … ich meine, gehörte nicht zu den Frauen, die an einem Salatblatt herumknabbern, wenn sie essen gehen. Sie war sehr diszipliniert, aber wenn sie sich entschloss, sich etwas zu gönnen, konnte sie schlemmen. Wir hätten heute Croissants mit Butter gegessen, einen Berg Pancakes, Eier und dazu eine Flasche Sekt geköpft.« Sie stand auf und öffnete den Kühlschrank. »Sehen Sie?« Sie deutete auf eine Flasche. »Wir hätten etwas getrunken und uns den neuesten Klatsch erzählt und viel gelacht …« Ihre Stimme war immer leiser geworden und erstarb schließlich. Als sie Caden wieder ansah, schimmerten Tränen in ihren Augen. »Bitte finden Sie heraus, was geschehen ist. Warum musste Fiona sterben?«

Caden blickte in diese unfassbar grünen Augen und wusste, dass er diesen Fall aufklären würde. Ob es sich als natürlicher Todesfall entpuppte, am Ende doch ein Unglück oder ein Delikt vorlag, vermochte er in diesem Moment nicht einzuschätzen. Aber gleichgültig, was dabei herauskam: Er würde Amber Antworten liefern.

Sie nickte zufrieden, als habe sie seine Entschlossenheit gespürt und stand auf. »Ist es okay, wenn ich jetzt gehe? Ich habe ihrem Kollegen meine Daten gegeben, Sie können mich jederzeit erreichen. Ich muss meiner Familie schonend beibringen, dass …« Sie brach ab.

»Ich melde mich, sobald es Neuigkeiten gibt«, versprach Caden mit einem Nicken und wunderte sich im gleichen Moment über sich selbst. Sie war Zeugin, rief er sich in Erinnerung. Irgendwelche Ermittlungsergebnisse gingen diese Frau nichts an. Dennoch würde er sich bei ihr melden, das wusste er bereits jetzt.

Nicolas erlöste ihn aus der peinlichen Lage. Warum nur fühlte er sich wie ein pubertierender Schuljunge und hatte plötzlich Angst, nicht die richtigen Worte zu finden? Schließlich hatte er schon unzählige Male an Tatorten die Erstbefragung durchgeführt.

»Die sind drüben fast fertig, wir können rein«, informierte er Caden und reichte ihm einen Schutzanzug, den sie tragen mussten, solange der mutmaßliche Tatort noch nicht offiziell freigegeben worden war. Dankbar, der Situation zu entkommen, lächelte Caden Amber zum Abschied zu, dann drängelte er sich mit Nicolas durch die noch immer viel zu volle Wohnung zum Schlafzimmer durch.

Fiona Cleese war eine hübsche Frau gewesen, das erkannte man trotz der wächsernen Züge und blassen Haut sofort. Die Verwandtschaft mit Amber war unverkennbar. Die gleichen feingliedrigen Hände, ein schmales, ovales Gesicht, ein zarter Körperbau. Allerdings waren Ambers Haare von einem rötlichen Blond, während Fionas Kopf kräftige braune Locken zierten. Fiona lag in ihrem Pyjama auf dem Bett, als würde sie schlafen. Die Bekleidung verhinderte, dass die Totenflecken sichtbar waren. So war Amber zumindest dieser erschreckende Anblick erspart geblieben, dachte Caden erleichtert.

»Sie war zugedeckt, der Notarzt hat die Decke entfernt«, erklärte ihm Nicolas. »Ansonsten hat der Arzt das Mädchen so liegen lassen, wie er es vorfand, nachdem ihm klar war, dass er nichts mehr für sie tun konnte.«

»Äußerliche Zeichen einer Gewalteinwirkung?«, fragte Caden und trat näher, um den Hals auf Strangulationsmale in Augenschein zu nehmen. Er rieb sich über den Nacken, weil sich dort unwillkürlich eine Gänsehaut ausbreitete. Als sich das Gefühl von Ameisen unter der Haut dadurch eher noch verstärkte, verzog er das Gesicht. Was war nur los? Lag es an der Ähnlichkeit zwischen Fiona und Amber, dass sein Körper so heftig auf die Tote reagierte? Er hatte schon Leichen in weitaus schlimmerem Zustand gesehen, aber niemals hatte ihn ein Opfer so frösteln lassen.

»Nein, auch keine sichtbaren Verletzungen, kein Blut, nichts. Wir müssen warten, bis der Rechtsmediziner sie sich vorgenommen hat.«

»Verdammt, kannst du das nicht anders formulieren?« Aus irgendeinem Grund nervte Caden die Kaltschnäuzigkeit seines Kollegen heute besonders.

Nicolas grunzte etwas Unverständliches, machte dann jedoch mit der Tatortroutine weiter, ohne darauf einzugehen. »Bisher keine Hinweise auf Fremdverschulden. Keine Anzeichen für die Anwesenheit einer weiteren Person. Das Türschloss ist unbeschädigt, Fenster sind auch alle okay. Keine Unordnung, keine Auffälligkeiten. Außer einigen Kopfschmerztabletten wurden keine Medikamente vorgefunden, keine Drogen. Alkohol, nur eine Flasche Sekt im Kühlschrank.«

Die Erinnerung an Ambers traurige Augen, mit denen sie auf die Flasche geschaut hatte, versetzte Caden einen Stich.

»Wenn du mich fragst«, fuhr Nicolas fort, »ist sie einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Der Doc findet bestimmt einen Herzfehler oder so.« Er zuckte mit den Schultern. »Schätze, wir sind hier fertig.«

Caden nickte widerstrebend. Er ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, versuchte, jedes Detail zu erfassen, und wusste dennoch instinktiv, dass er nichts finden würde. Dabei hatte er das Gefühl, etwas finden zu müssen. Es war beileibe nicht der erste Tatort, den er untersuchte, aber diesmal war etwas anders. Etwas störte ihn, lag buchstäblich in der Luft, ohne dass er es greifen konnte. Ein letztes Mal sah er auf die Tote, dann drehte er sich um und folgte seinem Kollegen zum Auto. Jetzt hieß es abzuwarten, bis die Spurensicherung und die Rechtsmedizin Ergebnisse lieferten.

[home]

4. Amber

Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Amber auf die Couch in ihrem Wohnzimmer fallen. Der Tag war die Hölle gewesen. Erst der Schock über Fionas Tod, dann das Durcheinander um sie herum, angefangen von dem alarmierten Notarzt, über die Spurensicherung, bis hin zur Befragung durch die Polizei.

An diesem Punkt musste Amber trotz allem lächeln. Caden, der nette Detective, war der einzige Lichtblick des Tages gewesen. Der warme Glanz in seinen Augen, die einfühlsame Art, mit ihr umzugehen, und die Ruhe, die er inmitten dieser Masse aus scheinbar ziellos herumwerkelnden Menschen ausgestrahlt hatte. Als er den Raum verlassen hatte, um den Tatort zu untersuchen, hatte sie jäh eine beängstigende Leere überfallen. Sie hatte über ihre Gefühle innerlich den Kopf geschüttelt und wunderte sich auch jetzt noch. Er war doch einfach nur nett zu ihr gewesen, vermutlich weil man ihm irgendwann beigebracht hatte, zu traumatisierten Zeuginnen freundlich zu sein. Oder ging sein Verhalten über professionelle Freundlichkeit hinaus? Wenn sie sich nur ein wenig mehr auf sein Inneres konzentriert hätte, müsste sie jetzt nicht grübeln. Aber sie hatte sich vor Jahren geschworen, ihre Fähigkeiten nie wieder zu benutzen. Sie seufzte. Prinzipientreue konnte ziemlich hinderlich sein.

Den Bruchteil eines Augenblicks hatte sie den Impuls, zum Telefon zu greifen, um Fiona nach ihrer Einschätzung zu fragen. Bis ihr schmerzvoll einfiel, dass Fiona nie wieder mit ihr über heiße Typen reden würde. Ihre Cousine hätte auch Gefallen an Caden gefunden, sie hatten den gleichen Männergeschmack und waren sich nur deshalb nie in die Quere gekommen, weil Amber ohnehin kein Interesse an einer Beziehung hatte. Wahrscheinlich ärgerte sich Fiona gerade irgendwo maßlos, ausgerechnet an dem Tag zu sterben, an dem dieser unglaublich gutaussehende Mann in ihr Schlafzimmer gekommen war. Fiona konnte sich herrlich aufregen, sie hatte das Temperament eines Springteufels, man wusste nie so recht, wann es mit ihr durchging.

Gehabt. Sie hatte das Temperament eines Springteufels gehabt, fügte eine traurige Stimme in ihrem Hinterkopf hinzu, und Ambers Lächeln erlosch sofort. Ein trockenes Schluchzen wollte sich durch ihre Kehle zwängen. Sie kämpfte es nieder, Tränen waren schon genug geflossen.

Nachdem sie Fionas Wohnung verlassen durfte, hatte sie zunächst ihre Eltern informiert, dann war sie quer durch die Stadt zu Fionas Mutter, ihrer Tante Maggie, gefahren. Sie wollte nicht, dass sie die schlimme Neuigkeit von Fremden erfuhr. Doch als sie Fionas Elternhaus erreichte, stand bereits ein Polizeifahrzeug davor. Dennoch ging Amber hinein und verbrachte den Nachmittag bei ihrer Tante, hielt deren Hand, kochte Tee und saß die meiste Zeit hilflos und traurig auf dem Sofa neben Fionas Mutter, die irgendwann aufgehört hatte, zu weinen, und apathisch auf einen Punkt auf dem Fußboden starrte.

Später erschienen ihre Eltern, um Amber abzulösen. Keine Sekunde zu früh, denn sie fühlte sich ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte. Erst zu Hause fiel ihr auf, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, und so zwang sie sich aufzustehen, um sich wenigstens ein Sandwich zu machen.

 

Als sie mit dem Teller in der Hand auf ihre Couch zusteuerte, klingelte das Telefon. Der Gedanke war verlockend, es einfach läuten zu lassen. Sie wollte ihre Ruhe, irgendetwas Hirnloses im Fernsehen schauen, früh ins Bett gehen und hoffen, dass dieser Albtraum rasch überstanden wäre. Doch natürlich nahm sie das Gespräch an.

»Hallo, hier spricht Caden Walsh«, drang eine warme Stimme an ihr Ohr und ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. »Der Detective, mit dem Sie heute Morgen in der Wohnung Ihrer Cousine …«

»Ich weiß, wer Sie sind«, erwiderte Amber schnell. Zu schnell? »Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«

»Ich würde gerne mehr über Ihre Cousine erfahren«, sagte Caden. »Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht etwas über sie erzählen?«

»Ja, das kann ich gerne machen. Ich kenne Fiona … ich kannte Fiona gut.« Amber musste zweimal schlucken, um den Kloß in ihrem Hals hinunterzuwürgen. »Jetzt am Telefon oder soll ich zu Ihnen ins Büro kommen?«

»Ich habe mir gedacht, ich lade Sie zu einem Frühstück ein«, antwortete Caden und Amber glaubte, ein Lächeln in seiner Stimme zu hören. »Auf diese Art unterhält man sich ungezwungener.«

 

Am nächsten Tag erwartete Caden sie schon in dem Café, das er vorgeschlagen hatte. Laut seiner Aussage sollte es hier das beste Frühstück der Stadt geben. Und während Ambers Blick über das Buffet mit Pancakes, Eiern in verschiedenen Zubereitungsarten, frischen Früchten, Cerealien und anderen Köstlichkeiten wanderte, konnte sie sich vorstellen, dass das stimmte.

Wider Erwarten war sie hungrig und so füllten beide nach einer kurzen Begrüßung ihre Teller, ehe sie sich in einer ruhigen Ecke einander gegenüber niederließen.

Amber gab vor, sich auf ihr Rührei zu konzentrieren, doch musterte sie Detective Walsh verstohlen. Am Vortag hatte sie seine große Statur wahrgenommen und bemerkt, wie athletisch er wirkte. Heute nahm sie sich die Zeit, ihn genauer zu studieren. Er hatte dunkelbraune Haare und sonnengebräunte Haut, die zeigte, dass er kein Bürohengst war. Ob er – wie sie – ebenfalls Laufen ging? Vielleicht waren sie sich im Park sogar schon begegnet? Doch daran würde sie sich bestimmt erinnern. Ein Mann wie Caden fiel auf. Sie hätte ihn gewiss nicht übersehen. Sie hob den Blick, um ihm ins Gesicht zu sehen. Markante Züge, eine gerade Nase. Ihr Herz galoppierte los, als sich seine vollen Lippen zu einem Lächeln verzogen. Sie musste sich vor ihm in Acht nehmen, er war ein Typ, in den sie sich verlieben könnte. Aber das kam nicht in Frage.

Caden erwiderte ihren Blick fest. Es gefiel ihr, dass er nicht verlegen den Kopf senkte oder an ihr vorbei sah. Dass seine Augen in ihr ein lange nicht mehr gefühltes Kribbeln auslösten, gefiel ihr weniger. Das durfte nicht sein. Mit einem Mal fand sie es wichtig, sich sehr gewissenhaft mit einer Scheibe Ananas auf ihrem Teller zu beschäftigen. Sie hätte darauf wetten können, dass er sie beobachtete, jede ihrer Regungen studierte und richtig – als sie die Lider hob, ruhte sein Blick noch immer auf ihr.

»Miss O’Keefe«, begann er, »ich …«

»Amber, bitte. Und gerne auch ›Du‹.« So viel zu ihrem Vorsatz, Vorsicht walten zu lassen. Distanz ging anders.

»Mit Vergnügen.« Er lächelte sie warm an. »Caden. Aber das weißt du ja bereits. Amber, ich möchte dich nicht drängen, doch würde ich gerne einige Dinge über deine Cousine erfahren. Ist das für dich okay?«

»Natürlich.« Sie nickte. »Deshalb bin ich ja hier.« Sehr schön, mit diesem Satz hatte sie die Situation ohne Umstände definiert. Sie waren hier um Fionas Tod aufzuklären. Grübchen, die sie jetzt entdeckte, als sich seine Lippen leicht kräuselten, spielten keine Rolle.

»Ich danke dir für deine Hilfsbereitschaft.« Caden war die Sachlichkeit in Person. Nur das kurze Aufblitzen in seinen Augen verriet, dass auch er Gefahr lief, die professionelle Ebene zu verlassen. Dann war dieser Moment vorbei. Sie ließen sich Kaffee nachschenken und Caden begann mit seiner Befragung. Beruf, Hobbys, Freunde, aktuelle und gescheiterte Beziehungen, Ärger, Konflikte, Feinde.

Feinde? Konflikte? Irgendwo in ihrem Hinterkopf formte sich ein ungutes Gefühl. Eine Erinnerung an etwas, das sie in Fionas Schlafzimmer gespürt hatte. »Geht ihr von Fremdeinwirkung aus?«

»Reine Routine.« Caden lächelte sie beruhigend an. »Anfangs ermitteln wir immer in alle Richtungen.«

Amber nickte mit einer Mischung aus Erleichterung und Skepsis. Caden schien nicht bereit, mehr preiszugeben, sondern sah Amber auffordernd an. Er ließ sie reden, sortierte bisweilen, hakte manchmal nach, und Amber breitete binnen kürzester Zeit Fionas gesamtes Leben vor ihm aus. Je mehr sie sprach, desto bedrückter wurde sie. Es kam ihr falsch vor, ein komplettes Menschenleben auf dreißig Minuten zu reduzieren. Fiona war so viel mehr gewesen als die Summe ihrer Freunde, Hobbys oder beruflichen Erfolge. Und doch hatte sie nach einer halben Stunde alles Wesentliche erzählt. Beinahe ratlos sah sie Caden an.

»Du hast mir nur Fakten aufgezählt. Ich weiß, dass noch tausend andere Dinge wichtig waren und ihre Persönlichkeit ausgemacht haben«, sagte Caden mit ruhiger Stimme.

Amber erstarrte. Hatte sie ihre Gedanken ausgesprochen? Oder schlimmer noch, hatte sie es wieder getan? Hatte sie nach all den Jahren …? Aber sie hatte doch …

»Woher weißt du …?«, stammelte sie.

»Ich sehe dir den Kummer an. Und ich habe schon mit so vielen Hinterbliebenen gesprochen. Ich ahne, was dir gerade zu schaffen macht.« Caden nahm ihre Hand und drückte sie. Amber war erleichtert, dass es nicht ihre, sondern seine eigenen Gedanken gewesen waren, die ihn zu dieser Aussage veranlasst hatten. So erleichtert, dass sie ihre Finger nicht unter seinen wegzog, sondern das beruhigende Gefühl genoss, das sein verlässlicher Griff auslöste. Nebenbei registrierte sie, dass er keinen Ring trug.

So saßen sie einen Moment still beieinander und Amber begann, darüber nachzudenken, ob sie wirklich wollte, was sich hier anbahnte. In diesem Augenblick kam die Kellnerin und brach den Bann. Caden nahm noch einen Kaffee, beide bedienten sich ein weiteres Mal am üppigen Buffet und plauderten während des Essens wie alte Freunde. Über Sport – Caden war tatsächlich Läufer und betrieb darüber hinaus einige Kampfsportarten – über Filme, Serien, Musik und Bücher. Erst als das Personal begann, das Buffet abzuräumen, bemerkte Amber, dass der Vormittag fast vorüber war. Wann hatte sie sich das letzte Mal so gut mit einem Mann unterhalten? So entspannt und gleichzeitig innerlich wie elektrisiert? Ihr fiel kein vergleichbarer Moment ein. Seine einfühlsame, zugewandte Art machte es leicht, mit Caden zu reden. Wie sie es auch drehte und wendete: Er hatte es geschafft, sie vergessen zu lassen, aus welch traurigem Anlass sie sich getroffen hatten. Amber hatte etwas getan, das sie heute Morgen noch völlig ausgeschlossen hätte: Sie hatte gelacht. Und als Caden mit eingestimmt hatte, musste Amber einsehen, dass sie auch seine herzliche Art zu lachen mochte. Manche Menschen lachten verkrampft, beinahe verschämt, als sei es etwas Schlechtes, Spaß zu haben. Caden dagegen wirkte, als wolle er die Welt umarmen. Seine Augen blitzten und der Hauch von Schwermut, den sie zwischendurch an ihm bemerkt hatte, verschwand.

Sie lächelten einander noch immer an, als sie sich wenig später vor dem Café verabschiedeten.

Caden reichte ihr eine Visitenkarte. »Falls dir noch etwas Wichtiges einfällt«, sagte er und stockte, bevor er leiser hinzufügte: »Auf der Rückseite stehen meine privaten Nummern. Falls … also … wenn es dringend …«

»Schon gut«, unterbrach ihn Amber und schob in einem sie selbst überraschenden Anflug von Wagemut nach: »Ich würde dich auch gerne wiedersehen.«

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5. Caden

Als Caden zwei Tage später mit einem Karton Donuts in der Hand das Büro betrat, saß Nicolas wie gewohnt schon an seinem Platz. Mit einem Blick auf die Schachtel erhob er sich und verließ den Raum. Er würde gleich mit zwei Tassen Kaffee wieder erscheinen, in dieser Hinsicht waren die beiden nach den wenigen Monaten bereits ein eingespieltes Team. Caden fuhr seinen Rechner hoch und warf einen Blick auf die Notizzettel, die seit dem vergangenen Nachmittag den Weg auf seinen Schreibtisch gefunden hatten. Zuoberst fand er die Mitteilung ›Doktor Robertson bittet um Rückruf‹.

Caden sah auf die Uhr, der Gerichtsmediziner war vermutlich an seinem Arbeitsplatz. Also griff er nach dem Telefon und war froh, als Michael Robertson nach dem ersten Läuten das Gespräch annahm.

»Hallo, Michael«, grüßte er »Caden hier. Du hattest um meinen Anruf gebeten.«

»Hatte ich«, bestätigte dieser. »Du wolltest doch, dass ich dir sofort Bescheid gebe, sobald ich mit Fiona Cleese fertig bin.«

»Und?« Caden lauschte gespannt in den Hörer.

»Nichts. Ich habe keinerlei Auffälligkeiten feststellen können. Blutwerte normal. Mageninhalt unauffällig, kein Anzeichen für Drogen oder Medikamentenabusus. BAK null und körperlich in einer Verfassung, dass sie eigentlich hundert Jahre alt hätte werden können.«

»Nur, dass sie nicht hundert Jahre alt geworden ist, sondern tot auf deinem Tisch liegt.«

»Das ist tatsächlich ein Rätsel. Ich fürchte nur, es ist eins, dass wir nicht aufklären werden. Ich habe mit dem Hausarzt telefoniert, Fiona Cleese hatte keine Krankenvorgeschichte, die den plötzlichen Herzstillstand erklären könnte. Nichtsdestotrotz sind alle im Team zu demselben Schluss gekommen: Fiona Cleese starb an Herzversagen.«

»Aber ihr könnt nicht sagen, was den Herzstillstand auslöste?«

»Nein, das können wir in der Tat nicht.« Michael Robertson klang so unzufrieden, wie Caden sich fühlte. »Manchmal sind es winzige unentdeckte Anomalien. Solche Dinge werden häufig vererbt, doch darüber findet sich nichts in der Krankenakte. Ich werde trotzdem ›natürliche Todesursache‹ in den Bericht schreiben und den Fall abschließen. Hier warten auch noch andere Leichen auf mich.«

Caden seufzte. Er wusste, dass die Gerichtsmedizin wegen ihrer Zuständigkeit für das gesamte County chronisch unterbesetzt war, trotz der deutlich geringeren Kriminalitätsrate im Vergleich mit Städten wie etwa Philadelphia. Aber er konnte aus Rücksicht darauf dennoch kein mögliches Tötungsdelikt unter den Tisch fallen lassen. Er dachte daran, wie sich seine Nackenhaare am Tatort aufgestellt hatten. »Michael, bitte warte mir zuliebe noch etwas mit dem Bericht. Gibt es vielleicht einen Ansatz, den du noch nicht ausgeschöpft hast?«

»Ich könnte noch auf seltene Gifte testen lassen«, antwortete der Rechtsmediziner, »aber ich halte das nicht für erfolgversprechend. Glaub mir, trotz der Menge an Fällen kreuze ich nicht leichtfertig ›natürliche Todesursache‹ an. Wenn ich eine Chance sähe, das Rätsel um den plötzlichen Herzstillstand zu lösen, hätte ich alle notwendigen Untersuchungen schon längst in Auftrag gegeben.«

»Mach’s bitte trotzdem.«

»Das wird einige Tage dauern«, antwortete Michael Robertson und sein Tonfall signalisierte sein Nachgeben.

»Danke, du hast was gut bei mir«, sagte Caden und verabschiedete sich. Gedankenverloren starrte er aus dem Fenster, als Nicolas das Büro betrat.

»So grüblerisch? Habe ich etwas verpasst?«, wunderte sich sein Kollege.

Caden fasste das Telefonat mit Doktor Robertson für ihn zusammen, allerdings ließ er aus, wie sehr er den Gerichtsmediziner wegen weiterer Untersuchungen hatte bedrängen müssen. Er konnte selbst nicht sagen, warum es ihm so wichtig war, endgültige Klarheit zu erlangen. Natürlich – er hatte es Amber versprochen. Doch für die wäre das Ergebnis natürlicher Tod vermutlich sogar die tröstlichste Auskunft gewesen. Aber da war mehr. Irgendetwas war faul an der Sache, das sagte ihm sein Bauchgefühl.

 

Den Vormittag über lenkte ihn Routinearbeit ab, er ertappte sich jedoch dabei, wie seine Gedanken immer wieder zum Fall der toten Fiona Cleese abschweiften. Auch Ambers Bild stieg mehr als einmal vor seinem geistigen Auge auf und am Nachmittag gestand er sich schließlich ein, dass er bei ihr anrufen musste. Er wollte sie wiedersehen. Und er musste mit ihr erneut über Fiona sprechen. Sein Bauchgefühl würde ihn ohnehin quälen, bis er Antworten gefunden hatte. Er suchte aus der Akte Ambers Nummer und speicherte sie in seinem Mobiltelefon ab, da er die Ahnung – oder Hoffnung? – hatte, sie zukünftig häufiger zu benötigen.

»Hallo Caden«, meldete sie sich und Caden schmunzelte. Sie hatte also seine private Mobilnummer bereits in ihren Kontakten.

»Ich würde gerne noch einmal mit dir über deine Cousine reden«, kam er nach einer Begrüßung auf sein Anliegen zu sprechen und hörte sie tief durchatmen. »Wenn es dich nicht zu sehr belastet«, schob er rasch hinterher.

»Nein, kein Problem«, erwiderte sie, »ich hatte nur gehofft, du würdest anrufen, um mir Ergebnisse mitzuteilen. Vielleicht erwarte ich zu viel in der kurzen Zeit, aber die Ungewissheit ist kaum zu ertragen.«

»Ich weiß, es tut mir leid«, entgegnete Caden und fragte sich im Stillen, ob es für Amber und ihre Familie nicht wirklich besser wäre, wenn Doktor Robertson es bei der natürlichen Todesursache beließe und keine weiteren Untersuchungen vornähme. Doch es war zu spät. Die Tests waren in Auftrag gegeben, und er wusste, dass ihm die offenen Fragen ohnehin keine Ruhe lassen würden. So groß sein Mitgefühl für Amber in diesem Augenblick auch war.

»Was möchtest du denn noch über Fiona wissen?«, erkundigte sich Amber.

»Gibt es in deiner Familie Erkrankungen, von denen Fiona vielleicht nichts wusste, und die somit auch nicht in ihren Unterlagen bei ihrem Hausarzt erwähnt werden?«

Amber schwieg einen Moment. »Mir fällt nichts ein. Geht es um eine konkrete Erkrankung?«

»Nun«, begann Caden gedehnt und überlegte, wie viel er Amber verraten konnte. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass Fionas Herz für ihren Tod mit verantwortlich sein könnte. Nur findet sich kein Hinweis auf eine entsprechende Vorerkrankung in ihrer Akte.«

»Fionas Herz soll das Problem gewesen sein? Das kann ich mir kaum vorstellen. Fiona war fit und hat nie etwas in diese Richtung erwähnt.«

»Ein solches Problem kann unentdeckt geblieben sein. Einige Herzfehler sind vererblich, deshalb frage ich.«

»Ich weiß darüber nichts. Falls überhaupt jemand dazu etwas sagen kann, ist es wohl meine Großmutter. Carmody O’Connell. Vielleicht solltest du mit ihr reden.«

*

Amber hatte sie bei ihrer Großmutter angemeldet. Die alte Dame erwartete sie bereits in der Haustür, als Caden und Amber am folgenden Tag aus dem Auto stiegen und auf das Haus zugingen. Caden hatte seine eigenen Großeltern nie kennengelernt, aber wenn er sich seine Großmutter als Kind vorgestellt hatte, dann sah sie aus wie Carmody O’Connell. Ihre schlohweißen Haare waren zu einem Dutt gesteckt, doch einige vorwitzige Locken, die sie auch an Fiona und Amber vererbt hatte, entzogen sich der strengen Frisur und kringelten sich um ein freundliches Gesicht. Ein paar Fältchen mündeten in den Augenwinkeln, aber die Augen selbst waren wach und energiegeladen. Die alte Frau schloss Amber in ihre Arme.

»Mein Mädchen«, sagte sie mit einer hellen, melodischen Stimme. »Es tut so gut, dich zu sehen.«

»Aber Granny«, wehrte Amber lächelnd ab, »wir haben uns doch erst gestern getroffen.«

»Das war bei Maggie, das war etwas ganz anderes.« Ein Schatten legte sich auf das Gesicht von Carmody O’Connell, als sie an Fionas Mutter dachte. Auch Amber schien ihn zu bemerken, denn sie beeilte sich, die Aufmerksamkeit auf Caden zu lenken.

»Granny, darf ich dir Caden Walsh vorstellen? Ich habe dir am Telefon ja schon gesagt: Er ist Detective und hat noch einige Fragen zu Fiona.«

»Es freut mich, Sie kennenzulernen Detective Walsh.« Carmody O’Connell ergriff Cadens Hand, um sie zu schütteln, zuckte jedoch bei der ersten Berührung wie von einem Stromschlag getroffen zurück. Das freundliche Lächeln erlosch. »Das gibt es doch wohl nicht«, murmelte sie und zog die Augenbrauen zusammen, unter denen hervor sie Caden mit finsterem Blick durchbohrte.

»Ma’am?« Die harsche Reaktion ließ Caden beinahe taumeln. Er musste sich zusammenreißen, um vor dieser alten Frau, die zwei Köpfe kleiner war als er, nicht zurückzuweichen. Jede Herzlichkeit war aus ihrer Miene gewichen, mit Eiseskälte musterte sie den Ankömmling und ihre gesamte Körpersprache machte deutlich, wie ungern sie ihm erlaubte, ihr Haus zu betreten.

Auch Ambers Ausdruck hatte sich verändert. Bestürzt sah sie zu Caden und dann ihrer Großmutter hinterher, die wortlos ins Haus gegangen war. »Kennt ihr euch?«, raunte sie ihm zu.

»Nicht dass ich wüsste«. Caden rieb sich über den Nacken. »Vielleicht verwechselt sie mich?«

Amber lächelte ihm aufmunternd zu und folgte ihrer Großmutter. Ihre rotblonden Locken leuchteten kurz im Sonnenlicht auf, dann verschluckte sie der dunkle Hausflur.

Unschlüssig verharrte Caden auf der Schwelle. Ambers Großmutter hatte ihn nicht gerade mit offenen Armen willkommen geheißen. Er wollte es sich nicht von Anfang an mit der resoluten Dame verscherzen, hielt Amber doch offensichtlich große Stücke auf ihre Großmutter. Aber er war nicht in privater Mission hier, sondern hatte seine Arbeit zu machen. Also straffte er sich und betrat das Haus. Unsicher schritt er durch den Flur und folgte Amber ins Wohnzimmer. Abrupt blieb er stehen. Was sollte das? Was hatte das Verhalten der alten Frau zu bedeuten? Er prallte gegen eine Wand der Ablehnung, die so stark war, dass er sie körperlich spürte.

Carmody O’Connell hatte sich bei seinem Eintreten umgewandt und sah ihm direkt ins Gesicht. Nein, sie sah ihn nicht bloß an, sie studierte ihn. Und was immer sie in ihm erkannte, erregte ganz offensichtlich ihr Missfallen. Sofern das überhaupt möglich war, verfinsterte sich ihre Miene noch etwas mehr.

»Das nächste Mal wird es nicht so leicht sein.« Ihre Augen wirkten beinahe schwarz, doch glomm ein Feuer in ihnen, das Caden Angst einjagte. Was hatte diese Frau an sich, das ihn innerlich erbeben ließ?

Auch Amber verzog unbehaglich das Gesicht und rieb sich über ihre Oberarme. Dennoch versuchte sie, die Anspannung zu überspielen. »Granny«, begann sie betont munter, »vielleicht kann Caden dir jetzt seine Fragen über Fiona stellen?«

»Ich denke nicht.« Die Antwort der Großmutter hatte etwas Endgültiges.

»Aber Granny, es hilft womöglich aufzuklären, was mit Fiona …«

»Ich sagte ›nein‹«, schnitt Carmody O’Connell ihrer Enkelin brüsk das Wort ab, und drehte sich demonstrativ zum Fenster um.

»Vielleicht sollten wir ein anderes Mal wiederkommen«, schlug Amber leise vor und lächelte Caden entschuldigend an.

»Ich finde, ihr solltet gar nicht wiederkommen.« Ambers Großmutter wandte sich wieder um und blickte Caden fest an. »Haben Sie mich verstanden, junger Mann? Das nächste Mal wird es nicht so einfach werden. Ich werde vorbereitet sein. Halten Sie sich von mir und meiner Familie fern. Und nun gehen Sie!«

Caden hatte in seinen Jahren als Polizist ausreichend Erfahrung mit Menschen gesammelt, um zu wissen, wann eine Diskussion zwecklos war. Er nickte stumm, wandte sich um und verließ das Haus.

Als er auf dem Bürgersteig stand, bemerkte er, dass Amber ihm gefolgt war.

»Was um alles in der Welt war das eben?« Sie sah Caden ratlos an.

»Ich dachte, das sagst du mir. Sie ist schließlich deine Großmutter.« Caden bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln, damit Amber sich das Verhalten ihrer Großmutter nicht so zu Herzen nahm.

In ihm sah es weniger ruhig aus. Das Treffen mit Carmody O’Connell hatte ihn aufgewühlt. Ein eigentümliches Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen, eine Energie, die unangenehme Erinnerungen in ihm wachrief. Die alte Frau schien einen Teil in ihm anzusprechen, den er verdrängt geglaubt hatte. Nun musste er einsehen, dass eine einzige Begegnung in der Lage war, all seine sorgsam errichteten Mauern einzureißen. Er wusste nicht, wie es der alten Frau gelungen war, er wusste aber, welch gefährliche Konsequenzen das haben konnte. Deshalb war er mehr als bereit, Carmody O’Connell zukünftig aus dem Weg zu gehen. Aber konnte er sich von ihrer Enkelin ebenfalls fernhalten? Er bezweifelte es, als er in ihr Gesicht blickte. Er bemerkte Ambers bedrückte Miene und legte spontan einen Arm um ihre Schultern. Sie lächelte und rückte näher an ihn heran, und sein Herz schlug ein paar Takte schneller.

So standen sie einen Moment beieinander, Ambers Locken an seiner Brust, seine Hand auf ihrem Rücken. Er hatte bei ihrem letzten Treffen bereits gemerkt, dass sie mit sich kämpfte, hatte gesehen, wie ihre Augen leuchteten, wenn sie ihn anlächelte, aber ihm war ihre Selbstkontrolle nicht entgangen. Etwas in ihr sperrte sich. Gegen ihn oder gegen ihre Gefühle? Caden vermochte es nicht zu entscheiden, er hoffte bloß, dass die Reaktion der Großmutter sie nicht auseinandertrieb. Doch danach sah es glücklicherweise nicht aus. Nach der Kälte der letzten Minuten genoss er nun die Wärme ihres Körpers. Ein Glücksgefühl breitete sich zaghaft hinter seinem Brustbein aus. Bis Amber in seinem Arm erstarrte. Gleichzeitig spürte er es auch. Sein Nacken brannte, als loderten Flammen auf seiner Haut.

Wie auf Kommando ruckten beide herum und starrten auf Carmody O’Connells Haus. Caden machte sich auf den Anblick giftgetränkter Augen gefasst, aber das Grundstück lag friedlich vor ihnen. In den Blumenbeeten neben dem Zuweg tummelten sich einige Insekten und bildeten die einzig bewegten Punkte in einer ansonsten reglosen Umgebung. Das Haus war so unauffällig, wie es nur die gleichförmigen Häuser in unscheinbaren Vorortsiedlungen sein können. Dennoch lief ein kalter Schauer über Cadens Rücken. Er musste gegen die helle Hauswand blinzeln. Die Fensterscheiben reflektierten das Sonnenlicht. Und dann war das Brennen im Nacken plötzlich verschwunden und mit ihm das Gefühl, beobachtet zu werden.

»Lass uns zum Auto gehen.« Ambers Stimme verriet Anspannung. Auch sie spürte es offenbar.

Caden nickte.

»Ich verstehe nicht, was mit Granny los ist«, murmelte Amber beim Einsteigen. »So habe ich sie noch nie erlebt. Fionas Tod muss ihr schwerer zusetzen, als sie sich anmerken lässt.«

Auf dem Weg in die Stadt schwiegen beide. Die Ereignisse in Carmody O’Connells Haus ließen Caden nicht los. Eine eigentümliche Kraft war von der alten Frau ausgegangen. Nichts, was man mit einem lapidaren Hinweis auf eine starke Persönlichkeit erklären konnte. Etwas Mächtigeres war dort kurz aufgeblitzt. Die alten Erinnerungen, die das in ihm geweckt hatte, versuchte er seit Jahren zu verdrängen. Wie schlecht ihm das gelungen war, hatte ihm ein einziges Treffen mit Ambers Großmutter vor Augen geführt. Er krampfte die Finger um das Lenkrad, um sich nicht über den Hintern zu reiben.

Auch Amber schien mit ihren Gedanken weit fort zu sein. Es war keine angenehme Stille, die über ihnen lag.

Vor Ambers Haus steuerte Caden den Wagen in eine Parklücke und sah sie fragend an.

Sie lächelte traurig zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Im Moment … ich weiß nicht … es ist alles so …« Sie biss sich auf die Lippe. »Ruf mich an, wenn sich etwas Neues wegen Fiona ergibt, ja?«

Caden nickte und blickte Amber hinterher, die ins Haus eilte, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie trug einen Kampf mit sich aus, den er spürte, aber nicht verstand. Der Wunsch, für sie da zu sein, wurde für einen Moment übermächtig, aber er rang ihn nieder. Er musste ihr die Zeit geben, die sie offensichtlich brauchte.

*

Einige Tage vergingen und andere Fälle forderten Cadens Aufmerksamkeit. Er stürzte sich in die Arbeit und es gelang ihm tatsächlich, die Eindrücke aus Carmody O’Connells Haus in den Hintergrund zu drängen. Nur die nächtlichen Albträume waren wieder da und zeigten ihm, dass sich das Unterbewusstsein nicht belügen lässt. Was er im Haus von Ambers Großmutter gespürt hatte, kannte er. Etwas Ursprüngliches. Etwas Mächtiges. Etwas, wie das Böse aus seiner Kindheit. Ein Schauer lief seinen Rücken hinunter und er beeilte sich, die nächste Akte vom Stapel zu ziehen, und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Nicolas’ Räuspern riss ihn irgendwann aus der Lektüre einer Zeugenbefragung und Caden hob den Kopf.

»Ich gehe jetzt.« Sein Kollege wies zur Tür. »Machst du auch Schluss für heute?«

»Ich lese die Akte eben noch zu Ende. Bis morgen dann.«

Wie schon in den vergangenen Tagen, verschluckte Nicolas die Frage, die ihm sichtlich auf der Zunge lag. Caden nickte ihm schweigend zu. Er hätte ihm ohnehin keine plausible Antwort liefern können. Wie sollte er erklären, dass er seit Tagen abends arbeitete, bis er vor Müdigkeit keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und dann noch bis zur Erschöpfung durch den Park joggte? Es half allerdings wenig. Ein traumloser Schlaf war ihm nicht vergönnt.

 

Am folgenden Morgen schüttete Caden den ersten Kaffee wortlos in sich hinein, während er auf das Hochfahren des Rechners wartete. Er hatte kaum besser geschlafen als die Nächte zuvor, aber wenigstens war Amber kurz in einem seiner Träume aufgetaucht. Eine angenehme Abwechslung zu den dunklen Bildern, die ihn für gewöhnlich nachts heimsuchten.