Lumpis Weg - Frank Lehmkuhl - E-Book

Lumpis Weg E-Book

Frank Lehmkuhl

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Beschreibung

Die charmante Story über den einmaligen Werdegang des Fortuna-Urgesteins Andreas "Lumpi" Lambertz Andreas Lambertz, den alle liebevoll "Lumpi" nennen, verkörpert Fortuna Düsseldorf wie kein anderer. Als einziger Fußballer Deutschlands gelang ihm mit einem Verein der Durchmarsch von der vierthöchsten Spielklasse bis in die Bundesliga. Und er ist der einzige, der in all diesen Spielklassen für nur einen Klub jeweils mindestens ein Tor geschossen hat. Er gibt der Fortuna und ihrem unglaublichen Werdegang ein Gesicht. Seine kämpferische Spielweise und seine Vereinstreue machen ihn zum absoluten Publikumsliebling, er wurde zum "Düsseldorfer des Jahres" gewählt und ist selbstverständlich Mitglied der Jahrhundert-Elf von F95. Autor Frank Lehmkuhl hat mit vielen Weggefährten von Andreas Lambertz gesprochen, mit Trainern, Gegenspielern, Managern, journalistischen Begleitern, Legenden anderer Vereine und natürlich mit "Lumpi" selbst. Alle Gespräche und Szenen ergeben ein buntes Karriere-Mosaik und eine der verrücktesten Storys, die das an Sensationen nicht gerade arme Geschäft Profifußball zu bieten hat. Eine Geschichte, die erzählt werden muss.

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Frank Lehmkuhl

LUMPIS WEG

Die einzigartige Geschichte des Düsseldorfer Fußballers Andreas Lambertz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

1. Auflage

© Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-7688-3906-8 (Print)

ISBN 978-3-7688-8279-8 (E-Book)

ISBN 978-3-7688-8459-4 (E-Pub)

 

Autor: Frank Lehmkuhl, Redakteur des Magazins FOCUSLektorat: Niko Schmidt

Fotos auf dem Schutzumschlag: imago/Moritz Müller (Titel), Anke Hesseund Jan Ovelgönne (Rückseite)

Bilder Innenteil: Alle Anke Hesse und Jan Ovelgönne außer Bild Nummer 1(Heinfred Tippel), Bild Nummer 19 (AP Photo/Matthias Schrader) und BilderNummer 22 und 23, S. 175 und 201 (Privatarchiv Andreas Lambertz).

Umschlaggestaltung: Jörg Weusthoff

Schutzumschlaggestaltung: Jörg Weusthoff /Weusthoff Noel, Hamburg

Satz: Axel Gerber

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft fürVerlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnisdes Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Inhalt

Vorwort

   1 Ein Tor für die Unsterblichkeit

   2 Orks? Nein, Orken. Wie am Niederrhein alles beginnt

   3 Aschenplätze, Windmacher und ein Trainer mit Ahnung

   4 Über Irrwege zur großen Liebe

   5 Et hätt gerade noch mal jot jejange: die Anfänge bei der Fortuna

   6 Der Mythos lebt doch noch

   7 Jahre der großen Gefühle

   8 Die Zeit der Konsolidierung

   9 Unter großem Getöse zurück zu den Großen

10 Eine Jahrhundertsaison mit einem Skandal

11 Einmal Bundesliga und zurück

12 Der Letzte seiner Art

Danksagung

Quellennachweis

Für meine Familie,die es nicht immer leicht mit mir hat.

Vorwort

Ich bin ein Masochist. Wir alle, die wir die rot-weißen Farben im Herzen tragen, sind Masochisten. Das ist die Erklärung. Das muss sie sein. Wie sonst hätten wir all den Wahnsinn wegstecken können, der uns in den vergangenen 30 Jahren widerfahren ist?

Speziell für dieses Vorwort habe ich die Definition noch einmal nachlesend verinnerlicht: Ein Masochist liebt das Leiden und die Demütigung, er liebt das alles so, wie wir Rot-Weißen es tun. Es scheint ein Lustgewinn darin zu liegen, geschlagen, besiegt, verhöhnt zu werden. Und es kann kein Zufall sein, dass der Mann, nach dem diese Schmerz-Sehnsucht benannt wurde (es war der österreichische Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch, der in einigen Romanen Szenarien der Unterwerfung ausbreitete), im Jahre 1895 starb. 1895! In exakt diesem Jahr wurde Fortuna Düsseldorf gegründet.

Seit meiner Kindheit bin ich Anhänger dieses Fußballklubs. Das Virus infizierte mich, als der Vater meines besten Kumpels mit seinem altersschwachen Benz ins betagte Rheinstadion direkt am namensgebenden Fluss fuhr und uns zwei Zwerge erstmals in die Fankurve mitnahm. Dort erfasste mich der Glaube, die Fortuna würde bis in alle Ewigkeit mit außergewöhnlichen Fußballern wie Klaus Allofs, Ralf Dusend, Manfred Bockenfeld, Rudi Bommer oder Rüdiger Wenzel auflaufen und hätte somit einen Spitzenplatz in der Bundesliga quasi im Abo gebucht. Als mir dann auch noch Gerd Zewe, damals Libero des noch frischen zweimaligen DFB-Pokalsiegers, beim Gang in die Kabine kurz meine F95-Fahne aus der Hand nahm und mit selbstbewusstem Grinsen wiedergab, schien das die Bestätigung meiner Wahl, schien mir und diesem Klub unausweichlich eine segensreiche Zukunft sicher. Ich war zwölf Jahre alt und saß der irrigen Annahme auf, es könne nichts schiefgehen in meinem Leben als Fußballfan. Drei Jahrzehnte später bleibt zu konstatieren: Es ging viel schief. Verdammt viel.

Im Jahre 1987 stieg die Fortuna zum zweiten Mal in ihrer Geschichte in die zweite Liga ab. In der Folge trieben hoffnungslos überforderte Vereinsführungen den Klub beinahe in den Exitus, schlenderten Söldner lustlos und ohne eine Spur des Bedauerns über den Rasen, versanken Teams und Funktionäre in medial ausgetragenen Streitereien. Und wenn mir der Gedanke durch den Kopf schwirrte, es könne nicht mehr schlimmer werden, kam es knüppeldick.

Schließlich rauschte die Fortuna 1997 erneut in die zweite Liga ab und nahm diesmal gleich den Fahrstuhl nach ganz unten. Erst dritte Liga. Dann die vierte. Oberliga: zu Gast auf den Dörfern Nordrhein-Westfalens. Fußballspiele gegen Freialdenhoven, Düren, Osterfeld – in Orten, die meine durch Sportbesuche gezeichnete Landkarte bis dato gar nicht kannte. Ich lernte, Lust an der tristen neuen Realität zu empfinden, konnte mich zumindest daran ergötzen, stets den Vorwurf kontern zu können, als Erfolgsfan nur abgehobenen Titelsammlern zuzujubeln. Auch eine solche Abgrenzung kann Lust und Spaß bereiten im Leben eines Fußball-Masochisten.

Irgendwann – an einem Tiefpunkt auf unserer Tour durchs fußballerische Niemandsland – lief und grätschte dann vor mir auf dem Rasen dieser Kämpfer. Kurze, dünne Beine. Lange Arme. Große Füße. Ausgestattet mit einer Pferdelunge. Andreas Lambertz geht keinem Zweikampf aus dem Weg. Manchmal springt ihm der Ball weit vom Fuß, so weit, dass man glaubt, man säße an einem Flipperautomaten und würde der silbernen Eisenkugel beim chaotischen Hin und Her unter Glas zuschauen. Dann heißt es: weiterkämpfen, weiterflippern, das Ding irgendwie im Spiel halten. Lambertz trauert einem verlorenen Ball nicht lange nach – er holt ihn sich oft genug einfach zurück.

Als dieser Andreas Lambertz, den alle liebevoll »Lumpi« nennen, sein erstes Bundesliga-Tor im März 2013 just in München bei den großen Bayern geschossen hatte, reifte der Entschluss, seine Geschichte und die der Fortuna der vergangenen elf Jahre niederzuschreiben. Denn Lumpi, von den Fans in die Jahrhundert-Elf des Vereins gewählt und von einer Boulevardzeitung zum »Kaiser von Düsseldorf« ausgerufen, verkörpert Fortuna Düsseldorf. Er gibt dem Verein und seiner unglaublichen Genese ein Gesicht. Lumpis Weg ist ein spezifisch Düsseldorfer Weg, er wäre wahrscheinlich bei keinem anderen Klub möglich, schon allein deshalb, weil kaum ein Klub in wenigen Jahren katapultartig von der vierten in die erste Liga hochschießt und ein unermüdliches Urgestein einfach mitfliegen lässt.

Viel wichtiger aber für die Fans: Dieser Lambertz mit den beim Laufen manchmal wie ein startender Albatross rudernden Armen kann hundert Mal auf dem Rasen liegen und steht dann beim nächsten Mal einfach wieder auf. Andreas »Lumpi« Lambertz ist so, wie meine Fortuna immer war. Sie bekommt einen Schlag auf die Nase, verliert 1:6 gegen Paderborn oder 0:3 gegen Aue, schüttelt sich und versucht es erneut. Lumpi und sein Verein geben bestes Anschauungsmaterial für jeden Nachwuchsboxer ab.

Andreas Lambertz hat mit seinem unbändigen Willen, allen Widerständen zu trotzen, Großes geschafft. Er ist nicht nur der einzige Fußballer in Deutschland, der mit nur einem Verein aus der Oberliga in die Bundesliga marschierte. Er ist auch der einzige Fußballer in Deutschland, der es hinbekommen hat, in all diesen Spielklassen jeweils mindestens ein Tor zu schießen.

Mit sehr vielen seiner Weggefährten habe ich in den vergangenen Monaten über seine Laufbahn gesprochen, mit Trainern, Mitspielern, Gegenspielern, Managern, journalistischen Begleitern und Legenden anderer Vereine. Ich habe natürlich auch mit Andreas Lambertz lange geredet, habe ihn unzählige Male beobachtet, sein Auftreten auf und neben dem Platz begleitet, habe Äußerungen und Einschätzungen nach großen und weniger großen Spielen von ihm niedergeschrieben. Alle Gespräche und Szenen zusammen ergeben ein buntes Karriere-Mosaik – und eine der verrücktesten Storys, die das an Sensationen ohnehin nicht arme Geschäft Profifußball zu bieten hat. Sie ergeben eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.

1Ein Tor für die Unsterblichkeit

EINWURF

»Während ich aus der zweiten Mannschaft den Sprung zu den Profis beim FC St. Pauli geschafft habe, kam Lumpi aus der Jugend in die Oberligamannschaft von Fortuna Düsseldorf und hat wie ich dann den Sprung zu den Profis und letztlich in die Bundesliga vollzogen. Das nötigt großen Respekt ab, denn in jeder neuen Liga stößt man an seine Grenzen, und es ist umso schöner zu sehen, wenn man immer wieder mithalten kann. Unsere Karrieren sind sicherlich etwas für Sozialromantiker. Das steht außer Frage.«

Fabian Boll, Mittelfeld-Legende des FC. St. Pauli, bestritt rund 300 Spiele für die Kiezkicker. Zum Ende der Saison 2013/2014 beendete er seine aktive Karriere. Boll arbeitet als Kriminaloberkommissar für die Hamburger Polizei

Am Tag, an dem Andreas Lambertz Fußball-Geschichte schreibt, duckt sich Deutschland unter einer dichten Wolkendecke. Die trübe Suppe liegt schwer über Heerscharen von Fortuna-Düsseldorf-Fans, die sich zu einer Reise in den Süden aufgemacht haben. Es ist der 9. März 2013.

Die Rot-Weißen drehen auf den Autobahnen 8 und 9 in ihren Bussen die Boxen mit ihren Fanliedern auf volle Pulle, denn an diesem Tag kommt es extrem darauf an, bei Laune zu bleiben. Lautstärke und Leidenschaft sollen Panikschübe schon im Keim ersticken. Schließlich muss die Fortuna beim großen FC Bayern antreten. Genauso gut könnte man zu seiner eigenen Hinrichtung aufbrechen.

Bis zu 10 000 Düsseldorfer fahren in einer endlosen Wagen-Karawane gen München, die genaue Zahl der Globetrotter lässt sich nur schätzen. Einer von ihnen ist Mathias Brühl, er ist Mitglied der Düsseldorfer Ultras (UD) und war schon in den 1990er-Jahren ein durch keinen peinlichen Team-Auftritt zu erschütternder Fortune. Brühl und seine Kumpels tuckern mit einem VW-Bus Richtung Rekordmeister, dicht gedrängt in drei Reihen sitzend.

Das Bierchen schmeckt, die Lautsprecher wummern, die Sprüche sitzen. »Wir gewinnen heute 1:0 – und Lumpi macht die Bude«, ruft Brühl, als sich die Vernunft komplett aus dem Bulli verabschiedet hat. Dann bearbeitet der 29-Jährige sein Smartphone, um bei einer Online-Wetten-Klitsche ein paar Euro auf das kühn vorhergesagte Resultat zu setzen. Als er die Quote sieht, leuchten die Eurozeichen in seinen Augen – ein paar Hunderter wären im Sensationsfall drin. Man beschließt, nach einem Erfolg den Bulli in München stehenzulassen, die Nobel-Disco P1 unsicher zu machen und anschließend in einem schicken Hotel einzukehren.

Derartige realitätsferne Vorhersagen wird man von Peter Frymuth nicht hören. Der Boss der Fortuna, ein Mann mit grauem Kurzhaar, ruhiger Bass-Stimme und Besonnenheit in jeder Lebenslage, sitzt im Flugzeug und verspürt ein nervöses Grummeln im Bauch. Am Flughafen in Freising angekommen, lässt er sich gleich ins Stadion fahren. Er betrachtet die zur Arena pilgernden Scharen von Fortunen und muss sich zwicken, denn er kann es kaum glauben. München. Endlich wieder München. Endlich wieder die Bayern und damit die ganz große Bühne.

15 lange Jahre waren die Düsseldorfer aus der Bundesliga verschwunden. Der letzte Sieg beim Abonnement-Meister ist eine Ewigkeit her. Am 2. April 1991 hatte die Fortuna zuletzt beim FCB gewonnen, damals noch im altehrwürdigen Olympiastadion, das an kalten Winter- und Frühjahrstagen eine Aura zum Davonlaufen verströmte. Thomas Allofs narrte seinerzeit die Bayern-Verteidiger Hansi Pflügler und Roland Grahammer und schob das Leder mit dem linken Fuß am chancenlosen Bayern-Keeper Raimond Aumann vorbei ins Tor. Es war der Treffer zum 1:0-Sieg.

Danach spielten die Fortunen noch ein paarmal gegen die Bayern, wobei es aber eine schlimme Klatsche nach der anderen hagelte, und die Düsseldorfer rutschten fortan weiter in die Niederungen des deutschen Fußballs ab. Während die Fortuna gegen Bielefeld und Babelsberg kickte, maßen sich die Bayern wie eh und je mit Madrid und Mailand. Fortuna Düsseldorf und Bayern München waren 15 Jahre so weit voneinander entfernt wie die Münchner Allianz Arena vom Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro.

Nun treffen die beiden Klubs endlich wieder aufeinander, und Tausende von Fortunen diskutieren beim Weißbier das anstehende Duell. Mit Gesängen feiern sie im Augustiner-Brauhaus auf der Kaufinger Straße und – natürlich – im Hofbräuhaus. Sie tragen ihre Fahnen und ihren wiedergewonnenen Stolz über den Karlsplatz und den Marienplatz. Stattliche 21 Punkte hat ihre Fortuna als Aufsteiger in der vor wenigen Wochen zu Ende gegangenen Hinrunde gesammelt, hat auswärts in Augsburg und Fürth gewonnen und daheim gegen den HSV, Eintracht Frankfurt und Hannover 96. Eine stolze Ausbeute für einen Comeback-Klub, den Experten als Abstiegskandidaten Nummer eins gehandelt hatten.

Und die Bayern? Erdrückende Dominanz, wie immer. Sogar noch furchteinflößender als sonst. Die Fortunen müssten für einen Sieg nachgerade Außerirdisches in der Allianz Arena vollbringen, soviel ist mal klar. Die Münchner spielen bis dato eine Saison der Superlative – eine Saison, die ihnen am Ende das Triple aus Champions League, Meisterschaft und Pokal in die Trophäensammlung spülen wird. Sie besiegen ihre Gegner nicht, sie fressen sie mit einer scheinbar nicht zu stillenden Gier nach Toren regelrecht auf. 4:0. 5:0. 6:1. Das sind die Standardergebnisse – egal gegen wen.

Norbert Meier, Fortunas Coach, spart potenzielle Untergangsszenarien vor dem Match bei der Mannschaftsbesprechung bewusst aus. »Jungs«, so sagt er im Münchner Teamdomizil, dem Hotel Hilton Munich City nahe der Isar, »Jungs, wir können hier heute gar nicht verlieren.« Formelhaft wiederholt er diese Worte auch später in der Kabine. Alles würde doch mit einem Kantersieg der Bayern rechnen, und für jeden Bundesligagucker da draußen sei die Fortuna Fallobst. Die Münchner seien mit den Gedanken längst beim nächsten Spiel gegen den amtierenden Deutschen Meister Borussia Dortmund. Alles easy also.

Danach beschwört Meier die Tugenden, die seine Truppe bislang so stark gemacht haben. Einsatzwille. Laufbereitschaft. Giftige Zweikämpfe. Räume eng machen. Man will die eigene Spielhälfte mit kompakter Alle-Mann-Präsenz zur Festung ausbauen, will den Superstars auf den Füßen stehen und ihnen so die Laune am filigranen Spiel nehmen. Fortunas Kapitän Andreas Lambertz sitzt wie immer still auf seiner Bank in der Kabine. Im Gegensatz zu vielen Teamkollegen hat er vor dem Spiel keine Kopfhörer auf den Ohren, er braucht keine wilden Gitarrenriffs und keine Beats, um sich in einen Angriffsmodus zu beamen. Konzentrieren, aufstehen, abklatschen, das reicht. Raus geht’s!

In der Arena ist die Gästekurve rappelvoll. Während die Fans die Düsseldorfer Ecke direkt unterm Stadiondach auf Betriebstemperatur singen und der studierte PR-Fachmann Brühl mit seiner für F95-Filme stets gezückten Videokamera die hüpfende Menge für die Nachwelt festhält, nimmt Fortunas Chef Frymuth auf einem der besseren Sitze Platz. Neben ihm sitzen Vorstandsmitglieder wie Finanz-Geschäftsführer Paul Jäger und der ehemalige Düsseldorfer Stürmerstar Thomas Allofs.

Brühl, Frymuth, Jäger, Allofs. Und viele, viele weitere Rheinländer. Sie alle sehen, wie auf dem Rasen und auf weiten Teilen der Ränge zunächst das Phlegma regiert. Zumindest auf bayerischer Seite. Die Münchner Fans dösen in der Spätwinterluft vor sich hin, zu schwach scheint der Gegner. Die Herren Schweinsteiger, Lahm und Ribéry versuchen die Underdogs mit angezogener Handbremse zu erledigen. Viel laufen? Überflüssig. Die edlen Techniker passen sich die Bälle rund um den Mittelkreis zu, während sich die Fortuna wie vom Trainer angeraten am eigenen Strafraum verbarrikadiert. Dann kommt die 16. Spielminute, es rollt ein Entlastungsangriff. Düsseldorfs schneller Stürmer Mathis Bolly trifft nach einer Kopfballvorlage des in Strafraum-Luftduellen bislang nie sonderlich aufgefallenen Lambertz völlig freistehend per Abstauber zum 1:0. Die Kurve schunkelt sich in die Ekstase. »Deutscher Meister wird nur die Fortuna«, skandieren die Anhänger.

Es läuft also irgendwie seltsam, dieses Spiel, doch dass es auf einen historischen Moment zusteuert, ahnen weder die 70 000 in der Riesenschüssel von München-Fröttmaning noch die Spieler. Bayern-Stürmer Thomas Müller trifft zum 1:1, die Münchner schrauben das Torschussverhältnis auf 13:1 und haben beste Chancen durch Sturmtank Mario Mandzžukić, Abwehrriese Daniel van Buyten und wieder Müller. Das normale Kräfteverhältnis ist wieder hergestellt. Alles wartet aufs Führungstor des Favoriten, auch die Fernsehmenschen.

Die übersehen in der 71. Minute glatt, dass der Ball nach einem Abschlag von Fortuna-Keeper Fabian Giefer im hohen Bogen in die Spielhälfte der Münchner segelt. Dort steht, gänzlich unbeobachtet von Kameras und FCB-Kickern: Lambertz. Der kleine Mann nimmt die Kugel an, schaut sich fragend um, warum kein Weltstar zur Bereinigung der Situation naht, und macht, was er immer macht: rennen – so schnell die Beine tragen. Die TV-Kameras registrieren die aus dem Nichts entstandene Majestätsbeleidigung erst, als Lumpi schon auf Nationaltorwart Manuel Neuer zueilt. Irgendwo hinter Lumpi hechelt Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm, irgendwo vor Lumpi steht das Tor. Ruhig ist es nun im Stadion, der grün bekleidete Fortune am Ball schaut kurz hoch und zieht ab, satt und flach. Der Ball zischt an Neuer vorbei ins Tor. Noch einmal sieht sich der Schütze ungläubig um und bricht dann – gemeinsam mit einem schon bald auf ihm liegenden Wust von Düsseldorfer Spielern – vor der Südkurve, in der die Hardcore-Bayernfans bei jedem Heimspiel ihre Heimat haben, in Feierstimmung aus.

Auf der anderen Seite, in der rheinischen Ecke, hat derweil der Wahnsinn die Regentschaft übernommen, gefilmt von Videofachmann Brühl. Ein startender Düsenjet ist nicht lauter als diese hin und her wogende Masse. Die Fans haben sich im Glückstaumel ineinander verkeilt, viele liegen übereinander. Andere stehen kreidebleich und starr vor Staunen inmitten des chaotischen Treibens. Ein paar Meter tiefer, auf den Plätzen der Bosse, liegen sich die Fortuna-Verantwortlichen in den Armen. Wundervolle Bilder, die – neben vielen anderen Momenten, die Düsseldorf-Fans nie vergessen werden – der Film Auswärts in Liga 1, einmal Bundesliga und zurück für die Nachwelt konserviert hat. »Das war ein unvergessliches Erlebnis, zwei Treffer in München, unglaublich«, freut sich Peter Frymuth heute noch. 2:1 bei den Bayern. Und ausgerechnet Lumpi hat das zweite Tor gemacht.

Mit diesem Treffer hat sich Andreas »Lumpi« Lambertz zum einzigen Spieler gekürt, der in fünf Spielklassen jeweils mindestens ein Tor geschossen hat. Eine Begebenheit, die Fußball-Historikern ein Leuchten in die Augen zaubert. Es ist der Höhepunkt einer Serie, die knapp zehn Jahre zuvor begonnen hatte. Und bis dahin war es ein langer Weg.

In der Oberliga Nordrhein hatte Lambertz am 14. September 2003 beim 4:1 gegen Borussia Wuppertal erstmals getroffen. In der Regionalliga netzte er am 4. September 2004 zum 1:2-Endstand im Spiel der Fortuna bei Holstein Kiel ein. In der neu geschaffenen dritten Liga ereilte ihn das Glück des Goalgetters am 28. Februar 2009 beim 3:2 gegen den SV Sandhausen. In der zweiten Liga war es auswärts soweit, am 19. September 2009 im Spiel der Düsseldorfer Fortuna bei Rot-Weiß Ahlen – Lambertz schoss das Tor zum 1:0 in der ersten Spielminute und leitete so den 4:1-Sieg ein. Und nun also der erste Bundesliga-Treffer. Ein Tor gegen eine Auswahl weltweit bekannter Fußballspieler, so sollte es sein. Märchen brauchen eben eine richtige Pointe.

Nach der Partie aber präsentiert sich dieser Lambertz im mächtigen Bauch des Münchner Stadions derart gefühlsbefreit vor den Reportern, als hätte er gerade eine Steuererklärung fehlerfrei ausgefüllt. Stoisch und mit reduzierten Gesten steht er da, der besonderen Dimension des Ereignisses irgendwie so gar nicht angemessen.

Kurze Sätze spricht der seit diesem Tag für seine Fans unsterbliche Lumpi, frei von Pathos und Überschwang, man habe ja nun mal auch bitter und wenige Minuten vor Schluss noch 2:3 verloren nach einer eigentlich ganz ordentlichen Abwehrleistung. Nun sei sein Tor eben nichts mehr wert. »Für die Leistung kann man sich am Ende nichts kaufen.« Zumindest aber sei nun klargestellt, dass man auch in München bei einer vermeintlichen Übermacht etwas holen könne, wenn jeder für den anderen einstehe, die Ärmel hochkrempele und kämpfe. Fußball kann manchmal so einfach sein. Maloche statt großer Zauber. Ein paar Meter weiter steht der Coach der Fußball-Artisten, Jupp Heynckes, er hat die Zornesröte im Gesicht. Spiele seien nun mal nicht schon vor dem Anpfiff entschieden, wettert »Don Jupp« und doziert über die Ignoranz und Respektlosigkeit, mit der manche Medien im Vorfeld der Partie das Leistungsvermögen des Außenseiters eingeschätzt hatten.

Lumpi hat sich während des Spiels am Oberschenkel verletzt. Er klagt in den Katakomben über einen Einriss in der Muskelhülle – und als Begleiter seiner Karriere denkt man kurz daran, dass ihn ähnliche Verletzungen auch schon in der dritten Liga ereilt hatten, in Spielen, die Lambertz ebenso trocken bewertet hätte. Meppen, Mannheim, Meinerzhagen, München, alles ist wichtig. So ist Andreas Lambertz. Allüren haben auf seinem Spielfeld nichts zu suchen.

Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch seine Laufbahn, die als Einwechselspieler in Osterfeld begann und nun im Kamerafokus der bayerischen Metropole angekommen ist: Es ist diesem kernig-ehrlichen Fußballspieler schnuppe, wo er auf dem Platz schuftet, es ist ihm egal, wohin er reisen muss und auf welche hochdekorierten Gegner er unter Umständen trifft.

Andreas Lambertz ist seit diesem wolkenverhangenen Tag von München zwar Bundesliga-Torschütze und Inhaber eines ganz besonderen Rekords im deutschen Fußball – aber er hat auch nie vergessen, wo er herkommt.

2Orks? Nein, Orken.Wie am Niederrhein alles beginnt

EINWURF

»Lumpi? Ich kenne ihn nicht persönlich, ziehe aber meinen Hut vor ihm. Andreas Lambertz ist ein Vorbild für junge Fußballer, weil er niemals aufgibt. Er ist zu einem besonderen Teil von Fortuna Düsseldorf geworden und wird dem Klub sicher auch nach seiner Karriere in irgendeiner Funktion erhalten bleiben. Wir brauchen mehr von diesen Spielern, die ihre Liebe zu einem Verein bekunden. Es gibt leider nur noch sehr wenige von ihnen.«

Klaus Fischer, Stürmer-Legende des FC Schalke 04, 295 Spiele für die Königsblauen, Schütze des deutschen Jahrhundert-Tores (ein makelloser Fallrückzieher im Länderspiel gegen die Schweiz im Jahre 1977), immer noch wohnhaft in Gelsenkirchen

Die Region, in die sich unser spezieller Fußballer vernarrte, hat viele Seiten – schöne und weniger schöne. Die schönen überwiegen. Das wusste schon Joseph Roth.

Der österreichische Schriftsteller, Erschaffer großer Sozial- und Sittengemälde aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, hat dem Landstrich eine Liebeserklärung gewidmet. Über die Stadt Kleve im Speziellen und den Niederrhein im Besonderen sagte Literat Roth, nachzulesen in Georg Sauerlands Das kleine Buch vom Niederrhein: »Wenn es einen landschaftlichen Ausdruck für Pazifismus gäbe – hier ist er.«

Kopfweiden und Pappel-Alleen blühen auf diesem friedlichen Stückchen Erde. Moore und Seen schmiegen sich im Frühling an leuchtend gelbe Rapsfelder. Windmühlen und Windräder erheben sich, keine Berge weit und breit, dafür stößt der Tourist auf Wasserburgen und pittoreske klerikale Bauten wie das Kloster Knechtsteden, die größte mittelalterliche Anlage dieser Art im Erzbistum Köln, eingebettet zwischen Wald und Obstgärten. Vom Grün gesäumte Wege verlocken zum Wandern und Radfahren, wie beispielsweise ein Teil der »Kaiserroute«, die von Aachen nach Paderborn führt. Über mehr als 2000 Kilometer erstrecken sich die niederrheinischen Pfade, die man pedalierend mit viel Genuss zurücklegen kann.

Die weniger schöne Seite dieses kontrastreichen Fleckchens Erde suchte Andreas Lambertz’ Vater viele Jahre an seinen Arbeitstagen auf. Peter Lambertz malochte für den Energiekonzern RWE, dessen Riesenbagger tiefe Schneisen in die Landschaft gegraben haben. Ganze Ortschaften wurden am Niederrhein für den immer noch so wichtigen Kohleabbau dem Erdboden gleichgemacht. 14 Dörfer sind bereits von der Landkarte verschwunden.

Im Braunkohlerevier nahe Jüchen etwa mussten Tausende Menschen umgesiedelt werden. Bis 2045 sollen die Maschinen in den Gebieten Garzweiler I und Garzweiler II noch ihren Dienst verrichten, es sei denn, RWE steigt früher aus dieser Form der Energiegewinnung aus. Pro Jahr gräbt das Unternehmen am Niederrhein 200 Millionen Tonnen der Kostbarkeit aus der Erde, die dann in Kraftwerken wie Frimmersdorf – wo Peter Lambertz Dienst tat –, Neurath, Niederaußem, Goldenberg und Weisweiler verfeuert werden.

Rauchende Schlote sind demnach ein charakteristisches Bild des Niederrheins, auch in Krefeld, wo der Großkonzern Bayer immense Flächen für sich beansprucht. Ähnlich sieht es in Dormagen aus, wo fast 10 000 Menschen in einem 360 Hektar großen Chemiepark arbeiten, in dem Unternehmen wie Bayer, Linde oder eben auch RWE ihre Produktionsstraßen untergebracht haben. Von der anderen Rheinseite aus, die der Kölner despektierlich als »schäl sick« (»falsche Seite«) bezeichnet, hat die Dormagener Schornsteindichte frappierende Ähnlichkeit mit baulichen Missgeburten aus einem Stanley-Kubrick-Streifen.

In diesem Dormagen wird Andreas Lambertz am 15. Oktober 1984 geboren. Der Ball spielt schnell eine Rolle im Leben des von allen »Andi« genannten Jungen – wenig verwunderlich angesichts seiner Gene. Papa Peter agierte einst als kraftstrotzender Rechtsaußen im Dress des SV Rommerskirchen in der Bezirksliga, er war ein wandelnder Schrecken für alle Verteidiger und natürlich Vorbild für seinen Sohnemann. Doch ohne einen Fußballtrainer, den alle nur »Chicken« rufen, hätte der kleine Andi mit den blonden Haaren vielleicht niemals den Weg zum Fußball gefunden.

Den Spitznamen »Das Hühnchen« trägt Georg Reisdorf, ein schlaksiger Mann mit rechteckigem Brillengestell und fröhlichen blauen Augen, der seine Heimat in einer Neubausiedlung am Rande Grevenbroichs gefunden hat. Als Reisdorf noch Spieler beim Grevenbroicher Vorortverein SG Orken-Noithausen war, verließ er gern mal das Training etwas früher, um im Fernsehen die Serie Roots nicht zu verpassen. Die Handlung ist in der dunklen Zeit der USA angesiedelt, in der Sklaverei noch gang und gäbe war. Ein kleiner schwarzer Junge, der sich gegen die himmelschreienden Ungerechtigkeiten auflehnt, heißt in diesem TV-Ereignis »Chicken George«. Irgendwann begrüßte Orken-Noithausens Torwart Paul Burch den in die Kabine schlendernden Reisdorf mit einem lauten »Hey, da kommt der Chicken!« Seitdem ruft und kennt keiner im Ort mehr Reisdorf unter seinem richtigen Namen.

In seinem Verein ist »Chicken« unzählige Jahre lang eine Art Allzweckwaffe, der Mann ist in Personalunion Spieler, Trainer, Vorsitzender und Vize-Chef. Bis auf Toilettenreiniger und Rasenpfleger hat er bei der SG alle Ämter und Tätigkeiten durch.

Im Frühjahr 1990 heckt »Chicken« mit seinem Vereinsboss Wolfgang Alms den Plan aus, eine Bambini-Truppe zu gründen. Ziel ist es, mindestens zehn Sechsjährige aus dem Ort zu gewinnen. Markus Reisdorf, der Sohn von »Chicken«, ist im heimischen Wohnzimmer nach einem lockeren Familienplausch schnell geködert und Feuer und Flamme.

In den Tagen und Wochen darauf klappert »Chicken« seinen Bekanntenkreis ab und spricht auch Peter Lambertz an, mit dem er seit einer gemeinsamen beruflichen Zeit bei einer Grevenbroicher Aluminiumfirma in Kontakt steht. Beide absolvierten bei der »Rheinischen Blattmetall« eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Lambertz’ Sohn ist ganz versessen auf den Ball, das weiß »Chicken« von seinem ehemaligen Arbeitskollegen. So einen wie den quirligen Andi kann er gut gebrauchen.

Die SG Orken-Noithausen bietet den Bambinis beste Bedingungen: einen Rasenplatz, eine geräumige und heimelige Vereins-Gaststätte, dazu gibt’s viel Wald und Natur rund ums Klub-Areal. Der Verein ist ein Zusammenschluss der zwei Grevenbroicher Stadtteile Orken und Noithausen und besteht in dieser Form seit 1974. Die erste Mannschaft kämpft Anfang der 1990er-Jahre um die Rückkehr in die Bezirksliga und schafft es immer wieder, die größeren Klubs in der Region mit ein paar elegant herausgespielten Toren und jeder Menge Enthusiasmus zu ärgern.

Einen berühmten Sohn hat die SG auch hervorgebracht: Hermann-Josef Wilbertz. Mit 24 Jahren nutzte der wieselflinke Mittelstürmer Ende der 1960er-Jahre die Chance, für den renommierten Ruhrgebietsverein RW Oberhausen spielen zu dürfen. Am 12. November 1967 lieferte der Kicker im Dress der Kleeblätter sein Meisterstück ab. Kurzerhand zum rechten Verteidiger umfunktioniert, führte Wilbertz RWO zum 3:2-Sieg bei Fortuna Düsseldorf – und das nach einem 0:2-Rückstand. Als Abwehrstratege erzielte er insgesamt stattliche 29 Tore für Oberhausen und spielte fast zehn Jahre lang für die Mannschaft aus dem Pott.

Die RWO-Fans wählten Wilbertz – zusammen mit anderen Legenden wie Kalli Feldkamp, Franz Krauthausen oder Lothar Kobluhn – sogar in ihre Jahrhundert-Elf. Auch Hans-Dieter Essen, in den 1960er- und 1970er-Jahren Leistungsträger bei den Amateuren des 1. FC Köln und von Fortuna Düsseldorf, hat sich mit viel Schweiß den Status einer Orken-Noithausener Legende erarbeitet.

Von alledem ahnt Andi Lambertz nichts, als er Anfang der 1990er-Jahre als hochambitionierter Dötz das rot-schwarz-weiße Trikot der SG überstreift. Das erste offizielle Spiel hat er da bereits hinter sich, allerdings in der Halle. Denn als Andi noch nicht einmal fünf Jahre alt war, entdeckten die ersten Fachleute im Kreis sein Talent am Ball und ließen den Nachwuchskicker fernab von Regen und Wind gegen das Spielgerät treten.

Wilfried Faßbender, Jugendtrainer bei der TuS Grevenbroich und Vater von Andis gutem Bekannten Lars Faßbender, kümmerte sich damals um einen Einstieg ins Wettkampfgeschehen und organisierte ein Hallenturnier für die ganz Kleinen in der Turnhalle des Berufsbildungszentrums Grevenbroich. Andi trug da bereits das Hemdchen der SG Orken-Noithausen, Lars das Jersey der TuS Grevenbroich. Faßbender gegen Lambertz. Es wird nach den Erinnerungen von Papa Faßbender eines der spektakulärsten Duelle für viele Jahre am Niederrhein, zumindest was die Talente-Schuppen der Vereine angeht. Beide entwickeln sich später zu Top-Jungfußballern im Kreis.

Andi und Lars haben nun das passende Outfit und die passenden Papiere, sie sind jetzt offizielle Mitglieder in einem Verein. Andi Lambertz hat sich die SG ausgesucht, Lars Faßbender die TuS Grevenbroich. Und Trainer »Chicken« hat einen schwierigen Job zu erledigen. Ein Knirps muss während des Trainings Pipi machen, dem zweiten flattern die Schnürsenkel, der dritte geht am Spielfeldrand Blumen pflücken, der vierte bekommt einen Weinkrampf. Er kämpft bei den Orken-Noithausenern mit den Tücken seiner neuen Freizeitbeschäftigung in der »Pampers-Liga«. »Chicken« gibt alles, um den jungen Burschen die ersten Gehversuche auf dem Platz so angenehm wie möglich zu gestalten. Er lässt sie zum Aufwärmen um das Spielfeld laufen, wirft ihnen Bälle zu, übt das Stoppen und Passen und entwirft mit Verve erste Übungspläne.

Aber die ganze Planerei und Plackerei versandet angesichts des wuseligen Haufens, den er da vor sich hat. Neun von Chickens Schützlingen zeigen das für diese Altersklasse typische Rudelverhalten: Alle rennen Richtung Ball, flugs bildet sich ein Knäuel von Kindern. Irgendwo dazwischen, meist weit unten im Pulk versteckt, klemmt das Kunstleder fest. Nur ein Knabe verhält sich ganz anders und schafft es immer wieder, die Kugel mit gutem Auge koordiniert über den Rasen zu lenken: Der schmächtige Lambertz zeigt schon früh großes Verständnis für die Besonderheiten des beliebtesten deutschen Mannschaftssports.

»Es war von Anfang an zu sehen, dass dieser Junge mehr konnte als die anderen«, erzählt »Chicken« mehr als 20 Jahre später beim Spätnachmittags-Kaffee im Wintergarten seines Grevenbroicher Vorort-Hauses. Er genießt seine Rolle als Lambertz-Entdecker sichtlich. »Es gab Spiele, da hat er einfach vier, fünf Tore gemacht und uns die Siege im Alleingang gesichert.« Andi ist Libero, Mittelfeldspieler und Stürmer – alles zusammen in einer einzigen, recht schmalbrüstigen Gestalt. Ohne ihn läuft nicht viel zusammen im Spiel der Orken-Noithausener-Bambini-Gemeinschaft.

Drei Spielzeiten kickt Andreas Lambertz in Orken: bei den Bambinis, in der F-Jugend und in der E-Jugend. Phasenweise trainiert ihn auch Peter Lambertz selbst. In jeder Saison schenkt sein Sohnemann den Gegnern 50 bis 60 Tore ein. Andi ist so gut, dass Wilfried Faßbender, Coach der Grevenbroicher, ihn nach dessen eigener Schilderung von seinem Sohn Lars in Manndeckung nehmen lässt, sobald das Lokalderby der SG Orken-Noithausen gegen den TuS Grevenbroich ansteht. »Klar, das war eine etwas seltsam anmutende Maßnahme in dieser Altersklasse, aber es ging einfach nicht anders, wir mussten das so machen, weil er sonst wohl ein Tor nach dem anderen geschossen hätte«, sagt Wilfried Faßbender.

Sein Trainerkollege »Chicken« findet immer mehr Spaß an seiner Rolle als Pampersbomber-Coach. Er schickt sein Team zu Turnieren in die umliegenden Dörfer. Die SG-Spieler räumen Sieg um Sieg ab und feiern die Nachwuchs-Triumphe anschließend oftmals noch in gemütlicher Runde mit Eltern und Kindern in der Grevenbroicher Pizzeria »La Colomba«. Auch die Eltern von Andreas Lambertz sind oft dabei, der Vater so gut wie immer. Er weiß, wie wichtig der sportliche Ausgleich für seinen Filius geworden ist, denn in der Familie Lambertz kriselt es in dieser Zeit.

Als Andreas Lambertz sieben Jahre alt ist, trennen sich seine Eltern Peter und Rita. Der Vater verlässt das Haus in Grevenbroich und nimmt sich eine eigene Wohnung in der Nähe. »Ich lebte nun mit meiner älteren Schwester Iris bei meiner Mutter und übernachtete immer an den Spiele-Wochenenden