3,99 €
Band 2 der großen Lupin-Collection - das geniale Duell zweier Legenden!
Zwei Meister ihres Fachs - ein unvergleichliches Duell
Arsène Lupin, der brillante Gentleman-Gauner, hat die französische Polizei längst zur Verzweiflung getrieben. Nun fordert er einen Gegner heraus, der ihm wirklich gefährlich werden könnte: Herlock Sholmes, den weltberühmten Detektiv aus London. Als der wertvolle blaue Diamant verschwindet und ein mysteriöser Entführungsfall die Pariser Öffentlichkeit erschüttert, nimmt Sholmes die Spur auf - entschlossen, Lupin zu entlarven. Was folgt, ist ein packender Wettstreit der Intelligenz, bei dem jeder Fehler den entscheidenden Zug bedeuten kann.
Ein Spiel aus Schatten, Masken und brillanten Tricks
Lupin und Sholmes begegnen sich auf Augenhöhe - mit Witz, Scharfsinn und einem tiefen Verständnis für die Kunst der Irreführung. Doch während Sholmes auf Logik und Analyse setzt, brilliert Lupin mit Improvisation und psychologischem Feingefühl. Maurice Leblanc inszeniert ihr Aufeinandertreffen als großes literarisches Schachspiel, voller überraschender Wendungen, ironischer Brechungen und geistreicher Dialoge. Dabei gelingt ihm eine seltene Mischung: Hommage und Parodie zugleich - stilvoll, spannend und herrlich unterhaltsam.
Der berühmteste literarische Schlagabtausch Frankreichs
Die Figur des "Herlock Sholmes" war ursprünglich als direkter Verweis auf Sherlock Holmes gedacht - doch nach rechtlichen Protesten von Arthur Conan Doyle benannte Leblanc sie kurzerhand um. Das Ergebnis ist ein liebevoll zugespitztes Spiegelbild des Originals - scharfsinnig, leicht überzeichnet und doch mit großem Respekt für das Vorbild. Gerade in dieser Reibung zwischen britischer Rationalität und französischem Esprit entfaltet dieser Band seinen besonderen Charme.
Ein Höhepunkt der klassischen Kriminalliteratur
"Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes" ist mehr als ein spannender Krimi - es ist ein stilvolles Kräftemessen zweier literarischer Giganten. Als zweiter Band der Lupin-Collection erscheint der Klassiker sprachlich behutsam modernisiert und mit dem gleichen Feingefühl gestaltet wie der Auftaktband. Ein Muss für Krimifans, Literaturliebhaber - und alle, die Freude am Spiel mit Intelligenz und Identität haben. Der Roman ist auch unter den Titeln "Der blaue Damant" und "Die blonde Dame" bekannt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Maurice Leblanc
Lupin
gegen Herlock Sholmes
Ein Detektivroman
Lupin-Collection Band 2
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.
SVorwort
Kapitel 1. Losschein Nr. 514
Kapitel 2. Der blaue Diamant
Kapitel 3. Herlock Sholmes eröffnet die Feindseligkeiten
Kapitel 4. Licht im Dunkeln
Kapitel 5. Eine Entführung
Kapitel 6. Die zweite Verhaftung Arsène Lupins
Kapitel 7. Die jüdische Lampe
Kapitel 8. Das Schiffsunglück
Mit Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes präsentiert Maurice Leblanc einen literarischen Schlagabtausch, wie ihn die Kriminalliteratur selten erlebt hat: Auf der einen Seite Arsène Lupin, der gewitzte, elegante Meisterdieb – auf der anderen Seite niemand geringerer als Sherlock Holmes. Oder genauer gesagt: Herlock Sholmes. Denn Sir Arthur Conan Doyle sah sich wenig erfreut darüber, dass seine berühmte Figur in französischer Verkleidung auftauchte. Um rechtlichen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, benannte Leblanc seinen Holmes kurzerhand um – und schuf mit „Herlock Sholmes“ eine Art Spiegelbild des Originals: brillant, kühl, logisch – und zugleich versehen mit einem Hauch karikaturhafter Übertreibung.
Gerade in dieser Grenzgängerei zwischen Hommage und Parodie liegt der besondere Reiz dieses Romans. Leblanc spielt mit den Erwartungen der Leser, lässt die beiden Ikonen des Genres in einem wendungsreichen Duell im mondänen Paris aufeinandertreffen. Wo Sholmes auf deduktive Schärfe setzt, operiert Lupin mit List, Charme und psychologischem Feingefühl. Die beiden Figuren stehen sinnbildlich für zwei gegensätzliche Denkweisen – die britisch-rationale und die französisch-einfallsreiche.
Der Roman besteht aus zwei verbundenen Fällen: dem Diebstahl des „blauen Diamanten“ und einer Entführung, die zunehmend ins Persönliche driftet. Sholmes reist nach Paris, entschlossen, Lupin das Handwerk zu legen – doch schnell wird deutlich, dass sein Gegenspieler oft einen Schritt voraus ist. Der Leser wird Zeuge eines spannenden Katz-und-Maus-Spiels und gelegentlichem Augenzwinkern.
Arsène Lupin gegen Herlock Sholmes ist Krimikunst mit Witz und Raffinesse, zugleich eine ironische Liebeserklärung an das Detektivgenre. Leblanc verbeugt sich vor Conan Doyle – aber er tut es mit französischer Grandezza und einem schelmischen Lächeln.
Am achten Dezember des vergangenen Jahres entdeckte Monsieur Gerbois, Professor der Mathematik am Collège von Versailles, während er in einem Antiquitätengeschäft stöberte, ein kleines Mahagoni-Schreibpult, das ihm aufgrund der Vielzahl seiner Schubladen sehr gefiel.
„Genau das Richtige als Geburtstagsgeschenk für Suzanne“, dachte er. Und da er stets bemüht war, seiner Tochter kleine Freuden zu bereiten, die mit seinem bescheidenen Einkommen im Einklang standen, erkundigte er sich nach dem Preis. Nach einem hartnäckigen Feilschen erstand er das Möbelstück schließlich für fünfundsechzig Francs. Während er dem Händler seine Adresse nannte, wurde ein junger Mann, elegant und geschmackvoll gekleidet, auf das Schreibpult aufmerksam, das er bei seiner Durchsicht der Antiquitäten entdeckt hatte, und erkundigte sich sogleich nach dessen Preis.
„Es ist bereits verkauft“, erwiderte der Ladenbesitzer.
„Ah! An diesen Herrn, nehme ich an?“
Monsieur Gerbois nickte und verließ den Laden, nicht wenig stolz darauf, ein Möbelstück erworben zu haben, das das Interesse eines Mannes von Welt geweckt hatte. Doch kaum hatte er ein Dutzend Schritte auf der Straße zurückgelegt, als ihn der junge Mann einholte. Mit höflicher Verbeugung und in tadellosem Ton sprach er ihn an:
„Verzeihen Sie, mein Herr, ich habe eine Frage, die Sie vielleicht als unangebracht empfinden könnten. Es ist dies: Hatten Sie einen besonderen Grund, dieses Schreibpult zu kaufen?“
„Nein, ich bin zufällig darauf gestoßen, und es gefiel mir.“
„Aber es liegt Ihnen nicht besonders am Herzen?“
„Oh, ich werde es behalten – das ist alles.“
„Weil es ein Antiquitätenstück ist, vielleicht?“
„Nein, weil es praktisch ist“, entgegnete Monsieur Gerbois.
„In diesem Fall würden Sie es also gegen ein anderes, ebenso praktisches, aber in besserem Zustand befindliches Pult eintauschen?“
„Oh, dieses ist in gutem Zustand, und ich sehe keinen Grund für einen Tausch.“
„Aber …“
Monsieur Gerbois war ein Mann von reizbarem Wesen und hitzigem Temperament. Er erwiderte daher unwirsch:
„Ich bitte Sie, mein Herr, drängen Sie nicht weiter.“
Doch der junge Mann ließ nicht locker.
„Ich weiß nicht, wie viel Sie dafür bezahlt haben, mein Herr, aber ich biete Ihnen das Doppelte.“
„Nein.“
„Das Dreifache.“
„Oh, es reicht!“, rief der Professor ungeduldig. „Ich will es nicht verkaufen.“
Der junge Mann betrachtete ihn einen Moment lang auf eine Weise, die Monsieur Gerbois nicht so schnell vergessen sollte, dann wandte er sich abrupt ab und entfernte sich mit raschem Schritt.
Eine Stunde später wurde das Pult in das Haus des Professors an der Straße von Viroflay geliefert. Er rief seine Tochter und sagte: „Hier ist etwas für dich, Suzanne, sofern es dir gefällt.“
Suzanne war ein hübsches Mädchen mit fröhlichem und liebevollem Wesen. Sie warf die Arme um den Hals ihres Vaters und küsste ihn stürmisch. Für sie hatte das Schreibpult den Anschein eines königlichen Geschenks. Am Abend stellte sie es mit Hilfe der Dienerin Hortense in ihr Zimmer, staubte es ab, reinigte die Schubladen und Fächer und ordnete sorgfältig ihre Papiere, Schreibmaterialien, Korrespondenz, eine Sammlung von Postkarten sowie einige Erinnerungsstücke an ihren Cousin Philippe darin, die sie heimlich aufbewahrte.
Am nächsten Morgen, um halb acht, begab sich Monsieur Gerbois zum Collège. Um zehn Uhr, wie es ihre Gewohnheit war, machte sich Suzanne auf den Weg, um ihn abzuholen. Es war ihm stets eine Freude, ihre schlanke Gestalt und ihr kindliches Lächeln am Tor des Collège auf ihn warten zu sehen. Gemeinsam kehrten sie nach Hause zurück.
„Und dein Schreibpult – wie steht es heute Morgen?“
„Wunderbar! Hortense und ich haben die Messingbeschläge so lange poliert, bis sie wie Gold glänzten.“
„Also bist du zufrieden damit?“
„Zufrieden? Ich frage mich, wie ich so lange ohne auskommen konnte.“
Als sie den Weg zum Haus hinaufgingen, sagte Monsieur Gerbois: „Sollen wir es uns vor dem Frühstück noch einmal anschauen?“
„Oh ja, das ist eine großartige Idee!“
Sie eilte die Treppe hinauf, ihr Vater folgte ihr. Doch als sie die Tür zu ihrem Zimmer erreichte, stieß sie einen Schrei des Schreckens und der Bestürzung aus.
„Was ist los?“, stammelte Monsieur Gerbois.
„Das Schreibpult ist weg!“
Als die Polizei herbeigerufen wurde, war sie erstaunt über die bewundernswerte Einfachheit, mit der der Dieb vorgegangen war. Während Suzannes Abwesenheit war die Dienerin zum Markt gegangen, und während das Haus unbewacht blieb, hielt ein Fuhrmann mit einem Wagen vor der Tür. Er trug ein Abzeichen – einige Nachbarn hatten es gesehen – und klingelte zweimal. Da sie nicht wussten, dass Hortense nicht zu Hause war, schöpften sie keinen Verdacht. Der Mann konnte seine Arbeit in Ruhe und ohne Eile ausführen.
Abgesehen von dem Schreibpult war nichts im Haus angerührt worden. Sogar Suzannes Geldbörse, die sie auf dem Pult hatte liegen lassen, fand sich unberührt auf einem angrenzenden Tisch. Es war offensichtlich, dass der Dieb mit einem bestimmten Ziel gekommen war, was das Verbrechen umso rätselhafter machte. Warum hatte er ein solches Risiko für ein so unbedeutendes Möbelstück auf sich genommen?
Die einzige Spur, die der Professor liefern konnte, war der merkwürdige Vorfall des vorangegangenen Abends. Er erklärte: „Der junge Mann war äußerst verärgert über meine Weigerung, und ich hatte den Eindruck, dass er mir eine Drohung nachrief, als er wegging.“
Doch diese Spur war vage. Der Antiquitätenhändler konnte kein Licht in die Angelegenheit bringen; er kannte keinen der beiden Herren. Was das Schreibpult selbst betraf, hatte er es für vierzig Francs bei einer Nachlassauktion in Chevreuse erworben und glaubte, es zu einem angemessenen Preis weiterverkauft zu haben. Die polizeilichen Ermittlungen führten zu keinen weiteren Erkenntnissen.
Doch Monsieur Gerbois war überzeugt, einen gewaltigen Verlust erlitten zu haben. Es musste ein Vermögen in einer geheimen Schublade verborgen gewesen sein, und das war der Grund, warum der junge Mann zum Verbrechen gegriffen hatte.
„Mein armer Vater, was hätten wir denn mit einem solchen Vermögen angefangen?“, fragte Suzanne.
„Mein Kind! Mit so einem Vermögen hättest du eine glänzende Heirat schließen können.“
Suzanne seufzte tief. Ihre Wünsche reichten nicht über ihren Cousin Philippe hinaus, der jedoch ein wahrhaft bedauernswertes Los hatte. Und das Leben im kleinen Haus in Versailles war nicht mehr so glücklich und unbeschwert wie einst.
Zwei Monate verstrichen. Dann ereignete sich eine Reihe von erstaunlichen Begebenheiten, eine seltsame Mischung aus Glück und tiefem Unglück!
Am ersten Februar, um halb sechs Uhr abends, kehrte Monsieur Gerbois mit einer Zeitung nach Hause zurück, setzte sich, setzte seine Brille auf und begann zu lesen. Da ihn die Politik nicht interessierte, blätterte er zur Innenseite der Zeitung. Sofort fiel sein Blick auf einen Artikel mit der Überschrift:
„Dritte Ziehung der Lotterie der Pressevereinigung. Los Nr. 514, Serie 23, gewinnt eine Million.“
Die Zeitung glitt aus seinen Fingern. Die Wände begannen zu schwanken, und sein Herz setzte einen Schlag aus. Er besaß das Los Nr. 514, Serie 23. Er hatte es von einem Freund gekauft, um ihm einen Gefallen zu tun, ohne auch nur an einen Gewinn zu denken – und nun war es die Glückszahl!
Schnell zog er sein Notizbuch hervor. Ja, er hatte sich nicht geirrt. Die Nummer 514, Serie 23, war auf der Innenseite des Einbands notiert. Doch wo war das Los?
Er eilte zu seinem Schreibtisch, um die Schachtel mit Briefumschlägen zu suchen, in der er das wertvolle Los aufbewahrt hatte – aber die Schachtel war nicht da. Und mit einem Mal erinnerte er sich, dass sie seit Wochen nicht mehr dort gewesen war.
Plötzlich hörte er Schritte auf dem Kiesweg vor dem Haus.
Er rief: „Suzanne! Suzanne!“
Sie kam gerade von einem Spaziergang zurück und betrat hastig das Zimmer. Er stammelte mit erstickter Stimme: „Suzanne ... die Schachtel ... die Schachtel mit den Briefumschlägen?“
„Welche Schachtel?“
„Die, die ich im Louvre gekauft habe ... an einem Samstag ... sie stand am Ende des Tisches.“
„Erinnerst du dich nicht, Vater? Wir haben all diese Dinge zusammen weggeräumt.“
„Wann?“
„An dem Abend ... du weißt schon ... an jenem Abend …“
„Aber wo?... Sag es mir, schnell!... Wo?“
„Wo? Nun, im Schreibpult.“
„In dem Schreibpult, das gestohlen wurde?“
„Ja.“
„Oh, mon Dieu!... Im gestohlenen Schreibpult!“
Er sprach den letzten Satz leise, fast benommen. Dann ergriff er ihre Hand und sagte mit gedämpfter Stimme: „Es enthielt eine Million, mein Kind.“
„Ach, Vater, warum hast du mir das nicht gesagt?“, murmelte sie unschuldig.
„Eine Million!“, wiederholte er. „Es enthielt das Los, das den Hauptgewinn in der Presse-Lotterie gezogen hat.“
Die ungeheuren Ausmaße dieses Unglücks überwältigten sie, und lange Zeit verharrten sie in einem Schweigen, das sie nicht zu brechen wagten. Schließlich sagte Suzanne: „Aber Vater, sie werden dich doch trotzdem auszahlen.“
„Wie denn? Auf welchen Beweis?“
„Musst du denn einen Beweis vorlegen?“
„Natürlich.“
„Und du hast keinen?“
„Er war in der Schachtel.“
„In der Schachtel, die verschwunden ist.“
„Ja. Und jetzt wird der Dieb das Geld bekommen.“
„Oh! Das wäre schrecklich, Vater. Du musst das verhindern!“
Einen Moment lang schwieg er. Dann sprang er plötzlich mit einem Ausbruch von Energie auf, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und rief: „Nein, nein, er soll diese Million nicht bekommen! Er wird sie nicht bekommen! Warum sollte er sie erhalten? So schlau er auch sein mag, er kann nichts tun. Wenn er das Geld einfordert, wird man ihn verhaften. Ah! Jetzt werden wir ja sehen, mein feiner Herr!“
„Was wirst du tun, Vater?“
„Unser gutes Recht verteidigen, komme, was wolle! Und wir werden Erfolg haben. Die Million gehört mir, und ich werde sie bekommen.“
Wenige Minuten später sandte er folgendes Telegramm:
„Direktor des Crédit Foncier, Rue Capucines, Paris.
Bin Inhaber des Loses Nr. 514, Serie 23. Verhindern Sie mit allen rechtlichen Mitteln jeglichen anderen Anspruch.
GERBOIS.“
Fast zur gleichen Zeit erhielt das Crédit Foncier folgendes Telegramm:
„Los Nr. 514, Serie 23, befindet sich in meinem Besitz.
ARSÈNE LUPIN.“
Jedes Mal, wenn ich mich daran mache, eine der zahlreichen außergewöhnlichen Abenteuer aus dem Leben Arsène Lupins zu erzählen, empfinde ich eine gewisse Verlegenheit, denn es scheint mir, dass selbst die gewöhnlichsten dieser Abenteuer meinen Lesern bereits bestens bekannt sind. Tatsächlich gibt es keine Bewegung unseres „nationalen Diebes“, wie er so treffend bezeichnet wurde, die nicht ausführlich publiziert, keinen Coup, der nicht in all seinen Facetten analysiert, keine seiner Taten, die nicht mit der Akribie epischer Heldenerzählungen diskutiert worden wäre.
Wer kennt nicht die merkwürdige Geschichte der „Blonden Dame“, mit all ihren skurrilen Episoden, die in der Presse mit großen Schlagzeilen verkündet wurden: „Lotterielos Nr. 514!“ … „Das Verbrechen in der Avenue Henri-Martin!“ … „Der blaue Diamant!“ … Die Begeisterung, die die Intervention des berühmten englischen Detektivs Herlock Sholmes auslöste! Die Spannung, die die verschiedenen Wendungen im Kampf dieser beiden berühmten Meister hervorbrachten! Und was für ein Aufruhr auf den Boulevards, als die Zeitungsjungen riefen: „Verhaftung Arsène Lupins!“
Meine Rechtfertigung, diese Geschichten hier erneut zu erzählen, liegt darin, dass ich den Schlüssel zum Rätsel präsentiere. Diese Ereignisse waren stets von einem gewissen Geheimnis umhüllt, das ich nun lüfte. Ich greife auf alte Zeitungsartikel zurück, schildere längst vergessene Interviews, präsentiere vergilbte Briefe – doch ich habe all dieses Material geordnet, klassifiziert und auf die exakte Wahrheit reduziert. Meine Mitstreiter in dieser Arbeit waren niemand Geringeres als Arsène Lupin selbst sowie der unnachahmliche Wilson, der Freund und Vertraute Herlock Sholmes‘.
Jeder wird sich an das gewaltige Gelächter erinnern, das bei der Veröffentlichung jener beiden Telegramme ausbrach. Der Name „Arsène Lupin“ war allein schon eine Garantie für Spannung und ein Versprechen auf Unterhaltung. Und das Publikum dieser Vorstellung war nichts Geringeres als die ganze Welt.
Eine Untersuchung des Crédit Foncier ergab folgende Fakten: Das Los Nr. 514, Serie 23, war in der Filiale der Lotterie in Versailles an einen Artillerieoffizier namens Bessy verkauft worden, der später bei einem Reitunfall ums Leben kam. Einige Zeit vor seinem Tod hatte er mehreren Kameraden erzählt, dass er sein Los an einen Freund weitergegeben habe.
„Und dieser Freund bin ich“, erklärte Monsieur Gerbois.
„Beweisen Sie es“, erwiderte der Direktor des Crédit Foncier.
„Natürlich kann ich es beweisen. Zwanzig Leute können Ihnen bestätigen, dass ich ein enger Freund von Monsieur Bessy war und dass wir uns oft im Café de la Place-d’Armes trafen. Dort kaufte ich ihm eines Tages das Los für zwanzig Francs ab – lediglich um ihm einen Gefallen zu tun.“
„Haben Sie Zeugen für diese Transaktion?“
„Nein.“
„Wie wollen Sie es dann beweisen?“
„Durch einen Brief, den er mir schrieb.“
„Welchen Brief?“
„Einen Brief, der an das Los geheftet war.“
„Legen Sie ihn vor.“
„Er wurde gestohlen – zusammen mit dem Los.“
„Nun, dann müssen Sie ihn wiederfinden.“
Bald erfuhr man, dass Arsène Lupin im Besitz des Briefes war. In der Zeitung Écho de France – die die Ehre hat, als sein offizielles Organ zu gelten und von der es heißt, er sei einer der Hauptaktionäre – erschien eine kurze Notiz, in der verkündet wurde, dass Arsène Lupin das Schreiben, das Monsieur Bessy ihm – ihm persönlich – verfasst hatte, in die Hände seines Anwalts und Rechtsberaters, Monsieur Detinan, gelegt habe.
Diese Ankündigung löste allgemeine Heiterkeit aus. Arsène Lupin hatte einen Anwalt engagiert! Arsène Lupin, der sich den Regeln und Gepflogenheiten der modernen Gesellschaft fügte, hatte sich einen Rechtsvertreter genommen – und dazu einen angesehenen Pariser Juristen!
Monsieur Detinan hatte das Vergnügen, Arsène Lupin noch nie persönlich zu treffen – eine Tatsache, die er zutiefst bedauerte –, doch tatsächlich war er von jenem geheimnisvollen Herrn beauftragt worden und betrachtete es als eine große Ehre. Er war bereit, die Interessen seines Mandanten nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten. Er war erfreut, ja geradezu stolz, den Brief von Monsieur Bessy vorzeigen zu können, doch obwohl dieser den Verkauf des Loses bestätigte, erwähnte er nicht den Namen des Käufers. Er war schlicht mit den Worten adressiert: „Mein lieber Freund“.
„Mein lieber Freund! Das bin ich“, fügte Arsène Lupin in einer Notiz an, die dem Brief von Monsieur Bessy beigefügt war. „Und der beste Beweis dafür ist, dass ich im Besitz dieses Briefes bin.“
Eine Schar von Reportern eilte daraufhin zu Monsieur Gerbois, der nichts anderes wiederholen konnte als: „Mein lieber Freund! Das bin ich … Arsène Lupin hat den Brief zusammen mit dem Lotterielos gestohlen.“
„Soll er das beweisen!“, entgegnete Lupin den Reportern.
„Er muss es getan haben, denn er hat das Schreibpult gestohlen!“, rief Monsieur Gerbois vor denselben Reportern aus.
„Soll er das beweisen!“, antwortete Lupin erneut.
So spielte sich die unterhaltsame Komödie zwischen den beiden Anspruchstellern des Loses Nr. 514 ab; und die ruhige Gelassenheit Arsène Lupins stand in seltsamem Kontrast zur nervösen Aufgewühltheit des unglücklichen Monsieur Gerbois. Die Zeitungen waren voll von den Klagen des verzweifelten Mannes. Mit rührender Offenheit machte er sein Unglück publik.
„Verstehen Sie, meine Herren, es war Suzannes Mitgift, die dieser Schurke gestohlen hat! Persönlich ist es mir völlig gleichgültig, … aber für Suzanne! Denken Sie nur, eine ganze Million! Zehnmal hunderttausend Francs! Ah! Ich wusste doch, dass das Schreibpult einen Schatz enthielt!“
Vergeblich versuchte man ihm zu erklären, dass sein Widersacher beim Diebstahl des Pults nicht wissen konnte, dass das Lotterielos darin war und dass er erst recht nicht ahnen konnte, dass es den Hauptgewinn ziehen würde. Doch Gerbois entgegnete nur:
„Unsinn! Natürlich wusste er es … sonst hätte er sich nicht die Mühe gemacht, ein armes, wertloses Schreibpult zu stehlen!“
„Aus einem unbekannten Grund vielleicht – aber gewiss nicht wegen eines kleinen Stücks Papiers, das damals nur zwanzig Francs wert war.“
„Eine Million Francs! Er wusste es; … er weiß alles! Ah! Sie kennen ihn nicht – diesen Schurken! … Er hat Ihnen keine Million Francs gestohlen!“
Die Auseinandersetzung hätte sich noch lange hingezogen, doch am zwölften Tag erhielt Monsieur Gerbois einen Brief von Arsène Lupin mit der Aufschrift „Vertraulich“. Der Brief lautete:
„Monsieur,
das Publikum amüsiert sich auf unsere Kosten. Glauben Sie nicht, dass es an der Zeit ist, ernst zu werden? Die Situation ist folgende: Ich besitze ein Los, auf das ich keinen rechtmäßigen Anspruch habe, und Sie haben einen rechtmäßigen Anspruch auf ein Los, das Sie nicht besitzen. Keiner von uns kann etwas unternehmen. Sie werden mir Ihre Rechte nicht abtreten und ich werde Ihnen das Los nicht aushändigen. Was also tun?
Ich sehe nur eine Lösung: Lassen Sie uns die Beute teilen. Eine halbe Million für Sie, eine halbe Million für mich. Ist das nicht eine faire Aufteilung? Meiner Meinung nach ist es eine gerechte und sofortige Lösung. Ich gebe Ihnen drei Tage Bedenkzeit. Am Donnerstagmorgen erwarte ich in der Rubrik „Persönliche Mitteilungen“ des Écho de France eine diskrete Nachricht an M. Ars. Lup, die in verschlüsselter Form Ihr Einverständnis signalisiert.
Sobald Sie dies tun, erhalten Sie das Los zurück, können das Geld einlösen und mir eine halbe Million auf eine Weise zukommen lassen, die ich Ihnen später mitteilen werde.
Falls Sie sich weigern, werde ich andere Maßnahmen ergreifen, um dasselbe Ziel zu erreichen. Doch abgesehen von den erheblichen Unannehmlichkeiten, die eine solche Sturheit für Sie mit sich bringen wird, wird sie Sie zusätzliche 25.000 Francs kosten.
Hochachtungsvoll,
Ihr ergebener Diener
ARSÈNE LUPIN.“
In seiner Wut beging Monsieur Gerbois den schwerwiegenden Fehler, diesen Brief herumzuzeigen und sogar eine Abschrift anfertigen zu lassen. Seine Empörung überwog seine Vorsicht.
„Gar nichts! Er soll gar nichts bekommen!“, rief er vor einer Schar Reporter aus. „Mein Eigentum mit ihm teilen? Niemals! Soll er das Los doch zerreißen, wenn er will!“
„Aber fünfhunderttausend Francs sind besser als nichts.“
„Darum geht es nicht. Es geht um mein gutes Recht, und dieses Recht werde ich vor Gericht durchsetzen.“
„Was! Arsène Lupin verklagen? Das wäre amüsant.“
„Nein; aber das Crédit Foncier. Sie müssen mir die Million auszahlen.“
„Ohne das Los vorzulegen oder wenigstens zu beweisen, dass Sie es gekauft haben?“
„Dieser Beweis existiert, denn Arsène Lupin gibt ja zu, dass er das Schreibpult gestohlen hat.“
„Aber würde das Wort Arsène Lupins vor Gericht irgendein Gewicht haben?“
„Egal, ich werde es durchfechten!“
Das Publikum lachte herzlich und begann Wetten auf den Ausgang der Angelegenheit abzuschließen – mit klaren Quoten zugunsten von Lupin. Am folgenden Donnerstag wurde die Rubrik „Persönliche Mitteilungen“ im Écho de France von den neugierigen Lesern durchforstet – doch keine Nachricht an M. Ars. Lup war zu finden. Monsieur Gerbois hatte nicht auf Lupins Brief geantwortet.
Das war eine Kriegserklärung.
Noch am selben Abend verkündeten die Zeitungen die Entführung von Mademoiselle Suzanne Gerbois.
„Nein. Er hat den Wagen zurückgebracht, aber ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen“, sagte Madame Bob-Walthour.
„Wissen Sie, wo wir ihn finden können?“
„Vielleicht bei den Leuten, die ihn mir empfohlen haben. Hier sind die Namen.“
Bei Nachforschungen stellte sich jedoch heraus, dass keiner dieser Personen den Mann namens Ernest kannte. Die Empfehlungen waren gefälscht. So endete jede Spur, die die Polizei verfolgte, im Nichts. Das Rätsel blieb ungelöst.
Monsieur Gerbois hatte weder die Kraft noch den Mut, einen so ungleichen Kampf weiterzuführen. Das Verschwinden seiner Tochter hatte ihn gebrochen; er kapitulierte vor dem Feind. Eine kurze Mitteilung im Écho de France verkündete seine bedingungslose Aufgabe.
Zwei Tage später besuchte Monsieur Gerbois das Büro des Crédit Foncier und übergab dem Direktor das Lotterielos Nr. 514, Serie 23. Dieser rief überrascht aus: „Ah! Sie haben es! Er hat es Ihnen zurückgegeben!“
„Es war nur verlegt. Das ist alles“, entgegnete Monsieur Gerbois.
„Aber Sie behaupteten, es sei gestohlen worden.“
„Zunächst dachte ich das … aber hier ist es.“
„Wir benötigen einige Beweise, um Ihr Anrecht auf das Los zu bestätigen.“
„Wird der Brief des Käufers, Monsieur Bessy, genügen?“
„Ja, das reicht aus.“
„Hier ist er“, sagte Monsieur Gerbois und legte das Schreiben vor.
„Sehr gut. Lassen Sie diese Unterlagen bei uns. Laut den Regeln der Lotterie haben wir fünfzehn Tage Zeit, um Ihren Anspruch zu prüfen. Ich werde Sie benachrichtigen, sobald Sie Ihr Geld abholen können. Ich nehme an, dass Sie ebenso wie ich wünschen, dass diese Angelegenheit ohne weitere Öffentlichkeit abgeschlossen wird.“
„Ganz genau.“
Monsieur Gerbois und der Direktor bewahrten fortan Stillschweigen. Doch auf irgendeine Weise drang das Geheimnis nach außen, und bald wusste jeder, dass Arsène Lupin das Lotterielos an Monsieur Gerbois zurückgegeben hatte. Die Öffentlichkeit reagierte mit Erstaunen und Bewunderung. Sicherlich war es ein gewagter Schachzug, eine so wertvolle Trumpfkarte einfach aus der Hand zu geben. Doch es stimmte, er besaß noch eine zweite Trumpfkarte von gleichem Wert.
Was aber, wenn das Mädchen entkommen würde? Wenn die Geisel, die Arsène Lupin in seiner Gewalt hatte, befreit werden konnte?
Die Polizei glaubte, die Schwachstelle ihres Gegners entdeckt zu haben, und verdoppelte ihre Anstrengungen. Arsène Lupin, entwaffnet durch seine eigene Tat, gefangen im Räderwerk seiner eigenen Intrige, beraubt jedes einzelnen Sous der begehrten Million … das öffentliche Interesse verlagerte sich nun auf das Lager seines Widersachers.
Aber Suzanne musste gefunden werden. Doch sie wurde nicht gefunden – und sie entkam auch nicht. Folglich musste man zugeben: Arsène Lupin hatte die erste Runde gewonnen. Doch das Spiel war noch nicht entschieden.
Der schwierigste Teil stand noch bevor. Mademoiselle Gerbois befand sich in seinem Besitz, und er würde sie nicht freilassen, bevor er die fünfhunderttausend Francs erhielt. Aber wie und wo sollte dieser Austausch stattfinden? Dazu war ein Treffen erforderlich – und was würde verhindern, dass Monsieur Gerbois die Polizei informierte, um auf diese Weise seine Tochter zu befreien und gleichzeitig sein Geld zu behalten?
Der Professor wurde befragt, doch er war äußerst zurückhaltend.
„Ich habe nichts zu sagen.“
„Und Mademoiselle Gerbois?“
„Die Suche wird fortgesetzt.“
„Aber Arsène Lupin hat Ihnen geschrieben?“
„Nein.“
„Schwören Sie das?“
„Nein.“
„Dann ist es also wahr. Welche Anweisungen hat er Ihnen gegeben?“
„Ich habe nichts zu sagen.“
Die Reporter wandten sich daraufhin an Monsieur Detinan, doch auch er blieb verschwiegen.
„Monsieur Lupin ist mein Mandant, und ich kann seine Angelegenheiten nicht besprechen“, antwortete er mit gespieltem Ernst.
Diese Geheimniskrämerei ärgerte die Öffentlichkeit. Offensichtlich liefen geheime Verhandlungen. Arsène Lupin hatte sein Netz gespannt und zog es immer enger, während die Polizei Monsieur Gerbois Tag und Nacht überwachte. Die drei möglichen Enden – Verhaftung, Triumph oder eine lächerliche und jämmerliche Niederlage – wurden überall diskutiert, doch die Neugier der Öffentlichkeit ließ sich nur teilweise befriedigen. Erst auf diesen Seiten wird die exakte Wahrheit des Falls enthüllt.
Am Montag, dem 12. März, erhielt Monsieur Gerbois eine Nachricht vom Crédit Foncier. Am Mittwoch nahm er den Ein-Uhr-Zug nach Paris. Um zwei Uhr wurden ihm eintausend Banknoten zu je eintausend Francs ausgehändigt. Während er sie, von nervöser Erregung erfasst, einzeln zählte – dieses Geld, das das Lösegeld für Suzanne darstellte –, hielt eine Kutsche mit zwei Männern wenige Schritte von der Bank entfernt am Straßenrand.
Einer der Männer hatte graues Haar und einen ungewöhnlich scharfsinnigen Blick, der in starkem Kontrast zu seinem abgetragenen Erscheinungsbild stand. Es war Inspektor Ganimard, der unerbittliche Jäger Arsène Lupins.
Ganimard sagte zu seinem Begleiter, Folenfant:
„In fünf Minuten werden wir unseren cleveren Freund Lupin sehen. Ist alles bereit?“
„Ja.“
„Wie viele Männer haben wir?“
„Acht – zwei davon auf Fahrrädern.“
„Genug, aber nicht zu viele. Unter keinen Umständen darf Gerbois uns entwischen; wenn das passiert, ist alles verloren. Er wird Lupin an dem vereinbarten Ort treffen, ihm die halbe Million übergeben und das Spiel wäre aus.“
„Aber warum arbeitet Gerbois nicht mit uns zusammen? Das wäre doch der bessere Weg, und er könnte das gesamte Geld für sich behalten.“
„Ja, aber er hat Angst, dass er seine Tochter nicht zurückbekommt, falls er den anderen hintergeht.“
„Welchen anderen?“
„Lupin.“
Ganimard sprach den Namen in feierlichem Ton aus, beinahe ängstlich, als ob er über eine übernatürliche Kreatur sprach, deren Krallen er bereits spürte.
„Es ist wirklich merkwürdig“, bemerkte Folenfant nachdenklich, „dass wir gezwungen sind, diesen Mann gegen seinen eigenen Willen zu beschützen.“
„Ja, aber Lupin stellt die Welt immer auf den Kopf“, sagte Ganimard mit bedrückter Stimme.
Einen Moment später erschien Monsieur Gerbois und machte sich auf den Weg. Am Ende der Rue des Capucines bog er in die Boulevards ein, ging langsam und hielt häufig an, um die Auslagen der Geschäfte zu betrachten.
„Viel zu ruhig, viel zu gelassen“, sagte Ganimard. „Ein Mann, der eine Million in der Tasche hat, würde nicht so unbesorgt wirken.“
„Was hat er vor?“
„Oh! Nichts, offensichtlich … Aber ich habe eine Vermutung, dass es Lupin ist – ja, Lupin!“
In diesem Moment blieb Monsieur Gerbois an einem Zeitungskiosk stehen, kaufte eine Zeitung, entfaltete sie und begann zu lesen, während er langsam weiterging. Einen Augenblick später machte er plötzlich einen Satz und sprang in ein Automobil, das am Straßenrand wartete. Offenbar hatte der Wagen auf ihn gewartet, denn er fuhr sofort los, bog an der Madeleine ab und verschwand.
„ Ach du meine Güte!“, rief Ganimard. „Das ist einer seiner alten Tricks!“
Er eilte dem Automobil um die Madeleine herum nach. Dann brach er in Lachen aus. Am Eingang zum Boulevard Malesherbes stoppte das Fahrzeug und Monsieur Gerbois stieg aus.
„Schnell, Folenfant, der Chauffeur! Es könnte der Mann Ernest sein.“
Folenfant sprach mit dem Fahrer. Sein Name war Gaston; er arbeitete für ein Taxiunternehmen. Zehn Minuten zuvor hatte ihn ein Herr angeheuert und angewiesen, in der Nähe des Zeitungskiosks auf einen weiteren Herrn zu warten.
„Und der zweite Mann – welche Adresse gab er an?“, fragte Folenfant.
„Keine Adresse. ‚Boulevard Malesherbes … Avenue de Messine … doppeltes Trinkgeld.‘ Das war alles.“
Doch in der Zwischenzeit war Monsieur Gerbois bereits in die nächste vorbeikommende Kutsche gesprungen.
„Zur Concorde-Station der Métro“, befahl er dem Kutscher.
Er verließ die Métro an der Place du Palais-Royal, sprang in eine weitere Kutsche und ließ sich zur Place de la Bourse fahren. Dann nahm er erneut die Métro bis zur Avenue de Villiers, gefolgt von einer dritten Kutschfahrt zur Nummer 25, Rue Clapeyron.
Das Haus in der Rue Clapeyron Nr. 25 liegt an der Ecke zum Boulevard des Batignolles. Monsieur Gerbois stieg in den ersten Stock und klingelte. Ein Herr öffnete die Tür.
„Wohnt hier Monsieur Detinan?“
„Ja, das bin ich. Sind Sie Monsieur Gerbois?“
„Ja.“
„Ich habe Sie erwartet. Treten Sie ein.“
Als Monsieur Gerbois das Büro des Anwalts betrat, schlug die Uhr drei. Er sagte: „Ich bin auf die Minute pünktlich. Ist er hier?“
„Noch nicht.“
Monsieur Gerbois setzte sich, wischte sich die Stirn, schaute auf seine Uhr – als ob er nicht genau wüsste, wie spät es war – und fragte nervös: „Wird er kommen?“
„Nun, Monsieur“, erwiderte der Anwalt, „das weiß ich nicht, aber ich bin genauso gespannt wie Sie. Falls er kommt, wird er ein großes Risiko eingehen, denn dieses Haus wird seit zwei Wochen streng überwacht. Sie trauen mir nicht.“
„Sie verdächtigen auch mich. Ich bin mir nicht sicher, ob die Detektive mich unterwegs aus den Augen verloren haben.“
„Aber Sie haben doch…“
„Das wäre nicht meine Schuld!“, unterbrach ihn der Professor schnell. „Sie können mir keinen Vorwurf machen. Ich habe versprochen, seinen Anweisungen zu folgen, und ich habe sie buchstabengetreu befolgt. Ich habe das Geld zu der von ihm festgelegten Zeit abgehoben, und ich bin genau nach seinen Vorgaben hierhergekommen. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt – nun soll er seinen erfüllen!“ Nach einer kurzen Stille fragte er ungeduldig: „Er wird meine Tochter mitbringen, nicht wahr?“
„Ich nehme es an.“
„Aber … Sie haben ihn gesehen?“
„Ich? Nein, noch nicht. Er vereinbarte das Treffen per Brief. Er schrieb, dass sowohl Sie als auch er hier sein würden, und bat mich, meine Diener vor drei Uhr zu entlassen und während Ihres Besuchs niemanden einzulassen. Falls ich damit nicht einverstanden wäre, sollte ich ihn mit ein paar Worten im Écho de France benachrichtigen. Aber ich bin nur allzu gern bereit, Monsieur Lupin entgegenzukommen, also stimmte ich zu.“
„Ah! Wie wird das enden?“, stöhnte Monsieur Gerbois.
Er nahm die Banknoten aus seiner Tasche, legte sie auf den Tisch und teilte sie in zwei gleiche Stapel. Dann saßen die beiden Männer schweigend da. Von Zeit zu Zeit horchte Monsieur Gerbois auf. Klingelte jemand? … Seine Nervosität wuchs mit jeder Minute, und auch Monsieur Detinan zeigte zunehmende Anspannung. Schließlich verlor der Anwalt die Geduld. Er sprang abrupt auf und sagte: „Er wird nicht kommen … Wir sollten uns nichts vormachen. Es wäre töricht von ihm. Er würde ein zu großes Risiko eingehen.“
Und Monsieur Gerbois, verzweifelt, mit den Händen auf den Banknoten, stammelte: „Oh! Mon Dieu! Ich hoffe, dass er kommt. Ich würde das ganze Geld hergeben, nur um meine Tochter wiederzusehen.“
Die Tür öffnete sich.
„Die Hälfte davon wird ausreichen, Monsieur Gerbois.“
Diese Worte sprach ein elegant gekleideter junger Mann, der nun den Raum betrat. Monsieur Gerbois erkannte ihn sofort als den Mann, der in Versailles das Schreibpult von ihm hatte kaufen wollen. Er stürzte auf ihn zu.
„Wo ist meine Tochter – meine Suzanne?“
Arsène Lupin schloss ruhig die Tür, zog langsam seine Handschuhe aus und sagte zum Anwalt: „Mein lieber Maître, ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Freundlichkeit, meine Interessen zu vertreten. Das werde ich nicht vergessen.“
Monsieur Detinan murmelte: „Aber … Sie haben nicht geklingelt. Ich habe die Tür nicht gehört…“
„Türen und Klingeln sind Dinge, die funktionieren sollten, ohne gehört zu werden. Ich bin hier, und das ist das Entscheidende.“
„Meine Tochter! Suzanne! Wo ist sie?“, wiederholte der Professor.
„Mon Dieu, Monsieur“, sagte Lupin, „warum die Eile? Ihre Tochter wird in einem Moment hier sein.“
Lupin ging ein paar Schritte auf und ab, dann sagte er mit der theatralischen Geste eines Redners: „Monsieur Gerbois, ich gratuliere Ihnen zu der geschickten Art, mit der Sie hierher gelangt sind.“ Dann bemerkte er die beiden Stapel Banknoten auf dem Tisch und rief aus: „Ah! Ich sehe, die Million ist hier. Verlieren wir keine Zeit. Gestatten Sie mir …“
„Einen Moment“, sagte der Anwalt und stellte sich vor den Tisch. „Mademoiselle Gerbois ist noch nicht eingetroffen.“
„Nun?“
„Ist ihre Anwesenheit nicht unerlässlich?“
„Ich verstehe! Ich verstehe! Arsène Lupin genießt nur begrenztes Vertrauen. Man könnte meinen, er stecke sich die halbe Million in die Tasche und gäbe die Geisel nicht zurück. Ach, mein Herr, die Menschen verstehen mich nicht. Weil ich durch die Umstände gezwungen war, einige … sagen wir … außergewöhnliche Handlungen zu begehen, wird meine Ehrlichkeit infrage gestellt … Ich, der ich stets größte Gewissenhaftigkeit und Anstand in geschäftlichen Angelegenheiten bewiesen habe. Aber wenn Sie Bedenken haben, mein lieber Monsieur, dann öffnen Sie doch einfach das Fenster und rufen Sie. Es stehen mindestens ein Dutzend Detektive auf der Straße.“
„Glauben Sie das wirklich?“
Arsène Lupin hob den Vorhang.
„Ich denke, dass Monsieur Gerbois es nicht geschafft hat, Ganimard abzuhängen … Was habe ich Ihnen gesagt? Da ist er!“
„Unmöglich!“, rief der Professor. „Aber ich schwöre Ihnen…“
„Dass Sie mich nicht verraten haben? … Daran zweifle ich nicht, aber diese Kerle sind manchmal geschickt. Ah! Ich sehe Folenfant, und Greaume, und Dieuzy – alles gute alte Freunde von mir!“