M’Batánga - Cornelia Canady - E-Book
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M’Batánga E-Book

Cornelia Canady

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Beschreibung

Elena könnte nicht glücklicher sein: nach jahrelanger Trennung wird sie endlich ihre geliebte Cousine wiedersehen. Zusammen mit ihrem Vater reist die junge Frau nach Afrika, wo ihr Onkel die kleine Touristenfarm M’Batánga leitet. Vom ersten Augenblick an ist sie von der wilden Schönheit des Landes fasziniert. Vor allem der stolze und schöne Häuptlingssohn Mali macht ihren Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis. Elena ist sich sicher: mit diesem Mann will sie den Rest ihres Lebens verbringen. Doch dann trifft ein schrecklicher Schicksalsschlag die Familie und nichts ist so, wie es einmal war. Hat Elenas Liebe trotzdem eine Chance?

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Seitenzahl: 369

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Cornelia Canady

M’Batánga

Reise zum Glück

Roman

Inhalt

Elena

Hip-Hop am 8.42° Noerdl. Breite ~ 20.64° Oestl. Länge

Abflug nach Manovo

Gefahr am Ufer des Kotto und der vergessene Airport

Elena - L‘Africaine

Le Bon Dieux de la Savanne

Großes Fest auf der M’Batánga-Farm

Les Sudanées ‒ Wilderer aus dem Sudan greifen an

Commissair Demain

Mussa bringt grüne Täubchen für die Suppe

Tantine Gala zu Besuch

Vorbereitungen zum großen Konzert, Elenas Liebe und die Liebe überhaupt

Cello-Klänge an rosa Wolke und ein trauriger Abschied

Das Unglück an der Kotto-Schlucht

Mali

Der Commissair schlägt zu

Dann, am kleinen Bach…

Quandia, das Dorf im Bongo-Massif

Tikais Lieblingslied auf Sango

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2015 bei hey! publishing, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-020-4

Von Cornelia Canady zuletzt bei hey! erschienen:

„Die Gottestänzerin. Mein Leben bei den Pygmäen“

„Tränen am Oubangui. Eine Deutsche im Herzen Afrikas“

„Ruf des Abendwindes. Der dunkle Zauber Afrikas“

www.heypublishing.com

Diesen Roman habe ich geschrieben, um an die tapferen Menschen zu erinnern, die ihr Leben für eine fast unmenschliche Aufgabe riskierten. Er basiert auf einer wahren Begebenheit: dem dramatischen Untergang des Schutzgebietes Manovo, La Lagunda, im Norden der Republique Centrafricaine. Durch Übergriffe mörderischer Sudanesen und aus der Rebellenarmee, wurden im Jahr 1997 vier Mitarbeiter des Parks erschossen, die Familie fast ausgerottet.

Zum Buch gehört auch mein Dank vier Freunden. Ohne sie hätte sich die Fertigstellung dieses Romans um etliche Jahre verzögert:

Javi y Sacha de Duckling, en Puerto de la Cruz

PC-Doctores,

die diverse epileptische Computeranfälle, Plattenvernichtungsviren, Dateienspastika und somit auch mich, aus dem Nirwana zurückholten. Muchissimas Gracias a vos dos.

Gerhard Fromm, in München

Kameramann,

der mir mit einmaligem Fotomaterial aus einer Reise mit Leni Riefenstahl zu den Nuba, viele Recherchen erleichtert hat. Danke Dir von Herzen.

Ingrid Bichler, überall

Inspiratorin,

die mir mit ihrer Freundschaft in vielen finsteren Stunden das Ende des Tunnels zeigte und mein Leben vom streunenden Köter wieder in schreib-humane Bahnen lenkte. Sei in Liebe umarmt.

Gregorio Hilario Camejo, in La Orotava

Guru di mi Alma,

der mich sooft zur Verzweiflung brachte, dass ich aus der gemeinsamen Wohnung auszog und mir einen „Schreibhorst“ mietete, um in Ruhe meine schrägen Gedanken nieder schreiben zu können. Ohne diese Flow-Ära am Atlantik, kein M’Batánga.

Tu eres mi vida. Contigo siento una brisa que me habla sin palabra.

Weitere Informationen zu Elenas neuer Heimat, der Geschichte, Sprache und Kultur der Zentralafrikanischen Republik finden Sie auf den Seiten des Auswärtigen Amtes unter http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/ZentralafrikanischeRepublik_node.html

Elena

Ein heftiger Akkord tönte durch die Aula. Wer noch nicht richtig saß, fand schnell seinen Platz. Leidenschaftliche Tonfolgen, Musik wurde zerrissen, eine bizarre Melodie schwebte ein, eine ungarische Weise lähmte das Publikum. Zugleich erhob sich blutrot, fast bedrohlich, die aufgehende Sonne hinter der schemenhaften Figur der Solistin. Verblüfft verfolgten die Zuhörer Elenas Cello-Spiel in der Musikhochschule. Die Stimmung war bis eben familiär, man kannte sich größtenteils durch Veranstaltungen, freundschaftliche Grillabende, Friseurbesuche oder wenig erfreuliche Elterntreffs. Hier, in der Musikhochschule, traf man sich wieder. Hier wurden voll protzigen Stolzes oder leiser Bescheidenheit, die hausgemachten Debütanten zu Abschlüssen oder Sonderkonzerten präsentiert, kritisiert, preisgekrönt.

Elena begeisterte heute alle. Erstaunt folgten die Blicke der Zuhörer diesem Auftritt, denn keiner ahnte bisher solch leidenschaftliches Potential und Einfallsreichtum in der eher stillen Musikschülerin.

Gegen das Bühnenlicht leuchteten ihre ungebändigten Haare wie Feuer um das schmale Gesicht, das versöhnlich sanft wie Porzellan schimmerte. Den Mund lächelnd geöffnet, zwischendurch leise, unverständliche Worte murmelnd, die Augen geschlossen, als schämten sie sich das Innerste Preis zu geben, war Elena völlig im Klang ihres Cellos versunken ‒ im melancholischen und weichen Klang der Melodie. Die Blicke der Menschen im Saal hingen an diesem eigenwilligen Mädchen. Vieles gab es zu sehen, was wohl nicht richtig ein zu ordnen war. Wie passten helle Augen zum roten Haar, die zarten, nackten Füße zum metallenen Spieß des Cellos, wie unverschämt, spreizten sich die Schenkel des Mädchens und wie unschuldig lächelte der Mund.

Auch das Cello gab etwas her, erotische Details, die nicht zu übersehen waren: geschmeidig, besitzergreifend- sinnlich, lag es zwischen den geöffneten Beinen. Als ob es wüsste, welche geheimen Offenbarungen dieser Körper bot, den es hier nur durch dünnen Samt des dunkel grünen Kleides trennte. Obwohl es sächlich schien, das Cello, hier wirkte es ausgesprochen männlich. Wurde es nicht auch wie ein Lover immer wieder umarmt? Wurde es nicht gezupft wie geliebte Haut, wurde es nicht mit zartem Bogen gestreichelt, wo es wohl am schönsten empfindet? Und auch am Hals durch kräftigen Griff in die Tonhöhen mit nötigem Halt versehen, gar gedrückt, dass es sich mit seligem Stöhnen fallen lassen konnte? Auch geschlagen wurde es, heftig sogar. Und das grade im Augenblick, als die Sonne sich in der Kulisse mit fliegenden Wolken vereinte, in einem zarten, unschuldigen Rosa. Doch plötzlich fegte stärker werdender Wind durch die Aula, leere Mülltüten flogen über die Bühne. Zuhören, zusehen.

Als persönliche Eigenart demonstrierte Elena hier in diesem Konzert zum ersten Mal, dass für ihr Musikverständnis auch andere Empfindungen ganz vordergründig wichtig waren: Licht, Geräusche, Bilder. Bilder die sich in neuester Technik auf- und ablösten. Eine Formation von Wildgänsen, die sich laut rufend über peitschende Wellen kämpfte, hin zum klaren Grün einer Insel, Freiheit! Die Vögel verschwanden, lösten sich in einem grellgelben Lichtkanal. Begleitet wurde der Wildganspulk mit schrillen, kurzen Schreien, die sich leiser werdend im leichten Pfeifen des Windes verloren. Neonblitze leiteten eine rasche Tonfolge ein und mit ihr das Ende der die Freiheit suchenden Wildgänse. Auch die Schreie erloschen jäh. Nur das leise Rauschen der Windböen begleitete noch das Cello-Spiel, das heftig und schnell über die Saiten flog.

Den Bogen wie ein handliches Werkzeug fest im Griff, schob Elena nun die Töne in kurzen, kräftigen Bewegungen vom Instrument, dann wieder energisch bis zum Hals hinauf, zupfend, plötzlich überspringend in ein rasantes Fingerspiel, in aggressivem Stakkato, das sich in scheinbaren Disharmonien auflöste. Ihr Kopf war weit in den Nacken geworfen, die Augen geschlossen, die sinnlichen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Es gab kein „sich fallen lassen“ in die Musik. Elena verstand es, die Gedanken zu manipulieren, zwang sie in ihre eigenste Vorstellungswelt, fast herrisch zeigte sie dem Publikum, was sie wollte, zwang es zum gemeinsamen Desaster und zur gemeinsamen Erlösung. Fast atemlos hörten die Menschen zu, gefangen zwischen Bild- und Tonwelten.

Wie sollten sie sich da des Jubels entziehen? Die Ruhe bewahren? Elena, die trotz ihrer jugendlichen Erscheinung, offensichtlich wusste oder ahnte, was großes Instrumentalspiel wirklich ernst werden und den Ursprung der Musik begreifen lässt, ließ ihr Instrument weiter singen, zu Straßenlärm und Kinderlachen. In vielfältigen Variationen nutzte sie alle vier Oktaven auf virtuose Weise in diesem temperamentvollen ungarischen Stück. Grade steigerte sich der dünn-sehnsüchtige Ruf des Cellos in schlankem, hellem Klang der A-Saite auf einer sich aufblähenden Blase zum Zerreißen hin.

Das Publikum wartete auf den erlösenden Knall. Im Saal war es mucksmäuschenstill, nicht einmal das leiseste Scharren von Füßen, nicht ein einziges Hüsteln war zu hören. Es waren die letzten Töne der Cello-Sonate Op. 8 von Zoltan Kodaly. Das Stück klang auch schon aus. Ein puristischer Monduntergang in graues Nichts, machte in der Kulisse auf sich aufmerksam, oder war nur das Licht ausgefallen?

Elena öffnete die Augen und kam mit einem entrückten Lächeln langsam in die Gegenwart zurück, in einen spärlichen, fahlen Lichtstrahl. In jungenhaftem Ruck warf sie die glühend rote Haarwolke in den Nacken, griff das geile Cello am Schlafittchen und stand auf. Elenas knapp 22 Jahre erkannte man jetzt gut in ihrer jugendlichen Präsentation, ohne Zweifel. Umso verwunderlicher die Perfektion des Spieles und die eigenwillige Interpretation. Aber diese zierlich und doch zugleich erdig wirkende Person, bestand noch aus reichlich anderen Gegensätzen von denen bestachen: der sinnliche Körper gepaart mit lässiger Burschikosität der Gesten; eine energisch gewölbte Stirn über einer zarten Nase, ein äußerst trotziger Mund.

Der Saal belebte sich langsam mit Geräuschen, mit leisem Stimmengewirr und dann brach auf einmal tosender Applaus los. In der kleinen Aula hallte er doppelt so laut und wollte nicht enden. Elena verbeugte sich scheu mit eckigen Bewegungen, bis fast auf den Boden, wobei die roten Haare auf der alten Holzbühne entlang fegten. Der Applaus schwoll noch mal an.

Steif und recht verlegen, beugte sie sich noch tiefer, berührte fast die nackten Füße während sie mit den Händen noch fester am Halse ihres hölzernen Kameraden würgte, der am Boden schlotterte. Fast unauffällig drehte sie sich kurz zur Seite und schaute zu einer kleinen Tür neben der Bühne. Überlegte ganz offensichtlich, wie es hier am schnellsten raus ginge.

Doch die Zuschauer waren begeistert aufgestanden und klatschen ununterbrochen weiter, wobei in der ersten Reihe ein Paar besonders auffiel. Ein mittel-alter, drahtiger Mann mit leuchtend roten Haaren und daneben eine hübsche mollige Frau, applaudierten voller Enthusiasmus und jubelten Elena in lebhafter Begeisterung zu. Es waren Elenas Eltern, Marianne und Eugene Larousse.

Mutter Marianne, eine hübsche 40-jährige, mit dem gemütlichen Elan aller rundlichen Wesen gab ihrem Eugene einen liebevollen Kuss und schwärmte: „Unsere klei.. Lena!“

Eugene, irgendwie wirkte er verkleidet in dem dunklen Anzug, an dem die Ärmel zu lang schienen, oder die Hände zu groß, nickte zufrieden und versuchte beim Applaudieren seine derben Hände möglichst unauffällig zu bewegen. Am liebsten würde er sie auf den Stuhl legen und dort ein wenig klatschen lassen. Seine Augen waren stolz auf Elena gerichtet.

Noch ein begeisterter Mann saß in der vordersten Reihe. Ein blondes, hageres Mannsbild, das intensiv zu Elena hinaufschaute und ihr lachend zu winkte: ich bin auch dabei! Abel, ein junger Arzt und seit kurzer Zeit Elenas Freund.

Die Eltern waren natürlich begeistert von dieser viel versprechenden und auch äußerst ‚standesgemäßen’ Verbindung. Doch Elena nahm es nicht allzu ernst: es gab ja noch so viel zu tun! Außerdem, so drückten es grade ihre Augen aus, fand sie Abel ein wenig aufdringlich oder wie sie es immer ausdrückte: ‚zu geräuschvoll’. Sonst aber fiel er eigentlich eher dadurch auf, dass er nicht auffiel; ein Chinese allerdings könnte noch bemerken: ‚auffallend ist dass er keine gelbe Hautfarbe hat!’

Elena entwischte nun doch flink zum Weg des Bühnenabganges, winkte noch einmal knapp und linkisch, ein Lächeln flog auch noch mit zum Saal zurück.

Dann, grade als sie die Treppe hinab steigen wollte, sprang Abel vor, auf die Bühne und mit einem weiteren, langen Satz ergriff er schnell ihre Hand. In einer Art „erweiterter Familienangelegenheit“, zog er Elena sanft, aber bestimmt zur Bühne zurück und präsentierte sie majestätisch dem Publikum. Ja, er liebte sie aufrichtig, war stolz auf sie. Das, wie er meinte ‚zickliche Getue‘ schrieb er Elenas Jugend zu.

Das Publikum honorierte seinen Eingriff fröhlich pfeifend, lebhafte Zurufe schlossen sich an. Doch Elena entwand sich brüsk seinem Zugriff. Eilig lief sie wieder zur Tür, winkte noch einmal ein wenig linkisch zum Publikum zurück und dieses Mal gelang ihr die Flucht.

Abel, der ihr hinterher gelaufen war, wurde verärgert zu Recht gewiesen: „Du weißt doch, dass ich so was nicht mag. Wie kannst du mich vor allen Leuten so brüskieren. Ich wollte mich zurückziehen, das Konzert ist vorbei!“, schimpfte Elena vorwurfsvoll, wobei ihre hübsche runde Stirn ziemlich runzlig wurde.

Das Publikum bekam die Auseinandersetzung zwischen Tür und Angel mit, leises Lachen war zu hören und Äußerungen wie: „Lass Sie doch“, oder „Elena komm zurück!“

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Abel schaute Elena bedrückt an, versuchte aber die Stimmung zu heben: „Ach Leni, Du bist immer so bescheiden! Die Leute lieben Dich und Deine wunderbare Musik, sie wollen Dir doch bloß danken. Und wenn du dich so schnell verdrückst, ist das doch nicht möglich. Ja, es kommt sogar ein wenig arrogant rüber.“

Er versuchte Elena zu umarmen, doch sie schob ihn beiseite.

„Ich mag den Rummel nicht, das weißt du doch!“, erklärte sie mit leiser Stimme, jedoch sehr entschieden. „Es ist mir peinlich, wenn ich so angeglotzt werde. Ich möchte mich dann am liebsten verkriechen. Und du müsstest das doch langsam respektieren.“

Es war ihr während dessen gelungen, sich den endgültig öffentlichen Blicken zu entziehen, auch denen durch die Ritzen, und mit Abel die nächste Türe zu erreichen. Fast ein wenig versöhnlich legte sie jetzt die Hand auf seinen Arm.

„Sei nicht bös, es ist halt so! Wo sind denn die Eltern, wir wollten doch gleich nach Hause gehen?“

Elena war ungeduldig. Sie wollte jetzt alleine sein, sich entspannen und den schönen Augenblicken des Spieles nachhängen und nicht herumgezerrt werden. Außerdem auch der Vorahnung aus dem Weg gehen, dass noch mehr Fragen und auch Fremde dazu kämen, wo man Rede und Antwort stehen müsste. Elena war froh, wenn sie schwierigen Dingen ausweichen konnte. Nicht dass sie sich überfordert fühlte, sie fühlte sich einfach wohler in einer beschützten Welt, am liebsten unter der Obhut und Liebe ihrer Eltern. Da wurde ihr Weg wunderbar geebnet und sie brauchte sich nur noch auf ein unkompliziertes Leben zu konzentrieren, ihr Spiel zu vervollständigen, ihr geliebtes Cello zu verzaubern. Mehr hatte sie bisher nie versucht.

Abel entdeckte Eugene und Marianne im Seitengang und beschwichtigte Elena. „Schau, alle sind da!“ Dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Ich bin so wahnsinnig stolz auf dich. Wir werden Dein erstes Konzert noch in Ruhe feiern, nur wir beide… ja?“

Dieser nette Satz erstarrte in Gefrierfach-Atmosphäre, kaum dass er draußen war: “Phhfff!“

Sie mochte sich grad nicht besonders, aber irgendwie fand sie Abel auch völlig daneben, aufdringlich, sodass sie weiter in die Kälte stürzte.

Eugene war heran gekommen und nahm seine Tochter stumm in die Arme, nicht ohne einen vorwurfsvollen Blick auf Abel zu werfen. Elena ließ sich gerne drücken, in Vaters warmer Armbeuge fühlte sie sich wohl, war es kuschelig. Sie gab ihm einen eiligen Kuss auf die Wange und fragte leise, ungeduldig: „Hat es dir gefallen? War es nicht zu eigenwillig dem Komponisten gegenüber?“

Dabei schaute sie ihren Vater ernst an und bevor er antworten konnte, fügte sie noch in leiser Überlegung hinzu: „Es sollte doch mit genügend Respekt gespielt werden!“

Eugene drückte seine Tochter noch inniger an sich.

Mit geschlossenen Augen wiegte er sie wie ein Baby. Er liebte dieses eigenwillige Kind über alles. Verstand dessen künstlerische Nöte. Zärtlich neigte sich seine Nase in die wirren Mädchenlocken, schnüffelte sie ab und schien jede einzelne Strähne einatmen zu wollen. Fast fraß er auch die Sommersprossen, die so witzig in Elenas Gesicht herumlagen. Sein herzlicher Charme, den er noch aus Großvaters Generation geerbt hatte, machte alles verständlich. Es las sich gut in diesem Bauerngesicht, alles arbeitete mit: die reichlich kühne Nase, der sensible Mund, die wasserblauen Augen, auch die wechselnde Struktur der Locken mit der fabelhaft leuchtenden, roten Farbe, selbst der Neigungsgrad der verschieden abstehenden Ohren.

„Aber mein süßes Baby!“ In dieser so kindlichen Ansprache, ging ihm weder Respekt noch Anerkennung verloren. „Du hast doch...“

Eugene wurde von Mariannes etwas träger Stimme unterbrochen: „Genau, das hab… die Engelkes auch ges..! Dein Profess.. war ganz w…... So stolz… kaum ein Wor.. heraus bekam. Na ja, dafff.. hat sei.. Frau alles Nötige erzzz..“ Wie immer verschluckte Elenas Mutter ganze Satzfragmente, zu träge, unwichtige Dinge wie Wörter ‒ von denen doch jeder wusste wie sie endeten ‒ auszusprechen. Manchmal fügte sie stattdessen eine elegante, vage Bewegung an, die aber auch nichts Genaues ergänzte, sondern schließlich ebenso unvollendet wie die Sätze, in der Luft hängen blieb. Sie drückte ihre Tochter mit einem Arm an den runden Busen und die vor Aufregung geröteten Wangen und richtete in mütterlicher Fürsorge Elenas widerspenstige Mähne.

Mit glänzenden Augen verkündete sie würdevoll und zukunftsschwanger: „Du wirst mal eine große und berühmte Musiker....das habe ich heu….genau ges…“

Marianne, die ihre kaum zu bändigende Haarfülle nicht nur der Tochter vererbt hatte, sondern auch genau wie Elena, diese stets mit ungeduldigem Zupfen zur Ordnung ermahnte, trug heute ihre blonden Haare zu einer fetzigen Hochsteckfrisur gebündelt. Mit ähnlichem Geschick war auch an den kleinen, überflüssigen Fett-Röllchen gearbeitet worden. Heute waren sie ganz smart im entzückenden Blümchenkleid eingezwängt und weiß der Teufel nicht, in was da drunter! Marianne glänzte im sorglosen Chic und Selbstbewusstsein einer aufgebrezelten Landschönheit. Sie liebte, genau wie Eugene, ihre Tochter über alles, fast so wie ihren kleinen bunten Vogel. Nie würde sie dulden, dass ihr oder ihm, irgendetwas Böses oder Unerwartetes zugefügt würde.

Ständig pusselte sie an Elena herum, musste sie einfach anfassen, sie spüren, ohne etwas Bestimmtes zu tun, musste ihre Nähe dicht an ihrem Herzen fühlen.

Elena machte dies mitunter recht nervös und verlegen, vor allen Dingen vor anderen Leuten. Aber sie wusste auch, dass es ein Ausdruck überschäumender Liebe war und deshalb schmunzelte sie meist nachsichtig. Jetzt gab sie ihrer Mutter lediglich ab und an einen leichten kleinen Klaps auf die emsige Hand, worüber beide lachten. Elena liebte dieses selbstbewusste Wesen, das in jeder Pore Muttergefühle hegte. Eigentlich müssten da auf ihrer Haut Windeln, Kindsköpfe und Schokoladenpudding in kleinen Smilies zu sehen sein. Elena schmunzelte bei dem Gedanken, sie küsste ihre Mammi herzhaft auf den erstaunt geöffneten Mund.

Im kleinen Vorzimmer der Aula hatte Eugene inzwischen die Mäntel seiner Frauen eingesammelt, zwängte sie hinein, verschloss alles dicht und schob beide langsam, aber zielstrebig, hinaus. Elena beeilte sich, ihre Cellotasche fest im Griff, ins Freie zu kommen, denn im Hintergrund aus dem Saal, hörte man bereits Stimmen näher kommen, Stühle rücken und Sätze wie: ’Wo ist Sie denn?’ und ‚Ich will sie unbedingt sehen… Glück wünschen…. `

Draußen war es lausig kalt. Der Atem stand in hellen Fahnen vor den Lippen, frischer Schnee blinkte auf dem Weg. Vermummt in die Wintersachen und warm in einander gehakt, suchte die Familie, wie eine Gruppe abendlicher Verschwörer, mit schnellen Schritten das Weite. Alle respektierten Elenas Wunsch, weiteren Begegnungen aus dem Weg zu gehen. Fast im gleichen Rhythmus bewegten sie sich mit zielstrebigen Schritten heim. Bloß Abel lief ein wenig abseits mit recht nachdenklichem Gesicht. War er doch grade aus dem familiären Universum ins einsame Abseits gestellt worden, wo er sich ganz unwohl fühlte. Seine schlanke, hohe Gestalt bewegte sich mit eingezogenen Schultern und leicht tapsigen Bewegungen hinter den kleinen Fußabdrücken, die Elena im Schnee hinterließ.

Zu Hause, in der kleinen Villa der Familie Larousse, suchten sich die Frauen die wärmste Ecke, während Eugéne einen edlen Tropfen aus dem Keller holte. Den schönen französischen Namen hatte sich Eugenes Mutter vor vielen Jahren mühsam in Frankreich angeheiratet, als sie sich dort ‒ zum Entsetzen ihrer musisch veranlagten Eltern ‒ während der Schulferien in einen feschen Landwirt verliebte. In einen sehr feschen! Noch entsetzlicher: Großmutter sprach damals kein Wort Französisch. Doch nach der Geburt des ersten Sohnes änderte sich das schnell.

Seitdem wurde das französische Flair erhalten und fast wie ein Kulturerbe gepflegt. Bis heute waren Ferien in der Normandie, in den Weinbergen der väterlichen Familie, an der Tagesordnung und alle freuten sich immer wieder auf diese ländlich-urige Zeit. Außerdem wurde stets reichlich Champagner eingepackt.

Jetzt war solch eine schöne Gelegenheit, den edlen Tropfen zu zelebrieren. Im Wohnzimmer hatte jedes Familienmitglied, zwischen unzähligen exotischen Kissen, seltenen Pflanzen, Plüschtieren und ausgefallenen Sitzgelegenheiten aus Holz, seinen festen Platz und sank mit fragloser Selbstverständlichkeit dorthin.

Elena saß am liebsten am Boden neben dem Hundekörbchen, auf dem opulenten Orientkissen.

Papa Eugene stand neben seinem Pfauenthron aus Bambus, veredelt von einer Stechpalme. Dort zu Füssen, saß Elena. Liebevoll schenkte er die Gläser voll und prostete seinen Frauen zu; schließlich auch Abel, der unauffällig irgendwo auf einem Stuhl saß. Dann ließ er sich auf seinen Thron fallen und legte die Hand auf Elenas Lockenkopf.

„Ich fühle mich, als würde ich von einem Ausflug in einen abenteuerlichen Wald, zurückkommen!“, erklärte Elena fast beschwipst ihrem Vater und schmiegte liebevoll die Wange in seine Hand. Aufregung und Stress waren verflogen und das begabte Wesen mit dem roten Schopf und den eindringlichen blauen Augen wurde zu einem kleinen Häufchen schmelzender Sahne auf heißem Untergrund.

„Aber ich bin einmal gestolpert. Eine schwierige Passage mit den vielen Griffen!“, resümierte sie kritisch.

Eugene lachte: „Mein Schatz, du drückst Dich immer so bildlich aus. Wenn du nicht Musikerin wärst, könntest du sicherlich spannende Geschichten schreiben!“

Elena winkte ab. „Ich glaube dass die meisten Dinge schon reichlich und teilweise auch sehr gut beschrieben sind.“

Miefke, Eugenes buntfleckige Hündin, kam mit fliegenden Lefzen an galoppiert, im Schlepptau drei Welpen, die ihr kreuz und quer durch die Beine, am schlabbernden Gesäuge vorbei tollten. Eugene erklärte hierzu immer allen Ernstes, es sei eine neue Zucht. In Wirklichkeit aber wurde diese Handfeger-Hyänenmischung eines Tages laut winselnd am Raubtiergehege bei der Fleischausgabe entdeckt.

Alle vier stürzten sich jetzt begeistert auf Elena, zu heftigstem Gerangel, Geschrei und Gefiepse und im Nu war die feinste Rauferei im Gange.

„Vorsicht deine Fin...“, mahnte Marianne laut aus dem puffigen Sofa. Aber weder Elena noch Miefke und Konsorten kümmerten sich um diesen besorgten Einwurf.

Eugene, der als Großwildaufseher im Münchner Zoo arbeitete, hatte ständig Tiere zu Hause untergebracht. Als guter Mensch vom Isartal-Ost, konnte er natürlich kein Leid sehen und nahm sich jeder verletzten Seele an, egal aus welchem Teufelsloch sie stammte.

Eines Tages waren so viele Tiere im Haus, dass Marianne der Kragen platzte und sie sich mit einem langen Messer neben dem Hängebauchschwein platzierte, das in der Küche grade geflissentlich mit der Mülltrennung beschäftigt war. Auf dem vormals blitzblanken Boden lag, sorglos verteilt, der Inhalt des großen Mülleimers. Hängebauch-Wutz schob laut grunzend Plastik, Becher und Metall nach rechts und leckere Kartoffelschalen, Eierreste in roter Soße, leicht grünschimmeligen Reis mit Gemüse unter ihren dicken, grauen Bauch.

Mit einem entrüsteten Schrei konnte Eugene das Schlimmste verhindern und von da an beschränkte sich die Hausbewohnerzahl in der Glockenstrasse 12 der Au, auf drei Erwachsene, vier afrikanische Besen-Hyänen, Miefkes, plus einem stotternden Graupapagei. Sein Name: Rin-go-go. Mariannes Liebling und überall geduldet.

„Also, auf dein Wohl, liebe Elena und weiter viel Erfolg!“, prostete Eugene noch mal in die Runde. Abel durfte wieder etwas mitmischen und alle fühlten sich wohl, bis zu dem Augenblick, als Marianne das Wort ergriff.

„Aproppp.. feiern, wie ih..!“, mischte sie sich in die jeweiligen Gedanken, wobei sie ein bedeutungsvolles Gesicht machte. Dann begann sie noch mal: “Wie ihr alllll.. wisst, is.. i.. sechs Woch.. Weihnaaaa….!“ Dabei zog sie die Augenbrauen noch höher, so hoch, dass man Angst haben konnte, sie würden auf nimmer Wiedersehen in der Haartolle verschwinden.

„Ach Mammi, mach es doch nicht so spannend, sonst vergisst du vielleicht den Anfang wieder!“

Alle lachten laut, aber Marianne schwieg bedeutungsvoll und ernst, ging in feierlichen Schritten zum kleinen Sekretär am Fenster, öffnete die Lade und zauberte aus einem Stapel Papier einen sorgsam gefalteten Brief hervor.

„Voilà!“, schmetterte sie triumphierend hervor, hielt ihn dabei wie ein Beutestück empor. Es wurde still im Wohnzimmer und spürbar prickelnd, wie ein unbekannter Duft, verbreitete sich Spannung, aber auch Ehrfurcht. Dieser Ausruf nämlich, war der erste zusammenhängende an diesem Abend, in Form eines bedeutsamen Wortes: “Voilà! „Ein Brief v.. Pie... Er bittet… uns zu Weih…“, fuhr Marianne triumphierend fort, wurde aber nun ungeduldig, doch freundlich, von Eugene unterbrochen.

„Ach Haase, lass mich doch besser vorlesen! Es wird ja sonst zu spannend. Wir wollen hier alle ganz schnell wissen, was mein Bruder schreibt. Der Brief kommt ja schließlich nicht vom anderen Stadtteil, sondern aus dem schwärzesten Afrika!“

Und ohne weiter abzuwarten, entwand er ihr sanft den Brief, holte eilig die Brille und las nun ohne Umschweife vor:

MBantanga, 15. November 1997

Lieber Bruder, liebe Marianne und kleine Elena!

Solange haben wir jetzt nichts mehr von einander gehört, was ich sehr schade finde und denke, dass wir das ändern sollten. (Das hat übrigens der Familienrat gestern beschlossen, Vorsitzende ist da jetzt unsere kleine Fleur!)

Vorab noch: iich hoffe, euch geht es allen gut und ihr seid gesund! Elena kommt fleißig in der Musikhochschule voran? Unsere Fleur denkt sehr viel an sie und redet ständig davon, ihre Cousine bald wieder zu sehen. Und da sind wir auch schon beim Thema. Ihr wisst ja, dass ich nicht lange um den heißen Brei rede (Du, lieber Eugene, bist da ja etwas diplomatischer!!). Also wie gesagt, in einem Familienbeschluss haben wir diesen Wunsch zusammengefasst: Kommt doch bitte nach M’Batánga und lasst uns Weihnachten zusammen auf unserer Farm feiern. Es sind fast sieben Jahre vergangen und ihr fehlt uns sehr. Fleur hat große Sehnsucht danach, mit Elena zusammen Musik zu machen und TiKai möchte unbedingt mit Marianne wieder Zouk tanzen und du, lieber Eugene, musst meinen kleinen Exoten-Zoo auf Trab bringen. Ruanda und Hamid werden dir dabei helfen ‒ ich soll auch die Grüße nicht vergessen. Hiermit abgehakt.

Ich hoffe, Marianne hat inzwischen ihre Angst vor unserem „freilaufenden„ Groß-Park ein wenig in den Griff bekommen? Es werden nachts sicherlich keine Löwen mehr um die Farm, oder ihre Lodge schleichen, wir passen alle auf!

Der Park ist richtig schön geworden, aber verdammt viel Arbeit. Viele meiner Wildhüter haben Angst hier ohne Waffen raus zu fahren, aber du weißt ja, dass dies meine erste Devise ist, nur zum Schutz der Tiere. Zurzeit arbeiten wir noch hart gegen die schlammigen Wege, aber in drei Wochen wird alles begehbar sein.

Afrika zu dieser Jahreszeit- nach dem großen Regen- wird nicht zu anstrengend für Euch. Es ist noch nicht zu heiß, die Luft ist klar.

Jetzt hoffe ich,. dass der Brief nicht solange unterwegs ist und vor allen Dingen hoffen wir alle auf eure positive Antwort, sodass wir uns auf ein schönes Weihnachtsfest freuen können.

In Liebe

Euer Pierre, Eure TiKai und Fleur

À bientôt!

Bedeutungsvoll schaute Eugene in die Runde und trank dann sein volles Glas in bedächtigen kleinen Zügen leer. Außer dem Schlucken hörte man nichts im Raum, alle schienen ganz vertieft in eigensten Gedanken. Miefke sah mit schräg gelegtem Kopf erstaunt von Elena zu Eugene und wieder zu Elena. Marianne war aufgestanden und deckte Rin-go-go leise zu. „Schön schlaaaa.. mein Lieb….!“

„Schöööö schöö schlaa aa aa!“, äffte der Papagei stotternd in Mariannes träger Stimme nach. Doch diesmal lachte niemand.

Abel fasste sich als Erster. „Das ist ja mal eine feine Sache! Afrika, wilde Tiere! Das ist doch was für Dich Eugene! Und Elena sieht endlich ihre geliebte Cousine Fleur wieder. Ihr habt doch erzählt, sie sei ein rechter Wildfang, genau das Gegenteil von Elena. Marianne tanzt mit ihrer Schwägerin und ich komme später nach!“

Begeistert schlug sich Abel auf die Schenkel und schaute erwartungsvoll in die erstarrte Runde.

Nur Elena hatten die letzten Worte zum Leben erweckt. Und zwar recht abrupt. „Wieso möchtest Du nachkommen? Das ist doch ein reines Familientreffen!“, bemerkte sie spitz, und schaute haarscharf an ihm vorbei.

„Eben deshalb!“, konterte Abel schnell und etwas leiser. „Ich möchte, dass du mich endlich dazu zählst, das kann doch nicht so schwierig sein?“

Abel wirkte zwar relativ ruhig, doch an seiner linken Wange pochte es heftig. Elena tat es nun doch wieder leid, so direkt gewesen zu sein. Man merkte ihr an, dass sie diesen sanften und geduldigen Mann zwar sehr mochte, aber in ihrer unausgeglichenen Jugend noch nicht im Geringsten bereit war, für ein wenig Anpassung. Nun war auch Marianne wieder etwas munterer geworden und warf einen strafenden Blick auf Elena. Die robbte ein wenig aus dem Hundekörbchen hervor, griff Abels Hand und drückte sie leicht.

„Entschuldige, es ist nicht so böse gemeint, wie es sich vielleicht anhört. Ich bin nur noch ein wenig überdreht wegen des Konzerts. Mach ich ja schließlich nicht alle Tage. Und du gehst mir auf die Nerven, weil du dich vorhin ziemlich eigennützig über meine Gefühle hinweg gesetzt hast! Und jetzt bestimmst du einfach, dass du mitkommst!“

„Schon gut, Lenchen. Tut mir wir wirklich leid, ich werde mich bessern!“

Klugerweise ließ Abel die Sache auf sich beruhen. Er drückte zart ihre Hand und hauchte einen vorsichtigen Kuss auf den Handrücken. Doch Elena blieb verstimmt.

Auch Marianne, die das junge Paar ziemlich unglücklich beobachtete, hielt sich zu dem anhaltenden Gezänk diplomatisch zurück, auch zum Thema Afrika-Reise. Mit zierlichen Schritten glitt sie stattdessen durchs Zimmer und schenkte mit einem unverbindlichen Lächeln überall nach. Elena kaute an der Unterlippe und ließ Miefke in den zweifelhaften Genuss heftigen Kraulens kommen. Abel drehte versonnen am Glas und schien düster seine Zukunft aus den schwach perlenden Blasen zu lesen; Eugene kaute den frischen Tropfen kräftig durch, schluckte ihn dann auf einmal hinunter und schlug sich freudig auf den Schenkel.

Marianne nippte ein wenig an ihrem Glas und meldete sich kurzentschlossen zu Wort.

„Im Prinzzzz… fin.. ich das ei.. schöne Id... Ich wü… mich wahnssss.. freuen alle wied.....“ Nach einer kleinen Pause setzte sie einen Schlusspunkt ihrer Einstellung zur Reise. „Ihr wissss.. ja al.., dass ich d.. tropische Klim.. mi.. der hooo.. Luftfeuchtig.. ni.. vertra…. Und außerdd.. ist Afrika ni.. mein…..Diiin.. Lassss.. uns doch lieee… nach Norwe…..“

Aber dazu meldete sich jetzt Elena entschieden zu Wort. „Ich würde so gerne Fleur wieder sehen. Ich denke fast täglich an sie. Aber dieses M’Batánga hat soviel Unübersichtliches. Für mich ist Afrika mit purer Aufregung verbunden, auch mit Angst, genau wie bei dir, Mami.“

Eugene war nun aufgesprungen. Er schien vergnatzt. „So wie es aussieht wäre ich der einzige aus der Familie, der von diesem tollen Angebot Gebrauch machen sollte. Na großartig, meine verwöhnten Frauen! Was muss man euch denn noch bieten, dass ihr mal zufrieden: ‚ja gerne’ schreit?“

Mit gerunzelter Stirn musterte er kurz die Runde und schenkte sich noch mal randvoll nach, was ein missbilligendes, langgezogenes Räuspern Mariannes nach sich zog. Nun lag auch ihr hübsches, rundes Gesicht ‒ in dem sonst alles äußerst freundlich, glatt und zufrieden glänzte ‒ in schmollenden Wölbungen und drohenden Fältchen.

Abel hatte trotz Zänkerei, nur Augen für Elena. Er wirkte hilflos, so zwischen den Stühlen und fünf weichen Kissen. Würde er doch am liebsten dieses geliebte Wesen an sich drücken und fest halten, das stand klar und deutlich in seinen blauen Augen. Aber genau das wäre für Elena sicherlich das i- Tüpfelchen, unerträglich! Und dazu wäre dieser brisante Augenblick hier im elterlichen Wohnzimmer, gelinde ausgedrückt, undiplomatisch. Nun musste er fast schmunzeln bei dem Gedanken, wie empört und in welcher Höchstgeschwindigkeit sich Elena in dieser Situation von ihm befreien würde und wie schnell er wohl auch von den Eltern, die ihn zwar sehr mochten, trotzdem eins aufs Dach bekäme. Warum bloß sind Wünsche so verzaubernd, wenn sie unerreichbar und warum bloß sind sie, wenn erreichbar, meist so entzaubernd? Diese deprimierenden Fragen jedoch, spülte Abel mit einem großen Schluck Champagner herunter und schaute wie auf Antwort wartend, auf seinen unerfüllten Traum.

Elena schaute wehmütig zu den Eltern. Nicht nur, dass das schöne Konzert vergessen war, es machte sich obendrein rechte Missstimmung breit, die grade einen unerwarteten Höhepunkt erreichte: „Schei- ei- eis- sse!“, pipste es schläfrig aus dem Käfig und beschrieb die Situation äußerst treffend. Abel grinste, aber sonst wurde die komische Situation ignoriert, es lachte keiner.

Stattdessen schoss Eugene wie vom Blitz getroffen zum Vogelkäfig, schmiss das Schlaftuch weiter drüber und wetterte laut durch das Gitter: „Wirst du endlich mal verdammte ganze Scheiß-Sätze sprechen! Das heißt ’Scheiße’, hörst du! ‚Scheissseee!’“

Damit war allen Anwesenden klar, wie sehr das Gestotter eines Menschen, nach 20 Jahre Ehe und phlegmatischer Anwendung eines im Prinzip wunderbaren deutschen Wortschatzes aus dem Munde einer ‚maulfaulen’ Ehefrau, in Rage bringen konnte. Mit besorgten Blicken fragten sich die Anwesenden, was wohl folgen würde…

Hip-Hop am 8.42° Noerdl. Breite ~ 20.64° Oestl. Länge

Im Norden der afrikanischen Äquatorialschwelle, erstreckt sich eine schier endlos scheinende Feuchtsavanne. Alle sechs Monate gibt es meist leichten, aber steten Niederschlag, aus dem sich mannshohe Gräser und Schilfinseln entwickeln. Die Regenzeit zeigt sich dicht und grün in Laub, herzhaft bunt in Blüten, klar in der Luft. Undurchlässiges Buschwerk zieht sich im Anschluss bis hin zum immergrünen Regenwald und dient als Versteck von Raubkatzen und anderen schleichenden Jägern, die aus dem Wald kommen. Auch der nachfolgende, lichte Wald, der baumspezifisch die vier Jahreszeiten nachvollzieht, bietet da reichlich Unterkunft und Nahrung. So gibt es zugleich Frühjahr-, Sommer-, Herbst- und Winterzeit. Das heißt, unterschiedliche Bäume blühen, tragen Früchte, werfen Laub ab zur unterschiedlichen Zeit. Doch dieses Nord-Savannen-Mosaik ist nicht Natur gegeben, sondern das Ergebnis menschlicher Eingriffe: Feldbau durch Brandrodung und systematisch angelegte Savannenbrände, die meist der Jagd dienen. Genau genommen wird beim Brand ja nicht gejagt, sondern das verstörte Wild wird auf der Flucht vor den Flammen in langen Netzen eingefangen und dann langsam getötet ‒ meistens mit einem stumpfen Messer. Es wird solange an der Kehle herum gesäbelt, bis sie endlich durch geschnitten ist. Manche Tiere flüchten in Panik vor den Menschen in die Flammen zurück, wo sie elend zu Grunde gehen. Jungtiere haben überhaupt keine Chancen. Auch die fremdartig wirkenden Termitenbauten, die sich aus der Savanne heben, wie abstrakte, rote Bauwerke von einem anderen Stern, brennen fast bis in die untersten Geschosse aus. Ein ziemliches Dilemma im nährstoffarmen, ausgelaugten Boden, denn die organischen Pflanzenstoffe, die von den Termiten im Innern ihrer Nester zusammengetragen werden, begünstigen die Entstehung der Bäume. Hier werden auch in einer anderen Art Symbiose, die von Elefanten abgerissenen Äste entwurzelter Bäumen, weiter verarbeitet und zersetzen sich dann. Eine natürliche Düngung findet statt, in der sich wiederum gerne Pilzgärten ansiedeln, die Feuchtigkeit aufsaugen und somit im Termitenbau für ein ausgeglichenes Klima sorgen. Besonders wichtig ist für den Termitenbau, dass sich dort gern Pilze ansiedeln und somit diese Bauwerke belüften und die Innentemperatur beständig auf 30 Grad Celsius halten. Anderseits können sich dort wieder die verschiedensten Gräser entwickeln. Ein ewiger Kreislauf, den man mit allergrößter Bewunderung beobachten kann.

Die brennende Savanne ist aber auch ein Kampf gegen die Tse Tse Fliege, dient außerdem der Vernichtung von welkem Altgras und somit der Neuschaffung frischen Weidelandes. Die schönen, mächtigen und breitfächrigen Baobab-Bäume, die auf so vielfältige Art genutzt werden in der trockenen und glühend heißen Savanne ‒ auch von Tieren ‒ brennen dabei noch wochenlang vor sich hin, wie glühende Mahnmale gegen schwefelnde Menschenhände.

Von hier oben, an der nördlichen Grenze zum Tschad, der nord-östlichen Grenze zum Sudan, an diesem 8.42° Breiten- und 20.64°Längengrad, in der kleinen Stadt

Ndélé, sind es nur 35 Kilometer zum Nationalpark Manovo ‒ La Gounda. 32° Hitze und 85% Luftfeuchtigkeit, heute am 29. November 1997, 15h auf der Farm M’Batánga in der Provinz Bamingui-Bangoranio. In diesem kaum besiedelten und unzugänglichsten Savannen-Gebiet der Republique Centrafricaine, bewirtschaftete Pierre Larousse, Gründer der M’Batánga-Farm, acht Touristen-Lodgen und seine kleine, lebenslustige Familie. Außerdem war er und das stand an aller erster Stelle seines Lebens, Direktor des umgebenden Naturparks ‚Manovo-Gounda St. Floris‘. Tiere, Tiere, Tiere…. bis hin zum braungrünen Mistkäfer, dem Öko-Gärtner der Savanne. Den mochte er besonders, hatte gestern erst die vielen frischen Pflänzchen, die aus den vergrabenen Mistkugeln wuchsen, bewundert.

Eigenwillig wie sein roter Schopf, ausgemergelt, aber zäh wie die umliegende Savannenlandschaft, regierte er seit 15 Jahren ohne Anwendung von Waffen oder Gewalt im Park, der im Volksmund „La Gounda“ genannt wurde. Der Park war sein Ein- und Alles. Und mit jugendlichen vierzig Jahren wurde Pierre von den Einheimischen als ‚alter Grüner‘ belächelt aber auch anerkannt als Naturschützer. Afrikaner kennen die Grüne Partei „La Mouvemente Verte“ nur als Farbenspiel auf Plakaten.

Trotz seiner allgegenwärtig rauschenden Engelsflügel, war Pierre auch ein Draufgänger, dessen Lebensart unter dem Motto stand: Top oder Hop. Nur ein scheinbarer Widerspruch, denn er war einer dieser seltenen Menschen, die mit der Gabe gesegnet wurden, biblische Geduld erfolgreich mit verwegenen Aktionen verbinden zu können. Mit zu dieser Devise gehörten seine junge, entzückende schwarze Frau TiKai, Schutzheilige der familiären Fress- und Verwöhnanfälle und ihre gemeinsame 18-jährige, quirlige Tochter Fleur, die sich meist im Rhythmus von Rap-Sounds vorwärts bewegte, oder überraschend seitwärts. Außerdem dabei, eine handvoll einheimischer, schwarzer Ranger, die mit ihren Familien auch ein wichtiger Bestandteil der kleinen Larousse-Dynastie waren. Denn dazu zählten auch noch Tontons et Tantines….

Die M’Batánga-Farm mit den sich halbkreisartig anfügenden Touristenlodgen lehnte sich unauffällig an die Buschlandschaft an und sogar das längliche Wohnhaus aus verwaschenen Ziegeln und altem Holz sah aus, als wäre es vor vielen Jahren mit den dornigen und zerzausten Dragonerbäumen aus der Erde gewachsen. Eine fuchsia-farbene Bourgonvilla umschmiegte das Haus seitlich mit armdickem Ästen, bis hin zum Dach. Vor der weit geöffneten Haustür lagen auf dem schattigen, kühlen Zementboden zwei müde Faulenzer. Den Zweiten, eine kleine Manguste, Bimbo Schleicher aus der Savanne, sah man erst auf den zweiten Blick. Sie hatte sich dicht an die Flanke der bunten Mischlingshündin Nessie geschmiegt und ihre spitze Schnauze mit den langen Schnurrhaaren tief in deren Bauchfalte vergraben. Nessie lag, einem zu lang gegarten Braten gleich, auf dem Rücken, dampfend, mit weit auseinander geklappten Beinen, Lefzen, deren rosa Innenseiten zu Boden gefallen waren. Ein völlig entspanntes, geöffnetes Maul erleichterte den Zugang für Mücken, die ab und an trägen Auges, von Schleicher Bimbo Mangoustino beobachtet wurden. So gesehen, könnte man meinen, diese beiden Penner könnten nicht bis drei zählen und seien in der glühenden Hitze jeder Art von Hirn beraubt. Hier aber würde jeder ahnungslose Betrachter gewaltig irren….

Aus offenen Fenstern, aus welchen blütenweiße Vorhänge flatterten, klangen leises Klappern, Küchengeräusche und ab und an ein paar afrikanische Sangho-Wortfetzen, ein Frauenlachen. Friedlich und ruhig war es hier, der Duft nach frischem Brot und Kaffee rundete den Eindruck ab. An den Hauptbau siedelten sich mit weiten Zwischenräumen, acht rundbauchige Lodgen an. Aus starkem Holz und nur mit Zementböden grundstrukturiert, bambusverstrebten Türen und Fensterrahmen mit verblichenem Schilfgras gedeckt, sahen sie ausgesprochen exotisch aus. Als Fenster dienten längliche Öffnungen, in die festes Moskitogitter eingelassen war. Kletterpflanzen mit großen gelben Trichterblüten, bedeckten Dächer und teils auch den harten, staubigen Boden. Hier, im unteren Teil, wurde allerdings heftig mit Macheten zusammen gestutzt, damit sich keine Schlangen heimisch fühlten. Grade zur Regenzeit und wenn die Lodgen nicht durch Gäste besetzt waren, kam dies häufig vor. Beliebte, kuschelige Plätzchen waren unter dem Dach oder unter dem Boden. Sogar die gelbe Mamba hatte hier schon mal ihr Winter-Nickerchen gehalten. Die Ranger ließen sie schlafen, legten ihr aber Nahe, in vier Wochen zu verschwinden…

Die vier, ungefähr 80 Meter hohen Dragonier-Bäume standen bereits in voller Blüte und lockerten die Zwischenräume der Lodgen auf. Ihr filigraner Schatten lag angenehm kühlend über dem sauber gefegten Innenhof, in dessen Mitte ein offener Bambus-Pailotte stand. In dieser Pergola traf man sich gern zum Drink. Sonst zum Grillen an der Steinmulde daneben. Ein paar Meter weiter, auf der kleinen Anhöhe, hatte man durch zwei majestätische winkende Voyageurpalmen hindurch, einen herrlichen Blick auf den entfernten, glitzernden Fluss Kotto, auf die schmalen, hellgelben Sandbänke und ‒ wenn man gute Augen hatte ‒ auf die dösenden Flusspferde. Und bis dahin sah man über ewig weite Savanne, die mit stündlich wechselndem Farbspiel ein erdiges, geheimnisvolles Afrika zauberte und dieses manchmal auch mit recht fremdartigen Lauten füllte.

Hier, an diesem göttlichen Platz, lebte kein geringerer als Josef von Eichendorf:

Und meine Seele spannte

Weit ihre Flügel aus.

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.

So war es mit gebrannten Buchstaben auf einem verwitterten Holzschild zu lesen, das windschief an einer Palme hing. Im krassen Kontrast zu der schönen deutschen Lyrik, dröhnte von weiter drüben, dem ölverschmierten Vorplatz der flachen, langen Garage neben dem Haus: ,Death Certificate’ von ICE Cube aus einem Getto-Blaster. Es schien als spielte das Radio für sich ganz alleine, als einziges angetan von dieser subkulturellen, afrozentrischen Musik in ihrer ‚Peace- Love-, Unity and Having-Fun’- Philosophie.

Im Fuhrpark vor der Garage bewegte sich rein gar nichts, außer flirrender Hitze, die in transparenten Schichten bis hinaus zur Savanne brannte. Die Luft stand recht stramm, die Sonne sengte sich erbarmungslos mit hauchdünnen Rauchfahnen hindurch. Schier unglaublich, aber man sah sie vereinzelt, bläulich züngelnd im Gegenlicht, bei fast 45 Grad. Zwei alte Pick-Ups in Tarnfarben dösten mit weit geöffneten Türen, ein Rover mit zerschlissenen Sitzbänken sah mit blinden Scheinwerfern Richtung Fluss und ein zickiger, aufgebockter Toyota wartete anscheinend auf Zuspruch für eine flotte Beschleunigung oder so. Stapel alter LKW-Reifen, verblichene Klappstühle und bunte Benzinfässer, gaben dieser leicht verrotteten Kulisse den Anschein, dass hier vor langer Zeit toll was los war.

Doch plötzlich ertönte unter dem ersten Pick-Up eine helle Stimme: „Hey Ruanda ‒ s’il te plait…“

Anscheinend gehörte sie in irgendeiner Form zu den langen Beinen, die unter dem Wagen hervorschauten. Mädchenbeine offenbar: zarte Haut mit rosa Sommersprossen-Konfetti übersät, steckten in derben Canvas und seitlich zierte ein fetter Ölfleck diese seiden-schimmrige Wade.

„Ruandaaaaaa!“, schrie es wieder unter dem Wagen. Doch im himmlischen Oberrap: „him da- holy hip, daddy death…“ ging das alles unter. Fluchend robbte jetzt ein rothaariges, verschmutztes Wesen unter dem Chassis hervor, in kurzen Hosen und rissiger bunter Bluse, ein Wesen, das man mit etwas positiver Fantasie als gut gebautes, und mit noch mehr Fantasie, als sehr hübsches Mädchen erkennen könnte.

„Ruanda, ich brauche deine Hilfe!“, ertönte es noch einmal brüllend laut, anstatt dass die Musik leiser gestellt wurde. Die Stimme gehörte zu Fleur, der Tochter des Hauses. Wie es aussah brauchte sie tatsächlich dringend Hilfe beim Abdichten der Ölwanne: ihre Haare glänzten im satten Ton dunklen Alt-Diesels und auch an den Hosen waren unübersehbare Spuren von Rost und was sonst noch so lose an einem alten Auto herum hing. Das teure Mineral lief in breiter Lache in den roten Sand. Hastig schob Fleur noch eine Blechschüssel unter das Leck. Bei der letzten Patrouille hatte sie sich die Löcher eingefangen. Einmal zu lange der Löwendame mit den zwei Jungen nachgeschaut und schon saß sie auf Steinbrocken auf, den zwei einzigen auf dieser Strecke!

Hinter ihr ertönte es freundlich: „Madame Fleur, je suis la!“ Ein großer Schwarzer kam jetzt in leicht gebückter Haltung schleppenden Ganges aus der Garage. Bedächtig wischte er sich über die Augen und gähnte herzhaft. Das Ende einer Siesta. Feixend zeigte er auf den Blaster am Tor.

„Du mit deiner Musik! Da kann man ja nichts hören.“ Liebevoll klopfte seine faltige Hand auf ihre Schulter. Diese Falten waren so dünn, so von der Sonne ausgelaugt, dass man erwartete, sie würden bei Bewegung knistern. Taten sie aber nicht. Nach einem kurzen, fachmännischen Blick unter das Auto, kam die knappe Aussage: „Ausbauen, schweißen!“

Auf Ruandas gutmütigem Gesicht perlten sich an Schläfen und Oberlippe, Schweißtropfen zu kleinen Rinnsalen, die sich zu einem weitläufigen Feuchtgebiet am Hals vereinten, um dann im olivefarbenen T-Shirt zu versickern. Als er sich jetzt mit einem zerknitterten Tuch aus der Hosentasche den Schweiß vom Gesicht wischte, zogen sich gleichmäßige Spuren von Ruß und Schmiere über Stirn und Wangen, sodass er eher einem aufrührerischen Rebellen in Tarnfarben, als einem gutmütigen Ranger glich.

Fleur lachte laut heraus und zeigte auf den dreckigen Lappen. „Ach lieber Ruanda, ohne die Kriegsbemalung im Gesicht gefällst du mir eigentlich besser!“ Sie knuffte ihn in freundschaftlicher Zuneigung in die Seite.

„Da stehen wir uns in nichts nach: wenn du nicht diese scheußliche weiße Farbe überall hättest…“, konterte er und musterte sie belustigt von oben bis unten.

Sie deutete auf all die Öllachen, das Auto machte ihr Sorgen. „Na gut, das musst Du dann machen. Hast Du Zeit? Wir müssen spätestens morgen mal an die obere Grenze fahren, ich hab da ein ganz ungutes Gefühl. Mir war so, als hätte ich Schüsse gehört. Schnellfeuergewehr. Aber hoffentlich habe ich mich da getäuscht. Die dicke Giraffe dort müsste inzwischen auch gekalbt haben. Da muss Papa aber mal nachschauen!“

Fleur strich sich geschäftig die letzten ungeölten, rotbraunen Haare aus dem Gesicht ‒ ein Gesicht, das sich in ungewöhnlicher Ausstrahlung mit Leidenschaft und purer Unschuld zeigte. Auch die honiggoldenen, strahlenden Augen waren mindestens einen dritten Blick wert. Winzige Schweißperlen glänzten auf ihrer Oberlippe und auch die durchgeschwitzte Bluse zeugte von der starken Hitze, obwohl es nun schon Nachmittag war.

Die afrikanische Glut hielt hier in der Savanne lange an. Sie glühte nach. In der Erde hätte man noch lange Brot backen können. Erst der Abendwind vom Westen würde Kühlung bringen und Bewegung in die erstarrte Lebensvielfalt und dann, erst viel später, schickte der Sichelmond in seiner kalten Klarheit, weißes Licht dem täglichen Hitzeflimmern hinterher. Dann, durch den Morgentau in seinem Glitzer-Schimmer, würde sich das Bild von neuem, zu einem verheißungsvollen Tag verklären.

„Schüsse?“, wiederholte Ruanda ungläubig in das Hip-Hop-Getöse hinein. „Das wäre ja furchtbar!“

Fellnase Nessie schlich sich müde in das Geschehen ein, schaute kurz, warum hier besorgte Töne laut wurden, blinzelte wohlwollend in die Runde und schmiss sich mit einem lauten, aus tiefstem Brustkorb herauf gestöhnten: „Pfffrrrrhhhhhhhh“ auf den heißen Steinboden, genau zwischen die Gesprächsrunde. Unglaublicher Weise gab es Wesen, die noch bei 39° im Schatten Wärme suchten!

Nachdenklich wog Ruanda den graulockigen Kopf hin und her, als quäle ihn etwas. Dann nickte er kurz. „Also gut, Fleur! Eigentlich wollte ich es Dir nicht sagen, aber vielleicht ist es doch besser: Hamid und ich haben bei der Kontrollfahrt am westlichen Grenzgebiet eine Ansammlung von bewaffneten Männern beobachtet, gestern Abend. Ich habe auch schon gehört, dass wieder Rebellen-Gruppen vom Sudan unterwegs sind. Aber die werden doch nicht bis in den Park kommen?“ Ruanda schaute besorgt zu Fleur.