Tränen am Oubangui - Cornelia Canady - E-Book

Tränen am Oubangui E-Book

Cornelia Canady

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Beschreibung

Die Tierfotografin Julia wird von zwei befreundeten Wissenschaftlern zu einer Expedition ins noch unerforschte Kongobecken überredet. Dort wird ihr Mut auf schwere Proben gestellt: Sie begegnet steinzeitlich lebenden Pygmäen, erlebt in gefährlichen Situationen die wilden Tiere des Djungels, verfällt dem Vodoo-Zauber – und sie trifft Tahim, den Mann ihrer Träume, dessen exotische Sinnlichkeit ihr ganzes Leben verändert. Dieses Buch ist Abenteuerroman und Biographie zugleich – in der Heldin Julia beschreibt die Autorin eigene Abenteuer, die Gefahren und das Glück, das ihr Leben in Afrika für sie birgt.

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Seitenzahl: 434

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Cornelia Canady

Copyright der E-Book-Ausgabe © 2012 bei hey! publishing

Originalausgabe © 2000 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Umschlaggestalltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-942822-02-2

1

Glück ist der Stuhl, der plötzlich da steht, wenn man sich gerade zwischen zwei andere Stühle setzt. Ich hatte ihn getroffen, saß nun fest darauf und bewegte mich zügig in Richtung Linz. Dabei dachte ich an Afrika, an Bangui, diese unbekannte Stadt am Regenwald, zu der es mich nun verschlagen sollte; dachte an die verschiedensten Farben, an Palmen, Blüten, Hütten, Menschen, Tiere. Ich war voller Spannung und kontrollierte vorsichtshalber noch einmal die Tasche mit meiner Fotoausrüstung. Die große Chance für meinen ersten eigenen Fotoband war gekommen, und ich würde Aufnahmen von den aufregendsten Motiven machen, die einer Fotografin aus München-Giesing jemals vor die Linse geraten waren ... Pygmäen, Elefanten, Schimpansen, Löwen - gab es dort überhaupt Löwen?

Plötzlich empfand ich tiefe Dankbarkeit gegenüber Adalbert, dem österreichischen »Hofrat«, daß er mich zu dieser Urwaldexpedition überredet hatte. Eigentlich war Urwald - dampfendes grünes Labyrinth, wie ich es mir vorstellte -, nicht meine Sache. Aber Adalbert fand, wir sollten mit dieser Expedition in den Tropenwald am Oubangui einen Wunsch von Wolfgang, seinem tödlich verunglückten Sohn, erfüllen. In Wolfgang war ich sehr verliebt gewesen, und dann war er von einem Tauchgang nicht mehr zurückgekommen. Sein Tod hatte mich tief getroffen, und obwohl er fünf Monate zurücklag, erholte ich mich nur langsam von dem Schock. Doch diese Reise sollte mich auf neue Gedanken bringen.

Während der Zug sich der österreichischen Grenze näherte, sah ich Adalbert in seiner dünnen, grau schattierten Erscheinung vor mir, wie er mich vor einigen Monaten in seinem Naturkundemuseum mit Marillenschnaps und Mozartkugeln davon überzeugt hatte, daß meine Ängste vor dem Dschungel und seinen Bewohnern unangebracht seien. Natürlich hatte er mich bei meinem Sportsgeist gepackt, ich wollte nicht als typisch weibisch eingestuft werden. Also hatte ich das Angebot angenommen, seinen neuen Katalog zu bebildern. Er hatte nicht mit österreichischem Charme gegeizt und in den höchsten Tönen von meiner letzten Fotoausstellung geschwärmt. Ja, meine Vernissage mit den Obdachlosen-Porträts war ein großer Erfolg gewesen. Schließlich hatte mich auch mein Big Boss, »II Professore« vom Max-Planck-Institut, zu der Reise ermuntert und mir wichtige Informationen über Fauna und Flora im Regenwald mit auf die Reise gegeben. Großzügig beurlaubte er mich von meiner Arbeit im Fotoarchiv.

Die Fahrt verlief reibungslos. In meinem Abteil saßen zwei Amerikaner und ein Student aus Schweden; polnische Würstchen wurden von einem türkischen Kellner angeboten, und ein griechischer Schaffner knipste gerade meine Fahrkarte. Leichter Patriotismus überkam mich. München-Giesing war schließlich auch nicht übel.

In Linz wartete Inge, Adalberts Assistentin, bereits auf mich, und während die winterlich fahle Sonne in dem alten Bahnhof ausgerechnet auf meinen schäbigen Armysack fiel, rief Inge erstaunt aus: »Servus Julia, ist das etwa dein ganzes Gepäck?«

»Ja. Ich dachte, so könnte ich leichtfüßig und schnellstmöglich aus brenzligen Situationen flüchten.«

Inge umarmte mich. »Wenn dich der Pygmäenhäuptling jagt?«

»Zum Beispiel.«

Aufgekratzt fuhren wir zum Museum. Dort ging es hektisch zu: ein »kleiner Brauner« mit Schlagobers und letzte Kontrolle der Medikamente - Antihistamine, Fansidare, Penizilline, Antischlangendings, Malariapips und Pipapo. Ein bärtiger junger Mann tapste mit einem Schmetterlingsköcher zwischen der Ausrüstung herum und versuchte mit bärenhafter Grazie, die dichtgestapelten Tüten und Kartons zu umgehen. Gebannt sah ich zu.

»Das ist unser Biologe und Zoologieprofessor Nosbusch. Er reist mit uns«, erklärte Adalbert, dem plötzlich einfiel, daß wir uns noch gar nicht begrüßt hatten. »Entschuldige, Julia, aber die Hektik ...« Und er drückte mich eilig an seinen langen, hageren Körper.

Der Biologe hielt mir seine kräftige Hand entgegen: »Nenn mich einfach Nossi, okay?«

»Freut mich, ich bin Julia, das Greenhorn.«

Der Chauffeur kam, Gepäck wurde verladen, Inge weinte zum Abschied, und weiter ging es nach Wien.

Auf der Fahrt fanden wir endlich Zeit, uns in Ruhe zu begrüßen. Adalbert nahm mich väterlich in die Arme. »Ich freue mich so, daß du doch noch zugesagt hast. Du wirst sehen, daß deine ganze Angst unnötig war. Nosbusch kennt sich in Afrika bestens aus, und schließlich sind wir immer in deiner Nähe.«

Die letzte Bemerkung gefiel mir überhaupt nicht, und mir kamen wieder Zweifel. Hatte es eigentlich schon Expeditionen mit weißhäutigen langhaarigen Großstädterinnen auf Pygmäenjagd gegeben? Die beiden anderen waren zumindest Biologe, Ethnologe, Mediziner und »Hofrat«, ich hingegen war nur ein fotografierendes Greenhorn. Wenigstens sprach ich als einzige französisch - glaubte ich zumindest. Flughafen Wien, 18 Uhr, sechs mal acht Meter Rucksack, acht prall gefüllte Plastiktonnen und drei Meter mittelgroße Taschen standen vor uns, unser »Handgepäck«. Ich kannte bereits den Schmerz einer zehn Kilo schweren Tasche, die möglichst leicht und elegant am kleinen Finger baumeln sollte. Nosbusch hatte Erbarmen und verteilte sämtliche Rucksäcke am eigenen Körper. Sein Gesicht lief gerade blutrot an, als Adalbert ihm noch drei Taschen entgegenhielt. »Kannst du das noch umhängen, wir müssen sonst ein Vermögen für Übergewicht bezahlen.« Nosbusch sah so ratlos aus, daß ich ihm eine Reisetasche abnahm und zusätzlich über meinen Tragesack hängte. Das Gewicht zwang mich fast in die Knie. Bei der Paßkontrolle folgte uns ein spöttischer Blick ... Rucksacktouristen, aber man ließ uns hindurch.

Weiter nach Paris. Dort der Transitgang, nein, zurück, verdammt, die Zeit wurde knapp. Air Afrique, wo bitte, vite. Ahhh, am anderen Ende, Dauerlauf, schweißtreibende Kontrollen. Bei der Gepäckdurchleuchtung wäre ich beinahe auf dem Fließband mitgefahren, ein Riemen hatte sich an meinem Ärmel verheddert. Dabei sollten wir uns doch unauffällig verhalten wegen des ›Handgepäcks‹. Nosbusch schubste mich von hinten weiter, schob mich mit der einzigen unbepackten Stelle seines warmen Bauches voran, bis wir im Flugzeug endlich unsere Plätze erreichten.

Entnervt ließ ich alles zu Boden fallen und verschwand auf die Toilette. Die Schulter schmerzte, und ich entdeckte unter der Bluse einen dicken rotblauen Striemen, der sich bis zum Busen zog und tief ins Fleisch gekerbt hatte. Die Expedition hatte offensichtlich begonnen. Der Spiegel verriet mir mein gegenwärtiges Alter: der vergrämte Blick einer Mittfünfzigerin ... Ja, ich fühlte mich tatsächlich doppelt so alt, wie ich war. Sachte kühlte ich meine lädierten Körperstellen, versuchte mein Kostüm herzurichten, das einem frisch ausgewrungenen Scheuerlappen glich, und gesellte mich wieder zu meinen Begleitern.

Erschöpft fiel ich in den Sitz am Fenster und freute mich auf einen großen Drink mit klirrendem Eis. Ich spürte das Vibrieren der Motoren, und plötzlich wußte ich: Dies war der Anfang einer langen Geschichte. Afrika wartete auf mich mit vorschriftsmäßig blühenden Akazienbäumen, Sklaven, die mit Straußenfederfächern wedelten, untergehender Sonne am Ende eines langgezogenen Savannenpfades ... Regenwald mit Schmusekatze, Vanilleeis an Dschungelbeeren...

In der Morgendämmerung begann der Anflug auf Bangui. Abenteuer verhieß der Blick durch das Fenster: Tief unten dampfte der Urwald. Die Landung war so hart, daß Gepäck, Kartons, Tüten und Proviantreste in den Mittelgang stürzten. Dazu tönte aus dem Lautsprecher die samtige Stimme des Piloten: »Bienvenue à Bangui - Wir haben 41 Grad. Air Afrique wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt ...«

Auf der Gangway erstickte mich der erste Atemzug fast, schnürte mir die Kehle zu und war zu heiß für meine Lunge. Feuchtigkeit kroch mir in die Bluse, und im Nu war ich völlig naßgeschwitzt. Neugierig ließ ich die Blicke schweifen. Vereinzelte, ausgedörrte Palmlinge belebten das monotone Bild des verbrannten Geländes, aus dem sich der klotzige, verrottete Flughafenbau erhob. Die Hitze war so drückend, daß ich kaum atmen konnte. Das Gepäck wurde von schwarzen Uniformierten Stück für Stück durchwühlt und in einer fremden Sprache kommentiert.

Nosbusch kauderwelschte bereits mit einem Zollbeamten. »Julia, hilf doch mal. Ich glaube, er will wissen, was wir in der Zentralafrikanischen Republik Vorhaben. «

Nun kam die Stunde der Wahrheit, in der sich mein Schulfranzösisch bewähren sollte. »Mais oui«, entschlüpfte es mir fließend, und ich versuchte dem Menschen mit meinem schönsten Lächeln zu erklären: »Wir ... äähhh, bleiben im ähhh ... forêt... Urwald ... avec ... pygmées.«

Hilfesuchend blickte der Zollmensch zu einem Kollegen in Tipptopp-Uniform und schneeweißem Hemd. Ich vertiefte mein Lächeln. Da kam er auch schon und blickte auf meinen glänzenden Kugelschreiber.

»Pour vous, monsieur.« Mit diesem wunderbaren Satz schenkte ich ihm den Stift. »Bitte Nosbusch, kümmere dich um unser Gepäck, ich regle das hier schon.« Mir war es peinlich, daß er bei meinen weiteren Sprachversuchen zuhören würde, denn offensichtlich hatte ich das meiste vergessen.

Der Uniformierte begleitete uns freudig zur Paßkontrolle, und dann ging es zügig voran.

Ein gestreßter, völlig verschwitzter Mensch näherte sich uns, Felsfurch, der vierte Teilnehmer unserer Expedition. Er hatte sich bei unserer Begegnung in München bereit erklärt, die Verantwortung für diese Expedition zu übernehmen, allerdings unter der Voraussetzung, daß wir uns ausschließlich nach ihm zu richten hätten. Das machte ihn mir auf Anhieb unsympathisch, wie alles, was mich unter Zwang setzte. Seit langem lebte er schon im Lobaye-Gebiet bei den Pygmäen, zu denen er uns jetzt führen sollte.

»Ti lasso alingbi awe.« Er zahlte die Gepäckträger aus. Auf meinen fragenden Blick antwortete er: »Das heißt auf Sango: ›Es reicht für heute‹. Ein Satz, den Sie lernen müssen, Julia. Ihr solltet euch beeilen, wir haben noch viel zu erledigen.« Mit diesen knappen Worten brachte er uns zum Rover und bestätigte mich in meinem Gefühl, daß ich diesen Menschen nicht mochte. Er war mir zu rüde und autoritär.

Als ich einstieg, fiel mein Blick auf einen orientalisch wirkenden Mann auf der Straße, der lebhaft in einer Gruppe Schwarzer diskutierte. Ein faszinierendes, geheimnisvolles Gesicht. Unsere Blicke begegneten sich, und ich versank in den dunkelsten Augen, die ich jemals gesehen hatte. Ich konnte den Blick nicht von ihm lösen, mir war, als brannten meine Haare. Wie aber hätte ich erst reagiert, wenn ich geahnt hätte, wie sehr dieser Mann noch mein Leben beeinflussen sollte!

»Julia, geht’s dir nicht gut?« Adalbert sah mich besorgt an. Ich kam wieder zu mir. »Alles in Ordnung. Mich hat nur gerade ein geheimnisvoller Fremder in orientalische Gefilde ...« Ich brach abrupt ab, denn Felsfurchs eisiger Blick ließ mich erstarren.

Wir fuhren an dem bunten Treiben des großen Markts von Bangui entlang, der sich über einige Kilometer erstreckte. Schwarze feilschten um den Preis von getrocknetem Fleisch, das auf dem Boden ausgebreitet lag und von Schwärmen schillernder Fliegen bedeckt war. Aufgeschlitzte, blutige Affen lagen übereinander, Berge von leuchtenden Orangen, roten und gelben Pimentschoten, Gemüsesorten in allen Farben waren zu sehen; Stände mit zerlöcherten T-Shirts und gebrauchten Schuhen, Kisten mit Brillen, Medikamente in praller Sonne, Erdnüsse in Flaschen, Glitzerschmuck, falsche Haare, Brennholz, zerlumpte Kinder und Afrikanerinnen in bunte Tücher gewickelt, die ihre Habe in großen Körben auf dem Kopf balancierten. Über allem lag der Duft exotischer Gewürze. Begeistert nahm ich die neuen Eindrücke in mich auf.

Felsfurch richtete meine Aufmerksamkeit auf unser Tagesprogramm. »Zuerst müssen wir ins Ministerium, die Dreh- und Fotogenehmigung abholen, danach Proviant kaufen. Julia kann das ja machen, während wir den Rover zur Inspektion bringen, die Bremsflüssigkeit läuft aus.«

Adalbert und Nosbusch fragten fast gleichzeitig: »Und wie lange dauert das?«

»Woher soll ich das denn wissen? Ich stecke doch nicht drin«, erwiderte Felsfurch barsch. Sein Gesicht, das fast ausschließlich aus Längsfalten bestand, wurde noch etwas länger.

Die afrikanische Mentalität ermöglichte uns einen verlängerten Aufenthalt in dieser bunten Stadt, in der kaum Weiße zu sehen waren. Im Ministerium hatte niemand unsere Genehmigung gefunden, selbstverständlich würde das aber sofort erledigt. »Sofort« hieß hier »morgen«. Am nächsten Morgen hieß es »am Nachmittag«. Ich war froh über diese Verzögerungen, denn mich interessierte alles hier.

Mein Französisch entpuppte sich als ein Desaster. Doch als ich im Supermarkt einkaufte, bekam ich auf meine erste fragend vorgetragene Bestellung: »Cinq paquets de cigarettes?« umstandslos, was ich wollte. Begeistert fuhr ich in meiner Liste fort und orderte fünfhundert Büchsen Sardinen, fünfzig Büchsen Thunfisch und - da ich alles, was mit »fünf« anfing, so gut aussprechen konnte - weitere fünfzig Kilo Reis, fünfzig Tüten Kartoffelpüree, fünfzig Büchsen Tomatenmark, fünfzig Tütensuppen, fünf mal fünf Säcke Salz, fünfhundertfünfzig Teebeutel, fünfzig Päckchen Kaffee, fünfhundert Päckchen Kekse, fünf Säcke Zwiebeln, fünf mal hundertfünfzig Beutel Spaghetti, fünf mal fünfzehn Stück Seife, fünfzig Kartons Zucker, fünf Flaschen Palmöl ... Mein Verhältnis zu Zahlen war zugegebenermaßen immer schon schwierig gewesen. Beim Zahlen mit all den bunten Scheinen, die Felsfurch mir gegeben hatte, dachte ich mir noch nichts Böses. Als aber der Boy die Proviantkisten ins Auto lud, kam mir die Menge übertrieben vor. Andererseits sollten wir für sechs Wochen versorgt sein. Für einen Umtausch war es nun zu spät, außerdem wußte ich nicht, was »Umtauschen« auf französisch hieß.

Felsfurch beobachtete mißtrauisch, wie die Kisten eingeladen wurden. »Geben Sie mir das Restgeld zurück?« Erstaunt sah ich ihn an. »Welches Restgeld?«

Er preßte die Lippen zusammen. »Von dem Geld sollten noch der Rover überholt und die Gaskartuschen gekauft werden«, antwortete er mit drohendem Unterton.

In schlechter Stimmung und brütender Hitze wurden wir im Hotel abgeliefert. Der deutsche Botschafter hatte uns eine Einladung zum Dinner hinterlassen. Bis dahin hatten wir glücklicherweise genug Zeit, um uns von den Strapazen zu erholen.

Fast eine Stunde lang duschte ich mir den roten Staub und die vierzig Grad Hitze vom Körper, wusch meine langen Haare, sicherlich für lange Zeit zum letzten Mal. Liebevoll cremte ich dann meine geschundenen Schultern ein. Ich fühlte mich schlaff in diesen feucht-tropischen Temperaturen.

Im Rucksack fand ich, zerknüllt und kaum wiederzuerkennen, mein einziges Kleid. Ich zog es unter lauwarmem Wasser in Form und hängte es in den Wind. Noch Rouge und Lippenstift, und ich war zufrieden mit meinem Spiegelbild, das mich erwartungsvoll aus grünen Augen anblitzte. Doch schon klebten wieder die ersten kleinen Schweißperlen an meiner Oberlippe, und zwischen dem Busen bildete sich ein Rinnsal. Mißmutig beschloß ich, nochmals unter die Dusche zu gehen und die restliche Zeit unter dem wohltuenden Strahl zu verbringen.

Abends wurden wir von einem hochaufgeschossenen, blonden und blauäugigen Mann an der Rezeption begrüßt. »Gestatten, Hans Schnell, ich hoffe, Sie haben sich inzwischen von den ersten Strapazen erholt?« Ein charmantes Lächeln traf mich aus den Augen unseres Botschafters. Glatt frisiert, adrett und Ton in Ton gekleidet, stand er in strammer Haltung vor mir und musterte mich. Ein wenig zu direkt, fand ich, keine Chance, mein Lieber, du bist mir irgendwie zu deutsch in dieser exotischen Umgebung. Mir fiel der geheimnisvolle Fremde vom Flughafen wieder ein ... ich sah sein männliches, orientalisch wirkendes Gesicht mit den buschigen Augenbrauen ganz dicht vor mir, wir lächelten uns an ... Verträumt sah ich zum Hotelausgang auf die vorbeiziehende schwarze Künstlerschar, die verschämt ihre kleinen Holzfiguren zum Kauf anbot. Dabei begegnete ich den Blicken Adalberts, der gerade mein versonnenes Lächeln nachäffte, und ich kam wieder zu mir.

»Hatten wir schon Strapazen, Julia?« wiederholte er bohrend.

»Die einzige Strapaze, die ich hatte, war Monsieur Felsfurch.« Ich mußte lachen, als ich an diesen eigenartigen Typen dachte.

Wir machten uns auf den Weg. Das Restaurant war nur eine Straße weiter, und zwischen den morbiden, halb zerfallenen Häusern nahm es sich wie ein Luxustempel aus, eingerahmt von Mangobäumen, die voll satter, rotgoldener Früchte waren. Ich hatte einen Bärenhunger und bestellte alle vier Gänge, ohne zu zögern. Kaum stand die Vorspeise auf dem Tisch, machte ich mich auch schon über den gebeizten Fisch her, ein Capitaine, wie der Kellner erklärte, ganz frisch aus dem Oubangui. Einfach köstlich, dazu ein Glas Bourgogne und ganz schnell noch eins. Ich hatte überhaupt keine Ohren für die Unterhaltung am Tisch. Der zweite Gang kam, ein einheimisches Gericht, das ausgesprochen bemerkenswert war, klebrige Erdnußbuttersoße, sportliches Hühnchen in Palmöl, dazu als Gemüse gekochter Rasen. Und ein teuflisch scharfes Piment rouge, das mir die Luft abschnürte. Plötzlich war es still am Tisch, ich schreckte hoch und sah in sechs erstaunte Augen, die mich verblüfft musterten. Ich verharrte mit dem Bissen im Halse. »Habe ich irgend etwas falsch gemacht?«

Adalbert lachte schallend los. »Nein, das nicht, aber wir versuchen dich seit einer halben Stunde ins Gespräch einzubeziehen, du antwortest einfach nicht.«

Ich unterbrach ihn mit einem Hustenanfall und Tränen in den Augen. »Du siehst doch, daß ich gerade gegen die Pfefferschoten kämpfe, bin gleich dabei«, waren meine letzten Worte vor dem nächsten Hustenanfall. Entfernt hörte ich Herrn Schnell. »Ich bewundere Sie aufrichtig. Mit Sicherheit sind Sie die erste weiße Frau, die hier eine solche Expedition in den Urwald macht. Mich persönlich würden keine zehn Pferde in dieses Gebiet bekommen, außerdem traut man den Pygmäen ja alles Mögliche zu. Letztes Jahr sind ein paar Leute in dem Gebiet verschwunden.«

Plötzlich bekam ich wieder Luft. »Ich dachte, hier im Land sorgte ausschließlich der selbstgekrönte Kaiser Bokassa für Überraschungen, indem er weiße Babys zu Hauptgerichten verarbeiten ließ?«

Der Botschafter nickte leicht bedrückt. »Ja, das war tatsächlich eine schlimme Sache. Aber dieses Land hat für Weiße eine Vielzahl an überraschenden mystischen Traditionen. Auch heute noch tötet man kleine Kinder, um Herz, Hirn und Genitalien herauszuschneiden.«

»Na, Mahlzeit!« entfuhr es mir angeekelt, und ich legte geräuschvoll das Besteck auf den Teller. Wir saßen noch eine Weile zusammen, etwas träge, denn es war ein langer Tag gewesen.

Ich war froh, als ich endlich wieder im Hotel ankam. Müde, aber guter Dinge schrieb ich die ersten Eindrücke in mein Tagebuch. Doch dann zogen mich ein ferner melodischer Singsang und das leise Rauschen des Ventilators in abstruse Träume. Große Schlangen in Form von Mangofrüchten schillerten golden durch Urwalddickicht, schwarze Fliegen schwirrten um meine Füße, legten weiße Maden unter die Zehennägel, Flöhe, die über Kinderherzen hopsten ... pfui Teufel! Entsetzt fuhr ich aus dem Halbschlaf auf und suchte den Boden nach Ungeziefer ab.

Am nächsten Morgen waren wir endlich startbereit für unser Abenteuer. Alles war erledigt, und ein zweiter Rover voll Gepäck und Proviant begleitete uns, am Steuer ein gutaussehender Franzose, Francis, der mir freundlich zulächelte. Wir fuhren mit schnellem Tempo auf einer Straße voll tiefer Löcher, ließen Bangui hinter uns, und Simsalabim ... eröffnete sich vor uns eine Savanne bis zum Horizont. Hohes, verdorrtes, braungraues Gras, ein kleiner Weg, knorrige und zum Teil abgebrannte Bäume, die vereinzelt aus dem Schilf ragten, hohe Termitenbauten, die tiefrot und in gefächerter, übereinander geschichteter Form wie außerirdische Bauwerke aussahen. Rechts und links des Weges trugen Bantufrauen, schön und hoch gewachsen, in bunte Boubous gehüllt und auf deren tiefschwarzer Haut die Sonne golden glänzte, mit wiegenden Hüften ihre Lasten auf dem Kopf: Gemüsesäcke, große Blechschüsseln mit braunen Maniokknollen, gestapeltes Brennholz, Bananenstauden oder Wasserkanister. Mädchen mit stachelig hochstehenden Zöpfchen winkten johlend herüber. Bäume mit breitflächigen, orangefarbenen Blüten sausten an uns vorbei, flüchtende Ziegen und Hühner, die im letzten Augenblick über die löcherige Teerstraße rannten. Roter Staub hinter uns und Felsfurch neben uns, der, wie mir schien, kein Schlagloch ausließ.

Die Landschaft wechselte von graubrauner Dürre zu rotlehmigen Straßendörfern. Wir fuhren durch hohes Schilfgewächs, dann eine stark duftende Kaffeeplantage in weißer Blüte, immer wieder an Avocadobäumen vorbei und an vereinzelten Hütten, vor denen sich Männer träge in schiefen Stühlen lümmelten. Auf Holzgestellen wurden Zitronen, Papayas und Bananen angeboten. All diese schnell aufeinanderfolgenden sinnlichen Eindrücke gingen mir tief unter die Haut, und ich fühlte mich im Innersten berührt, als wäre ich endlich durch eine Türe getreten, die lange Zeit verschlossen war.

Am Horizont zog inzwischen schon die Dämmerung herauf, und in das Abendlicht mischte sich der Geruch von Holzfeuer. Frauen bereiteten das Abendessen auf kleinen Feuerstellen. Nun teilte sich die geteerte Straße in einen ausgefahrenen Schotterweg und in eine frische, rotsandige Trasse, gesäumt von breitfächerigen Musangabäumen, die den nahen Urwald ankündigten. Mir fielen all die Einzelheiten ein, über die ich in München gelesen hatte - Bäume, Bantu, Urwald, Klima und ich freute mich wie ein Kind, wenn ich Gelesenes in der Realität wiederfand, wie jetzt diese Bäume.

Felsfurch, immer noch gestreßt und mit grantigem Gesicht, erklärte uns: »Wir werden heute in einem Holzlager übernachten, einem alten Landhaus, das dem einflußreichsten Mann in Bangui gehört, außerdem steinreich. Er hat es uns zur Verfügung gestellt, als er von der Expedition hörte. Er selbst lebt in einer Prunkvilla in Bangui.«

»SALAND« las ich auf einem verwitterten Blechschild vor dem Holzlager, das sich da als ein Monsterwerk entpuppte mit Fabrikhallen, Lagern voller langer Holzblöcke, diversen Caterpillars und großen Lkws mit Hängern, Häusern, Hütten, kleinen Läden ...

»Ja, Julia, hier wird der Urwald in Scheiben geschnitten und mit ihm die meisten Wildarten«, klärte mich Adalbert traurig auf.

»Aber es wird doch wieder aufgeforstet«, belehrte ich ihn. »Schön wär’s. Das passiert leider nur auf dem Papier«, fügte Felsfurch erbost hinzu. »Hier ist es den Leuten völlig egal, ob der Wald gerodet und vernichtet und der Boden anschließend von Bauern abgebrannt wird, um Nutzland zu gewinnen.«

Plötzlich hüllte sich die Landschaft kurz in Lila, Rot... und dann war es schlagartig dunkel. Ich erkannte die Umgebung nur noch schemenhaft. Doch überraschend leuchtete nun fahles Mondlicht auf, und als Felsfurch in die nächste Kurve fuhr, sah ich den silbrig sich dahinschlängelnden Fluß mit leisem Plätschern über kleine Stromschnellen springen. Vereinzelte Fischerpirogen wurden lautlos durch eine dunkle Märchenwelt gepaddelt. Auf einmal war ich ganz sicher, daß hier mein Schicksal lag, irgend etwas würde geschehen ...

»Oh, wie schön!« Ich war begeistert, voller Andacht angesichts dieser einmaligen Schönheit in tiefer Stille.

»Das hier ist der Lobaye, ein Fluß, der vom Oubangui kommt und uns bis zum Kongobecken begleiten wird«, kommentierte Felsfurch verächtlich und ließ mich wissen, daß Oh-wie-schöns hier ihre Namen haben. Ich würde ihn ab jetzt nur noch den »Grantler« nennen, denn wie konnte ein Mensch so dauerhaft grantig sein, oder war er vielleicht krank?

Die Auffahrt zu einem Haus blitzte rotsandig auf, und ich erkannte die Umrisse einer traumhaft schönen Villa aus altem Holz, mit ausladender Terrasse, an der sich im Schein der Nachtleuchte violette Bougainvilleablüten emporrankten.

»Ist dies etwa das alte Landhaus, von dem Sie so beiläufig erzählten, und wenn ja, ist der Eigentümer Junggeselle?« wollte ich scheinheilig wissen.

»Ja, das ist das Haus, und der Eigentümer ist Junggeselle, ein Syrer, der seit dreißig Jahren hier im Lande lebt.«

Na ja, Orientale. Mit Sicherheit ein alter, dickwanstiger Typ, dachte ich, während ich ausstieg. Im selben Augenblick öffnete ein Boy sämtliche Türen des Hauses und der Terrasse und lud uns dann mit freundlichen Gesten ein näherzutreten. An einem angrenzenden Bambuswäldchen lag ein längliches Gästehaus, wohin ein anderer Boy das Gepäck der Männer trug.

Beeindruckt standen wir auf dem Vorplatz, der von rosa blühenden Büschen gesäumt war. Trotz der Dunkelheit war ein eindrucksvolles Panorama zum anderen Ufer erkennbar,

bis zum Dschungel: Geheimnis und pure Sinnlichkeit mit lockenden Rufen. Doch die Krone aller Sinnlichkeit bat uns nun in einen großen Salon, hieß Bilebou, war schwarz, trug eine weiße Schürze und hielt ein Tablett mit Rum, Campari, Souze, Mokafbier, Zitronen, Pernod, Whisky und Cognac. Bereits der Anblick tat gut.

»C’est une bonne idée, ça«, bedankte ich mich strahlend bei ihm, doch da bemerkte ich seinen irritierten Blick auf ... Nosbusch mit dem Schmetterlingsfänger. Ich mußte lachen. »Wirst du mit diesem Ding auch schlafen gehen? « wollte ich wissen.

Doch er fand das gar nicht komisch. »Wenn dem etwas geschieht, ist eine meiner wichtigsten Arbeiten in Frage gestellt.«

»Entschuldige, war doch nicht böse gemeint.« Ich knuffte ihn freundschaftlich. »Pour papillons«, fiel mir als Erläuterung zu dem Kescher ein, und ich nickte Bilebou zu. Der sah nur noch ratloser aus. Aber ich hatte keine Lust mehr auf Erklärungen, außerdem wollte ich meine Französischkenntnisse nicht noch mehr bloßstellen. Francis, der schmunzelnd zugehört hatte, erklärte die seltsamen Zusammenhänge von Kescher und Schmetterlingen, während ich mich auf einen Drink freute. Ich nahm mir ein großes Glas und aus all den schönen Flaschen je einen kleinen Schuß, dann das Eis, eine Zitronenecke und endlich den ersten Schluck. Wahoooo! Er kam sofort an ... der nächste und ein weiterer auch, und ich wollte gerade den anderen sagen, daß ich gern hier bleiben würde, da fiel ich auch schon von der Lehne, weich und fließend in die neue Welt.

2

Um vier Uhr morgens saßen alle im Rover, ich auch, wie man mir sagte. Mein Kopf dröhnte und paßte zu der frühen Aufbruchstimmung. Adalbert sah frisch gebügelt aus und freundlich, ich kuschelte mich leicht an ihn. »Wenn ich dich kurz aufklären darf, nachdem du uns gestern so frühzeitig verlassen und Felsfurchs Pläne nicht mitbekommen hast...«, eröffnete er mir. »Wir haben ungefähr drei Stunden Fahrt vor uns, dann geht es nur noch zu Fuß weiter.«

»Na, wunderbar, bis dahin bin ich wieder fit.« Erschöpft drehte ich mich zum Fenster und wurde an mageren Rindern vorbeigeschaukelt, an ein paar gaffenden Frauen, ich gaffte zurück. Ein schmaler Weg führte uns direkt in den Wald, der seinen kühlen Atem durch die Fenster hauchte. Die folgenden Wege wurden enger, Bäume standen dichter, die Erde sah schwarz und fett aus. Wir kreuzten eine fünfspurige Straße. Leise und verächtlich erklärte uns Felsfurch:

»Diese Trasse hier führt direkt in den Kongo und soll den Holzfällern den Wald öffnen. Über 150 Kilometer lang. Primärwald vom Feinsten. Stellt euch mal vor, wie vielen Tieren und Pflanzen durch dieses Projekt der Lebensraum entzogen wird. Sie verschwinden für immer von diesem Planeten.«

Plötzlich peitschten Äste auf die Windschutzscheibe. Wenn ein Weg zugewachsen war, tat sich irgendwie immer ein neuer Weg auf. Nach ein paar Minuten saßen wir jedoch endgültig fest, der Pfad endete in undurchdringlichem Dickicht. Man hörte fremdartige Geräusche und die vereinzelten Schreie eines Vogels. Hinter uns wurden Stimmen laut. »Tangueoghobo, hingo ... so nye ...«

Eilig warf Francis das Gepäck aus dem hinteren Rover, dann hupte jemand, und wie Geister wuchsen plötzlich braune, halbnackte Menschen aus dem Boden. Teilweise nur mit löcherigen Hosen bekleidet, standen sie in sicherer Entfernung, scheu und unbeweglich. Plötzlich traten sie zur Seite, und ein größerer Schwarzer kam in Shorts und T-Shirt auf uns zu geschlendert. Zum erstenmal zeigte Felsfurch so etwas wie Freude, zog die linke Mundhälfte nach oben, eineinhalb Zentimeter, und begrüßte den Mann, indem er ihm unaufhörlich die Hand schüttelte. Dann wandte er sich an uns. »Das ist Sabango, unser Dolmetscher, er hat uns die Träger hier mitgebracht.«

Gespannt sprang ich aus dem Wagen, begrüßte Sabango und fand ihn spontan nett. Unauffällig versuchte ich, die exotische Gruppe ins Auge zu fassen. Sabango rief den vier jungen Männern in einer gutturalen Sprache etwas zu, und sie kamen zögernd näher. Sie waren drahtig, nicht einmal anderthalb Meter groß, trugen einen Schamschurz aus dünner Rinde oder etwas Ähnlichem, und sie waren ziemlich behaart, sogar an den Oberarmen. Schöne, schräg stehende, dunkle Augen blickten aus aufgeschlossenen Gesichtern. Auch sie musterten uns verhohlen und luden dann vorsichtig die vielen Gepäckstücke in Tragegurten auf den Kopf und vor die Brust, bevor sie lautlos in den Wald verschwanden. Das waren die ersten Pygmäen meines Lebens, dachte ich, aber anscheinend auch die letzten, die ich sehen sollte, denn sie waren urplötzlich weg, wie vom Erdboden verschluckt.

»Habt ihr das gesehen, so schnell ist unser Gepäck weg«, wandte ich mich an Adalbert und sah, daß auch meine Leute inzwischen beladen waren. Felsfurch warf seinen Autoschlüssel dem Ersatzfahrer zu. »E k’i ri na ok’a an.«

Der sprang in den Wagen und rangierte mühsam herum. Niemand nahm Notiz von mir, statt dessen verschwanden Nosbusch, Adalbert und Felsfurch in der gleichen Richtung wie die Träger, und der Wald schloß sich lautlos hinter ihnen. Auch sie waren wie vom Erdboden verschluckt.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wurde aber bereits mit meinem Rucksack und der Kameratasche beladen. Der freundliche Francis verabschiedete sich von mir: »Also dann in sechs Wochen um sieben Uhr. Bonne chance.« Mit einem letzten bewundernden Blick auf mich sprang er in den Wagen und setzte ebenfalls zurück, dem anderen Rover hinterher.

Verdammt, ich war allein. In dem ganzen Aufbruchsgetümmel war mir gar nicht bewußt geworden, daß tatsächlich alle abgezogen waren. Das war doch nicht möglich, man hatte mich einfach vergessen! Voll panischer Angst rannte ich in die Richtung, in der alle untergetaucht waren, und fiel der Länge nach hin. Durch den Schwung hatte sich das schwere Gepäck auf die Seite verlagert. Wie ein dicker Käfer, der auf den Rücken gefallen ist, strampelte ich mich schwerfällig wieder hoch. Für ein paar Sekunden war ich doch froh, daß niemand in der Nähe war und mich sah. Mit einem kleinen Gebet auf den Lippen schlug ich mich in den Dschungel, in dieses schier undurchdringliche Grün. Außer meinem Herzklopfen war nichts zu hören. Ein einsamer Schrei, dann herrschte beängstigende Stille, ab und zu leises Rascheln, mir war es nicht geheuer. Deutlich hatte ich Nosbuschs Ausführungen in Erinnerung, wie sehr er sich auf all die Spinnen, Schlangen und wunderbar seltenen Skorpione freute, alles sei hier zum Greifen nah ... Um mich herum war ein dichter Vorhang aus fleischig-haarigen Blättern, und dahinter der nächste, ein Irrgarten, kein Weg, nur Schlingen und Äste, die mir ins Gesicht peitschten, während Moskitos sich an meinem Hals festsaugten.

Ich hastete weiter, bemühte mich, die Füße nur so kurz wie möglich am Boden zu lassen, um sie nicht irgendwelchen Bissen oder sonstigen Angriffen auszusetzen. Angst pochte in meinem Hals. Wo war bloß meine gemütliche Fernsehecke mit dem kuscheligen Bett und meinem süßen Knuddelkater? Irgend etwas kroch in meine Socke und biß kräftig zu. Ich schrie auf und versuchte mit langem Finger danach zu kratzen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.

Da hörte ich Laute vor mir, österreichische Freudenlaute. »Hast des g’sehn?« Gott sei Dank! Wie schön war doch diese Sprache. Schweißtropfen perlten mir in die Augen, als ich halb blind den Stimmen hinterherrannte. Endlich holte ich die anderen ein und stellte entsetzt fest, daß mich niemand vermißt hatte. Schweigend und enttäuscht gesellte ich mich zu dieser egoistischen Bande und atmete das erstemal tief durch.

Die Augen nun fest auf die Fersen meines Vordermannes geheftet, trat ich in seine Spuren und riskierte keinen Blick nach rechts oder links. Anscheinend setzte dieser mysteriöse Urwald in mir Urängste frei, denn ich hatte auf einmal das Gefühl, daß hinter jedem Baum der grüne Horror auf mich lauerte und mich beißen, stechen und aussaugen wollte. Dieser Schweigemarsch erschien mir ewig. Plötzlich kam die Kolonne zum Stillstand, und ich rempelte gegen Adalbert. Er war ebenfalls bis an die Zähne bepackt und drehte sich behäbig zu mir um. »Jetzt haben wir uns aber eine Rast verdient.« Keine weitere Nachfrage, kein: »Na, liebe Julia, wie fühlst du dich, alles in Ordnung, wenn irgend etwas ist, sag ruhig Bescheid ...« Na ja, wir waren halt unter uns Männern.

Ich arbeitete mich nach vorn zu den anderen, denn inzwischen hatte ich wirklich Angst, als letzte vom Affen gebissen zu werden. Ich mußte kurz lachen, weil ich dieses Sprichwort fast körperlich erlebte. Dann wischte ich mir die Moskitos vom Hals und versuchte mir Ohren und Nasenlöcher frei zu bohren. Als ich gerade einen Schluck Wasser trinken und die verdiente Rast beginnen wollte, setzte sich, wie auf ein geheimes Kommando, der Schweigemarsch wieder in Bewegung. Mit Mühe hastete ich hinter Sabango, wo es mir am sichersten schien. Schon machte er mich auf einen breiten, roten Ameisenzug aufmerksam. »Nicht reintreten, Vorsicht«, warnte er. Mit einem Satz überwand ich den Zug, landete knallhart in einer Lianenangel, und als ich mich an einem Ast über mir festhalten wollte, griff ich treffsicher in einen Dornenableger. Äußerst schmerzhaft. Ich wischte mir das Blut an der Hose ab und wollte Jod aus dem Rucksack nehmen, aber schon wurde ich von hinten weitergeschoben. »Na klar, wir Männer«, fauchte ich über die Schulter.

Bei unserem zügigen Tempo blieb mir keine Zeit, an irgend etwas anderes zu denken als an die Frage, wo ich den nächsten Schritt hinsetzen sollte. Über mir hörte ich schweres Schwingenrauschen. Es mußte ein sehr großer Vogel sein, kurz sah ich dunkle Flügel in einem Blätterloch.

»Ein Kronenadler!« rief Adalbert begeistert am Ende des Zuges.

Außer mir schienen alle verzückt zu sein. Ich aber kämpfte und litt still, voller böser Vorahnungen. Ein paar karge Sonnenstrahlen fielen senkrecht durch die Zweige. Es mußte Mittag sein, und demnach hätten wir bereits fünf Stunden Fußmarsch hinter uns. Doch wir drangen immer tiefer in den Regenwald, und nun wurde der Boden auch noch schlammig. Mit jedem Schritt versank ich tiefer in sumpffarbener Brühe. Schließlich watete ich bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Einer der Führer blieb stehen, deutete nach vorn zu einer kleinen Lichtung und winkte Sabango zu sich. »Gasi.« Sie unterhielten sich leise und ein wenig aufgeregt, dann übersetzte er uns: »Da vom ist wohl ein Jagdlager der Pygmäen, wir sollen leise sein.«

»Wieso denn leise«, fragte ich zurück, »das sind doch sozusagen Kollegen von unseren.«

Sabango kicherte leise. »Nix Kollege, unsere Leute sind Banda, das da sind By-Aka-Pygmäen.«

Felsfurch warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Nun hört doch auf zu quatschen und laßt uns weitergehen.«

So ein Ekel! Ich blickte böse zurück, doch ein wenig später kreisten meine Gedanken nur noch um die Hoffnung, wieder festen Boden zu gewinnen und daß die Pygmäen heute schon eine gute Mahlzeit hatten. Stille ... Vorsichtig schlichen wir weiter, mir war es sehr mulmig zumute, denn das hier waren nun wohl die echten »Herren des Waldes«, wie ich in einem Reisebuch gelesen hatte. Hier, tief im Primärwald, hatten sie weder Kontakt mit der Zivilisation noch mit anderen Bevölkerungsgruppen und lebten wie in der Steinzeit. Nur zum gelegentlichen Tausch von Wild gegen Metall für Speerspitzen suchten sie kurzfristig die Nähe der Bantu. Adalbert bedeutete mir, das Gepäck abzulegen und still zu sein. Unser Führer hatte seine Last bereits fallen gelassen und war verschwunden. Das fing ja gut an. Eine innere Stimme bereitete mich darauf vor, daß wir nun gefangen und gebraten würden. Es war so verdammt still, nicht mal das Knacken eines Astes war zu hören.

Nach einer geraumen Weile tauchte unser Führer genauso plötzlich wieder auf, wie er verschwunden war. Zweige öffneten sich brüsk, und da stand er! Ich roch seinen scharfen Körpergeruch. Er sagte etwas zu mir, was ich mit einem selbstverständlichen »Oui, o.k« akzentfrei beantwortete. Als er darauf wieder in dieselbe Richtung verschwand, folgte ich ihm automatisch durch das Dickicht. Erst da fiel mir auf, daß ich ihn ja gar nicht verstanden hatte! Wohin lief er eigentlich? Ich sah mich um und blickte in Felsfurchs grinsendes Gesicht.

»Sie haben die Sprache aber schnell gelernt.«

Verärgert kroch ich weiter durch das Unterholz. Auf einmal tauchte ein dünner Pfad vor uns auf, dann eine kleine Lichtung mit vier runden Laubhütten, hinter denen gerade noch kurze, braune Beine sichtbar waren, die in das Gehölz rannten. Wir blieben stehen, offensichtlich waren alle geflüchtet.

»Und was jetzt, was schlagt ihr vor, nachdem dies wohl die letzten By-Aka-Beine waren, die wir zu Gesicht bekommen haben?« Adalbert sah fragend zu Felsfurch.

Für den war die Sache klar, und er zeigte uns mal wieder, wie blöd wir waren. »Also, wir werden hier in einiger Distanz zu dem Lager unsere Sachen ablegen, ihr könnt euch dann ja wieder etwas ausruhen.« Dies mit einem fiesen Seitenblick zu mir. »Wir haben noch ungefähr vier Stunden Marsch, bis wir auf die Gruppe stoßen, zu der ich möchte.«

Ich fand diesen Typen einfach zum Kotzen und konnte mir nun nicht mehr verkneifen zu fragen: »Sagen Sie mal, Felsfurch, haben Sie ein Magengeschwür, oder wieso sind Sie so eklig?«

Wie aus der Pistole geschossen kam es zurück: »Ich bin nicht eklig. Nur frage ich mich, wieso man ständig gebremst wird von jemandem, der von nichts Ahnung hat.«

Adalbert griff ein, geduldig wie immer: »Kinder, beruhigt euch. Es wird sich alles finden.«

So ein Feigling, der keine Partei ergreifen will, dachte ich. Inzwischen hatten die Träger den Boden mit der Machete freigeschlagen, und wir ließen uns nieder. Ich versuchte mich schonend dem Rucksack zu entwinden, der auf dem Rücken festgewachsen schien, und suchte meine Vitaminmineralantidurchfallprophylaxflasche heraus. Ein großer Schluck davon tat mir ungeheuer gut. Es war spät geworden, und ich spürte meine müden Knochen. Doch unter dem Scheitel war ich hellwach. Ich hatte viel zuviel Angst, um einzudösen, wie die anderen, meine tapferen Freunde neben mir. Die hatten sich langgestreckt ihrer Mattigkeit ergeben, und ich fühlte mich mal wieder ausgesetzt, allein gelassen. Plötzlich raschelte es hinter mir, und ich fuhr fürchterlich zusammen, das Blut hämmerte in meinen Adern. Halb erstarrt versuchte ich, unauffällig das Terrain zu sichern. Es war nichts zu sehen, dennoch hatte ich das deutliche Gefühl, nicht so allein zu sein, wie eben noch geglaubt. Trotz meiner Angst lag es mir überhaupt nicht, Katastrophen abzuwarten, und so kramte ich mit unauffälligen Bewegungen in meinem Rucksack nach dem Fahrtenmesser. Ich hielt es fest umschlossen, doch nichts rührte sich.

Erleichtert ließ ich das Messer wieder los. Gut so, denn wie ich mich kannte, hätte ich mich nur selbst damit verletzt. Trotzdem fühlte ich mich ständig beobachtet. Da kam ich auf eine Idee ... Aus der Provianttüte fischte ich eine Büchse Ölsardinen und eine Schachtel Zigaretten, öffnete die Dose und aß etwas davon. Dabei drehte ich mich langsam nach allen Seiten, so daß sie jeder verborgene Feind sehen konnte. Schließlich stellte ich die angebrochene Büchse dicht neben das Gebüsch hinter mir. Nun zündete ich eine Zigarette an, legte die restliche Packung neben die Sardinen und war sehr froh, Karl May gelesen zu haben. Während ich versuchte, genüßlich zu rauchen, was bei dem kratzenden schwarzen Kraut nicht einfach war, musterte ich unauffällig die Gegend. Es rührte sich immer noch nichts. Auch bei den müden Pfadfindern rührte sich nichts. Was aber, wenn angegriffen wurde? Armbrust gab es sicher hier, Schlingen und Jagdnetze, Giftpfeile.

Plötzlich sah ich, wie ganz vorsichtig eine kleine braune Hand aus dem Gebüsch kam und ... grapsch! Die Zigaretten waren weg. Ich war wie gelähmt, das heißt, ich war gelähmt. In einiger Entfernung knackte ein Ast, ganz leise, dann war wieder Stille. Anscheinend war ich noch mal verschont geblieben. Langsam kribbelte wieder Leben durch meine Glieder. Da ließ mich ein Röhren erneut erstarren, in Zeitlupe drehte ich mich um und blickte in den weit geöffneten Rachen von Adalbert, der wieder einen röchelnden Schnarcher von sich gab. Nun mußte ich doch lachen, so leise wie möglich. Eine ganze Weile noch beobachtete ich die Büchse neben dem Gebüsch. Als nichts geschah, nahm ich noch ein kleines Fischstück heraus und kaute es ganz langsam. Mit flauem Magen wartete ich, wartete, wartete ... Auf einmal, ganz zögernd, teilten sich die Zweige des Gebüsches wie von Geisterhand. Dahinter erblickte ich ein unbewegliches, fremdartiges Gesicht. Zwischen tätowierten Wangenknochen und buschigen schwarzen Augenbrauen sahen mich dunkle mandelförmige Augen unverwandt an. Ich versuchte meiner Erstarrung ein Lächeln abzuringen und erhielt aus meinem tiefsten Innern das Signal, unbedingt wieder zu atmen. Die Zigarette hatte mir inzwischen die Finger verbrannt, ich warf sie weg. Meine Gedanken überschlugen sich. Sollte ich ihm die Ölsardinenbüchse entgegenhalten oder vielleicht gar nicht hinsehen? Mit vorsichtiger Geste bot ich die Büchse an. Die Augen musterten mich starr, und ich nickte ihnen auffordernd zu, und schon griff wieder eine kleine, braune Hand zu, diesmal kam sie aber von weiter drüben und grapsch! Die Dose war verschwunden.

Das Gesicht hatte sich nicht bewegt, die Augen musterten mich immer noch. Wieder machte ich eine einladende Geste näherzukommen und bot diesmal eine Zigarette an. Angezündet reichte ich sie als Friedenspfeife nach hinten. Etwas griff danach, und gleich darauf sah ich, daß im Gebüsch geraucht wurde. Ich machte Zeichen, daß ich auch wieder ziehen wollte, und bekam tatsächlich die Zigarette zurückgereicht. Diese Geste war mir rein zufällig eingefallen, mein »Professore« hatte sie einmal in einer Vorlesung als verbindende Zeremonie geschildert, wie wahr!

Ich mußte husten und sah, wie sich das Gesicht zu einem Lachen verzog. Endlich war der Bann gebrochen, ich lachte mit, erlöst und voller Dankbarkeit, ein menschliches Zeichen empfangen zu haben. Nun kam es vollständig zum Vorschein, dieses Wesen, ein braunhäutiger Mann in faserigem Lendenschurz. Ohne zu zögern, teilte er das Gebüsch und kam auf mich zu. Ich winkte ihm, sich neben mich zu setzen, was er auch tat, in gewissem Abstand, versteht sich. Eine eindrucksvolle, kleine Gestalt, vernarbt, mit schiefen Schultern, verbogenem Knie, vereinzelt fehlenden Fingern und einem verschmitzten Gesicht. Er wirkte erfahren und schlau. Sicherlich war er der Medizinmann, oder wie nannte man das hier?

Aus seinen geschlitzten Augen beobachtete er die Schlafenden und grinste. Sein Grinsen wurde noch breiter, als er mich anschließend musterte. Unwillkürlich sah ich den kleinen Weg entlang und suchte ihn heimlich nach Knochen oder anderen menschlichen Überresten ab. Voller Unbehagen rutschte ich etwas weiter weg von dem Mann. Der hatte mich nicht aus den Augen gelassen. Nun drehte er sich um und blickte in das Dickicht. Besorgt folgte ich seinem Blick und sah in dem unergründlichen Grün etwas hochschnellen oder herunterfallen, eine blitzschnelle Bewegung jedenfalls. Sekundenlang sah ich ein dunkles Gesicht, ein Ast schwang zurück, und das Dickicht schloß sich wieder. Angestrengt versuchte ich, das Laub auf weitere Gefahren abzusuchen, dann wandte ich mich wieder meinem neuen Nachbarn zu, der inzwischen eine andere Stelle fixierte. Ein heißer Stich fuhr mir durch den Körper, als ich Augen erkannte, die mich anglühten, dicht daneben noch ein Paar, und dann bemerkte ich noch weitere.

Ich bekam einen Schluckauf, der laut durch die Stille des Urwaldes hickste. Meine Augen brannten vom angestrengten Starren, Schweiß rann mir in Bächen den Körper herab. Ich beschloß, in Sicherheit zu gehen, und rutschte langsam zurück, ohne den Blick vom Gebüsch zu lassen. Plötzlich stieß ich mit dem Hinterteil auf Widerstand, und als ich mich ruckartig umdrehte, saß ich fast auf den behaarten Füßen des knorrigen Medizinmannes. Ein scharfer Geruch nach Waldmarinade und angebranntem Schweinespeck umgab ihn. Ich lächelte ihm verkrampft zu, er nickte erfreut und zog dabei die Augenbrauen stark nach oben. Ich entspannte mich ein wenig. Inzwischen schwankten meine Gefühle zwischen Furcht und »Besitzerstolz«. Schließlich hatte ich den kleinen Mann erobert, und nun gehörte er mir. Der Besitzerstolz setzte sich durch, und zufrieden weckte ich die anderen. Zuerst tippte ich Adalbert an, der sofort in Angriffsstellung ging.

»Ganz ruhig, du bist hier bei Freunden«, sang ich leise zwischen zusammengepreßten Zähnen, »wenn auch im Urwald«, führte ich ihn weiter in die Realität zurück. Felsfurch wachte auch auf und musterte erstaunt die Umgebung. Nosbusch jedoch hatte die tollste Reaktion, als er geweckt wurde: Er schreckte kurz hoch, sah die neuen Gesichter - »Ja servus, da sans ja.« - blickte fröhlich in die Runde und nickte uns allen hocherfreut zu.

Ich mußte unwillkürlich lachen. »Du nix Angst?« fragte ich ihn.

»Ach geh. Der gute Mann ist nicht mal halb so hoch wie ich.« Er hatte recht.

Fast kamen mir meine vorangegangenen Ängste albern vor. »Na gut. Aber all die anderen ...?« Ich deutete in den Wald. Da sahen meine Begleiter in ein gutes Dutzend regloser, wild aussehender Gesichter.

Adalbert flüsterte mir anerkennend zu: »Wie hast du es bloß angestellt, daß die plötzlich alle da sind?«

»Ich habe sie mit Zigaretten und einer Büchse Ölsardinen angelockt, dann aber einen furchtbaren Schrecken bekommen, als sie tatsächlich neben mir saßen.« Wir lachten alle, auch die Pygmäen lachten mit.

Sabango tauchte plötzlich wieder auf, der Tapfere. Und schon wurde er von Felsfurch angeblafft: »Wenn du uns noch einmal im Stich läßt, schicke ich dich sofort nach Hause, und du bekommst keinen Pfennig Geld. Wo sind denn überhaupt die vier Träger?« Suchend sahen wir uns um. Mir fiel jetzt erst auf, daß wir allein gelassen worden waren.

»Wir hatten alle Angst«, erklärte Sabango mit so heftig rollenden Augen, daß man fast nur noch das Weiß darin sah. Felsfurch schimpfte weiter, nun zu mir gewandt: »Und Ihnen verbiete ich hiermit ein für alle mal, jemals wieder irgendeine Unternehmung im Alleingang zu machen, solange Sie mit uns zusammen sind. Das ist unverantwortlich.« Den Schluß schrie er fast heraus: »Ich werde nicht wegen so einer blöden Kuh mein Leben aufs Spiel setzen.« Das war an Adalbert gerichtet.

Ich war so empört über seinen Umgangston, daß ich wütend zurückbrüllte: »Sagen Sie mal, wie reden Sie denn mit mir, Sie Affe!« Wütend baute ich mich vor ihm auf und war nahe daran, ihm eine zu langen.

Doch da stand schon Adalbert neben mir und hielt ahnungsvoll meine Hand fest. »Kinder macht doch nicht so einen Zirkus, man kann sich doch über alles normal unterhalten.«

Felsfurch hatte nun aber auch für ihn etwas bereit: »Wenn ich gewußt hätte, daß keiner von euch hier tauglich ist, hätte ich diese Expedition gar nicht gemacht.« Aufgebracht stolzierte er hektisch hin und her, dann blieb er plötzlich vor Sabango stehen. »Sag den Leuten,« - er nickte zu den Pygmäen hinüber - »daß wir von weither kommen und sie in friedlicher Absicht besuchen.«

Jetzt mußte ich doch lachen. »In friedlicher Absicht, sagen Sie, und dabei brüllen Sie hier seit zehn Minuten aggressiv herum.«

Mit hochrotem Gesicht drehte Felsfurch sich zu mir um. »Falls Sie mich noch einmal in irgendeiner Form blöd ansprechen, geht einer von uns beiden, darauf können Sie sich verlassen.«

Ich holte tief Luft, um mich zu bremsen. War das alles peinlich! Sabango unterhielt sich bereits mit dem Alten und machte weit ausholende Gesten. Das sollte wohl »von weit her« darstellen. Schließlich sah er den Mann abwartend an, ich auch, wir alle. Eine lange Pause entstand. Ich blickte Adalbert fragend an, der zuckte nur mit den Achseln. Endlich ertönte ein langgezogenes »iiihhhhh« neben mir. Sabango strahlte erlöst und übersetzte: »Er hat verstanden, ›iiii‹ heißt ›ja‹«. Na, bravo, das hätte ich fast genauso schön übersetzen können.

Felsfurch knurrte weiter: »Frag sie, ob wir bei ihnen bleiben dürfen.«

Diese Frage wurde auch nach einer langen Pause nicht beantwortet. Statt dessen erhob sich der Alte und schritt humpelnd, wenn auch äußerst würdevoll, in das Dickicht zurück ... verschluckt ... weg. Wieder wechselten wir fragende Blicke, und Adalbert sagte besorgt: »Ich bin jetzt auf das Schlimmste gefaßt.« Mir war auch ziemlich mulmig, sogar Nosbusch rückte unruhig hin und her und zupfte nervös an seinem Schmetterlingsfänger.

Ständig krabbelten kleine Bienen in meinen Haaren und klebten auf dem Schweiß fest, auch meine Nase war voll von ihnen. Die Füße schmerzten und waren geschwollen vom langen Laufen, alles Vertraute war so verdammt weit weg. Wut kroch wieder in mir hoch.

Plötzlich entstand Bewegung hinter meinem Rücken, und ich sah gebannt in diese Richtung, in die auch der Alte verschwunden war. Leise Stimmen, Knacken und Rascheln waren zu hören, sehr spannend. Der Wald öffnete sich ... hallelujahh ... und der Alte hielt Einzug mit einem Gefolge aus fünf jungen Männern, die mit Armbrust und Speeren ausgestattet waren, drahtige Burschen mit unbeweglichen Mienen, muskulösen Oberkörpern und Schenkeln. Nur die Waden waren etwas verkümmert und nach außen gewölbt. Bekleidet waren sie mit einem Lendenschurz, das heißt, das Wichtigste war in eine Art Rindenlappen gepackt, vorne nach oben gezogen und mit einer Lianenschnur um die Taille befestigt. Hinten war es durch die Backen nach oben gedreht und auch an der Liane festgezurrt. Die Köpfe waren, abgesehen von einer kleinen Tonsur, kahl geschoren, auf den Wangenknochen waren blaue Häkchen tätowiert und in die Augenbrauen schmale Längsstreifen rasiert. Der Vorderste sah sehr gut aus, seine kohlschwarzen Augen schienen ein besonderes Geheimnis zu bergen ...

Der Alte ließ sich gemächlich an der erloschenen Feuerstelle auf einem Holzscheit nieder, während die anderen wie angewurzelt stehenblieben und zu uns herüberstarrten. Ich griff nach meiner Kamera und überlegte gerade, wie ich die Pygmäen um Erlaubnis fragen sollte, da wohl keiner verstehen würde, was ein Foto ist, als ich hörte, wie Felsfurch schmallippig einen Befehl zu uns zischte:

»Ihr bleibt hier sitzen, bis ich eine Verhandlungsbasis geschaffen habe. Pygmäen sind zwar im allgemeinen friedlich, doch werden wir nichts provozieren und uns in respektvollem Abstand halten.« Er kniff den lippenlosen Mund noch mehr zusammen und blickte bedeutungsvoll von einem zum anderen. Sein Blick fiel auf meine Kamera, und schon ging es los: »Sagen Sie mal, kapieren Sie eigentlich gar nichts? Gerade sage ich, daß wir nichts provozieren wollen, und Sie holen Ihren dämlichen Fotoapparat heraus.«

»Meinen dämlichen Fotoapparat habe ich sehr gut unter Kontrolle. Und von Ihnen laß ich mir überhaupt keine Vorschriften machen, Sie altes Ekel«, giftete ich zurück. »Ihr gestörtes Verhältnis zu Frauen können Sie woanders abreagieren.« Mit den letzten Worten hätte ich fast die große Fliege verschluckt, die seit der Ölsardinenaffäre um meine Nase kreiste. Ich hatte so sehr die Nase voll von diesem Typen, daß ich beschloß, beim nächsten großen Krach die Expedition abzubrechen. Bei diesem Gedanken kam eine wunderbare Ruhe über mich und ließ mich etwas heiterer an den folgenden Geschehnissen teilnehmen.

Unser Platz füllte sich auf einmal, die Männer kamen nicht, sie waren plötzlich da. Unbeweglich starrten sie uns an. Nirgends waren Frauen oder Kinder zu sehen. Sabango winkte uns herüber, er wollte uns wohl vorstellen. Das war die Gelegenheit: Schnell nahm ich die Kamera und machte erste Aufnahmen. Es war mir egal, was daraus entstehen konnte, es mußte jetzt sein.

Adalbert raunte mir zu: »Paß auf, wo du dich hinsetzt. Hier gibt es überall Sandflöhe.«

»Mein Gott, was denn noch alles, ich kann doch nicht die ganze Zeit stehenbleiben.« Ich beschloß, erst einmal zu beobachten, was die anderen machen würden. Nosbusch setzte sich in den Sand, das war vorauszusehen; Felsfurch hockte mit den Hinterbacken auf seinen Fersen; der lange Adalbert knickte einfach in der Mitte zusammen und beugte auf halber Höhe den Kopf nach vorne. Ich wählte System Felsfurch.

Eindringlich und offenen Mundes musterten mich die kleinen Burschen von oben bis unten. Zu gern hätte ich das gleiche getan, schämte mich jedoch ein wenig und versuchte es durch halbgeschlossene Lider. Auf den zweiten Blick fand ich sie gar nicht mehr so wild aussehend. Meine Betrachtungen wurden von Sabango unterbrochen.

»Das ist Maseke.« Er deutete auf den Alten. »Er ist der Dorfälteste.«

Ich wiederholte den Namen, und Maseke nickte begeistert. Dann stellte ich mich vor: »Juuuliiiaaah.«

Er lachte, und dabei entblößte er blitzende, spitz zugefeilte Zähne. Erschrocken zuckte ich zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel mit dem Hintern in die Flöhe. Nie in meinem Leben war ich so schnell wieder auf den Beinen wie jetzt, schüttelte die Hosenbeine und klopfte mir auf den Po. Dabei sah ich im Geiste, wie das Piranhagebiß des Alten ein saftiges Stück Fleisch aus meinem Körper riß. Unwillkürlich tastete ich mich ab.

Felsfurch ließ mittlerweile Maseke fragen, ob noch andere By-Aka-Gruppen in der Nähe seien. Der Alte zeigte nach Norden - oder war das hier vielleicht Süden? Sabango übersetzte, daß es in der Nähe noch ein anderes Lager gebe, doch zur Zeit seien die Männer dort zur Affenjagd aufgebrochen. Adalbert sah Felsfurch etwas hilflos an. »War denn nicht ausgemacht, daß die dableiben?«

»Doch, natürlich, deshalb bin ich ja das erstemal hergekommen. Aber sie haben halt ihren eigenen Rhythmus.« Und noch grantiger fügte er hinzu: »Wenn es hier Zeit zum Jagen ist, dann jagen sie halt. Du hast es da einfacher: Wenn du Hunger hast, gehst du zum Kühlschrank.«

Maseke erkundigte sich, was wir von den anderen wollten, und als wir ihm erklärten, daß wir für kurze Zeit gern bei ihnen leben würden, fand er das merkwürdig, wie ich an seinen erstaunten Augen sah.

Zwei Frauen tauchten auf einmal auf. Eine trug einen Säugling rittlings auf der Hüfte. Schlafend hing er dort in einer breiten Hängeschlaufe aus Lianen. Scheu und eilig schlüpften sie in eine Hütte.

Ich konzentrierte mich gezwungenermaßen voll auf mein T- Shirt, in dem es hundertfüßig krabbelte. An meinem Hals unter dem Tuch juckte es, und zwischen den Pobacken kroch etwas langsam in untere Gefilde. Ich kratzte und zwickte überall, und zu allem Überfluß fielen mich wieder die kleinen Bienen in Schwärmen an, flogen mir haufenweise in Nasenlöcher und Ohren und brannten in den Augen. Als ich panisch mit dem Halstuch nach ihnen schlug, machte sie das nur noch wilder. In einer großen schwarzen Wolke folgten sie mir zum Gepäck. Ich rannte hin und her, aber die Biester ließen sich nicht abschütteln. Auch die anderen wurden gequält.

Resigniert fragte ich Adalbert: »Bleiben wir nun hier? Ich habe Hunger und würde auch gern die weitere Planung wissen.«

Da kam Maseke zu uns und machte eine weit ausladende Geste auf sein Terrain, das hieß, wie Sabango übersetzte, daß wir dableiben durften. Wir bedankten uns, und freudig schüttelte Adalbert allen die Hand. »Vergelt’s Gott.« Meine Hand wollte er auch drücken im Überschwang.

»Ist ja gut«, beschwichtigte ich ihn. »Vergiß bloß nicht den Handkuß bei den Damen«, fügte ich hinzu und stellte mir dabei vor, daß die Mädels hier sicher dachten, er wolle ihnen die Finger abbeißen.

»Jetzt eilt es ein bissl... Nosbusch, hilf Julia, das Zelt vorzubereiten, ich schaue mich inzwischen nach einem geeigneten Lagerplatz um«, drängte Adalbert.

Fast fühlte ich mich wie zu Hause und legte das Zeltgepäck aus. Felsfurch brüllte nach Trägern und gab mit königlichen Gesten Anweisung, den Boden zu säubern. Er hatte bereits die Macheten ausgepackt. Alle Träger halfen natürlich ihm, für uns war niemand übrig.