Macht.Wahn.Sinn. - Lara Jänsch - E-Book

Macht.Wahn.Sinn. E-Book

Lara Jänsch

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Beschreibung

Was ist das für eine Krankheit: Schizophrenie? Diese und andere Fragen stellt sich die Autorin, promovierte Geschichtswissenschaftlerin, und berichtet über eine Krankheit, die sie in ihren mittleren Lebensjahren überrascht und dann längere Zeit begleitet. Während ihrer Episoden notiert sie ihre Gedanken, sodass sie später ein authentisches Bild ihrer wahnhaften Vorstellungen nachzeichnen kann. Dabei denkt sie über ihre Krankheit nach, ist fasziniert von ihr, versucht, sie zu ignorieren, lacht über sie und weint über sie. Vor allem aber stellt sie fest, dass diese Krankheit für sie nicht so einfach erklärbar ist, wie die medizinische Lehre suggeriert – es bleibt für sie eine große, offene Frage, woher das Gefühl der externen Beeinflussung stammt. Ein Zwiegespräch – mit der Psychose? Mit wem spricht sie denn da? Nach dem Erwachen aus der Krankheit muss das Leben weitergehen – aber sie ist nicht mehr die Alte. Das beherrschende Thema ihres Wahns hat zu einer neuen Spiritualität und einem neuen Glauben an Gott geführt. Die Krankheit hat sie bereichert. Ein Erfahrungsbericht. Eine intime Einsicht in eine psychische Krankheit. Ein mutmachendes Buch, um die Schweigespirale Betroffener von Schizophrenie zu durchbrechen. Online-Lesung der Autorin: https://youtu.be/nslqW7bvlDQ

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Seitenzahl: 184

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Macht.Wahn.Sinn.

Lara Jänsch

Macht.Wahn.Sinn.

Der rätselhaften Krankheit Schizophrenie auf der Spur

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-201-1 (Print) / 978395894202-8 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2021

Cover: shutterstock.com/Lightspring

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Inhalt

VORWORT

KAPITEL 1:

KLEINE SUCHE NACH DEM GLÜCK

ERLEUCHTUNG UND ERNÜCHTERNDE ERKENNTNIS DANACH

MINUS-SYMPTOMATIK

PSYCHOSE UND GLAUBE

STAGNATION

EINE TRÜGERISCHE PHILOSOPHIE ÜBER DIE WELT

REISE NACH LISSABON

KIRCHENBESUCHE EINER UNGLÄUBIGEN?

KAPITEL 2:

NEUER AUFBRUCH UND NEUER ABBRUCH

DAS ENDE DER LANGEN SUCHE

ZUCKER: DAS ÜBEL DIESER WELT

SCHWANGER AN HEILIG ABEND

ZURÜCK IM TRAUMJOB

DAS UNAUSWEICHLICHE DESASTER

ENGEL IM KOPF

KAPITEL 3:

VERRÜCKTHEIT ZURÜCKRÜCKEN

DIE REALITÄT KOMMT ZURÜCK

EINE ZUKUNFT NACH WUNSCH

KOPF AM RICHTIGEN PLATZ?

SINN UND UN-SINN DER PSYCHOSE

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieses Buch ist ein persönlicher Erfahrungsbericht über meine Erkrankung an Schizophrenie. Namen und Orte im Buch sind geändert worden. Das Buch erzählt jedoch eine wahre Begebenheit.

An Schizophrenie erkrankt zu sein, bedeutet nicht, dass man sein normales Leben aufgeben muss. In dieser Krankheit gibt es meist lange gesunde Phasen, die immer wieder von Psychosen, das sind Krankheitsphasen, unterbrochen werden.

Ich möchte durch diesen Erfahrungsbericht Leserinnen und Lesern die Symptome einer Psychose näherbringen. Dabei habe ich große Teile dieses Buches aufgeschrieben und dabei zum Teil in kleine Notizbücher gekritzelt, während ich mich in einer akuten Psychose befand. Lange Textteile habe ich während einer Psychose verfasst, und sogar in der Psychiatrie am frühen Morgen meine „Erkenntnisse“ in die Tasten getippt. Dabei waren Pfleger und Ärzte über meine Schreibambitionen meist nicht erfreut. Durch das Aufschreiben meiner Gedanken in einer akuten Psychose werden diese ungefiltert in diesem Buch übermittelt, und Leserinnen und Leser können sich ein genaues Bild von der Erkrankung machen.

Warum hat es mich gedrängt, das alles durch Aufschreiben festzuhalten? Während ich krank war, wollte ich eigentlich nur die „Unwirklichkeit“ dieser Krankheit „beweisen“, das ganz und gar Merkwürdige eines psychotischen Zustandes zum Ausdruck bringen. Wenn ich dann wieder gesund war, ging es mir darum, die verwirrenden Erfahrungen zu verstehen. Hier sind die Buchteile, in denen ich mich im psychotischen Zustand befinde, in kursiv verfasst und die Buchteile, in denen ich mich wieder in die Gesundheit gekämpft habe, in normaler Schrift. Das Buch beginnt in kursiver Schrift und zeigt die Gedanken während meiner ersten Psychose.

Später stellte sich heraus, dass meine Psychosen immer wiederkehrende Themen hatten. Sie drehten sich um alle Aspekte meiner Suche nach privatem und beruflichem Glück und ließen Schlüsse zu, die mich zu vertieftem Nachdenken über die Ursachen sich wiederholender Probleme brachten.

Das eine Thema, das sich immer wieder aufdrängte, war die Frage nach Gott und nach Spiritualität. Ich hatte mich zuvor als Atheistin bezeichnet - warum tauchte dieses Thema in meinen Psychosen so hartnäckig auf? Und was mich auch nicht loslässt, ist die Frage: Wie können Gedanken in meinem Kopf herumspuken, die ich vor der Psychose nie gedacht habe? Wo kommen die her? Ich möchte mit diesem Buch einen neuen besonderen Blick auf die Erkrankung wagen.

Das Buch zeigt auch Perspektiven auf bezüglich Sinn, Ursachen und Heilung von der Erkrankung. Mögliche Auslöser und die möglichen Ursachen, die eine Heilung bewirken, sollen an meinem Beispiel geschildert werden. Ist es wirklich der Stress, der zur Erkrankung geführt hat, und sind es wirklich ausschließlich die Medikamente, die sie heilen?

Um diese Dinge dreht sich mein Buch - ich hoffe, es findet in Ihnen einen interessierten Leser.

Meinen Eltern und meiner Tante möchte ich für ihre Unterstützung beim Überarbeiten dieses Buches danken.

Lara Jänsch

Heiligenthal, Juli 2020

KAPITEL 1:

KLEINE SUCHE NACH DEM GLÜCK

ERLEUCHTUNG UND ERNÜCHTERNDE ERKENNTNIS DANACH

Die Mitbewohner meiner Wohngemeinschaft, meine Kollegen in der Arbeit, meine Bank und der ganze Staatsapparat organisieren sich in einem Komplott gegen mich. Ihre Kontrolle ist allumfassend und alles somit verloren. Durch diese Verschwörung gegen mich kann ich nicht mehr an mein Geld in der Bank, muss aus meiner Wohnung flüchten und habe meine Arbeit verloren. Die einzige Rettung heißt jetzt: dieser Verschwörung gegen mich zu entkommen.

Mein Schmuck und meine Zeugnisse eingepackt bereite ich mich vor auf ein neues Leben in der Ferne und mache mich mit dem Auto in Richtung Spanien auf. Mein Besitz wird auf den Schmuck und das beschränkt sein, was ich bei mir trage. Der Schmuck kann gegen Geld eingetauscht werden, welches ich dann dringend benötige. Das Magazin „der Spiegel“, das auf dem Küchentisch lag, gab den Hinweis, dass selbst der Staatsapparat involviert ist. Die erste Seite titelte eine Schlagzeile, die die Verschwörung gegen mich völlig klar bewies. So wurde es offensichtlich: Sie sind hinter mir her, und meine Verfolger wollen nichts Gutes für mich.

Während der Flucht mit dem Auto Richtung Spanien kreisen meine Gedanken: Selbst meine Familie, also meine Eltern und mein Bruder, können mir nicht helfen und lassen mich im Stich, da ihr Leben selbst durch diesen Staatsapparat und den Zusammenschluss aus Banken, Arbeitgebern und Politikern bedroht ist. Dieses staatliche Komplott erpresst meine Eltern, so dass sie sich nicht mehr mit mir in Verbindung setzen können, sonst drohen ihnen harte Konsequenzen.

Meine Vision: Es droht mir ein Ende verarmt in den USA als obdachlose Korbflechterin ohne jegliche sozialen Kontakte. Die einzige Möglichkeit, den Verfolgern zu entfliehen, ist auf der Straße von dem Verkauf meiner Körbe am Straßenrand zu leben - verlassen von allen, selbst ohne Beachtung der vorbeilaufenden Fußgänger. In mir stellt sich die Frage: Breche ich mit meinen Eltern, da sie nicht mehr zu mir stehen können und mir in meinem Zustand nicht helfen? Meine Antwort: Nein, ich stehe noch weiterhin zu meinen Eltern, auch wenn sie mich verlassen haben und ich sie nie wieder sehen werde.

Meine Flucht gerät ins Stocken durch einen vor mir liegenden Stau, der die Autobahn blockiert. Stehen bleiben mit dem Auto ist keine Möglichkeit. Die Vorstellung, ohne ein mögliches Vorwärts- oder Rückwärtskommen im Stau gefangen zu sein, löst heftigste Ängste aus. Die Verfolger könnten mich so stoppen und ergreifen. Kurzerhand nehme ich die nächste Abfahrt.

Bei der Auffahrt zu einer Schnellstraße liegen aber die Auffahrt und die Schnellstraße ebenfalls im Stau. In Panik setze ich als Schwarzfahrerin ein kurzes Stück die Auffahrt im entgegengesetzten Verkehr zurück. Der Einkesselung durch die Autos und der Verfolgung bin ich damit entronnen.

Auf einmal verlangsamt sich der Verkehr: Alles läuft in Zeitlupe ab. Die Autos schleichen vor sich hin, und die Verkehrsschilder, die mir den Weg weisen, ändern ihre Aufschrift. Es geht überall nur noch zu den „Mercedes-Werken“ oder zur „Kläranlage.“ Die Aufschrift auf den Schildern zeigt nicht mehr den tatsächlichen Weg an. Die Änderung der Aufschrift löst Unbehagen aus. Die Richtungen „Mercedes-Werk“ oder „Kläranlage“ bringen mich zu den „bösen“ Verfolgern. Schilder für Fahrradwege oder Fußgängerwege zeigen die richtige Richtung; sie führen in die Freiheit. Es gibt aber kaum noch richtige Richtungen, so dass sich das Gefühl der Verfolgung in mir verstärkt. Verkehrsschildern, die auf Fahrradwege hinweisen, geben mir ein Gefühl der Sicherheit.

Der manchmal nötige Stopp an Ampeln beunruhigt mich und so fahre ich über zumindest eine Ampel (allerdings mit höchster Vorsicht) hinweg. Der langsame Verkehr irritiert: Bin ich das einzige Lebewesen auf dieser Welt, und sind die anderen ferngesteuert? Die anderen Fahrzeuge kommen mir wie Marionetten vor. Durch die Verlangsamung der Umgebung wirkt alles so künstlich.

Bin ich vielleicht Neo aus der Matrix, dem bestimmt ist die Welt zu retten? Wenn es möglich ist, den Verkehr zu verlangsamen, dann ist es auch möglich, den Löffel mit Gedankenkraft zu verbiegen, wie es Neo in dem Film „die Matrix“ vormacht. Die Welt ist eine Illusion und pure Gedankenkraft kann sie verändern.

Meine Flucht vor den Mercedes-Werken und den Kläranlagen führt in die Natur: auf Feld- und Waldwege. In der Natur ist es schön, und die Sonne scheint. Ich durchquere kleinere Ortschaften. Ein Gedanke setzt sich in meinem Kopf fest: ich brauche ja kein Benzin. Ja, es ist wahr: Der Tankanzeiger bewegt sich kaum nach so langer Fahrt.

Meine Gedanken geben mir „Einsicht“ über das Ziel und den Sinn meines Lebens. Meine Geburt in eine Familie mit einem Elternteil christlich (meine Mutter) und dem anderen Elternteil nicht sonderlich religiös (mein Vater) soll mich vor die Entscheidung für oder gegen den Weg Gottes stellen. Und Dinge werden mir versprochen: Bevor meine Eltern sterben, werde ich eine Familie gründen und einen geeigneten Partner finden.

Da erklingt eine Stimme aus dem Radio. Oder ist die Stimme in meinem Kopf? Es ist Gottes Stimme. Es ist Gott, und er sagt: „Ich mag dich“. Er sieht mir immer zu, wenn ich im Auto singe und freut sich darüber. Er sieht auch andere Dinge über mich, die ich lieber verstecken würde.

Die Fahrt durch die Natur, die Befreiung von jeglicher Art von Verfolgung, die Zufriedenheit: Es ist ein schönes Gefühl. Es kommt mir auch gar nicht merkwürdig vor, dass Gott mit mir redet. Das Wissen ist instinktiv, dass es Gott ist, der da spricht.

Gott weist mich auf die am Ortsrand der jeweiligen Ortschaften stehenden Straßenschilder hin, die über Gottesdienste informieren. Meine bisherige Einstellung zur Kirche ist einfach nur abwehrend: Als Atheistin bedeuten Gottesdienste für mich nichts als Langeweile. Mein radikaler Atheismus und meine Intoleranz gegenüber den Gläubigen führten dazu, dass ich stets versuchte, Gläubige von der materialistischen Wahrheit zu überzeugen. Jetzt zeigt Gott mir persönlich, dass ich meine Einstellung zu den so verhassten Gottesdiensten und der mir so befremdlichen Kirche überdenken sollte. Er versucht, mir beim Anblick der Ortsschilder, die die Gottesdienstzeiten ankündigen, positive Gedanken zu entlocken.

Sicher bin ich nicht, ob die Frage von mir kam, aber die Antwort hämmert noch heute in meinem Kopf. Er sagt: „Es gibt ein Leben nach dem Tod“. Die Erleichterung ist immens. Eine schwere Last fällt von meinen Schultern und ich könnte weinen vor Freude. Meine Angst vor dem Tod war immer schrecklich. Jetzt erklärt mir Gott persönlich, dass das Leben weiter geht.

Aus dem Radio kommt Musik. Es folgt eine Reportage über Psychologie oder Medizin, in die Gott eingreift. Jedes Mal, wenn im Radio angekündigt wird, dass ein Gegenstand auf einer Autobahn liegt oder „Wildschweine auf der Autobahn“ gemeldet werden, ist das ein Zeichen dafür, dass Gott an mich denkt.

Nach langer Fahrt sind die Ermüdung und die Sehnsucht nach einer Heimkehr nach Hause groß. Die Verkehrsschilder zeigen schon längst wieder die normalen Richtungen an: so ist es leicht möglich, nach Hause zu finden. Etwa sieben Stunden dauerte die Fahrt, die nicht mehr als eine halbe Tankfüllung verbraucht hat. Der geringe Verbrauch ist für mich ein klares Zeichen, dass etwas Übersinnliches geschehen ist. Zu Hause vor meiner Wohnung angekommen, wird im Radio angekündigt, dass sich mal wieder ein merkwürdiger Gegenstand auf der Autobahn befindet. Meine Freude ist groß, denn Gott denkt an mich.

In meiner Wohnung wartet mein Bruder voller Sorge auf mich. Er hat meinen desolaten psychischen Zustand durch vorherige Telefonate mitbekommen und hat die weite Reise von Nürnberg zu mir auf sich genommen, um zu helfen. Der unverhoffte Besuch erfreut mich sehr und ich sage ihm: „Ich wurde erleuchtet“. Dies beunruhigt ihn aber noch viel mehr.

Es ist ein Zeichen Gottes, dass er meinen Bruder zu mir geschickt hat. Alle sollen vereint sein im Angesicht Gottes, wenn meine Erleuchtung offenbart wird. Auch die Polizei hat nach mir gesucht und steht in der Tür. Mein Bruder überzeugt mich, dass wir am nächsten Morgen gemeinsam zu meinen Eltern in meine Heimatstadt Bonn fahren. Meine Eltern haben den Urlaub abgebrochen und werden bald dort eintreffen.

Am nächsten Morgen fahren wir zusammen von Lüneburg Richtung Bonn. Wie schon am Tag davor löst ein Stau auf der Autobahn Panik in mir aus. Die Verfolger sind wieder hinter mir her. Ich schreie meinen Bruder an: „Wir müssen hier raus“. Die Verfolger nahen doch. Als er von der Autobahn abfährt, flehe ich ihn voller Angst an, er solle schneller fahren. Ich schreie ihn an: „Ich möchte fahren“, und versuche, ihm den Autoschlüssel abzunehmen.

Doch als er anhält und heimlich in der Psychiatrie anruft, laufe ich vor dem nahenden Krankenwagen und Ärzten weg. Der Verrat durch den eigenen Bruder, der sich wie alle anderen gegen mich verschworen hat, ist eine herbe Enttäuschung. Die Ärzte holen mich schnell ein und bringen mich in die nächstgelegene Psychiatrie. Jetzt haben sie mich doch.

In der geschlossenen Psychiatrie sind die Fenster abgesperrt und ich bin gefangen. Ich misstraue den Ärzten, denn diese wollen mich umbringen. Aus diesem Grund will ich auch die Medikamente nicht schlucken, die sie mir anbieten. Meine Eltern, die inzwischen eingetroffen sind, stecken mit den Ärzten unter einer Decke, sie kennen die wahren Beweggründe der Ärzte eben nicht. Hatte mein Bruder mich hier nicht eingewiesen? Sie verstehen einfach nicht, dass es hier um mein Leben geht.

Ich wurde doch erleuchtet. Gott hat mit mir gesprochen. Soll ich wirklich glauben, dass dies alles nichts als eine Krankheit ist? Die Stimme im Radio, das überwältigende Gefühl, als er mir mitteilt, dass das Leben nach dem Tod weitergeht? Stattdessen sitze ich hier in der Psychiatrie mit den verwahrlosten Patienten und den hektischen Ärzten? Das soll die Realität sein und nicht das Schöne im Auto, als ich durch die Wälder gefahren bin und Gott zu mir sprach? Die Erleuchtung als Humbug? Nein!

Aufgrund meiner Angst, umgebracht zu werden, überlege ich des Nachts, trotz der verschlossenen Fenster zu türmen. Ist das Fenster im Raucherraum vielleicht nicht abgeschlossen? Den Plan, mit zusammengeknüpften Bettlaken aus diesem Fenster aus dem dritten Stock zu fliehen, verschiebe ich zunächst, da die Kontrollen der Ärzte zu stark sind.

Am Morgen erscheint ein Richter. Mein energischer Protest dagegen, dass ich hier festgehalten werde, wird abgewehrt: „Wir sind doch in einem freiheitlichen Land, wo man meine Rechte nicht so beschränken darf!“ Der Richter ist unerbittlich: ich muss hierbleiben. Das bestätigt einmal mehr, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht! Wohl oder übel muss ich akzeptieren, dass gegen meinen Willen über mich entschieden wird.

Am nächsten Tag überzeugt mich mein Vater, die Medikamente doch einzunehmen. Er möchte diese auch schlucken, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht schädlich sind. Also nehme ich sie schließlich doch ein, um die Einnahme durch meinen Vater zu verhindern.

Nach einer Woche geschlossener Anstalt gelange ich in die offene Psychiatrie. Nach einiger Zeit kommt die Einsicht: Das war nicht Gott und du bist nicht Neo. Du hattest eine Psychose, und Zeichenlesen und Halluzinationen sind normale Symptome einer Psychose. Alles war eingebildet.

Das Erwachen aus der Psychose ist zunächst eine herbe Enttäuschung. Der Glaube, dass Gott zu mir gesprochen hat, war fest eingebrannt in meine psychotische Phantasie. Ich war zutiefst von meiner Erleuchtung überzeugt und bin traurig, dass dahinter nur eine Erkrankung steht.

Es ist schwierig, so feste Überzeugungen - auch wenn sie krankhaft sind - loszulassen. Einen Gedanken nach dem anderen, eine Vorstellung nach der anderen überprüfe ich und gelange schließlich wieder zu einer gesunden Einstellung zur Realität.

Was passiert eigentlich während einer Psychose mit dem Verstand? Viele Dinge können nicht mehr mit einem klaren Verstand beurteilen werden und ein anderer, entrückter Blick auf die Dinge beherrscht die Gedankenwelt. Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass ich verfolgt werde, obwohl die Bedrohung nur in meinem Kopf bestand. Während der Psychose stecke ich tief drin in meinen eigenen Gedanken. Die eigenen Ansichten zu überprüfen ist unmöglich.

Es ist wie ein Gedankenkreisen ohne Ziel. Harmlose Beobachtungen werden interpretiert als Signale mit einer höheren Botschaft. Eine solche höhere Botschaft wurde mir zum Beispiel durch den Artikel des Magazins „der Spiegel“ übermittelt, andere Botschaften kamen von Verkehrsschildern, die mir – und zwar mir persönlich - die Richtung wiesen. Ein Hinterfragen, nein, das ist nicht möglich.

Auch akustische und visuelle Halluzinationen sind typisch für die Erkrankung. Ich hatte mit Sicherheit akustische Halluzinationen, als Gott im Radio zu mir sprach. Ob ich auch visuelle Halluzinationen hatte? Da bin ich mir weniger sicher. Zeigten die Verkehrsschilder wirklich andere Richtungen an als gewöhnlich?

Erst im Nachhinein, bei klarem Verstand, kann ich das Erlebte überdenken und wieder neu einordnen. Im kranken Zustand fehlt das Verständnis für das Erlebte. Ein Auftauchen aus dem psychotischen Zustand ist erschreckend, da die eigenen Gedanken hinterfragt werden müssen. Im Normalfall traut jeder Mensch seinen eigenen Gedanken und identifiziert sich mit ihnen. Wenn diese verrückt spielen und nicht mehr den normalen Regeln folgen, steht die Frage im Raum, wer man wirklich ist und was einen eigentlich ausmacht.

Das Geschehene in der Psychose erscheint oft merkwürdig. Später fällt die Erinnerung schwer und das Vergessen setzt ein. Waren es Halluzinationen oder erschienen mir die Verkehrszeichen nur als verändert? War der Verkehr objektiv verlangsamt oder erschien es mir nur so? Während der Psychose war mir klar, dass etwas Übernatürliches geschehen war. Im Nachhinein beginnt der Zweifel.

Während der Psychose zeigte mir der entschleunigte Verkehr unwiderleglich, dass ich die einzige auf der Welt bin und der Rest ferngesteuert. Wie kam es zu diesem seltsamen Gefühl? Wie kann man die Verlangsamung der Welt erklären? Kann es sein, dass es so komplexe Halluzinationen gibt, die das Zeitempfinden ändern? Doch wie kann so etwas vom Gehirn gesteuert sein? Eine Psychose lässt vermutlich viele der Betroffenen wie auch mich verwirrt zurück. Es ist eine Krankheit, ja. Aber eine wirklich seltsame Krankheit.

Nach meiner neuen Berechnung ist ein so geringer Benzinverbrauch während einer siebenstündigen Autofahrt durchaus möglich. Hier ist also anscheinend doch nichts Übernatürliches passiert.

Eine Psychose hat schon viel Merkwürdiges. Es ist besonders bei der ersten Erkrankung schwierig zu begreifen, wie die eigenen Gedanken so verrückt spielen können. Bei der ersten Psychose sind die Symptome noch nicht bekannt, und man hat sich nicht mit dieser Krankheit auseinandergesetzt. Auch für mich ist es schwer. Ein Gott, der aus dem Autoradio spricht, und er ist es gar nicht? Alles nur in meinen Gedanken? Bin ich wirklich nicht erleuchtet worden? Um dies als eine Krankheit zu begreifen, als eine Änderung des Hirnstoffwechsels, dazu braucht es ein wenig Zeit. Und auch Überzeugungskraft der Ärzte und Angehörigen. Meine Einstellung zu dieser Krankheit wird sich mit dem späteren Krankheitsverlauf jedoch noch drastisch ändern.

Meine Eltern fahren täglich in die Klinik und unterstützen mich sehr. Ich bin Ihnen unglaublich dankbar. Ein unterstützendes Umfeld ist essentiell notwendig bei einer solchen Erkrankung. Ohne meine Eltern wäre die Erkrankung und der Aufenthalt in der Psychiatrie kaum erträglich gewesen. In der Psychiatrie treffe ich auf verwahrloste Menschen und Schicksale: Eine menschliche Umgebung, die meinem bisherigen behüteten Umfeld nicht entspricht.

Der Rückhalt in meiner Familie ist meine große Rettung. Ich weiß nicht, wie meine Erkrankung ohne diesen Rückhalt verlaufen wäre. Ich wäre zumindest erst spät in die Klinik gekommen, da sich in meinem Wohnort Lüneburg – in einer Stadt, in die ich gerade erst gezogen bin und keine Freunde habe – niemand für mich eingesetzt und mich in das Krankenhaus gebracht hätte. Und um einen psychotischen Menschen in die Klinik zu bringen, dazu gehört viel Einsatz!

Ich wohne seit kurzem in einer Wohngemeinschaft in meinem neuen Wohnort in der Nähe von Hamburg. Ich bin 32 Jahre alt, seit längerem nicht in einer Beziehung lebend und habe, seit ich aus meinem Elternhaus ausgezogen bin, immer nur in Wohngemeinschaften gelebt. Es liegt wohl an der Psychose und daran, dass die Polizei mich einmal aus der Wohnung geholt hatte, dass einer meiner Mitbewohner – ein Medizinstudent und Sohn des Wohnungseigentümers – nicht mehr mit mir zusammenwohnen wollte. Er hatte meinen desolaten psychischen Zustand zum Teil mitbekommen und kann wohl nicht damit umgehen. Also ruft dieser meine Eltern an und kündigt mir die Wohnung wegen „Eigenbedarf“. Es ist ein Schock. Eine Kündigung der Wohnung – geschickt ins Krankenhaus! Von einem Medizinstudenten hätte man vielleicht erwarten können, dass er mit der Krankheit von Menschen besser umgehen kann! Ich bin noch lange danach entsetzt über so viel fehlende Empathie.

Viele, die mit solchen Krankheiten konfrontiert sind, können damit nicht umgehen und versuchen, die Krankheit wegzudrängen. Hätte ich an einer körperlichen Erkrankung gelitten, wäre die Reaktion meines Mitbewohners wohl anders ausgefallen. Vielleicht wäre die Anteilnahme größer gewesen. Eine körperliche Erkrankung wird akzeptiert, aber eine psychische nicht. Keine Hilfestellung zu leisten ist die eine Seite, aber einem Kranken noch Steine in den Weg zu legen, ist einfach nicht in Ordnung. Gerade psychisch Erkrankte haben hier einen doppelten Kampf zu kämpfen – den gegen die Erkrankung und den für mehr Akzeptanz.

Viele Erkrankte haben nicht den Rückhalt in der Familie, den ich genieße. Wenn keiner den Erkrankten in die Klinik zu bringen bereit ist, dann kann sich eine solche Krankheitsepisode aufgrund der fehlenden Medikamentengabe und der fehlenden Betreuung durch die Ärzte lange hinziehen. Nicht auszumalen, welch Schaden ein solcher Erkrankter sich und seiner Umwelt dadurch antuen kann!

Doch was sind die Auslöser für die Erkrankung? Oft ist es Stress. Auch die Ursachen meiner Erkrankung liegen vermutlich darin verborgen. Ich bin neu nach Lüneburg gezogen, hatte mir noch keinen Freundeskreis aufgebaut und hatte durch zwei halbe Stellen an verschiedenen Arbeitsstellen viel Druck im Beruf erlebt. An beiden Stellen wurde voller Einsatz erwartet. Und mein eigener Ehrgeiz verlangte neben diesem äußeren Druck auch noch die beste Arbeit.

So ist es auch mein eigener beruflicher Ehrgeiz, der zur Psychose geführt hat. Doch als ich meinen beiden damaligen Chefs von meiner Überanstrengung erzählte, reagierten diese nicht und entlasteten mich nicht von meinen zahlreichen Aufgaben weg. Wäre mir der Druck in der Arbeit frühzeitig genommen worden, wäre es womöglich nicht so weit gekommen.

Stress im Privaten und im Beruf wird neben genetischen Faktoren als Hauptursache für die Erkrankung gesehen. Nur die Grenze, die das Fass zum Überlaufen bringt, ist bei jedem Menschen verschieden. Stress im Beruf wird oft noch viel zu leicht genommen und gilt in den meisten Arbeitsstellen als normal. Aufklärung und eine gewisse Sensibilität gegenüber den stressbedingten Erkrankungen gibt es nur in den wenigsten Betrieben, Ämtern und Behörden. Vorgesetze sollten aber die leisen Hilferufe ihrer Mitarbeiter schon ernst nehmen und diesbezüglich geschult werden.

Später in meinem Leben werde ich auch andere Ursachen neben den Stress hinter der Erkrankung sehen, die dazu geführt haben, dass mein Geist so auf Abwege geraten ist.

MINUS-SYMPTOMATIK