MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten - Andrea Schacht - E-Book

MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Der schottische Schlosskater MacTiger beschert dem Leser eine Achterbahn der Gefühle: vom wohligen Schauer bis hin zum glücklichen Lächeln …

Schottland, 1744: Eine Clan-Fehde nimmt auf Drumnadruid Castle ein blutiges Ende. Auch Schlosskater MacTiger wird, ehe er sichs versieht, hinterrücks gemeuchelt. Seither geht sein Geist um. Jahrhunderte später – Drumnadruid Castle zieht als idyllisches Highland-Hotel unzählige Gäste an – spürt die junge Margita seine Anwesenheit. Die beiden verbindet etwas, das weit in die Vergangenheit zurückreicht …

Atmosphärisch, spannend, augenzwinkernd!

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Seitenzahl: 370

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Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Vorwort
 
Ein grauenvolles Ende – Sommer 1744
Geister der Vergangenheit – Heute im Schlosshotel Drumnadruid Castle
Eine Bildungsreise – Im Juni vor zwei Jahren
Ein trauriges Gespenst
Ein niederschmetterndes Abendessen
Wege in der Dämmerung
Ein hoffnungsloser Spuk
Beherbergung der Leidenden
Ein böser Geist geht um
Alte Geschichten
Die Technik des Spukens
Zeugen der Vergangenheit
Modernisierte Spukeigenschaften
Old MacDonald...
Kulturprogramme
Touristische Attraktionen – Heute im Schlosshotel
Erweiterte Spukübungen
Unter Beschuss
Das kalte Grauen
Gespenstergeschichten
Die tanzenden Maiden
Elektronischer Spuk
Ein enttäuschendes Abendessen
Peinliche Entdeckung
Eine noch peinlichere Entdeckung
Gespenstischer Ausbruch
Findelkätzchen
Nächtliche Visionen
Tägliche Visionen
Nächtliche Pläne
Gemischte Gefühle
Überraschende Besucher – Heute, an der Hotelrezeption
Gespenstischer Frust
Die adoptierte Cousine
Der Geist der Distelblüte
Blutige Rosen
Das nackte Grauen
Mysteriöser Elektrosmog
Gespenstische Hoffnung
Alberner Hotelklatsch
Blütenlese
Noch eine Überraschung – Heute in der Hotelrezeption
Gespenstische Sehnsucht
Wanderer zwischen den Welten
Gespenstischer Zweifel
Silberdistel
Kleine Spukereien
Trübselige Regenstimmung
Ein wundervoller Abend
Hochenergie-Spuk
Trunkene Geständnisse
Gespenstischer Kräftezuwachs
Im Heiligen Hain
Überraschte Besucher – Heute in der Hotelrezeption
Klirrende Schwerter
Kröten in Champagner
Gespenstische Gewissensbisse
Alte Gräber
Geister im Nebelmoor
MacTiger greift ein
Ein Schicksalsfädchen
Das Ende der Ballade
Das Ende der Geschichte
Der Anfang der Geschichte
 
Copyright
Buch
1744, im schottischen Hochland: Auf Drumnadruid Castle findet eine erbitterte Clan-Fehde ihr blutiges Ende. Auch Schlosskater MacTiger wird, ehe er sichs versieht, hinterrücks gemeuchelt. Die einzigen Überlebenden des Gemetzels sind eine Kinderfrau und ihr Schützling, die kleine Mary McIain. Völlig verstört, sieht Mary den entleibten Kater neben ihrer Schwester liegen und will ihn ein letztes Mal streicheln, doch die Kinderfrau zerrt sie fort. Während die beiden aus dem zerstörten Gemäuer fliehen, bleibt MacTiger, die arme Katzenseele, zurück – dazu verdammt, dort in Einsamkeit umzugehen …
Autorin
Andrea Schacht war lange Jahre als Wirtschaftsingenieurin und Unternehmensberaterin tätig, hat dann jedoch ihren seit Jugendtagen gehegten Traum verwirklicht, Schriftstellerin zu werden. Ihre historischen Romane um die aufmüpfige Kölner Begine Almut Bossart haben auf Anhieb die Herzen von Lesern und Buchhändlern erobert. Andrea Schacht lebt mit ihrem Mann und ihren Musen – zwei Katzen – in der Nähe von Bonn. Einer ihrer Samtpfoten stand u. a. Patin für »Teufelchen«, dem wir in »Das Werk der Teufelin« begegnen. Und auch sonst lässt sich Andrea Schacht gerne von den geschmeidigen Vierbeinern inspirieren: Die Idee für die »Ring-Trilogie« lieferte der Abdruck einer Katzenpfote in einem 1900 Jahre alten römischen Lehmziegel, zu besichtigen in der »Römervilla« bei Ahrweiler.
 
Bei Blanvalet lieferbar:
Die Lauscherin im Beichtstuhl. Eine Klosterkatze ermittelt (36263) Göttertrank (geb. Ausgabe, 0273) Kreuzblume (geb. Ausgabe, 0220) Rheines Gold (Tb 36262)
DIE BEGINEN-ROMANE: Der dunkle Spiegel (36774) Das Werk der Teufelin (36466) Die Sünde aber gebiert den Tod (36628) Die elfte Jungfrau (36780)
DIE RING-TRILOGIE: Der Siegelring (35990) Der Bernsteinring (36033) Der Lilienring (36034)
Vorwort
Das Ihnen vorliegende Werk ist ein Gruselroman – so schaurig, wie es nur eine Geschichte sein kann, die von einem Kater handelt, der vor gut zweihundertfünfzig Jahren eher zufällig entleibt wurde und dessen umtriebige Seele es nicht geschafft hat, in den Katzenhimmel zu gelangen.
Da es sich bei MacTiger um einen gebildeten Geist handelt, greift er, um seine beklagenswerte Situation dem geneigten Leser deutlich zu machen, dann und wann auf Zitate von Edgar Allan Poe zurück, der wohl das gruseligste und schaurigste Gedicht der Weltliteratur verfasst hat: The Raven – Der Rabe.
Dieses elende Geschöpf, das nur ein einziges Wort krächzen kann, nämlich »Nevermore« – Nimmermehr, treibt den armen Dichter mit seiner trost- und hoffnungslosen Mahnung an den Rand des Wahnsinns.
So, wie es auch der trost- und hoffnungslose Gespensterkater mit seiner Umwelt tut. Sehen Sie ihm seine literarischen Anwandlungen also nach und gönnen Sie sich, wenn es Ihnen einmal richtig zu gut gehen sollte, die Lektüre jenes Gänsehaut erregenden Gedichtes aus dem neunzehnten Jahrhundert. Hier zum Vorgeschmack eine Strophe daraus.
»Be that word our sign of parting, bird or fiend!« I shrieked, upstarting -
»Get thee back into the tempest and the Night’s Plutonian shore!
Leave no black plume as a token of that lie thy soul hath spoken!
Leave my loneliness unbroken! Quit the bust above my door!
Take thy beak from out my heart, and take thy form from of my door!«
Quoth the raven: »Nevermore.«
(Es gibt, und da spürt man eben die Hand des Meisters, keine adäquate Übersetzung dieses unheimlichen Gedichtes.)
 
Selbstredend spielt auch der Rabe Nevermore eine tragende und tragische Rolle in diesem Roman.
 
Besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle Petra Roggentin-Haag aussprechen, der Schottland- und Katzenkennerin, die wesentlich zur Gestaltung des Werkes beigetragen hat.
 
Unruhige Nächte wünscht Ihnen die Autorin!
Ein grauenvolles Ende
Sommer 1744
Ich saß vor dem Mauseloch und wartete. Geduldig, wie es so meine Art ist. Es war ein sehr lohnenswertes Mauseloch, denn die Bewohnerin hatte sich Zugang zu den Kornsäcken verschafft und war fett und rund geworden. Leise hörte ich sie hinter den Holzbohlen knispern und knuspern. Nur ganz von ferne drang das Gelärm aus der Halle an meine gespitzten Ohren – das Pfeifen des Dudelsacks, trunkenes Gelächter und Gegröle der Menschen dort unten. Das ging mich nichts an. Da, eine Bewegung, ein schwarzes Näschen bebend am Ausgang des Mauselochs. Ganz ruhig bleiben, nicht rühren. Ich konzentrierte mich völlig auf die leisen Geräusche, die fast unmerklichen Bewegungen. Nichts anderes nahm ich mehr wahr.
Und so geschah es. Plötzlich ein Poltern, ein Schrei, ein Krachen – ich bemerkte nur noch das stählerne Blitzen über meinem Kopf, dann war es aus.
Verblüfft schwebte ich nach oben und sah mich entleibt vor dem Mauseloch liegen. Eine Blutlache breitete sich um mich herum aus, und die Maus tanzte schadenfroh vor meiner Nase. Ich kochte vor Zorn!
Aber weitere Schreie und ohrenbetäubendes Klirren lenkten mich ab. Ein hünenhafter Greis in braunem Tartan-Kilt schwang ein blutbeflecktes Breitschwert, einer von Rory MacIains Mannen brach auf der schmalen Treppe zusammen. Was war denn hier los? Ich wollte mich, wie ich es zur Unterstützung meiner Denkprozesse normalerweise halte, mit der rechten Hinterpfote am Ohr kratzen, als ich voller Entsetzen merkte, dass da weder Pfote noch Ohr war. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich mich wieder fassen konnte. Doch schließlich wurde mir klar, dass ich mich offensichtlich in einem körper-, doch nicht geistlosen Zustand befand. Seltsamerweise konnte ich mich bewegen, wenn auch nicht wie gewohnt auf meinen Pfoten. Ich schwebte sozusagen über den Dingen. Und die sahen nicht besonders gut aus.
Mein Heim, Drumnadruid Castle, befand sich im Zustand des reinsten Chaos. Überall lagen Menschen in ihrem Blute, Whisky-Lachen breiteten sich vor den geborstenen Fässern aus, Tische und Bänke zersplittert, von Schwerthieben zerhauen, versperrten den Weg ins Freie, und im Gebälk knisterte bereits das Feuer.
Und dann fand ich sie, meine sanfte Menschenfreundin. Sie lag vor dem großen Kamin in der Halle. Wie eine bleiche, gebrochene Blume ruhte sie inmitten der Trümmer. Rotgolden schimmerte ihr gelöstes Haar, rötlich schimmerte die helle Bluse ihres Festtagskleides im Feuerschein – und rot schimmerte das Blut an ihrer Kehle. Als ich neben ihr weilte, erschüttert von ihrem Anblick, da öffnete sie noch einmal ihre Lider, und es schien mir, als sähe sie mich an. Dann brachen ihre wundervollen blauen Augen, blau wie der Loch Naw im Sommersonnenschein, und das Leben wich aus ihr. Eine golden leuchtende Gestalt entfloh mit dem letzten Atem von ihren zarten Lippen. Und diese Gestalt streckte die Hand nach mir aus, lud mich ein, ihr zu folgen. Aber ich war wie betäubt, unfähig zu reagieren, hilflos blieb ich zurück. Und die geliebte Freundin entschwand meinen Blicken und erhob sich himmelwärts.
Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit verging. Lange verharrte ich bei ihrem leblosen Körper, hörte nichts, sah nichts, wollte nichts mehr wissen. Erst sehr viel später merkte ich, dass die Geräusche verstummt waren, die Feuer erloschen und die Morgendämmerung grau durch das geborstene Tor gekrochen kam. Zerstört und trostlos lag die Halle vor mir, Totenstille herrschte in der gesamten Burg. Oder? Da war doch ein Kratzen zu hören? Ein feines Scharren, ein Seufzen? Hatte doch noch eine Seele das Gemetzel überlebt?
Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf dieses Geräusch. Tatsächlich, dort am Kamin, hinter dem umgestürzten Tisch, bewegte sich etwas. Lugte ein verschmiertes Gesicht vorsichtig über den Rand. Dann ein zweites, ein Kindergesichtchen. Mary MacIain und die treue Morri krabbelten unter den Trümmern hervor und sahen sich um. Dann stürzte die kleine Mary zu ihrer Schwester, fiel wimmernd an ihrer Seite auf die Knie. Morri versuchte sie wegzuziehen, aber das kleine Mädchen hielt sich an dem blutigen Stoff des Kleides fest.
»Mary, wir müssen fliehen, keine Zeit jetzt. Mary, Honigkind, komm!«
»Meine Schwester soll mitkommen.«
»Sie kann nicht mitkommen, Mary, sie schläft.«
»Sie schläft so tief, Morri.«
»Ja, meine Kleine, ganz tief.«
Morri bückte sich, strich sanft über die Augen der Toten und erhob sich wieder. Dann beugte sie sich noch einmal hinunter und nahm vorsichtig die Gewandnadel aus dem Kleid und verbarg die silberne Distel in ihrem Brusttuch.
»Komm, Mary. Wir wollen dieses Haus verlassen.«
»Gleich, Morri. Ich will noch einmal den Kater streicheln.«
»Kater?«
»Siehst du ihn nicht? Er sitzt bei Margaret.«
Mary mit den Kinderhänden berührte das, was ich nun war, und wie ein wundersamer Energiestrom durchfuhr es mich. Dann drehte sie sich um und lief hinter ihrem Kindermädchen Morri her, hinaus in den trüben Hochlandmorgen.
Und ich hing hier, gefangen zwischen Himmel und Erde, unfähig zu schlafen, unfähig zu ruhen. Das ist das Grausamste, was man einem Kater antun kann. Was ist schon ein Kater, der nicht mehr schlafen kann. Rastlos irrte ich durch die Gänge, voll Wut auf alle die, die mir dieses Leid beschert hatten.
And my soul from out this shadow that lies floating on the floor
Shall be lifted – nevermore!1
Geister der Vergangenheit
Heute im Schlosshotel Drumnadruid Castle
Das Frühlingslicht fällt strahlend durch das Tor und verleiht der Eingangshalle ein heiteres Gesicht. Wie jeden Morgen schlüpfe ich hinter die Theke an der Rezeption und sehe mir die Zimmerbelegung an. Wir sind ausgebucht. Zufrieden streichle ich den Schlosskater, der wie üblich auf meinem Schreibtischstuhl vor dem Bildschirm hingestreckt liegt.
»Auf, auf, wir müssen Mäuse machen«, sage ich zu ihm und schubse ihn sanft zur Seite, um mich an den Computer zu setzen. Er räumt mir gnädig zweieinhalb Zentimeter der Sitzfläche ein. Zum Glück habe ich eine zierliche Figur und kann damit zufrieden sein.
Ich bin es auch – zufrieden nämlich. Eigentlich sogar glücklich. Aber dieses Glück ist mir nicht in den Schoß gefallen. Ganz bestimmt nicht.
Vor einem Jahr haben wir dieses Hotel übernommen, das Schlosshotel Drumnadruid Castle in den schottischen Highlands. Dass es dazu kam, hätte ich mir allerdings vor zwei Jahren, als ich das erste Mal das alte Gemäuer betrat, niemals träumen lassen.
Wenn man es recht betrachtet, begann alles mit einer Tragödie, die sich vor langer Zeit abgespielt hatte. Dann nahm die Geschichte allerdings in der Gegenwart stellenweise die Züge einer Komödie an, die sich zu einem absurden Horrorszenario steigerte. Andererseits, wenn ich so meinen Mann sehe, der gerade durch die Halle geht und mir zuzwinkert, muss ich gestehen, es hatte auch einige hübsche Elemente eines burlesken Lustspiels darin gegeben.
Von draußen klingt Motorengeräusch herein. Wie es das Schicksal so will, soll heute der grün-weiße Bus der History Tours mit einer Gruppe bildungshungriger Reisender eintreffen.
Und schon höre ich eine mir bekannte Stimme, die nörgelnd bemerkt: »Als ich das letzte Mal hier war, hatten sie noch einen Dudelsackpfeifer. Aber wahrscheinlich müssen sie sparen.«
Hilde Liebmann betritt das Hotel und sieht sich missbilligend um. Dann entdeckt sie mich.
»Ach, Maggi. Du bist noch immer hier?«
»Ja, Frau Liebmann.«
Sie platziert ihre umfangreiche Figur vor der Rezeption und nimmt damit allen anderen die Möglichkeit, sich von Morrigan die Zimmerschlüssel aushändigen zu lassen. In höchster Lautstärke kommentiert sie meine Anwesenheit und die Veränderungen, die wir im Schloss vorgenommen haben.
»Der schöne Teppich mit dem Tartarenmuster ist fort.«
»Ja, Frau Liebmann.«
»Und der nette Hotelbesitzer mit dem hübschen Rock ist auch nicht mehr da.«
»Nein, Frau Liebmann.«
In diesem Moment scheint ihr zu dämmern, dass ich wohl nicht zu den Gästen gehörte.
»Was machst du eigentlich in diesem Hotel?«
»Ich empfange die Besucher.«
In ihrer Verblüffung lässt sie sich kommentarlos von der Reiseleiterin zur Seite schieben. Morrigan und ich können endlich mit der Schlüsselausgabe beginnen.
Als die Gäste in ihren Zimmern verschwunden sind, lehne ich in Gedanken versunken am Tor. Arthur geht vorbei, sieht mich und fragt: »Was ist geschehen, Margita?«
»Oh, Arthur. Ich bin gerade einem Geist aus der Vergangenheit begegnet.«
Er bemerkt den Reisebus und lächelt.
Eine Bildungsreise
Im Juni vor zwei Jahren
Diesmal schien mit unserem Urlaub alles schiefzugehen. Dabei hatte ich mich auf die Reise ins schottische Hochland besonders gefreut. In meiner verträumten Art versorgten mich die alten Geschichten und Sagen von einsamen Mooren, düsteren Burgen, Barden und Druiden, geheimnisvollen Steinkreisen und wundersamen Wesen, die fern vom menschlichen Getriebe noch in der ungezähmten Natur existierten, mit sehnsüchtigen Fantasien.
Seit zwei Tagen waren wir unterwegs, und der heutige war für mich ungewöhnlich anstrengend gewesen, denn Tante Henrietta hatte sich eine Magenverstimmung zugezogen.
Tante Henrietta, die ältere Schwester meiner Mutter, kümmert sich seit deren Tod vor zwölf Jahren um mich. Inzwischen hatte ich zwar mein sechsundzwanzigstes Jahr erreicht, aber sie fühlte sich noch immer für mich verantwortlich. Vor allem, was meine Urlaube anbelangte. Sie war eine äußerst disziplinierte Frau, die die Aufgabe sehr ernst nahm, mir Haltung und Weltkenntnis mitzugeben. Darum machten wir jedes Jahr gemeinsam eine Bildungsreise. Nach meinen Wünschen selbstverständlich. Und auf ihre Kosten.
Das Unglück begann beim Mittagessen. Meine Tante machte es sich immer zur Pflicht, in jedem Land die typischen Gerichte zu essen, koste es sie, was es wolle. In Schottland musste es daher das Scotch Haggis sein, ein mit Innereien gefüllter Schafsmagen. Ich bin eigentlich auch ganz aufgeschlossen, was landestypisches Essen betrifft, aber hier war die Grenze des Erträglichen erreicht. Ich bestellte gedünsteten Lachs für mich. Tante Henrietta hatte mich missbilligend angesehen und todesmutig eine üppige Portion Schaf verspeist.
Das anschließende Geschaukel des Busses auf den schmalen, gewundenen Straßen war keine gute Kombination im Zusammenspiel mit diesem Gericht. Sie begann blasser und blasser zu werden und drückte sich verzweifelt ein Taschentuch an den Mund. Über das Tuch hinweg schenkte sie mir einen Blick, als ob ich schuld an dem Zustand der Straße sei.
Unsere Gruppe setzte sich überwiegend aus älteren Damen ohne Anhang zusammen. Sie waren uns fremd, bis auf eine Dame. Es war reiner Zufall, dass Hilde Liebmann, die mit Tante Henrietta seit vielen Jahren lose befreundet war, ebenfalls diese Reise gebucht hatte. Über die klebrige Art und Weise, wie sie sich uns sofort anschloss, war ich nicht sehr glücklich. Aber Tante Henrietta hatte mich nur warnend angesehen, als ich leise protestieren wollte. Trotzdem hatte sie sich nicht besonders intensiv mit ihr unterhalten. Frau Liebmanns Redeschwall versiegte denn auch bald in Tante Henriettas zugeknöpftem Schweigen.
Sie würde uns während der nächsten zwei Wochen erhalten bleiben, und bei dem Gedanken musste ich einen leichten Überdruss unterdrücken. Auch mich kannte sie schon seit meiner Kindheit, darum war ich für sie immer noch die kleine »Maggi«, obwohl ich es inzwischen vorzog, Margita genannt zu werden.
 
Als wir am Schlosshotel Drumnadruid Castle gegen vier Uhr aus dem Bus kletterten, grummelte Tante Henrietta leise vor sich hin. Ihr Missfallen galt dem Dudelsackspieler, der vor dem Tor des Hotels posierte und ziemlich schräg »Amazing Grace« pfiff. Wenn sie das Taschentuch nicht an die Lippen gepresst hätte, hätte sie es sich wahrscheinlich in die Ohren gestopft. Das zumindest konnte ich verstehen, wenngleich unsere anderen Mitreisenden mit verklärten Augen stehen blieben und zuhörten.
»Ach, Henrietta, ist das nicht originell, uns mit diesem alten Brauchtum zu empfangen. Ich bin sicher, wir werden uns hier sehr, sehr wohlfühlen«, säuselte Frau Liebmann neben uns.
»Urrgh!«, antwortete meine Tante vielsagend.
»Hach, dieses bezaubernde alte Schloss mit den trutzigen Türmen. Hoffentlich bekommen wir ein Zimmerchen da oben. Nicht, Maggi, dir würde das doch auch gefallen?«
Ich war unhöflich, aber Hilde Liebmann ging mir mehr und mehr auf die Nerven. Alles und jedes musste sie kommentieren, das war ihre hervorstechendste Eigenschaft. Den gesamten Nachmittag hatte sie schon ihre verbalen Schwallduschen über uns ergossen. Darum antwortete ich nun mit einem ähnlich erstickten Laut wie zuvor Tante Henrietta.
»Oh, und da ist auch schon unser Gastgeber, der Schlossherr. Seht mal, sogar im Kilt! Welchem Clan er wohl angehört? Ich habe schon sooo viel über diese Tartarenmuster gelesen. Er muss uns alles, alles erzählen!«
Ich sehnte mich inzwischen auch nach einem Taschentuch, aber nicht, um es mir an die Lippen zu pressen, sondern um Frau Liebmann damit zu knebeln. Manchmal habe ich solche gesellschaftlich nicht akzeptablen Sehnsüchte. Ich lasse es allerdings nicht zu, dass sie mich überwältigen, und zum Glück hatte der Busfahrer mittlerweile das Gepäck ausgeladen. Die hektische Sicherung des Eigentums begann. Zwanzig erfahrene Busreisende stürzten sich auf die Koffer und Taschen. Im unbekümmerten Leichtsinn meiner Jugend wartete ich einfach, bis alle ihre Besitztümer an sich genommen hatten und nur noch meine Tasche und Tante Henriettas Schalenkoffer neben dem Bus standen. Aber dieses Vorgehen ersparte mir ein paar blaue Flecke.
Allerdings nicht die Vorhaltungen von Tante Henrietta.
»Worauf wartest du so lange? Willst du, dass sich Hilde Liebmann an meinem Gepäck vergreift? Siehst du nicht, dass ich mich zu schwach fühle, mich um die Sachen zu kümmern?«
»Doch, Tante, das sehe ich.«
Ich wuchtete meine Tasche mit dem Riemen über die Schulter und versuchte, auch den sperrigen Koffer zu bewegen. Vorn, vor dem Eingang, bildeten unsere Mitreisenden schon einen Pulk, und ich schleppte mich mühsam die Auffahrt hoch, als ein Jeep mit einer Staubwolke an mir vorbeischoss und mich fast zu Fall brachte. Die Türen öffneten sich, und drei junge Männer sprangen heraus. Ihnen folgte langsamer, aber erheblich graziöser, eine Dame. Weißblondes, kinnlanges Haar glänzte wie ein Helm in der Sonne, die Seidenbluse und die grauen Flanellhosen saßen faltenlos und untadelig. Sie legte ihrem schwarzhaarigen Begleiter die Hand vertraulich auf die Schulter.
»Was ist das denn? Bustouristen? Wie absolut grässlich. Kenneth! Ken!? Ich dachte, ihr hättet ein einigermaßen stilvolles Haus ausgesucht, wenn es schon abseits in der Wildnis liegen muss. Und dann Kegelklubs in ganzen Busladungen – das ist doch unmöglich!«
Die Dame betrachtete uns über ihre aristokratische Nase hinweg, als wären wir aus der Köderdose der beiden Angler gekrochen, die sich ebenfalls dazugesellten.
»Das hat John-Tom geregelt. Wo ist der?«
»Kommt mit dem nächsten Jeep.«
Der dunkelhaarige junge Mann sah zu mir hin, und mich durchzuckte einen winzigen Augenblick der Gedanke, ich müsse ihn schon mal gesehen haben. Aber das konnte unmöglich sein, und er machte sich auch gleich bei mir unbeliebt, als er mit dem Finger auf mich zeigte und rief: »Hey, Sie da! Gehören Sie auch zu dem Klub da vorn?«
»Sie da« kann ich noch weniger leiden, als Maggi genannt zu werden. Dieser Mann, dem Aussehen und Benehmen nach eindeutig aus der Gattung karrierefixierter Jungmanager, weckte das Schlimmste in mir. Ich betrachtete mich gewöhnlich als eine graue Maus, aber in Momenten, in denen man mich derart herablassend behandelt, kriecht etwas Urtümliches meinen Rücken empor. Ich fühlte, wie meine Augen sich verengten und die Luft um mich herum kühler wurde.
»Ja, ich gehöre auch zu den Bildungsreisenden, die hier gebucht haben«, antwortete ich mit einer feinen Betonung auf dem Wort »Bildung«.
Es war ein glatter Schuss ins Knie.
»Ach ja, Bildung. Die wollen Sie sich auch noch aneignen? Dann achten Sie nur darauf, die passenden blauen Strümpfe anzuziehen, wenn’s dann so weit ist.«
Der Mensch drehte sich um, und ich wurde von einer zweiten Staubwolke umhüllt, denn der nächste Jeep preschte heran. Kaum war der Fahrer ausgestiegen, wurde er mit den Worten »John-Tom, was ist denn das für eine Pleite?« empfangen.
Knurrend zerrte ich das Gepäck Richtung Eingang. Ich fand mich leise schnaufend – Tante Henrietta pflegte offenbar Bleibarren in ihrem Koffer zu transportieren – in der Halle wieder, wo man sich um die Rezeption drängelte. Wenigstens hatte der Dudelsackspieler sein Ständchen beendet, und endlich bestand die Geräuschkulisse nur noch aus den lautstarken Anweisungen, mit denen sich die leicht Schwerhörigen über die Zimmerverteilung verständigten. Im Grunde konnte ich die Empörung der jungen Manager nachfühlen. Unsere Gruppe benahm sich nicht eben kultiviert.
Da es noch eine geraume Zeit dauern konnte, bis ich an die Reihe kam, hatte ich Muße, mich umzusehen. Im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild von Drumnadruid Castle, das zu einem großen Teil aus Anbauten aus dem späten neunzehnten Jahrhundert bestand, schien die Halle zur ursprünglich mittelalterlichen Bausubstanz zu gehören. Sie wirkte recht anheimelnd. In einem riesigen Kamin brannte ein mächtiges Torffeuer, denn der Frühsommer war noch kühl und vor allem feucht. Vor dem Kamin gruppierten sich Sessel und Sofas, was einen gemütlichen Aufenthalt versprach, vorausgesetzt, man war gänzlich farbenblind. Denn der begnadete Innenarchitekt hatte leider den Boden der Halle mit einem Spannteppich in einem – wie Frau Liebmann so passend bemerkte – »Tartarenmuster« ausgelegt, das jede Clan-Fehde rechtfertigte. Der Tartan des MacColourful war lilagrundig mit rosa, gelben und weißen Querfäden. Ich musste bei seinem schwindelerregenden Anblick befürchten, Tante Henriettas Zustand könne langsam in die kritische Phase treten. Und wirklich, sie lehnte kraftlos an der unverputzten Granitsteinwand, noch immer das Taschentuch an den Mund gepresst, die Augen geschlossen und gespenstisch blass.
Ich hatte Mitleid mit ihr. Darum drängelte ich mich an die Rezeption vor und erhob meine Stimme zu einem vernehmlichen »Excuse me, please«.
Der Mann hinter der Theke sah zunächst durch mich hindurch, wie das viele machen, wenn ich mich um Aufmerksamkeit bemühe. Ich räusperte mich und sagte noch etwas lauter: »Könnten Sie mich bitte vorlassen, meiner Tante geht es nicht gut.«
Gleichzeitig schob ich Frau Liebmann rigoros zur Seite, was sie von mir nicht erwartet hatte und daher verdutzt Platz machte. Dann sah ich mich plötzlich dem Chef des Hotels gegenüber, der Nämliche, der die Gruppe vor dem Haus so malerisch im Kilt empfangen hatte. Über dem Tartan-Rock trug er eine Tweedjacke, dunkles Lila mit Rosa durchschossen. Das biss sich schmerzlich mit seiner rötlichen Gesichtsfarbe, die entweder auf einen ausgedehnten Aufenthalt in der frischen Hochland-Luft oder den ebenso ausgedehnten Genuss des Highland-Whiskys schließen ließ. Aber vielleicht tat ich ihm unrecht, wenn ich daraus meine unbotmäßigen Schlüsse zog. Er zumindest schien meine missliche Lage zu erkennen, stellte sich als Jonathan MacDuffnet vor und fragte nach meinem Begehr. Nachdem ich ihm kurz Tante Henriettas Leid geschildert hatte, reichte er mir zwei Schlüssel und beschrieb mir den Weg zu unseren Zimmern.
Ich legte mich wieder ins Geschirr, um das Gepäck aufzunehmen, und fand noch eine freie Hand, um meine Tante von der Wand zu lösen.
»Komm, Tante Henrietta, gleich kannst du dich etwas hinlegen.«
»Urrgh!«, wiederholte sie und stützte sich auf meinen Arm. Ich ging fast in die Knie, aber mit einiger Anstrengung schafften wir es, durch zwei unübersichtliche Fluchten zu wanken und Wunder über Wunder vor den angegebenen Zimmertüren zu stehen. Ich bugsierte Tante Henrietta in den erstbesten Raum, öffnete die Badezimmertür und schob sie in diese Richtung.
Dann ließ ich sie erst einmal mit ihrem Elend allein und suchte das andere Zimmer auf.
Es passiert zwar nicht oft, aber hin und wieder habe auch ich ein klein wenig Glück im Leben. Es war das Zimmer mit der schöneren Aussicht. Der Blick aus dem zweiten Stock war einmalig. Zu Füßen das Hotels schmiegte sich der See, der Loch Naw genannt wurde, lang hingezogen in ein enges Tal, eingerahmt von Hügeln, die mal mit frühlingsgrünem Wald, mal mit trockenem braunem Heidekraut bewachsen waren. Um den Loch leuchteten die Wiesen tiefgrün, im leicht bewegten Wasser des Sees spiegelten sich die Gipfel der kahlen Felsen und die schnell dahinziehenden Wolken. Es verursachte mir das Gefühl großer Vertrautheit, obwohl ich noch nie in meinem Leben in Schottland gewesen war. Die kargen Berghänge, das Fehlen jeder zivilisatorischen Merkmale, die Weite des Himmels, das Glitzern des vermutlich eiskalten Wassers rührten mich tief an. Auf den Weiden standen einige weiße Flecken, wahrscheinlich Schafe. Die eine oder andere Feldsteinhütte, halb zerfallen zwischen dem Heidekraut, mochte vor Zeiten den rauen Hochland-Bauern als Heim gedient haben. Fast vermeinte ich das glosende Torffeuer zu riechen, die rauen Wollstoffe zu fühlen, mit denen sie sich kleideten, den Duft ihrer kargen Mahlzeiten wahrzunehmen …
»Margita, es geht mir schlecht. Und du träumst wieder vor dich hin.«
Tante Henrietta lehnte schwach an dem Türrahmen.
»Ja, Tante Henrietta.«
»Was heißt ›Ja‹?«
»Ja, ich träume vor mich hin, und ja, es geht dir schlecht.«
»Sei nicht unverschämt, Margita. Ich lege mich etwas hin, häng meine Sachen weg.«
»Ja, Tante Henrietta.«
Ich riss mich endgültig von dem Blick in die große Freiheit los und kehrte zurück in meinen Kerker familiärer Verpflichtungen. Gehorsam folgte ich meiner Tante in ihr Zimmer, reichte ihr wie eine brave Zofe den Morgenmantel, legte das Nachthemd heraus, hängte ihr solides Reisekostüm auf Bügel und faltete Pullover und Bluse sorgfältig zusammen. Dann schlug ich ihr Bett zurück, schüttelte das Kopfkissen auf und fragte vorsichtig durch die geschlossene Badezimmertür, ob sie noch etwas wünsche. Dann zog ich mich mit dem trüben Gedanken zurück, dass ich diese Reise mit der Pflege einer ungnädigen Patientin verbringen durfte.
Ein trauriges Gespenst
Ich saß auf einem meiner Lieblingsplätze und hing meinen Gedanken nach. Dieser Kaminsims weckte Erinnerungen, unsäglich traurige Erinnerungen. Unter meinen Pfoten blühte, in Stein gemeißelt, eine Silberdistel, und immer, wenn ich sie sah, musste ich an die eine denken.
Hätte ich doch nur die ausgestreckte Hand ergriffen, die mich mit emporgezogen hätte in die himmlischen Regionen!
Aber man gewöhnt sich sogar an die Hoffnungslosigkeit.
Wenn es auch einige Zeit gedauert hat, bis ich mich mit meinem unglücklichen Dasein abgefunden hatte. Immer wieder wollte ich mein Fell putzen, und genauso oft musste ich feststellen, dass von dem schönen getigerten Mantel nichts mehr da war. Ein durchsichtiger Schatten war ich geworden, unfähig, auch nur einer halb verhungerten Maus die Kralle zu zeigen. Und einsam war ich in den ersten Jahren. Die Balken der Burg vermoderten, der Turm stürzte ein, Plünderer kamen und nahmen alles mit, was sich bewegen ließ. Ich war machtlos, nichts konnte ich tun.
Irgendwann blieb ich einfach unter dem morschen Gebälk sitzen und haderte mit meinem Schicksal. Bis ich dann ganz allmählich meine neuen Fähigkeiten entdeckte. Ich konnte spuken! Das stellte ich fest, als die Leute sich daranmachten, das alte Gemäuer wieder herzurichten.
Es war einer der MacDuffnets, aber keiner aus den Highlands, sondern ein Nachkomme eines alten Clans, von denen viele ausgewandert waren. Dieser hier kam aus Kanada zurück. Als er mit Frau, Kindern und Dienern eingezogen war, merkte ich, wie ich mich bei den schlichten Gemütern mit ein bisschen Willenskraft meinerseits bemerkbar machen konnte. Ich lernte, sensiblen Menschen in unterschiedlichster Gestalt zu erscheinen, fürchterliche Geräusche zu produzieren – ja, ich bin stolz darauf, ein geradezu markerschütterndes Fauchen hervorbringen zu können. Es erschreckte sie sehr. Und mir versüßte es ein bisschen die Einsamkeit.
Aber heutzutage! Lange dauerte diese Form der Belustigung nämlich nicht. Seit das Hotel nicht mehr von Reisenden mit Zeit und Muße bewohnt wurde, wie es noch Anfang des Jahrhunderts üblich war, sondern moderne Touristen aufnahm, blieb mir die kultivierte Form des Spukens verwehrt. Alle zwei, drei Wochen kommen andere aus der Gattung Mensch vorbei. Und in den letzten Jahren gar bleiben sie sowieso manchmal nur für eine Nacht. Aber das Schlimmste ist, keiner nimmt mich mehr wahr, geschweige denn ernst. Sie sitzen vor den komischen Kribbelkästen, die sie Fernseher nennen, starren auf die kleinen Geister, die sich darin bewegen, und kriegen nicht einmal mehr mit, wenn man um sie herum geistert wie verrückt.
Und nun ist in das Zimmer mit meinem Lieblingskaminsims eine spillerige Rothaarige eingezogen. Nirgendwo hat man mehr seine Ruhe.
So streif ich einsam übers Moor – Nameless here for evermore.2
Ein niederschmetterndes Abendessen
Nachdem ich Tante Henrietta versorgt und mich selbst frisch gemacht hatte, war endlich die Zeit zum Abendessen gekommen. Doch ich war nicht die Erste im Speisesaal.Unsere Reisegruppe hatte bereits ihre Plätze an den weiß gedeckten Tischen eingenommen. Mir blieb nur die Wahl, mich zu Frau Liebmann zu setzen oder einen Tisch allein neben der Gruppe großspuriger Jungmanager zu belegen. Beides unterschiedliche, aber in ihrer Art gleichwertige Übel. Ich nahm die Nähe der jungen Damen und Herren in Kauf und vertiefte mich in die Speisekarte. Doch der lautstarken Unterhaltung konnte ich mich nicht entziehen.
»…und ihnen einen absoluten Topseller gemanagt...«
»...natürlich das Lean Management eingeführt...«
»...drei Charts mit einem Overview auf den Tisch gelegt, und schon lief die Sache...«
»...und endlich den Turn-around hingekriegt...«
»...klar, dass die mit dem Network keinen Deal...«
»...sauber getimt und dann das Downsizing...«
Die Elite berichtete sich gegenseitig von ihren Erfolgen. Ich schrumpfte noch ein bisschen mehr zusammen. Wann immer ich mit solch selbstbewussten Menschen zusammenkam, wurde ich zur grauesten aller Mäuse. Darum musste der Ober auch dreimal nachfragen, bis ich laut genug meine Bestellung aufgeben konnte.
Anschließend erfuhr ich, dass sich die sechs Herren und zwei Damen zu einem einwöchigen Treffen zusammengefunden hatten. Sie waren Absolventen einer der elitären Business Schools, deren Studenten sich vornehm Alumni nannten. Nach dem Abschluss hatten sie vereinbart, alle zwei Jahre bei einem gemeinsamen Urlaub ihre Erfahrungen auszutauschen. Ich fand ihr Gebaren hochgradig arrogant und selbstgefällig. Obwohl, wenn man den Gesprächen an dem anderen Tisch lauschte – ob das besser war?
»...mit der Arthritis in den Gelenken werde ich...«
»...heute wieder keine Verdauung gehabt, ich muss doch mal...«
»...Irma, du hast deine Tabletten wieder nicht...«
»...ihr den Magen ausgepumpt...«
»...eine Blasensenkung und dann auch noch offene Beine...«
»...schon die dritte Operation an der Galle...«
Kritisch beäugte ich meine geräucherte Forelle. Ob ich daraufhin auch über Verdauungsbeschwerden zu klagen hatte? Allein das Zuhören konnte einen schon krank machen. Aber dann nahm ich den ersten Bissen und verlor meine Bedenken. Der Fisch war wirklich gut. Darum war ich in der Lage, den Ober anzulächeln, als er mir mit ernster Miene die Lammkoteletts servierte. Außerdem konnte es um die Gesundheit meiner Mitreisenden so schlimm nicht bestellt sein, denn die Gallen- und Magenkranken schaufelten mit großer Geschwindigkeit und fraglos großem Genuss riesige Portionen der deftigen Gerichte in sich hinein.
Hingegen hielten sich die figurbewussten Jungmanager an diätetischere Lebensmittel, dafür war der Konsum von Lager, Porter und Brown Ale kräftiger. Je mehr sie davon zu sich nahmen, desto größer wurden ihre Erfolge, und desto unfähiger agierten ihre Kontrahenten. Ob ich es auch mit einer pint of Lager versuchen sollte? Vielleicht würde dann mein Chef auch zu seiner richtigen Größe zusammenschrumpfen. Oder ich zu der richtigen Größe auswachsen?
»Maggi, wie geht es deiner Tante?«
Frau Liebmann hatte mich entdeckt und stand an meinem Tisch.
»Sie hat sich hingelegt.«
»Du musst ihr unbedingt etwas von diesen köstlichen Scottish Eggs und den Kippers hinaufbringen.«
»Ich fürchte, sie wird nichts essen wollen. Ihr Magen ist noch etwas empfindlich nach der Busfahrt.«
Die hart gekochten Eier und der Räucherhering würden ihr vermutlich den Todesstoß versetzen.
»Ach, papperlapapp. Sie hätte heute Mittag nicht so schwer essen sollen. Das drückt nur auf die Galle in unserem Alter.«
Über derartige unappetitliche Details wollte ich mich nicht auslassen, aber eine andere mitfühlende Seele fragte gleich darauf: »Hat sie denn gebrochen?«
»Jetzt kriegen wir auch noch das Gesundheitsbulletin der gesamten Mannschaft verlesen«, tönte es aus der Manager-Ecke.
»Na dann Mahlzeit.«
»Na, wie geht’s denn nun der Tante? Hat sie gebrochen?«, fragte der Typ lauthals, den sie John-Tom genannt hatten. Ich merkte, wie meine Ohren röter wurden als meine Haare. Und das will schon was heißen.
»Und vor allem, was? Und wohin?«
»Haben Sie auch unter solchen Beschwerden zu leiden?«
»Sie leidet nur unter Bildung, John-Tom.«
Das kam von dem grässlichen Menschen namens Ken, der mich schon beim Eintreffen schief von der Seite angesprochen hatte.
»Bildung von was? Von Lippenbläschen? Dann sollte sie beim Küssen aufpassen.«
Darauf mischte sich auch noch eine aristokratische Walküre ein.
»Jungs, haltet ein. Seht ihr nicht – dem Mädel kommen gleich die Tränen.«
»Nanu, Gina, seit wann hast du denn Mitleid mit deinen Schwestern?«
»Immer, Ken, solange sie keine Konkurrenz sind.«
Ein Blick milder Verachtung streifte mich, und in meinen Augen wurde es heiß durch die aufsteigenden Tränen. Wie entsetzlich. Nur kein Schauspiel bieten. Unter Anspannung nahm ich einen Bissen von meiner Gabel, aber ich hatte Mühe, ihn hinunterzuwürgen. Diese herzlosen Affen hatten ihr Opfer gefunden. Sie amüsierten sich prächtig über die gebrochene Tante und überschütteten mich mit spöttischen Bemerkungen. Ich hielt es einfach nicht mehr aus, warf die Serviette auf den Tisch und verließ den Raum.
In den kühlen Gängen spürte ich, wie mein Gesicht glühte. Warum konnte ich mich in solchen Momenten nie wehren? Warum fiel mir nie etwas Schlagfertiges ein? Und wenn doch, dann fiel es immer auf mich zurück.
Ich schlich zurück in mein Zimmer und lehnte meine Stirn an das kalte Fenster. Ein wenig zog es durch den altmodischen Holzrahmen. Hunger hatte ich gar keinen mehr. Dafür zwickte mich mein Magen zu sehr vor lauter Ärger. Das wiederum erinnerte mich an Tante Henrietta. Vielleicht sollte ich noch einmal zu ihr gehen?
Auf mein Klopfen antwortete sie nicht, also öffnete ich leise die Tür zu ihrem Zimmer. Sie lag im Bett und warf mir einen ungnädigen Blick zu. Mit einer Hand schob sie etwas unter die Bettdecke.
»Was willst du denn hier? Ich war gerade ein wenig eingedöst.«
»Entschuldige. Ich wollte nur sehen, ob du noch etwas brauchst.«
»Das fällt dir reichlich spät ein. Mir hätte in den letzten Stunden wer weiß was passieren können.«
»Vorhin wolltest du etwas schlafen. Darum habe ich gedacht, ich könne schnell essen gehen.«
»Und ich? Soll ich verhungern?«
»Hat sich dein Magen denn wieder beruhigt?«
»Mein Magen ist immer ruhig.«
»Ja, Tante Henrietta.«
Sie rutschte in eine halb aufgerichtete Position und grollte: »Geh in die Küche und schau, ob die ein Tablett für mich richten können. Und dann bringst du es selbst her. In diesem Zustand soll mich keiner von diesen Ausländern sehen.«
»Ja, Tante Henrietta.«
Durch die düsteren Gänge suchte ich meinen Weg zur Rezeption. Ich wollte vermeiden, noch einmal den anderen Gästen in die Quere zu kommen. Die junge Frau dort war erstaunlich hilfsbereit, und anschließend wankte ich mit einem schweren Tablett, beladen mit einer Tasse Brühe, Brot, etwas kaltem Hühnerfleisch und einer Kanne Tee, in Richtung Zimmer. Dank erhielt ich keinen dafür, nur noch ein paar grantige Bemerkungen, und das brachte das Fass zum Überlaufen.
Als ich meine Blutsverwandte verließ, hatte mich der Fluchtgedanke gepackt.
Wege in der Dämmerung
Kurz darauf war ich auf einem steinigen Pfad unterwegs. Er führte vom Hotel aus neben der Straße entlang, die wir heute Nachmittag hinuntergefahren waren. Eine furchtbare Strecke für einen Bus. Eng und kurvenreich. Aber das hatte ich alles noch einigermaßen ertragen. Erst als wir diese schmale Steinbrücke überquerten, zwischen deren Brüstungen der Bus gerade je einen Zentimeter Platz hatte, hatte ich es mit der Angst zu tun bekommen. Ich sah uns schon in den schäumenden Fluss stürzen, der sich darunter zum Loch Naw hin ergoss. Eine Vorstellung, die mich schon immer erschauern ließ.
Auf dem rauen Feldweg jedoch sah das alles viel weniger bedrohlich aus. Und vor allem der wunderbar frische, saubere Wind, der von den Bergen jenseits des Loch Naw hinunterwehte, füllte meine Stadtluft gewöhnten Lungen mit prickelndem Atem. Es war bewölkt, aber am Horizont leuchteten dennoch die Ränder der grauen Wolken in glühendem Abendrot auf. Es war lange hell hier im Norden, vor allem Anfang Juni.
Ich drehte mich noch einmal zum Schloss um. Es lag vor dieser gewaltigen Gebirgskulisse auf einer Felsplatte, die halb in den Loch Naw hineinragte. Aus grauem Granit gebaut, trotzte es dem wilden Land, das es umgab. Dahinter spiegelte der lang gestreckte See die feurigen Wolken wider, und die hoch aufragenden Berge verdunkelten den Horizont.
Der Pfad wandte sich von dem Verlauf der Straße ab und führte zum Fluss hinunter. Heidekraut säumte seine Ufer, braun noch vom Vorjahr, doch schon mit einzelnen grünen Trieben durchsetzt. Der Boden war steinig, unter der mageren Erdschicht brach immer wieder das nackte Felsgestein hervor. Eine flache Gesteinsscholle verführte mich zum Hinaufklettern. Sie war einigermaßen eben und bescherte mir einen herrlichen Blick über die Mündung des Uykel auf der einen und den schäumenden Flusslauf auf der anderen Seite. Der Stein war noch warm vom Sonnenschein, darum faltete ich die Jacke zusammen, die ich mitgenommen hatte, setzte mich darauf und genoss die Einsamkeit.
Die Wolken hatten sich aufgelöst, und die ersten Sterne wurden am dunkler werdenden Himmel sichtbar und spiegelten sich in dem lang gestreckten See vor mir. Die Vögel stellten nach und nach ihren Gesang ein, und nur das Rauschen des Wassers war zu hören, das in schnellem, schäumendem Lauf von den Bergen strömte. Das Schlosshotel erschien nur noch als eine graue Silhouette, in der ein Fenster nach dem anderen golden aufleuchtete.
Die Mitglieder der Reisegesellschaft würden allmählich zu Bett gehen, nahm ich an. Morgen stand ein hartes Besichtigungsprogramm auf dem Plan.
Mich fröstelte ein wenig, aber ich war zu träge, mir die Jacke anzuziehen. Das Geräusch von sich nähernden Schritten schreckte mich jedoch auf.
»Keine Angst, junge Frrrau, ich tue Euch nichts.«
Eine seltsame Gestalt stand an dem Felsenrand und sah zu mir herauf. Ein Mann, alt, soweit ich es erkennen konnte, mit grauem Haar und einem weißen Bart. Das Erstaunliche an ihm war sein Gewand. Er trug einen langen, dunklen Umhang, der in der Mitte mit einem Ledergürtel zusammengehalten war. Im ersten Moment dachte ich an einen Mönch, aber mit einer kleinen Verneigung an die alte schottische Kultur deklarierte ich ihn zu einem Abkömmling der letzten Druiden. Eindeutig aber war er ein Bewohner der hiesigen Gegend, denn so ein prächtig rollendes Rrrr bekamen nur die Highlander über die Lippen. Ein Original zumindest. Ich nickte ihm freundlich zu, er lehnte weiter an den Felsen und schaute wie ich über den See hinaus. Dann lächelte er mich an.
»Ihr seid zu Gast in Drumnadruid Castle?«
»Ja, heute eingetroffen.«
»Und schon habt Ihr die Stelle gefunden, wo in manchen Nächten das Schöne Volk tanzt.«
Ein Original, tatsächlich, schloss ich.
»Das schöne Volk?«
»Die Elfen und Feen, junge Frau. Hat man Euch das nicht gesagt?«
Ich schmunzelte in mich hinein. Genau das hatte ich mir gewünscht, obwohl mein Glaube daran nicht sehr fest war.
»Nein, darüber hat man nicht mit uns gesprochen. Aber unsere Reiseleiterin hat uns von einem Schlossgespenst berichtet.«
Ich hörte noch die belehrende Stimme von Ms. Bertrand, die uns durch die Schönheiten des Hochlandes führen sollte.
»Meine sehr verehrten Damen. History Tours freut sich, Ihnen auf dieser zweiten Station unserer Rundreise ›Geschichtliches Schottland‹ ein überwältigendes Erlebnis zuteilwerden zu lassen. Wir erreichen in kurzer Zeit unsere wirklich einmalige Unterkunft für heute Abend. Ein original schottisches Castle, das erst vor wenigen Jahren zu einem höchst komfortablen Hotel umgebaut wurde.«
Ich hatte mich den gequälten Lauten meiner Tante angeschlossen, doch nicht wegen vergleichbarer Magenschmerzen. Meist gelang es mir, mich weitgehend der monotonen Stimme zu verschließen, doch als die sich schauspielerisch begnadet dünkende Cicerone mit schicksalsschwangerer Stimme von dem unheimlichen Schlossgeist zu sprechen begann, konnte ich mich nicht mehr entziehen. »...so heißt es, das Erscheinen der rot glühenden Augen des Ungeheuers kündige einen blutigen Tod in den Mauern des Schlosses an.«
»Quatsch!«, murmelte Tante Henrietta zwischen zweimal Aufstoßen.
»Dieser Fluch liegt über dem Schloss, seit vor vielen, vielen Jahren einmal ein junges Mädchen vor dem Kamin in der Halle meuchlings ermordet worden sein soll. Sein Geist, sagt man, sei es, der in den Vollmondnächten unruhig durch die alten Gemäuer streift und einen kalten Hauch hinterlässt, der die Bewohner zitternd zusammenrücken lässt.«
»Blödsinn! Zieht immer wie Hechtsuppe in diesen alten Kästen.«
Sie ist erschreckend realistisch, aber wo sie recht hat, hat sie recht, meine Tante.
 
Der alte Mann hatte sich erstaunlich behände auf den Felsen geschwungen und fragte: »Darf ich mich eine Weile zu Euch setzen? Es ist einer meiner Lieblingsplätze in diesen sternklaren Nächten.«
Was sollte ich tun? Beleidigt aufstehen und weggehen? Das wäre kein sonderlich höfliches Verhalten. Schließlich war ich der Eindringling. Außerdem verspürte ich auch keine Angst vor ihm, so seltsam das klingen mag. Ja, ich fand ihn sogar ein wenig faszinierend.
»Werdet Ihr länger bleiben, junge Frau?«
»Nein, leider nicht. Morgen reisen wir weiter. Eigentlich schade, denn das Hotel liegt unglaublich schön. Außerdem habe ich nun weder die Chance, den Schlossgeist noch die Elfen zu sehen.«
»Ihr nehmt das nicht ernst, nicht wahr?«
»Das mit dem Geist? Also, es ist sicher nicht so, wie die Reiseleiterin es beschrieben hat. Und die Elfen...«
Der Alte neben mir lachte leise, als wüsste er viel mehr, als er sagen wollte.
»Hat Euch Eure Mutter nie von den tanzenden Feen erzählt, von den Elfen, die in jeder Blüte wohnen, von den Geistern, die am fließenden Wasser hausen und in mondhellen Nächten betörend singen?«
Er konnte es nicht wissen, der seltsame alte Mann. Er konnte nicht wissen, wie sehr er mit seiner Frage eine der schmerzhaftesten Wunden berührte, eine Wunde, die in zwölf Jahren nicht verheilt war. Aber er mochte von größerer Empfindsamkeit sein als viele andere Menschen. Denn er sah mich mitfühlend an, als ich ihm antwortete: »Doch, früher hat meine Mutter mir von ihnen erzählt.«
»Dann fragt sie nach Eurer Rückkehr noch einmal nach den Elfen, Kind.«
Ich schüttelte stumm den Kopf. »Ich kann sie nicht mehr fragen, sie ist seit Jahren tot.«
»Armes Kind. Was ist ihr geschehen?«
Warum? Warum erzählte ich es einem völlig Fremden, was ich sonst keinem Menschen anvertraute? Lag es an der Stille der Nacht, dem Bann der Sterne?
»Sie war mit Freunden ausgegangen, das hat sie oft gemacht. Mutter hatte viele Freunde, es war immer lustig bei uns. Aber in dieser Nacht kam sie nicht nach Hause. Sie hatte auch nicht angerufen. Ich war ganz allein im Haus, die Nachbarn waren im Urlaub. Auch am nächsten Tag kam sie nicht. Ich wartete lange, entsetzlich lange. Bis dann... bis dann Tante Henrietta eintraf. Und mich holte. Der Fahrer war betrunken gewesen. Sie war zu ihm ins Auto gestiegen. Er kam von einer Brücke ab, und sie stürzten in den Fluss. Man hat mir gesagt, sie sei gleich tot gewesen...«
»Kind«, sagte der Alte und legte seine Hand auf meine. Es war mehr Trost, als ich je zuvor von einem Menschen erhalten hatte.
Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, und er teilte das Leid, das noch immer nicht aus meiner Seele gewichen war. Schließlich aber schüttelte ich die Trauer und den sanften Trost ab und bemerkte, wie die nächtliche Kälte langsam in meine Glieder stieg. Ich begann mich zu bewegen. Er nickte und sagte mit seiner tiefen, klingenden Stimme: »Ja, es wird kalt, auch in den Sommernächten. Kommt, ich helfe Euch aufstehen. Wir wollen gemeinsam zurückgehen.«
»Ja, und... danke. Ich heiße übrigens Margita May.«
»Ich bin Arthur Dougal. Und ich freue mich, Euch kennengelernt zu haben. Vielleicht nur für diese kurze Weile. Aber manchmal geht das Schicksal eigenartige Wege, um uns zum Ziel zu führen.«
Wir wanderten die kurze Strecke zum Hotel nebeneinander her. Vor der Einfahrt zum Hof verabschiedete er sich von mir mit den Worten: »Glaubt mir, Kind, wenn diese Nacht auch dunkel ist, so wird sich doch in zwei Wochen der Mond wieder runden, und sein silbernes Licht wird auch Eure Seele erhellen.«
»Manchmal, Mr. Dougal, manchmal bezweifle ich das.«
»Geht zu Bett, schlaft und träumt, Kind.«
 
Es war ein freundlicher Wunsch gewesen, aber leider keiner, der in Erfüllung ging. Ich litt seit vielen Jahren unter Schlaflosigkeit. Aber daran hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Ich ging zwar zu Bett, aber statt in einen Traum zu gleiten, drängten sich mir die Szenen des Tages noch einmal auf.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht war ich noch immer hellwach, darum versuchte ich es mit Schäfchenzählen. Ich versuchte es auch mit der Vorstellung eines sanft rauschenden Meeres, ich versuchte es damit, die Wurzel aus 74 569 zu ziehen. Und wurde immer wacher. Das Laken verdrehte sich knotig, die Matratze schien mit steinharten Erbsen gefüllt zu sein, das Kopfkissen verwandelte sich in matschige Kleie.
Dagegen gab es nur ein Mittel – wach bleiben, wenn nötig bis zum nächsten Morgen. Also stand ich auf und zog mich warm an, um meine Karriere als Schlossgespenst zu beginnen. Um diese Stunde würde ich zumindest niemandem mehr begegnen, hoffte ich. Ich streifte durch die kaum erleuchteten Gänge, fand ein paar abgelegene Salons, vermied es, dem Hinweis auf die Bar im alten Turm zu folgen, denn von dort klangen noch Geräusche herüber, warf einen Blick in die leere Küche und landete schließlich in der Halle, wo im Kamin noch immer das Torffeuer gloste.