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Eben noch in einer bizarren Scheinwelt gefangen, die der postapokalyptischen Erde nachempfunden wurde, finden sich Matthew und Aruula nach ihrem Sprung durch den Spiegel in einer weiteren Welt wieder, die als Gegengewicht zu Jacob Smythes wahnsinnigen Phantasien zu fungieren scheint - und von der er selbst nichts ahnt! Auch diese holografische Simulation erscheint erschreckend real, doch sie gehorcht wenigstens der Logik. Wie Matt und Aruula erfahren müssen, als sie vom Wachdienst des Weißen Hauses festgenommen werden ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Hilfreiche Links
Was bisher geschah …
Hinter dem Spiegel
Leserseite
Cartoon
Die MADDRAX-Zeittafel
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Lucy Guth
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2693-2
www.bastei-entertainment.de
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Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ihre Achse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 versetzt wird. Nach dem Absturz retten ihn Barbaren, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese für ihn fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch, das sich im Forschungszentrum CERN auftut, auf einen von zwanzig Monden um einen Ringplaneten versetzt werden.
Sie finden sich auf dem Mond Terminus in der Stadt Toxx wieder, wo sie ein Psi-Feld ihr früheres Leben vergessen lässt! Die Wurmloch-Anzüge schützen vor dieser Strahlung; das erfahren die beiden, als sie das Wolfsmädchen Kra’rarr treffen, das Xaanas Anzug besitzt. Xaana und der Smythe- Roboter – Matts Erzfeind – gingen Monate vor ihnen durch das Wurmloch.
Immer wieder werden Bewohner von den „Friedenswahrern“, die in einem Turm im Zentrum der Millionenstadt residieren, abgeholt und ihrer Persönlichkeit beraubt. Matt will mehr erfahren, und so wird – neben den Bemühungen, Xaana zu finden – der Turm ihr Ziel. Unterwegs geraten Matt und Aruula in einem unterirdischen Kerker an das mächtige Volk der Saven. Sie selbst können entkommen, doch die Saven installieren unbemerkt ein Quantenbewusstsein in Aruula, das beim Kontakt mit den Friedenswahrern in Aktion treten soll. Als sie endlich in den Turm gelangen, wo sie alle Erinnerungen an die Erde verlieren, öffnet der „Schläfer“ in Aruula den Kerker der Saven. Danach schickt er die beiden zum Wassermond Aquus, wo sie auf Hydree treffen, eine Rasse, deren Nachkommen heute auf der Erde leben. Die Fischwesen geben Matt und Aruula ihre Erinnerungen zurück, die nur blockiert wurden. Auf der Insel Assala werden sie von einer magnetischen Anlage festgehalten, bevor sie sich befreien und mit einer Ladung Mintan – ein hochenergetisches Metall, das die Friedenswahrer benötigen – weiterreisen. Am Südpol kommen sie mit der Hilfe eines Hydree in den dortigen Transferturm und erfahren, dass sie nicht zum Ringplaneten reisen können, wohl aber zum Mond Binaar, auf dem der Smythe-Roboter gelandet sein dürfte. Sie wagen den Transfer, und hinter ihnen sprengt der Hydree den Turm.
Auf Binaar werden sie getrennt. Während Matt zu den Bios gesperrt wird, die den Cyborgs als Ersatzteillager dienen, gerät Aruula an den Avatarkörper eines Friedenswahrers, der in den Menschen Potenzial sieht und ihnen hilft, dann aber vom Smythe-Roboter übernommen wird. Der stellt ihnen eine Falle. Matt und Aruula geraten in eine düstere Version des postapokalyptischen Waashton, in dem Smythe gottgleich regiert. Von ihm und seinen Kreaturen gejagt, gelangen sie durch einen Spiegel in ein völlig anderes Washington des Jahres 2011 …
Hinter dem Spiegel
von Lucy Guth
Vereinzelt eilten Menschen vorbei; Männer in schwarzen Anzügen, Frauen in schicken Kostümen und kurzen Röcken. Der japanische Tourist diskutierte mit dem Guide in der weinroten Jacke, weil er unbedingt den Flur des Weißen Hauses fotografieren wollte.
Matt hatte das Gefühl, in einem skurrilen Traum gefangen zu sein. Das hier konnte nicht die Realität sein. Das war sie einmal gewesen. Aber nun war sie über fünfhundert Jahre und ein Wurmloch entfernt.
Ein seltsamer Gedanke tauchte in Matts Kopf auf, wie eine Luftblase, die aus den Tiefen des Ozeans an die Oberfläche treibt: Und was, wenn das hier die Realität ist und die vergangenen sechzehn Jahre ein Traum?
„Was bei Wudan ist hier los?“, riss ihn Aruulas Stimme aus seinen Gedanken. Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln war zur Wand des Flures zurückgewichen und sah sich mit großen Augen um. Sie wirkte verwirrt, aber nicht verängstigt. Matthew Drax rief sich ins Gedächtnis zurück, dass sie sich immer noch in einer Simulation befanden. Alles um sie herum war nicht echt, genauso wenig wie das Waashton, durch das sie die vergangenen Stunden gelaufen waren. Es waren stoffliche Hologramme ähnlich denen, wie er sie damals in der TV-Serie „Star Trek“ gesehen hatte.
Zumindest war das die einzige logische Erklärung. Die Frage war: Warum hatte sich die Simulation so plötzlich und so gravierend geändert, von einem Waashton der Postapokalypse zu einem unversehrten Washington D.C. vor dem Jahr 2012, vor „Christopher-Floyd“?
Aruula stieß ihn an, weil er, anstatt zu antworten, geistesabwesend hinter einer vorbeieilenden Dame im Minirock her gestarrt hatte. „Ich habe keine Ahnung“, sagte er schnell.
Die Traube Touristen, mit denen sie aus dem Blue Office gekommen waren, bewegte sich nun langsam wie eine Herde Schafe Richtung East Room. „Das Anwesen verfügt über hundertzweiunddreißig Räume, fünfunddreißig Badezimmer, vierhundertzwölf Türen, hundertsiebenundvierzig Fenster, acht Treppenhäuser, drei Aufzüge, einen Swimmingpool, einen Tennisplatz, einen Kinosaal sowie eine unter Präsident Richard Nixon eingerichtete Kegelbahn“, hörten sie den Guide dozieren. „Außerdem hat der amtierende Präsident ein Fitnessstudio einrichten lassen …“
Matt hakte Aruula unter und schloss sich der Gruppe an. „Wir dürfen nicht auffallen“, raunte er ihr zu. Zumindest wollte er Aufsehen vermeiden, bis er sich einigermaßen klar darüber war, was hier vorging.
„Sorry, Kumpel“, sprach Matt einen kräftigen Mann mit halblangen Hosen an, auf dessen knallgelbem Hemd „I’m the one your mother warned you about“ stand. Der Tourist hatte eine Sonnenbrille ins lichte Haar geschoben und hielt einen Stadtführer in der Hand. Matt sprach in einem breiten New-England-Slang und hoffte, auf diese Weise möglichst amerikanisch zu wirken. „Welches Datum haben wir heute?“
Der Tourist sah kaum zu ihm herüber, sondern bemühte sich, über die Köpfe der anderen Besucher hinweg den Guide nicht aus den Augen zu verlieren. „Den 29. August“, sagte er abwesend, aber nicht unfreundlich.
„Danke“, sagte Matt enttäuscht. Das half ihm nicht weiter, aber direkt nach dem Jahr zu fragen wäre wohl zu auffällig gewesen. „Und äh … wissen Sie zufällig, wann die nächsten Wahlen anstehen? Meine Freundin hier behauptet, dass es noch zwei Jahre dauert.“
Jetzt richtete der Tourist seine Aufmerksamkeit doch auf Matt und Aruula. Sein Blick streifte ihre Kleidung und er runzelte kaum merklich die Stirn.
Mist, dachte Matt. Die weiten Leinenhosen und -hemden wirkten neben den Anzug- und Freizeithemd-Trägern exotisch und konnte leicht für orientalische Kleidung gehalten werden. Die Religionskriege waren noch nicht lange her, vielleicht sogar noch in vollem Gange. Das konnte zu Problemen führen.
Der Tourist ging jedoch nicht darauf ein, sondern antwortete im Ton eines Oberlehrers: „Da liegen Sie falsch, Miss – nächstes Jahr steht die Wahl an. Wundert mich nicht, dass die jungen Leute heute so etwas nicht mehr mitbekommen. Und wenn es dann so weit ist, wissen sie von gar nichts und wählen aus purer Bequemlichkeit die Demokraten. Daran haben auch die Religionskriege nichts geändert.“ Missbilligend verschränkte er die Arme vor der Brust und schob sich weiter der Masse hinterher, weg von Matt und Aruula.
Matt rief ihm dennoch einen Dank hinterher und zog Aruula dann ein Stück zur Seite. „Das bedeutet, wir haben 2011.“
„Den 29. August 2011“, ergänzte Aruula.
„Das ist die Zeit, in der Smythe noch nicht Leiter der ADUSAF1) war“, sagte Matt nachdenklich. „Die ADUSAF gibt es noch nicht einmal. Wahrscheinlich ist das der Zeitpunkt, zu dem Smythe noch darum kämpft, seine Theorien ’Christopher-Floyd’ betreffend dem Präsidenten vortragen zu können.“
„Die Zeit vor Kristofluu“, sagte Aruula langsam. „Warum sollte Smythe so etwas in seine Fantasiewelt einbauen?“ Bislang war das von Smythe auf Binaar geschaffene Holodeck seinen Wunschvorstellungen nachempfunden gewesen: ein düsteres Reich voller Nosfera, Siragippen und Guule, in dem der ehemalige Wissenschaftler als Alleinherrscher in einer pervertierten Version des Weißen Hauses regierte. Doch dann – nach dem Gang durch den Spiegel – hatte sich unvermittelt alles verändert.
Auf einmal wurden begeisterte Rufe laut. „Mr. President, Mr. President!“ Die Gruppe wich zurück und Matt zog Aruula mit sich zur Wand. Zwischen den Säulen, die den Gang von der Eingangshalle trennten, trat ein breitschultriger Mann hervor, zeigte ein strahlend weißes Hollywoodlächeln und winkte den Touristen zu. Er wurde flankiert von vier Anzugträgern, die seine Seiten absicherten. Hinter ihm liefen zudem zwei junge Frauen mit Klemmbrettern, ein sich aufmerksam umsehender Blondschopf, ein beschäftigt wirkender Glatzkopf mit Handy am Ohr und ein schmalbrüstiger Brillenträger, der einen Stapel Papiere an seine Brust gedrückt hielt.
Der ganze Tross musste anhalten, als Präsident Schwarzenegger nicht an den Touristen vorbeiging, sondern vor der Gruppe stehen blieb, jovial Hände schüttelte und dabei stets das breite Grinsen zur Schau trug.
Matt bemerkte mit einer gewissen Belustigung, dass die Anzugträger – zweifellos Security-Leute – auf das ungeplante Begrüßungsmanöver ihres Chefs hektisch reagierten. Sie schlossen dichter zu ihm auf und bedachten die verzückten Touristen mit bösen Blicken.
Matt fiel auf, dass Aruula mit offenem Mund neben ihm stand. Mit diesem Gesichtsausdruck fügte sie sich geradezu perfekt in das Bild der Touristen ein.
Nach ein paar Sekunden war das Spektakel bereits vorbei. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag in unserer wundervollen Stadt“, verabschiedete sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika mit einer Stimme, die zwar der von Mr. Black ähnelte, jedoch eine auffällige österreichische Akzentuierung aufwies. Er winkte noch einmal lächelnd und verschwand dann im Treppenhaus. Die Sicherheitsleute und Assistenten folgten ihm wie junge Enten ihrer Mutter.
Die Touristen, die ihr Glück über die unverhoffte Begegnung kaum fassen konnten, plapperten wild durcheinander. Während der Fremdenführer ungeduldig hin und her eilte, um seine Schützlinge wieder unter Kontrolle und ins nächste Zimmer zu bringen, wandte Aruula sich Matt zu. Die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Warum hat er die ganze Zeit so gegrinst?“
„Das war ein Wahlkampflächeln“, erklärte Matt, der sich selbst ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
Aruula hingegen sah nicht so aus, als fände sie irgendetwas an der Situation komisch. „Und warum hat Mr. Black plötzlich einen so komischen Akzent?“, fuhr sie fort.
Ehe Matt auf die Frage antworten konnte, sagte eine Stimme hinter ihm irritiert: „Sie nennen den Präsidenten Mr. Black?“
Matt ahnte es bereits: Hinter ihm stand der Touristenführer. Der Mann in dem weinroten Jackett sah sie kritisch an.
„Das ist ein Witz“, sagte Matt schnell. „Meine Freundin kommt aus Toronto und hat deutschstämmige Großeltern. Schwarzenegger … Black. Sie wissen ja, die Kanadier haben einen etwas seltsamen Sinn für Humor.“
Die Miene des Guides hellte sich auf. „Ach so“, sagte er verständnisvoll, als sei es für Matt eine besondere Bürde, mit einer Kanadierin befreundet zu sein.
Matt hob mit einem Lächeln die Schultern, als wolle er sagen: „Was soll man machen?“ Er wollte bereits aufatmen. Doch er kam nicht dazu.
„Gibt es hier ein Problem?“, fragte einer der Anzugträger und zog fragend die Augenbrauen hoch. Es war der Blondschopf aus dem Tross – ein noch junger Mann, vielleicht dreißig Jahre alt, mit einem obligatorischen Knopf mit schwarzem Telefonkabel im Ohr. Eindeutig ein Security-Mann. Verdammt. Matt hatte gar nicht bemerkt, dass der Typ zurückgeblieben war.
„Es hat sich geklärt, Mr. Spencer“, sagte der Guide und deutete auf Aruula. „Die junge Dame ist Kanadierin.“
Aruula, die Kanada nur als Kanda kannte, nickte ernst. Mr. Spencer behielt jedoch seinen misstrauischen Blick bei und sah erst Aruula, dann Matt und dann wieder Aruula an. Sein Blick fixierte Aruulas Seite. „Sie tragen eine Waffe?“, fragte er, plötzlich alarmiert.
„Das ist mein Säbel“, antwortete Aruula mit einer Arglosigkeit, die Matt beinahe ein Stöhnen entlockt hätte. Die Touristen, die um sie beide, den Guide und den Security-Mann herumgestanden hatten, wichen plötzlich vor der Kriegerin zurück wie Schwimmer vor einem Hai.
„Miss“, sagte der Mann namens Spencer gepresst und trat ebenfalls einen Schritt zur Seite. Dabei legte er eine Hand auf den Griff einer Pistole, die er in einem Holster an der Hüfte trug. „Ich muss Sie bitten, widerstandslos mit mir zu kommen.“ Er sah Matt an. „Und Sie auch, Sir.“
Na toll, dachte Matt. Er nickte schicksalsergeben. Aruula öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Matt legte ihr die Hand auf den Arm und drückte leicht zu. „Ist das wirklich nötig, Sir?“, fragte er dabei. „Wir haben nichts Böses im Sinn.“
„Ich muss darauf bestehen“, gab Spencer zurück. Es war keine Bitte, es war ein Befehl.
Der Security-Mann führte sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und dann durch einen langen Gang Richtung Osten. Sie passierten weitere Sicherheitsleute und trafen auch zwei weitere Touristengruppen. Im Ostflügel, so erinnerte sich Matt, war der Eingang für die Besucher. Er hatte selbst einmal eine Tour durch das Weiße Haus besucht, als er auf dem College war. Die Führungen verließen das Gebäude gewöhnlich in der ersten Etage durch den Haupteingang auf der Nordseite – also durch die Tür, durch die Matt und Aruula im anderen, dunklen Waashton das Schwarze Haus betreten hatten. Dass Spencer sie nun zur Ostseite führte, verhieß nichts Gutes. Matt wäre es lieber gewesen, er hätte sie einfach hinausgeworfen.
Stattdessen brachte er sie in ein kleines Büro, das mit zwei Schreibtischen ausgestattet war, von denen einer einen verlassenen Eindruck machte. Der andere war zwar akkurat aufgeräumt, wurde jedoch augenscheinlich benutzt. Spencer wies auf die beiden Stühle vor dem Tisch und setzte sich selbst auf die Kante. Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie neugierig.
„Also, raus mit der Sprache“, sagte Spencer und wies auf den Säbel und den Strahler, die er ihnen abgenommen und auf den Schreibtisch gelegt hatte. „Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit Waffen ins Weiße Haus zu marschieren? Und wie kamen sie damit an den Sicherheitskontrollen vorbei?“
Matt streifte Aruula mit einem Blick. Die Kriegerin hatte ebenfalls die Arme verschränkt und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Sie sah Matt an und hob fragend die Augenbrauen. Matt verstand: Das hier ist dein Revier, also mach was draus.
„Nun“, sagte er, „das ist im Grunde ganz einfach zu erklären.“ Unterwegs war ihm eine Idee gekommen.
Spencer neigte den Kopf. „Ich bin gespannt!“
„Wie sie bemerkt haben, sind auch unsere Kleider etwas … ungewöhnlich“, fuhr Matt fort. „Sie sind, wie auch die angeblichen Waffen, Kostüme.“
Spencer schwieg kurz verblüfft. „Kostüme?“, echote er dann. „Wozu tragen sie Kostüme?“
„Wir sind Teilnehmer einer Cosplay-Convention, die derzeit ganz in der Nähe stattfindet“, erklärte Matt. „Wir hatten ganz spontan die Idee, eine Führung durch das Weiße Haus mitzumachen, und keine Ersatzkleidung dabei.“
Das Gesicht des Sicherheitsmannes hellte sich auf. „Ah – das erklärt einiges.“ Er musterte die Kleidung von Matt und Aruula jetzt anerkennend. „’Assassins Creed’, nicht wahr? Das Computerspiel. Gut gemacht, das muss ich zugeben.“
„Danke.“ Matt ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Leichtigkeit überraschte, mit der er diesen VR-Charakter überzeugen konnte – fast so sehr wie die Antwort. Er hätte nicht gedacht, dass Smythe mit dem Spiel „Assassins Creed“ vertraut war, geschweige denn, dass er die Hologramme in seiner virtuellen Realität mit dem entsprechenden Wissen ausgestattet hatte.2)
„Auch diese Repliken gehören zum Kostüm“, fuhr Matthew fort und wies auf die beiden Waffen.
Spencer griff danach. Matt hoffte, dass der Sicherheitsmann nicht auf die Idee kommen würde, die „Repliken“ auszuprobieren.
„Dass das hier keine echte Waffe ist“, sagte Spencer und nahm die Laserpistole zur Hand, „war mir natürlich klar.“ Er warf Matt den Strahler zu und tippte auf die Klinge des Säbels. „Aber der hier ist etwas zu authentisch gemacht. Sie haben die Schneide wohl selbst noch nachgeschärft, was?“ Tadelnd fuhr er mit dem Daumen über das Metall. Aruula senkte den Kopf – ein Anblick puren Schuldbewusstseins. Matt bewunderte ihr schauspielerisches Talent. „Hätte ich das nicht gedurft? Das wusste ich nicht“, sagte sie.
„Das ist verboten“, sagte Spencer. „Sie könnten jemanden verletzen.“
Matt verkniff sich ein Grinsen, als er kurz den Anflug von Entrüstung in Aruulas Gesicht entdeckte, den sie jedoch schnell überspielte. „Das habe ich aber nicht vor“, sagte sie in empörtem Tonfall.
„Ich glaub’s Ihnen ja“, meinte Spencer gönnerhaft. „Und ich werde ein Auge zudrücken. Trotzdem müssen wir Ihre Identität überprüfen, ehe wir Sie wieder auf freien Fuß setzen. Reine Routine.“
Ehe Aruula etwas sagen konnte, ging Matt dazwischen: „Vollkommen verständlich, Mr. Spencer. Ich kenne das Procedere, ich bin selbst beim Militär.“
Spencer öffnete den Mund, schloss ihn wieder und vermittelte so das Bild eines verblüfften Karpfens. „Tatsächlich?“, fragte er. „Warum haben sie das bislang verschwiegen?“
„Nun, es hat mit unserer Situation hier nichts zu tun“, sage Matt. „Ich bin derzeit beurlaubt und mit meiner Freundin privat hier. Stationiert bin ich derzeit in Berlin, Deutschland, unter dem Kommando von Major Richard Bellmann. Matthew Drax, Commander der US Air Force. Sie können das gerne überprüfen. Meine Dienstnummer lautet MD-1980-0106-C23.“
Matt hatte keine Ahnung, wie weit diese VR reichte. Doch wenn sie sich an der damaligen Realität orientierte, war er auf der sicheren Seite. Kurz durchfuhr ihn ein Stich, als ihm ein Gedanke kam: 29. August 2011 – das hieß, Beryl Nordström war noch am Leben.3)Unsinn, rief er sich im nächsten Moment zur Ordnung. Beryl ist tot, seit Hunderten von Jahren. Dies hier war nicht echt. Er war nicht wirklich auf der Erde. Es war nur eine Simulation.
Eine verdammt realistische Simulation, gestand sich Matt ein, während Spencer an seinen Schreibtisch ging und ein paar Eingaben am Computer machte. Matt wiederholte auf Nachfrage noch einmal seine Dienstnummer. Wenige Augenblicke später stand Spencer wieder auf. „Ihre Angaben stimmen. Sie sehen mich überrascht, Commander Drax. Ich hätte nicht gedacht, dass Cosplay zu den Hobbys eines Militärpiloten gehört.“
„Weil unser Leben schon aufregend genug ist?“ Matt rang sich ein Lächeln ab. „Sie dürfen das reale Leben nicht mit G.I. Joe verwechseln.“
Spencer grinste. „Ich hätte nur gedacht, dass Sie derzeit anderes zu tun haben.“
Matt zuckte mit den Schultern. „Urlaub ist Urlaub. Carpe diem, so heißt es doch, oder?“
Darauf wurde Spencers Gesicht wieder ernst. „Sie glauben doch wohl nicht diesen verrückten Weltuntergangspropheten, oder?“
Hast du eine Ahnung, dachte Matt. Laut sagte er: „Das bezog sich eher darauf, dass ich gerade mitten in einer Scheidung stecke und nicht weiß, wie lange ich noch Geld für solche Hobbys habe.“ Die beiden Männer lachten.
„Aber mal im Ernst“, fuhr Matt in vertraulichem Tonfall fort. „Ich habe davon gehört. Was ist mit diesem Professor, diesem Smythe? Wie ist der zu bewerten?“
Spencer bedachte Aruula mit einem Seitenblick, doch die sah ihn unbewegt und beinahe desinteressiert an. „Nach meiner Meinung ein Spinner“, meinte der Security-Mann und wirkte dabei betont lässig. „Ein Wichtigtuer, der den Präsidenten mit seinen wilden Theorien behelligt. Er hat es immerhin geschafft, Schwarzenegger so lange zu nerven, um heute einen Termin im Oval Office zu bekommen.“
„Heute, tatsächlich?“
„Ja, allerdings ist er bislang nicht aufgetaucht.“