Made in Germany - Kaya Yanar - E-Book

Made in Germany E-Book

Kaya Yanar

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Da guckst du!

Ranjid, Hakan oder Francesco – Kaya Yanar ist der Mann, der keinen Pass braucht. Er ist Araber, Türke, Deutscher, Inder, Russe und Italiener in einer Person. Mühelos schlüpft er in die unterschiedlichsten Rollen und karikiert die kleinen und großen Schwächen der Nationalitäten. Ob türkischer Türsteher, indischer Taxifahrer oder italienischer Kleinkrimineller: Alle könnten Freunde von Kaya sein, die ihn durchs Leben begleiten – und durch sein erstes Buch. Mit Made in Germany präsentiert Kaya Yanar seinen ganzen Kosmos voller schräger Figuren, witziger Geschichten und abenteuerlicher Gags über Deutschland und den Rest der Welt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 230

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Inhaltsverzeichnis

WidmungVorwortKAPITEL 1 - ElternKAPITEL 2 - SchuleCopyright

Für Papa Yanar, der sich mit der Integration sehr schwertat, obwohl er sich so bemühte. Schau, Papa, es war nicht alles für die Katz!

Für Mama Yanar, die sich gut integrierte, aber es trotzdem schwer hatte ... mit ihren beiden Kindern ... einem Komiker und einem Mathematiker.

Für Bruder Yanar, der die Integration so schnell meisterte, dass er sich langweilte und seitdem auf Integration II wartet.

Vorwort

Meine Eltern kommen aus der Türkei. Ich bin am 20. Mai 1973 in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Mitten in Deutschland. Ich bin zwar Türke, aber nicht nur. Mein Name ist türkisch, meine Eltern sind türkisch. Ich bin Turk-Germane, oder Deutsch-Türke, oder Hesse-Türk. Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich ganz genau: Ich bin

MADE IN GERMANY.

Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Ich bin auf eine deutsche Schule gegangen, habe deutsche Freunde, ein deutsches Auto und einen deutschen Pass. Ich fühle mich als Deutscher. Aber meine Wurzeln sind türkisch. Darum fühle ich mich hin und wieder so, als säße ich zwischen den Stühlen statt mitten drauf.

Ich gebe zu: Zwischen den Stühlen zu sitzen ist manchmal gar nicht so schlecht. Sich in beiden Welten zu bedienen, von zwei verschiedenen Kulturen beeinflusst zu sein, sowohl über die einen als auch über die anderen sich lustig zu machen – das hat schon was!

Aus dieser für mich durchaus angenehmen Position zwischen den Stühlen versuche ich in diesem Buch, einen Blick auf mein Heimatland Deutschland zu werfen. Das heißt: Es ist nicht nur ein Blick – es sind mehrere ... und manchmal ist es sogar ein Silberblick.

Manchmal sieht der Türke in mir etwas anderes als der Deutsche. Manchmal ist der Blick des Deutschen Kaya Yanar besonders interessant. Beide, der türkische und der deutsche Kaya, schauen über den Tellerrand und beobachten, was außerhalb von Deutschland vor sich geht. Manche Blicke sind liebevoll, andere ... sagen wir mal: um Verständnis bemüht. Alle diese verschiedenen Blicke sind meine Blicke.

Ich habe für dieses Buch völlig subjektiv Themen ausgewählt, die mich interessieren und die ich mit Deutschland verbinde: entweder weil ich die geschilderten Situationen in Deutschland erlebt habe. Oder weil sie für mich typisch deutsch sind. Oder weil sie ein bestimmtes Licht auf Deutschland werfen – im Guten wie im Schlechten.

Als Wanderer zwischen den Welten erzähle ich, wie es für mich war, mit türkischen Wurzeln in Deutschland aufzuwachsen. So schildert Made in Germany nicht nur Geschichten über Deutschland, sondern auch meine eigene Geschichte: die Geschichte eines türkischen Jungen mit deutschem Pass, mit türkischen Eltern und deutschen Nachbarn, mit türkischen Verwandten und deutschen Freunden.

Neben all den subjektiven Erinnerungen und Eindrücken habe ich bei der Arbeit an diesem Buch viele Fakten gesammelt, die mich interessiert, erstaunt und belustigt haben. Diese Fakten habe ich in FACT BOXES verpackt und in die Kapitel eingestreut. Beim Zusammentragen der Fakten bin ich allerdings nicht wissenschaftlich systematisch vorgegangen, denn ich wollte ja ein unterhaltsames Buch schreiben und kein Lexikon. Nicht alle Fakten sind topaktuell, und nicht alle Fakten konnte ich auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Viele der Informationen wurden im Lauf der Arbeit auf Bierdeckeln festgehalten oder in Kladden geschmiert. Andere wurden mir von Freunden und Fans zugemailt oder erzählt. Einige habe ich im Internet gefunden, aber, Leute: Fragt mich bitte nicht, wo!

Natürlich kommen in diesem Buch auch meine ausländischen Freunde zu Wort: Hakan, Ranjid und Francesco begleiten mich schon mein Leben lang. Wir haben keine Geheimnisse voreinander und können uns blind aufeinander verlassen – und das, obwohl wir vollkommen unterschiedlich sind. Wir haben viele der in diesem Buch versammelten Situationen gemeinsam erlebt, und die spezielle Sichtweise von Hakan, Ranjid und Francesco beleuchtet immer wieder Details, die mir nie aufgefallen wären.

Ich möchte noch unbedingt einen weiteren deutschen Freund erwähnen, der mich begleitet hat, und zwar bei der Produktion dieses Buches: Paulus Ven-nebusch, mein Lieblings-Comedy-Autor! Zusammen schrieben wir schon etliche Was guckst Du?!-Folgen, und ich bin sehr froh und stolz, dass er die Zeit gefunden hat, gemeinsam mit mir dieses Buch zu machen. Ohne ihn wäre das Buch erst 2111 erschienen – und nur halb so lustig. Mein lieber Paulus, besten Dank!

Im Januar 2011

Kaya Yanar

KAPITEL 1

Eltern

Eltern machen überall in der Welt merkwürdige Dinge: Eskimo-Väter geben ihren Neugeborenen rohes Fleisch zu essen, in Afrika tragen Mütter ihren Nachwuchs so lange auf dem Rücken, bis die Kleinen ihr Studium beendet haben, und in den USA achten Daddy und Mum jeden Morgen penibel darauf, dass die Kindergartentasche komplett gepackt ist: Taschentücher, Apfel, Schusswaffe.

Deutsche Eltern schütteln über solche Bräuche zu Recht den Kopf, aber ich kann ihnen versichern: Im Ausland versteht auch nicht jeder auf Anhieb, warum auf jedem zweiten deutschen Kombi „Laura an Bord” oder „Finn fährt mit” steht. Was wollen die Fahrzeughalter damit sagen? „Es sind Kinder im Auto – also fahrt bitte anderswo drauf?”

Deutschland gilt als sehr kinderfreundliches Land: Man bekommt Kindergeld, es gibt genügend Schulen, und Kampfhunden ist es verboten, in öffentliche Sandkästen zu kacken. Drei von vielen guten Gründen, die meine damals noch kinderlosen Eltern dazu bewogen, ihre Heimat zu verlassen und nach Deutschland auszuwandern. Sie wollten Kinder haben, und sie wollten ihren Kindern ein gutes Leben ermöglichen. Darum packten sie 1970 ihre Siebensachen und reisten von Antakya/Arsch der Welt nach Frankfurt/Main.

Meine Eltern sind Türken. Als sie in Deutschland ankamen, waren sie erst einmal schockiert. In Deutschland war alles anders als in ihrer Heimat: Es gab Kirchen statt Moscheen, die Frauen trugen keine Kopftücher, und ein Döner-Sandwich kostete zwanzigmal so viel wie in der Türkei! Wer möchte freiwillig in so einem Land leben?

Vieles war fremd, und doch blieben meine Eltern in Deutschland. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an die seltsamen Umstände, und sie waren fast zur Ruhe gekommen, als eines Tages das Leben von Edip und Besima Yanar erneut komplett auf den Kopf gestellt wurde: Am 20. Mai 1973 erblickte ich das Licht der Welt. Und ab diesem Moment war für meine Eltern nichts mehr, wie es vorher war!

Die Geburt war ziemlich traumatisch für mich. Ich kam schließlich aus einer komfortablen, behaglichen Welt, nämlich aus meiner Mutter! Die vergangenen neun Monate waren für mich wie ein traumhafter All-inclusive-Urlaub gewesen: Gleichbleibend hohe Temperaturen, ich hatte immer genug zu essen, und ich hing den ganzen Tag im Wasser rum – selbst der exklusivste Ferienclub nimmt sich dagegen wie Guantanamo aus!

Doch dann musste ich plötzlich auschecken: Es kühlte von einer Sekunde auf die andere empfindlich auf 34 Grad ab, ich sah in gleißendes Licht, und ich blickte auf fremde, maskierte Menschen! Zur Begrüßung wurde mir erst einmal kräftig auf den Hintern gehauen – willkommen in Deutschland! Aber bevor ich dem maskierten Prügelknaben seinen Klaps zurückgeben konnte, lernte ich meine Mutter kennen. Sie legte mein Gesicht auf ihre Brust, umschlang mich mit ihren Armen und lächelte verklärt. Ich wusste sofort: Falls es noch mehrere solcher weiblichen Wesen gibt, konnte diese Welt so schlecht nicht sein! Und tatsächlich durfte ich in den folgenden 37 Jahren immer wieder feststellen: Die Welt ist voll von solchen bezaubernden, weiblichen, verklärt lächelnden Wesen! Jedes Mal, wenn ich heute mein Gesicht an eine Frauenbrust schmiege, denke ich dankbar zurück an jenen 20. Mai 1973!

Mein Vater war übrigens bei der Geburt dabei. Für einen türkischen Vater war das damals alles andere als üblich. Aber er verhielt sich fantastisch und machte genau das, was für jeden deutschen Vater im Kreißsaal selbstverständlich ist: Er übergab sich und fiel in Ohnmacht!

Ich war nicht das einzige Kind, das an diesem Tag in jenem Krankenhaus geboren wurde: Im benachbarten Kreißsaal kam mein Kumpel Hakan zur Welt. Er ist nur fünf Minuten jünger als ich. Hakans Geburt war allerdings wesentlich komplizierter als meine. Die anwesenden Ärzte, Schwestern und Hebammen werden diesen Tag wohl nie vergessen, denn etwas so Ungewöhnliches hatte bis dahin noch niemand erlebt: Als der Arzt mit der Geburtszange kam, soll eine hohe Stimme aus Hakans Mutter herausgerufen haben: „Isch komm her ned raus!”

Hakan und Kaya – zwei von vielen türkischen Kindern, die damals in Frankfurt das Licht der Welt erblickten. Und wir sind froh, dass sich unsere Eltern für klassische türkische Namen entschieden haben. Wenn sie nach den Modenamen 1973 gegangen wären, hätte ich „Michael Yanar”, „Markus Yanar” oder „Thomas Yanar” geheißen – wenn nicht sogar „Nicole Yanar”!

Alle Eltern werden es bestätigen: Ein Kind verändert das Leben komplett! Das galt vor allem für meinen Vater. Spätestens als mein Bruder und ich auf der Welt waren, kam er überhaupt nicht mehr mit! Er musste zwangsläufig Kontakt zu anderen Eltern aufnehmen, und es war für ihn eine verkehrte Welt, die er da kennenlernte – eine Welt, in der Väter die Kinder wickelten und die Mütter die Schnauzbärte trugen!

In dieser verdrehten Welt versuchte mein Vater, für sich und seine Kinder etwas von dem zu bewahren, das ihm vertraut war, und das war seine Sprache: Er wollte mit uns Kindern zu Hause Türkisch sprechen. Das funktionierte nicht besonders gut, denn mein Türkisch war immer schon schlecht. Lange Zeit dachte ich, „Ankara” wäre die Bezeichnung für eine regenfeste Outdoor-Jacke mit Kapuze!

Mein Vater schimpfte oft mit mir: „Kaya, die Türkei ist deine Heimat. Du bist Türke, du bist kein Deutscher! Sprich Türkisch!”

„Ja, Papa!”

„DAS HEISST: EVET, BABA!”

„Okay, Papa.”

„AAAAAAAAAH!”

Wenn meine Mutter nicht dazwischengegangen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich eine international verständliche Ohrfeige eingefangen!

Obwohl mein Vater genau wusste, dass ich kaum Türkisch verstand, schimpfte er oft auf Türkisch mit mir: „Eschol eschek!”

Und ich stand nur da: „Hund? Katze? Maus? …. Mama, was sagt der? Kannst du das übersetzen?”

Meine Mama übersetzte es mir: „Kaya, er sagt, du seist der Sohn eines Esels!” Ich empfand das damals schon als ungewöhnliche Beschimpfung – vor allem wenn sie aus dem Mund des Vaters vom Sohn eines Esels kommt!

Als mein Vater bemerkte, dass mein Türkisch selbst für seine Beschimpfungen nicht reichte, probierte er es auf Deutsch – komischerweise war das für mich fast genauso schwer zu verstehen!

Denn mein Vater war zwar ein studierter und gebildeter Mann, aber mit der deutschen Sprache hat er sich immer schwergetan. Und ich kann es verstehen: Wer nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist, kann sie nur sehr schwer erlernen. Das ist nicht so einfach wie Englisch: Da hat man das Schwierigste hinter sich, wenn man die Worte „Yes”, „No”, „Coke” und „Fuck” unfallfrei aufsagen kann! Zumindest bin ich als Schüler mit diesem Vokabular ohne Probleme drei Wochen durch England gekommen.

Aber für Menschen, die nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist die deutsche Sprache, wie mein Vater sagen würde: „Arsch!” Mein Vater konnte so schlecht Deutsch sprechen, dass er mich noch nicht mal richtig auf Deutsch beleidigen konnte! Wenn er es trotzdem versuchte, musste ich immer lachen – was ihn natürlich noch mehr verärgerte!

Wenn ein Deutscher sein Gegenüber beleidigen möchte, dann sagt er „Trottel”, „Depp” oder „Blödmann”. Mein Vater konnte das nicht. Wenn er mich beleidigen wollte, sagte er: „Was gibt’s, du Arschkopf?”

„Arschkopf.” Großartig! Poesie pur! Und natürlich zum Schreien komisch! Am liebsten würde ich meinem Vater für „Arschkopf” den deutschen Comedy-Preis verleihen! Wir zwei „Arschköpfe”, also mein Bruder und ich, haben meinen Vater oft extra geärgert, nur damit wir etwas zu lachen hatten: „Kommt heute was Lustiges im Fernsehen, Erkan?”

„Nö, Kaya.”

„Okay, dann lass uns Papa ärgern!”

Mein Vater war unglaublich streng – aber in Verbindung mit „Arschkopf” wurde jede seiner Drohungen zur Lachnummer. Also haben wir ihn mit seinem schlechten Deutsch verarscht – das war unsere Rache für seine Strenge: „Papa, darf ich ins Kino?”

„Ich geb dir gleich Kino!”

„Danke, dass du mir gleich ein ganzes Kino gibst!”

An einem anderen Tag probierte mein Bruder die gleiche Masche – mit Erfolg: „Papa, kriege ich ein Fahrrad?”

„Ich geb dir gleich Fahrrad!”

„Das muss nicht gleich sein – das reicht auch Weihnachten!”

Irgendwann hat mein Vater uns durchschaut, und er hat mich schlimm zurückverarscht. Ich war sieben Jahre alt – ein Alter, in dem Kinder permanent Fragen stellen, die ihre Eltern nicht beantworten können: „Was sind Wolken?”, „Kommen Tiere in den Himmel?”, „Warum gucken alle Leute ›Dallas‹?” oder „Wie viel wiegt Dänemark?”

Und bei einer dieser Fragen hat er mich erwischt. Ich fragte ihn: „Papa, ich weiß, ich bin ein Junge, aber darf ich auch mal mit Puppen spielen?” Und er antwortete: „Klar darfst du das! Aber erst, wenn du alt genug bist, um sie selber aufzublasen!” Seitdem lache ich nicht mehr, wenn mein Vater mich „Arschkopf” nennt!

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe meinen Vater geliebt! Er war ein toller Papa, aber er war auch streng – sehr streng. Türkische Väter sind strenger als deutsche Väter. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ein Lieblingsspruch meines Vaters war: „Ey, wenn du das kaputtmachst, mach ich dich kaputt!”

Dieser Ausspruch kommt definitiv autoritärer rüber als das deutsche Pendant: „Du, Moritz-Ansgar, das war jetzt zwar meine Lieblingstasse gewesen, die du da deiner Schwester an den Kopf geworfen hast, aber Schwamm drüber, du!” Bei dem Spruch „Wenn du das kaputtmachst, mach ich dich kaputt” macht man sich als Kind schon mal vor Angst in die Hose – und kriegt zusätzlich noch Ärger mit der Mama, die das Zeug wieder rauswaschen muss!

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen deutschen und türkischen Vätern bewusst wahrnahm! Bis dahin hatte ich gedacht, dass alle Väter ihre Kinder „Arschkopf” nennen, ihren Kindern „Kino geben” und sich beim Scrabble freuen, wenn sie dreimal hintereinander das „Ü” ziehen. Aber dann stellte ich fest: Andere Väter sind anders als mein Papa!

Ich war ungefähr fünf Jahre alt und spielte mit meinen Kumpels Hakan, Ranjid und Francesco im Sandkasten. Alles war damals schon so wie heute: Francesco baggerte erfolglos die anderen Mütter an („Isse stehe auf Signoras mit Erfahrung!”), Ranjid hing stundenlang auf der Wippe in der Luft, während auf der anderen Seite seine Kuh Benytha saß (die damals natürlich noch ein Kälbchen war), und auch Hakan war schon genauso wie heute, nur dass er mit dem Dreirad unterwegs war – und nicht mit dem Dreier! Hakan hatte einen Sandkuchen gebacken. Gut, das ist nichts Ungewöhnliches, das machen andere Kinder auch. Aber Hakan bestand darauf, dass man ihn auch probierte: „Guckt ihr hier – krasser Sandkuchen. Ranjid, aufessen!”

Aber Ranjid stand der Sinn nicht nach Sandkuchen: „Nö, danke! Keinen Hunger ...”

„FRISS!”

„Na gut!”

Und Ranjid stopfte sich das Zeug in den Mund. „Das hat gar nicht so schlecht geschmeckt”, erinnert sich Ranjid heute, „es fehlte nur ein bisschen Curry!”

Punkt sieben Uhr abends mussten alle Kinder zu Hause sein, denn sieben Uhr war Abendessenszeit in Deutschland, egal, ob für Deutsche, Türken, Italiener oder Inder. Die Mütter hatten üppig gekocht (Ranjids Mutter konnte ja nicht wissen, dass ihr Sohn schon drei Kilo Sand intus hatte), und warteten nun auf ihre Kinder.

Aber Kinder haben ein anderes Zeitgefühl. Für die ist sieben keine Uhrzeit, sondern eine Tätigkeit im Sandkasten! Auf gut Deutsch (sorry, Papa, aber „auf gut Türkisch” wäre hier einfach falsch): Wir trödelten!

Um Viertel nach sieben kam die Vorhut: die Mütter! Arabische Mütter, spanische Mütter, italienische Mütter, deutsche Mütter, und natürlich die beste Mutter der Welt: meine Mutter! Sie setzten zu ihren typischen Rufen an:

„Jürgen!”

„Manfred!”

„Conny!”

„Svea!”

„Ahmet!”

„Annika!”

„Aishe!“

„Roberta!”

„Philippa!”

„Thomas!”

„Kai-Uwe!”

„Pedro!”

„Steffi!”

„Kaya!”

„Erkan!”

„Francesco!”

„Ranjid!”

„Hakan! Du Arsch!”

Achtzehn Kinderköpfe schauten kurz hoch und sahen ihre Mütter am Rand des Sandkastens stehen. Hakan wusste sofort, was zu tun war: „Konkret weiterspielen!”

Und das taten wir. Um halb acht wurde es dann ernst: Da kamen die Väter! Arabische Väter, spanische Väter, italienische Väter, deutsche Väter – und natürlich der strengste Vater der Welt: mein Vater! Sie riefen nicht – sie schauten nur durch ihre zu Sehschlitzen zusammengekniffenen Augen. Wie im Western! Sie scharrten mit den Hufen und schwiegen. Eiskalt. Es trat Totenstille ein. Man hörte nur den Wind – und Benytha, die gerade einen riesigen Kuhfladen in den Sand setzte. Dann begannen die Väter wie auf Kommando loszubrüllen, und jedes Kind sprang panisch auf, packte wortlos sein Eimerchen und sein Schäufelchen und rannte angsterfüllt zu seinem Papa, der den Jungen sofort am Handgelenk griff und Richtung Ausgang zerrte.

Nur der deutsche Vater brüllte nicht. Und damit bewies er mir, dass deutsche Väter anders sind als türkische. Denn der deutsche Vater stand ganz ruhig da und sagte: „Kai-Uwe kommst du mal her? Nein, ich renne dir nicht hinterher! Du kommst zu mir!”

Kai-Uwe kam tatsächlich angedackelt. Und dann folgte der Satz, den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde; ein Satz, wie er niemals über die Lippen eines türkischen Vaters kommen würde; ein typisch deutscher Satz: „Kai-Uwe, wir müssen reden!”

Kai-Uwe war vier Jahre alt! Was sollte der reden? „Papa Hunga habe?” „Papa A-A macht?” „Nicht ohne meinen Anwalt?” Wir anderen Kinder waren total geschockt – und unsere Väter auch!

„Die wollen was machen?”

„Keine Ahnung, ich hab ‘reden’ verstanden! Aber das kann ja nicht sein!”

„Was ist das: ‘reden’? Ist das so was wie Folter?”

„Na ja”, habe ich mir gedacht, „man kann ja mal was Neues probieren”, und ich zog meinen Vater am Ärmel und sagte: „Papa, wir müssen reden!” Seine Antwort hätte ich mir auch denken können: „Ich geb dir gleich reden!”

Alles in allem war ich aber sehr zufrieden mit meinen Eltern. Ich lebte gern mit ihnen zusammen. Mit beiden. Gleichzeitig. Das muss man den jungen Leuten heute erklären: Früher kam es vor, dass Eltern zusammenlebten, in ein und demselben Haus! So wie es ursprünglich mal gedacht war.

Nicht umsonst gibt es vom Wort „Eltern” keinen Singular. Ich finde es wichtig, mit beiden Elternteilen aufzuwachsen. Ich kenne Menschen, die nur beim Vater aufwuchsen – denen fehlt was: Die wissen nicht, dass man Socken auch wechseln kann. Dafür kennen sie die Namen sämtlicher Ersatztorhüter von Eintracht Braunschweig seit 1966 auswendig und können zur Not mit einer Tiefkühlpizza und einem Kasten Bier vier Wochen lang überleben.

Und diejenigen Kumpels, die nur von ihrer Mutter erzogen wurden, haben auch einen an der Waffel: Die können zwar tolle Salatsoßen machen und Spannbettlaken falten, aber wenn sie eine Glühbirne auswechseln müssen, rufen sie vorsichtshalber erst mal beim Technischen Hilfswerk an.

Meine Eltern haben es verhältnismäßig richtig gemacht. Sie haben sich zwar auch getrennt, aber erst, als mein Bruder und ich die wichtigsten Lebensgrundlagen bereits begriffen hatten. Meine Eltern sind keine Ausnahme. Scheidung ist bei Türken total in. Seit 2005 ist laut türkischem Familiengericht die Scheidungsrate um 40 Prozent gestiegen. 40 Prozent! Davon können die meisten DAX-Unternehmen nur träumen!

Ich habe aus der Geschichte meiner Eltern gelernt. Im Guten wie im Schlechten. Die guten Dinge will ich übernehmen, und die schlechten vermeiden.

Darum ist für mich Scheidung absolut kein Thema – zumindest solange ich noch ledig bin!

KAPITEL 2

Schule

Schule ist ein bisschen wie Akne – jeder Jugendliche hat damit zu tun, und jeder ist froh, wenn es endlich vorbei ist. Ich kenne Menschen, die sind so ungern zur Schule gegangen, dass für sie TV-Serien wie Unser Lehrer Doktor Specht unter die Kategorie „Horrorfilm” fallen. Andere vergleichen Schule eher mit dem Gefangenenlager Guantanamo – nur, dass bei der Schule die UN leider nicht die sofortige Schließung fordert! Aber die Szenen sind ähnlich – sobald der Lehrer sagt: „Hefte raus! Vokabeltest!”, bricht der erste Schüler schreiend zusammen: „Nicht weitermachen! Ich gebe alles zu – ich bin die Maschine geflogen!”

Deutschland ist ein freies Land. Niemand wird gezwungen, am Nationalfeiertag bunte Troddeln schwenkend über einen großen Platz zu marschieren. Niemand muss angsterfüllt flüstern, wenn er Schlechtes über die Bundeskanzlerin sagt – mit Ausnahme von Joachim Sauer, dem Ehemann der Bundeskanzlerin. Man kann sich den Fußballverein aussuchen, die Religion, ja sogar das Geschlecht. Aber man kann sich nicht alles aussuchen: In Deutschland herrscht Schulpflicht! Ob man will oder nicht – jeder muss zur Schule gehen. Und das ist auch gut so, denn wo sollte man mit den vielen ungebildeten jungen Menschen hin? So viele Casting Shows kann es gar nicht geben!

Also verbringen die jungen Deutschen den Großteil ihrer Jugend in der Schule. Sie sollen dort fürs Leben lernen. Und da muss ich meinem Kumpel Hakan Recht geben, der immer sagt:

Für viele Kinder ist die Vorstellung, in die Schule gehen zu müssen, eine einzige Quälerei. Ich war da anders: Ich habe mich schon als Kindergartenkind auf die Schule gefreut. Ich habe schon im Alter von fünf Jahren mit meinen Star Wars-Figuren „Schule” nachgespielt: Auf dem Schulhof meiner Fantasie haben Han Solo, R2-D2, Obi Wan-Kenobi und ich Gummitwist gespielt. Ich habe mit Yoda heimlich hinter der Turnhalle meine erste Zigarette geraucht, und ich habe Prinzessin Leia an den Haaren gezogen – schließlich sind auch Prinzessinnen nichts weiter als besser angezogene Mädchen. Luke Skywalker war mein Klassenlehrer, und Darth Vader ging für mich zum Elternabend und röchelte: „Ich bin Kayas Vater, Luke!”

Ich konnte es gar nicht abwarten, zur Schule zu gehen. Ich hätte gerne wie ein Strafgefangener Striche in meine Zimmerwand geritzt und die Tage bis zu meiner Einschulung gezählt – aber leider konnte ich noch nicht zählen.

Meinen ersten Schultag habe ich mir immer so vorgestellt: Die Sonne scheint, die stolzen Großeltern kommen zu Besuch, die ganze Familie bringt den kleinen, süßen Kaya zum Schuleingang, der kleine, süße Kaya wird mit Geschenken überhäuft, er schnuppert gierig an der Riesentüte (die Kiffer wissen, wovon ich rede), lächelndes Lehrpersonal tänzelt mit den Kleinen in den bunt geschmückten Klassenraum …

In Wirklichkeit bin ich mit der Straßenbahn hingefahren, weil es in Strömen regnete, keiner aus meiner Familie war dabei, und ich hatte das Gefühl, das Einzige, was ich zum Schulstart bekommen habe, waren Läuse und eine fette Erkältung! Aber das war natürlich übertrieben. Selbstverständlich bekam ich eine Schultüte.

Das bin ich an meinem ersten Schultag. Die Tüte war voll mit Süßigkeiten. Dabei hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als einen Gutschein für eine Jungs-Frisur!

Alles in allem war die Grundschulzeit für mich relativ harmlos: Es wurde viel gesungen, alle hatten sich lieb, und die Brüste der Lehrerinnen waren damals noch weniger interessant als Playmobil-Ritter. Auf den Klos wurde noch gekackt statt geraucht, und auf dem Schulhof gab es noch richtig altmodische Schlägereien – ganz ohne Waffen! Es war eine Zeit der Reinheit und der Unschuld: Wir Jungs konnten beispielsweise damals Geburtstagspartys ganz ohne Mädchen feiern, ohne gleich als schwul zu gelten. Allerdings haben wir Jungs auch penibel darauf geachtet, dass es beim Flaschendrehen nicht zum Äußersten kam.

In der Grundschule hatte ich übrigens auch die ersten Erfolge als Komiker: Mein größter Lacherfolg war der Versuch, beim Sportunterricht über das Pferd zu kommen!

Ich gebe zu: Sport gehörte nicht zu meinen Lieblingsfächern. Und ich war nicht der Einzige, dem das so ging. Es gab eine Menge Klassenkameraden, die sich Schöneres vorstellen konnten, als in knappen Leibchen an Ringen zu hängen oder Medizinbälle durch die Gegend zu rollen. In der Grundschule blieb uns nichts anderes übrig, als trotzdem am Sportunterricht teilzunehmen, aber später im Gymnasium entwickelten ich und viele meiner Mitschüler eine blühende Fantasie, wenn es darum ging, der Turnhalle fernzubleiben: Plötzlich grassierte in unserem Kurs ein sehr seltenes, temporales Asthma, das jede noch so leichte sportliche Betätigung lebensgefährlich machte! Die Krankheit war übrigens hoch ansteckend!

Bei einer anderen Gelegenheit trat in meiner Klasse plötzlich vermehrt unheilbarer Bluthochdruck auf. Meistens begann er wenige Minuten vor der Sportstunde und hielt exakt 45 Minuten an. Mediziner hätten vor einem Rätsel gestanden!

Die Mädchen in unserer Klasse hatten – was weltweit einmalig war – bis zu viermal im Monat ihre Periode! Einige glaubten an eine blöde Ausrede, andere an ein biologisches Wunder!

Und ob es die Sportlehrer glaubten oder nicht: Die Evolution war extrem gnadenlos und machte auch vor unserer Klasse nicht halt! So unglaublich es klang, es war die reine Wahrheit: In unserer Klasse menstruierten auch die Jungen!

Zu unserem Glück war unser Sportlehrer extrem leichtgläubig, was zur Folge hatte, dass die Sportkurse zeitweise sehr dünn besucht waren. Beim Hallenfußball konnte oft noch nicht einmal fünf gegen fünf gespielt werden, sondern nur eins gegen eins. Und das auch nur, wenn der Lehrer mitkickte!

Aber eines Tages bekamen wir einen neuen Sportlehrer, und dem konnten wir nichts mehr vormachen. Er gab uns glasklar zu verstehen, dass er keine faulen Ausreden duldete. Sein Credo war: Für jedes Wehwehchen gibt es ein Gegenmittel. Sicherheitshalber verteilte der neue Pädagoge unter allen Schülern ein Infoblatt mit internationalen Heilmethoden. Und diese Methoden waren zum Teil so absonderlich, dass wir lieber gar keine Krankheiten mehr vortäuschten und lieber schön brav mitturnten.

Oft wird ja Kritik laut, dass Schule weltfremd sei und dass die Schüler nur Dinge lernen würden, die sie später im wahren Leben nie wieder brauchen. Die Kritik ist nicht ganz falsch. Das Einzige, das ich zum Beispiel in der Grundschule gelernt habe, war nämlich die Lektion, dass Kakaoflecken unheimlich schlecht aus weißen T-Shirts rausgehen. Eine Lektion, die mir komischerweise seit Jahrzehnten nicht mehr in der Praxis geholfen hat. So viel zum Thema „Fürs Leben lernen”.

Nach der Grundschule stellten meine Eltern sich die Frage: Auf welche Schule sollen wir den Jungen schicken? Realschule? Gymnasium? Gesamtschule? Oder – wie ich vorgeschlagen hatte – Mädcheninternat? (Brüste waren mittlerweile interessanter geworden als Playmobil-Ritter.)

Es dauerte über 20 Jahre, bis ich kapierte, dass die Menschen über mich lachen – und nicht über mein T-Shirt

Meine Eltern überlegten hin und her. Und taten sich schwer. Die Auswahl an verschiedenen Schulformen überforderte sie. Zu Hause in der Türkei hatte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: Dorfschule oder Dorfdepp.

Aber meine Eltern waren offen für neue Wege. Mein Vater ging mit mir sogar zu einem Informationsnachmittag der Waldorfschule. Es war … interessant! Nachdem zwei in unförmigen Strickwaren gefangene Menschen – vermutlich waren es Frauen, und vermutlich waren sie die Lehrerinnen – die pädagogischen Grundlagen der Schule in ein Stück Holz geschnitzt hatten, sollte mein Vater seinen Namen vortanzen. Das Ergebnis sah selbst für mich nicht nach „Guten Tag, mein Name ist Edip Yanar” aus, sondern eher nach „Wenn ihr Arschköpfe mich auf den Arm nehmen wollt, dann müsst ihr schon früher aufstehen”. Mein Vater nahm mich an der Hand, umarmte noch schnell einen Baum und sagte ihm: „Buche, glaubst du mir – der Junge kommt aufs Gymnasium!”

So kam ich 1983 ins Heinrich-von Gagern-Gymnasium in Frankfurt, und wenn ich damals schon gewusst hätte, was mich dort erwartete, dann hätte ich mich sofort für die Hauptschule entschieden – für eine Karriere als Fernsehstar hätte das allemal gereicht!

Auf dem Gymnasium hatte ich es richtig schwer, denn ich läutete eine neue Phase in meinem Leben ein. Bis dahin war mir das Lernen sehr leichtgefallen, und ich hatte in der Grundschule immer ordentliche Ergebnisse erzielen können, sieht man mal von dem Topflappen ab, den ich in der zweiten Klasse gehäkelt hatte und den meine Mutter Weihnachten laut lachend aus dem Fenster warf. Die Lehrer waren zufrieden mit mir, ich selbst war zufrieden mit mir – doch auf meinem ersten Gymnasialzeugnis stand statt einer Drei in Rechnen eine Fünf in Mathematik!

Ich war schlecht geworden! Verdammt schlecht!

Das lag zum einen daran, dass es Dinge gab, die meine Aufmerksamkeit mehr fesselten als Rechenaufgaben: Die Mädchen in der Klasse waren in meinen Augen plötzlich nicht mehr doofe, zickige Hühner, sondern doofe, zickige, aber verdammt scharfe Hühner!

Zum anderen hatte ich Probleme mit den damals schwer angesagten Textaufgaben: Sie wollten Praxisnähe vorgaukeln und den Eindruck erwecken, man lerne fürs Leben. Statt der klaren, unmissverständlichen Rechenaufgabe „(4 + 3) x 2”, wie ich sie in der Grundschule gestellt bekommen hätte, hieß es nun: „Drei Bauarbeiter stehen auf einem Baugerüst und arbeiten.”

Das war schon mal totaler Schwachsinn. „Drei Bauarbeiter sitzen auf einem Baugerüst und pfeifen einem Mädchen hinterher” hätte ich ja noch verstanden. Aber arbeiten? Völliger Quatsch! Es ging genauso realitätsfern weiter: „Vier weitere Bauarbeiter kommen dazu.”

Drei plus vier … sieben Bauarbeiter? Auf einer Baustelle? Schon mal was von „Überbesetzung” gehört? Und was würde als Nächstes für ein unrealistischer Quatsch kommen? Vielleicht „Alle sieben Bauarbeiter arbeiten auf Lohnsteuerkarte”?

Das mit der Lohnsteuerkarte kam nicht, aber der Schwachsinn näherte sich trotzdem seinem Höhepunkt: „Jeder der Bauarbeiter trinkt in der Mittagspause zwei Becher Kaffee – wie viele Becher Kaffee trinken sie insgesamt?”

Ich war immer gut im Kopfrechnen, also zeigte ich auf und sagte: „14 Flaschen Bier!”

Das fand meine Lehrerin weniger lustig. Und ich will es nicht ausschließlich am mangelnden Humor meiner Lehrerin festmachen, aber mit Sicherheit hat dieses Humordefizit zu meinen schlechten Mathematikzensuren beigetragen.

Ein weiterer Grund für mein schlechtes Abschneiden waren meine Mitschüler, denn die waren leider genauso doof wie ich! Obwohl schlechte Leistungen nicht automatisch bedeuten, dass man doof ist! Es kann sein, dass man lernunwillig ist, oder ein bisschen faul, oder es interessiert einen nicht, oder man kann sich nicht konzentrieren … ich war wahrscheinlich der einzige Schüler in ganz Hessen, auf den alle Erklärungen gleichzeitig zutrafen!

Der Ranzencheck:

Inhalt von Kayas Ranzen: Mäppchen, Lineal, Hefte, Brotdose

Inhalt von Francescos Ranzen: Mäppchen, Rosen, Pralinen, Kerzen

Ich habe mir damals gesagt: „Kaya, wenn du nicht so gut bist, dann machst du was ganz Schlaues: Du setzt dich neben einen Klassenkameraden, der besser ist – und schreibst einfach ab!”

Bei uns in der Klasse hatten wir allerdings ein Problem: Bei uns gab’s nichts abzuschreiben! Wir waren alle gleich doof! Vor allem in der Reihe, in der ich saß: Denn ich saß zusammen mit Francesco, Hakan und Ranjid!

Der Ranzecheck:

Inhalt von Ranjids Ranzen: Mäppchen, Ersatzpullunder, Curry, Heu für Benytha

Inhalt von Hakans Ranzen: DU GUCKST HIER NED REIN!!!

Wir saßen alle nebeneinander. Ein Duplo-Riegel von Idioten! Aus uns vier Vollpfosten hätte man ein prima Hochbett bauen können! Wir hatten Spaß, wir hatten Freude, wir hatten Bock – aber wir hatten alle vier keine Ahnung!

Bei Klassenarbeiten war es jedes Mal das Gleiche: Ich flüsterte zu meinem Nachbarn: „Pssst, Francesco, hast du eine Ahnung?”

Francesco sah mich verzweifelt an und flüsterte zurück: „Nein, isse habe keine Ahnung, frag isse de Hakan. Pssst, Hakan, hasse du eine Ahnung?”

Hakan reagierte auf seine damals schon so unverwechselbare Art:

„Willst misch krass beleidigen, oder was? Hab isch natürlich konkret keine Ahnung!”

Und dann brüllte Hakan seinem Nachbarn ins Ohr: „RANJID! INDER! HÖRST DU HIER! HAST DU SCHEISSE AHNUNG?”

Nachdem er vor Schreck beinahe in die Hose gemacht hätte und dann stumm wimmernd den Kopf geschüttelt hatte, sprach Ranjid den Letzten in der Reihe an: „Benytha, kannst du mir vielleicht helfen?”

„Muuuuuh!”

Und wenn man unserer Lehrerin glauben darf, war Ranjids Kuh Benytha noch die Cleverste in unserer Reihe!

Einen weiteren Beweis dafür, wie blöd wir waren, liefert die folgende Geschichte. Einmal kam die Lehrerin auf Francesco zu und sagte: „Francesco, ich möchte wissen, ob du heute in der Stunde aufgepasst hast!” Francesco strahlte über das ganze Gesicht: „Natürlich isse habe aufgepasste, schöne Signorina! Sie habe heute an de rote Büstehalter!” Es gab nur drei Wesen im Klassenraum, die nicht in schallendes Gelächter ausbrachen: die Lehrerin, der arme Francesco – und Benytha!

Auch Ranjids Cleverness wurde von der Lehrerin negativ getestet. Sie wollte einmal von ihm wissen: „Wie heißt das Kleidungsstück, das man am Fuß trägt, wenn es draußen regnet?”

„?”

„Ein Gummistiefel, Ranjid! Was trägt man dann an beiden Füßen?”

„?”

„Zwei Gummistiefel, Ranjid! Jetzt hab ich aber genug. Wie nennt man den Mann, der im Weißen Haus lebt und Millionen von Amerikanern regiert?”

„Hihi! Das ist einfach: drei Gummistiefel!”

Hakan war der Bescheuertste von uns allen: Wir hatten unsere Klassenarbeiten zurückbekommen. Ich hatte eine Drei, Hakan, der direkt neben mir gesessen hatte, eine Fünf. Er war damit nicht einverstanden und meldete sich mitten im Unterricht:

„Lehrerin!! Komm mal ganz kurz her! Guckst du.

3.Auflage

Originalausgabe 02/2011

Copyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH www.heyne.de

Mitarbeit: Paulus Vennebusch, Köln Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Fotos: Christian Sauter

Abbildung auf Seite 225: Marc Rehbeck für

TV Digital/PETA

Illustrationen:

Clyde & von Ameln (Digitale Maler & Lackierer), Köln

Cartoons: Zwen Keller, Frankfurt

Satz: BuchHaus Robert Gigler

eISBN 978-3-641-06048-0

www.randomhouse.de

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