Magnifikatz - Philip J. Davis - E-Book

Magnifikatz E-Book

Philip J. Davis

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Beschreibung

Der zweite Roman um Pembrokes Katze Thomas Gray, die in Kopenhagen dem Geist von Hans Christian Anders begegnet Die harmlose Frage »Kommt mein Kanarienvogel in den Himmel?« ruft eine internationale Gelehrtenkonferenz auf den Plan. Da diese in Kopenhagen stattfindet, ziehen die Teilnehmer auch die Werke des Märchenerzählers Hans Christian Andersen zu Rate. Uneinigkeit herrscht über Andersens Verhältnis zu Katzen. Lucas Fysst und Pembrokes Katze Thomas Gray fassen unverdrossen den Beschluß, nach einem verlorengegangenen, katzenfreundlichen Manuskript von Andersen zu fahnden. Eine abenteuerliche Suche beginnt – kreuz und quer in Kopenhagen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Philip J. Davis

Magnifikatz

Pembrokes Katze in Kopenhagen

Aus dem Amerikanischen von Manfred Kottmann

FISCHER Digital

Weitere Abenteuer von Pembrokes Katze Thomas Gray, die in Kopenhagen dem Geist von Hans Christian Anders begegnet

Inhalt

Für David und Isabelle [...]EJ BLOT TIL LYST [...]Vorwort1 Die Seele eines Kanarienvogels2 Über dänische Sprache und Literatur3 Die Konferenz4 Die Suche beginnt5 Unterredung mit einer Bouillabaisse6 Thomas Gray betritt die Szene7 Die Zusammenarbeit wird erneuert8 Seelenfindung9 Der Ruhm des Königreichs10 Nachtgeistige Gespräche in Nyhavn11 Lucas Fyssts Traum: Das Wienerbrœd und die Katze12 Anweisungen werden entgegengenommen13 Der einfache braune Umschlag14 Die königliche Katzen-Geschichte15 Lunch in der Villa Fredenskjold16 Diamanten an ihrem Hals17 Tee auf Schloß Amalienborg18 Erweitertes Verfahren19 Der Druck verstärkt sich20 H. C. Andersens Geist21 Den lille Havfrue22 Der gute Ruf ist wiederhergestellt23 Chaos neben der Kamera24 Der Zauberspiegel25 Jetzt wird einiges mehr enthülltDanksagung

Für David und Isabelle Pingree

EJ BLOT TIL LYST

Nicht nur zum Spaß

 

(Inschrift auf dem Proszeniumsbogen des Königlichen Theaters in Kopenhagen)

Vorwort

Nyhavn Nr. 18 ist ein Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und liegt in der Straße am gleichnamigen Kanal und früheren Hafenbecken, mitten in einem der malerischsten Stadtteile von Kopenhagen. 1968 erwarb die Dänische Nationalbank das Haus, ließ es renovieren und machte daraus ein Gästehaus, in dem sich Stipendiaten aus aller Welt – Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller – ein Jahr lang aufhalten können.

Vor einigen Jahren hielt ich Vorlesungen an der Universität von Roskilde, westlich von Kopenhagen, in einer etwa halbstündigen Bahnfahrt zu erreichen. Meine Frau und ich hatten aber das Glück, eine der Wohnungen des Gebäudes Nyhavn Nr. 18 bewohnen zu dürfen. Wir freuten uns noch mehr darüber, als wir erfuhren, daß der berühmte Märchendichter Hans Christian Andersen von 1873 bis zu seinem Tode 1875 in zwei der Räume unserer Wohnung gelebt hatte. Natürlich kennen auch Touristen diese Adresse aus ihrem Reiseführer und aus dem Veranstaltungskalender, der in jedem Hotel ausliegt. Die Dänische Nationalbank hat sogar einige Erinnerungsstücke an H. C. Andersen in der Wohnung ausgestellt. Wir wohnten sozusagen in einem kleinen Museum, das allerdings nicht für die Allgemeinheit zugänglich war.

Wenn ich an dem wunderschönen Schreibtisch in modernem, hervorragendem dänischen Design saß, sah ich durchs Fenster die Masten der Segelschiffe auf der anderen Seite des Kanals. An der Wand neben dem Schreibtisch fiel mein Blick auf eine Fotografie H. C. Andersens, der so wie ich, vor dem Fenster an seinem Schreibtisch – einem wuchtigen Möbel aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – sitzend, fast dieselbe Hafenszenerie vor Augen hatte. Man konnte sich leicht vorstellen, daß sich dieser Platz gut zum Geschichtenschreiben eignete.

Vor ein paar Jahren hatte ich einen satirischen Roman über Gelehrte in schwarzen Talaren geschrieben. Seine Heldin ist eine Katze namens Thomas Gray, die sehr intelligente Katze des Pembroke College der altehrwürdigen englischen Universität Cambridge. Der Held heißt Dr. Lucas Fysst. Er ist ein etwas exzentrischer Professor der Geschichte der Wissenschaften. Beide zusammen machten innerhalb des sich selbst genügenden Gelehrtenkreises eine glänzende Karriere.

Für die Heldin diente eine echte Katze als Vorbild, die lange Zeit im Pembroke College herumstrich und tatsächlich von den Studenten nach dem englischen Philosophen Thomas Gray benannt wurde. Nachdem das Buch erschienen war, entdeckte ich in der Wochenendbeilage des Londoner Observer einen doppelseitigen Farbbericht über die echte Katze des Pembroke College. Da lag sie angespannt auf den Händen des Collegeleiters, und ich dachte: Thomas und Lucas verdienten es, daß eine weitere Geschichte sie hier im Haus Nyhavn Nr. 18 wieder zusammenführt, wo einmal ein Meistererzähler gelebt hat. Oder etwa nicht?

1 Die Seele eines Kanarienvogels

»Sie fahren also nach Kopenhagen, Fysst?« fragte Ian Plumbley beim Nachtisch. Es gab Äpfel und Portwein. Plumbley gehörte zu den Leuten, die damit angeben, daß sie einen Apfel so schälen können, daß die Schale ein einziges, spiralförmiges Ganzes bleibt.

»Ich werde dort nicht sehr lange bleiben, höchstens ein paar Monate. Wissen Sie, zuerst findet eine Konferenz statt, dann kommt die Arbeit in der Königlichen Bibliothek. Danach halte ich ein paar Vorträge in Dänemark. Vielleicht auch noch in Deutschland. Ich habe meine Projekte hier gerade abgeschlossen, so daß ich gut weg kann.«

Diese Unterhaltung wurde im Gesellschaftsraum des Pembroke College der Universität Cambridge geführt. Bei dem einen Gesprächspartner handelte es sich um Ian Plumbley, Professor der Astrophysik, bei dem anderen um Dr. Lucas Fysst, Professor für Geschichte der Wissenschaften.

Das Abendessen war reichlich gewesen: Lammrückenbraten, eine von Plumbleys Lieblingsspeisen. Jetzt genoß er den süßen Dessertwein dazu.

»Wie lautet denn das Thema der Konferenz, wenn man fragen darf?«

»Aber bitte. Die Konferenz beschäftigt sich mit dem Wesen der Seele. Ein sehr bedeutsames Thema, möchte ich meinen, wo wir doch im Okzident – nicht ich, will ich meinen, und auch Sie nicht, will ich hoffen – eine Gesellschaft ohne Gott, ohne Seele und ohne Helden geworden sind.«

Der Astrophysiker Plumbley bekundete sein entschiedenes Mißfallen durch einen Laut, der allerdings dadurch leicht gedämpft wurde, daß er sich ein Apfelstück mit der daran baumelnden Schale in den Mund steckte. »Die Seele, ach ja, die Seele. Dieser metaphysische Begriff ist einfach nicht totzukriegen, ganz gleich wie oft wir Physiker darauf hinweisen, daß er in keinem einzigen mathematischen Modell des Universums auch nur die geringste Rolle zu spielen vermag.«

»Dazu muß ich bemerken, Plumbley, daß Ihre Theorien entsprechend beschränkt sind. Wahrscheinlich sogar überholt. Und bei aller Beschränktheit dieser Theoriebildung denken Sie gar nicht daran zuzugeben, wieviel Metaphysik in Ihrer Physik steckt.«

»Nun, diesen Streit werden wir heute abend nicht ausfechten. Aber worüber wollen Sie denn in Kopenhagen Vorträge halten?« fragte Plumbley.

»Ich werde der Frage nachgehen, ob Tiere eine Seele haben. Mit Aristoteles’ berühmter Schrift «De Anima» beginnend, will ich einen Überblick über die verschiedenen Meinungen abendländischer Denker geben. Ich fahre fort mit den Kommentaren dazu von Albertus Magnus, Thomas von Aquin und John Philoponus. Und zum Abschluß trage ich ein paar eigene Gedanken zum Thema vor. Der Gegenstand nimmt ganz andere Dimensionen an, wenn man östliche Standpunkte berücksichtigt, wie sie zum Beispiel der Tschandogyopanisad oder die Brahmasutras von Bedareyana enthalten.«

»Warum behandeln Sie dann die östlichen Standpunkte nicht?« fragte Professor Plumbley mit vorgetäuschter Verwunderung.

»Ganz einfach, weil darüber eine Autorität auf diesem Gebiet sprechen wird.«

»Nämlich?«

»Mahamahopadhyaye Jivatmanandasvemin – oder kurz der Swami.«

»Ja, Sie tun bestimmt gut daran, wenn Sie diesem Mann nicht ins Gehege kommen. Aber was ist denn nun Ihre persönliche Meinung darüber, ob Tiere eine Seele haben?«

»Lieber Freund, kommen Sie doch einfach nach Kopenhagen. Dort werde ich meine Ansicht ausführlich darlegen.«

»Sicher, sicher. Ich wollte nicht aufdringlich werden. Kennen Sie Kopenhagen und die Dänen?«

»Überhaupt nicht«, entgegnete Lucas Fysst.

»Na ja, ich war schon oft dort. Wissen Sie, die Quantenphysik ist dort sehr hoch entwickelt. Und die Dänen sind nette Leute, locker und so. Hab nur angenehme Erinnerungen an Dänemark.«

»Erzählen Sie ruhig mehr. Das wäre hilfreich. Wie ist denn das Wetter? Was für Kleidung soll ich mitnehmen.«

»Sie sind von Februar bis April dort? Dann würde ich sagen, daß das Wetter wohl so wie in Cambridge sein dürfte, bloß ein bißchen unangenehmer. Das heißt: regnerischer, windiger, kälter. Die Stadt scheint nur von Regenschirmen bewohnt zu sein. Warum konferiert ihr denn nicht auf den britischen Jungferninseln in der Karibik? Das ist das unberührte Paradies auf Erden, wo sich die Seele so richtig entfalten könnte.«

»Ich werde also einen Wollschal benötigen?«

»Ja, allerdings. Sie werden sehen, daß die Dänen alle gut verpackt und bis oben hin zugeknöpft sind. Ich meine das natürlich nicht hinsichtlich ihrer Art des Umgangs. Der typische Däne schlingt sich ein langes Schalgebilde in komplizierter Weise um den Hals, bevor er sich den Elementen aussetzt. Ich habe mich einmal in eine Dänin, eine Astrophysikerin, verliebt. Es war bereits Ende Mai, als ich sah, daß sie auch einen Hals hatte.«

»Das war bestimmt eine harte Prüfung für Sie, wenn ich mich so ausdrücken darf. Wie gut, daß der Glaube immer wieder durch die Erfahrung belebt wird. Sonst verwelkt er am Rebstock.«

Professor Plumbley leerte sein Portweinglas und erhob sich. »Eins noch, Fysst«, sagte er, bevor er sich zum Gehen wandte, »es könnte sein, daß das Prüfungskomitee während der Zeit Ihrer Abwesenheit mit Ihnen Kontakt aufnehmen möchte. Könnte ich wohl Ihre Adresse haben?« Er reichte Fysst einen Kugelschreiber und riß eine unbedruckte Ecke seines Sunday Independent ab. Fysst schrieb darauf:

L.Fysst

Nyhavn 18

1051 København K

Dr. Lucas Fysst – spricht sich wie ›dreist‹ – war Professor für Geschichte der Wissenschaften unter besonderer Berücksichtigung Mesopotamiens, Ägyptens und der griechisch-römischen Antike. Sein Spezialgebiet war die Geschichte der antiken Mathematik. Er verfügte über Wohn- und Arbeitsräume im Pembroke College in Cambridge, lebte aber mit seiner Frau Barbara und seiner kleiner Tochter Cornelia in Waterfen St. Willow. Obwohl Fysst ein ordinierter Geistlicher der anglikanischen Kirche war und entsprechend Kragen und Hemdbrust trug, hatte er keine Verantwortung für eine Gemeinde.

Wenn ihn in Cambridge jemand auf der Straße als Geistlichen ansprach, weil dieser Mensch ein seelisches oder religiöses Problem hatte, verwies Fysst ihn sogleich an die St. Michaels-Kirche in der Hill Road. »Ich habe«, so pflegte er zu sagen, »keine Erfahrung mit den Problemen und Tragödien im Alltag der Menschen. Natürlich habe ich meine eigene Erfahrung, aber die läßt sich nicht ohne weiteres auf andere Schicksale übertragen.«

Seine wohl schmerzlichste Erfahrung in jüngster Zeit hatte Fysst bei der Versteigerung einer seltenen Ausgabe von Ozanams Récréations Mathématiques et Philosophiques – Paris, 1694 erleben müssen, die ein Japaner ihm vor der Nase weggeschnappt hatte. Er benötigte dieses Buch nicht unbedingt für seine Arbeit, aber es hätte ihn gefreut, es in seinem Besitz zu wissen.

Eine seiner zufälligen Erfahrungen mit den Nöten seiner Zeitgenossen hatte Fysst Ende April des vergangenen Jahres gemacht – und sie sollte ihn zu der Konferenz in Kopenhagen führen. Damals mußte er in Vertretung von Dekan Dr. Montrose die Abendandacht in der Wren-Kapelle des Pembroke College halten. Der Dekan von Pembroke, der wegen seiner Apfelbäckchen allgemein Rosey genannt wurde, weilte in Lancashire bei der Hochzeit einer Tochter seiner Schwester.

Nach eben dieser Andacht kam eine Frau, die in einer der hinteren Bänke gesessen hatte und offensichtlich nicht zum Kreis der üblichen Andachtsbesucher des Colleges zählte, auf Fysst zu und fragte ihn: »Doktor Montrose, kommt mein Kanarienvogel in den Himmel, wenn er stirbt?«

Diese Frage lag ziemlich weit außerhalb von Fyssts gewohnter Gedankenwelt. Trotzdem war eine Antwort vonnöten. Und es war ihm klar, daß er auf jeden Fall in Schwierigkeiten geraten würde, ob er nun mit ja oder nein antwortete. »Ich weiß nicht, Madam«, sagte er daher vorsichtig, »wie Doktor Montrose Ihre Frage beantworten würde. Es ist zweifellos eine sehr gute Frage. Ich werde ihr nachgehen und Sie meine Antwort wissen lassen. Ich möchte Sie also bitten, mich in ein paar Tagen hier im College in meinen Räumen aufzusuchen.«

Die Dame verließ sichtlich erleichtert die Kapelle in dem festen Glauben, daß dieser brave Mann sich Gedanken über die ganz persönlichen Verdienste ihres Vogels machen würde. Doch das beabsichtigte Fysst keineswegs.

Der wissenschaftliche Verstand arbeitet gern mit Verallgemeinerungen. So auch hier. Zuerst wandelte Fysst die Frage nach dem Himmel in die bereits sehr ausführlich diskutierte Problematik der Unsterblichkeit der Seele um. Sodann schweiften seine Gedanken von dem spezifischen, sagen wir mal, Sweetie genannten Kanarienvogel, der in einem Metallkäfig, sagen wir mal, in der Milton Road 2353 ansässig war, zu den Kanarienvögeln im allgemeinen. Dann zu den Vögeln im allgemeinen und von diesen zur Tierwelt, der sogenannten Fauna. An diesem Punkt gab es für sein Denken keinen Halt mehr, und er rechnete auch das Reich der Flora den beseelten Lebewesen zu. Von Flora und Fauna ausgehend, war der letzte Schritt zur Betrachtung der gesamten göttlichen Schöpfung schnell getan. Und so stand schließlich die Frage vor seinem Geist: Hat der Kosmos eine Seele?

Nachdem die Frage nun einmal so generell gestellt war, vereinten sich Lucas Fyssts Gelehrsamkeit und seine Phantasie. Und er befragte die geistigen Autoritäten des Abendlands: Aristoteles und andere Philosophen der Antike, die Kirchenväter, Paracelsus von Hohenheim und den Ketzer Giordano Bruno. Er warf auch einen Blick in die Schriften von Thomas Muggleton sowie des kürzlich verstorbenen Erzbischofs von Canterbury, Robert Ramsey, und studierte die Enzykliken der drei letzten römisch-katholischen Päpste in der vagen Hoffnung, irgendwo einen Gedanken zu seinem Thema zu finden.

Was er dabei an mehr oder weniger tiefgründigem und verbürgtem Gedankengut fand, reicherte er mit den Meinungen berühmter Eremiten der Antike und den Stellungnahmen zeitgenössischer Vegetarier und Tierschützer an. Das gesamte Meinungsbild, das sich daraus ergab, war so verwirrend, daß Fysst die Überzeugung gewann, nur eine internationale Konferenz von höchster Kompetenz in Sachen Metaphysik könne den Wirrwarr entflechten und die Menschheit bezüglich dieser Frage auf die richtige Bahn leiten.

Er sprach darüber mit einer Reihe von Kollegen auf dem europäischen Kontinent. Professor Mogens Hvidvin aus Kopenhagen bot einen Seminarraum und ein paar hundert Kronen für die Organisation an. Und so war die Konferenz geboren.

Während dessen wurde Lucas Fysst klar, daß er von den Höhen der metaphysischen Spekulation wieder heruntersteigen und die Angelegenheit auf dem Niveau von, sagen wir mal, Sweetie in der Milton Road 2353 untersuchen mußte. Die unbekannte Dame würde sicher bald an seine Tür klopfen, dann mußte er Rede und Antwort stehen.

Sie klopfte in der Tat eines Tages und erhielt folgende Antwort: »Verzeihen Sie, Madam, aber ich habe vermutlich versäumt, die besonderen Verdienste Ihres Kanarienvogels in Betracht zu ziehen. Heißt er eigentlich Sweetie? Jedenfalls hängt die Beantwortung Ihrer Frage, ob Ihr Kanarienvogel in den Himmel kommen wird, davon ab, ob er eine Seele hat. Die Antwort, die Philosophie und Metaphysik darauf geben können, ist wiederum abhängig von der Interpretation der Bedeutung des Wörtchens ›hat‹. Dieses Problem ist jedoch nur zu lösen im theoretischen Rahmen der aktuellen Syntaktik, Semantik und wahrscheinlich auch Semiotik. Aber am besten vergessen Sie dies alles sofort wieder und halten sich an meine ganz persönliche Einschätzung: Ich versichere Ihnen, daß Ihr kleiner Vogel in den Himmel kommen wird.«

»Sie sind sehr freundlich und sehr weise, Doktor Montrose.«

2 Über dänische Sprache und Literatur

Lucas Fyssts Reisepläne standen jetzt fest. Er würde zuerst von London-Heathrow nach Hamburg fliegen, um dort mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Felix Topfenmeyer eine Stelle aus Heibergs Übersetzung (von 1912) des Hero von Alexandrien zu diskutieren. Am Tag darauf würde er mit der fünfzehnjährigen Stephanie Eriksdottir, mit deren Vater er vor einigen Jahren in der Vatikan-Bibliothek in Rom zusammengearbeitet hatte, den Zug nach Kopenhagen nehmen.

Fysst reiste zum ersten Mal nach Kopenhagen. Dänisch gehörte nicht zu den vielen Sprachen, mit denen er normalerweise Umgang pflegte. Da ihm die angelsächsischen und deutschen Wurzeln der dänischen Wörter geläufig waren, folgerte er, daß er sprachlich gut zurechtkommen würde. In dieser Hinsicht dachte er nicht wie der typische Engländer, für den feststeht – so sicher wie zwei und zwei zweiundzwanzig ist –, daß Englisch die Weltsprache Nummer eins ist und daß man daher überall auf der Welt laut und in bestimmtem Ton Englisch sprechen sollte.

Als Fysst zum SAS Flug Nr. 306 am Fensterplatz in Reihe 17 – über der rechten Tragfläche – Platz genommen hatte, bemerkte er, daß der Platz neben ihm von einem Amerikaner eingenommen wurde, der den ganzen Flug über seinen riesigen Stetsonhut aufbehielt. Fysst war sonst eher schüchtern und versteckte sich bei solchen Gelegenheiten lieber hinter einem Exemplar der Zeitschrift für Neueste Alexandrinische Studien. Aber an diesem Morgen fühlte er sich durchaus zu einer Konversation aufgelegt, die sein Nachbar auch sofort begann.

»Na, w’ geht’s? Heiße Pete Williams, bin aus Big Bend, Texas«, stellte sich dieser vor und fuhr fort, »das ist die kleine Welthauptstadt des Chili. Sie wissen ja, Chili-con-carne hält Leib und Seele zusammen. Zielort Hamburg. Mache Busineß mit der Dingsda-Ge-Em-Be-Ha. Kann den Namen nie richtig aussprechen.«

Fysst ging zum Gegenangriff über: »Lucas Fysst. Fysst wie Our Lord, the …« Er wies mit dem Daumen himmelwärts in Richtung der gewissen Stelle, aus der nach der Verkündigung durch das Bordpersonal im unwahrscheinlichen Fall eines Falles ganz automatisch die Sauerstoffmasken herabbaumeln würden.

Sein Nachbar im Herrn nickte begeistert, als er Fyssts weißen Kragen bemerkte, der ihn als Geistlichen auswies. »Verstehe«, sagte er, »Fysst wie Jesus Christ Superstar.«

Lucas übernahm den Gesprächston seines Sitznachbarn. »Komme aus Cambridge. Zielort Kopenhagen. Halte dort Vortrag und so weiter. Hoffe, Sie können mir folgen.«

»Schon möglich«, entgegnete Williams, »daß ich bei diesem Trip auch nach Danblue-Land komme. Sprechen Sie Dänisch?«

»Na ja, äh, nein. Braucht man eigentlich nicht. Englisch ist die zweite Muttersprache der Dänen. Und etymologisch gesehen, ist es eine ganz simple Mischung – aus Englisch, das kennen Sie schon, und Deutsch, das kennen Sie auch – nicht? – und ein bißchen Angelsächsisch. Das brauchen Sie aber nicht zu kennen.«

»Das weiß ich noch aus dem Englisch-Leistungskurs.«

»Natürlich sollte man sich zuerst um das Alphabet bemühen.«

»Stimmt. Der Anfang entscheidet über den Erfolg. Schätze: Mit A fängt alles an.«

»Man darf O nicht mit Ø verwechseln. Ebenso A nicht mit AA. Oder schlimmer noch: A und E mit dem Diphthong Æ.«

»Mach ich. Ich meine, mach ich nicht. Schätze: Verwechslung ist von Übel.«

»Und es gibt sehr wenige dänische Wörter, die mit C beginnen. Die meisten sind Fremdwörter und leicht zu entschlüsseln. Mit Q beginnt fast gar kein Wort.«

Pete Williams nickte zufrieden. »Q vergeß’ ich ganz. Macht das Leben einfacher.«

»Und W gibt’s überhaupt nicht.«

»Einfach wegrationalisiert? Ist ja ein Kinderspiel, dieses Dänisch, stimmt ’s?«

»Na ja, man könnte Dänisch natürlich so lernen, wie es die Erstkläßler tun.«

»Das glaube ich auch. Mit ’ner Sprachkassette von Berlitz.«

»Er det et glas?

Ja, det er et glas.

Er det en hønde?

Ja, det er en hønde.

Diese Methode empfehle ich aber gar nicht.«

»Ja, was denn dann?«

»Sehen Sie, das sind alles kurze Wörter. Die Dänen neigen aber sehr dazu, kurze Wörter zu Riesenwörtern zusammenzubauen. Seien Sie schlau. Gehen Sie linguistisch an die Sache ran. Zerhacken Sie den Bandwurm in einfache, kurze Wörter, und schon haben Sie’s. Ich zeig’ Ihnen gleich mal, wie einfach das geht.«

»Okay. Schätze: Wer schlau ist, zerhackt Wortwürmer.«

Lucas Fysst griff in das Ablagenetz an der Rückenlehne des vor ihm stehenden Sitzes und zog eine dänische Zeitung daraus hervor. Schnell blätterte er ein paar Seiten durch. »Passen Sie auf. Nehmen wir zum Beispiel … Genau, ja, das hier, das ist ideal: EJENDOMSMÆGLERFIRMAET. Ein wunderschöner Bandwurm. Man weiß kaum, wo hinten und vorne ist.«

»Wie beim Scrabble, stimmt’s?« sagte Williams und lachte zustimmend.

»Schauen wir mal, was mir da ins Auge springt …, eine Sache der Intuition, denke ich … das ist DOM. Nun heißt im Lateinischen domus das Haus. Ein bißchen Latein hilft natürlich immer …«

»Schätze: Latein hilft immer.«

»Aber an der Spitze haben wir was original Dänisches: EJEN.«

»Schätze: Original dänisch ist Spitze.«

»Nehmen wir einfach mal an, das J sei mit dem G verwandt, dann haben wir EGEN. Das klingt schon ähnlich wie das deutsche Eigen, was heißt, daß einem was gehört. Also: das Haus, das einem gehört – oder der Besitz schlechthin. Und dann kommt am Ende noch die FIRMAET dazu, was wohl dem englischen firm, also Firma, entsprechen dürfte. Bleibt nur noch MÆGLER. Und wieder hilft uns das deutsche Makler weiter. Und schon können wir alle Wörtchen zusammen lesen: HAUSBESITZ – MITTELSMANN – FIRMA. Das ist nichts anderes als ein Immobilienmakler. Sehen Sie jetzt, wie einfach das ist?«

»Verblüffend! Aber, was ich komisch finde: Ich hab’s mit derselben Methode versucht und was ganz anderes rausbekommen.«

»Ehrlich? Was denn?«

»Es handelt sich um eine Warnung, Schmuggler ins Land zu lassen. Was Sinn macht. Dänemark hat bekanntlich eine gewisse Abneigung gegen die EG.«

»Erstaunlich! Aber wie sind Sie darauf gekommen?«

»Kinderspiel. EJEN: innen rein. DOM: Tu nicht! SMÆGLER: Schmuggler. FIRMAET: Vermieten. Setzen Sie’s wieder zusammen: Vermietet keine Zimmer an Schmuggler!«

Während sie in Hamburg auf ihr Gepäck warteten, zog Pete Williams eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie Lucas Fysst. »Vergessen Sie nicht, Hochwürden, wenn Sie mal in Texas sind, schauen Sie auf einen Sprung rein. Big Bend ist immer ein Chili-con-carne wert. Ihr ergebenster Schüler …«

»Ja, äh, gerne. Danke. Und wenn Sie nach Kopenhagen kommen: Ich wohne am Nyhavn achtzehn. Die nächsten drei Monate. Ihr Besuch ist willkommen.«

Williams kramte sein elektronisches Adreßbuch aus der Reisetasche und klopfte die Daten auf die Tastatur.

 

Die Diskussion, die Lucas Fysst mit Prof. Dr. Dr. h.c.Topfenmeyer in Hamburg führte, erwies sich leider als völlig irrelevant. Und dies nicht nur in bezug auf ihre kontrovers bleibende Interpretation des erwähnten Hero-von-Alexandrien-Textes aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, sondern vor allem hinsichtlich der bemerkenswerten weiteren Ereignisse, von denen in diesem kleinen Buch die Rede sein wird. Breiten wir also nachsichtig den Mantel des Schweigens über diese Zwischenstation der Reise, deren Verlauf unser Verständnis der menschlichen Seele erweitert und das Ansehen eines großen Mannes in ein neues Licht rückt.

 

Die Fahrt im Eurocity von Hamburg nach Kopenhagen dauerte ein paar Stunden. Stephanie Eriksdottir, die neben Lucas Fysst saß, schlief einige Zeit. Fysst las, und auch er döste ein.

Als sie beide einmal wach waren, fragte Stephanie: »Wo wohnen Sie denn in Kopenhagen, Dr. Fysst?«

»Nyhavn achtzehn. Direkt am Wasser. Weißt du, Hans Christian Andersen hat früher im selben Haus gelebt. Kennst du Andersens Märchen?«

»Ja, ich kenne sie gut.«

»Ich auch. Wenn ich dort wohne, fühle ich mich vielleicht inspiriert, so daß ich ebenfalls eine Geschichte schreibe.«

»Sie schreiben Geschichten?«

»Ja, wenn ich mich genügend inspiriert fühle. Ich schreibe Geschichten über meine Katze Thomas Gray. Eigentlich ist sie gar nicht meine Katze, sondern die Katze des Colleges. Sie ist ein ganz und gar unabhängiges Geschöpf. Aber ich habe eine gewisse, wie soll ich sagen, Verbindung zu ihr. Diese Katze verfügt übrigens über einen messerscharfen Verstand. Ich bin gerade mal ihr Watson, aber sie ist Sherlock Holmes, ich bin Boswell und sie Dr. Johnson.«

Stephanie sah ihn fragend an. Ihr Englisch war zwar gut, aber die beiden Spürnasen von Scotland Yard oder gar der ausgezeichnete Dr. Johnson und sein Biograph schienen ihr kein Begriff zu sein. »Ich glaube«, bemerkte Stephanie dann, »daß Hans Christian Andersen keine Katzen mochte.«

»Nein? Hmm. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Heißt das, daß in seinen Geschichten auch keine Katzen vorkommen?«

»Doch, es gibt schon ein paar Katzen. Aber die haben keine Bedeutung. Sie sind sogar ziemlich dumm und reden nur Blödsinn.«

»Tatsächlich? Das überrascht mich aber. Kannst du mir ein Beispiel nennen?«

»Na, zum Beispiel in Das häßliche Entlein