Make them go! - Hans-Dieter Hermann - E-Book

Make them go! E-Book

Hans-Dieter Hermann

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Beschreibung

Zwei der renommiertesten Sportpsychologen zeigen Wege von der individuellen zur Team-Höchstleistung. Durch ihre langjährige Erfahrung in über 30 Nationalmannschaften, unter anderem in der Fußballnationalmannschaft, beschreiben die beiden Sportpsychologen, wie man andere stark macht. Ihr Buch bietet außergewöhnliche Einblicke in die Welt des Spitzensports und überträgt dieses Wissen in die Welt der Wirtschaft und des Managements. So können alle vom Coaching der Spitzensportler lernen. Beide sind viel gefragte Referenten und Coaches bei international tätigen Unternehmen, unterrichten als Professoren an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken und sind Gastprofessoren am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes.

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Hans-Dieter HermannJan Mayer

MAKE THEM GO !

Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass er, sofern dieses Buch externe Links enthält, diese nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung einsehen konnte. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

5. überarbeitete Auflage 2020Copyright © 2014 by Murmann Verlag GmbH – Murmann Publishers, Hamburg

ISBN 978-3-86774-392-1

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Swantje Steinbrink.

Besuchen Sie uns im Internet: www.murmann-verlag.deIhre Meinung zu diesem Buch interessiert uns!Zuschriften bitte an [email protected]

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Inhalt

VORWORT

1  »MAKE THEM GO« – DER AUFTRAG

2  GRUPPE? TEAM!

Tut Etwas Außergewöhnliches Miteinander

Teamentwicklung

Forming

Storming

Norming

Performing

3  FÜHRUNG IM SPITZENSPORT

Erfolgsorientierung

Öffentlichkeit des Rollenhandelns

Fristigkeit des Rollenhandelns

Abhängigkeit von anderen – die Herausforderung, Kontrolle dbzugeben

4  SYSTEMISCH DENKEN – TRANSFORMATIONAL FÜHREN

Anlage und Umwelt

Konstruktivismus

Austausch zwischen Selbstorganisierenden Systemen

Transformationale Führung

Rolle und Glaubwürdigkeit

5  VORAUSSETZUNGEN GUTER FÜHRUNG

Motivationsanreize versus Motivationskiller

Schnelles und langsames Denken

Alles ist Kommunikation

Die Kunst des Zuhörens

Die Sprache der Anderen verstehen und sie sprechen lernen

Verstehbare Kommunikation

Sinnstiftende Kommunikation

Vertrauen entwickeln

6  ICH: DIE EIGENE KOMPETENZÜBERZEUGUNG AUFBAUEN UND ENTWICKELN

Im Flow

Die Kompetenzüberzeugung

Optimierung der individuellen Kompetenzüberzeugung

Individuelle Erfahrung: Erfolgreiche Praxis in vivo

Stellvertretende Erfahrung: Erfolgreiche Praxis in sensu

Sprachliche Überzeugung

Angemessene Aktiviertheit

7  DU: DIE KOMPETENZÜBERZEUGUNG ANDERER ENTWICKELN UND STABILISIEREN

Erfolgreiche Praxis in vivo

Erfolgreiche Praxis in sensu

Sprachliche Überzeugung

Erlebensbezug

Individuelle Ziele berücksichtigen

Individuellen Lebensraum und Lebenszeit berücksichtigen

Angemessene Aktiviertheit

8  WIR: KOLLEKTIVE KOMPETENZÜBERZEUGUNG

Gemeinsame Ziele setzen

Teamklima und Gruppendynamik

Entwicklung in sozialen Feldern

Steuerung und Moderation

Literatur

Über die Autoren

VORWORT

Ziel dieses Buches ist es, aus unserer langjährigen Zusammenarbeit mit hochklassigen Trainern unterschiedlicher Sportarten Kriterien des erfolgreichen Führungsverhaltens abzuleiten.

Aus unserer Tätigkeit als praktizierende Sportpsychologen in Nationalmannschaften und Profiteams ergibt sich eine Vielzahl von Ereignissen und Erlebnissen, die zum besseren Verständnis der hier theoretisch vermittelten Inhalte ideal passen würden. Wäre da nicht die Thematik der selbstverständlichen Vertraulichkeit gegenüber den Sportlern und Trainern, mit denen wir zusammenarbeiten oder zusammengearbeitet haben. Ein Dilemma für uns als Autoren. Wir haben folgende Lösung gefunden: Mit Namen versehene Erlebnisse beziehungsweise Anekdoten werden von uns dann verwendet, wenn diese bereits öffentlich – zumindest in ähnlicher Form – in den Medien beschrieben wurden. Eigene Erlebnisse können unserer Auffassung nach nur verfremdet und anonymisiert in das Buch einfließen. Die durch diese Beispiele übermittelten Botschaften bleiben jedoch vollständig erhalten.

Wir bedanken uns für das Verständnis der Leser und würden uns freuen, wenn diese Form des Einblicks in die Welt des Spitzensports dennoch eine hohe Attraktivität bietet.

Nach vier unveränderten Auflagen von Make them go! wird diese fünfte in überarbeiteter Fassung des ursprünglichen Textes vorgelegt. Ein ganz besonderer Dank geht an unsere Kollegin Lena Radke (MA Psychologie) für die aufmerksame und wertvolle Durchsicht des Manuskripts.

Hans-Dieter Hermann

Jan Mayer

1  »MAKE THEM GO« – DER AUFTRAG

Eine neue Saison steht bevor, das Team einer Eishockeybundesligamannschaft ist optimal zusammengestellt, und Fans und Öffentlichkeit wünschen sich nach der verkorksten vergangenen Saison endlich wieder Siege und Erfolg. Vereinsführung und Management haben Geld in die Hand genommen, um optimale Ausgangsbedingungen zu schaffen. Nicht nur das Team selbst, auch das Funktionsteam wurde erweitert – unter anderem um einen Sportpsychologen.

Als Sportpsychologe hat man den Auftrag, die mentalen Prozesse der Spieler durch entsprechende Trainingsverfahren langfristig auszubilden und zu schulen und Trainer durch fachkundige Beratung dabei zu unterstützen, das Zusammenspiel der Athleten als Mannschaft zu optimieren. Neben individuellen Besprechungsterminen und Maßnahmen für Mannschaft oder Kleingruppen ist die Begleitung in Wettkampf und Training ein weiterer Bestandteil der Tätigkeit als Sportpsychologe eines Profiteams.

Das erste Training steht an. Wie sind die Spieler in Form? Wie gut wird das Zusammenspiel sein? Harmoniert die Mannschaft? Gemeinsam mit dem Manager und Teilen des Funktionsteams – Arzt, Physiotherapeut, Zeugwart etc. – beobachten wir das Geschehen. Plötzlich zeigt der Manager Richtung Eisfläche, schaut zu uns herüber und meint: »Make them go! Das ist euer Job. Die müssen dieses Jahr perfekt funktionieren!«, dreht sich um und verlässt die Eishalle.

»Make them go!« – das bringt die Anforderungen, die an Trainer im Spitzensport gestellt werden, knapp auf den Punkt: andere zur Höchstleistung bringen! Andere zur Höchstleistung bringen? Nein, es geht darum, Bedingungen zu schaffen, die anderen dabei helfen, sich zur Höchstleistung zu entwickeln und aus individuellen Sportlern ein effektives Team entstehen zu lassen.

Die Frage ist nur: Wie gelingt das? Wie bringt man eine Gruppe von Sportlern dazu, gemeinsam bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen? Und gibt es allgemeingültige Ansätze, sodass sich Erkenntnisse aus dem Spitzensport auf andere Bereiche übertragen lassen, in denen gleichfalls Höchstleistung im Team gefragt ist? Tatsächlich sind wir im Laufe unserer Zusammenarbeit mit hochklassigen Trainern von National- und Vereinsmannschaften oder Profiklubs unterschiedlicher Sportarten auf vergleichbare, sogar identische Kriterien hinsichtlich des erfolgreichen Führungsverhaltens gestoßen. Bei unserer Beobachtung konnten wir feststellen, dass es gar nicht so sehr darum geht, was ein Trainer mit Spielern oder Mannschaften im Einzelnen macht, sondern welche grundlegenden Einstellungen und Grundhaltungen er an den Tag legt. Sie machen den Unterschied, heben die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Trainern ab.

Die Erkenntnisse, die wir hier präsentieren wollen, sind weniger das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen und erheben auch keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Wir geben hier unsere persönlichen, aus der Erfahrung gewonnenen Einschätzungen wieder, indem wir – untermauert durch ein wissenschaftlich fundiertes theoretisches Gerüst – die aus unserer Sicht wichtigsten Grundhaltungen zeigen, die erfolgreiche Trainer kennzeichnen.

In diesem Buch geht es um Höchstleistungen. Eine grundlegende Voraussetzung für die im Spitzensport zu erbringende Höchstleistung ist die Entwicklung einer stabilen Kompetenzüberzeugung, das heißt einer Gewissheit, dass man auch hohen Anforderungen kompetent und leistungsfähig begegnen kann. Kontinuierliche Höchstleistung von Sportlern und Teams beginnt mit der Kompetenzüberzeugung ihrer Trainer. Wenn Trainer nicht von der eigenen Kompetenz, eine Mannschaft erfolgreich führen zu können, überzeugt sind, werden sie sich schwertun, eine Kompetenzüberzeugung bei ihren Sportlern zu entwickeln. Daraus ergibt sich, dass der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Trainerarbeit immer die Trainer selbst sind. Alle langfristig erfolgreichen Coaches, mit denen wir zusammenarbeiten durften, haben verinnerlicht, dass konstruktives Arbeiten mit Höchstleistern nur gelingen kann, wenn sie, die Trainer, ihre eigenen Ressourcen und Kompetenzen entsprechend ausbilden und pflegen. Anders ausgedrückt: Selbstkompetenz, das heißt die Kompetenz, sich selbst anforderungsgerecht zu regulieren, ist eine Fertigkeit, die sich ein Trainer im ersten Schritt aneignen muss.

▶Story: Fußballtrainer

Der Ablauf der Halbzeitbesprechung war genau geplant. In den ersten fünf Minuten analysieren die Trainer der Profifußballmannschaft die gespielte erste Hälfte in der Trainerkabine. Anschließend wird besprochen, welche taktischen Informationen und Anweisungen der Mannschaft oder einzelnen Mannschaftsteilen gegeben werden sollen. Immer fünf Minuten vor dem Anpfiff zur nächsten Halbzeit betritt das Trainerteam die Mannschaftskabine, und es erfolgt zunächst die Mannschaftsansprache. Danach gibt es noch Informationen für einzelne Mannschaftsteile, sofern dies erforderlich ist. Doch diesmal läuft es anders. Ein entscheidendes Spiel. Pünktlich – fünf Minuten vor Wiederanpfiff der Halbzeit – versammelt sich das Trainerteam vor der Mannschaftskabine. Der Trainer nimmt die Türklinke in die Hand – hält inne –, lässt sie wieder los und sagt: »Ich bin noch nicht so weit …« Geht noch mal in Gedanken versunken eine Runde durch den Kabinengang. Er kommt nach einigen Sekunden zurück, sagt: »Let’s go!« und betritt die Kabine, um die Mannschaftsansprache zu halten. ◀

Der Trainer im Beispiel wusste, dass viel auf dem Spiel stand und dass er sich und seine »innere Landschaft« klären und Selbstkompetenz aufbauen musste, um seine Aufgabe in diesem Moment optimal zu lösen. Die Herausforderung besteht darin, in solch einer entscheidenden Situation möglichst jeden einzelnen Spieler zu erreichen. Um hier angemessen aufzutreten, ist die Kompetenzüberzeugung des Trainers gefragt. Alle Spieler schauen auf ihn – noch bevor er etwas sagt, wirkt er auf die Spieler: kompetent und souverän oder unsicher und zögerlich.

Um als Trainer erfolgreich zu sein, reicht es allerdings nicht nur aus, Gewissheit in die eigene Kompetenz zu entwickeln und auszustrahlen. Der Trainer muss sich zusätzlich intensiv mit den einzelnen Spielern beschäftigen, wenn er sie erreichen will.

Kontinuierlich erfolgreiche Trainer haben ein großes Interesse an ihren Sportlern und beschäftigen sich viel mit ihnen. Auf Vicente del Bosque, den unübertroffen erfolgreichen Trainer (unter anderem Weltmeister mit der spanischen Fußballnationalmannschaft), geht das Zitat zurück: »Am meisten Autorität habe ich doch, wenn ich mit den Spielern spreche und sie in meine Gedanken einbeziehe.« 1

Erst wenn Trainer eine Verbindung zu jedem einzelnen Spieler aufgebaut haben, wissen sie, mit welchen Maßnahmen sie auch deren Kompetenzüberzeugung entwickeln und stabilisieren können.

Neben der individuellen muss im Team auch eine kollektive Kompetenzüberzeugung entstehen: die Gewissheit, gemeinsam erfolgreich agieren zu können. Dafür müssen mit geeigneten Maßnahmen die einzelnen, von sich selbst überzeugten Höchstleister zu einer Einheit geformt werden. Um eine kontinuierliche Höchstleistung des Teams zu ermöglichen, ist weniger die starke Hand oder eine geschliffene Rhetorik gefragt als vielmehr eine behutsame und werteorientierte Steuerung der Teamprozesse im Hintergrund, die letztlich zu einem Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten führen soll. Darauf wies Joachim Löw, Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, in einem Interview hin: »Ein respektvolles, vertrauensvolles Miteinander in unserem Team ist mir sehr wichtig, Verlässlichkeit und Vertrauen sind in diesem Zusammenhang wesentliche Faktoren. Offene Kommunikation auf Augenhöhe, Kritikfähigkeit, Transparenz und Toleranz, das haben wir vorgelebt, aber es dauert eine Weile, bis so etwas von allen, den Spielern und auch den Betreuern, verinnerlicht wird. Bis alle einander vertrauen.« 2

Wir werden im Folgenden Schritt für Schritt die wichtigsten Führungsmerkmale aufzeigen, die zur Entwicklung einer kontinuierlich hohen Teamleistung beitragen. Beginnen wollen wir das Projekt »Make them go!« zunächst mit den Spezifikationen und Besonderheiten von Spitzenteams im Hochleistungssport. Aus unserer Sicht sind dies wichtige Merkmale, aus denen sich die nächsten Schritte ableiten.

1 Auf der Pressekonferenz vor dem Viertelfinalspiel Spanien gegen Frankreich am 23.06.2012 bei der EM 2012.

2 Vgl. Zeit vom 31.05.2012.

2  GRUPPE? TEAM!

Einer der erfolgreichsten Trainer Deutschlands, der ehemalige Hockeybundestrainer Markus Weise, hat für den Spitzensport einmal drei Kategorien von Mannschaften unterschieden: den Haufen, die Gruppe und das Team. Mit einem Haufen, so Weise, lasse sich kein Titel gewinnen, und an einer Gruppe müsse noch viel gearbeitet werden, damit sie irgendwann einmal einen gewinnen könne.

»Mich reizt es«, erklärte er dazu in einem Interview, »Gruppen zusammenzustellen, die gut funktionieren. Sie müssen nicht immer harmonieren, aber an den entscheidenden Tagen alles aus sich herausholen. Mich interessiert Gruppendynamik: Wie schafft man es, Individuen oder auch manchmal Egomanen zu Teams zusammenzustellen? Teams, denen es gelingt, über sich hinauszuwachsen und an absolute Grenzen zu gehen. Der Erfolg ist nur das Abfallprodukt dieser Leistung. Das ist es nicht, was mich anspornt. Ich will den Erfolg schon haben, aber letztlich will ich die Leistung aus meinen Jungs herauskitzeln.« 3

Eine bemerkenswerte Aussage aus dem Mund eines an den Erfolg gewöhnten Spitzentrainers – nicht in erster Linie am punktuellen Erfolg seiner Spieler interessiert zu sein, sondern daran, aus ihnen die maximale Leistung »herauszukitzeln«. Nehmen wir dieses »Herauskitzeln« als dezente Umschreibung für »Make them go!«, sind wir wieder beim Auftrag an den Trainer: eine Mannschaft so zu formen, dass sie konsequent ihre Leistung bringt, was zwangsläufig zu Erfolg führen wird. Etwas herauskitzeln zu müssen suggeriert aber auch, dass es sich dabei um keine einfache Sache handelt, sondern dass Fingerspitzengefühl und Ausdauer verlangt sind.

»Make them go!« ist die knappe Umschreibung für einen Prozess, in dem es gilt, individuell und situativ passende Wege zu finden, die zu Höchstleistung führen. Das setzt voraus, dass ein Trainer jede Einzelne und jeden Einzelnen – oder, wie Weise es ausdrückte, die »Individuen und Egomanen« einer Gruppe – genau kennenlernt und aus ihnen ein optimales Team formt.

Tut Etwas Außergewöhnliches Miteinander

Das positive Gefühl, sich in einer Gruppe oder Mannschaft wiederzufinden und den Sinn des eigenen Tuns in der Gemeinschaft zu erleben, beschreibt der vielfach als einer der besten Fußballtrainer der Welt bezeichnete Pep Guardiola, Trainer von Manchester City, in einem Interview: »Das Gefühl, erwünscht zu sein und gebraucht zu werden, ist das Wichtigste in unserem Leben. Das gilt für die Menschen um uns herum ebenso wie für einen Club. Sie sollen dir zeigen, dass sie dich wollen, und du brauchst die Vorstellung, dass du dort Spaß haben wirst.« 4

Die Attraktivität des gemeinsamen sportlichen Engagements ist nicht mit Harmonie zu verwechseln. Geht es bei sozial orientierten Gruppen (wie beispielsweise bei einer Wander- oder Gymnastikgruppe) primär um das harmonische Gruppenerlebnis, steht bei einem Team im Spitzensport immer die Leistung im Vordergrund. Die Ausrichtung auf ein leistungsorientiertes Ziel macht das Team zum Mittel, es ist nicht der Zweck.5 Doch auch in solchen Teams ist zu beobachten, dass die gemeinsame, auf höchstem Niveau gezeigte Performance und nicht nur der Erfolg an sich den eigentlichen Anreiz ausmacht. Dann sind auch die von Guardiola angesprochenen sozialen Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder berücksichtigt, und das einzelne Teammitglied lässt sich auf die Gruppe ein. Das Investieren von Zeit, das Registrieren der anderen und Sich-Einstimmen auf sie ist wichtig, damit ein Team entstehen kann.

Die Attraktivität liegt in dem Gefühl, gemeinsam mit den anderen Sportlern der Mannschaft auf hohem oder sogar höchstem Niveau agieren zu können und dabei einen relevanten Beitrag zu leisten. Das Ergebnis ist zunächst sekundär. Damit ist eine Grundbedingung für erfolgreiche Teams erfüllt: Jede Einzelne und jeder Einzelne muss die Tätigkeit an sich und das Umfeld, in dem die Tätigkeit ausgeführt wird, attraktiv finden.

▶Story: Campo Bahia

Ein besonders geglücktes Beispiel ist das Team-Basecamp der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Brasilien 2014. Der Manager Oliver Bierhoff hat sich gegen viele Widerstände von außen, die sich im Vorfeld vor allem in den Medien wiederfanden, durchgesetzt und konsequent die Idee verfolgt, dass sich die Mannschaft immer wieder an einem besonderen Ort zusammenfinden sollte und bestehende Strukturen (wie Bindungen zwischen Spielern aufgrund gemeinsamer Mannschaftszugehörigkeit in der Bundesliga) aufgebrochen werden sollten.

Seiner Initiative und seinem Durchhaltevermögen war es zu verdanken, dass sich die Spieler in selbstverantwortlichen und bunt zusammengestellten Sechserwohnhäusern auf dem dorfartig angelegten Gelände von Anfang an neu finden konnten und sich indirekt auch eine spezielle – auf diese WM ausgerichtete – Dynamik entwickeln konnte.

Das Campo Bahia gilt als mitentscheidende Grundlage für den großen Erfolg bei der Weltmeisterschaft 2014. ◀

Hinzu kommen weitere Faktoren, die ein echtes Team auszeichnen:

1.Es besteht ein ausgeprägtes Maß an innerem Zusammenhalt (Wir-Gefühl). Zusammenhalt bedeutet nicht nur, das gleiche Trikot zu tragen oder teambildende Accessoires zu präsentieren. Zusammenhalt bedeutet, dass die Mitglieder des Teams sich stark füreinander einsetzen.

2.Es wird ein gemeinsames Ziel verfolgt, und die Zielerreichung stellt den Existenzzweck des Teams dar. Das gemeinsame Ziel ist nicht einfach von Trainer oder Vereinsführung vorgegeben. Jedes Teammitglied verfolgt dieses Ziel und möchte es unbedingt erreichen, weshalb ihm vieles, gegebenenfalls auch alles, untergeordnet wird. Erforderlich sind hohes Engagement und Begeisterung für das gemeinsame Ziel. Wenn die Gruppe das Ziel erreicht, muss auch jede und jeder Einzelne es erreicht haben.6

3.Die Teammitglieder stehen gleichberechtigt nebeneinander und tragen füreinander Verantwortung. Kern der wechselseitigen Verantwortung sind die implizit aufrichtigen Versprechen, die Teammitglieder einander geben, die Engagement füreinander und gegenseitiges Vertrauen beinhalten.

4.Die Mitglieder übernehmen verschiedene Rollen und kommunizieren miteinander, um sich zu koordinieren. Nur so kann das Team etwas erreichen, das über die Summe der Einzelleistungen hinausgeht.

5.Teams brauchen Zeit. Ein echtes Team hat eine von Schlüsselereignissen geprägte Geschichte durchlebt. Misserfolg, Niederlagen, Durststrecken und schwierige Zeiten sind genauso wichtig für die Entwicklung wie die Erfahrung, dass man gemeinsam erfolgreich sein kann und bereits Leistungsergebnisse gemeinsam erzielt wurden.

Diese grundlegenden Faktoren sind die Voraussetzung dafür, dass eine Mannschaft nicht nur ein Zusammenschluss einer bestimmten Anzahl von Spielern ist, sondern dass diese als eine neue und größere Einheit synergetisch wirken. Gegenseitiges Fördern und der daraus resultierende Nutzen lassen aus dem Ganzen mehr werden als die Summe seiner Teile. Für die WM 2006 wurde der Begriff des »Teams« der deutschen Fußballnationalmannschaft folgendermaßen versinnbildlicht:

T ut

E twas

A ußergewöhnliches

M iteinander

Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass in dieser besonderen, für Spieler, Trainer und Betreuer einmaligen Situation einer Weltmeisterschaft im eigenen Land eine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft nötig ist, um erfolgreich zu bestehen.

Eine Mannschaft braucht jeden einzelnen Spieler, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Diese gegenseitige Abhängigkeit sollte von einzelnen Mitgliedern als etwas Positives erlebt werden. Jeder bringt etwas ein, was wertvoll für die gemeinsame Zielerreichung ist, und dafür wird sie oder er geschätzt. Erhält der einzelne Spieler (auch der Einwechselspieler oder der Spieler, der gerade nicht im Kader ist, sondern auf der Tribüne sitzt) diese Wertschätzung von den anderen, kann Teamgeist bei allen entstehen.

▶Story: HONAMA

In seinem Buch Führungsspiel beschreibt Bernhard Peters, ehemals Bundestrainer der Hockeynationalmannschaft, wie sein Team für die Weltmeisterschaft 2006 ein Leitbild geschaffen hat, das in Form eines Adlers den unermüdlichen inneren Antrieb und den starken Willen, gemeinsam etwas Außergewöhnliches zu erreichen, widergespiegelt hat.7 Der Adler »HONAMA« (kurz für »HOckeyNAtionalMAnnschaft«) war ein angriffslustiger, cleverer Raubvogel und zierte von nun an Taschen, Kleidung und Kappen. Das Entscheidende an diesem Adler war, dass er eine Idee der Spieler war und somit genau die Werte und Eigenschaften repräsentierte, die auch die Spieler hinsichtlich der WM als wichtig erachteten. Niemand könnte ein vergleichbar sinnstiftendes, inspirierendes Bild, mit dem sich alle Spieler identifizieren, von außen vorgeben. ◀

Teamgeist ist eine Kraft, die keiner so richtig beschreiben kann, aber jeder Mannschaftssportler schon einmal erlebt hat.8 Bezogen auf den tätigkeitsorientierten Motivationsansatz macht gerade dieser Teamgeist die Attraktivität der Tätigkeit im Team aus. Es ist etwas Besonderes, gemeinsam leistungsfähig zu sein und daran zu arbeiten, perfekt zu funktionieren. Kurz: Die Mitglieder von Teams haben Spaß. Diese Art von Spaß ist untrennbar mit ihrer (individuellen und kollektiven) Leistung verbunden.9 Es entsteht, wie Markus Weise es nennt, eine Teamdynamik: »Und in London (bei den Olympischen Spielen 2012, Anm. d. Autoren) haben wir es geschafft, eine Teamdynamik aufzubauen. Wenn das gelingt, ist es praktisch egal, wer auf der anderen Seite steht. Dann entwickelt eine Mannschaft eine solche Kraft und Energie, dass alle Widerstände überwunden werden können. Da verschwindet jeder Zweifel, das ist eine ständig spürbare Energie. […] Die Vorstellung, der Trainer halte eine einstündige Motivationsrede, dann brennt die Mannschaft, die rennen raus und spielen den Gegner in Grund und Boden – so ist es sicher nicht. 2004 sind wir mit den Frauen sicher nicht mit dem Ziel angetreten, mit Gold nach Hause zu fahren. Im Turnier hatte ich dann gehofft, dass ein Signal aus dem Team kommt. So war es dann auch. Es entscheidet immer die Mannschaft, was sie gewinnen will. Nie der Trainer.« 10

Auch bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien war es im Laufe des Turniers spürbar, dass die deutsche Nationalmannschaft definitiv überzeugt war und sich entschieden hatte, dass sie den Titel holen wollte. Nach dem 1:0-Sieg gegen Frankreich im Viertelfinale haben sich die Spieler gegenseitig zugerufen, dass sie jetzt nichts und niemand davon abhalten kann, das Turnier zu gewinnen. Dabei entstand eine ungeheure Dynamik und Energie, die jeden Einzelnen mitzureißen schien.

Wenn »Individuen und Egomanen« dazu gebracht werden können, in der Gruppe zu funktionieren und aus sich das Maximale herauszukitzeln, ist das auch ein Zeichen dafür, dass die Zusammenstellung des Teams gelungen ist. Die Zusammenstellung einer Gruppe ist relevant, weil einzelne Mitglieder während der Teamentwicklung unterschiedliche Rollen zugeschrieben bekommen. Deshalb ist es wichtig, unterschiedliche Persönlichkeiten in der Zusammenstellung zu berücksichtigen. Ein Team nur aus ähnlichen Charakteren zusammenzusetzen ist demnach nicht von Vorteil.

TEAMENTWICKLUNG

Schon in den 1960er-Jahren wurden die verschiedenen Phasen eines Teamentwicklungsprozesses beschrieben. Diese besitzen auch heute noch Gültigkeit.11 Für die Steuerung von außen gilt, dass in jeder dieser Phasen Führung hilfreich und erforderlich ist. Das heißt, Trainer und ihr Verhalten sind maßgeblich beteiligt am Teamentwicklungsprozess und können durch bestimmte Interventionen einzelne Phasen günstig beeinflussen und beschleunigen (siehe Kapitel 8). Das bedeutet im Umkehrschluss: Trainer können die Teamentwicklung nicht der Gruppe überlassen. Sie müssen sich aktiv und initiativ dieser Entwicklung annehmen. Häufig wird das »Teambuilding« einer Mannschaft als einmaliges Event im Trainingslager absolviert. Manche Trainer halten es für vernachlässigbar, aber irgendwie sollte es dann eben doch gemacht werden. Zumindest wirft es für die Medien entsprechendes Bildmaterial ab.

Um aus einer Gruppe ein Team zu formen, ist es jedoch nicht mit einer Nachmittagsveranstaltung im Trainingslager getan. Teambildung muss im Alltag immer wieder gelebt und kommunikativ gestärkt werden.

Die erste Phase, die eine Gruppe auf dem Weg zu einem Team durchläuft, ist das sogenannte Forming.

FORMING

In dieser Phase lernen sich die Teammitglieder kennen und miteinander umzugehen. Man ist höflich, aber eher unpersönlich. Man geht vorsichtig miteinander um. Regeln der Zusammenarbeit werden formuliert und verabredet. In dieser Phase ist das Team vom gemeinsamen Funktionieren noch weit entfernt.

STORMING

In der zweiten Phase kommen Konflikte zum Vorschein und müssen bearbeitet und gelöst werden. Ebenso wie Vertrauen und gegenseitige Abhängigkeit ist auch der Konflikt ein notwendiger Faktor in der Entstehung eines echten Teams. Diese zweite Phase ist wichtig und sollte von Trainern und Funktionären nicht als problematisch angesehen, sondern begrüßt werden.

Nicht selten haben wir es erlebt, dass wir zum Trainer gerufen wurden, weil in der Mannschaft offene Konflikte ausgetragen wurden. »Lass sie in Ruhe und gib ihnen Zeit, den Streit auszutragen und zu einem Ende zu bringen!«, so sollte die Empfehlung an die Trainer dann lauten. »Sei froh – deine Mannschaft lebt und befindet sich in der Entwicklung. Da sind vorübergehende Konflikte etwas Normales!«

Bei einer Eishockeymannschaft führte eine solche Auseinandersetzung, bei der das Trainerteam nicht dazwischenging, sogar zu einem Mittelhandbruch eines Spielers, der daraufhin mehrere Wochen verletzungsbedingt ausfiel. Anschließende Gespräche mit den beiden Beteiligten und den Trainern führten letztlich zu einem positiven Ausgang der Auseinandersetzung. Mit Sicherheit hätte man es nicht so weit kommen lassen dürfen. Der Teamentwicklung schien dies dennoch gutzutun. Die Mannschaft, bei der man zunächst wenig Engagement für das Miteinander erkennen konnte, wurde – vielleicht auch, weil große Schwierigkeiten zutage kamen und deshalb in Gesprächen geklärt werden konnten – Pokalsieger und gewann die deutsche Meisterschaft.

Es liegt in der Verantwortung des Trainers, darauf zu achten, dass die Storming-Phase nicht aus dem Ruder läuft und auch nicht einfach übergangen wird. Wichtig ist, dass sie zu einem Ende gebracht wird. Es ist eine große Herausforderung für das Team und die Führungskräfte, die Konflikte konstruktiv zu Ende zu führen, anstatt sie einfach nur durchzustehen.12

NORMING

In der anschließenden Norming-Phase sind die Konflikte und Auseinandersetzungen überwunden, die Teammitglieder finden ihre Rollen und akzeptieren diese. Die Verantwortlichkeiten und Machtverhältnisse sind geklärt, die Mannschaft entwickelt verbindliche Werte und Normen. Diese Werte und Normen sind nicht zu verwechseln mit den in der Forming-Phase formulierten expliziten Regeln. Sie sind meist implizit und unausgesprochen, erweisen sich allerdings häufig als sehr wirksam, gerade weil sie nicht offengelegt werden und dadurch im Verborgenen wirken.13 Diese unausgesprochenen impliziten Regeln tragen dazu bei, dass sich ein »Wir-Gefühl« zu entwickeln beginnt.

Bei der Rollenfindung ist zu beachten, dass neben der Position, die ein Mitglied in einer Gruppe formal innehat, sein Status in der Gruppe einer sozialen, durch die anderen Mitglieder vorgenommenen Bewertung unterliegt. Bei der Statuseinstufung wird sich auf Merkmale berufen, die die Gruppe vor dem Hintergrund ihres Normensystems als relevant erachtet. Im Hinblick auf Führungspersonen im Team lässt sich zwischen informellen und formellen Führungspersonen unterscheiden. Formelle Führungspersonen sind Spielführer sowie Trainer. Sie haben qua Amt Führungsfunktion und Führungsverantwortung und damit legitimierte Macht. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um ein Team zur Höchstleistung zu führen. Es ist zusätzlich wichtig, dass die einzelnen Teammitglieder die Führungsposition einer Person aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz anerkennen. Macht durch Anerkennung ist sehr viel wirksamer als Macht durch Legitimation.14

In diesem Zusammenhang ist es interessant mitzuerleben, wie zum Beispiel Trainer im Profifußball, die eine Mannschaft neu übernehmen, ihre Rolle interpretieren und legitimieren. Häufig findet die erste Ansprache (Trainervorstellung) in der Kabine oder im Besprechungsraum der Mannschaft statt. Die Strategien, die Trainer wählen, um schon bei diesem Erstkontakt die Anerkennung der Spieler zu erlangen, sind sehr unterschiedlich. Der Versuch, über die zurückliegenden Erfolge als Trainer (oder auch als Spieler) zu punkten, macht meist nur kurzfristig Eindruck. Sich die Anerkennung der Mannschaft durch die tägliche Arbeit auf dem Platz zu verdienen ist viel schwieriger, aber sehr viel wirkungsvoller und nachhaltiger.

In vielen Hochleistungsteams wird die Führung geteilt.15 Die formalen Führungspositionen bleiben zwar bestehen, sind aber meist Äußerlichkeiten oder dienen dem Auftreten nach außen, insbesondere gegenüber den Medien. In Hochleistungsteams ist es häufig möglich, dass alle Teammitglieder ohne Weiteres Initiative ergreifen. Die Kombination aus intensivem Einsatz füreinander und für die gemeinsame Sache, geteilter Führung und austauschbaren Fähigkeiten macht Hochleistungsteams eigenständig.