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Demokratie wird auch im Alltag »gemacht«: in der Verteidigung oder Aufgabe persönlicher Freiheiten, im Zulassen von oder Aufbegehren gegen Ungerechtigkeiten, in Gesten des Sich-Einsetzens für andere. Doch wie werden Gleichheit, Freiheit und Solidarität dabei konkret verhandelt? Dieser Frage nehmen sich die Beiträger*innen des Bandes – ausgehend von dem gemeinsam mit Schüler*innen durchgeführten Forschungsprojekt »Making Democracy« – anhand von Praxisbeispielen aus Demokratietheorie, Pädagogik und Kunstvermittlung an. Sie geben einen multiperspektivischen Einblick in Methoden, theoretische Zugänge und die Komplexität von Projekten, die demokratische Aushandlungsräume im Bildungs- und Kunstkontext schaffen und verstehen wollen.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2020
ELKE RAJAL, TRAFO.K, OLIVER MARCHART, NORA LANDKAMMER, CARINA MAIER (HG.)
Making Democracy – Aushandlungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität im Alltag
Die freie Verfügbarkeit der E-Book-Ausgabe dieser Publikation wurde ermöglicht durch den Fachinformationsdienst Politikwissenschaft POLLUX
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© 2020 transcript Verlag, Bielefeld
Covergestaltung: Maria Arndt, Bielefeld
Redaktion: Nora Landkammer, Carina Maier, Elke Rajal
Visualisierung: Renate Höllwart, Elke Smodics
Lektorat: Jannik Eder, Wien
Satz: Michael Rauscher, Bielefeld
Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar
Print-ISBN 978-3-8376-5016-7
PDF-ISBN 978-3-8394-5016-1
https://doi.org/10.14361/9783839450161
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
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Dieses Buch entstand im Rahmen des Projekts Making Democracy. Aushandlungen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität unter Jugendlichen, durchgeführt im Rahmen des Förderprogramms Sparkling Science, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft.
Projektteam:
Oliver Marchart, Elke Rajal, Ines Garnitschnig, Nora Landkammer, Carina Maier (Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien)
Renate Höllwart, Elke Smodics (trafo.K – Büro für Kunstvermittlung und kritische Wissensproduktion)
Aslı Kışlal, Anna Schober und Schauspielstudierende (diverCITYLAB – PERFORMANCE- und THEATERlabor)
Ka Schmitz (Künstlerin, Comic-Zeichnerin)
Schüler*innen der 3A und 3B (Schuljahr 2017/18), der 7B (Schuljahr 2018/19) sowie Lehrer*innen, insb. Beate Wallner und Stefanie Schermann (WMS/BG/ORG antonkriegergasse)
Nora Sternfeld (wissenschaftliche Begleitung)
Sandra Kosel (Video- und Fotodokumentation)
Wir möchten uns als Projekt- und Redaktionsteam bei allen Kooperationspartner*innen von Making Democracy bedanken: allen voran bei unserer Kollegin Ines Garnitschnig, die das Projekt mitinitiiert hat, im ersten Jahr Teil unseres Teams war und ohne die der Prozess so nicht vonstattengegangen wäre; bei der Künstlerin Ka Schmitz für ihre soziale Bewegtheit im Teilen von Wissen und Expertise in der Durchführung der Comic-Workshops, und bei Gabriele Wappel und Sebastian Radon von schallundrauch agency sowie bei Aslı Kışlal und Anna Schober und den Student*innen von diverCITYLAB für die performative Arbeit mit den Jugendlichen und die gemeinsame Reflexion des Prozesses. Wir bedanken uns bei Beate Wallner und Stefanie Schermann für die unterstützende Zusammenarbeit in allen Belangen des Projektes; ebenso bei ihren am Projekt beteiligten Kolleg*innen Ernst Auer, Josef Eder, Robert Fröhlich, Simone Hofer, Marc Michael Moser, Georg Rakowitz, Olaf Winnecke und Verena Zangerle der antonkriegergasse für ihr Engagement und ihre Ausdauer sowie bei Direktor Michel Fleck, der dem Projekt den notwendigen Rahmen zur Verfügung stellte. Auch möchten wir uns bei der Künstlerin Sandra Kosel bedanken, die mit ihren Fotografien und Videoaufnahmen den Prozess in Bildern festgehalten hat, sowie bei allen weiteren Akteur*innen und Institutionen, wie Lale Rodgarkia-Dara (Radioworkshop) und Katja Stecher (Belvedere 21).
Außerdem bedanken wir uns bei allen Tagungsreferent*innen und -gästen für ihre wertvollen Beiträge, die die Reflexion unseres Projekts und des größeren Zusammenhangs wesentlich bereichert haben, und den Mitarbeiter*innen vom Volkskundemuseum Wien. Danken möchten wir selbstverständlich auch dem Fördergeber (Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, im Rahmen des Programms Sparkling Science), der das Projekt Making Democracy und diesen Band erst ermöglicht hat.
Unser ganz besonderer Dank gilt schließlich den am Projekt beteiligten Schüler*innen (3A, 3B und 7B) für ihre Offenheit, ihr Interesse und Engagement, für die großartigen Ideen und die Diskussionen, die uns inspiriert und herausgefordert haben, und ohne die das Projekt gar nicht hätte stattfinden können.
Wir freuen uns auf weitere Erprobungen von Demokratie mit euch!
Renate Höllwart
Nora Landkammer
Carina Maier
Oliver Marchart
Elke Rajal
Elke Smodics
Elke Rajal, Carina Maier, Nora Landkammer
Freiheit, Gleichheit und Solidarität gehören zu den zentralen Grundwerten der Demokratie. Wie diese Werte allerdings inhaltlich zu bestimmen und umzusetzen sind, ist umkämpft. Während die Rolle politischer Entscheidungsträger*innen und öffentlicher Debatten in dieser Bestimmung demokratischer Grundideen augenfällig ist, bleiben die Arten und Weisen, in denen Menschen in ihrer Alltagspraxis Freiheit, Gleichheit und Solidarität laufend neu verhandeln, häufig ausgeblendet. Wie wird Demokratie in sozialen Beziehungen »gemacht«, beispielsweise in der Verteidigung oder Aufgabe persönlicher Freiheiten, im Zulassen von oder Aufbegehren gegenüber Ungerechtigkeit, in Gesten des Sich-Einsetzens für andere? Wie werden Gleichheit, Freiheit und Solidarität im Alltag verhandelt?
Ausgehend vom Forschungsprojekt Making Democracy und der gleichnamigen Tagung im Mai 20191 widmet sich dieser Band den genannten Fragen an einer transdisziplinären Schnittstelle zwischen Politikwissenschaft, Pädagogik, Kunstvermittlung und zeitgenössischer bildender und darstellender Kunst. Das Projekt Making Democracy (durchgeführt im Rahmen des Förderprogramms Sparkling Science, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft) untersuchte in den Jahren 2017 bis 2019 gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen einer Wiener Schule den alltagskulturellen Aushandlungsraum von Demokratie. Perspektiven der Demokratietheorie wurden dabei mit jenen der kritischen Kunstvermittlung verschränkt, sozialwissenschaftliches Forschen und künstlerische Methoden informierten sich gegenseitig in einem partizipatorischen Forschungssetting.
Der erste Abschnitt des Bandes widmet sich der Auswertung und Reflexion von Making Democracy. Im zweiten Abschnitt wird mit Beiträgen aus Demokratietheorie, Pädagogik und Kunstvermittlung die Frage nach alltäglichen Aushandlungsformen von Demokratie erweitert. Die versammelten Texte geben einen multiperspektivischen Einblick in theoretische Zugänge, Methoden und die Komplexität von Projekten, die demokratische Aushandlungsräume im Bildungs- und Kunstkontext schaffen und verstehen wollen.
Im Folgenden wollen wir das Projekt Making Democracy als Ausgangspunkt skizzieren und einen Einblick in die Beiträge des Buches geben.
Ziel des Projekts, das vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien in Kooperation mit Büro trafo.K, diverCITYLAB und der Schule WMS/RG/ORG antonkriegergasse durchgeführt wurde, war es, alltägliche Aushandlungsformen demokratischer Grundwerte durch Jugendliche gemeinsam mit Jugendlichen zu erforschen. Ausgangspunkt für diesen Fokus auf den Alltag waren – neben dem theoretischen Interesse – empirische Untersuchungen zum Zusammenspiel von Politik und Jugend, die häufig feststellen, dass sich Jugendliche weder politisch interessieren noch partizipieren würden und jungen Menschen in hohem Grad »Politikverdrossenheit« attestieren (Soßdorf 2016, 35f.). Wenn man sich die Ergebnisse genauer ansieht, stellt man fest, dass primär das Vertrauen in die institutionalisierte und verfasste Politik sowie das Interesse an organisierter Parteipolitik schwach ausgeprägt sind (ebd.). Dass Jugendliche nicht »unpolitisch« sind, zeigt etwa die im Herbst 2018 vom Institut SORA2 durchgeführte Studie Österreichischer Demokratie Monitor: Hier wird der deutliche Wunsch von in Österreich ansässigen Jugendlichen nach mehr politischer Bildung festgestellt. 52 Prozent der 300 befragten Jugendlichen meinten, in der Schule zu wenig über ihre Rechte als Bürger*innen erfahren zu haben. Gleich viele Jugendliche äußerten, sie hätten in der Schule zu wenig gelernt, wie man politische Debatten führt. Einen Mangel an Bildung über Beteiligungsformen kritisierten 44 Prozent der Jugendlichen. Rund ein Drittel der Befragten der »Generation Z« (ab dem Geburtsjahr 1997) sagte, sie könnten/konnten in der Schule nie oder nur selten mitbestimmen, 42 Prozent dürfen/durften sich ihrer Aussage nach gelegentlich an Entscheidungen beteiligen und lediglich 23 Prozent oft (SORA/Zandonella 2018). An diesen Zahlen wird sichtbar, dass den Vorwürfen der Politikverdrossenheit die Kritik der Jugendlichen an mangelnder politischer Bildung und fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule diametral gegenübersteht.
Zahlreiche Befunde machen allerdings deutlich, dass Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten für das Demokratiebewusstsein von Jugendlichen zentral sind (siehe z.B. Oerter 2016, 81; Palentien 2016, 112). Gegenwärtige Untersuchungen beschränken sich aber meist auf nur wenige Formen der politischen Partizipation (Gürlevik et al. 2016, 8). Erkenntnissen der empirischen Demokratieforschung zufolge muss hinsichtlich der Einstellungen junger Menschen zu Politik zwischen zwei Aspekten unterschieden werden: dem Vertrauen in das politische System und dem allgemeinen Interesse an Politik. Das Vertrauen Jugendlicher in klassische politische Institutionen – wie Parteien, Regierungen, Parlamente – ist ebenso gering wie jenes gegenüber Jugendorganisationen, Gewerkschaften und Interessensverbänden, konstatieren Gürlevik et al. (2016, 6f.) bezogen auf Deutschland. Institutionelle Politik wird als Sphäre von Unehrlichkeit und Konkurrenzzwängen gefasst: Etwa zwei Drittel der Jugendlichen geben an, ihre Anliegen von Politiker*innen nicht vertreten zu sehen (Filzmaier 2007; Shell Jugendstudie 2015). Einer anderen Studie zufolge hatte 2014 fast die Hälfte der jungen Menschen zwischen 14 und 18 Jahren in Österreich wenig bis kein Vertrauen in das politische System (Großegger/Rohrer 2015). Davon ausgehend auf Politikverdrossenheit unter Jugendlichen zu schließen, wäre jedoch nicht zulässig – vielmehr können wir hier von »Politiker- und Parteienverdrossenheit« sprechen (Gürlevik et al. 2016, 12). Allgemeines Interesse an Politik scheint bei der Mehrheit der Jugendlichen in Österreich vorhanden zu sein (Großegger/Rohrer 2015). Es besteht sogar, wie einleitend erwähnt, aus Sicht vieler Jugendlicher ein Wunsch, sich in der Schule mehr mit politischer Bildung zu befassen (Filzmaier 2007; SORA/Zandonella 2018).
Auch wenn der Zugang junger Menschen zur Beschäftigung mit Demokratie durch die Gleichsetzung von Politik mit Parteipolitik verstellt ist und Jugendliche oftmals wenig Vorstellung davon haben, dass Demokratie ihren eigenen Alltag betrifft, legen die genannten Forschungsergebnisse nahe, dass viele Jugendliche der Behandlung von Themen wie Freiheit, Gleichheit oder Solidarität gegenüber aufgeschlossen sind. Dies deckt sich mit den Erfahrungen der an unserem Projekt beteiligten Wissenschaftler*innen und Vermittler*innen. Wenn jungen Menschen Desinteresse an Politik attestiert wird, dann wird meist ausgeblendet, dass Fragen nach persönlichen Freiheitsspielräumen, nach Gleichbehandlung und nach Gruppensolidarität einen zentralen Stellenwert im Alltagsleben von Jugendlichen einnehmen. Denn individuelle Autonomie, soziale Gerechtigkeit (vor allem im Sinne von Gleichberechtigung) und Zusammenhalt sind für Jugendliche wesentliche Kategorien, um das eigene Handeln in seinen Möglichkeiten und Begrenzungen zu verstehen. Freiheit, Gleichheit und Solidarität werden also als zentrale Grundwerte der Demokratie nicht allein im politischen System verhandelt, sondern auch im Alltag der Menschen – und zwar laufend neu. Ein funktionierendes demokratisches System, so die Erkenntnis der politischen Kulturforschung (Almond/Verba 1989; Fuchs 2007), benötigt eine solche Verankerung demokratischer Praktiken und Einstellungsinhalte im alltagskulturellen Leben der Menschen. Auf diese Weise wird Demokratie »gemacht« (Ebner von Eschenbach 2016).
Making Democracy untersuchte nun gemeinsam mit den Jugendlichen Beispiele für alltägliche Aushandlungsformen demokratischer Grundwerte, mit einem Fokus auf den Ort Schule. Im Zentrum stand die Frage, wie sich im Leben der Jugendlichen demokratische Grundfragen von persönlicher Autonomie und deren Einschränkung, von Gleichheit und Ungleichbehandlung, von Solidarität und Ausschluss stellen. Ziel unseres Projekts war nicht die Vermittlung demokratischer Werte, sondern ein Erforschen der Dimensionen und Konkretisierungen dieser Werte im Alltag der Jugendlichen.
In jedem Schuljahr wurden die Jugendlichen im Rahmen von circa 15 mehrstündigen, großteils halbtägigen Workshops von einem Team aus Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Kunstvermittler*innen und Lehrer*innen dabei begleitet, eigene Fragen zu den Themen Gleichheit, Freiheit und Solidarität zu formulieren und diesen mit sozialwissenschaftlichen Methoden wie Interviews, Fragebögen etc. sowie künstlerischen Methoden wie Theaterarbeit, Comics oder Radio nachzugehen. Die Ausarbeitung der Themen und Fragestellungen fand dabei im Sinne partizipativer Forschung in einem kollaborativen Prozess gemeinsam mit den Schüler*innen statt. Am Anfang wurden Zugänge zum Themenkomplex Demokratie im Alltag entwickelt und gleichzeitig die Schule und andere Alltagskontexte, die die Schüler*innen einbrachten, erkundet. Ausgehend von der Frage nach den Implikationen und Möglichkeiten alltäglicher demokratischer Praxen generierten sie im Wechsel zwischen Plenum und Kleingruppe sowie zwischen Aktion und Reflexion ihre konkreten Fragen und Anliegen. Hierbei spielte methodisch die eigene Gestaltung von Produkten wie Zines, Kurzvideos und Miniperformances, die den Fragen und Ideen der Jugendlichen eine Gestalt gaben, eine wichtige Rolle, um den Prozess der Reflexion im Tun zu ermöglichen. In der Zusammenarbeit in Kleingruppen verschränkten sich die jeweils eigenen Fragen und die Aushandlungsprozesse in der Gruppe mit der Praxis, etwas gemeinsam im Kollektiv zu artikulieren.
Das Projektteam stellte Methoden sozialwissenschaftlicher Forschung vor und involvierte die Jugendlichen im Sinne kritischer Kunstvermittlung in die Diskussion, Produktion und Reflexion von Bildern. Gemeinsam mit den Jugendlichen wurden Präzisierungen ihrer Themen und Fragestellungen erarbeitet. In den Kleingruppen wurden dann die Methoden für die jeweiligen Forschungsfragen und -settings adaptiert. Die von den Schüler*innen erhobenen Daten wurden von den Wissenschaftler*innen zeitnah verschriftlicht und für die gemeinsame Analyse in der Gruppe sowie für die Weiterarbeit zur Verfügung gestellt.
Die Konzeption der Workshops erfolgte prozessorientiert in Sitzungen des interdisziplinär zusammengesetzten Projektteams (Politikwissenschaft, Soziologie/Psychologie, Kunst- und Kulturvermittlung). In regelmäßigen Abständen waren auch die am Projekt beteiligten Lehrkräfte oder zumindest die Klassenvorstände an den Vor- und Nachbesprechungen der Workshops beteiligt. Die Schüler*innen hatten mittels Zwischenreflexionen und Feedbacks die Möglichkeit, auf die inhaltliche und methodische Gestaltung des Prozesses Einfluss zu nehmen, nur sehr eingeschränkt jedoch auf die Rahmenbedingungen, wie den Zeitrahmen, was insbesondere im zweiten Schuljahr selbst zum Gegenstand der Auseinandersetzung wurde (siehe den Beitrag von Nora Landkammer in diesem Band).
Die Workshop-Reihen beinhalteten in jedem Schuljahr eine Phase der Recherche und Themenfindung und eine Phase für Erhebungen und zur Generierung von Zwischenergebnissen. In einer dritten Phase wurde an der Umsetzung der Ergebnisse in verschiedene Medien gearbeitet. Darauf folgten jeweils eine öffentliche Präsentation und eine gemeinsame Reflexion.
Eine Methode, um im gemeinschaftlichen Forschungsprozess – selbst in einer sehr großen Gruppe (im ersten Schuljahr waren über 50 Schüler*innen beteiligt) – über die Arbeiten und Zugänge der anderen informiert zu bleiben und ein Ineinandergreifen der inhaltlichen Fragen aus den jeweiligen Workshops zu gewährleisten, war das Festhalten von Zwischenergebnissen in unterschiedlichen Formaten (Plakate, Karten, Statistiken, Bilder und Videos). Auf diese wurde dann in den darauffolgenden Workshops zurückgegriffen.
Ausgehend von der Bearbeitung der Forschungsfragen mit sozialwissenschaftlichen und künstlerischen Methoden erfolgte schließlich die Planung für die Präsentation der Ergebnisse bei einer Abschlussveranstaltung. Im ersten Jahr fand diese im Rahmen einer Abendveranstaltung im Dschungel Wien, einem Theaterhaus für junges Publikum, statt; im zweiten Jahr präsentierten die Jugendlichen ihre Ergebnisse bei der Abschlusstagung im Volkskundemuseum Wien. Die gewählten Darstellungsformen waren im ersten Projektjahr ein Forschungswagen, auf dem der Forschungsprozess sichtbar gemacht wurde, lebensgroße Comicfiguren, die in Sprechblasen Forderungen der Schüler*innen transportierten, und Performances, in denen die Schüler*innen ihre Fragestellungen verhandelten, und im zweiten Jahr Präsentationen und Videoarbeiten. Die Darstellungsformen dienten nicht nur zur Veranschaulichung von bereits existierenden Ergebnissen, sie wurden selbst als Medien einer forschenden Auseinandersetzung verstanden. Die Beschäftigung mit Fragen der Repräsentation eröffnete gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen Forschungsfragen noch einmal neu zu denken.
Der erste Abschnitt des vorliegenden Sammelbands bezieht sich auf die eingangs skizzierten Überlegungen zum Projekt Making Democracy und expliziert diese ausgehend von unterschiedlichen Fragestellungen. Die Reflexionen und Auswertungen tragen zu einer selbstkritischen Verortung des Projekts bei und ermöglichen Schlüsse für zukünftige Bildungs- und Vermittlungsprozesse. Darauffolgend werden in einem zweiten Abschnitt, ausgehend von der Tagung im Mai 2019, die Aushandlungen demokratischer Grundwerte in unterschiedlichen Vermittlungskontexten über das Projekt hinaus diskutiert. Verschiedene theoretische Perspektiven auf die Aushandlung von Demokratie im Alltag ergänzen die Einblicke in die Praxis.
Oliver Marchart erläutert mit seinem Beitrag Aspekte der politik-theoretischen Betrachtung von Demokratie im Alltag. Damit werden Überlegungen benannt, die das Untersuchungsdesign des Projekts Making Democracy maßgeblich prägten. So fragt Marchart, wie sich in unserem Alltag Freiheit, Gleichheit und Solidarität widersprechen, überkreuzen und stets neu verhandelt werden. Zugespitzt auf den Projektkontext wird die Rolle der Schule als ein Ort der alltäglichen Aushandlung von Demokratie diskutiert.
Elke Rajal zeigt, wie die Aushandlungsprozesse von Freiheit, Gleichheit und Solidarität unter Jugendlichen im Projekt Making Democracy konkret stattfanden und zu welchen thematischen Schwerpunktsetzungen diese führten. Der Beitrag untersucht, wie diese großen Begriffe mit konkreten Bedeutungen gefüllt wurden. Ebenso wird nachgezeichnet, welche Erkenntnisse aus sozialwissenschaftlicher Perspektive für Bildungs- und Demokratisierungsprozesse gezogen werden können.
Dass die jugendlichen Co-Forscher*innen das Projekt Making Democracy selbst unter dem Gesichtspunkt von Demokratie und Mitbestimmung kritisierten, ist Thema des Beitrags von Nora Landkammer. Welche Verständnisse von Demokratie, welche Forderungen werden sichtbar, wenn Jugendliche, Forscher*innen, Vermittler*innen und Lehrer*innen über einen partizipativen Prozess in institutionell und strukturell eingeschränkten Rahmenbedingungen verhandeln? Landkammer arbeitet heraus, wie das Projekt Kristallisationspunkt für Forderungen nach Mitbestimmung im schulischen Kontext und darüber hinaus wurde und zugleich Raum schuf, solche Forderungen zu entwickeln und zu diskutieren.
Aus der Perspektive der Lehrer*innen besprechen Beate Wallner und Stefanie Schermann die Projektidee und ihre Umsetzung am Schulstandort antonkriegergasse. Ihr Beitrag setzt sich mit dem komplexen Verhältnis zwischen den Inhalten, den Methoden und den Visionen der unterschiedlichen Projektbeteiligten auseinander. Die beiden Lehrerinnen reflektieren die sozialen Beziehungen und die Zusammenarbeit des Forschungsteams und aller Projektbeteiligten sowie die schulischen Rahmenbedingungen und ihre pädagogische Motivation im gelebten schulischen Alltag.
Aslı Kışlal, Gründerin des am Projekt Making Democracy beteiligten Theater-, Film- und Performancelabors diverCITYLAB, verhandelt die (Un-)Möglichkeit eines demokratischen Lernens und eines demokratischen Theaters. Ausgehend von undemokratischen und ungleichen Machtverhältnissen in der Gesellschaft – die auch in der Schule sowie im Theater präsent sind – fragt die Autorin, ob und wie diese Räume demokratisierbar sind. Im Vergleich der beiden Lehr- und Lernorte beschäftigt sie sich mit den Bedingungen der diversen Versuche, kollektive Übungsräume für Freiheit und für eine demokratische Utopie zu schaffen.
Renate Höllwart, Elke Smodics und Nora Landkammer loten die Schnittstelle zwischen kritischer Kunstvermittlung und partizipativen Forschungsmethoden aus, die für die Gestaltung des Projekts grundlegend war. Sie konkretisieren diese Schnittstelle an Beispielen aus der Vermittlungs-/Forschungspraxis. Auch wenn beiden Traditionen innewohnt, die Grenzen der Wissenschaft, der Kunst und die Autorität der Wissenschaftler*in sowie der Pädagog*in zu untergraben, plädieren die Autor*innen dafür, Lernen, Forschen und die Widerständigkeit von Kunst als wesentliche Elemente für partizipative Prozesse im Blick zu behalten.
Eine der vier Forschungsgruppen der Schüler*innen im zweiten Projektjahr sammelte Fragen und Antworten zum Thema »Freiheit in der Schule«, woraus sie in Zusammenarbeit mit diverCITYLAB ein Video produzierten. Diese Selbstbefragung ist ein weiterer Beitrag des Sammelbandes.
Auf die Dialoge der Jugendlichen folgt eine Bildstrecke, koordiniert von Renate Höllwart und Elke Smodics. Die fotografische Zusammenstellung bildet den Prozess von Making Democracy in der Schule visuell ab.
Im zweiten Abschnitt werden aus verschiedenen Perspektiven Vermittlungsprozesse – vorwiegend im Kontext Schule – als politische Felder im Kampf um Hegemonie diskutiert. Gemein ist den Texten der Fokus auf demokratische Aushandlungsprozesse im Alltag, die eine Auseinandersetzung um das Politische implizieren und Überlegungen zum Potenzial von Vermittlung im Allgemeinen eröffnen. Die Frage nach gesellschaftlicher Veränderung ist im Zuge dieser Überlegungen ein zentrales Leitmotiv.
Karin Schneider diskutiert das Handlungs- und Methodenrepertoire der Kunstvermittlung. Ausgehend von der Reflexion ihrer Erfahrungen in zwei Sparkling-Science-Projekten zielt sie darauf ab, die eigenen Handlungsweisen als Forscherin beziehungsweise Vermittlerin zu verstehen. Mit diesem kritischen und erfahrungsbasierten Text zeigt sie die Möglichkeiten von Vermittlungsprozessen auf. Im Zentrum stehen dabei Ausschlüsse und die Frage, was das Methodenrepertoire damit zu tun hat, diese zu reproduzieren oder zum Thema zu machen.
Nach einer Einführung in das Feld der Kulturvermittlung und einer Reflexion der Rolle der Forscher*in schildert Elke Zobl fortwährende Widersprüche in der kritischen Vermittlungspraxis. Ihr Beitrag stellt zwei weitere Projekte vor, die vor allem auf partizipativen Do-it-yourself-Praktiken aufbauen. DIY und DIT (Do it together) werden als Interventionen in herrschende soziale und kulturelle Ordnungen begriffen, um Handlungsräume für Jugendliche zu eröffnen und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitgestaltung erfahrbar zu machen.
Claudia Hummel bietet in ihrem Beitrag eine historisch-politische Verortung des Begriffs der Kulturarbeit. Entlang der Geschichte des Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin zeichnet sie nach, wie Kulturarbeit als Schlüsselbegriff für Kunst als befreiende Tätigkeit für alle fungierte. Vorwiegend im Zusammenhang mit politischen Kämpfen um Arbeit »machten« Kunstvermittler*innen Demokratie, indem sie versuchten, demokratische Arbeits- und Aushandlungsweisen zu entwickeln und künstlerische Mittel dafür zu demokratisieren. Diese historische Einbettung soll schließlich eine kritische Verortung von aktuellen Kulturvermittlungsprojekten ermöglichen.
Demokratische Aushandlungen im Alltag sind eng verknüpft mit der Herstellung von gesellschaftlichem Konsens – und damit von Hegemonie. Die Rolle von Pädagogik und Vermittlungsprozessen untersucht Ingo Pohn-Lauggas mit Rückgriff auf Antonio Gramscis Begriff des Alltagsverstands und seiner Konzeption von Hegemonie als pädagogischem Verhältnis. Dabei diskutiert der Autor die im Buch aufgeworfene Frage der Verhandlung demokratischer Grundwerte als Beispiel für eine Kohärenzpraxis im Alltag.
Der Beitrag von das kollektiv plädiert für kritische Bildungskonzepte und -praxen als Kämpfe um emanzipatorische Veränderung und rekurriert auf die alltäglichen Erfahrungen in der Erwachsenenbildung. Die Autorinnen* gehen von einer Zunahme von Ungleichheit in einer postkolonialen und postnationalsozialistischen (Welt-)Gesellschaft aus, die auf einer Tradition »trügerischer Inklusion« von Migrierten und Geflüchteten aufbaut. So fragen sie »Wozu lernen? = Wozu kämpfen?« und adressieren das Verhältnis des Globalen Nordens zum Globalen Süden sowie die Möglichkeit von solidarischen Verbindungen unterschiedlicher politischer Kämpfe. Die Organisation das kollektiv begreift sich selbst als einen Ort kritischer Bildungsarbeit für migrierte und geflüchtete Frauen* – so kommen im Beitrag auch Kursteilnehmerinnen* als zentrale Akteurinnen* des gemeinsamen Lernens zur Sprache.
Rahel Süß untersucht aus der Perspektive radikaler Demokratietheorie das Erlernen von Demokratie und seine möglichen Formen. Als konstitutiv für demokratische Prozesse betont sie die Möglichkeit von Handlungen, die auf Veränderungen und eine notwendigerweise ergebnisoffene Zukunft gerichtet sind. Demokratie funktioniert dabei der Autorin zufolge als radikaler Experimentalismus. Entsprechend bestimmt sie das Experiment als einen demokratischen Schlüsselbegriff. Liberale Demokratien seien insofern auf Experimente angewiesen, als dass sie das Potenzial haben, die Zukunft radikal offenzuhalten.
Als Abschluss des Bandes wirft Nora Sternfeld die Frage auf, wie eine Demokratie gelernt werden kann, die es noch nicht gibt. So tragen Lern- und Vermittlungsprozesse als Mechanismen von Herrschaft doch zur Persistenz hegemonialer Verhältnisse bei. Anschließend an Gramscis Überlegungen zum pädagogischen Verhältnis eröffnet die Autorin Möglichkeitsräume im Denken über Veränderung, die ein Verlernen von Machtverhältnissen und eine Auseinandersetzung mit der Idee der Gleichheit aller Menschen zulassen. Damit wird Gleichheit als Heterogenität zum Ausgangspunkt und zugleich zur Forderung.
Die Beiträge im Band thematisieren demnach nicht nur Vermittlungs- und Bildungsprozesse als Austragungsort der Kämpfe um Hegemonie, sondern auch das Wie dieser Prozesse.
Almond, Gabriel Abraham/Verba, Sydney (1989). The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Thousand Oaks: SAGE Publications.
Ebner von Eschenbach, Malte (2016). Doing Difference – Die Reflexion auf Unterscheidungen als Ansatz Politischer Erwachsenenbildung, in: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Nr. 28, abrufbar unter: https://www.erwachsenenbildung.at/magazin/ausgabe-28/10035-doing-difference-die-reflexion-auf-unterscheidungen-als-ansatz-politischer-erwachsenenbildung.php (letzter Zugriff: 19.9.2019).
Filzmaier, Peter (2007). Jugend und politische Bildung. Einstellungen und Erwartungen von 14- bis 24-Jährigen. Kurzbericht zur Pilotstudie (Donau-Universität Krems), abrufbar unter: https://www.donau-uni.ac.at/dam/jcr:a18537c6-0280-4407-9265-6f15b879ef07/HP_SO_NP_Pilotstudie.pdf (letzter Zugriff: 18.9.2019).
Fuchs, Dieter (2007). The Political Culture Paradigm, in: Dalton, Russell J./Klingemann, Hans-Dieter (Hg.): The Oxford Handbook of Political Behaviour. Oxford: Oxford University Press, 161–184.
Großegger, Beate/Rohrer, Matthias (2015). Jugend und Politik – Repräsentativumfrage unter 14- bis 18-jährigen ÖsterreicherInnen. Eigenstudie des Instituts für Jugendkulturforschung.
Gürlevik, Aydin/Hurrelmann, Klaus/Palentien, Christian (2016). Jugend und Politik im Wandel?, in: dies. (Hg.): Jugend und Politik: Politische Bildung und Beteiligung von Jugendlichen. Wiesbaden: Springer VS, 1–24. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09145-3_1.
Oerter, Rolf (2016). Psychologische Aspekte. Können Jugendliche politisch mitentscheiden?, in: Gürlevik, Aydin/Hurrelmann, Klaus/Palentien, Christian (Hg.): Jugend und Politik: Politische Bildung und Beteiligung von Jugendlichen. Wiesbaden: Springer VS, 69–84. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09145-3_4.
Palentien, Christian (2016). Erziehungswissenschaftliche Betrachtung. Mitwirkung, Interesse und Lernmotivation in der Schule, in: Gürlevik, Aydin/Hurrelmann, Klaus/Palentien, Christian (Hg.): Jugend und Politik: Politische Bildung und Beteiligung von Jugendlichen. Wiesbaden: Springer VS, 103–114. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09145-3_6.
Shell Jugendstudie (2015). Wie tickt die Jugend?, abrufbar unter: https://www.shell.de/ueber-uns/die-shell-jugendstudie/jugend-und-politik.html (letzter Zugriff: 29.8.2019).
SORA (Institute for Social Research and Consulting)/Zandonella, Martina (2018). Österreichischer Demokratie Monitor, abrufbar unter: https://www.demokratiemonitor.at/wp-content/uploads/2018/11/2018_Pr%C3%A4sentation_%C3%96sterreichischer_Demokratie_Monitor.pdf (letzter Zugriff: 29.8.2019).
Soßdorf, Anna (2016). Zwischen Like-Button und Parteibuch. Die Rolle des Internets in der politischen Partizipation Jugendlicher. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13932-2.
1Tagung Making Democracy, 27. und 28. Mai 2019 im Volkskundemuseum Wien, https://politikwissenschaft.univie.ac.at/forschung/forschungsprojekte/forschungsprojekt-making-democracy/tagung-am-27-und-28-mai-2019/ (letzter Zugriff: 26.8.2019).
2Institute for Social Research and Consulting
Oliver Marchart
Abstract
Dieser Beitrag behandelt die politik-theoretischen Überlegungen zu den demokratischen Grundprinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität und ihren Zusammenhang, die das Untersuchungsdesign des Projekts Making Democracy prägten. Die Schule wird als ein Ort der alltäglichen Aushandlung von Demokratie im Alltag diskutiert.
Seit den Zeiten der Französischen Revolution ist Demokratie an der Devise von Freiheit, Gleichheit und Solidarität ausgerichtet. Auch heute noch definiert diese Trias die Grundnormen der Demokratie. Das bedeutet freilich nicht, dass letztere in ihrer Bedeutung unumstritten wären. Politische Debatten drehen sich oftmals um den Stellenwert, der ihnen zuzuschreiben ist (was etwa die Einführung von Wertetests für neu Zugewanderte zeigt). Genauso wenig herrscht Konsens bezüglich des Einzugsbereichs der jeweiligen Grundnormen. Wer gilt in liberalen westlichen Demokratien als frei und gleich? In welcher Hinsicht gilt man als frei und gleich? Wer kann Anspruch auf Solidarität geltend machen? Und auf welche Art von Solidarität? Es ist also keineswegs ausgemacht, was genau unter Freiheit, Gleichheit oder Solidarität zu verstehen ist. Dennoch sind diese Prinzipien im demokratischen Diskurs omnipräsent. Selbst wo sie nicht explizit zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung werden, bilden sie doch immer die implizit anerkannte Referenzfolie.
Zu den Aufgaben politischer Theorie zählt daher die begriffliche Klärung jener Grundprinzipien, die den Horizont demokratischen Handelns bilden. Dabei stieß die jüngere Demokratietheorie auf das Problem, dass diese Prinzipien nur schwer miteinander vereinbar sind, da sie unterschiedlichen politischen Traditionen und Ideologien entstammen (Bobbio 1990). Für Chantal Mouffe (2008) stehen Freiheit und Gleichheit in einem paradoxen Verhältnis. Freiheit entstamme, so Mouffe, der liberalen Tradition und beziehe sich auf die liberalen Freiheitsrechte des Individuums, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte. Gleichheit wiederum basiere auf der demokratischen Tradition im engeren Sinn und beziehe sich auf das Prinzip der Volkssouveränität und das Majoritätsprinzip, beinhalte aber nicht den Schutz individueller Rechte. Die moderne liberale Demokratie sei deshalb als ein Kompromiss zwischen zwei letztlich unvereinbaren Werten zu verstehen, die dennoch in ein instabiles Gleichgewicht gebracht werden müssten.1 Solche demokratietheoretischen Überlegungen werden im Regelfall keiner empirischen Überprüfung unterzogen, sondern innertheoretisch postuliert und ideengeschichtlich gestützt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich nicht in ein empirisches Untersuchungssetting übersetzen ließen. Doch wo ansetzen?
Ein möglicher Ansatzpunkt ergibt sich, wenn wir berücksichtigen, dass demokratische Grundprinzipien nicht nur in abstrakten theoretischen Traktaten, in Parteiprogrammen oder Politikerreden, sondern auch im Alltag der Menschen verhandelt werden. Demokratie wird »gemacht« (Ebner von Eschenbach 2016). Natürlich nicht ein für alle Mal, sondern Demokratie bleibt »in the making«, und zwar sowohl innerhalb des politischen Systems als auch im Feld der Alltagskultur beziehungsweise des »senso comune« oder »Alltagsverstands« der Menschen (Gramsci, vgl. den Beitrag von Pohn-Lauggas in diesem Band). In unserem Alltagsverstand verfügen wir alle über ein implizites Verständnis von legitimen Freiheitsspielräumen und plausiblen Ansprüchen auf Gleichbehandlung und Solidarität. Wo wir diese Ansprüche verletzt sehen, reagieren wir wütend, indigniert oder beschämt, ohne uns womöglich Rechenschaft darüber abzulegen, dass nicht nur individuelle, sondern demokratische und damit allgemeinverbindliche Ansprüche verletzt wurden. Zugleich ist im Alltag – und vielleicht weniger noch als im politischen System – keineswegs festgelegt, worin genau diese Ansprüche bestehen, da die Frage, welche demokratische Grundnorm in welcher Weise zu tragen kommt, zumeist nur implizit mitverhandelt wird.
Das Forschungssetting, das für Making Democracy entwickelt wurde, erlaubt es, die politisch-theoretische Frage nach den demokratischen Grundnormen in einen produktiven Bezug zu qualitativer empirischer Forschung zu bringen. Den Hintergrund unserer Untersuchungen bilden Erkenntnisse der Demokratieforschung (vor allem in Bezug auf Jugendliche) und neueren politischen Theorie (insbesondere radikaldemokratische Theorien) sowie Ansätze der Cultural Studies, der Migrationspädagogik und der Intersektionalitätsforschung. Indem Making Democracy an Alltagssituationen – insbesondere im Schulbereich – ansetzt, verschiebt das Projekt den Fokus der Demokratieforschung: Gefragt wird nicht nach dem Verhältnis Jugendlicher zum politischen System (insbesondere zu Wahlen und Parteipolitik), sondern nach dem in der Alltagskultur verankerten demokratischen Wertekanon der Jugendlichen. Denn obwohl zahlreiche Befunde deutlich machen, dass Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten für das Demokratiebewusstsein von Jugendlichen zentral sind (Oerter 2016, 81; Palentien 2016, 112), stellt eine solche Refokussierung immer noch ein Desiderat der Demokratieforschung dar (Gürlevik et al. 2016, 8, 12).
Allerdings stehen wir hier vor dem bereits angedeuteten Problem: Fragen rund um Freiheit, Gleichheit und Solidarität werden im Alltagsleben von Jugendlichen selten als explizit (demokratie-)politische Fragen aufgeworfen. Obgleich implizit als grundlegend bedeutsam vorausgesetzt, werden sie vor allem ex negativo thematisiert. Dies auch deshalb, weil Jugendliche tagtäglich in verschiedenen Kontexten mit Erfahrungen des Zwangs, der Ungleichheit und des Ausschlusses konfrontiert sind: erstens in der Familie vor dem Hintergrund der Neudefinition ihrer Rolle in der Pubertät, zweitens in der Schule, wo sie dazu angehalten sind, für ihre Zukunft zu lernen und dabei hierarchischen Strukturen ausgesetzt sind, drittens im Freundeskreis, in dem sich Fragen nach Freundschaft, Zusammenhalt und Konkurrenz auf vielfache Weise stellen, sowie viertens in virtuellen Foren, in denen Dynamiken des Ein- und Ausschlusses eine zentrale Rolle einnehmen und auf reale Räume rückwirken. Jugendliche sind in all diesen Kontexten herausgefordert, Vorstellungen und Praktiken von Freiheit, Gleichheit und Solidarität für sich zu erarbeiten und in Interaktion mit anderen auszuloten.
Doch welche Rolle kommt der Schule als einem Ort der Aushandlung von Demokratie zu? Zahlreiche Studien und Forschungsprojekte haben gezeigt, dass binäre Logiken (etwa Unterscheidungen in »zugehörig« und »nicht zugehörig« oder die Logik der Zweigeschlechtlichkeit) und Normierungen im Unterricht immer noch bestimmend sind und Heterogenität in all ihren Formen zu wenig berücksichtigt wird (Holzkamp 1995; Mecheril 2004; Trautmann/Wischer 2011). Lern- und Aushandlungsprozesse werden auf diese Weise eingeschränkt. Lernen findet vor allem als »defensives Lernen« (Holzkamp 1995) statt und wird so häufig seines Potenzials, Veränderungsprozesse anzustoßen, entledigt. Zudem erschwert es das österreichische Bildungssystem Kindern und Jugendlichen aus nichtprivilegierten, insbesondere aus migrantischen Familien, ihre Potenziale auszuschöpfen (Dirim et al. 2010; Schwantner/Schreiner 2010, 52). Eine wesentliche Ursache besteht in der Reproduktion sozialer Ungleichheiten durch die Bildungsinstitutionen selbst (Bourdieu/Passeron 1971; Gomolla/Radtke 2009; Mecheril 2010; Herzog-Punzenberger/Schnell 2012).
Sie funktioniert weitgehend über die Behauptung der Neutralität von Leistungskriterien, was die Bedeutung von kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital2 ignoriert, die Rolle des Habitus3 ausblendet und damit selektive Unterscheidungen erst hervorruft und – vielfach über die Begabungsideologie – legitimiert (Erler 2011; Liebau 2011).4 Da die über den Habitus vermittelte Herstellung von Unterschieden wenig bewusst erfolgt, bleibt sie als Machtverhältnis weitgehend unsichtbar (Leimstättner 2011). Hinzu kommt, dass die Rechte auf Mitgestaltung und Mitbestimmung, die in der UN-Kinderrechtskonvention5 und auch deutlich im österreichischen Schulunterrichtsgesetz festgeschrieben sind,6 in der Schule selten wirklich ausgeschöpft werden.
Das Projekt Making Democracy