Makroökonomik und Wirtschaftspolitik - Iris Böschen - E-Book

Makroökonomik und Wirtschaftspolitik E-Book

Iris Böschen

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Beschreibung

Aktuelle Wirtschaftspolitik und Makroökonomie verstehen Wie hat sich die deutsche Volkswirtschaft seit der Weltwirtschaftskrise 2009 entwickelt? Iris Böschen erläutert in diesem Lehrbuch die makroökonomischen Entwicklungen der letzten Jahre und vermittelt vor dem Hintergrund aktueller wirtschaftspolitischer Entscheidungen makroökonomische und wirtschaftspolitische Zusammenhänge.

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Iris Böschen

Makroökonomik und Wirtschaftspolitik

Ein Lehrbuch zur Entwicklung nach der Weltwirtschaftskrise 2009

Herausgegeben von: Thomas Kirchhoff, Nicole C. Karafyllis, Dirk Evers, Brigitte Falkenburg, Myriam Gerhard, Gerald Hartung, Jürgen Hübner, Kristian Köchy, Ulrich Krohs, Thomas Potthast, Otto Schäfer, Gregor Schiemann, Magnus Schlette, Reinhard Schulz, Frank Vogelsang

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

WidmungVorwortAbkürzungsverzeichnisWorum es gehtDie IdeeWas ist Makroökonomik und was Wirtschaftspolitik?Zu den Inhalten des BuchesKapitel 1: Wenn die Wirtschaft wächst …1.1 Das Bruttoinlandsprodukt1.2 Zum Begriff Wirtschaftswachstum1.3 Prognose des wirtschaftlichen Wachstums1.3.1 Stilisierte Fakten1.3.2 Theorien zur Erklärung des wirtschaftlichen Wachstums1.3.3 Empirische Ansätze zum Wirtschaftswachstum1.4 FazitKapitel 2: Wie entsteht eine Rezession?2.1 Was ist ein Konjunkturzyklus?2.2 Konjunkturdiagnose2.3 Konjunkturprognose2.4 Konjunkturtheorien2.4.1 Vorkeynesianische Konjunkturtheorien2.4.2 Keynesianische Konjunkturmodelle2.4.3 Neoklassisches Konjunkturmodell2.4.4 Polit-ökonomisches Konjunkturmodell2.4.5 Internationaler Konjunkturzusammenhang2.5 Warum sind Konjunkturschwankungen problematisch?2.6 Konjunkturpolitik2.6.1 Konjunkturpolitik auf der Grundlage keynesianischer Erklärungsansätze2.6.2 Konjunkturpolitik auf der Grundlage neoklassischer Theorien2.6.3 Sonstige Konjunkturpolitiken2.7. FazitKapitel 3: Welche Rolle hat der Staat?3.1 Wieviel Staat ist nötig?3.2 Aufgaben und Grundsatzpositionen der Finanzpolitik3.2.1 Allokation3.2.2 Distribution3.2.3 Stabilisierung3.3 Einnahmen- und Steuerpolitik3.3.1 Finanzierung der Aufgaben3.3.2 Steuerpflicht, Steuerlast, Steuervermeidung3.3.3 Gemeinschaftssteuern3.3.4 Bundessteuern3.3.5 Landessteuern3.3.6 Kommunale Steuern3.3.7 Steueraufkommen und Steuersätze3.3.8 Zwischenfazit zu den Einnahmen des Staates3.4 Ausgabenpolitik3.4.1 Auf- und Ausgabenkategorien3.4.2 Ökonomische Beurteilung einzelner Ausgabenkategorien3.4.3 Zwischenfazit zu den Ausgaben des Staates3.5 Was soll der Staat leisten?3.6 FazitKapitel 4: Was kann die Europäische Zentralbank tun?4.1 Zur Rolle einer Zentralbank4.2 Die Zentralbank, die Bürger und der Staat4.3 Zusammensetzung der Geldmengen4.3.1 Formen des Geldes4.3.2 Geldschöpfung im Bankensystem4.3.3 Geldmengenaggregate – die Steuerungsgröße der EZB4.4. Ziele der Geldpolitik4.4.1 Wie wird Inflation bzw. wie werden Preisniveauänderungen gemessen?4.4.2 Ursachen und Folgen von Inflation4.4.3 Geldpolitische Strategien4.5. Geldpolitische Instrumente4.5.1 Offenmarktpolitik4.5.2 Ständige Fazilitäten4.5.3 Notenbankfähige Sicherheiten4.5.4 Mindestreservepolitik4.5.5 ‚Outright‘-Geschäfte4.6. Die Taylor-Regel4.7 FazitKapitel 5: Ist der Titel Exportweltmeister ‚gut‘?5.1 Einführung5.2 Chancen und Risiken freien Außenhandels5.2.1 Gründe für Handel mit anderen Volkswirtschaften5.2.2 Theoretischer Hintergrund5.5.3 Erfahrungen5.3 Das Konzept der Zahlungsbilanz5.3.1 Leistungsbilanz5.3.2 Vermögensänderungsbilanz und Restposten5.3.3 Kapitalbilanz5.3.4 Beispiele5.3.5 Grundlagen der Zahlungsbilanzanalyse und empirische Daten5.4 Außenhandelspolitik am Beispiel von Handelshemmnissen5.4.1 Damals und heute5.4.2 Die Schutzwirkung von Zöllen5.4.3 Importquote5.4.4 Exportsubvention5.4.5 Weitere Instrumente der Außenhandelspolitik5.4.6 Zwischenfazit zu den Handelshemmnissen5.5 Freihandelsabkommen5.6 FazitKapitel 6: Brauchen wir Tarifverhandlungen?6.1 Einführung6.2 Das Beschäftigungsziel6.3 Der Arbeitsmarkt als Faktormarkt6.3.1 Zur Nachfrage nach Arbeit6.3.2 Zum Angebot der Arbeit6.4 Migration und Arbeitsmarkt6.4.1 Motive von Zuwanderung6.4.2 Ein Migrationsmodell auf der Basis der komparativen Kostenvorteile nach David Ricardo6.4.3 Neoklassisches Modell der Migrationswirkungen6.4.4 Zwischenfazit zur Migration6.5 Erklärungsansätze hoher Arbeitslosenquoten6.5.1 Ursachen der Arbeitslosigkeit6.5.2 Saisonale Arbeitslosigkeit6.5.3 Gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit6.5.4 Mismatch-Arbeitslosigkeit6.5.5 Zwischenfazit zu den Ursachen der Arbeitslosigkeit6.6 Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Tarifautonomie6.7 FazitKapitel 7: Ob erwerbsunfähig, arbeitslos oder in Not – das soziale Netz hält7.1 Einführung7.2 Kriterien der Sozialpolitik7.2.1 Gleichbehandlung ist unabdingbar7.2.2 Die Bedürftigkeit ist zu prüfen7.2.3 Trennung von Wirtschafts- und Sozialpolitik7.2.4 Trennung von Versicherungs- und Sozialpolitik7.2.5 Keine Leistungen zu Lasten künftiger Generationen7.2.6 Selbständigkeit statt Abhängigkeit des Einzelnen stärken7.3 Sozialhilfe für nicht erwerbsfähige Bürger7.3.1 Bereiche der Sozialhilfe7.3.2 Kategorien und Höhe der Sozialhilfe7.3.3 Beurteilung7.4 Grundsicherung für Erwerbsfähige7.4.1 Wer bezieht Hartz IV und wie hoch sind die Aufwendungen?7.4.2 Integration in den Arbeitsmarkt und Sanktionen7.4.3 Beurteilung7.5. Grundsicherung für Asylbewerber und anerkannte Asylanten7.5.1 Asylbewerber im Jahr 2015 in Deutschland7.5.2 Leistungen gemäß Asylbewerberleistungsgesetz7.5.3 Beurteilung7.6 FazitKapitel 8: Ist die Rente sicher?8.1 Einführung8.2 Eckdaten der gesetzlichen Rentenversicherung Deutschlands8.3 Was wird in der Rentenversicherung versichert?8.4 Der Generationenvertrag und das Umlageverfahren8.5 Muss ein Rentenversicherungssystem über den Staat organisiert werden?8.6 Welche Finanzierungsvarianten sind umsetzbar?8.7 FazitKapitel 9: Die gesetzliche Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung9.1 Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung9.1.1 Einführung9.1.2 Was wird versichert?9.1.3 Versicherungspflicht oder Pflichtversicherung?9.1.4 Welches Absicherungssystem ist zu wählen?9.1.5 Fazit9.2. Die gesetzliche Krankenversicherung9.2.1 Einführung9.2.2 Welches Risiko wird in einer Krankenversicherung abgesichert?9.2.3 Wie kann die Versicherungspflicht begründet werden?9.2.4 Welches Versicherungssystem ist zu wählen?9.2.5 Fazit9.3. Die gesetzliche Pflegeversicherung9.3.1 Einführung9.3.2 Was wird versichert?9.3.3 Versicherungspflicht oder Pflichtversicherung?9.3.4 Umlage- oder Kapitaldeckungsverfahren?9.3.5 Fazit9.4. ZusammenfassungKapitel 10: Was bringt uns der Wettbewerb?10.1 Einführung10.2 Marktgleichgewicht und Renten10.3 Marktformen und Wettbewerb10.4 Wettbewerb und intergenerative Kooperation10.5 FazitKapitel 11: ‚SMART‘e Wirtschaftspolitik11.1 Das Stabilisierungsziel11.2 Wie werden diese Ziele operationalisiert?11.3 Volkswirtschaftliche Denkschulen und deren Synthese11.4 Wenn die Politiker ihre eigenen Ziele verfolgen11.5 Instrumente der Wirtschaftspolitik11.6 FazitKapitel 12: Prüfungsvorbereitung12.1 Allgemeines zur Vorbereitung12.2 Klausuraufgaben zur Vorbereitung nach Themengebieten12.2.1 Konjunktur12.2.2 Konjunktur und Geldpolitik12.2.3 Staatsfinanzen und Konjunktur12.2.4 Geldpolitik12.2.5 Außenwirtschaft12.2.6 Außenwirtschaft12.2.7 Geldpolitik und Außenwirtschaft12.2.8 Arbeitsmarkt und Wachstum12.2.9 Zum Arbeitsmarkt und zur Tarifautonomie12.2.10 Arbeitsmarkt und internationale Wettbewerbsfähigkeit12.2.11 Zum Arbeitsmarkt und zur Konjunktur12.2.12 Zur Rentenpolitik12.2.13 Zur RentenpolitikAnhangLiteraturverzeichnisPersonenregisterSachregister
[Zum Inhalt]

|V|Für Claus Böschen

(* 11.02.1935, †13.08.2017)

[Zum Inhalt]

|VII|Vorwort

Die Idee, diese Texte zu Vorlesungen zur Makroökonomie und Wirtschaftspolitik zu schreiben, stammt von Studierenden des Bachelor-Studienganges Business Administration an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Diesen jungen Studierenden, die durch ihre Diskussionsbereitschaft und Anmerkungen zur Verständlichkeit der Texte beigetragen haben, möchte ich sehr danken. Der Austausch mit Ihnen hat mir sehr viel Spaß gemacht!

Mein besonderer Dank gilt, wenn auch posthum, meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Johann Eekhoff (25.7.1941–3.3.2013). Den großen Zusammenhängen zwischen Wachstum, Konjunktur, Staatshandeln, Geldpolitik, dem Arbeitsmarkt, der sozialen Sicherung und dem Wettbewerb hat Johann Eekhoff einen großen Stellenwert in seinen Vorlesungen zur Allgemeinen Volkswirtschaftslehre beigemessen. Ebenso hat Johann Eekhoff das Detail in Betracht gezogen und die mikroökonomische Basis in die Analysen integriert. Mit diesem Buch für Studierende betriebswirtschaftlicher Studiengänge versuche ich, es ihm in dieser Hinsicht nach zu tun. Für besonders lehrreiche Jahre am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik von Prof. Dr. Eekhoff an der Universität zu Köln bin ich nach wie vor sehr dankbar.

Danken möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen, die sich an Diskussionen beteiligt und damit immer wieder wertvolle Beiträge und Ideen für die Umsetzung geleistet haben.

Nicht zuletzt bin ich dankbar für den Freiraum, mit diesem Buch der jungen Generation Mut machen zu dürfen, in einer alternden Gesellschaft die eigenen Interessen mit Durchsetzungskraft zu verfolgen. Unsere Demokratie braucht dringend die aktive, politische Beteiligung der jungen Generation!

Besonders hilfreich war es, nicht nur im Sinne der Work-Life-Balance, sondern auch aufgrund all der interessanten Gespräche während des Schreibens, viele schöne Stunden mit meinen Kindern verbracht zu haben.

 

Köln, am 3. März2017 Iris Böschen

[Zum Inhalt]

|XV|Abkürzungsverzeichnis

A

Arbeit(svolumen), Angebot

AAl1

Arbeitsangebot beim Reallohnsatz 1

AFHi

Angebot bei Freihandel im Inland

ANE

Arbeitnehmerentgelte

ANl1

Arbeitsnachfrage beim Reallohnsatz 1

APA

Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde

APE

Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigem

AsylblG

Asylbewerberleistungsgesetz

B

Boden

Bill.

Billionen, 1000 Mrd.

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BIPreal

reales Bruttoinlandsprodukt

BKK

Betriebskrankenkasse

BMWi

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

BNP

Bruttonationalprodukt

BRIC

Brasilien, Russland, Indien, China

BuBa

Bundesbank

c

Konsumneigung

CG

Staatskonsum

CH

Konsum der privaten Haushalte

c.p.

ceteris paribus

DIHK

Deutscher Industrie- und Handelskammertag

DIW

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

ESM

Europäischer Stabilitätsmechanismus

EStG

Einkommensteuergesetz

ESZB

Europäisches System der Zentralbanken

ETH

Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich

EU

Europäische Union

Ew

Einwohner

EWWU

Europäische Wirtschafts- und Währungsunion

Ex

Export

EZB

Europäische Zentralbank

f (x)

Funktion von x

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FH

Freihandel

GB

Geschäftsbanken

GfK

Gesellschaft für Konsumforschung

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GPV

Gesetzliche Pflegeversicherung

GRV

Gesetzliche Rentenversicherung

GTAI

German Trade and Invest GmbH

HVPI

Harmonisierter Verbraucherpreisindex

HWWA

Hamburgisches Weltwirtschaftsarchiv

I

Investitionen

Ifo

Institut für Wirtschaftsforschung

IfW

Institut für Weltwirtschaft

IHK

Industrie – und Handelskammer

IHS

Institut für Höhere Studien

IIA

Internationales Investitionsabkommen

Im

Import

IWF

Internationaler Währungsfonds

IWH

Institut für Wirtschaftsforschung Halle

k

Akzelerator

K

Kapital

k.A.

keine Angaben

KOF

Konjunkturforschungsstelle

l

Reallohnsatz

LSTK

Lohnstückkosten

M

Geldmenge, z.B. M1, M2, M3

MD

Importnachfrage

MFH

Importe bei Freihandel

Mio.

Millionen

MQ

Importe bei einer Quote

MwSt

Mehrwertsteuer

N

Nachfrage

NFHi

Nachfrage bei Freihandel im Inland

NGO

Nicht-Regierungsorganisation

o.V.

ohne Verfasser

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OMT

Außerordentliche monetäre Transaktionen

OPEC

Organisation Erdöl exportierender Länder

p

Preis, Profit

Pi*

Gleichgewichtspreis im Inland

PKW

Personenkraftwagen

ps

Preis bei Exportsubvention

pw

Weltmarktpreis

Q

Menge

q1, q2

Gütermengen

Qw,t

Weltabsatzmenge bei Zoll

ROW

Rest oft he World

RV

Rentenversicherung

RWI

Rheinisch-Westfälisches Institut

S

Ersparnis, Subvention

s

Sparneigung, Sparquote

SGB

Sozialgesetzbuch

SMART

spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert

SVR

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

t

Zeit, Periode, Steuersatz, Zollsatz

T

Transformationskurve

Tmax

maximales Steueraufkommen

TTIP

Transatlantic Trade and Investment Partnership

UG

Umlaufgeschwindigkeit

UN

United Nations

UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

UNHCR

United Nations High Commissioner for Refugees

USA

United States of America

USD

US-Dollar

UVE

Unternehmens- und Vermögenseinkünfte

Vj.

Vorjahr

w

Wachstumsrate

WIFO

Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

WP

Wertpapiere

x1, x2

Güter

XS

Exportangebot

Y

Output, Bruttoinlandsprodukt, Einkommen

ZB

Zentralbank

ZEW

Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

ΔW

Wohlfahrtsveränderung

[Zum Inhalt]

|1|Worum es geht

Die Idee

Dieses Buch zur Makroökonomik und Wirtschaftspolitik wurde insbesondere für Studierende der Betriebswirtschaftslehre, Business und Public Administration, Wirtschaftspsychologie u.a. konzipiert. Es ist in zwölf Abschnitte unterteilt. Der Vorteil liegt darin, dass erstens die üblicherweise als sehr theoretisch empfundene Makroökonomik durch den Anwendungsbezug und die weitreichende Bedeutung der Wirtschaftspolitik für das tägliche Leben interessanter sowie verständlicher wird und dass zweitens ein eindeutiger Erwartungshorizont im Hinblick auf die Prüfungsleistung aufgespannt wird. Trotz der Anwendungsorientierung darf die theoretische Basis nicht außeracht gelassen werden. In jedem Abschnitt – abgesehen vom letzten zur Prüfungsvorbereitung – wird in einem einführenden Teil die Relevanz für das tägliche Leben und Arbeiten erläutert. Daran schließen sich ein Theorieteil sowie ein anwendungsbezogener, d.h. in der Regel wirtschaftspolitischer Teil an. Zwischendrin werden Beispiele aus der aktuellen Politik aufgeführt. Die Studierenden werden bei paralleler Lektüre von Tageszeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, des Handelsblatts, der Süddeutschen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung nach und nach die spezielle ökonomische Sichtweise auf die Prozesse, mit denen wir Bürger täglich konfrontiert sind, verstehen und diskutieren lernen.

Was ist Makroökonomik und was Wirtschaftspolitik?

Die Makroökonomik wird als die Wissenschaft bezeichnet, mit der gesamtwirtschaftliche Vorgänge betrachtet werden. Es geht um den Haushalts- und den Unternehmenssektor sowie den Staat und die Beziehungen zum Ausland. Dabei ist von Bedeutung, dass nicht das Handeln des Einzelnen (des Bürgers als Konsument, Unternehmer, Arbeitnehmer, als Teil der Gesellschaft) angeschaut wird, sondern dass alle Konsumenten im Sektor ‚Haushalte‘ zusammenfasst werden und das Handeln dieses Aggregats angesehen wird. Alle Unternehmer stellen den Unternehmenssektor dar.

Abbildung 1:

Sektoren in einer geschlossenen Volkswirtschaft (Quelle: Eigene Darstellung).

Wir analysieren in der Makroökonomik beispielsweise den Arbeitsmarkt, die Verteilung der Einkommen in der Gesellschaft, den gesamtwirtschaftlichen Konsum, das gesamtwirtschaftliche Güterangebot der Unternehmen, den Kapitalmarkt, die Investitionstätigkeit der Unternehmen und des Staates, das Angebot an öffentlichen Gütern, die Einnahmenseite des Staates oder die Export- und Importtätigkeit der Unternehmen. Die Theoretiker bedienen sich zur Analyse der makroökonomischen |2|Modellbildung. Die sogenannten Gleichgewichtsansätze weisen gleichwohl häufig eine mikroökonomische Fundierung auf. So werden in den Arbeitsmarktmodellen ein durchschnittlicher Lohnsatz sowie das gesamtwirtschaftliche Angebot an Arbeit und die entsprechende Nachfrage seitens der Unternehmen zugrunde gelegt.

Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Sektoren können sich inhaltlich unterschiedliche Untersuchungsbereiche ergeben. Ein Bereich betrifft die sogenannte Allokation, d.h. die Lenkung der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden und auch Umwelt sowie Wissen in deren optimale Verwendungen. Üblicherweise planen sowohl die Konsumenten als auch die Unternehmen und der Staat ihre Aktivitäten hinsichtlich der Ausgaben und auch der erwarteten Einnahmen. Bei der Umsetzung wird in der Regel entweder das Minimalprinzip (geringstmöglicher Aufwand) oder das Maximalprinzip (höchstmöglicher Zielerreichungsgrad) berücksichtigt. Wenn eine Prozessplanung nicht möglich ist, kommt es zu suboptimalen Ergebnissen auf den verschiedenen Märkten und für die verschiedenen Sektoren.

Ein weiterer Bereich ist die Verteilung der Einkommen, die in einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. In Abhängigkeit der Qualifikation und der Berufserfahrungen erwirtschaften die privaten Haushalte unterschiedlich hohe Einkommen. Eine Umverteilung zwischen relativ gering Verdienenden und denjenigen, die relativ hohe Einkommen erwirtschaften, erfolgt in Deutschland unter anderem über den Einkommensteuertarif und Transfers an private Haushalte. Nun ist erkennbar, dass sowohl die Altersarmut als auch die Jugendarmut Themen sind, die aktuell und in der Zukunft eine zunehmende Bedeutung erfahren. Es stellt sich den Makroökonomen und den Wirtschaftspolitikern u.a. die Frage, wie dieses Verteilungsproblem zu lösen ist.

Ein weiterer Bereich, in dem Schwierigkeiten aus dem Zusammenwirken der Sektoren resultieren können, ist die Verteilung der Macht. Kann ein Unternehmen die gesamte Nachfrage nach einem bestimmten Produkt auf sich vereinen, so hat es Preissetzungsmacht. Damit sind die Konsumenten gegenüber einer Situation, in der der Markt wettbewerblich organisiert ist, benachteiligt. Der Preis ist zu hoch. Die Lösung besteht darin, eine Ordnung für das wirtschaftliche Handeln und Entscheiden |3|gesetzlich festzulegen, die das Entstehen von Marktmacht verhindert. Ein Beispiel ist das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

In der Makroökonomie geht es zusammenfassend darum, gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zu beschreiben (Empirie), gesamtwirtschaftliche Beziehungen zu erklären (Theorie) sowie Vorschläge zur Problemlösung zu geben (Politik). Aber was hat das mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen und Entscheidungen zu tun? Warum ist die Kenntnis der makroökonomischen Entwicklungen für einen Unternehmer von Bedeutung? Der Zusammenhang ergibt sich über die Beschaffungs- und die Absatzmärkte. Auf diesen Märkten spielt der Preis für die Ware oder die Dienstleistung eine große Rolle in Hinblick auf die Erlöse der Unternehmen sowie auf deren Verluste. Makroökonomische Schlüsselgrößen, die die Erlöse und Kosten beeinflussen, sind u.a. die Konjunkturerwartungen in In- und Ausland, die Absatzerwartungen und die Einkommensentwicklung. Politikbereiche, die diese Größen ihrerseits beeinflussen, sind die Tariflohnpolitik, die Geldpolitik der Zentralbank, die Finanzpolitik des Staates, die Wettbewerbspolitik etc. Da die wechselseitigen Abhängigkeiten groß sind, ist es für künftige Unternehmer wie auch Beamte unabdingbar, die makroökonomischen Prozesse und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu verstehen.

Zu den Inhalten des Buches

Im ersten Abschnitt steht das wirtschaftliche Wachstum im Fokus der Betrachtung. Nicht zu verwechseln ist es mit dem Wohlstand. Gleichwohl wird auf die Bedeutung des wirtschaftlichen Wachstums für den Konsumenten, den Unternehmer, den Staat abgehoben. Das zweite Kapitel ist der Erläuterung der Ursachen und Folgen der verschiedenen Phasen eines Konjunkturzyklus’ gewidmet. Nachdem die deutsche Wirtschaft 2009 in eine Rezession ‚gestürzt‘ ist, werden die Auswirkungen auf die verschiedenen Märkte unter zu Zuhilfenahme relativ ‚junger‘ empirischer Daten erklärt. Die Auswirkungen einer Rezession wie auch eines Booms betreffen über die Einnahmen aus Steuern, Gebühren und Beiträgen und die Ausgaben für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben den Staat. Möglicherweise ist hier zudem eine Ursache für konjunkturelle Schwankungen zu finden. Diese Fragen werden in Kapitel 3 thematisiert. Wenn es um die Auswirkungen konjunktureller Schwankungen geht, ist ebenfalls die Zentralbank als Hüterin der Geldwertstabilität gefragt. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wird im vierten Kapitel dargestellt und erläutert. Insbesondere vor dem aktuellen Hintergrund der in der Presse häufig erwähnten drohenden inflationären Tendenzen werden geldtheoretische Ansätze, die geldpolitischen Instrumente sowie deren Einsatz in der jüngeren Vergangenheit dargestellt. Im fünften Abschnitt des vorliegenden Buches soll die Frage beantwortet werden, wie der Titel ‚Exportweltmeister‘ zu beurteilen ist. Der Außenhandel ist für die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands von Bedeutung, da viele Arbeitsplätze in exportorientierten Branchen bestehen und ein hoher Anteil unseres Bruttoinlandsproduktes in diesem Bereich erwirtschaftet wird. Wie wirkt sich eine Rezession auf diese Branchen aus? Was bedeutet es genau, ‚Exportweltmeister‘ zu sein? Werden Kapitalgüter in das Ausland exportiert, die dort |4|zu höheren Wachstumsraten der Wirtschaft führen und bei uns künftig zu einer Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums? Wie sind Freihandelsabkommen zu bewerten? Was geschieht nach der Abwertung des chinesischen Yuan Renminbi mit den Exportchancen deutscher Unternehmen? Abschnitt 6 ist dem Arbeitsmarkt gewidmet. Auf diesem für Politiker insbesondere kurz vor den Wahlen so wichtigen Markt gilt es, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen. Immerhin sind in Deutschland rund die Hälfte der Menschen erwerbstätig und Wähler. Der Arbeitsmarkt weist wichtige Charakteristika auf und wird ebenfalls von konjunkturellen Einflüssen bewegt. Im Guten wie im Schlechten sind der Staat und die Beschäftigung eng miteinander verbunden: Ist die Erwerbstätigkeit hoch, sprudeln die Steuereinnahmen und die Ausgaben für die soziale Sicherung halten sich in (demografisch festgelegten) Grenzen. Ist die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch, gehen die Einnahmen des Staates zurück und die Ausgaben legen zu. Eine Ausgabenkategorie ist die Grundsicherung für Erwerbsfähige und Erwerbsunfähige. Das siebte Kapitel des Buches stellt die deutsche Grundsicherung im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft vor und hebt auf die verschiedenen Kriterien Gleichbehandlung der Bürger, Stärkung der Eigeninitiative, Bedürftigkeitsprinzip etc. ab. Werden diese Kriterien bei der Entscheidung herangezogen, ob Hilfe der öffentlichen Hand zu gewähren ist, so dürfte das Ergebnis einen Beitrag zur Verteilungsgerechtigkeit leisten. Wissend um den engen Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme wird im achten Kapitel die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung als eine Säule der sozialen Sicherung Deutschlands vorgestellt. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die beinhaltet, dass der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung stärker steigt als der Anteil der Kinder und Jugendlichen, wird im Rahmen der Frage ‚Ist die Rente sicher?‘ die zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge behandelt. Ebenfalls im Zusammenhang mit einer immer älter und durchschnittlich auch kranker werdenden Gesellschaft und (medizinisch-)technischen Innovationen steigen die Kosten im Gesundheitswesen laufend an. Den Medien ist zu entnehmen, dass das bestehende System auf Dauer nicht finanzierbar sei. Als weitere Säule der sozialen Sicherung werden daher in Kapitel 9 sowohl die gesetzliche Krankenversicherung als auch die gesetzliche Pflegeversicherung thematisiert. Als auf einer stabilen Basis stehende Versicherung wird die Arbeitslosenversicherung vorgestellt.

Im Zusammenhang mit Transferzahlungen seitens des Staates an private Haushalte und Unternehmen und in Verbindung mit den Exportchancen deutscher Unternehmen steht unmittelbar die Frage, was den Konsumenten und den Unternehmen freier Wettbewerb auf den Märkten bringt. Die undifferenzierte Antwort lautet: „Die Preise für die Produkte werden durch eine hohe Wettbewerbsintensität auf den Märkten gesenkt.“ Aus diesem Grund ist der freie Wettbewerb aus Konsumentensicht zu befürworten. Auch den Unternehmen wird nachgesagt, dass sie durch den Wettbewerb Innovationsleistungen erbringen, die in einer geschützten Marktnische nicht möglich sind, weil der Anreiz fehlt, Erster sein zu wollen. Im zehnten Kapitel wird dieses eigentlich mikroökonomische Thema aus makroökonomischer Sicht behandelt.

Im elften Kapitel werden die möglicherweise noch ‚losen Enden‘ der vorangegangen Abschnitte aufgegriffen und im Rahmen theoretischer Überlegungen zur Wirtschaftspolitik |5|als angewandter Makroökonomik kategorisiert. Hier werden u.a. Erläuterungen zu den Denkschulen der Makroökonomik gegeben und in Zusammenhang gestellt.

Als Abschluss des Buches werden im zwölften Kapitel verschiedene Beispiele aus den Medien präsentiert, die im Rahmen einer schriftlichen Prüfungsleistung diskutiert werden könnten. Dieses Kapitel dient der Vorbereitung der Studierenden auf ihre Prüfung.

[Zum Inhalt]

|7|Kapitel 1:Wenn die Wirtschaft wächst …

Seit dem 18. Jahrhundert findet eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums von bis dahin unbekanntem Ausmaß statt. Wirtschaftswachstum ist also nicht selbstverständlich.

Von den frühesten Zeiten, über die wir Aufzeichnungen haben – also zurück, sagen wir, bis zweitausend Jahre vor Christus –, bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts gab es keine großen Veränderungen im Lebensstandard des durchschnittlichen, in der zivilisierten Welt lebenden Menschen. Natürlich gab es ein Auf und Ab. Heimsuchungen durch Seuchen, Hungersnöte und Krieg. Goldene Zwischenzeiten. Aber keine fortschreitenden Veränderungen. Einige Zeiten waren vielleicht 50 Prozent – allerhöchstens 100 Prozent – besser als andere in den viertausend Jahren, die (sagen wir) um 1700 n. Chr. endeten. […] Zu irgendeiner Zeit vor dem Beginn der Geschichte – […] vor der letzten Eiszeit – muss es eine Zeit des Fortschritts und der Erfindungen gegeben haben, die mit der, in der wir heute leben, vergleichbar ist. Aber während des größten Teils der aufgezeichneten Geschichte gab es nichts Derartiges. (Keynes [1930] 2007)

John Maynard Keynes (1883–1946), der Begründer der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, beschreibt wirtschaftliches Wachstum als Steigerung des Lebensstandards. Mit anderen Worten: Er könnte mit steigendem Lebensstandard größere Konsummöglichkeiten für die Menschen gemeint haben, mehr Freizeit, weniger Arbeitszeit, Gesundheitsvorsorge für alle Menschen oder ein hohes Maß an innerer und äußerer Sicherheit.

Wir werden das Wirtschaftswachstum in zwei Dimensionen untersuchen. Zum einen unterscheiden wir die Determinanten des Wachstums in einerseits theoretische Modelle und andererseits empirische Ansätze. Zum anderen analysieren wir, ob sich das Wachstum stetig oder in Wellen vollzieht. Aber zunächst steht die Frage im Vordergrund, wie wir Wirtschaftswachstum in Deutschland verstehen.

1.1Das Bruttoinlandsprodukt

Mit Hilfe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug aller Vorleistungen innerhalb einer Periode gemessen (Mankiw 2016). Mit dem BIP wird die gesamte Wirtschaftsleistung innerhalb der nationalen Grenzen berücksichtigt. Das Bruttonationalprodukt (BNP) bezieht demgegenüber die wirtschaftliche Leistung aller Staatsbürger der betreffenden Nation ein, unabhängig vom aktuellen Wirkungsort.

Das BIP lässt sich auf verschiedene Arten, nämlich durch die Entstehungs-, Verwendungs- und Verteilungsrechnung, ermitteln. Die Daten werden in Deutschland vierteljährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht. Bereits Mitte Januar eines |8|Jahres liegen die vorläufigen Daten für das gesamte Vorjahr vor. Damit ist das Statistische Bundesamt eines der ‚schnellsten‘ Statistikämter weltweit. Hinzu kommt, dass die Qualität der Daten hoch ist. Es gibt im Nachhinein häufig nur marginale Anpassungen.

Bei der Entstehungsrechnung wird der Wert der Güter und Dienstleistungen addiert, die in den verschiedenen Sektoren produziert werden. Dabei hat in Deutschland die Wertschöpfung des primären, land- und forstwirtschaftlichen Sektors etwa einen Anteil von 1 Prozent am gesamten BIP. Das produzierende Gewerbe macht etwa 26 Prozent aus, das Baugewerbe 4 Prozent, Handel, Verkehr und Gastgewerbe haben einen Anteil von rund 47 Prozent und die sonstigen Dienstleistungen ca. 22 Prozent.

Zum gleichen Gesamtergebnis muss die Verwendungsrechnung kommen. In der Verwendungsrechnung werden der Konsum CH der privaten Haushalte (~60 Prozent des BIP), der Staatskonsum CG (~20 Prozent), die Investitionen I (~14 Prozent) sowie der Export abzüglich des Importes (~6 Prozent) addiert.

BIP = CH + CG + I + (Ex – Im)

In der Verteilungsrechnung wird geschaut, wem welche Einkünfte zugeflossen sind. Neben den Arbeitnehmerentgelten (ANE) sind dies die Unternehmens- und Vermögenseinkünfte (UVE). ANE und UVE entsprechen zusammen dem sogenannten Volkseinkommen. Addieren wir zum Volkseinkommen die Subventionen, d.h. die Transfers des Staates an den Unternehmenssektor, und ziehen die auf die Güter erhobenen Steuern ab, dann erhalten wir das Nettonationaleinkommen zu Marktpreisen. Um das Bruttonationaleinkommen zu berechnen, sind die Abschreibungen, d.h. der Werteverzehr der Anlagegüter der Volkswirtschaft, in Abzug zu bringen. Zu diesem Bruttonationaleinkommen addieren wir die Einkommen der Inländer, die im Ausland gearbeitet haben, und wir ziehen die Einkommen ab, die Ausländer im Inland erwirtschaftet haben. Wir erhalten das Bruttoinlandseinkommen, das BIP. Es geht bei der Verteilungsrechnung demnach um die Verteilung der Einkünfte auf die verschiedenen Produktionsfaktoren.

Wie wird das Bruttoinlandsprodukt in der Praxis berechnet? Die schnellste Variante ist die Berechnung über die Verwendungsrechnung, da bei den Finanzämtern laufend Daten zu den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer (19 Prozent bzw. 7 Prozent anteilig vom Verkaufspreis von Gütern- und Dienstleistungen) eingehen. Die Finanzämter geben die Daten weiter an die statistischen Landesämter und diese an das Statistische Bundesamt. Dieses berechnet die entsprechenden Größen, aus denen sich das BIP zusammensetzt. Auf der europäischen Ebene übernimmt Eurostat, die Europäische Statistikbehörde, die Aufgabe der Sammlung der Daten von den Mitgliedsstaaten und der Bereitstellung der Zahlen für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Vereinten Nationen, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und andere supranationale Organisationen stellen Daten für alle Länder bereit, soweit sie verfügbar sind.

Um tatsächlich zeigen zu können, ob die Güter- und Dienstleistungsproduktion in einer Volkswirtschaft sich verändert hat, ist es notwendig, das mit den Marktpreisen bewertete BIP, das nominale BIP, um Preisveränderungen zu bereinigen. Würden die Preisveränderungen nicht herausgerechnet werden, könnte es mindestens zwei Ursachen für Veränderungen oder auch das Gleichbleiben des BIP geben: entweder die |9|Produktionsmenge, der Output der Volkswirtschaft, hat sich verändert oder die Preise oder Menge und Preise. Bereinigen wir das nominale BIP um die Preisveränderungen in der betrachteten Periode, erhalten wir das reale BIP, das in der Regel in den Medien gemeint ist, wenn über das BIP gesprochen wird.

1.2Zum Begriff Wirtschaftswachstum

Wirtschaftliches Wachstum liegt vor, wenn das reale BIP steigt.[1] Anders gewendet: Nimmt die gesamtwirtschaftliche Produktion zu, so ist das Leistungsvermögen einer Volkswirtschaft gestiegen. Dieses Leistungsvermögen, d.h. die Arbeitskräfte, das Kapital und der Boden, muss nicht zwangsläufig, kann aber von den Unternehmen vollständig genutzt werden. In der grafischen Darstellung verschiebt sich die sogenannte Transformationskurve T, wenn ein Modell zur Veranschaulichung herangezogen wird, das nur den Input von Kapital K und Arbeit A berücksichtigt. Wenn wir ein Input-Output-Diagramm zur Darstellung nutzen, dreht sich die Produktionsfunktion Y nach außen.

Abbildung 2:

Stilisierte Produktionsfunktion f (Y) und Transformationskurve T (Quelle: Eigene Darstellung).

In der linken Grafik der Abbildung 2 wird verdeutlicht, dass in der Theorie der Output Y (abgetragen auf der senkrechten Ordinate) vom Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit A (abgetragen auf der waagerechten Abszisse) abhängt.[2]

|10|Die hier gewählte ertragsgesetzliche Produktionsfunktion

zeigt, dass bei relativ geringem Einsatz von K und A der Output Y zunächst langsam zunimmt, um dann ab einem bestimmten Punkt überproportional stark zu steigen und schließlich bei einer weiteren Ausdehnung des Faktoreinsatzes weniger stark weiter zu wachsen. Dieser Verlauf hängt mit den zunächst steigenden und schließlich abnehmenden Grenzproduktivitäten der eingesetzten Produktionsfaktoren zusammen. So ist vorstellbar, dass bei der Produktion an einem Fließband zunächst wenige Arbeitskräfte aktiv sind und der Output deshalb zu Beginn relativ gering ist. Werden mehr Arbeitskräfte eingesetzt, beispielsweise weitere Arbeitsplätze am vorhandenen Fließband eingerichtet, kann der Output stärker ausgeweitet werden. Stehen allerdings so viele Personen am Fließband, dass sie sich gegenseitig behindern, geht der zusätzliche Output zurück. Ein weiteres Fließband müsste eingerichtet werden.

Das Produktionspotenzial würde dann erweitert werden. Eine derartige Investition nennen wir Erweiterungsinvestition. Dem gegenüber steht die Instandhaltungsinvestition, die nicht zu einer Erhöhung der Produktionsmöglichkeiten und damit nicht zu wirtschaftlichem Wachstum führt. Wirtschaftliches Wachstum wird auch dadurch möglich, dass mit in der Summe gleichem Faktoreinsatz – z.B. aufgrund einer technologischen Innovation: am Fließband ersetzen Roboter Personen – der Produktionsprozess produktiver wird. Es kann mehr Output produziert werden. Die Produktionsfunktion dreht sich nach außen.

In der rechten Grafik der Abbildung 2 wird dargestellt, dass je nach Einsatzmengen von Kapital (Ordinate) und Arbeit (Abszisse) entlang der sogenannten Transformationskurve der maximale Output Y produziert werden kann. Die Transformationskurve zeigt verschiedene Kombinationsmöglichkeiten der Produktionsfaktoren an, die jeweils zum gleichen Output führen. Erst eine Produktivitätserhöhung – z.B. des Faktors Arbeit durch die Optimierung des Fertigungsprozesses beispielsweise im Wege der Arbeitsteilung – erlaubt, dass bei konstantem Faktoreinsatz ein höheres Outputniveau realisiert werden kann. Die Transformationskurve verschiebt sich nach außen und spiegelt ein höheres Outputniveau wider, das in der Volkswirtschaft erreicht werden kann. Eine Verschiebung der Transformationskurve oder eine Drehung der Produktionsfunktion nach außen soll verdeutlichen, dass die Volkswirtschaft wächst.

Als Maß für das Wirtschaftswachstum wird die Wachstumsrate w des BIPs, des Outputs Y, in einem bestimmten Zeitraum herangezogen. Die zeitliche Perspektive ist hierbei langfristig.[3] Analytisch formuliert bedeutet dies:

|11|Die Veränderung des BIPs wY ergibt sich aus dem Quotienten der Differenz des BIP Yt in der Periode t, z.B. 2015, und dem BIP Yt-1 in der Vorperiode t-1, z.B. 2014, geteilt durch das BIP der Vorperiode t-1, also 2014, multipliziert mit 100. Das Ergebnis ist ein Prozentwert. Ist wY > 0, dann ist die Wachstumsrate des BIP positiv. In der Volkswirtschaft wurden 2015 im Vergleich zum Vorjahr mehr Güter und Dienstleistungen produziert.

Mit wirtschaftlichem Wachstum ist eine höhere Güterversorgung der Wirtschaftssubjekte, d.h. der Bevölkerung, verbunden. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Güterproduktion schneller zunimmt als die Bevölkerung. Wenn der demografische Aspekt berücksichtigt werden soll, ist das BIP pro Kopf zu ermitteln. Um die Veränderungsrate des BIP pro Kopf zu berechnen, wird Y durch die Einwohneranzahl Ew der Volkswirtschaft geteilt und mit der Vorperiode verglichen, wie in obiger Gleichung, oder es können die Wachstumsraten der Einfachheit halber voneinander abgezogen werden.[4]

Das BIP und dessen Wachstum wird gemeinhin als Indikator für den Wohlstand der Bevölkerung eines Landes herangezogen, obschon es eine Reihe von Mängeln dieses Indikators zu beklagen gibt (Miegel 2012). Andererseits fällt es schwer, ein besseres Maß zu finden (Enquete-Kommission 2013). Als Mängel können u.a. folgende Aspekte konstatiert werden:

Nachbarschaftshilfe, Haushaltstätigkeiten und ehrenamtliche Aktivitäten fließen nicht in die Berechnung des BIP ein.

Die Wertschöpfung des informellen Sektors (z.B. Schwarzarbeit) kann nicht berücksichtigt werden.

Durch die wirtschaftlichen Tätigkeiten entstehende Umweltschäden, die Kosten für deren Beseitigung und die ‚Wiedergutmachung‘ werden nicht von der konstruktiven Wertschöpfung, die mit dem BIP gemessen wird, abgezogen.[5]

Die Möglichkeit, mehr Freizeit und damit einen höheren Wohlstand zu genießen, kann darüber hinaus nicht aufgenommen werden.

Würde man diese Aspekte bei der Analyse und Beurteilung der Wirtschaftskraft eines Landes, einer Region, eines Bundeslandes, einer Kommune einbeziehen, dürfte eine sinnvollere Bewertung des Wohlstandsniveaus der Bevölkerung möglich sein.

1.3Prognose des wirtschaftlichen Wachstums

Mithilfe der Wachstumsprognose soll ein langfristiger Trend der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt werden. Informationen darüber helfen den Unternehmen, ihren Einkauf, ihre Produktion sowie ihre Investitionstätigkeit zu planen. Zur Bestimmung |12|eines Wachstumstrends wird nach in der Vergangenheit aufgetretenen Regelmäßigkeiten Ausschau gehalten. Diese Regelmäßigkeiten in der Vergangenheit können mit statistischen Methoden z.B. der Regressionsberechnung in einem Trend abgebildet werden. Wird der Trend in die Zukunft fortgeschrieben, so ist dieses Verfahren der Extrapolation eine Methode zur Prognose wirtschaftlichen Wachstums.

Im Zentrum der Wachstumsprognose steht die gesamtwirtschaftliche Angebotsseite: das Produktionspotenzial der Unternehmen. Nimmt man an, dass das Produktionspotenzial in der Vergangenheit im Durchschnitt normal ausgelastet war, so verhilft eine Extrapolation der Zeitreihe des BIPs zu einer Prognose des wirtschaftlichen Wachstums. Um eine höhere Prognosegenauigkeit zu erreichen, können einzelne Produktionsfaktoren wie das Kapital, die Arbeit, der technische Fortschritt in die Analyse einbezogen werden. Daten zu diesen Einzelaspekten sind die Arbeitsproduktivität, die Kapitalintensität etc. Neben diesen sogenannten stilisierten Fakten sollen theoretische Ansätze u.a. der Prognose von wirtschaftlichem Wachstum dienen. Zwei Ansätze werden in Abschnitt 1.3.2 kurz dargestellt. Und schließlich verhelfen empirische Ansätze analog zu den stilisierten Fakten zu Aussagen über die künftige Entwicklung einer Volkswirtschaft (vgl. zu den folgenden Ausführungen Böschen 2015).

1.3.2Theorien zur Erklärung des wirtschaftlichen Wachstums

Theorien und Modelle zum wirtschaftlichen Wachstum haben die Aufgabe, bestimmte Teilaspekte der langfristigen Entwicklung einer Volkswirtschaft anschaulich zu erklären. Sie sind wegen der Abstraktion nicht allumfassend und beinhalten üblicherweise unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Es können die neoklassische Wachstumstheorie |16|und die keynesianische unterschieden werden.[10] Die neoklassische Wachstumstheorie geht davon aus, dass der Output Y durch den Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital K und Arbeit A hervorgebracht wird und dass jede zusätzlich in den Produktionsprozess eingebrachte Einheit Kapital bzw. Arbeit dafür sorgt, dass ein höherer Output produziert werden kann. Es nimmt jedoch der zusätzliche Output ab, je mehr Einheiten Kapital respektive Arbeit bereits im Produktionsprozess eingesetzt sind. Es werden abnehmende Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren angenommen. Die keynesianische Wachstumstheorie orientiert sich vor allen Dingen an den Investitionen.

1.3.2.1.Eine keynesianische Wachstumstheorie

In der keynesianischen Wachstumstheorie versuchten Schüler von John Maynard Keynes das eigentlich Unmögliche: die kurzfristig und konjunkturorientierte Theorie nach Keynes (vgl. Kapitel 2) wurde um den längerfristigen Aspekt erweitert, der aus der Kapitalstockbildung resultiert. Es geht um die Frage, inwieweit zusätzliche Investitionen eine Ausweitung des Produktionspotenzials bewirken und eine neue Nachfrage schaffen. Eine Kapazitätserhöhung ist auf das Ausmaß der Investitionen zurückzuführen.

Nicholas Kaldor (1908–1986) stellte die These auf, dass es endogene Faktoren gibt, die in Form einer veränderten Einkommensverteilung dafür Sorge tragen, dass der Wachstumsprozess stabil verläuft.[11] Das Modell von Kaldor wird im Folgenden kurz dargestellt.

Ausgangspunkt des Modells sind die Investitionen. Es wird die ex post-Gleichheit von Ersparnissen und Investitionen angenommen. Mit anderen Worten: in einer Volkswirtschaft muss nach Abschluss einer Periode z.B. am 31.12. all das Kapital, das von den privaten Haushalten, den Unternehmen und dem Staat gespart wurde, von diesen investiert worden sein (Terlau et al. 2013). Kaldor geht davon aus, dass die Investitionstätigkeit vom Zins abhängt. Wenn der Zins zulegt, wird das Entleihen von Kapital auf dem Kapitalmarkt kostspieliger. Ein Unternehmer wird abwägen, ob die erwartete Rendite der geplanten Investitionen so hoch ist, dass die Fremdkapitalkosten wenigstens gedeckt sind. Hinsichtlich der Sparfunktion unterscheidet er das Verhalten der Lohneinkommensbezieher von dem der Bezieher von Gewinn- und Vermögenseinkünften. |17|Kaldor nennt diese Einkommen Profiteinkommen. Es gilt die Annahme, dass die Sparneigung der Bezieher von Lohneinkommen geringer ist als die der ‚Profiteinkommensbezieher‘. Dies hängt mit der Beobachtung zusammen, dass Lohneinkommensbezieher tendenziell ein geringeres Einkommen erwerben und der Anteil der Konsumausgaben an diesem Einkommen höher ist als ‚Profiteinkommensbeziehern‘. Insofern können die Lohneinkommensbezieher nur einen geringeren Anteil ihres Einkommens sparen als die Profiteinkommensbezieher. Die Investitionstätigkeit kann annahmegemäß bestimmt werden, indem der tatsächlich vorhandene Kapitalstock mit dem idealerweise vorhandenen Kapitalstock verglichen wird. Es wird unterstellt, dass dieser optimale Kapitalstock während einer Periode erreicht werden kann. Das bedeutet, dass der tatsächliche Kapitalstock zu Beginn einer Periode dem optimalen Kapitalstock der Vorperiode entspricht. Die Produktionshöhe der Vorperiode ist nun für das Investitionskalkül und damit für den Kapitalstock in der aktuellen Periode ausschlaggebend. Der Anteil des Profiteinkommens der Vorperiode am Kapitalstock der Vorperiode wird zur Ermittlung der Profitrate mit der Produktionshöhe der Vorperiode multipliziert. Kaldor nimmt an, dass der optimale Kapitalstock bzw. die Investitionstätigkeit von der Produktionshöhe und von der Profitrate abhängen. Mit Hilfe der Sparquote, dem Anteil der Ersparnis am Volkseinkommen, und der Investitionsquote, dem Anteil der Investitionen am Volkseinkommen, kann nach Kaldor analysiert werden, ob ein stabiles Wachstumsgleichgewicht erreicht werden kann.

Es gilt weiterhin die Annahme, dass die Investitionen gleich der Ersparnis sind. Die gesamtwirtschaftliche Sparquote setzt sich aus der gewichteten Sparneigung der Lohneinkommensbezieher und der Sparneigung der ‚Profitbezieher‘ zusammen. Beide Sparneigungen sind einkommensabhängig und unterschiedlich. Unter Berücksichtigung der Kapitalintensität und des Anteils der Profiteinkommen am Kapitalstock kann die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote ermittelt werden. Für beide relativen Größen liegen lineare Zusammenhänge vor. In der grafischen Darstellung haben beide Funktionen einen positiven Y-Achsenabschnitt und eine positive Steigung. Im Punkt (P/Y)* liegt ein Gleichgewicht vor, wobei P/Y die Profitquote ist. Hat sich die Wirtschaft zu diesem Gleichgewicht zwischen Spar- und Investitionsquote hin entwickelt, dann ist auch die Einkommensverteilung zwischen Lohneinkommen und ‚Profiteinkommen‘ stabil. Wenn jedoch der Anteil der ‚Profiteinkommen‘ am Volkseinkommen höher ist als im Gleichgewicht, dann ist die Ersparnisbildung größer als die Investitionstätigkeit. Dies führt zu sinkenden Preisen mit der Folge, dass die Unternehmen aufgrund sinkender Gewinnerwartungen weniger investieren. Die sinkende Investitionstätigkeit beinhaltet, dass die Profitquote P/Y fällt. Der Prozess läuft, bis die gleichgewichtige Profitquote erneut erreicht ist. Kaldor nimmt demnach in seinem Modell an, dass Preisveränderungen Anpassungen der Einkommensverteilung auslösen. Diese sorgen einerseits für eine Verhaltensänderung der Wirtschaftssubjekte hinsichtlich der Ersparnisbildung. Andererseits verändert sich durch Preisbewegungen die Investitionsnachfrage. Mit Hilfe des Akzelerators führt dies erneut zum alten Gleichgewicht mit der Profitquote (P/Y)*.

|18|Abbildung 6:

Spar- und Investitionsquote im Wachstumsmodell von Kaldor (Quelle: Eigene Darstellung nach Jürgen Heubes, Konjunktur und Wachstum, München 1991, 162).

Nachdem Kaldor zunächst die konjunkturelle Stabilität seines Modells nachgewiesen hat, versucht er in einem zweiten Schritt, die langfristigen Angebotsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft einzubeziehen. Kaldor nimmt an, dass die langfristige Wachstumsrate der Produktion bei konstantem Arbeitseinsatz – schließlich ändert sich das Erwerbstätigenpotenzial nur in der sehr langen Frist – von der Veränderung des Kapitalstocks abhängt. Die Wachstumsrate des Kapitals bzw. die Zunahme des Kapitalstocks hängt, so Kaldor und eine Vielzahl weiterer Ökonomen, vom technischen Fortschritt ab. Ein gleichgewichtiges Wachstum ist in dem Fall erreicht, in dem die Wachstumsraten von Output und Kapital übereinstimmen. Jedoch steigt die Wachstumsrate des Outputs infolge zunehmender Probleme bei der Umsetzung technischen Fortschritts unter Umständen nur unterproportional im Vergleich zur Wachstumsrate des Kapitals. Das bedeutet, dass die Kapitalproduktivität, d.h. das Verhältnis zwischen der Produktion und dem Kapitaleinsatz, während des Anpassungsprozesses zum gleichgewichtigen Wachstum zunimmt. Werden die Bedingungen der Investitionsquote erneut in die Überlegungen zur langfristigen Veränderung des Kapitalstocks einbezogen, dann kann sich die Wachstumsrate des Kapitalstocks der Wachstumsrate der Produktion anpassen. Hinsichtlich der Profitquote ergibt sich unter Beachtung der Sparquote und der Identität von Ersparnis und Investitionen, dass die Investitionsquote und auch die Profitquote während des Anpassungsprozesses ansteigen. Dies bewirkt eine weitere Beschleunigung der Anpassung. Diese Zusammenhänge weisen darauf hin, dass der langfristige Gleichgewichtspfad gemäß den Überlegungen von Kaldor stabil ist. Wenn die Wachstumsraten des Outputs und des Kapitalstocks voneinander abweichen, treten Anpassungsprozesse in Kraft, die zu einem gleichgewichtigen Wachstum hinführen. Der dargestellte Wachstumsprozess wird nach Kaldor immer wieder auf den langfristigen Gleichgewichtspfad zurückgeführt, auf dem das BIP und der Kapitalbestand mit der gleichen Rate wachsen.

|19|Kaldor stellte die These auf, dass endogene Faktoren existieren, die in Form einer veränderten Einkommensverteilung dafür Sorge tragen, dass der Wachstumsprozess stabil verläuft. Nachdem er gezeigt hat, dass Preisveränderungen Anpassungsprozesse hinsichtlich der Einkommensverteilung bewirken, legt er dar, dass gleichgewichtiges Wirtschaftswachstum auf dem gesamtwirtschaftlichem Güterangebot und der gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage basieren. Kaldor bestätigt die oben genannten stilisierten Fakten und wird damit der Forderung von Heubes gerecht.

1.3.2.2.Das neoklassische Grundmodell

In den neoklassischen Wachstumsmodellen wird nicht mehr wie in dem keynesianischen Modell die Antwort auf die Frage nach der Stabilität des Wachstumsprozesses gesucht, sondern die Antwort auf die Frage, unter welchen Bedingungen stabile Gleichgewichtspfade existieren. Eine Vorhersage des Modells der Wirtschaftswissenschaftler Robert M. Solow (geboren 1924) und Trevor Swan (1918–1989) ist, dass eine Volkswirtschaft umso stärker wachsen kann, je geringer das Pro-Kopf-Einkommen in der Ausgangssituation im Verhältnis zum langfristigen oder gleichgewichtigen Niveau ist. Eine weitere Vorhersage ist, dass das Pro-Kopf-Einkommenswachstum ohne ständige Verbesserungen der Technik stagniert.[12]

In der modellierten Volkswirtschaft wird der Output mit Hilfe von Arbeit und Kapital hergestellt. Es herrscht Vollbeschäftigung. Die Produktionsfunktion ist durch konstante Skalenerträge gekennzeichnet sowie durch fallende Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren und positive und stetig bestimmbare Elastizitäten der Substitution zwischen den Produktionsfaktoren. Die Substitutionselastizität ist ein Maß für die Leichtigkeit, mit der die beiden Produktionsfaktoren bei konstantem Outputniveau gegeneinander ausgetauscht werden können. (In keynesianischen Modellen können die Produktionsfaktoren meistens nicht gegeneinander ausgetauscht werden). Es wird darüber hinaus unterstellt, dass die Grenzerträge der Produktionsfaktoren gleich den jeweiligen Faktorentlohnungssätzen – Lohn für den Einsatz von Arbeit und Rendite für den Kapitaleinsatz – sind. Das Wachstum der Bevölkerung liegt exogen fest, und weil Altersaufbau, Erwerbsquote etc. als konstant gelten, stimmt die Wachstumsrate der verfügbaren Arbeit mit der Wachstumsrate der Bevölkerung überein. Ein konstanter Anteil des BIP wird dem Kapitalstock als Nettoinvestition zugerechnet. Der Rest wird konsumiert. Dem Modell wird eine lineare Produktionsfunktion zu Grunde gelegt. Es gilt die Annahme, dass die Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren ihrer jeweiligen Entlohnung, d.h. Lohn bei der Arbeit und Rendite beim Kapital, entsprechen und konstant sind. Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1000 betragen die Bruttoinvestitionen pro Kopf in der Ausgangssituation 100 und die Abschreibungen auf den Kapitalstock ebenfalls 100 (vgl. Anhang). Weil die Nettoinvestitionen gleich Null sind, verändert sich der Kapitalstock in der Ausgangssituation nicht und damit ist auch das Pro-Kopf-Einkommen konstant. Unter der Annahme, dass die Investitionsneigung in dieser Situation auf 20 Prozent steigt, erhöhen sich im ersten Jahr die |20|Pro-Kopf-Investitionen auf 200, während die Abschreibungen für den Kapitalstock noch bei 100 liegen. Der Kapitalstock pro Kopf nimmt demnach von 1000 auf 1100 (=1000+200–100) zu. Dies steigert auch – allerdings weniger stark – das Pro-Kopf-Einkommen. Dieses beträgt dann 1065. In der zweiten Periode wächst der Kapitalstock nach wie vor, aber weniger stark. Zum einen erhöhen sich die Abschreibungen i.H.v. 10 Prozent auf 110, zumal der Kapitalstock zu Beginn der Periode 2 bei 1100 liegt. Die vom Einkommen abhängigen Investitionen belaufen sich nach wie vor auf 20 Prozent, so dass bei einem Pro-Kopf-Einkommen von 1065 für die Investitionen ein Wert von 213 resultiert. Die Investitionen nehmen damit um 6,5 Prozent gegenüber der Vorperiode zu, also nicht mehr so stark wie zuvor. Das Pro-Kopf-Einkommen steigt auf 1131. Bereits in Periode 3 ergib sich folgendes Resultat: Die Abschreibungen betragen 10 Prozent von 1100+213–110 = 1203, d.h. 120. Die Investitionen liegen bei 20 Prozent von 1131, d.h. sie betragen 226. Der Anstieg beläuft sich nur noch auf 6,1 Prozent gegenüber Periode 2. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt nun bei 1197. Das Pro-Kopf-Einkommen ist auch in Periode 3 gestiegen. Der Anstieg ist allerdings weniger hoch. In Periode 2 betrug er 6,1 Prozent gegenüber Periode 1 und in Periode 3 ist nur noch ein Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens von 5,8 Prozent gegenüber der Vorperiode zu verzeichnen. Auch der Kapitalstock steigt stetig, jedoch mit abnehmenden Wachstumsraten. Dieser Prozess dauert an, bis die Abschreibungen wieder so hoch sind wie die Investitionen. Unter den genannten Bedingungen ist dies in Periode 199 der Fall (vgl. die Berechnungen im Anhang). Hier verharren der Kapitalstock und das Volkseinkommen auf dem gleichen Niveau. Der sogenannte ‚steady state‘, das langfristige Gleichgewicht, ist erreicht. Eine höhere Sparquote kann dem Modell von Solow zufolge keine stetige Erhöhung des Volkseinkommens herbeiführen. Das wirtschaftliche Wachstum nimmt nur für einen bestimmten Zeitraum zu, nicht dauerhaft. Dieses Ergebnis hängt von der Annahme ab, dass der zusätzliche Kapitaleinsatz bei einem unveränderten Arbeitskräfteeinsatz mit abnehmenden Grenzerträgen verbunden ist.

Anfänglich wurde angenommen, dass die Sparquote konstant ist. Diese Annahme wird beibehalten. Es soll allerdings untersucht werden, wie sich die Konsummöglichkeiten bei unterschiedlich hohen, konstanten Sparquoten verändern. Dieser Analyse liegt die Frage zugrunde, welchen Betrag die Wirtschaftssubjekte investieren sollen, wenn sie möglichst viel konsumieren können wollen. Deutlich ist, dass ohne Nettoinvestitionen die Abschreibungen zu einer Verminderung des Kapitalstocks führen. Die Folge wäre, dass auch die Einkommen gegen Null gehen und nicht mehr konsumiert werden könnte. Demgegenüber würde ebenfalls nichts konsumiert werden können, wenn die Wirtschaftssubjekte ihre gesamten Einkommen investierten. Der Kapitalstock würde zwar stark zunehmen, aber auch die Abschreibungen würden steigen. Es müsste laufend viel investiert werden. Das Optimum liegt zwischen der Nullinvestition und dem Verausgaben des gesamten Einkommens für Investitionen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass eine Sparquote von 70 Prozent zu maximalen künftigen Konsummöglichkeiten führt (Bofinger 2011, 55ff.). Diese Sparquote wird als ‚goldene Regel der Kapitalakkumulation‘ bezeichnet. Logisch erscheint eine derart hohe Sparquote nicht. Die deutsche Sparquote liegt durchschnittlich in etwa bei 11 Prozent und gehört im internationalen Vergleich zu den höheren.

|21|Überträgt man diesen Gedanken auf die Analyse unterschiedlich weit entwickelter Volkswirtschaften, so wird deutlich, warum die z.T. relativ hohen Wachstumsraten von Entwicklungsländern mit dem Aufbau ihres Kapitalstocks erklärt werden können. China kann als ehemaliges Entwicklungsland und heutiges Schwellenland als Beispiel herangezogen werden: So waren in den 70er und 80er Jahren zweistellige Wachstumsraten eher die Regel als die Ausnahme. Diese Dynamik hat erst in den vergangenen Jahren nachgelassen und Anfang 2016 zu Irritationen auf den Kapitalmärkten geführt.[13] Demgegenüber ist bei Ländern mit einem vergleichsweise hohen Wohlstandsniveau beobachtbar, dass die Wachstumsdynamik weniger hoch ist, weil die Grenzerträge der eingesetzten Produktionsfaktoren zwar positiv sind, der zusätzliche Ertrag aber laufend geringer wird. Es gibt jedoch Ausnahmen. So können der technische Fortschritt und die qualitative Weiterentwicklung des Humankapitals Wachstumsschübe auslösen.

Analytisch bewirkt technischer Fortschritt, dass bei unveränderten Faktoreinsatzmengen ein höherer Output produziert wird. Die Produktionstechnologie kann durch Innovationen optimiert werden. Kontinuierliche Produktinnovationen sind eine ausschlaggebende Bedingung für hohe Unternehmensgewinne. Befördert wird eine kontinuierliche Innovationsfähigkeit sowohl durch eine unternehmensinterne Forschungs- und Entwicklungspolitik als auch durch eine staatliche Grundlagenforschungs- und Bildungspolitik. Ohne technischen Fortschritt können in entwickelten Volkswirtschaften, die eine sinkende Wachstumsdynamik aufweisen, keine Zuwächse der Pro-Kopf-Einkommen realisiert werden.

Mit technischem Fortschritt und der Entwicklung von Produktinnovationen geht die Qualifizierung des sogenannten Humankapitals, die (Aus-)Bildung der Erwerbstätigen bzw. Erwerbsfähigen, einher. In der neoklassischen Produktionsfunktion wird angenommen, dass der Produktionsfaktor Arbeit eine homogene Größe ist. Eine jede Arbeitsstunde führt immer zum selben Output. Diese Annahme ist bei der weniger abstrakten Modellierung des Modells aufzuweichen. Tatsächlich ist die Verbesserung des allgemeinen Bildungsstandes ausschlaggebend für die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft. So können sinkende Grenzerträge des Kapitaleinsatzes kompensiert werden, indem der zunehmende Kapitalstock von immer qualifizierteren Arbeitskräften genutzt wird. Zudem ist beobachtbar, dass in Volkswirtschaften mit zunehmendem Qualifikationsniveau der Dienstleistungssektor sowohl den primären als auch den sekundären Wirtschaftssektor ‚verdrängt‘. Da der Dienstleistungssektor weniger kapitalintensiv ist, als die beiden anderen Sektoren, nimmt das Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer einen höheren Stellenwert im Produktionsprozess ein. Ein hohes Qualifikationsniveau beinhaltet zeitgleich, dass mehr Produkt- und Prozessinnovationen entwickelt werden können und technischer Fortschritt umsetzbar ist.

Als Schwächen der keynesianischen und der neoklassischen Wachstumstheorie sind der hohe Abstraktionsgrad zu nennen, die Annahme der Exogenität des technischen Fortschritts, das Fehlen der Berücksichtigung des Humankapitals sowie der |22|Verteilung der Einkommen und institutioneller Faktoren. Zudem wird in den Modellen automatisch das wirtschaftliche Wachstum mit der Veränderung der Investitionen gleichgesetzt. Die Wachstumsrate pro Kopf wird vollständig von der Rate des technischen Fortschritts determiniert. Die langfristige Wachstumsrate des Outputniveaus hängt außerdem von der Wachstumsrate der Bevölkerung ab, die jedoch ebenfalls exogen gegeben ist. Der Tatsache, dass die Umwelt durch wirtschaftliches Wachstum geschädigt werden könnte, wird in keinem der Modelle Rechnung getragen. Es liegt also ein Wachstumsmodell vor, das vieles, nur nicht das langfristige Wachstum erklärt.

1.3.2.3.Zum Zusammenhang zwischen Wachstum und erschöpfbaren Ressourcen

Eine Konsequenz des Wirtschaftswachstums, insbesondere seit der Industrialisierung, ist die Schädigung der Umwelt (Miegel 2012). Die Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass die Umweltschäden beseitigt werden, sind vom wirtschaftlichen Wachstum abzuziehen. Das Statistische Bundesamt berücksichtigt diesen Sachverhalt in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Auch in den ökonomischen Theorien findet die Umwelt Berücksichtigung, wobei allerdings häufig eine getrennte Analyse von Umwelt und Wachstum erfolgt. Wenn sie gemeinsam besprochen wuden, diente die Umwelt lange in erster Linie als Abfallraum. Dabei können die Überlegungen zum Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Umweltqualität einfach gehalten werden. So ist eingängig, dass mit steigender Produktion die Umwelt intensiver genutzt wird. Mit zunehmendem Kapitalstock kommt es zu einer Verschlechterung der Umweltqualität. Es können allerdings Investitionen zum Ausgleich der Umweltschädigung in dem Maß getätigt werden, in dem die Grenzkosten der Schadensvermeidung gerade genau dem Grenzschaden aus der Umweltnutzung entsprechen. Ziel ist dabei nicht, die Umweltverschmutzung grundsätzlich zu vermeiden. Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Kosten für die Wiederherstellung des Anfangszustandes dem Verursacher der Umweltschädigung angelastet werden. Der sogenannte externe Effekt, der bei der Produktion von Gütern aus der Umweltnutzung resultiert, soll internalisiert werden. Wird dies durch eine angemessene Umweltpolitik erreicht, ist nachhaltiges Wirtschaftswachstum sichergestellt (vgl. dazu ausführlich Fritsch, Wein und Ewers 2007).

1.3.3Empirische Ansätze zum Wirtschaftswachstum

Die empirische Wirtschaftsforschung bedient sich der Analyse und Beschreibung historischer Entwicklungen. So unterschied Walt W. Rostow (1916–2003) in seinem Buch „The Stages of Economic Growth“ fünf Entwicklungsstufen (Rostow 1960):

1. Stufe:

Die traditionelle Gesellschaft ist von der Agrarwirtschaft bestimmt, in der keine Arbeitsteilung erfolgt.

2. Stufe:

Das aufgeklärte Bürgertum kennt bereits die Vorzüge des Außenhandels, macht sich das Kreditwesen und die Arbeitsteilung zu Nutze.

3. Stufe:

|23|In der Take Off-Phase der wirtschaftlichen Entwicklung entstehen das Unternehmertum und die Investitions- und Sparneigung.

4. Stufe:

Es wird wirtschaftliche Reife im Zuge der allgemeinen Technisierung und der Herausbildung des Managertums erreicht.

5. Stufe:

Der Massenkonsum und die Überflussgesellschaft setzen sich durch.

Rostow hat die wirtschaftliche Entwicklung beschrieben und sich für ein starkes Unternehmertum eingesetzt, da er dieses als maßgeblich für den Anstoß wirtschaftlichen Wachstums anerkannte. Empirische Wirtschaftsanalysen sind quantitativ beschreibend. Bei den Analysen z.B. von Kuznets (vgl. im Kapital 2 den Abschnitt zu den Konjunkturzyklen) und den Berichten der Wirtschaftsforschungseinrichtungen wird immer wieder betont, dass wirtschaftliches Wachstum ein Ergebnis der Anstrengung von Menschen ist, die versuchen, ihren Lebensstandard zu verbessern. Das Tempo des Wachstums ist dabei abhängig vom Verhalten der Wirtschaftssubjekte und vom Ordnungsrahmen:

Risikobereitschaft und Tüchtigkeit;

Qualifikation der Arbeitnehmer;

Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft der Unternehmen z.B. bei strukturellen Veränderungen (Kohlebergbau, Textilindustrie);

Bereitschaft zum Sparen und damit zum Verzicht auf Gegenwartskonsum;

Günstige institutionelle Rahmenbedingungen: Wirtschaftsordnung und -politik können maßgeblich für die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums sein.

1.4Fazit

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steht im Zentrum der Bemessung des wirtschaftlichen Wachstums einer Volkswirtschaft. Die Größe ist angreifbar, weil eine Reihe von Faktoren nicht in die Berechnung einbezogen werden und das BIP z.B. bei Berücksichtigung des Freizeitnutzens höher bzw. bei Berücksichtigung von Umweltschäden geringer ausfallen müsste. Gleichwohl dient das BIP in gewissem Maße dazu, verschiedene Volkwirtschaften und deren Entwicklungen vergleichen zu können.

Versucht man, neben dem Messen des wirtschaftlichen Wachstums dessen Entwicklung zu prognostizieren, stößt man erneut an Grenzen. Es können Daten aus der Vergangenheit analysiert werden, um daraus für die Zukunft Aussagen zu treffen. Die ableitbaren stilisierten Fakten zeigen Entwicklungsmuster auf. Auch Wachstumstheorien sollen helfen, den Prozess des Wachstums, den Verlauf, zu erklären. In der Regel abstrahieren die Modelle sehr stark von der Wirklichkeit, damit einfache Aussagen getroffen werden können. So werden üblicherweise die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in die Analyse einbezogen und aus deren Zusammenspiel Ergebnisse hergeleitet. Die Neoklassiker gehen dabei von abnehmenden Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren aus und arbeiten in der langen Frist, während die keynesianischen Modelle eher kurzfristig orientiert sind und über Nachfrageveränderungen z.B. im Wege zusätzlicher Investitionen argumentieren. Allen Modellen gemein ist, dass sie Schwierigkeiten haben, das wirtschaftliche Wachstum zu prognostizieren. |24|Eine Mischung aus Theorie und Praxis scheint daher angemessen und verhilft über empirische Daten dazu, passende Wachstumspolitiken zu entwickeln.

Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzpunkte der Wachstumspolitik: die Ausdehnung des Angebots an Gütern, d.h. Verbesserung der Produktionsbedingungen (geht auf die sog. neoklassische Wirtschaftstheorie zurück) sowie die Ausdehnung der Nachfrage nach Gütern, d.h. direkte oder indirekte Einflussnahme auf die Güternachfrage (geht auf den Keynesianismus zurück). Eine nachfrageseitige Wirtschaftspolitik könnte darin bestehen, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch Steuersenkungen anzuregen bzw. die Investitionsausgaben z.B. durch Zinssenkung zu erhöhen. Diese Politiken setzen an der Verwendungsseite des BIP an, d.h. an der Formel

BIP = CH + CG + I + (Ex – Im)

Auch die Staatsnachfrage kann z.B. durch Haushaltsbeschlüsse zum Anstieg der Bildungsausgaben bzw. über die Steigerung der Nettoexporte (z.B. durch Wechselkurspolitik) erhöht werden. Ziel ist die Abschwächung (kurzfristiger) konjunktureller Schwankungen und eher nicht das (langfristige) Wachstum.

Eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik zielt darauf ab, die Möglichkeiten und Anreize für die Unternehmen, ein hohes Güterangebot zu produzieren, zu fördern. Politikbereiche können die Verbesserung des Humankapitalstocks, insbesondere Förderung von Bildung und Ausbildung, die Förderung des technischen Fortschritts, insbesondere Förderung von Forschung und Entwicklung, die erleichterte Realkapitalbildung, etwa öffentliche Bereitstellung einer Infrastruktur sowie Stärkung des Wettbewerbs und Deregulierung sein (vgl. Kapitel 10).

Das Wirtschaftswachstum und die Wachstumspolitiken sind mehr denn je sehr wichtige Forschungs- und Politikfelder. Mit der Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA durch das Platzen der Immobilienblase losgetreten wurde, und den folgenden Staatsschuldenkrisen der USA und einer Vielzahl europäischer Staaten hat sich herausgestellt, dass die Theorien und die Schlussfolgerungen für die Politik zu überdenken sind. Offenkundig bedarf der ‚freie‘ Markt vor dem Hintergrund der Globalisierung und der internationalen Verflechtung der Güter- und Kapitalmärkte eines flexiblen ordnungsrechtlichen Rahmens. Ein Beispiel für den flexiblen Umgang mit makroökonomischen Krisen ist die konzertierte Aktion der Franzosen, Spanier, Italiener und Deutschen im Herbst 2009: Es wurden Konjunkturpakete geschnürt, um einen scharfen Einbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten zu vermeiden. Dies und weitere Aspekte werden im folgenden Kapitel zur Konjunktur besprochen.

[Zum Inhalt]

|25|Kapitel 2:Wie entsteht eine Rezession?

2.1Was ist ein Konjunkturzyklus?

„[…] im Jahr 2014 [wird sich] die konjunkturelle Lage in Deutschland voraussichtlich aufhellen. Während für das Jahr 2013 lediglich ein Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 0,4 Prozent erwartet wird, prognostiziert der Sachverständigenrat für das Jahr 2014 einen Zuwachs von 1,6 Prozent. (SVR2013)“

Dies war der Stand im Sommer 2013. Schaut man sich die Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung rückblickend an, dann ist festzustellen, dass das BIP2013 um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt hat und 2014 tatsächlich um 1,6 Prozent. Sieht man in das Gutachten des Sachverständigenrates 2014/15 ‚Mehr Vertrauen in Marktprozesse‘, dann waren die Erwartungen für die Zukunft eher pessimistisch:

Nach einem überraschend guten Start in das Jahr 2014 hat die deutsche Konjunktur einen deutlichen Dämpfer erhalten. Hierfür dürften die geopolitischen Risiken ebenso eine Rolle gespielt haben wie die ungünstige Entwicklung im Euro-Raum. Über Vertrauenseffekte könnte sich zudem der von der Bundesregierung eingeschlagene Kurs in der Energiepolitik sowie in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik negativ bemerkbar gemacht haben. Im Jahr 2015 dürfte sich die verhaltene wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen; der Sachverständigenrat rechnet mit einer Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts von 1,0 Prozent. (SVR2014)

Tatsächlich ist das BIP im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um 1,7 Prozent gestiegen. Für das Jahr 2016 korrigiert der Sachverständigenrat seine Konjunkturprognose:

„[…] aufgrund eines etwas schwächeren außenwirtschaftlichen Umfelds leicht nach unten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland wird nach Einschätzung des Rates um 1,5 Prozent wachsen, also um 0,1 Prozentpunkte weniger als im Jahresgutachten 2015/16 prognostiziert. Für das Jahr 2017 wird ein etwas höherer BIP-Zuwachs von 1,6 Prozent erwartet.“ (SVR2016b)

Tatsächlich ist das BIP2016 um 1,9 Prozent gewachsen.

Konjunkturschwankungen, wie sie in den Zitaten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus dem Herbst des Jahres 2013 sowie 2014 und in der Pressemitteilung aus dem Frühjahr 2016