Malteser Morde - Joyce Summer - E-Book
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Malteser Morde E-Book

Joyce Summer

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Beschreibung

BLUTIGE MORDSERIE UNTER DER SONNE MALTAS Die Cafébesitzerin Pauline ist wieder auf Reisen, diesmal mit ihrer Mutter. Aber schon am zweiten Tag stößt sie mitten auf der Promenade auf einen abgetrennten Kopf, aufgespießt auf einen Pfahl. Hat der grausame Fund etwas mit Maltas blutiger Vergangenheit zu Zeiten der Kreuzfahrer zu tun? Pauline ermittelt auf eigene Faust, denn die einheimische Inspektorin Lucchese nimmt die Sache nicht ernst und flirtet lieber mit Paulines Urlaubsbekanntschaften. Zum Glück bekommt Pauline Unterstützung von dem Profiler Nick Aquilina. Dennoch können sie nicht verhindern, dass weitere Morde die Insel erschüttern. Pauline und Nick müssen sich beeilen, den Serienmörder zu stoppen, denn die Wahl seiner Opfer ist nicht so zufällig wie es zunächst scheint …

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Malteser Morde

Kriminalroman

Joyce Summer

Zu diesem Buch:

Die Cafébesitzerin Pauline ist wieder auf Reisen, diesmal mit ihrer Mutter. Aber schon am zweiten Tag stößt sie mitten auf der Promenade auf einen abgetrennten Kopf, aufgespießt auf einen Pfahl. Hat der grausame Fund etwas mit Maltas blutiger Vergangenheit zu Zeiten der Kreuzfahrer zu tun? Pauline ermittelt auf eigene Faust, denn die einheimische Inspektorin Lucchese nimmt die Sache nicht ernst und flirtet lieber mit Paulines Urlaubsbekanntschaften.

Zum Glück bekommt Pauline Unterstützung von dem Profiler Nick Aquilina.

Dennoch können sie nicht verhindern, dass weitere Morde die Insel erschüttern. Pauline und Nick müssen sich beeilen, den Serienmörder zu stoppen, denn die Wahl seiner Opfer ist nicht so zufällig wie es zunächst scheint. 

 

Über die Autorin:

Joyce Summer lebt ihren Traum mit Krimis, die in sonnigen Urlaubsorten spielen. Politik und Intrigen kennt sie nach jahrelanger Arbeit als Projektmanagerin in verschiedenen Banken und Großkonzernen zur Genüge: Da fiel es Joyce Summer nicht schwer, dieses Leben hinter sich zu lassen und mit Papier und Feder auf Mörderjagd zu gehen.

Die Fälle der Hamburger Autorin spielen dabei nicht im kühlen Norden, sondern in warmen und speziell ausgesuchten Urlaubsregionen, die die Autorin durch lange Aufenthalte gut kennt. Die Nähe zu Wasser hat es Joyce Summer angetan. Sei es in ihren Büchern, die immer Schauplätze am Wasser haben, oder im echten Leben beim Kajakfahren auf Alster und Elbe.

April 2016 Zweite Auflage: August 2017 Dritte Auflage: Juli 2019

Copyright Text

© Joyce Summer 2016 

Umschlaggestaltung:

Catherine Strefford | www.catherine-strefford.de – im Auftrag für BoD

 

 

Joyce Summer

c/o AutorenServices.de

König-Konrad-Str. 22

36039 Fulda

 

www.joycesummer.de 

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, fotografischen oder elektronischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften und Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen, auch einzelner Text- und Bildteile und der Übersetzung in andere Sprachen

 

Bereits erschienen:

Mord auf der Levada – Paulines erster Fall

Madeiragrab – Comissário Avila ermittelt

Tod am Kap – Captain Pieter Strauss ermittelt 

Madeirasturm – Comissário Avilas zweiter Fall Paulines Weihnachtszauber – Eine weihnachtliche Kurzgeschichte 

Schauplätze von »Malteser Morde«

Valletta – »Great Siege« und heute

 

Prolog

Der Bussard stieg von unterhalb der Klippe empor und landete auf einem längst verdorrten Olivenbaum, dessen trockene Überreste sich einem weißlichen Gespenst gleich an den kargen Felsen klammerten. Mit leicht schräg gelegtem Kopf betrachtete er die Szenerie vor sich. Zwei Wesen, von denen der Bussard wusste, dass sie Gefahr für ihn bedeuten konnten, standen auf dem Kliff.

Etwas seltsam kam sich Danil schon vor. Hier stand er nun direkt auf dem Dingli Cliff und posierte in einem wallenden weißen Gewand. Für ihn sah es fast wie ein Nachthemd aus, aber es sollte wohl ein historisches Kostüm darstellen. Und diese furchtbaren Pumphosen. Was sollte das nur? Selbst diesem großen Vogel, der da auf dem vertrockneten Baum saß, schien seine Aufmachung seltsam vorzukommen. Warum sonst musterte er ihn so genau?

Hinter sich hörte er wie die Wellen mit einem nassen Rauschen an der Klippe brachen. Die Sonne ging gerade unter und tauchte den kargen ausgedörrten Boden um ihn herum in ein rötliches Licht. Die Abend- und Morgenstunden waren die Zeiten, in denen Malta seine wahre Schönheit zeigte. Vergessen war die öde Dürre der steinigen Insel. Morgen und Abend verwandelten den Stein des Mittelmeeres zu Gold.

Das Dingli Cliff war ein sehr beliebtes Ausflugsziel für Touristen, da es der höchste Punkt der Maltesischen Küste war. Von hier ging es über zweihundertfünfzig Meter steil hinunter. Der Blick über die Kante war wirklich spektakulär. Aber heute waren sie die einzigen, die sich hier oben aufhielten. Das mochte auch mit dem kalten kräftigen Wind zusammen hängen, der heute, völlig untypisch für diese Jahreszeit, vom Meer her über die Klippen wehte.

Danil fing an zu frösteln. Wieso dauerte das so lange? Das hatte er sich anders vorgestellt.

Sein Gegenüber ließ sich Zeit. Langsam fragte sich Danil, ob es eine gute Idee gewesen war, heute den Abend mit Myah sausen zu lassen und stattdessen hier herumzustehen. Würde ihn das wirklich weiter bringen? Er dachte an Myahs weichen warmen Körper und spürte, wie es ihn erregte. Nein, er sollte das hier jetzt beenden und nach St. Julians zu ihr fahren. Wenn er sich beeilte, konnte er noch vor zehn bei ihr sein.

»Ich denke, wir sollten das jetzt abbrechen. Ich habe meiner Freundin gesagt, dass ich noch heute Abend zu ihr gehe. Sie wird sicher langsam ungeduldig. Und glaub mir, wenn sie erst schlechte Laune hat, bekomme ich heute Nacht bestimmt nicht mehr das, was ich von ihr möchte. Du weißt was ich meine, oder?« Er grinste.

Der andere schien ihn gar nicht gehört zu haben, zumindest zeigte er keinerlei Reaktion.

Wieder fragte sich Danil, was der Typ da wohl machte. Die Ausrüstung sah wirklich beeindruckend aus. Aber Danil kannte sich mit so etwas auch nicht aus und konnte es daher nicht wirklich beurteilen. Er schaute hinüber zu dem anderen. Durch das schwarze Tuch und den großen Kasten konnte Danil nur die Beine sehen. Vielleicht hatte er ihn wegen des Tuches nicht gehört?

Er versuchte es noch einmal, diesmal lauter:

»Hallo, hast du gehört? Ich möchte das hier jetzt abbrechen. Lass es uns ein anderes Mal probieren. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung. Mein Magen knurrt und die Sonne blendet mich.«

»Hast du deiner Freundin gesagt, was du heute Abend machst? Ich dachte, du hattest sie überraschen wollen?«, klang es dumpf unter dem Tuch hervor.

»Nein, ich habe ihr nichts gesagt. Nur, dass ich heute Abend einen geschäftlichen Termin habe. Und da ich ihr nie Einzelheiten vom Geschäft erzähle, weil es sie langweilt, hat sie auch nicht nachgefragt.«

»Also weiß sie nicht, dass du hier an den Dingli Klippen bist?«

»Nein, wie gesagt, wenn alles fertig ist, überrasche ich sie.« Was wollte der Typ, warum ritt er so auf dieser Tatsache herum. Danil spürte, wie ihm ein Unbehagen, einem kalten Schauer gleich, den Rücken hinauf kroch. Er hätte zu Hause bleiben sollen.

»Sehr gut. Ich denke, dann können wir jetzt weiter machen.« Kaum hörbar erklang die Stimme des anderen.

»Wieso weiter machen, ich habe dir doch gesagt, ich möchte jetzt gehen.« Danil merkte, wie das Unbehagen langsam der Hitze einer aufsteigenden Wut wich. Was sollte das Ganze?

»Ich denke nicht, dass du jetzt gehst.« Klar und kalt klang die Stimme.

Danil schaute ihn verdutzt an, was hatte er da gesagt? Er musste sich verhört haben.

»Ja, genau das ist es, gut so. Genau diesen Gesichtsausdruck möchte ich haben. Halt still.«

Vorne aus dem Kasten schoss etwas heraus. Es gab einen Knall, und Danil fiel hinten über. Kurz schlug der Bussard mit den Flügeln, blieb aber auf seinem Ast sitzen. Das hatte nicht ihm gegolten. Ausgestreckt lag Danil in dem weißen Gewand auf dem Rücken. Ganz kurz blitzte noch ein Gedanke in ihm auf. Ein Bedauern, dass er sich darauf eingelassen hatte. Aber dann verflog auch dieser flüchtige Gedanke, und es überkam ihn eine völlige Ruhe. Alles um ihn herum färbte sich grau, und selbst das Meer hörte auf zu rauschen. Mit dem Blick auf den Vogel, der ihn immer noch prüfend betrachtete, entglitt er ins Dunkel.

Beinahe nichts störte die Makellosigkeit seiner klaren Gesichtszüge. Außer dem kleinen roten Rinnsal von Blut, das jetzt aus dem Loch auf seiner Stirn quoll und sich langsam in Richtung seiner im Tod noch vor Erstaunen weit aufgerissenen braunen Augen bewegte.

»Da habe ich die Entfernung doch gut eingeschätzt«, brummte der andere und kam unter dem Tuch hervor. »Jetzt kann ich es vollenden. Du wirst stolz auf mich sein.«

Von seinem Baum schaute der Bussard auf das Wesen, das mit ausgestreckten Armen auf dem Boden lag herab. Nicht wertend, ohne Trost, blickte er einfach nur hinunter. Dann reckte er seine Flügel und mit einem kurzen Schlag schwebte er über das offene Meer davon.

 

 

Der Junge 1

Heute war ein besonderer Tag: sein 10. Geburtstag. Es fing schon damit an, dass sein Vater ihn heute Morgen in den Arm genommen und ihm eine Überraschung versprochen hatte.

Das tat er sonst nie.

»Willst du heute ein Spiel mit mir spielen, mein Sohn? Dann habe ich eine Überraschung für dich.« Geradezu feierlich übergab er ihm einen Briefumschlag.

»Was ist das, Papa?«, fragte der Junge erstaunt.

»Deine erste Aufgabe. Lies sie und überrasche mich. Wenn es mir gefällt, fahren wir heute Abend in die Stadt und feiern deinen Geburtstag. Wenn nicht, versuchst du es nächstes Jahr wieder.« 

Gespannt nahm der Junge den Umschlag entgegen. Mit etwas zittrigen Fingern riss er ihn auf und sah auf die Karte.

»Und, hast du aufgepasst? Weißt du, was ich möchte? Spiel es mir heute Nachmittag vor. Du wirst sehen, das wird ein großer Spaß.« 

Der Junge lief in sein Zimmer und holte seine Puppen heraus. Er würde seinen Vater nicht enttäuschen, nein, nicht dieses Mal.

 

03.06.1565 – Früh morgens St. Elmo

Die Sonne zeigte sich gerade erst am Himmel, als der hohe, klagende Schlachtruf der Janitscharen über die Zinnen von St. Elmo wehte. Der Kommandant, De Guerras, blickte hinunter und sah, wie sich eine wogende Menge aus weiß gewandeten Kriegern auf der Vorschanze des Forts ausbreitete. Seit drei Tagen setzte Mustafa Pascha, einer der beiden Kommandanten des osmanischen Heeres, diese Elitetruppe ein. Seitdem schien St. Elmo in Feuer und Blut getaucht zu sein. De Guerras kannte diese Truppen aus früheren Schlachten, die er gegen die Osmanen geschlagen hatte. Er wusste, dass ihre Kampfkraft und Erbarmungslosigkeit kein Mythos, sondern erschreckende Realität war. Ursprünglich waren sie die Söhne von christlichen Kriegsgefangenen, die der Sultan den Eltern weggenommen hatte. Auch jetzt noch stellten die christlichen Untertanen diese Armee aus ihren Söhnen. Alle fünf Jahre wurden Jungen, die das siebte Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, gemustert. Die Vielversprechendsten von ihnen wurden dann nach Konstantinopel gebracht. De Guerras hatte gehört, dass sie dann unter härtestem Drill zu Enthaltsamkeit und striktem Gehorsam erzogen wurden. Diese Bedingungslosigkeit, ohne die geringste Furcht um ihr eigenes Leben, musste der Kommandant insgeheim bewundern. Sie brannten eindeutig darauf, für ihren Sultan in die Schlacht zu ziehen. De Guerras fragte sich, ob er noch für seinen Großmeister und seinen Glauben nach diesen Schlachten brannte. Hatte er nicht schon längst genug gesehen? Seine Männer bewunderten ihn, das spürte er Tag für Tag. Merkten sie, dass er langsam des Krieges müde wurde? Er sich immer öfter fragte, ob sie dieser Übermacht wirklich Stand halten konnten? Diese Janitscharen, ihre Menge schien endlos zu sein. Ironischerweise waren sie in ihrer kriegerischen Ausbildung und der gelebten Enthaltsamkeit ohne Familie ihm und den anderen Johannitern nicht unähnlich. Dennoch wirkten sie durch ihre wallenden Gewänder und ihren furchtbaren Kriegsruf wie eine Armee von Geistern. Der Kommandant wusste, dass viele der jüngeren Ritter sich insgeheim vor diesen scheinbar Unbesiegbaren fürchteten. Sie erstarrten fast, wenn sie deren Rufe hörten.

 

Er kehrte aus seinen Gedanken zurück in die Schlacht: Die Janitscharen mussten die Verteidiger im Schlaf überrascht haben. Er wandte sich an den groß gewachsenen Colonel Mas, der schweigend neben ihm gestanden hatte und wie er angespannt in die Richtung starrte, aus der die Schlachtrufe kamen: »Wissen wir etwas über unsere Männer außerhalb der Mauer?«

Der schweigsame Ritter der provenzalischen Zunge schüttelte nur den Kopf.

»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Jetzt müssen wir das Fort verteidigen, koste es, was es wolle!«

Mas zeigte hinunter auf die Bohlenbrücke, auf der die ersten Janitscharen mit Leitern in Richtung Fort stürmten. Mit Schrecken sah De Guerras, dass das Fallgitter, welches das Fort von der den Graben überspannenden Bohlenbrücke trennte, noch nicht geschlossen war.

»An die Kanonen, sofort, und schließt das verdammte Fallgitter!«, schrie De Guerras. Es durfte nicht sein, dass sie das Fort durch einen so dummen Fehler verlieren würden.

Er nahm sein Schwert und stürzte mit Mas und einigen anderen Rittern in Richtung Gitter. Von oben setzte das Donnern der Kanonen ein. Ob sie die Invasion würden aufhalten können?

Die Menge der Janitscharen schien unerschöpflich. Die Bohlenbrücke war übersät mit Kriegern. Ein Derwisch feuerte sie mit dem Ruf an: »Löwen des Islam! Kämpft!« Unbeeindruckt von den toten Körpern ihrer Kameraden, die sie beiseite stießen, um über die Brücke zu gelangen, kamen die Janitscharen immer näher.

»Bereitet die Griechischen Feuer vor! Aber wartet auf mein Kommando, sie müssen nah genug sein!« De Guerras Stimme hallte wie ein dunkles Grollen über das Fort.  

Ein großer Teil der Janitscharen hatte es mittlerweile, trotz des heftigen Abwehrfeuers, vor das jetzt geschlossene Fallgitter geschafft.

Der Derwisch schrie: »Lasst das Schwert des Herrn ihre Seelen von ihren Leibern, ihre Köpfe von ihren Rümpfen trennen!« Sie schossen durch das Gitter und De Guerras sah, wie sie auch im Inneren des Forts ihre Opfer fanden.

»Sind die Feuer bereit?« Der Kommandant blickte zu den Zinnen der Mauer, auf der sich mittlerweile maltesische Soldaten mit Töpfen voller Griechischer Feuer positioniert hatten. Der Geruch von Salpeter und Terpentin breitete sich aus. Die Mischung, zusammen mit dem enthaltenen Ammoniak und Pech, würde riesengroße Flammen entwickeln, sobald sie entzündet war. De Guerras gab das Zeichen, die Dochte in den Töpfen anzuzünden und auf die Janitscharen zu schleudern.

Die Wirkung war verheerend. Die wallenden weißen Gewänder fingen Feuer. Die Janitscharen rannten, menschlichen Fackeln gleich, schreiend und fast besinnungslos vor Schmerz umher. Viele von ihnen fielen in den Wallgraben. Andere entzündeten beim kopflosen Zurückweichen vor dem Feind ihre nachstürmenden Kameraden.

Es war ein furchtbares Inferno. Der süßliche Geruch des verbrannten Fleisches erfüllte die Luft, gepaart mit dem beißenden Geruch des Ammoniaks. Einige der jungen Soldaten mussten sich beim Anblick der verkohlten Leichen übergeben. De Guerras erinnerte sich, dass es ihm in seiner ersten Schlacht vor vielen Jahrzehnten ähnlich ergangen war. Sie waren noch so jung. War es wirklich fair von so alten Männern wie dem Großmeister und ihm, diese jungen Männer in den fast sicheren Tod zu führen?

Bis zum Mittag ließ Mustafa seine Männer gegen das feuerspeiende St. Elmo anlaufen. Er kannte keine Gnade, auch nicht für die Seinen.

Erst als sich am Nachmittag der Rauch der Feuer verzog, konnte De Guerras das wahre Ausmaß dieses Tages sehen. Die Brustwehren waren übersät von Gedärmen und Gliedmaßen der im Geschützfeuer in Stücke gerissenen Männer. Sie würden die ganze Nacht brauchen, um ihre Toten zu verbrennen. Wie in all den Nächten zuvor durfte er wieder keine christlichen Begräbnisse erlauben. Die Seuchengefahr war zu groß. Die Verluste der Türken waren noch schrecklicher. Sie hatten fast dreitausend Mann verloren. De Guerras fragte sich, wieviele solcher Tage seine geschwächten Männer noch durchstehen konnten. Zum Glück waren die Johanniter auch in der Krankenpflege ausgebildet und konnten die Verletzten zumindest notdürftig versorgen. Bei vielen von ihnen zweifelte er jedoch, dass sie den nächsten Tag überleben würden. Die Zahl seiner kampffähigen Männer wurde von Tag zu Tag geringer.

Mit Blick auf das Banner des Sultans, welcher über dem Ravelin wehte, rief De Guerras:

»Die Bohlenbrücke muss abgebrannt werden. Über diesen Weg darf niemand mehr ins Fort gelangen.«

Dass damit auch für die Besatzung einer der Fluchtwege aus dem Fort verloren war, war allen nur zu bewusst.

 

02.08.2012 – 01:42 Malta

Er sah zu, wie die Flammen das weiße Gewand entzündeten. War es, wie er es sich vorgestellt hatte? Er hatte eine riesige Fackel sehen wollen, aber es brannte nicht so, wie er es erwartet hatte.

Wahrscheinlich hätte er in die Flüssigkeit zum Tränken des Gewandes mehr Schwefel mischen müssen. Dies entsprach in keiner Weise dem Bild in seinem Kopf. Er war unzufrieden mit sich. Warum hatte er nicht besser geplant? Der Beginn auf der Klippe war so perfekt gewesen. Die Flammen knisterten leise, als sie die Haare erreichten. Immerhin breitete sich jetzt auch ein Gemisch von unterschiedlichen Düften aus. Er atmete tief ein. Dieses vielschichtige Bukett wollte er in seinem Gedächtnis halten. Er roch das Süßliche des verbrannten Fleisches, durchsetzt mit dem scharfen Gestank verkohlter Haare und dem holzigen Geruch versengter Nägeln.

Ob er so dem Erlebnis der Überlebenden von damals nahe kam?

Er fühlte in sich hinein. Er hoffte Befriedigung zu finden. Aber dort war nur Leere. Auf einmal wusste er, was er falsch gemacht hatte. Der Tod war viel zu schnell gekommen. Es war von menschlichen Fackeln die Rede gewesen. Fürchterliche Todesschreie, die Stunden andauerten. Dies hier war nur noch totes Gewebe, das brannte. So hatte er den Übergang vom Leben zum Tod nicht spüren können. Die Inszenierung allein reichte nicht aus, beim nächsten Mal musste es mehr sein. Es war zu schnell gegangen, er musste geduldiger werden.

 

Ruhig drehte er sich um und ließ sein brennendes Opfer hinter sich. In der Ferne hörte er die Sirenen. In seinem Kopf formte sich ein Bild. Ja, er würde lernen und es besser machen.

 

 

23.08.2012 – 11:12 Flughafen Luqa, Malta

Pauline schaute hinunter auf die Insel. Das war so ganz anders als Madeira. Der Boden war fast durchgehend sandfarben, es gab viele Häuser und kaum Grün. Es erinnerte sie an Ägypten, dort war es ähnlich karg. In ihrem Reiseführer hatte sie gelesen, dass die Insel weniger Grundwasser hatte als der arabische Staat, was den Eindruck aus der Luft erklärte.

Als sie aus dem Flugzeug stiegen und Richtung Flughafengebäude gingen, wehte ein warmer, fast heißer Wind. An der Temperaturanzeige konnte Pauline sehen, dass sie am späten Vormittag schon fast 28 Grad im Schatten hatten. Besorgt drehte sie sich zu ihrer Mutter um. War die Wahl des Urlaubsortes die richtige gewesen? Pauline konnte Hitze gut vertragen, aber ihre Mutter? Paulines Mutter Frauke hielt ihren Sonnenhut fest und strahlte Pauline glücklich an. Sie genoss es, mit ihrer großen Tochter in den Urlaub zu fliegen. Auch wenn ihr insgeheim tatsächlich etwas vor der maltesischen Hitze graute.

Die Koffer kamen, wie immer bei Pauline, als letztes aufs Band. Aber sie hatte beschlossen, sich keinen Stress zu machen. Dieser Urlaub sollte nun wirklich der Entspannung dienen und nicht wie beim letzten Mal mit Ben in einer mörderischen Verfolgungsjagd enden. Gut, sie musste zugeben, das war nicht Bens Schuld gewesen. Eigentlich hatte es viel mehr mit ihrer Neugier zu tun. Und vielleicht auch ein klein wenig damit, dass sie beim letzten Urlaub über eine Leiche gestolpert war. Aber mit ihrer Mutter würde sie sich ohnehin nicht in abgelegenen Gegenden herumtreiben, sondern sich an das Standard-Tourismus-Programm halten. Wahrscheinlich würden sie sich noch nicht einmal ein Auto mieten, da das Bussystem auf Malta gut ausgebaut war – behauptete zumindest der Reiseführer. Außerdem hatte sie Ben versprochen, sich kein Auto auszuleihen. Zum einen sorgte er sich wegen des Linksverkehrs auf Malta, zum anderen wusste er, wie es aussah, wenn Pauline mit ihrer Mutter Auto fuhr. Meistens redeten die beiden Frauen soviel, dass sie sich verfuhren, weil sich keine auf den Weg, geschweige denn auf den Verkehr konzentrierte. So hatte eine einfache Fahrt vom Flughafen Hamburg schon einmal im Nachbarort Norderstedt geendet, statt in der Hamburger Innenstadt. Pauline musste selber zugeben – auch wenn sie zunächst bei Bens Argumenten etwas sauer gewesen war – dass sie keine große Lust hatte, auf Malta mit dem Auto zu fahren. Sie würde die Insel kaum genießen können, wenn sie ständig auf die anderen Autos und den Verkehr achten musste.

 

Mittlerweile standen Pauline und ihre Mutter vor dem Flughafen von Luqa. Dieser lag im Süden der Insel, unterhalb von Valletta und Pauline rechnete damit, dass sie einige Zeit bis zum Hotel in St. Julians, im Norden von Valletta, benötigen würden. Sie winkte einem Taxi, das sie zum Hotel bringen sollte.

Der Taxifahrer freute sich sichtlich, zwei Frauen in seinem Taxi zu chauffieren und verwickelte Pauline und ihre Mutter schnell in ein Gespräch.

»Waren Sie schon einmal auf Malta? Oder ist es Ihr erstes Mal bei uns?« 

»Ich war schon vor längerer Zeit einmal hier. Damals hat es mir schon gut gefallen. Und was ich an Malta wirklich mag, ist der arabische Einfluss, den man überall spürt: beim Essen, in der Sprache«, entgegnete Pauline.

Der Taxifahrer schaute Pauline strafend im Rückspiegel an und hob die Stimme.

»Was, wie kommen Sie denn darauf? Wir sind keine Araber, wir sind Christen.« Er deutete auf ein Kreuz, das gut sichtbar am Rückspiegel baumelte.

Pauline guckte erstaunt, eigentlich hatte sie dem Taxifahrer ein Kompliment machen wollen, aber das schien er gründlich missverstanden zu haben. Egal, sie wollte nicht mit ihm diskutieren. Stattdessen freute sie sich lieber darauf, heute Abend mit ihrer Mutter in einem netten Restaurant im alten Teil von St. Julians zu sitzen und Fenek Stuffat, Maltas berühmten Kaninchenauflauf, zu essen.

Schweigend genossen sie und ihre Mutter den Rest der Fahrt, vorbei an alten sandsteinfarbenen Palästen und modernen, zum Glück ebenfalls sandsteinfarben gehaltenen Neubauten. Es ging zunächst entlang der Küstenstraße durch das alte Valletta, der Stadt, die nach ihrem Erbauer, dem Großmeister De la Valette, benannt worden war. Ohne merklichen Übergang kamen sie danach nach Sliema. Diese Stadt galt – wie Pauline gelesen hatte – als die Hochburg für die IT- und Spieleindustrie. Dass hier mehr das neuere Geld lebte, meinte Pauline auch gleich am Straßenbild zu erkennen. Schicke moderne Bars wechselten sich mit edlen Restaurants ab. Der morbide Charme, den Valletta mit seinen kleinen geschlossenen Balkonen, die sich in den unterschiedlichsten Farben an die Häuser schmiegten, ausgestrahlt hatten, war verflogen. Jetzt machte die Uferstraße eine scharfe Rechtskurve und stieg danach steil an. Sie umrundeten eine kleine Bucht, in der wieder alte Häuser erschienen. In der Bucht dümpelten einige kleine bunte Fischerboote zwischen Bergen von Plastikmüll. Wie schade, dachte Pauline. Es war sonst so malerisch, aber dieser Müll zerstörte den Anblick.

»Das ist die Spinola Bay. Wenn Sie abends gut essen gehen wollen, sollten Sie hierhingehen.«, ließ sich der Taxifahrer vernehmen. Scheinbar hatte er Pauline den Fauxpas von vorhin verziehen.

»In dem Restaurant dort drüben sind früher Sophia Loren und Gina Lollobrigida ein und aus gegangen. Sie müssen den alten Besitzer nur fragen, er kann ihnen viele Geschichten aus den Fünfzigern und Sechzigern erzählen.« Pauline rechnete sich im Stillen aus, dass der alte Besitzer wirklich sehr alt sein musste, wenn er das Restaurant schon vor fast 60 Jahren geführt hatte. Aber vielleicht war damals auch sein Vater der Geschäftsführer gewesen. Im Geiste notierte sie sich den Namen, um zu prüfen, ob es sich wirklich lohnte, dort mit ihrer Mutter vorbeizugehen. Vielleicht bekam der Taxifahrer auch Provision, wenn man dort einkehrte.

Sein nächster Satz bestätigte ihren Verdacht: »Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen dort für heute Abend gleich einen Tisch reservieren lassen. Es gibt ausgezeichneten Oktopus und Lampuki in jeder Form.«

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber wir wollen heute erst einmal ankommen und werden den Abend ruhig angehen.« Pauline schaute ihre Mutter an. Diese nickte kaum merklich. Auch sie hatte verstanden, worum es dem Taxifahrer eigentlich ging.

Dieser schien nicht besonders glücklich, dass er mit seiner Masche bei den beiden Frauen nicht gelandet war. Auch das großzügige Trinkgeld, welches Frauke ihm bei der Ankunft in ihrem Hotel in die Hand drückte, schien seine Laune nicht zu bessern. Ohne ein Dankeschön und eine Verabschiedung fuhr er davon.

Pauline und Frauke schauten sich um. Das Hotel – an der Spitze einer kleinen Landzunge gelegen – war sehr viel größer als die Hotels, in denen Pauline normalerweise mit Ben abstieg. Sie hatte es wegen des direkten Zugangs zum Meer und der etwas ruhigeren Lage ausgewählt. Das Gebäude selbst war ein großer brauner Klotz und ziemlich hässlich von außen. Aber die Zimmer hatten fast alle Meerblick, da das Hotel sich in einem geschwungenen ‚U‘ in Richtung Mittelmeer öffnete. Außerdem verriet Pauline ihr Blick aufs Meer, dass man wahrscheinlich wunderbar schnorcheln konnte. Durch das klare Wasser konnte sie bereits von der Straße aus Steine und Fische erkennen. Vielleicht konnten sie nachher schon einen kleinen Ausflug ins Meer unternehmen, gleich nachdem sie die Koffer ausgepackt hatten.

04.06.1565 – Mittags Hafen von Birgu, Malta

Ein kleines Boot lief in den großen Hafen ein. In der Nacht war es unbemerkt an den osmanischen Kriegsschiffen vorbeigeschlichen. Hauptmann Andres de Miranda stand an Deck und blickte auf das umkämpfte Malta.

Die beiden Halbinseln Birgu und Senglea bildeten fingerartige Einschnitte in den großen Hafen vor ihnen. Vom Boot aus konnte Miranda einen Teil der Galeeren sehen, mit deren Hilfe die Ritter das Mittelmeer beherrschten. Diese Galeeren waren es, die auch den Vizekönig von Sizilien interessierten. Ihre Schnelligkeit und Wendigkeit war fast einzigartig in dieser Zeit. Sie hatte den Rittern geholfen, eine starke Seemacht im Mittelmeer zu werden.

Miranda war zum ersten Mal auf Malta, hatte aber schon viele Geschichten über den Fels aus Sandstein gehört. Der Johanniterorden war erst seit etwa 40 Jahren hier. Davor war er durch Soliman von Rhodos vertrieben worden. Malta war den Rittern damals als schlechter Tausch gegen Rhodos erschienen, war die Insel in ihren Augen doch für den Anbau von Weizen und Getreide völlig ungeeignet. Auch gab es nicht viel Holz, sodass zum Heizen auf Kuhdung und Disteln zurückgegriffen werden musste.

Salvago rieb sich den Schweiß von der Stirn. Er kam aus einer Bergregion im Norden von Spanien, und Miranda merkte ihm an, dass er die Hitze nicht gut vertrug. Aber auch Miranda spürte die glühende Sonne: Schon jetzt am späten Vormittag war es auch für ihn in seiner Rüstung fast unerträglich heiß.

»Wenn der Orden noch auf Rhodos seinen Sitz hätte, wäre es sicher angenehmer. Was meint Ihr, Chevalier Miranda?«, fragte ihn der jüngere.

»Da habt Ihr recht. Aber wenn es nach dem Willen des Sultans geht, wird er die Johanniter auch von diesem Flecken vertreiben. Dabei hörte ich, dass die Liebe zu Malta beim Orden noch nicht sonderlich tief sein soll. Es ist doch sehr karg. Wenn sie kein Getreide von Sizilien erhalten würden, wäre es kaum bewohnbar. Aber seid Euch sicher Chevalier, der Großmeister wird diesen Ort bis auf den letzten Mann verteidigen. Er ist sich bewusst, dass Malta für den Rest Europas schicksalsentscheidend ist. Er muss den Osmanen standhalten.« Miranda blickte vor sich über den Hafen. Diese Häfen waren wirklich der große Vorteil von Malta und lebensnotwendig für einen Orden, der mittlerweile ein Orden von Seefahrern war.

Miranda wusste, dass der jetzige Großmeister De la Valette in den letzten Jahren diese Häfen erweitert hatte und in weiser Voraussicht die Befestigungen im Großen Hafen ausgebaut hatte. Birgu, die Stadt, in der der Großmeister sein Lager aufgeschlagen hatte, war von einem durchgehenden Ring von Verteidigungswerken umgeben. Von der Landseite her war es zudem durch eine hohe Festungsmauer mit zwei Bastionen geschützt.

Der weitsichtige alte Mann, De la Valette war siebzig Jahre alt, hatte sich und Malta lange auf diesen Angriff vorbereitet. Er hatte zusätzlich zu den Verteidigungsanlagen in Birgu ein starkes neues Fort auf der Halbinsel Senglea, das Fort St. Michael, errichten lassen. Außerdem hatte er den Bau eines zweiten, kleineren Forts, St. Elmo, befohlen. Dieses lag direkt zwischen den Einfahrten zum Großen Hafen auf der oberen Begrenzung zum Mittelmeer. Dennoch bezweifelte Miranda, dass Malta gegen das Übermaß des osmanischen Heeres zu halten war.

Als hätte Salvago seine Gedanken gelesen, meinte dieser: »Was wird der Großmeister sagen, wenn wir ihm die Nachrichten meines Vizekönigs bringen? Geben wir ihnen damit nicht den Todesstoß?«

»Wir haben heute Morgen gesehen, wie diese Männer kämpfen können. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Chevalier. Auch wenn die Lage in St. Elmo furchtbar ist.« Salvago und er hatten kurz zuvor in St. Elmo halt gemacht. In der vergangenen Nacht hatten die Männer um De Guerras fünf Stunden gegen die einfallenden Osmanen gekämpft. Furchtbar war dafür ein viel zu schwaches Wort, das wusste Miranda. Aber der junge Salvago wirkte durch die Erlebnisse der letzten Stunden schon eingeschüchtert und unsicher genug, warum sollte er das jetzt noch verstärken?

Miranda sah vor seinem inneren Auge den Dampf des verschossenen Pulvers, der über dem Fort geschwebt hatte. Und er meinte immer noch die Überreste des Griechischen Feuers mit seinem fauligen Gestank von Schwefel und dem harzigen Geruch von Terpentin zu riechen. Am schlimmsten aber war auch für ihn der beißende Geruch von verbrannten Haaren und Fleisch gewesen, der alles andere überlagerte. Viele Männer der Besatzung hatten sich kaum noch rühren können.

 

Wieder wurden seine Gedanken von Salvago unterbrochen.

»Wie lange wollen die Männer in Fort St. Elmo noch ausharren? Diese unbarmherzige Hitze am Tage. Einer von den Soldaten hat mir erzählt, dass es Nachts schrecklich kalt wird, wenn vom Meer der kalte Dunst aufzieht. Ich fühle mich irgendwie schuldig, dass wir keine guten Nachrichten haben.« Salvagos junges Gesicht verdüsterte sich.

Der Junge hatte recht, dachte Miranda. Die Überlebenden waren gezeichnet. Die Gliedmaßen verstümmelt oder gebrochen und die Gesichter durch die vielen Wunden entstellt. Ob der Kommandant seine Kämpfer so überhaupt noch erkennen konnte? Ahnte der Großmeister, wie es um die Kampfmoral der Männer im Fort wirklich bestellt war? Nach dieser grauenvollen Nacht wären so manche entmutigt, hatte ihm der alte Kommandant sein Leid geklagt. In vielen Gesichtern hatte Miranda Angst und Verzweiflung gesehen. Sie hatten dem Feind den Ravelin, die Vorschanze des Forts, überlassen müssen. Hier ragte jetzt, für die Männer im Fort gut sichtbar, das Banner des Sultans empor. Miranda konnte sehen, dass die nächtliche Schlacht auch schlimme Verluste bei den Türken gefordert hatte. Berge von Leichnamen lagen vor dem Fort. Es mussten mehrere tausend Mann sein, die Mustafa Pascha verloren hatte.

Das kleine Boot bahnte sich seinen Weg zwischen zwei großen Kriegsgaleeren und legte an. Salvago und er betraten Birgu. Die Konventskirche des Ordens ragte weit sichtbar empor, sie bildete den Mittelpunkt der Garnison. Weiter oben erhob sich die Ordensfestung, St. Angelo, die durch Gräben und eine Zugbrücke vom restlichen Birgu getrennt war. Dies würde sicher eine der letzten Bastionen sein, die an die Türken fallen, sinnierte Miranda mit Blick auf die Festungsmauern mit ihren Geschützen, die über die Bucht zielten.

Zwischen den kleinen flachen Häusern der Bewohner von Birgu waren überall Waffenarsenale und Magazine errichtet worden, und es gab einen großen Getreidespeicher. Der Kommandant in St. Elmo hatte Miranda erzählt, dass De la Valette als Vorbereitung auf die Belagerung mehrere dieser großen Kornspeicher hatte bauen lassen. Riesige Mengen von sizilianischem Getreide waren dort für die Kriegszeit eingelagert. Aber wie lange würden diese Vorräte halten? Auch das Wasser würde irgendwann knapp werden. Zwar hatte auch hier der Großmeister vorgesorgt und tausende von Wasserkrügen füllen lassen. Um aber den Belagerern keine Möglichkeiten der Wasserbeschaffung auf Malta zu bieten, hatte De la Valette anschließend die Brunnen der Insel vergiften lassen. Es war also nicht mehr möglich, Wassernachschub zu organisieren.

Die Häuser der acht Zungen, in die sich die Johanniter aufteilten, wirkten in ihrer Pracht und Mächtigkeit seltsam fehl am Platz in diesem ehemaligen Fischerdorf, das nun für den Krieg gerüstet war. Mit dem Blick auf ein Kind, welches zwischen den Häusern spielte, fragte sich Miranda, ob es noch so etwas wie Normalität für die Bevölkerung hier gab? Was empfanden sie, wenn sie die Salven der Kanonen hörten, die vom umkämpften St. Elmo her tönten?

Die Vorbereitung auf diesen Krieg hatte die letzten Jahrzehnte beherrscht. Dieses spielende Kind kannte sicher nichts anderes. Und auch der Großteil des Lebens seiner Eltern war durch die Zeit vor dem großen Krieg, in dem sie jetzt waren, geprägt. Ritter, die in voller Rüstung, trotz der Hitze, mit schepperndem Gang durch die Gassen patrouillierten, waren der Alltag.

 

Die schwere Kette an dem Öffnungsmechanismus des Tores wurde mit einem lauten Rasseln in Gang gesetzt. Vor ihnen öffneten sich langsam die Pforten der Festung. Ihre Ankunft war nicht unbemerkt geblieben. Miranda wusste, dass viele in ihnen die letzte Hoffnung auf Rettung sahen. Eine herbeieilende Wache geleitete sie in Richtung Kapitelsaal im Herzen der Festung. Dort wartete der Großmeister mit seinem Obersten Rat auf sie. Im Inneren der Festung war es im Gegensatz zu draußen fast schon kalt. Die dicken Sandsteinblöcke der Mauern kühlten die Umgebung auf ein erträgliches Maß.

Miranda stieg mit Salvago die breiten Stufen zum Saal empor. Hier standen weitere Wachen in voller Rüstung. Die Eichentüren des Saales wurden mit einem lauten Knarzen geöffnet. Die beiden traten ein.

Miranda schlug ein Geruch von Staub, Moder und Waffenöl entgegen. Dieser Saal war nicht vergleichbar mit den prächtigen und glänzenden Sälen, die er an den europäischen Höfen schon betreten hatte. Dieser Saal strahlte aus jedem Winkel die Geschichte von vergangenen Kämpfen aus. Von der Decke hingen zerrissene Banner. Miranda meinte, auf ihnen Spuren von Blut und Schwertschlägen zu erkennen. Zeugen der vielen Schlachten, die die Ritter im Namen von Christus geschlagen hatten. Und des Blutes, das dabei vergossen worden war. An den Wänden hingen Schilder und Schwerter. Auch diese waren teilweise zerfurcht und schartig von den Schwertern ihrer Gegner. Der alte Kämpfer in ihm war fasziniert: Dies war sie also, die Zentrale der Tempelritter, die die wichtigste Schlacht für das Abendland schlugen.

Vor ihnen an der großen Tafel konnte Miranda nur schwer die Mitglieder des Rates erkennen. Durch die schmalen, wie Schießscharten geformten Fenster fiel nur ein spärliches Licht. Er wusste, dass sich der Rat aus den Vorständen der acht Zungen, dem Prior der Konventskirche und weiteren hohen Würdenträgern des Ordens zusammensetzte. Alles Männer, die kampferprobt waren und ihr Leben dem Orden geweiht hatten. Sie lebten wie Mönche, jede weltliche Freude war ihnen untersagt. Die Ritter waren für den Kampf ausgebildet worden, Entbehrungen waren ihr Leben. Ob sie empfinden konnten, was es bedeutete einen geliebten Menschen zu verlieren? Was es hieß, wenn Frauen ihre toten Männer und Söhne betrauerten? Miranda dachte an die verzweifelte Besatzung im Fort St. Elmo und an die Leichenberge der türkischen Gefallenen.

Aus dem Dunklen erklang eine klare dunkle Stimme: »Tretet näher Chevaliers, welche Nachricht bringt Ihr mir von Don García? Wie ich sehe, hat er mir noch keine Verstärkung geschickt.«

Miranda sah zum Kopf des Tisches, von wo er die Stimme vernommen hatte. Dort saß der Großmeister des Ordens, Jean Parisot de la Valette.

Salvago räusperte sich nervös. Er war wirklich noch sehr jung und Miranda sah ihm an, dass er nicht glücklich war über die Aufgabe, mit der ihn der Vizekönig betraut hatte.

»Zunächst möchte ich Eurer Eminenz die Grüße von Don García, dem Vizekönig von Sizilien überbringen. Er hofft, dass Ihr bei guter Gesundheit seid.« Miranda zuckte zusammen, diese Wortwahl war in Angesicht der derzeitigen Umstände mehr als unpassend. Salvago schien das auch bemerkt zu haben. Trotz der Kühle in diesen Räumen konnte man sehen, dass wieder kleine Schweißtropfen anfingen ihm von der Stirn zu perlen und über sein jugendliches, noch leicht pausbäckiges Gesicht liefen.

»Ihr müsst der Gesandte Chevalier de Salvago sein, richtig?« Salvago nickte als Antwort nur mit dem Kopf.

Der Großmeister wandte sich an Miranda: »Und Ihr müsst dann der Chevalier Andres de Miranda sein, nehme ich an?«

Miranda bejahte, ebenfalls mit einem kurzen Nicken.

»Was sagt Don García, warum er mir zu diesem Zeitpunkt keine Verstärkung schickt?« Miranda sah, dass der Großmeister mit ihm reden wollte und Salvago links liegen ließ. Mit Blick auf die vor Nervosität und Anspannung geweiteten Augen des jungen Spaniers beschloss er, diesen von der Aufgabe zu erlösen und De La Valette die Botschaft des Vizekönigs zu überbringen.

»Sir, der Vizekönig wird Euch so schnell wie möglich Verstärkung schicken. Aber im Vorwege möchte er zum Austausch und als Zeichen der Anerkennung seines guten Willens acht der Galeeren haben, die in Eurem Hafen liegen.« Miranda hörte, wie mehrere Mitglieder des hohen Rates hörbar die Luft einzogen. Der Großmeister schien äußerlich völlig unbeeindruckt.

»Ach ja, ist das so?« Die Stimme war ruhig und ohne Emotionen.

Miranda sah ihn an. Die wachen dunklen Augen musterten ihn kritisch. Das schmale Gesicht war braun gebrannt und von Falten durchzogen. Seine Haare waren grau und das asketische Antlitz zum Teil mit einem gelockten Spitzbart bedeckt, an dem man noch erahnen konnte, dass De La Valette in seiner Jugend dunkelbraune Haare gehabt haben musste. Trotz Falten und grauer Haare sah man ihm sein Alter kaum an. Miranda konnte kaum glauben, dass sein Gegenüber 70 Jahre alt sein sollte. Kerzengerade saß der Großmeister auf dem hochlehnigen Eichenstuhl mit der verschlissenen Lederbespannung und strahlte Kraft und eine erstaunliche Lebendigkeit aus. Was ging wohl in ihm vor? Miranda hatte gehört, dass er stur und kompromisslos sein sollte. Hart gegen andere, aber auch gegen sich selbst. Ein Mann, der es als einer der wenigen geschafft hatte, ein Jahr als Galeerensklave zu überleben. Miranda hatte Männer gesehen, die nur einen Monat als Sklave hatten ausharren müssen, bevor ihre Familien Lösegeld an die Türken gezahlt hatten. Es waren gebrochene Männer gewesen, um Jahrzehnte gealtert. Nicht aber De la Valette. Ihn schienen diese Ereignisse gestählt zu haben. Die Kleidung des Großmeisters war die eines schlichten Ritters und spiegelte in keiner Weise seine Position wider. Auf solche Insignien legte der alte Mann scheinbar keinen Wert. Musste er auch nicht, denn jeder, der diesen Saal betrat, spürte sofort die Macht, die von dem Alten am Kopfende der Tafel ausging. Miranda fragte sich, was mit Menschen passierte, die sich nicht seinem Willen beugten. Die Augenbrauen des Großmeisters gingen in die Höhe, er hatte bemerkt, dass der Spanier ihn taxierte.

»Und, Chevalier? Habt Ihr mir noch etwas zu sagen?« Ein lauernder Unterton war jetzt in der Stimme zu hören.

»Nein, Eure Eminenz. Oder doch. Wir haben kurz Station in St. Elmo gemacht und haben den Kommandanten und seine Mannschaft zwar lebend, aber in einer schlechten Verfassung aufgefunden. Sie benötigen dringend Unterstützung.«

»Ist das nicht eine Ironie, dass derjenige, der mir die Nachricht überbringt, dass es keine Hilfe aus Sizilien gibt, mich um Unterstützung für meine Männer in St. Elmo bittet?« Wieder dieser kritische Blick aus den dunklen Augen.

Miranda schluckte.

»Lasst Euch versichern, ich bin mir der Lage in St. Elmo bewusst. Wir sollten über die Hilfe aus Sizilien sprechen. Wir beide wissen, dass ich, wenn ich die acht Galeeren nach Sizilien schicken würde, ich pro Galeere mindestens hundert Mann Besatzung mitschicken müsste. Männer, die ich nicht entbehren kann. Wir haben noch nicht einmal zehntausend kampfbereite Männer. Das Heer von Soliman hat, soweit wir das bisher abschätzen können, mehr als viermal soviel. Dennoch glaube ich, wenn der Vizekönig uns 15.000 Mann Verstärkung schicken könnte, dass wir Malta und Europa verteidigen könnten.« Miranda schaute ihn an. War das realistisch? Wie schnell, dachte denn der Großmeister, würde Don García seine Truppen, wenn er das überhaupt täte, in Bewegung setzen?

De la Valette fuhr fort, als hätte er Mirandas Gedanken gelesen: »Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass er diese nicht so schnell in Gang setzen kann. Er soll fünfhundert Mann vorab schicken, dann können wir vielleicht St. Elmo halten. Aber wenn wir diese Männer nicht bis zum 20. Juni hier haben, wird St. Elmo fallen.«

Miranda nickte. Er konnte sich zwar kaum vorstellen, dass eine Verstärkung von 15.000 Mann gegen diese Übermacht reichen würde. Aber wenn jemand es schaffen konnte, dann De La Valette. Da war er sich sicher.

»Und zu Eurer Beruhigung Chevalier, ich werde heute Nacht noch weitere hundert Mann Verstärkung mit einigen meiner besten Ritter nach St. Elmo schicken.«

Wieder stieg Miranda der Geruch der Feuer und der verbrannten Toten in die Nase. Ohne weiter zu überlegen, sagte er: »Bitte Eure Eminenz, erweist mir die Ehre und lasst mich mit Euren Männern in St. Elmo kämpfen.«

 

23.08.2012 – 19:44 St. George's Bay

Pauline saß mit ihrer Mutter draußen auf dem Pier und schaute in die Bucht.

Sie hatten sich die Bar direkt neben dem kleinen Souvenir Shop ausgesucht, um bei einem abendlichen Cider die Stimmung zu genießen und den ersten Abend auf Malta gemütlich ausklingen zu lassen. Die Bar befand sich in einem der älteren Häuser an der Xatt Ta' San Gorg und bot einen schönen Blick über die kleine Bucht mit den leise in den Wellen schaukelnden Schiffen.

Eine Straße trennte die Bar vom Strand, der gerade von den Spuren des Tages gesäubert wurde. Hier in der Bucht gab es noch die alten Häuser, aber wenn man weiter entlang in Richtung Paceville ging, war alles gesäumt von Neubauten. Der morbide Charme Maltas, den man noch in diesem Teil der Bucht verspürte, würde auf die Dauer wohl weichen müssen. Schade, dachte Pauline. Malta war sonst, da neben Maltesisch auch Englisch gesprochen wurde, ein ideales Reiseland für sie. Die Verständigung war hier viel einfacher, als etwa in den Bergregionen von Madeira. Ohne Portugiesisch kam man dort nicht weit, wenn man sich mit den Bauern austauschen wollte.

Jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken, beschloss sie. Lieber genoss sie ihren eisgekühlten Cider. Sie griff nach dem großen Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und nahm einen tiefen Schluck. Dann widmete sie sich wieder dem Treiben auf dem Pier und am Strand gegenüber.

Pauline hatte gelesen, dass der Gemeinderat vor einigen Jahren diesen Strand künstlich hatte anlegen lassen, um den Touristen die Möglichkeit zu geben, einfach ins Meer zu gelangen. Dafür war das Gestein weggesprengt und Sand importiert und aufgeschüttet worden. Die Gemeinde nutzte den Strandabschnitt jetzt auch für Rettungsschwimmertrainings und für die Demonstration der guten Müllentsorgung.

Die Plätze vor der Bar waren heiß begehrt, daher teilten Pauline und ihre Mutter sich den Tisch mit einem englischen Ehepaar. Er war rotblond und hatte heute eindeutig zuviel Sonne bekommen. Seine Haut hatte fast die Farbe seiner Haare. Aber das schien ihm seine Laune nicht zu verderben. Er trank ein Guinness nach dem anderen und unterhielt sich angeregt mit seiner Frau. Scheinbar kamen sie öfter hier her, denn der Besitzer der Bar war jetzt schon mehrfach an ihrem Tisch gewesen und hatte sich mit den beiden unterhalten. Jetzt stand er direkt neben Pauline und hatte dem Engländer in einer vertrauten Geste die Hand auf den Rücken gelegt. Dem leicht verzehrten Gesichtsausdruck des Briten entnahm Pauline, dass sich auch unter dem bunten T-Shirt ein heftiger Sonnenbrand verbarg. Aber er war zu höflich, um den anderen darauf hinzuweisen.

Auf den ersten Blick war Pauline der Barbesitzer unsympathisch. Längere, ungepflegte Haare, dazu eine große Sonnenbrille, sodass man seine Augen nicht sehen konnte. Im Mund hatte er eine Zigarette und schwang ein Glas Wein in seiner Hand. Auf Pauline wirkte es fast so, als hielte er Hof und erwartete, dass seine Gäste ihm huldigten. An Selbstbewusstsein schien es ihm wirklich nicht zu mangeln, auch wenn er, nach Paulines Meinung, wirklich keine besonders ansprechende Erscheinung war. Sein Hemd wölbte sich deutlich über einen schon recht stattlichen Bauch, dafür waren die Beine, die aus seinen Bermudas hervorschauten, um so dünner. Sie hoffte nur, dass der Typ sie nicht auch in ein Gespräch verwickeln würde. Endlich verschwand der Barbesitzer von ihrem Tisch, nachdem ein neues Paar angekommen war, welches er lauthals begrüßte.

Die Engländerin lächelte Pauline zu, sie hatte bemerkt, dass Pauline das Geschehen recht genau beobachtet hatte.

»Wir kommen oft hierher und kennen Guiseppe schon lange. Ich weiß, er hat schon Charakter.« Das war aus Paulines Sicht eine sehr euphemistische Beschreibung.

»Ist er der Eigentümer der Bar?« 

»Ist er. Schon über 30 Jahre. Guiseppe besitzt ein paar Lokale hier in der Gegend. Oben in Paceville hat er noch eine Bar, die muss aber renoviert werden. Es gab einen, ähh, sagen wir kleinen Unfall. Aber wir mögen es hier lieber, weil man im alten Teil von St. Julians sitzt, wo noch nicht die jungen Leute, die Party machen wollen, auftauchen. Dafür sind mein Mann und ich dann doch zu alt.« Sie lachte.

»Ich weiß was Sie meinen. Wenn ich sehe, wie jung die Partygänger hier sind, kommt man sich furchtbar alt vor. Wir sind auch froh, dass unser Hotel etwas abseits liegt.« 

»Waren Sie schon einmal hier?« 

»Ja, vor vielen Jahren eine Woche im Sprachurlaub. Aber damals gab es wenig Gelegenheit, um sich die Insel anzusehen. Dazu ist diesmal hoffentlich mehr Zeit. Ich verbinde quasi zwei Urlaube miteinander: Eine Woche mit meiner Mutter im Hotel und ab nächster Woche zwei Wochen mit meinem Mann in einem Appartement von Freunden in Sliema.

---ENDE DER LESEPROBE---