Mama allein zu Haus - Barbara Becker - E-Book
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Mama allein zu Haus E-Book

Barbara Becker

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Beschreibung

Von (Promi)-Müttern, Söhnen und Katastrophen: So komisch war Abschiedsschmerz noch nie. Noch vor Kurzem waren ihre Kinder kleine Jungs – und plötzlich verlassen sie als Männer das Haus. So wie den beiden Freundinnen Barbara und Christiane ergeht es vielen Frauen, deren Kinder flügge werden: Der Stolz auf die selbstständigen Kinder mischt sich mit bittersüßem Abschiedsschmerz. "Empty Nest Syndrom" nennen es die Psychologen – "Muttertier-Blues" sagen die Söhne und verdrehen liebevoll die Augen. Statt 24/7-Muttertier heißt es plötzlich "Mama allein zu Haus" und es stellt sich die Frage, warum man den Kühlschrank überhaupt noch füllen soll, wenn ihn keiner mehr leer futtert. Humorvoll und selbstironisch zeigen die beiden Freundinnen, wie es mit Hilfe ihrer "Sisterhood" gelingt, die neugewonnene Freiheit zu genießen.

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Seitenzahl: 278

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Impressum

© eBook: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2021 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Simone Kohl

Lektorat: Carina Heer

Covergestaltung: Martina Frank

eBook-Herstellung: Isabell Rid

ISBN 978-3-8338-7654-7

1. Auflage 2021

Bildnachweis

Fotos: Barbara Becker, Jens von Zoest

Syndication: www.seasons.agency

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Christiane | München

Schlussgong

München, eine Stunde vor Beginn der feierlichen Abiturzeugnisverleihung: »Mama, wo sind meine Socken?«

Mein Sohn darf ab heute studieren, eine Partei gründen, ein Techunternehmen leiten oder eine Bar eröffnen – vorausgesetzt er schafft es je, seine Socken zu finden. Aber noch hat er ja seine persönliche Assistentin und die wird ihren Job wohl noch eine Weile behalten, wie es gerade aussieht.

Wie viele Seufzer stößt eine Mutter wohl im Laufe ihres Lebens aus? Ja genau, Millionen, wenn sie, wie schon so oft zuvor, ins Kinderzimmer geht, den Kleiderschrank öffnet und stumm auf die Socken in der Sockenschublade zeigt. Oh – Zauberei – da ist es ja, wonach das Kind gesucht hat.

»Ich hab die nicht gesehen. Ehrlich, Mama.«

Ja klar. Passt schon, Schatz. Du hast ja mich.

Als Mutter ist man Putzfrau, Köchin, Abhol- und Bringservice, Motivatorin mit dem ewigen »Du schaffst das«-Mantra und Trösterin, wenn doch mal etwas schiefgeht. Ich glaube, fast jede Mutter sehnt in solchen Momenten, in denen mal wieder die ganze Last des kindlichen Lebens auf ihren Schultern ruht, den Tag herbei, an dem das Kind keine Hilfe mehr beim Anziehen braucht, an dem sie es nicht mehr wecken muss, weil wie jeden Tag die Schule überraschenderweise um acht Uhr anfängt.

Zwölf Jahre Schule und jeden Morgen die gleiche Hektik.

»Nicholas, in zehn Minuten müssen wir los.«

Keine Antwort, dafür läuft der Föhn. Immer noch? Seit fünfzehn Minuten? Wie lange kann ein Jugendlicher eigentlich seine Haare föhnen?

»Nicholas! Du kommst zu spät. Jetzt mach hinne!«

Immer wieder hatte ich diesen Gedanken: Wenn ich eines Tages an einem Herzinfarkt sterben sollte, dann wird das am frühen Morgen geschehen, wenn ich zum zehnten Mal meinen Sohnemann zur Eile angetrieben hätte.

Ein typischer Morgenablauf gefällig, nachdem mein Sohn doch endlich das Bad verlassen hat? Im schlimmsten Fall ist der Schulbus schon vor einer halben Stunde losgefahren. Wir wohnen auf dem Land, keine U- oder S-Bahn in der Nähe. Wenn mein Herr Sohn es noch rechtzeitig in die Schule schaffen will, müssen wir die Abkürzung quer durch den Wald nehmen. Mit hundert Stundenkilometern auf fünfhundert Metern gerader Strecke. Mein Sohn findet es uncool, dass ich mich jedes Mal darüber aufrege.

»Dem Papa macht das nichts aus, so schnell zu fahren«, murmelt es vom Sitz neben mir – er ist offenbar noch immer nicht ganz wach. Zumindest sind seine Augen zu. Na klar. Mein Mann Matthias fährt gerne »zügig«, wie er sagt. Ich nicht so.

»Hallo wach bitte! Gleich schreibst du einen Test!«

Dafür ernte ich nur einen mitleidigen Blick: »Ach, Mama. Woher willst du das denn wissen? Ich gehe schließlich zur Schule.«

Ja, und ich weiß, dass am Gymnasium nach jedem abgeschlossenen Kapitel ein unangesagter Test geschrieben wird … Nein, ich rege mich nicht auf. Ich bleibe cool. Und konzentriere mich auf die Straße. Ich bete wie jeden Morgen, dass die Rehe, die nachts manchmal mitten auf dem Weg stehen und einen anglotzen, nicht irgendwann morgens dort auftauchen.

Mit quietschenden Reifen halte ich vor der Schule, der Junior sprintet los, ist plötzlich hellwach. Das Morgenwunder! Jeden Tag. Sogar ein Lächeln kriege ich noch, manchmal auch ein Bussi, wenn ihn doch das schlechte Gewissen plagt. Puh, ich bin fertig.

Gaaaanz langsam fahre ich nach Hause, spüre, wie das Adrenalin langsam aus meinem Körper weicht, und trinke daheim erst einmal eine riesengroße Tasse Ingwertee, um die toxischen Morgenemotionen aus dem Körper zu spülen. Herrlich. Ruhe zu Hause. Jetzt gemütlich Zeitung lesen und danach ohne Stress ins Büro fahren.

Das war mein Morgenritual über Jahre. Fragen Sie mal eine Mutter, ob sie zu niedrigen Blutdruck hat – Sie werden nur ein müdes Lächeln ernten. Denn der mütterliche Blutdruck kommt während der Schulzeiten zwischen halb acht und acht automatisch und ohne eigenes Zutun in Schwung.

ES IST SO WEIT

Es soll ja Leute geben, die lieben Herausforderungen. Acht Jahre Schulweg ins Gymnasium ohne Crash und Zuspätkommen war meine ganz persönliche Dauerchallenge. Wie mein Sohn sein Leben einmal ohne das mütterliche Martinshorn in den Griff bekommen will, ist mir ein Rätsel.

Doch das muss er jetzt. Es ist Schluss mit Schule. Schluss mit morgendlichen Fragen nach Heften, Büchern, Turnbeutel, Pausenbrot, Lernstand, blöden Lehrern und ungerechten Noten. Nicholas ist noch keine achtzehn und hat vor einigen Wochen das Abitur geschafft.

Was habe ich gelitten, als in der heißen Abi-Phase die Panik so von ihm Besitz ergriffen hatte, dass er tagelang ungeduscht mit in die Höhe stehenden Haaren und in Jogginghose am Esszimmertisch saß und verzweifelt versuchte, diese verdammten Matheformeln kurz vor Schluss doch noch zu verstehen! Mein Kind, das sich ungefähr fünfmal am Tag duscht, so angstzerfressen zu sehen, dass es auf ausgiebige Körperpflege und Styling einmal keinen Bock hat, hat mich den Tag, an dem der ganze Mist endlich vorbei ist, wirklich herbeisehnen lassen.

Und da wären wir jetzt. Heute ist es so weit. Die Abiturzeugnisse werden feierlich in Anwesenheit des Landrats überreicht. Um zehn Uhr. Wir sollten vielleicht pünktlich in der Schule sein, denke ich so, als ein Schrei von oben erschallt.

»Mamaaaa, wo sind meine Haferlschuhe und das Trachtenhemd? Und hast du die Weste abgeholt? Wir gehen doch dieses Jahr alle in Tracht zur Zeugnisausgabe.«

Als ob ich das nicht wüsste. Und natürlich ist alles da. Fein säuberlich in seinem Schrank.

Zu meiner Abifeier hatte ich ein schickes schwarzes Kleid an und die meisten Jungs trugen Anzüge. Ein einziger Mitschüler kam in Lederhose, der ist heute Oberförster im Berchtesgadener Land und war immer sehr bajuwarisch-traditionell gekleidet. Wir anderen fanden das spießig und wären nie im Dirndl an unserem letzten Schultag erschienen, aber heutzutage ist Tracht in und um München total angesagt – nicht nur zu Oktoberfestzeiten. Also wird mein Sohn sein Abizeugnis in Lederhose entgegennehmen, falls er es jemals schafft, sich überhaupt anzuziehen.

Wie soll das nur werden, wenn Nicholas sich mal allein fertig machen muss? Meine Schwester Moni kommt, die mich als Working Mom die ganze Schulzeit über unterstützt hat. Zusammen warten wir in der Küche darauf, dass der Herr Sohn sich fertig gestylt hat. Wir sind bester Laune, geradezu euphorisch und klopfen uns praktisch unentwegt gegenseitig auf die Schultern, weil das Kapitel Schule endlich abgeschlossen ist. Jetzt ist er da, der Moment, auf den wir so lange gewartet haben. Nur ein winziges Ziehen in der Herzgegend scheint zur puren Freude nicht zu passen …

Aber dieses Gefühl schiebe ich schnell weg und strahle meinen Sohn an, der perfekt gestylt und nach seinem neuen Männerparfum duftend die Treppe herabpoltert. Die Augen glänzen, aber nach außen gibt er sich gelassen. Dann wollen wir mal.

Natürlich habe ich mir heute freigenommen, denn um nichts in der Welt möchte ich den Moment verpassen, auf den die Kinder zwölf lange Jahre hingearbeitet haben. Die Aula unserer Schule ist zu klein, deshalb findet die Zeugnisausgabe in der neuen Turnhalle statt. Das ginge sicher auch stimmungsvoller, aber was soll’s? Wichtig ist in diesem Moment etwas anderes.

Tatsächlich sind alle Jugendlichen in Tracht gekommen. Hundertzehn Abiturienten auf dem Sprung in die Freiheit. Nicholas grinst von einem Ohr zum anderen. Wie übrigens schon den ganzen Vormittag. Er sitzt vorne bei seinen Freunden. Als die Chorleiterin die Abiturienten auffordert, ein letztes Mal zusammen zu singen, ist mein Sohn nicht so ganz bei der Sache. Aber das »Felicitá« und »Viva, Viva« kriegt er irgendwie hin. Ich grinse meine Schwester Moni an, die neben mir sitzt.

»Na, das hat er jetzt auch noch geschafft.«

Ein Spaziergang so eine Abiturfeier für eine stolze Mutter. Doch das komische Gefühl von heute Morgen ist nur scheinbar verschwunden. Zwischen meinen Schulterblättern spüre ich noch immer dieses seltsame Kribbeln. Ich atme tief durch. Für so etwas ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. In diesem Moment kündigt die Schulleiterin nämlich Sophie an, die beste Sängerin des Jahrgangs. Sie kann nicht nur singen, Gitarre spielt sie auch.

Sophie stimmt ein französisches Lied an, bei dem ich nur »Adieu« und »Liberté« verstehe. Das Wort »Maman« kommt auch vor. Mehrfach, in einem herzzerreißend traurigen Tonfall. Das reicht. Für mich gibt es kein Halten mehr. Ich heule Rotz und Wasser. Ohne Unterlass. Unterbrochen von nur halb unterdrückten Schluchzern. Warum hören diese Tränen nicht auf zu fließen? Ist ja wohl oberpeinlich.

Meine Schwester macht es auch nicht besser. Sie blickt immer wieder zu mir rüber, steckt mir ein Taschentuch nach dem anderen zu und fragt alle zehn Sekunden: »Geht’s?«

Nein, verdammt, es geht nicht. Welche emotionalen Wellen überrollen mich da eigentlich gerade? Eine Mischung aus Stolz, Wehmut und totalem Verlust, gestehe ich mir selbst ein.

Jetzt komm, reiß dich mal zusammen, sage ich zu mir selbst. Ist ja wohl total übertrieben dieses Rumgeheule. Du hast doch seit zwölf Jahren darauf gewartet, dass dieser Schulalbtraum endlich vorbei ist. Dein Kind freut sich wie Bolle und du machst hier auf Heulsuse.

Ich schnäuze mich ein letztes Mal in das völlig aufgeweichte Tempo und schaue nach vorn. Hoffentlich sieht Nicholas nicht, dass ich gerade völlig die Fassung verloren habe.

Gerade noch rechtzeitig habe ich mich wieder im Griff und sprinte – ganz Journalistin – nach vorne, das Handy im Anschlag. Das ist er, der Moment. Mein Sohn bekommt in wenigen Augenblicken sein Abiturzeugnis von Direktor und Landrat überreicht.

Neben ihm stehen sein bester Freund Jakob und noch einige andere Mitschüler, unter anderem der Jahrgangsbeste Mathieu. Der durfte sich aussuchen, ob er vom Landrat lieber die Auszeichnung für Chemie oder Mathe haben wollte. Konnte meinem Sohn nicht passieren mit seinem Zweierabi. Doch in diesem Augenblick geht es nicht um die bessere Note, sondern um Werte wie Freundschaft, Solidarität, gemeinsame Freude und deshalb strahlt die ganze Gruppe um Nicholas wie ein einziger riesiger Pfannkuchen. Alle bekommen eine langstielige Rose überreicht und dann den Persilschein in die große Freiheit.

Nein, ich bin überhaupt nicht peinlich, als mein Handy diesen Moment ratternd für die Ewigkeit festhält. Ich kriege ein glückliches, stolzes Lächeln von meinem Sohn geschenkt. Und war da nicht auch so ein kleiner triumphierender Blick von ihm in die Runde? So nach dem Motto: Meine Mutter ist vielleicht manchmal anstrengend und auch oft unterwegs, aber in solchen wichtigen Augenblicken ist auf sie Verlass! Denn wie immer fotografiert sie alles.

Ha!

Strahlend gehe ich zurück zu meinem Platz und applaudiere begeistert, als der letzte Abiturient von der ganzen Halle stehende Ovationen bekommt. Patrick ist schon zwanzig, Typ Fitnesstrainer mit längeren, gewellten Haaren. Er hat das Abi im allerletzten Anlauf und mit 3,7 geschafft. Die Direktorin feiert ihn, als hätte er den Preis des Landrats bekommen.

»Über diesen Abiturienten freue ich mich ganz besonders, denn er ist ein richtig cooler Typ«, sagt sie.

Genau deswegen mochte ich diese Schule so gern.

Patrick ist übrigens fast zwei Meter groß, nimmt den Oberstudiendirektor rechts und die Direktorin links hoch und lässt sich feiern wie ein Krieger des Olymps. Inzwischen steht die ganze Halle Kopf, überall Gejohle und Gelache. Das war’s. Adieu, Schulstress.

ZUM ABSCHIED LEISE DANKE

Ich atme einmal tief durch.

»Wartest du mal schnell?«, sage ich zu Moni. »Ich muss mich unbedingt noch bei der Direktorin bedanken.« Vier Jahre zuvor hatte es nämlich nicht nach einem Happy End für Nicholas und die Schule ausgesehen. Ganz und gar nicht. Wie ein Häuflein Elend saß er damals mit mir im Büro von Frau Dr. Fischer, der Direktorin seines heutigen Gymnasiums – damals besuchte er noch eine andere Schule, wo ihn Notendruck, Mobbing und die falsche Fremdsprache lust- und mutlos hatten werden lassen. Der ganze kleine vollpubertäre Mensch war vor meinen Augen zusammengekrümmt zu einem einzigen Fragezeichen, von Selbstvertrauen keine Spur. Doch Frau Dr. Fischer sah irgendetwas in ihm, vielleicht eine winzige Möglichkeit, dass man den Kerl doch noch durchbringen konnte durch das bayerische G8 und dass er nicht einfach nur völlig überfordert war, wie es ihn die andere Schule glauben ließ.

Er könne doch Französisch abwählen und es bei ihnen mit Spanisch versuchen, bot sie an.

Unter seinem langen Pony – ja, den trug er damals – wagte Nicholas ein vorsichtiges »Ja, vielleicht«.

Und damit war es besprochen.

Die neue Schule war nicht leichter, eher im Gegenteil. Kein privates Gymnasium, sondern wieder eine staatliche Schule. Dafür aber wurde die Work-Life-Balance beachtet, wie man im Berufsleben sagen würde. Mobbing hatte hier keine Chance, denn die Schule kümmerte sich intensiv um solche Themen. Zusammenhalt, Herzlichkeit und Humor waren genauso wichtig wie Belastbarkeit und Leistungswille.

Ratzfatz hatte mein Sohn neue Freunde gefunden, die noch heute seine allerbesten sind. Genau deswegen will ich mich bei Frau Dr. Fischer bedanken, die meinem Kind eine zweite Chance gegeben hat.

Da stehe ich also in der Turnhalle und kriege noch raus: »Ich wollte … huhu.« Hilfe, waren das Schluchzer? »Sie haben …« Oh mein Gott. Nur weg von hier.

Frau Dr. Fischer greift meine Hand. »Alles gut. Passt schon.«

Nein! Es passt nicht. Hallo? Ich bin Journalistin! Ich bin souverän, selbstsicher, eloquent. Ich bin eine Frau, die Job und Familie immer gewuppt hat, die die härtesten Interviewpartner bezirzt und in Redaktionskonferenzen Themen durchgeboxt hat. Und jetzt? Bin ich das?

Nein, gerade bin ich nur Mutter. Eine gefühlsduselige, von der Situation völlig überforderte Mutter.

Ich flüchte zu meiner Schwester, krächze: »Geht nicht.« Dann fliehen wir aus der Turnhalle zeitgleich mit dem Schulgong, der zum Abschied noch einmal für uns ertönt.

In mir drin ist es dagegen ganz still. Seltsam leer, nachdem all diese Tränen aus mir herausgeflossen sind. Ich spüre Freude, das schon, aber eben auch noch ein anderes Gefühl, das ich noch nicht ganz deuten kann. Mit Freunden und anderen Eltern gehen wir in einen Biergarten zum Mittagessen. Die Kinder lachen und strahlen, wir Eltern auch. Fotos für die Ewigkeit von diesen jungen Menschen in Dirndl und Lederhose unter einem fast schon kitschigen weiß-blauen Himmel. Kurz schaue ich zu Mathieus Mama rüber. Glitzert da eine Träne in ihrem Augenwinkel, die sie schnell wegblinzelt? Oje, wir Weichkeksmütter! Da kommt noch was auf uns zu …

Zu meiner Ehrenrettung kann ich noch anmerken, dass ich ein Jahr später doch Gelegenheit hatte, mich ordentlich von Frau Dr. Fischer zu verabschieden: Da griff nämlich nach der feierlichen Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises im herrlichen Gartensaal des Münchner Prinzregententheaters plötzlich eine Hand nach mir. Zwei Frauen im Abendkleid, von mir kam nur ein fragender Blick.

»Erinnern Sie sich noch? Ich war die Lehrerin Ihres Sohnes. Wie geht es ihm denn jetzt?«

Frau Dr. Fischer!

Endlich konnte ich mich ganz ohne Schluchzer und Stottern in blumigen Worten bei der Frau bedanken, die meinem Sohn völlig uneigennützig eine riesige zweite Chance gegeben hatte. Blumen hatte ich nach meiner missglückten Dankesrede bei der Abifeier natürlich gleich am nächsten Tag in der Schule abgegeben. Ich wollte ja nicht als schlimmste Heulsuse ever im Gedächtnis bleiben.

Barbara | Miami

Paradies

Ich stehe auf meiner Terrasse mit einem Becher Tee in der Hand und schaue über die Bucht auf die Skyline von Miami Beach. Das mache ich jeden Morgen, denn in Miami ist die Morgenröte nicht etwa ein sanftes Leuchten und Glühen, sondern der Himmel explodiert geradezu in den unglaublichsten Farben. Da ist Rosa, Orange, Lila, Blau in allen Schattierungen.

Als mich die aus dem Meer auftauchende Sonne auch heute mit diesem Schauspiel in ihren Bann zieht, wird mir mal wieder bewusst, an was für einem herrlichen Ort ich leben darf.

Wir wohnen gegenüber von Miami Beach auf einer der vorgelagerten Inseln, die durch Brücken miteinander verbunden sind. Ich trete aus der Haustür mitten rein in die Natur.

Um mich herum Stille?

Nein. Das totale Gegenteil. Wenn in Deutschland der Frühling von Vogelgezwitscher begleitet wird, ist das ja fast schon ein Ereignis, über das alle reden. Hier unterhalten sich jeden Morgen Hunderte Vögel in voller Lautstärke und ich sehe Rotspechte, Eichelhäher und Bachstelzen in meinem alten Olivenbaum. Ein Papageienschwarm hat die große Eiche erwählt für das morgendliche Familientreffen und die zwitschern nicht, sie kreischen, schreien, rufen sich die neuesten Nachrichten direkt unter meinem Schlafzimmerfenster zu. Ich kann also getrost aufstehen, an Schlaf ist ab halb sieben sowieso nicht mehr zu denken, aber heute wäre ich auch ohne großes Vogelkonzert früh aufgewacht, denn wir feiern den Highschoolabschluss von Elias und dafür ist auch sein großer Bruder Noah aus Berlin angereist.

SO GROSS

Ich zog in dieses Haus mit einem Kind vor den Bauch geschnallt und einem Kind an der Hand. Es war nie mein Plan, alleinerziehende Mutter zu werden, aber so war es dann eben, auch meine Mutter hat uns alleine großgezogen.

Kinder geschiedener Eltern haben oft das Gefühl, dass sie etwas vermissen. Ich habe immer darauf Wert gelegt, dass meine Kinder solch ein Gefühl nicht bekommen. Als wir in dieses schöne alte Haus einzogen, schlief ich die ersten Wochen mit meinen Jungs in einem kleinen Zimmer unten im Erdgeschoss. Ich habe das geliebt – wir drei zusammengekuschelt in einem großen Bett. Ich wollte für die beiden da sein, ein kindgerechtes, fröhliches Leben für sie aufbauen. Und dann, ganz langsam, habe ich mein Leben neu sortiert, ausprobiert, was mir beruflich Spaß macht, meine Schwestern im Geiste hier gefunden und meinen Söhnen eine Heimat gegeben. Mit meinen deutschen Freundinnen facetime ich regelmäßig, wenn ich in Florida bin. Vor allem auch mit Christiane. Ihr Sohn ist genauso alt wie Elias, und obwohl von hier aus achttausend Kilometer Luftlinie zwischen uns liegen, ähneln sich die Erlebnisse mit unseren Kindern manchmal auf geradezu groteske Art und Weise. Da reichen zwei, drei Worte und die andere ist im Bilde.

Unsere Insel gehört zu Miami, was nach einer riesengroßen Stadt klingt, aber wir leben eigentlich in einem Dorf. In meiner Siedlung gibt es kein hektisches Autogehupe, hier kann man gemütlich mitten auf der Straße laufen und dabei noch seinen Kaffee schlürfen. Entschleunigung ist hier gelebter Alltag. Und Zusammenhalt. Wenn ich während Elias’ Pubertät in einer Sackgasse steckte, habe ich ihn einfach die Straße runter zu meiner Freundin Jen geschickt. Sie lebte schon hier, als wie einzogen, hat zwei Jungs und einer davon ist Elias’ bester Freund. Jen ist alleinerziehend wie ich, das hat uns gleich verbunden. Wenn ich also manchmal mit Elias nicht weiterwusste, habe ich zu ihm gesagt: »Rede mit Jen! Vielleicht kann sie dir besser erklären, was ich meine.«

Und das hat sie auch, stundenlang. Mit Engelsgeduld.

Ich bin harmoniesüchtig, würden Psychologen sagen. Ich mag diese Formulierung lieber: Bei mir muss alles im Flow sein, dann ist es gut. Auf lange Streitgespräche habe ich keine Lust, dann schaltet irgendwann mein Gehirn ab. Zack. Schalter umgelegt. Doch ein harmonisches Leben mit pubertierenden Kindern gibt es noch nicht einmal im Märchen. Und so fanden auch in meiner Welt einige Kämpfe statt.

Jetzt sind meine beiden Söhne groß, größer als ich, wenn sie neben mir stehen. Irgendwie gewöhnungsbedürftig, aber zum Glück ist das nicht über Nacht so gekommen – wobei gerade Noah sich schon groß fühlte, als er noch klein war. Meine Freundin Heather hat mir das einmal so erklärt: »Noah ist eine alte Seele. Das haben wir alle schon früh gewusst.« Auf jeden Fall hat er sich schon sehr früh für Elias und mich verantwortlich gefühlt.

Miami ist an manchen Ecken durchaus eine gefährliche Stadt, und als unsere Alarmanlage einmal mitten in der Nacht losging, stürzte Noah wie ein Falke aus dem Bett und stellte sich neben mich in den Flur. Da war er gerade mal zehn Jahre alt und natürlich hätte er gegen einen Einbrecher nichts ausrichten können, aber sein Beschützerinstinkt war damals schon sehr ausgeprägt. Zum Glück kam der Sicherheitsdienst wenig später …

Als Noah vor einigen Jahren seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, zog er nach Berlin. Dort lernte er unglaubliche Menschen kennen, die genau wie er ihre Kreativität voll ausleben und außerdem auf sich gegenseitig achten.

Die Gefühle, die Noahs Auszug damals in mir auslöste, und die Veränderung, die dies mit sich brachte, sind kaum zu beschreiben. Über zwei Jahrzehnte waren die Kinder damals schon Teil meines Lebens – und jetzt war eines davon weg. Aber der Alltag und das Leben gingen weiter. Ich organisierte weiterhin Lehrer, Tutoren, gemeinsame Unternehmungen und Termine. Ich habe mich in dieser Zeit, praktisch wie eine Henne, die ihr verbleibendes Ei unbedingt vor der großen weiten Welt beschützen will, auf Elias draufgesetzt, was er in der Pubertät teilweise völlig absurd und übertrieben fand. Und da hat er ja auch recht, weil jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss.

Aber ich konnte nicht anders. Sechsundzwanzig Jahre lang waren meine Kinder mein Lebensinhalt. Meine Welt drehte sich nur um sie. Auch wenn ich nach Deutschland flog, um zu arbeiten – für Businesstermine oder TV-Aufzeichnungen-, wusste ich immer, was gerade anstand, wann wer zum Basketballtraining musste oder welcher Tutor bei uns zu Hause war, um sie auf die nächste Prüfung vorzubereiten. Ich habe in meiner Kindheit oftmals auch nicht verstanden, warum Hausaufgaben so wichtig sind. Wer kennt das nicht, man fragt seine Kinder, sind deine Hausaufgaben schon fertig, und mit der Blitzantwort »Ja« weiß man, dass dies fast schon eine rhetorische Frage ist.

Mein guter Freund Chris sagt: »Jungs in dem Alter wollen nur raus von zu Hause, weg von der Übermami, die ihr Leben kontrolliert. Das war bei mir genauso. So große Arme habt selbst ihr nicht, dass ihr sie für immer um eure Jungs schlingen könnt. Die müssen raus aus dem Nest, das ihr gebaut habt.«

EIN LANGER WEG

Ja, kann sein, aber bitte möglichst mit Schulabschluss, denkt man so als Mutter. Braucht man den und wenn ja, wozu? Denken die Kinder zwischendrin immer wieder. Hier in Miami genauso wie woanders schießen an jeder Ecke Start-ups aus dem Boden, das wusste mein Sohn schon mit vierzehn als Argument gegen den regelmäßigen Schulbesuch anzuführen. Jeder ist kreativ, jeder kann die ultimativ geniale Businessidee haben, die ihn in einem Jahr erfolgreich und unabhängig macht. Wozu also lernen, was man später überhaupt nicht brauchen kann? Und macht der Besuch einer Universität heutzutage noch Sinn in der schönen großen Welt der Selfmademänner und -frauen?

Lange Diskussionen mit meinem Sohn und seinen Kumpels begleiteten mich in Elias’ letzten Schuljahren. Wann werden wir Eltern eigentlich uncool? Irgendwann in der Pubertät kommt der Tag, an dem die Kinder plötzlich ihre eigene Sichtweise entwickeln und sich die Welt selbst erklären wollen. Manchmal sind mir in den Diskussionen wirklich die Argumente ausgegangen und ich habe einfach entschieden, was ich für richtig hielt. In solchen Fällen marschierte Elias wieder einmal die Straße runter zu Jen. Dort beschwerte er sich dann: »Mama versteht mich nicht, es ist alles so schwierig mit ihr. Sie hört mir gar nicht wirklich zu.« Und ich saß zu Hause und dachte genau das Gleiche. Dabei tun wir Mütter ja nur so, als würde uns jeden Morgen die große Weisheit erleuchten und uns einflüstern, wie wir unsere Kinder zu erziehen haben. Wir kennen alle die Momente, in denen man oft einfach nur improvisiert. Und trotzdem musste ich die Richtung angeben, ich war das Familienoberhaupt, wie es so schön altmodisch heißt. Ich musste sagen, wo es langgeht.

Aber ich war auch bereit, Hilfe anzunehmen. Deswegen habe ich die Tür zu meinem Familienleben so weit aufgemacht. Ich habe immer von einer Großfamilie geträumt, mit vielen Onkeln, Tanten, Cousinen und Schwägerinnen. Und da ich die nun mal nicht vor meiner Haustür hatte, habe ich mir meine Wahlfamilie gesucht – Menschen, bei denen ich mich wohlfühle, bei denen ich ich selbst sein darf. Die meisten Singlemütter arbeiten hart, um ihren Kindern etwas zu bieten. Wie soll man das alleine schaffen? Mir ist es vollkommen egal, dass meine Freunde genau wissen, wann und warum es bei uns kracht. Denn der Vorteil ist so viel größer: Keiner von uns badet in Selbstmitleid oder fühlt sich unverstanden. Denn die anderen hören zu und springen ein.

Ja, unsere Wahlfamilie hat unser aller Leben bereichert und uns Mütter sehr entlastet. Doch mehr als das: Meine Freunde sind großartige, hilfsbereite Menschen mit gesundem Menschenverstand, die ich bewundere. Ich habe mir immer gewünscht, dass sie ein bisschen von ihrem Feenstaub auf meine Kinder versprühen. Und das haben sie.

Doch nun stehe ich hier, lasse die Schönheit des Sonnenaufgangs wirken und mache mir bewusst: Die Schule ist ein für alle Mal vorbei. Der Schulabschluss ist geschafft. Und nein, ich werde die Schule nicht vermissen, vor allem nicht diese hübschen rosa, gelben und grünen Zettelchen, die meine Kinder regelmäßig nach Hause gebracht haben, weil mal wieder eine Prüfung danebengegangen war. Oder das ständige Antreiben, wenn Elias mal wieder nicht einsah, warum man pünktlich um halb neun Uhr in der Schule sein muss. Geht nicht auch drei viertel neun oder neun?

Nein! Und dann das Weckritual: Ich kam teilweise drei bis vier Mal zum Aufwecken in die Zimmer meiner Jungs, wenn ich mit dem Fahrdienst für die Kids dran war! Nur wenn Jen die Jungs zur Schule chauffierte, war plötzlich alles anders. Wenn sie vor der Tür gehupt hat, gab es keine Ausflüchte mehr. Sie ist nicht der Typ, der lange wartet. Kommst du nicht rechtzeitig, ist sie weg. Und oh Wunder! Plötzlich war mein Sohn pünktlich fertig, denn vor seinem besten Freund wollte er sich nicht blamieren. An Jen-Tagen brauchte man ihn tatsächlich nur einmal zu wecken und gleich war der Morgen entspannter.

Noch schlimmer als die berühmten Zettel sind mir die Anrufe der Lehrer in Erinnerung. In Amerika kann so ein Anruf alles bedeuten – von »normalen« Notfällen bis hin zum Amoklauf. Auf jeden Fall bekam ich nie einen Anruf, wenn es etwas zu feiern gab.

Ich war gerade in Düsseldorf zur Besprechung für meine neue Teppichkollektion, als es mal wieder klingelte. Ich meldete mich schon mal etwas atemlos und hörte zuerst: »Keine Panik. Alles ist gut. Ihrem Kind ist nichts passiert.«

Mein Herzschlag beruhigte sich etwas, aber entspannen konnte ich noch nicht. Denn das Gespräch war noch nicht zu Ende: »Sie wissen ja, wie sehr ich Sie persönlich schätze, und ich mag auch Ihren Sohn.«

Pause. Aber?

Ja genau, da kam es: »Aber so geht das wirklich nicht weiter. Wenn er jetzt nicht endlich anfängt zu lernen und seine Hausaufgaben zu machen, wird er die Klasse nicht schaffen. Dann kann ich nichts mehr für ihn tun.«

Ich stürzte aus meinem Meeting, murmelte eine kurze Entschuldigung an die verblüffte Runde meiner Geschäftspartner und zückte das Telefon. Natürlich war der Sprössling beleidigt, weil Mama sich aus der Ferne um seine Schulprobleme kümmerte, wo er doch alles so super im Griff hatte, wie er meinte.

»Kannst du dich nicht einmal entspannen, Mama? Und nicht so einen Stress machen«, bekam ich zu hören. Würde ich ja gerne, aber nicht, wenn die Lehrerin anruft.

Doch auch das: vorbei! Bei der ganzen Aufregung in den letzten Wochen vor der Graduation hatte ich mich so sehr darauf fokussiert, dass Elias seinen Abschluss schafft, dass mich die Erkenntnis hier draußen auf meinem Balkon fast ein bisschen überraschend trifft.

Doch ich habe keine Zeit, weiter meinen Gedanken nachzuhängen. Jetzt müssten meine Söhne nur vielleicht mal aufstehen, damit Elias nicht seinen eigenen Abschluss verpasst.

AUS DEM NEST IN DIE WELT

Wie schon so viele Male zuvor wecke ich meine Jungs, dann bereite ich das Frühstück zu.

»Och nee, Mama. Echt jetzt? Porridge? Heute? An meinem letzten Schultag? Das glaube ich echt nicht«, beklagt sich Elias wenig später.

»Eben drum«, grinse ich. »Warum soll man schöne Rituale ändern?«

Noah stupst seinen kleinen Bruder liebevoll an und sagt mit einem Augenzwinkern: »Ich liebe Mamas Porridge. Ich wünschte, jemand würde mir in Berlin jeden Morgen so einen Teller hinstellen.«

Und mein Porridge ist in der Tat berühmt-berüchtigt, das gebe ich zu. Bei uns gab es morgens Porridge. An jedem Schulmorgen. Zwanzig Jahre lang, fünf Tage die Woche. Ja, vielleicht etwas einfallslos, aber effizient, weil schnell gemacht. Wasser aufkochen, Dinkelflocken rein, quellen lassen. Fertig.

Als die Kinder größer wurden, fing ich an, das Ganze mit Nüssen, Hanf, Leinsamen, Chia, Früchten, Kokosnussjoghurt oder Bienenpollen aufzupeppen. Dazu stand neben jedem Platz noch einer meiner ebenfalls berühmten (und auch berüchtigten) grünen Smoothies aus Ingwer, Spinat, Kurkuma, Holunderbeersaft oder Blaubeeren.

Ich gebe in den Mixer, was gerade da ist. Ich habe bei meinen Kindern von Anfang an auf eine gesunde Ernährung geachtet.

Mitten in meine Erinnerungen stürmt Jen in die Küche und lacht laut: »Oh, es gibt Porridge!«

Endlich sind alle fertig und auf dem Weg ins Auto. Unauffällig versuche ich, ein Paket mit einer kleinen Überraschung für Elias in den Kofferraum zu schmuggeln. Erfolglos. Elias hat mich trotzdem dabei beobachtet und ich sehe genau, wie nervös ihn das macht. Warum fällt es Kindern so schwer, ihren Müttern einfach mal zu vertrauen? Wir meinen es doch nur gut mit ihnen, sind stolz auf sie und das darf ruhig die ganze Welt erfahren.

»Wird dir schon gefallen, da bin ich sicher«, strahle ich ihn also an – was seine Nervosität offensichtlich nur noch mehr steigert. Inzwischen ist er in einen langen weißen Talar geschlüpft und steht mit seinem ebenfalls weißen Hut vor uns – die traditionelle Kleidung beim Schulabschluss seiner Schule.

»Sieht cool aus«, muntere ich meinen Sohn auf, der unsicher an sich herunterblickt. Im heimischen Vorgarten mutet das Gewand tatsächlich etwas seltsam an, aber eine halbe Stunde später laufen rund tausend identisch gekleidete Absolventen in die riesige Basketballarena der University of Miami ein und sitzen in langen Stuhlreihen nebeneinander. Von den oberen Rängen aus, wo die Familien platziert sind, könnte man denken, das sei ein Schwarm weißer Friedenstauben, der nur darauf wartet, endlich in die Freiheit davonfliegen zu können.

Jeder Schüler hat seine Eltern dabei. Manche auch noch die Oma, den Onkel, die Tante. Bei uns sind es meine Freundinnen Jen und Heather, welche die Tantenposition einnehmen. Die amerikanische Hymne erklingt und dann geht alles ganz schnell. Mein Sohn bekommt sein Zeugnis und als die Absolventen alle zusammen die Halle verlassen, kommt meine Stunde.

Wir halten vor unsere Gesichter lange Holzstäbe mit Papiermasken, auf die ich das Gesicht von Elias habe drucken lassen. Wir feiern ihn, das Diplom, uns selbst und vor allem die Tatsache, dass er es geschafft hat. Wir schreien seinen Namen so laut in die Welt hinaus, dass wirklich jeder zu uns schaut. Ein kleines Lächeln entlockt ihm das am Ende doch und als ich mich umdrehe, merke ich, dass wir gar nicht so peinlich sind. Hinter uns steht eine Frau, die das Gesicht ihres Sohnes auf eine Größe von zwei mal zwei Metern vergrößert hat und das Plakat begeistert in die Höhe hält.

Dieser Tag ist nur Freude, pures Glück. Natürlich will Elias unbedingt noch eine Party zu Hause feiern.

Ich biete ihm großzügig an: »Ihr könnt sehr gerne bei uns eine Party machen. Es gibt halt nur keinen Alkohol. Man kann doch trotzdem feiern und tanzen.« Doch damit kann ich nun leider keinen Blumentopf gewinnen. Also gehen wir alle gemütlich in seinem Lieblingsrestaurant essen – und am Abend verschwindet mein Sohn für eine der in Florida sehr beliebten Übernachtungspartys bei einem Kumpel.

AUSGEFLOGEN

Der Katzenjammer erwischt mich kurze Zeit später. Obwohl ich durch Noahs Auszug schon eine gewisse Übung im Loslassen haben sollte, trifft es mich diesmal ungleich härter – denn diesmal bleibt kein Kind bei mir zurück. Elias verlässt das Haus zwei Tage nach seiner Graduation in Richtung London.

Ich versuche – auch heute noch –, es nicht zu persönlich zu nehmen, dass die Kinder so schnell ausgezogen sind. Schließlich zeigt das ja auch, dass ich meine Aufgabe als Mutter gut erfüllt habe und sie voller Lust und Mut in ihr eigenes Leben starten. Aber einfach ist das nicht …

Auch ihm fällt es schwer zu gehen. Florida war ein herrlicher Ort für meine beiden Jungs. Das warme Wetter, die amerikanische Herzlichkeit, das reiche Sportangebot. Aber nach der Schule bot Miami für meine Kinder kaum Möglichkeiten, sich kreativ weiterzuentwickeln, deshalb sind sie ausgezogen, um woanders zu studieren und sich zu verwirklichen.

Es gelingt mir, meine Tränen abzuwischen und meinen Sohn mit einem Lächeln und gefühlt tausend Umarmungen zu verabschieden. Dabei rede ich mir ein, er würde nur kurz in den Urlaub fahren, so wie in den letzten Ferien. Viel mehr Gepäck hat er auch nicht dabei. Er sitzt schon im Flugzeug, als wir das letzte Mal facetimen – beide mit Tränen in den Augen.

Zu Hause überrollt mich der Schmerz wie eine große Welle. Plötzlich bin ich ganz allein. Ich gehe in Elias’ Zimmer und sehe die alten Schuhe, die ihm sowieso schon längst zu klein sind, aber immer noch in der Ecke stehen. Könnte ich ja eigentlich jetzt wegwerfen, die braucht er doch nicht mehr.