Mama kann nicht mehr - Julia Knörnschild - E-Book

Mama kann nicht mehr E-Book

Julia Knörnschild

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Beschreibung

Julia Knörnschild ist zweifache Mutter, erfolgreiche Unternehmerin, Influencerin und Autorin. Im Sommer 2022 sind ihre Kinder noch sehr klein, als sie mit einer Erschöpfungsdepression in eine Tagesklinik geht. Nichts geht mehr. Es folgt die Diagnose Burnout, ADHS und Angststörung. Und die Erkenntnis: So kann es nicht weitergehen. Berührend und bei aller Tragik doch lustig klärt Julia Knörnschild in ihrem zweiten Buch über psychische Krankheiten auf. Sie gibt Einblicke in ihre Therapiestunden, in Gruppensitzungen und ihren Alltag als Mutter, die gerade nicht »funktioniert«. Selten wurde so persönlich über psychische Krankheiten und mentale Gesundheit gesprochen, wohl noch nie im Zusammenhang mit Mutterschaft. Ein absolutes Tabu, das es endlich zu brechen gilt, damit Mütter aller Orten endlich die Sichtbarkeit bekommen, die sie verdienen.

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Seitenzahl: 272

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Julia Knörnschild

Mama kann nicht mehr

Wie ich mir Elternsein nicht vorgestellt habe: Mit Burnout in der Tagesklinik

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Julia Knörnschild

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kleine Einleitung mit Windeln an

Das »Sims«-Balken-System

Tagesklinik? Hä?

Der Weg ist das Ziel

Das Vorgespräch für die Tagesklinik: Should I stay or should I go?

Die große Entscheidung: Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich in die Tagesklinik gehe?

Mein erster Tag in der Tagesklinik

Die Tagesklinik wartet auf Tine Wittler

Tag 2 in der Tagesklinik

Tag 3 in der Tagesklinik

Tag 4 in der Tagesklinik

Tag 5 in der Tagesklinik

Kleiner Exkurs: Alkohol. Ja, auch das noch.

Die Wochenenden in der Tagesklinik-Zeit

Die vierte Woche in der Tagesklinik

Expertinnen-Interview zu AD(H)S

Interview mit Dr. Ismene Ditrich, Dr. Christa Koentges, Dr. Christine Carl und PD Dr. Swantje Matthies über AD(H)S

Die vorletzte Woche in der Tagesklinik

Ein Montag in der vierten Klinikwoche

Der Pausenraum

Vorletzte Woche Tagesklinik, Donnerstag: die Harmoniesucht

Der Abend vor dem letzten Tag in der Tagesklinik

Der letzte Tag in der Tagesklinik 

Die Zeit nach der Klinik. Wo ist die Heilung, die ich bestellt habe?!

Therapieplatz-Suche, Schematherapie und mein inneres Kind

Interview mit meiner Therapeutin Teresa von Lenthe über Schematherapie

Die heilende Reise: Julia allein in New York

April 2023, mental breakdown, die 100.

Was will ich eigentlich wirklich?

Meine eigenen Bedürfnisse: die Isolation, um klarzukommen, um klar zu denken

»Das Stimmungs-Chamäleon«

Die angepasste Mudda

Die große Frage meines Psychiaters

Die Essstörung

Die Handysucht

Die Panische-Angst-Mama

Die Familie und die Partnerschaft

Happy End of Love: Streit in der Beziehung und die Fünf-Minuten-Pause

Ode an die Me-Time

Paartherapie aka radikale Akzeptanz

Gut für die Beziehung und die Familie: Urlaubstage ohne Kinder

Die Menstruationsphase – meine fünftägige Pause

Wie ich mir das Elternsein nicht vorgestellt habe: DER KITA-WINTER

»Mama, wann bist du endlich wieder glücklich?«

Die Mama-Phase: »Mama, bringst du mich heute ins Bett?«

Schuldgefühle einer Mutter

Belohnungssystem: läuft bei mir

Selbstberuhiger 

Shoppen mit Verantwortung oder so

Bester Kanal: Weinen

Vom WhatsApp-Chat zum AD(H)S-Selbsthilfechor

Die verdiente Therapiepause: das Sommermärchen

Die allererste Begegnung mit meinem glücklichen inneren Kind

Der vierte Geburtstag meines Sohnes 

Drittes Kind: ja oder nein?

Die Hochzeit – wenn der Körper streikt

Flitterwochen zu Hause – eine lang ersehnte Pause

Die Depression

Danksagung

Anhang

Informationen und Hilfe für Betroffene und Angehörige

Inhaltsverzeichnis

Für meine wunderbaren Kinder, ich liebe euch. Es lag nie an euch, nur an meinem Umgang damit.

 

Für meinen Mann, der während dieser anstrengenden Zeit an meiner Seite geblieben ist, bis er fast selbst nicht mehr konnte.

 

Für alle Mütter und Bezugspersonen, die schon mal »Ich kann nicht mehr« gesagt haben.

Inhaltsverzeichnis

Kleine Einleitung mit Windeln an

Bitte seid nett zu diesem Buch, ich mache mich hier nämlich mental ziemlich nackt. Das mache ich nicht, weil ich das ultragerne tue, sondern weil ich fest daran glaube, dass es vielen Müttern und Bezugspersonen helfen kann, meine Geschichte zu lesen. Warum? Weil es höchste Zeit ist, die Stigmatisierung psychischer Krankheiten zu beenden und sich vom Ideal der perfekten Mutter zu verabschieden. Wir leben in einer Welt, die uns oft vorgaukelt, dass wir als Mütter immer fröhlich, geduldig und voller Energie sein sollten. Doch das ist einfach nicht die Realität. Manchmal fühle ich mich so überfordert, dass ich am liebsten laut schreien möchte, wenn ich es nicht sogar tatsächlich tue. Und da bin ich sicher nicht die Einzige. Ich weiß auch, dass gerade viele Mamas ausgebrannt sind oder besser gesagt: dass Mütter schon immer ausgebrannt waren. Die Anforderungen, die an Mütter gestellt werden, sind oft überwältigend und ganz anders, als man es sich hätte vorstellen können. Keiner kann einem vorhersagen, wie das Mamasein ist. Es ist individuell und hat auch ganz viel mit der eigenen Vergangenheit zu tun. Und trotzdem haben wir so oft das Gefühl, dass wir unsere Schwächen verbergen müssen, um dem Bild der perfekten Mutter gerecht zu werden. Für andere oder für uns selbst. Mit diesem Buch möchte ich einen Raum schaffen, in dem mehr Mütter und andere Betroffene sich gesehen fühlen und den Mut finden, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Einen Raum, in dem wir unsere Ängste, Unsicherheiten und Sorgen teilen können, ohne Angst vor Verurteilung zu haben. Denn ich weiß, wie wichtig es ist, einen Safe Space zu haben, in dem wir unsere tiefsten Gedanken aussprechen dürfen, ohne dass sie bewertet werden. Ich möchte mich mit diesem Buch für eine offene Kommunikation, für Verständnis und Empathie unter Eltern und Bezugspersonen starkmachen. Gemeinsam können wir eine Community schaffen, in der wir uns gegenseitig unterstützen, ermutigen und stärken. Seid vor allem nett zu euch selbst. Ihr gebt alle euer Bestes. HEGDL.

Inhaltsverzeichnis

Das »Sims«-Balken-System

Eine Sache möchte ich direkt zu Anfang dieses Buches erklären, und das ist mein Sims-Balken-System. Ich saß als Kind richtig viel am Computer, an meinem Ikea-Schreibtisch mit ausziehbarer Tastatur – der Windows-Tower passte perfekt in das Schreibtisch-System. Es war der Traum eines jeden Millennials. Wenn ich Sims spielte, verging die Zeit wie im Flug. Sauschnell. Ich verlor mich meistens darin und habe am Ende wahrscheinlich mehr Zeit damit verbracht, Häuser zu bauen und sie einzurichten, als tatsächlich mit den Sims zu spielen. Es war, als ob ich in eine andere Welt eintauchte, in der jedes Detail perfekt sein musste. Farben, Möbel, Deko – nichts entkam meinem Tine-Wittler-Blick. Ich war wie besessen.

Vielleicht erinnert ihr euch, dass die Figuren Bedürfnis-Balken hatten. Ständig waren sie hungrig, müde oder einsam, und ich musste mich um jeden einzelnen verdammten Balken kümmern, um sie auf Grün zu halten. Es war, als hätte ich wieder ein Tamagotchi, das nach meiner Aufmerksamkeit schrie. »Füttere mich! Leg mich schlafen! Unterhalte dich mit mir!« Als ob ich nicht schon genug Verantwortung im echten Leben gehabt hätte, ey! Aber ich bin ein visueller Lerntyp und tatsächlich hilft mir die Erinnerung an dieses Spiel heute, meine eigenen Bedürfnisse besser zu verstehen und besser auf mich achtzugeben. Ich stelle mir vor, ich hätte meine eigenen Bedürfnis-Balken, die ich im grünen Bereich halten muss, um ein halbwegs normales Leben zu führen. Ich brauche genug Schlaf, Nahrung und soziale Interaktion, um nicht wie ein wandelnder Zombie herumzulaufen. So weiß ich, dass mein Me-Time-Balken eine sehr lange Zeit im roten Bereich war und den galt es wieder auf Grün zu ziehen. Ich habe begriffen, dass ich auf mich selbst gucken muss, um mein eigenes Glück zu finden. Das Sims-Balken-System wird hier im Buch immer wieder thematisiert. Aber dazu später mehr.

Inhaltsverzeichnis

Tagesklinik? Hä?

Der Weg ist das Ziel

Was braucht man, um glücklich zu sein? Das fragte ich mich schon mein Leben lang. Ich dachte immer: Geld, einen festen Freund, Kinder, eine tolle Wohnung oder ein tolles Haus und einen flachen Bauch. Ich hatte das (fast) alles und war trotzdem nicht glücklich. War ich undankbar? Nein, ich hatte eine Erschöpfungs-Depression. Wobei man keine Erschöpfungs-Depression braucht, um mit seinem Leben unzufrieden zu sein. Die Einsicht, dass niemand kommen wird, der mir sagt, was mit mir los ist, kam sehr, sehr spät. In meiner Vorstellung kam eine edle Psychiaterin auf einem Schimmel geritten und trug mir auf einer Papierrolle all meine Diagnosen vor. Mit einem Schlag würde ich endlich mein gesamtes Leben begreifen. Danach wäre natürlich alles perfekt. Aber TÜDUM, dem ist nicht so. »Jeder ist sich selbst der Nächste«, sagte mir meine Sporttherapeutin in der Tagesklinik, zu der ich später noch kommen werde. Diesen Satz kann man immer wieder und überall im Leben einfügen. Genau wie den Song »Flowers« von Miley Cyrus. Dieser Song hat so viele Ebenen, der empowert einfach mein Leben. Da muss erst Miley Cyrus kommen und mir sagen, dass mein Glück nicht von einem anderen Menschen abhängig ist. »I can buy myself flowers, write my name in the sand, talk to myself for hours, say things you don’t understand.« Und ja man, so ist’s. Wie viele Jahre dachte ich, dass ich nur glücklich sein kann, wenn ich in einer Beziehung bin und Kinder habe? Es fühlte sich ein bisschen an, als hätte ich die Verantwortung für mein Glück einer anderen Person aufgehalst, doch das kann kein Freund und keine Freundin übernehmen. Diese Verantwortung lag immer schon bei mir selbst. Ich bin mir bewusst, wie gut ich es habe, ein Netz aus Mann und Freund*innen zu haben.

 

Meine Vorstellung von Therapie war etwas einfacher als dieses laute Gerumpel, bestehend aus Heulen, Zusammenbrechen, Einsehen, Streiten, Müde- und Erschöpftsein und alles wieder von vorn. Anfangs dachte ich: Ich gehe zur Therapie, erzähle ein bisschen aus meiner Kindheit und dass ich oft depressive Schübe habe und dann sagt mir jemand, wie ich das in den Griff bekomme, und ZACK bin ich geheilt und lebe ein happy life. Wahrscheinlich werde ich niemals das To-do »Therapie« einfach abhaken können. Ein alter Freund von mir, Max Richard Leßmann, ist ein schlauer Mann, denn der sagte mal: »Wenn mehr Menschen Therapie machen würden, müssten weniger Menschen Therapie machen.« Der Satz macht was mit mir. In vielen Köpfen ist immer noch gespeichert, dass nur sehr, sehr, sehr kranke Menschen zur Therapie gehen müssen oder Menschen, die »ein Rad ab« oder »einen Schaden« haben oder etwa »verrückt« sind.

Therapie ist schön und anstrengend. Es ist Arbeit, aber ganz klar Arbeit, für die es sich lohnt, hinzugehen, aufzustehen, zu heulen, schwach und stark zu sein. Schwäche zu zeigen, die Seele zu zeigen und auch die dunklen Gedanken auszusprechen, das erfordert verdammt viel Mut. Therapie macht man nicht nur für sich, man macht es auch für andere. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse in der Therapie war: Ich kann andere Menschen nicht ändern, aber ich kann meinen Umgang mit ihnen ändern.

Die Therapie an sich hilft einem, Dinge besser zu verstehen. Dinge oder Verhalten, die einen in der Gegenwart beschäftigen, aber auch Verhalten, die vielleicht aus der Vergangenheit in die Gegenwart übernommen werden. Ey, das klingt so bescheuert, wir brauchen hier Beispiele. Also los! Manchmal, wenn mein Mann mir sagt, dass ich vergessen habe, die Windeln mit in die Kita zu bringen, aktiviert er mein inneres Kind und ich fühle mich nicht verstanden. In solchen Situationen reagiere ich dann total bockig, statt einfach zu sagen: »Hey, stimmt, hast recht. Sorry, habe ich nicht gecheckt.« Das musste ich aber erst mal bei mir selbst sehen und lernen, das zu verstehen. Heute weiß ich: Ich kann Verhaltensstrukturen durchbrechen. Doch das war ein langer Weg dahin. Ich nehme euch aber mit. Starten wir am Anfang:

 

Im Sommer 2022 erschien mein erstes Buch »Chillig mit Baby«, ich war auf Lesereise, war gleichzeitig mit meinem Podcast »Mama Lauda« auf Tour, hatte einen schnellen Erfolg auf Instagram, habe einige Events moderiert, wöchentlich meinen Podcast aufgenommen, habe die beiden Podcasts »Hebammensalon« und »Maison Journelles« produziert und vermarktet, war auch noch Geschäftsführerin meiner Firma »Studio Lauda« und da für das Wohl meiner drei fest angestellten Mitarbeiterinnen und für viele weitere operative und für mich langweilige Dinge verantwortlich. Ganz nebenbei bin ich auch noch Mutter von zwei Kindern. Zu der Zeit war mein Sohn drei Jahre und meine Tochter ein paar Monate alt. Heute bekomme ich schon vom Lesen dieser Aufzählung einen fetten Druck auf der Brust und werde kurzatmig. Zusätzlich zu all diesen Projekten hatte ich mir noch überlegt, einen neuen eigenen Podcast zu starten. Ich habe das Konzept dafür geschrieben, einen Termin fürs Cover-Shooting vereinbart, sämtliche Podcast-Streaming-Dienste mit der Idee angeschrieben und die ersten Gäst*innen dafür eingeladen. Der Podcast sollte »Frauen LOL« heißen. Aber das war nicht alles, nein. Neben dem Podcast wollte ich eine Event-Reihe erschaffen, die »Weiberabend« heißen sollte, und hatte dafür schon PR- und Event-Expertinnen getroffen, die mir dabei helfen sollten, das alles zu realisieren. Ich wollte unbedingt Frauen miteinander verbinden. Auch das war noch nicht alles, nein. Ich wollte mein zweites Buch »Kinder LOL« schreiben. Ich wollte so gerne schreiben, wie es ist, mit Kleinkindern zu leben. Spoiler: Es ist krass. Dafür schrieb ich zu dieser Zeit ein Inhaltsverzeichnis und kündigte meiner Lektorin Mona an: »Hey yo, ich bin wieder ready.«

 

Zur gleichen Zeit wurde ich extrem vergesslich. So vergesslich, wie ich es noch nie erlebt hatte. Die Zeit war für meine Familie, Freund*innen und Mitarbeiterinnen wirklich anstrengend. Ich war schnell auf die Palme zu bringen, stand total neben mir, war an manchen Tagen traurig, an anderen Tagen okay drauf, habe viel geweint, mich total einsam gefühlt und war dazu eben extrem vergesslich. Ich habe fast jeden Termin vergessen und einfach verpasst. Egal, ob private oder geschäftliche Termine. Termine bei meiner Hausärztin, bei meiner Therapeutin, aber auch Treffen mit Freundinnen. Und was mich auch belastet hat, war, dass ich Anrufe und Termine mit Kund*innen vergessen habe, obwohl sie in allen Kalendern und auf allen To-do-Listen standen. Sie waren einfach nicht mehr in meinem Kopf gespeichert, als wäre der Speicherplatz da oben voll und ich müsste neuen kaufen. Wenn mich jemand, wie abgesprochen, anrief, wusste ich oft nicht, wer am Telefon ist. Das verursachte ein Gefühl der Ohnmacht. Was aber das Schlimmste war, und das hat sich tief in mir eingebrannt: Ich hatte häufig Panikattacken, wenn ich sehr gestresst war und fand in sehr stressigen Situationen die Vorstellung, tot zu sein, gar nicht so schlecht. Wobei ich keine Suizidgedanken hatte. In der Therapie lernte ich später, dass das Ausdruck meines großen Wunschs nach einer Pause war. Da kullerten die Tränen, als nur dieses Wort fiel. Pause war genau das, was ich brauchte. Ich wünschte mir, dass sich jemand um mich kümmerte, mich in den Arm nahm und mir Zeit schenkte.

 

Ein Schlüsselmoment war eine Mail von meiner Therapeutin, nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie mich an meine Termine erinnern könnte. Ich schrieb ihr:

Hallo, Frau Therapeutin Dingsbums,

 

mir kam gerade unser Termin wie ein Blitz in den Kopf und ich musste sofort heulen. Ich kann mir seit zwei Monaten einfach keine Termine merken. Das passiert mir gerade täglich. Egal, wo sie vermerkt sind, sie sind einfach weg. Ich weiß nicht, wie ich so wöchentlich eine Therapie machen soll. Ich zittere am ganzen Körper gerade. Könnten Sie mich vielleicht anrufen, wenn ich nicht erscheine? Wenn ich nicht komme, hat es eigentlich immer einen Grund. Meistens den, dass ich es vercheckt habe.

 

Irgendwas stimmt gerade nicht mit mir.

 

Liebe Grüße

Julia Knörnschild

In ihrer Antwortmail äußerte sie Zweifel, ob der ambulante Rahmen einer Therapie so zu halten sei, und sagte, dass eine Klinik teilstationär oder stationär unterstützender sein kann, um erst mal zu stabilisieren. Mein erster Gedanke war: »Okay lol, dann habe ich in meiner Mail wohl übertrieben. Das ist safe nicht die Lösung. Ich muss doch nicht in eine Klinik. Mir geht’s doch gut. Außerdem habe ich es doch 33 Jahre ohne Klinik geschafft.« Also vereinbarte ich eine neue Therapiestunde mit ihr, um das mal anzusprechen. Das war die erste Therapiestunde nach meinem langen Sommerurlaub mit meinem Mann und meinen Kindern. Urlaub mit Kindern ist auch ein Thema für sich. Der Urlaub war zwar wunderschön, aber ich kam nicht erholt zurück. Also updatete ich meine Therapeutin erst mal, wie es mir ging. Ich sagte ihr, dass ich gerade nicht die Alte sei, mich manchmal fühlte, als wäre mein Körper nur eine Schale. Wie depressiv ich mich an vielen Tagen fühlte und dass ich Panikattacken hatte. Wieder empfahl sie mir, in eine Tageseinrichtung zu gehen. Da wurde ich ganz ruhig und merkte, wie sich ein ganz warmes und dankbares Gefühl in mir einstellte. Es fühlte sich an, als hätte sie mir die Hand gereicht und mir gesagt: »Ich helfe dir. Du musst die Hilfe nur annehmen.« Mit diesem Gefühl verließ ich die Therapiestunde und verarbeitete das bei einem einstündigen Spaziergang, bei dem ich so viel heulte, dass ich fast ausgetrocknet wäre. Ich sprach mit meinem Mann und entschied, eine Nacht drüber zu schlafen. Ich tendierte aber dazu, nicht in eine Klinik zu gehen, da mein Mann bei unserer Tochter ein Jahr in Elternzeit gegangen war und die Tagesklinik quasi genau nach diesem Jahr starten würde. Es fühlte sich an, als müsste ich entscheiden: er oder ich? Das wollte ich ihm nicht antun, meine Schuldgefühle kamen hoch wie eine Push-Benachrichtigung auf dem Smartphone: Huhu!

 

Ich fasse noch mal zusammen: Mein Mann hatte gerade zwölf Monate Elternzeit mit unserem zweiten Kind hinter sich gebracht und war bereit, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Unsere Tochter war gut in der Kita eingewöhnt und alles schien wie am Schnürchen zu laufen. Und dann kam ich. Mit meiner Ankündigung, dass ich in die Klinik musste. Ach ja, Timing ist wirklich alles, oder? Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich meinem Mann davon erzählte. Wir saßen an unserem Esstisch und ich konnte förmlich die Vorfreude in seinen Augen auf den Wiedereinstieg in seinen Beruf sehen. Und dann kam mein »Heyyyyy, ich muss in die Klinik, wäre cool, wenn du dich dann mehr um die Kinder kümmerst«. Ich konnte quasi dabei zusehen, wie sich sein Gesichtsausdruck langsam von Vorfreude zu Verwirrung wandelte. Dann seine Frage, die mir in diesem Moment wie ein Schlag ins Gesicht vorkam: »Wann genau musst du gehen?« Meine Antwort war natürlich nicht so klar, wie er sie sich gewünscht hätte. »Ehm, also, in den nächsten paar Wochen irgendwann. Genaueres weiß ich noch nicht.« Es war krass für ihn, weil er zurück in seinen Beruf sollte, und für mich war es krass, weil die Entscheidung so groß war. Ich hatte Angst und ich war absolut am Ende. Die morgendlichen Abläufe, das In-die-Kita-Bringen, das Kochen, das Abholen der Kinder von der Kita – all das lag jetzt in seinen Händen. Ich brauchte diese Klinikzeit, um mich um meine Gesundheit zu kümmern und wieder auf die Beine zu kommen. Das Timing war mehr als bescheiden, aber manchmal müssen wir uns selbst an die erste Stelle setzen und für unsere Gesundheit sorgen.

Das Vorgespräch für die Tagesklinik: Should I stay or should I go?

Nachdem ich den Mut aufgebracht hatte, in der Tagesklinik anzurufen, die meine Therapeutin empfohlen hatte, wurde ich zu einem Vorgespräch in die Klinik eingeladen. Dort wurde ich von einer einfühlsamen Psychiaterin empfangen, die anhand eines Fragebogens und Gesprächs mit mir meinen Bedarf für die Tagesklinik einschätzte. Bei der Psychiaterin fühlte ich mich sofort wohl, am liebsten hätte ich dort den in meinen Vorstellungen vorhandenen Kamin angeschmissen, Kuschelsocken angezogen, einen warmen Tee getrunken, meine Pulloverärmel über die Hände gezogen, mich an sie angelehnt und lange mit ihr geredet. Sie bot mir an, dass ich in ein paar Wochen loslegen könnte, weil in einer Station, in die ich wegen meiner Symptome passen würde, spontan ein Platz frei wurde. Klang, als würde da eine Emo-Clique auf mich warten, die genauso schlecht drauf sein musste, wie ich es gerade war. Ich stellte mir die Klient*innen so vor wie die Figur »Traurig« in dem Film »Alles steht Kopf«. In Anbetracht der langen Wartelisten in den Tageskliniken, die ich kannte, war ich krass dankbar für diese Gelegenheit. Auch wenn ich unsicher war, ob es das Richtige für mich war. Es war echt beruhigend zu wissen, dass man, wenn die wöchentliche Therapie nicht ausreicht, seine*n eigene*n Psychiater*in ansprechen kann, um Empfehlungen für eine geeignete Klinik zu erhalten – sei es eine Tagesklinik oder eine vollstationäre Einrichtung. Als ich die Klinik wieder verließ, heulte ich sofort los und schluchzte richtig laut. Ich war so unsicher, ob ich in eine Tagesklinik gehen sollte. Wie erzähle ich das meinem Umfeld? Behandeln mich dann alle anders? Ich war so furchtbar unsicher und keiner konnte mir die Entscheidung abnehmen. Es gab keine Vorbilder in meinem Umfeld. Zumindest gab es keine, von denen ich wusste, denn psychische Krankheiten werden in unserer Gesellschaft leider stigmatisiert. Dabei sind es genauso Krankheiten wie physische. Wenn ich mir ein Bein breche, gehe ich doch auch ins Krankenhaus und erzähle allen davon. Das wäre doch lustiger Instagram-Content: bisschen im Krankenhaus abchillen und das ekelhafte Krankenhaus-Essen von den Follower*innen auf Instagram bewerten lassen. Megafun!

Die große Entscheidung: Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich in die Tagesklinik gehe?

Es war eine dieser anstrengenden Nächte, in denen ich nicht einschlafen konnte. In solchen Nächten wälzte ich mich hin und her, hörte Podcasts, sah Serien. Ich probierte alles aus, was mich sonst zum Einschlafen brachte. In solchen Nächten liege ich oft heulend im Bett, einfach aus Verzweiflung. In dieser Nacht brach Gedankenchaos aus, ich musste mich entscheiden, ob ich in die Tagesklinik gehen sollte oder nicht. Bin ich eine schlechte Mutter, Partnerin und Chefin, wenn ich diesen Schritt mache? Da hingen einfach so viele Menschen, also so viel Verantwortung mit dran. Keiner konnte mir sagen, ob es die richtige Entscheidung war oder nicht. Ich musste das alleine entscheiden und das brachte eine Welle der Angst mit sich. Das schien so riesig und mächtig und das fühlte sich an wie ein riesengroßer Stein auf meiner Brust. Was sage ich, wie ein riesengroßer Stein auf meinem Körper. So groß wie die Steine bei Asterix & Obelix.

Die Vorstellung, dass mein Mann mich verlassen könnte, weil ich nicht stark genug war, um mit meinen eigenen Emotionen umzugehen, nagte an mir. Die Sorge, dass meine Kinder einen Schaden davontragen könnten, weil ihre Mama nicht stark genug war, um für sie da zu sein, fühlte sich furchtbar an. Die Angst davor, meine Kinder weniger zu sehen, schnürte mir die Kehle zu, sodass ich kaum Luft bekam. Die Vorstellung davon, wie ich als Mutter sein sollte, war gerade so weit weg. Ich machte mir Vorwürfe und die Schuldgefühle kochten in mir hoch und ich fühlte mich klitzeklein. Wie konnte ich mich von meinen Kindern trennen, wenn ich doch das Gefühl hatte, jede Sekunde mit ihnen festhalten zu müssen? Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt gerade elf Monate alt. Mein Sohn war gerade drei Jahre alt geworden und in der maximalen Mama-Phase, er brauchte mich. Die Vorstellung, in eine Klinik zu gehen, wo Menschen mit anscheinend schwer wiegenden Problemen kämpften, ließ mich zweifeln, ob ich dort überhaupt hinpasste. War ich nicht krank genug oder war ich kränker als die anderen? Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper in meiner eigenen Entscheidung. Und dann war da die Angst vor der Tagesklinik selbst. Wie sah eine Tagesklinik überhaupt aus? Gab es da auch Pfleger*innen, die sich um die Menschen kümmerten? Die Furcht vor den neuen und unbekannten Gesichtern, während ich durch die Tür trat. Dort bin ich dann »die Neue«, will ich das sein? Unbekannte, also neue Umgebungen, machen mir oft Angst. Selbst wenn ich einen neuen Sportkurs ausprobierte, ging ich da lieber erst mal mit einer Freundin hin, die dort mein Safe Space war. Beim zweiten Mal ist der Ort aber schon ein Safe Space und dann gehe ich da auch gern und sogar lieber alleine hin. Ich war einfach wirklich gerne alleine unterwegs. Auch shoppen machte mir alleine viel mehr Spaß, so konnte ich meine eigene Geschwindigkeit nehmen und die Kleidung einmal kurz scannen und direkt weiterziehen. Einfach weil ich Dinge gut und schnell entscheiden kann, wenn es mir okay geht. Aber diese Entscheidung war groß und mein Zustand war klein. Was sollte ich jetzt machen? Die Unsicherheit, wie ich mich zwischen den neuen Menschen und dem mir unbekannten Personal fühlen würde, machte meine Knie weich. Aber dann erkannte ich, dass ich keine Wahl hatte. Es war Zeit, auf mich selbst zu hören, auch wenn es bedeutete, in die komplette Unsicherheit zu treten und mich mit meinen Ängsten zu konfrontieren. Also entschied ich mich in dieser Nacht für die Tagesklinik. Es war eine zwiegespaltene Entscheidung, die ich hasste und liebte. Da kommt mir Stacie Orrico in den Kopf und ich singe laut in meinem Kopf: »I hate you, but i love you. I can’t stop thiiiinking of youuuhuuuuu.« Aber ich brauchte jetzt dringend Hilfe und dieser Schritt fühlte sich an, als würde ich mich in die Arme der Psychiaterin mit den Kuschelsocken aus dem Vorgespräch legen, die mir Hoffnung gab. Hoffnung auf Veränderung, Hoffnung auf Heilung und Hoffnung darauf, dass ich, auch wenn ich mich LOST fühle, einen Weg zurück zu mir selbst finden konnte. Wo war »die alte Julia«? Ich brauchte sie so dringend. Und um die Frage dieses Kapitels noch mal aufzugreifen: Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich in die Tagesklinik gehe? Das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, aber die Zukunfts-Julia kann schon mal die Vergangenheits-Julia in den Arm nehmen und ihr sagen: Nein, dann bist du sogar eine gute Mutter, weil du bereit bist, an dir zu arbeiten, und weil du es besser machen möchtest.

Mein erster Tag in der Tagesklinik

Ich rief mir ausnahmsweise ein Taxi, um am ersten Tag nicht zu spät zur Tagesklinik zu kommen. Mein Zeitmanagement ist nicht das beste, dadurch komme ich oft zu spät. Ich sollte um 8:30 Uhr da sein und um 8:00 Uhr bestellte ich das Taxi. Das reichte ja easy. Die App zeigte an, dass der Fahrer in zehn Minuten kam. Uff, so lange hatte ich noch nie warten müssen. Die Minutenanzeige wurde immer länger und plötzlich brach der Taxifahrer die Fahrt zu mir einfach ab. Ging’s noch?

Um 8:31 Uhr saß ich schließlich im Taxi. Ich fühlte mich, als würde ich zum ersten Mal zur Berufsschule fahren. Ich hatte Angst, wer meine Mitschüler*innen sein werden. Kannte ich sie vielleicht? Kannten sie mich vielleicht? Waren sie so schlimm dran wie ich? Irgendwie fühlte ich mich unwohl, ängstlich und wie ein kleines schüchternes Kind. Um 8:34 Uhr sagte ich dem Taxifahrer, dass ich es sehr eilig hatte, einen sehr wichtigen Termin. Er ging daraufhin vom Gas runter und fuhr gefühlt etwas langsamer. Na danke! Um 8:45 Uhr stand ich vor der Tagesklinik. Gab es jetzt Ärger? Ich fuhr mit dem Aufzug nach oben und wurde direkt mit meinem Nachnamen angesprochen. »Hier ist heute alles entspannt«, sagte mir jemand. Ich erwiderte direkt, dass ich komplett überfordert war und gerne wissen würde, was hier heute passierte, um die Kontrolle über den Tag zu haben. Ich hatte das Gefühl, dass ich hier sehr ehrlich sagen konnte, was ich gerade fühlte. Aber die freundliche Frau blieb dabei, hier sei heute alles entspannt für mich. Erst komme die Diagnostik und wir würden herausfinden, was ich hatte, und dann würden wir checken, ob ich in Gruppe A oder Gruppe C kam. Die Gruppe A war wohl um einiges älter. Innerlich wünschte ich mir, in Gruppe C zu kommen, und fragte mich, wie ich das System dahinter knacken konnte.

 

Ich hatte immer gedacht, dass ich nur ein bisschen überempfindlich und überfordert war, aber jetzt wurde mir klar, dass ich wirklich krank war. Die Therapeut*innen erklärten mir, dass ich nicht alleine war und dass es viele Menschen gab, die ähnliche Probleme hatten wie ich. Das gab mir ein wenig Trost, aber ich war trotzdem am Boden zerstört. Das erste Gespräch mit der Oberärztin stand auch noch auf dem Programm. Als ich in ihr Büro trat, spürte ich einen fetten Druck auf der Brust und fühlte mich hilflos. Doch ich wusste, dass ich diesen Moment nutzen musste, um mich zu öffnen. Ich erzählte der Oberärztin, in welche Therapiegruppe ich gerne wollte und wie wichtig es für mich war, so schnell wie möglich eine Diagnose zu erhalten. Ich war einfach am Ende meiner Kräfte und wollte nicht länger warten. Ich war ungeduldig und konnte nicht verstehen, warum ich nicht sofort starten konnte. Mir war bewusst, dass ich es mir selbst nicht leicht machte. Ich heulte mich förmlich bei der Oberärztin aus und ließ meinen Gefühlen freien Lauf. Ich konnte mich an diesem Ort von einer Seite zeigen, die ich normalerweise nicht so offen präsentierte. Das Gespräch half mir schon am ersten Tag, denn schon da hatte ich mich getraut, meine eigenen Bedürfnisse zu äußern und für mich selbst einzustehen. Da bin ich sehr stolz drauf. Die alte Julia wäre mit eingezogenem Kopf in die andere Gruppe gegangen und hätte dabei auch noch allen das Gefühl gegeben, dass sie unbedingt in diese Gruppe wollte, damit sich alle wohlfühlten. Die Oberärztin versicherte mir, dass ich sehr bald Anschluss in der Klinik finden würde und in der Gruppe C richtig aufgehoben war.

 

Nach meinem ersten Tag in der Klinik war ich emotional aufgewühlt. Ich stieg in den Bus, setzte mich nach ganz hinten und dann ging es los. Einfach so. Die Tränen kamen wie Wasserfälle, ich konnte sie nicht aufhalten. Ich heulte und schluchzte wie Bella in »Twilight« als Edward sie im zweiten Teil für sehr lange Zeit verlassen hatte, oder wie Rory in »Gilmore Girls«, als Jess einfach abgehauen ist. Oder besser gesagt: Kurz fühlte ich mich, als hätten Edward und Jess mein Herz gebrochen. Ich war so froh, dass zu dieser Zeit noch die Maskenpflicht galt, denn durch die Maske war ich ein bisschen anonymer unterwegs und konnte heulend im Bus sitzen. Wie die Coolen früher, nur eben nicht so cool, weil weinend. Mein Gesicht war rot und geschwollen und der Rotz lief förmlich aus allen Löchern. Ich konnte mir vorstellen, wie es ausgesehen haben musste, aber in diesem Moment war es mir egal. Es war wie ein Ventil, durch das sich all der aufgestaute Druck und die Angst entlud. Unter der Maske sah ich aus wie die Frontsängerin von Evanescence. BRING ME TO LIFE! Als der Bus schließlich meine Haltestelle erreichte, stieg ich aus und schniefte noch einmal kräftig. Ich hatte die Emo-Julia im Bus gelassen, bin zweimal ausgestiegen und fühlte mich bereits ein bisschen leichter.

Die Tagesklinik wartet auf Tine Wittler

Wie kann man sich eine Tagesklinik eigentlich vorstellen? Sieht die aus wie ein großes weißes Krankenhaus mit einem roten Kreuz auf dem Dach oder eher wie ein Interieur-Laden voller Designer-Lampen in Berlin Mitte? Hey, weder noch. Meine Klinik befand sich in einem Stockwerk eines ganz normalen Hauses in Berlin. In meiner Station war ein langer Flur mit grauem Teppich unter den Füßen und hellen Holzmöbeln in den kleinen Räumen, die vom Flur abgingen. Diese Flure warteten sehnsüchtig auf Deko, Tine Wittler und »Einsatz in vier Wänden«. In den kleinen Räumen fanden Einzeltherapie und Gespräche mit den Ärzt*innen, also Psychater*innen statt. Doch es gab noch mehr Räume in anderen Etagen, zum Beispiel einen riesigen Sportraum, in dem Yoga und andere kleine super-sporty Aktivitäten stattfanden, die wöchentlich auf dem Stundenplan standen. Der Stundenplan sah ein bisschen aus wie ein Stundenplan in der Schule, nur mit längeren Pausen zwischen den Stunden. Die Pausen waren auch Teil der Therapie, denn sie dienten der Entschleunigung und dem Verarbeiten. Auf meinem Weg zum Gruppentherapie-Raum ging ich jeden Morgen in die kleine Kaffeeküche, machte mir einen Filterkaffee mit Hafermilch und nahm mir einen Apfel. In den Fluren standen Holzspinde, in denen wir unsere Wertsachen sicher aufbewahrten, und persönliche Gegenstände wie Smartphones, die andere reizen könnten, wurden dort ebenfalls verstaut. Für mich war es besonders wichtig, dass Handys aus der Gruppentherapie draußen blieben, um meine Reizüberflutung zu minimieren – eine Grenze, die ich nach ein paar Wochen klar kommunizieren konnte. Vor dem Gruppenraum wartete ein Schrank voller »Skills«. Also Igelbälle, Chilibonbons, Brausepulver und Akupressurringe, alles kleine Helfer-Freunde, um bei Anspannung und Nervosität wieder herunterzukommen.

Tag 2 in der Tagesklinik

Am zweiten richtigen Tag in der Tagesklinik durfte ich endlich meine Gruppe kennenlernen. Ich war furchtbar aufgeregt, weil das für mich der schwierigste Part war, so dachte ich damals. Ich hatte Angst vor diesen anderen Menschen. Alle kannten sich bereits und ich war »die Neue«, wie so oft in meinem Leben. Meistens hatte ich das sogar gut gefunden, weil ich gerne neue Dinge startete, aber in so einer unsicheren Umgebung hatte ich echt Respekt vor der Situation. Ich wusste einfach nicht, was mich da erwartete – Kontrollverlust ciao! Ich kam in den Gruppentherapieraum und einige saßen schon im Kreis, wir warteten auf die Therapeutin und auf zwei weitere Patientinnen. Dann stellten wir uns alle einmal vor. Unsere Namen und der Grund, warum wir hier waren. Also stellte ich mich vor: »Hallo, ich bin Julia. Ich bin Mutter von zwei kleinen Kindern, selbstständig und leide unter einer immer wiederkehrenden Erschöpfungsdepression. Außerdem glaube ich noch etwas anderes in mir drin zu haben. Ich suche schon so lange nach einer Antwort und hoffe, die hier jetzt zu finden.«

Während ich die Geschichten der anderen hörte, wie sie hießen, wie alt sie waren, warum sie da waren und welche Diagnose sie hatten, kam mir der Gedanke, dass ich eine