Man erzieht nur mit dem Herzen gut - Cathy Zindel-Weber - E-Book

Man erzieht nur mit dem Herzen gut E-Book

Cathy Zindel-Weber

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Beschreibung

Ein Ermutigungsbuch – liebevoll, klug, mitten aus dem Leben Manchmal tut Hilfe so gut. Hilfe von jemandem, der in unser Familienleben hineinblickt - liebevoll, beratend, pädagogisch erfahren, individuell, hoffnungsvoll und voller Glaubensstärke. Dieses Buch tut genau das: Sie finden Impulse, eigene Bewertungen von Dauerbrennpunkten in der Kindererziehung zu weiten. Inspiration, sich in der Familienphase auch als Liebespaar im Blick zu behalten. Und vor allem finden Sie Ermutigung, bei allen Erziehungs- und Beziehungsfragen in Ihrer Familie, das eigene Herz einzubringen: So kann die Nähe entstehen, die alle brauchen, um gesund zu wachsen - Kinder und Eltern.

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Cathy Zindel-Weber • Daniel Zindel

Man erzieht nur mit dem Herzen gut

Ein spirituelles Elternbuch

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-26990-1 (E-Book)

ISBN 978-3-417-26933-8 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

Das Buch wurde realisiert mit der freundlichen Unterstützung durch die Beratungsstelle Rhynerhus, Stiftung Gott hilft.

© 2021 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-brockhaus.de E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.

Weiter wurden verwendet:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT) Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlags-gruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (ELB)

Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de

Umschlaggestaltung: Sybille Koschera, Stuttgart

Autorenfoto: © Philipp Harlacher

Illustrationen: Michele Stricker, © Beratungsstelle Rhynerhus, Stiftung Gott hilft

Innengestaltung: Astrid Shemilt, München

Für unsere Enkelinnen und Enkel

INHALT

Über die Autoren

Vorwort

1 Unser Familienhaus

2 Der Haussegen

3 Liebespaar und Eltern sein

4 Handeln – Haltung – Halt

5 Das Beziehungsdreieck

6 Vertrauen und Sorgfalt

7 Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit

8 Autorität und Gehorsam

9 Dankbarkeit und Leidensfähigkeit

10 Freiheit und Verantwortung

Nachwort

Literatur

Anmerkungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

ÜBER DIE AUTOREN

Daniel Zindel (Jg. 1958) ist Theologe und arbeitet als Gesamtleiter der Stiftung »Gott hilft«, einem christlichen Sozialwerk. Cathy Zindel-Weber (Jg. 1959) ist Lehrerin und leitet die Lebensberatungsstelle »Rhynerhus«. Die beiden sind als Eheberater, Coaches und in der Seelsorge tätig. Gemeinsam haben sie vier verheiratete Kinder und leben in Zizers, Schweiz.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

VORWORT

Dies ist ein geistliches Elternbuch geschrieben von einem Elternpaar, deren Kinder schon erwachsen sind. Das hat so seine Tücken. Man vergisst im Nachhinein leicht, wie anstrengend Elternschaft ist: Man fällt todmüde ins Bett. Für den Partner ist keine Kraft mehr da, geschweige denn für einen selbst. Bevor man wegdämmert, kommt einem nochmals die Szene im Einkaufszentrum in Erinnerung. Das Gefühl der Ohnmacht, als der Sohn mit dem Einkaufswagen einen älteren Mann gerammt hat, und die Scham, als der Herr empört über die Mutter schimpfte und ihr vorwarf, sie habe ihre Kinder nicht im Griff. Ja, es hätte nicht passieren dürfen, aber es war passiert.

Ein geistliches Elternbuch, von Großeltern geschrieben, hat aber auch seine Chancen: Man versteht jetzt plötzlich den Ausspruch, der einem früher wie eine Ohrfeige vorkam: »Genieße deine Kinder, solange du sie hast!« Befreit vom Alltagsstaub erstrahlt die aktive Familienzeit im Nachhinein in vollem Glanz. Wir wollen Ihnen daher mit diesem Buch die Augen für die Schönheit Ihrer Familie öffnen!

Mit Abstand auf die Jahre der aktiven Elternschaft sieht man außerdem genauer, worauf es in der Familiengestaltung wirklich ankommt und was vernachlässigbar ist. Man hat erfahren, dass das eigenwillige Kind, das einen oft an seine Grenzen führte, sich zu einem führungsstarken Erwachsenen gemausert hat, und dass die Kinder trotz der elterlichen Fehler ihren Weg in ein gelungenes Leben gefunden haben. Für diese Trennschärfe, was wirklich wichtig oder nur »nice to have« ist, braucht es den nötigen Abstand vom Erziehungsalltag.

Wir haben unsere vier Kinder auf dem Campus eines sozialpädagogischen Diakoniewerks erzogen. Jede Familie hatte ihren Erziehungsstil. Fast alle Eltern waren professionelle Pädagogen und Erziehungswissenschaftler. Da gab es die »Laissez-faire-Pädagogik«, wo die Jüngste mit einer Tafel Schokolade als Frühstück in der Hand in die Schule schritt. Eine andere Familie verfolgte eine sehr konsequente, regelbasierte Pädagogik, bei der das Spielen mit Barbies verboten war. Diskussionen um gemeinsame Erziehungsstile und -ziele auf dem Campus waren allgegenwärtig und endlos. Wir beschlossen, dass auf demselben Gelände ganz verschiedene Familienkulturen Platz hätten. Und was brachten diese hervor? Achtzehn wunderbare verantwortungsvolle Frauen und Männer, von denen die meisten nun Eltern sind und Verantwortung in Gesellschaft und Kirche wahrnehmen.

Zähneputzen ist schon wichtig – aber offenbar muss es noch ein tieferes Geheimnis für gelingendes Familienleben geben. Man erzieht nur mit dem Herzen gut!

Unser spirituelles Elternbuch führt Sie als Eltern einen Weg. Wir wollen dabei ihre Gottes- und Ehebeziehung stärken und Sie in Ihren guten, hilfreichen Haltungen als Eltern ermutigen. Hinter unserem Buch steht der Ansatz der haltungsorientierten Pädagogik, die in Elterncoaching-Seminaren und in einer Ausbildung zum Elterncoach ausformuliert wurde. Wenn wir immer wieder von guten »elterlichen Haltungen« sprechen, heißt das nicht, dass Sie Ihr pädagogisches Handeln, Ihr erzieherisches Handwerk durch die Lektüre dieses Buchs nicht ebenfalls vertiefen können. In der Regel jedoch wissen wir als Eltern in der Theorie meist genau, was wir machen müssten, nur schaffen wir es in der Umsetzung nicht.

Sie werden daher merken, dass in unserem Buch die christliche Spiritualität eine wichtige Ressource für die ganze Familie darstellt. Wie Gott uns als Väter und Mütter unterstützen, inspirieren, korrigieren und koordinieren kann, bildet das Zentrum dieses geistlichen Elternbuchs. Wenn Sie diese Grundannahme nicht teilen, müssen Sie das Buch aber trotzdem nicht zur Seite legen. Sie können sich dann fragen: Was ist mir persönlich eine Ressource, die über mich hinausgeht? Ein Wert, der mir heilig ist? Die Liebe? Ein Vorbild?

Für die persönliche oder gemeinsame Vertiefung als Eltern oder Elterngruppen haben wir am Schluss der Kapitel einige Fragen und ein Gebet angefügt. Wenn es passt, machen Sie davon Gebrauch.

Hinter der Entstehung dieses Buchs stehen viele Menschen, denen wir zu Dank verpflichtet sind: Wir danken unseren vier Kindern, durch die wir früher in unserer Rolle als Eltern unendlich viel gelernt haben und die uns heute als Väter und Mütter weiterhin viel beibringen. Wir danken Dorothee Mahr und Christian Mantel, mit denen wir den haltungsorientierten pädagogischen Ansatz und manche Konzepte in diesem Buch entwickelt haben. Herzlichen Dank an Michele Stricker für seine genialen Illustrationen. Bei Bettina Eichenberger bedanken wir uns für ihr Coaching in Entwicklungspsychologie. Unser Dank gilt auch LiSa-Eheatelier und der Stiftung Gott hilft.1 Wir danken allen, die sich zu Eltern-Coaches ausbilden ließen und so unseren Ansatz geschärft haben, und unzähligen Vätern und Müttern, die im deutschsprachigen Raum unsere Elternkurse besucht haben und deren Beispiele wir verfremdet weitergeben dürfen. Herzlich danken wir außerdem unseren Lektorinnen Annalena Pabst und Christiane Kathmann für den regen Austausch und die sorgfältige Begleitung unseres Manuskripts.

Als Paar zusammen ein Buch zu schreiben, ist ein Wagnis. Vor allem wenn man so unterschiedlich ist wie wir beide. Wir haben viel miteinander gerungen, manchmal sogar gestritten, waren euphorisch kreativ und gelegentlich etwas niedergeschlagen. Wir danken unserem Gott für seine schöpferischen Impulse, für seine Hoffnungskapazität, die uns half, dranzubleiben, und für seine verbindende Kraft, durch die wir uns in unserer großen Unterschiedlichkeit immer wieder zur Einheit in der Ergänzung zusammenfinden konnten.

Cathy Zindel-Weber und Daniel Zindel

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1 UNSER FAMILIENHAUS

Denken Sie einmal an Ihre Wohnung oder Ihr Haus. Wählen Sie eine bestimmte Tageszeit aus, an der Sie in Ihrer Vorstellung die Räume betreten. Statten Sie sich in Gedanken einen Besuch ab. Sie schließen die Wohnungstür auf. Wie riecht es, wenn Sie eintreten? Welche Geräusche hören Sie? Schlafen die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner bereits (oder noch)? Spielen oder streiten sie? Sind die Familienmitglieder beim Essen und Sie setzen sich dazu? Wie begrüßen Sie sich? Kommen Sie als Erste/r nach Hause und genießen Sie noch ein wenig die Ruhe vor dem Sturm? Oder sehen Sie das ungeputzte Bad, den überquellenden Wäschekorb? Öffnen Sie die Rechnung, die Sie zusammen mit der Zeitung hochgetragen haben? Sehen Sie, dass die Pflanzen unbedingt gegossen werden müssten? In dieser Wohnung, in diesem Haus leben Sie mit Ihrer Familie.

Was ist eine Familie?

Eine Familie ist ein Ort, wo mindestens zwei Generationen zusammenleben.

Die Bibel kennt den Ausdruck »die Familie« nicht. Sie verwendet dafür den Begriff »das Haus«, auf Hebräisch »Bet«.

Unser Dozent für Hebräisch versuchte einmal, uns zu zeigen, wie sich die hebräischen Buchstaben aus der Bilderschrift entwickelt hatten. Er malte das »Bet«, das hebräische B, auf die Tafel und fragte: »Seht ihr das Beduinenzelt?«

Der Buchstabe »Bet« bildet einen Raum, der geschlossen und zugleich offen ist. Treffender als mit diesem einen Buchstaben kann man das, was Familie ausmacht, nicht darstellen. Eine Familie ist wie ein Haus. Sie bildet einen Raum.

Das Zelt: Die Familie als Beziehungsraum.

DIE FAMILIE ALS BEZIEHUNGSRAUM

Die Familie ist ein vielfältiger Beziehungsraum: Jedes Familienmitglied hat eine Beziehung zu sich selbst. Jedes Mitglied in der Familie lebt in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht zu den anderen. Dazu kommt die Spiritualität jedes Familienmitglieds. Was glauben die Einzelnen? In unserem christlichen Ansatz fragen wir: Welche Beziehung hat jedes der Familienmitglieder zu Gott – und umgekehrt. Wie sieht das genauer aus?

Gottesbeziehung

Gott schützt und trägt das ganze Haus. Er ist in seinem Wesen mütterlich und väterlich zugleich. Er ist die Quelle bedingungsloser Liebe und geradliniger Herausforderung. Er ist in seiner Weisheit und Kreativität das Gegenüber von Mann und Frau, von Vater und Mutter und den Kindern, die unter seinem besonderen Schutz stehen. Oft haben Kinder einen besonderen Draht zu ihm und sind uns Eltern in ihrem kindlichen Vertrauen und ihrem unverstellten Glauben Vorbild.2

In jeder Familie gibt es neben dem modernen WLAN die benutzte oder eher brachliegende Verbindungsmöglichkeit zu Gott, dem schöpferischen Mitgestalter eines guten Lebens. Vielleicht spielt Gott in Ihrer Familie keine Rolle. Trotzdem gibt es etwas, das Sie verbindet und über Sie selbst hinausgeht.

Elternbeziehung

In Familien, die aus einem Paar und den Kindern bestehen, ist die Beziehung der Eltern essenziell. Sie sind ein Liebespaar, das sich mag, miteinander ringt, streitet, sich ergänzt, sich gegenseitig beflügelt oder blockiert. Alleinerziehende Väter und Mütter stehen vor besonderen Herausforderungen, ebenso wie die Partner in Patchworkfamilien.

Sie sind außerdem ein Elternpaar und tragen das Sorgerecht und die Sorgepflicht für ihre Kinder. Sie vermitteln Schutz, Sicherheit und stillen die Bedürfnisse ihrer Kinder. Sie sind für das Kindswohl verantwortlich.

Eltern-Kind-Beziehungen

Außerdem gibt es die Beziehungen der Mutter zu den Kindern und die Beziehungen des Vaters zu den Kindern. Jede dieser Beziehungen ist einzigartig, unvergleichlich, gleichwertig, wenn auch nicht gleichartig.

Das Ich der Kinder entwickelt sich am Du der Eltern und anderer Bezugspersonen. Das Kind steht nicht über den Eltern, auch nicht auf der gleichen Ebene und doch ist es gleichwertig und gleichwürdig Teil der Familie. Es wächst von der totalen Abhängigkeit der Eltern zu immer größerer Eigenständigkeit, bis es erwachsen wird und seine Eltern verlässt.

Geschwisterbeziehungen

Bei mehreren Kindern haben diese außerdem Beziehungen untereinander:

Der Fünfjährige umarmt sein neu geborenes Schwesterchen, das laut zu schreien beginnt. Der Neunjährige und sein um ein gutes Jahr jüngerer Bruder liegen sich buchstäblich in den Haaren. Alle drei bauen an einer Burg am Meeresufer und Mama schießt Bilder, um das harmonische Geschwisterglück für weniger gute Zeiten festzuhalten.

Die Beziehungskonstellationen unter den Geschwistern prägen schon sehr früh die Beziehungsmuster, die wir später leben werden.

Lisa suchte vor einigen Jahren das Gespräch mit ihrer ältesten Schwester Emily. Oft fühlte sie sich als Jüngste in der Kindheit von Emily dominiert und übergangen. Emily war ganz verwundert darüber und fragte nach Beispielen. Dabei wurde ihr bewusst, dass sie der jüngeren Schwester tatsächlich oft nicht gerecht geworden war. Die beiden konnten sich aussöhnen und das klärende Gespräch verhalf ihnen zu einem Wachstumsschub: Emily achtete nun darauf, die Jüngere mehr zu fragen als ihr zu raten. Lisas Lektion war es, ihren Wert nicht von Emilys Reaktion abhängig zu machen.

Das Familienhaus: Alle haben ihren Platz.

UNSERE PLÄTZE IM FAMILIENHAUS

Jedes Familienmitglied hat als Original seinen besonderen Platz im (Familien-)System. Der Ausdruck »Platz« macht deutlich, dass jeder von uns seinen eigenen Raum benötigt, den es abzugrenzen, auszufüllen und zu gestalten gilt. Wenn wir von »unserem Platz in der Familie« sprechen, ist das etwas sehr Umfassendes, das auch unsere Rollen und Funktionen als Eltern (und Kinder) beinhaltet. Es geht darum, seine Stellung, seine Verantwortung, seine Kompetenzen und Pflichten wahrzunehmen. Wir sprechen von Vater-, Mutter- und Kinderplätzen.

Mein Platz als Vater

In der Vergangenheit bestanden klare Vorstellungen, was »ein rechter Vater« oder eine »gute« Mutter ist. Diese starren Rollen mit allen Erwartungen, Werten und Verhaltensmustern sind heute in unserer Gesellschaft sehr flexibel geworden. Das ist gut so, denn es gibt uns viel Spielraum, wie wir diesen Platz als Vater oder Mutter ausfüllen können. Zugleich ist eine große Verantwortung damit verbunden, dass und wie wir diese Plätze ausfüllen.

Für mich war es wichtig, dass ich meinen Platz als Vater aus dem Grundgefühl der Freiheit heraus einnehmen konnte. Erwartungen, ja Forderungen meiner Frau, dass und wie ich als Vater zu agieren hätte, sorgten für inneren Widerstand und im besten Fall erfüllte ich dann freudlos meine (Vater-)Pflichten. Eine Aufwärtsspirale begann, als mir meine Frau im Umgang mit den Kindern mehr Freiheit ließ. Ich merkte aber rasch, dass das mehr Verantwortung und außerdem schlichtweg mehr Arbeit bedeutete.

Unserer Erfahrung nach können wir als Eltern unseren Platz auch als Auftrag Gottes verstehen.

Dies entdeckte ein Vater von zwei Kindern im Alter von sieben und neun Jahren eindrücklich:

Tom ist als Einzelkind aufgewachsen, als er sechs Jahre alt war, hat sein Vater die Familie verlassen. Wenn er müde von seinem Arbeitstag nach Hause kommt, verlaufen die Nachtessen oft angespannt. Ellbogen aufstellen geht nicht! Er wacht wie ein Sheriff über den Familientisch und weist seine Kinder häufig zurecht, bis seine Frau ihn vor den Kindern kritisiert.

»Die Kinder machen nicht, was ich sage, und meine Frau fällt mir in den Rücken. Ich fühle mich als Vater nicht ernst genommen«, sagt er. In ihm steckt das Gefühl, als Vater nicht wichtig zu sein. Es ist ein uraltes Gefühl, das noch aus seiner Kindheit stammt: »Man gibt mir meinen Platz in der Familie nicht!«

»Wer weist Ihnen denn Ihren Platz zu? Die Kinder? Ihre Frau? Sie sich selbst?«, frage ich ihn. Ich muss dabei an eine Stelle im Epheserbrief denken, wo es heißt, dass jegliche Vaterschaft von Gott kommt. Tom tritt daraufhin in einem Gebet nochmals ganz neu in seine Vaterschaft ein und fängt an, sie als eine göttliche Gabe und Aufgabe wahrzunehmen.

Wenn wir unsere Elternschaft als göttliches Mandat betrachten, wie es Tom getan hat, dann haben wir Zugang zu ganz anderen Ressourcen. Denn Gott kann uns für diese Mission mit allem Nötigen versorgen, so wie der britische Geheimdienst James Bond für seine geheimen Missionen jeweils mit den nötigen Tools ausrüstet.

Der Platz als Mutter

Da starre, stereotype Rollenvorstellungen am Verschwinden sind, wächst für die Mutter mit der neuen Freiheit die Verantwortung, wie sie ihren Platz einnimmt und ausgestaltet.

Ich bin als Frau und Mutter eine engagierte, schnelle und lösungsorientierte Person. Ich sehe vieles: Fehler zum Beispiel, Versäumtes, Dinge, die herumliegen. Auszuhalten und großzügig zu sein, dazu noch »fünf gerade sein lassen«, fällt mir nicht leicht. Da wird die Frage sehr wichtig: Was ist jetzt genau meine Aufgabe, was ist mein Platz? Wo ordne ich mich zugunsten unserer Gemeinschaft ein oder unter? Und wo ist es wichtig, dass ich sage, wie es laufen soll?

Manchmal beginnen wir, uns zu vergleichen. Wenn mein Mann früher abends nach Hause kam, sprangen die Kinder zur Tür und empfingen ihn freudestrahlend. Sie waren richtige Fans von Papa. Er ließ sich ganz auf sie ein, badete sie, baute Iglus mit ihnen oder wässerte den Garten zu einem Eisfeld. Es wurde gekämpft und gespielt.

Einerseits war ich sehr erleichtert, denn so hatte ich Zeit für mich oder konnte Versäumtes nachholen. Andererseits war ich etwas eifersüchtig auf ihn. Von morgens bis abends war ich mit den Kindern und dem Haushalt dran und ich erhielt nicht dieselbe Zuwendung durch die Kinder wie ihr Vater. Alles war so selbstverständlich. Und dann war ich auch noch ab und zu die Böse! Erst später, als ich auswärts arbeitete, empfingen sie mich sehnlichst und voller Freude.

Wenn ich heute meine verheirateten Kinder und ihre Partner anschaue, sehe ich, wie sich alles wandelt.

Väter tragen stolz ihre Babys im Tragetuch. Sie wickeln und versorgen ihre Kinder genauso gut wie die Mütter. Es gibt mütterliche Väter und väterliche Mütter. Er ist barmherzig und nachgiebig und sie eher taff und direktiv. Oder umgekehrt. Manche Paare suchen Wege, sich die Arbeit in der Familie und außerhalb zu teilen. Ein anderes Paar entscheidet sich für eine traditionelle Rollenverteilung. Beiden ist es wohl dabei.

Letzthin sagte mir eine junge Mutter: »Irgendwie beneide ich die traditionellen Paare.« Und sie erklärte mir, dass sie nach ihrem Studium ja nicht einfach »nur« Mutter sein könne, sie hätte zu lange studiert. Sie sei es sich und dem Staat schuldig, nach dem Schwangerschaftsurlaub wieder zu arbeiten.

Kinderplätze

Es gibt die Plätze der Kinder innerhalb der Familie und auf der Ebene der Kinder innerhalb der Geschwisterreihe. Wir verstehen unter dem Platz weniger eine Rangordnung als einen guten und sicheren Ort, wo jedes Familienmitglied nicht nur eine Überlebensnische, sondern einen adäquaten Raum hat, zu wachsen und sich zu entwickeln. Mit diesem Platz sind Rechte und Pflichten verbunden. Die Verantwortung dafür tragen Eltern und Kinder gemeinsam. Kinder und Jugendliche suchen ihre Identität und ihren Platz.

Einen Platz haben, heißt: Ich darf ich sein. Ich habe eine unendliche Würde. Es gibt einen sicheren Ort, wo meine Integrität geschützt ist. Ich stehe in Beziehung und habe Verantwortungen und Kompetenzen und Freiheiten. Es bedeutet außerdem: Ich respektiere deinen Platz, deinen Raum und deine Grenzen.

Mattheo hat schon sehr früh den Platz seines älteren Bruders, des Erstgeborenen, angestrebt und wohl auch eingenommen. Seine Eltern haben ihn dabei unbewusst unterstützt, weil er ein Vorzeigekind war und keine Probleme machte. Viel später wollte er in einem seelsorgerlichen Schritt wieder den Platz Nummer zwei in der Geschwisterreihe einnehmen.

Wir sehen, wie sich unsere Kinder, jedes auf seine Art, ihren Platz erkämpfen: originell, witzig, charmant, kämpferisch, kooperativ, brav und angepasst, rebellisch, religiös … Hinter vielen »verhaltensoriginellen«, jedoch nicht sehr konstruktiven Verhaltensweisen steht der Versuch eines Kindes, um seinen Platz an der Sonne und um die damit verbundene Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu kämpfen:

Die Großeltern sind zu Besuch. Am Familientisch erklärt die Mutter stolz, dass der dreijährige Sohn jetzt keine Windeln und keinen Schnuller mehr braucht. Der Fünfjährige hebt daraufhin den ganzen Tisch hoch und ruft: »Seht mal, wie stark ich bin!« Er nimmt nicht wahr, dass dabei eine Vase umkippt und zerbricht.

Leere Plätze, die neu ausgestaltet werden müssen

Manchmal bleibt ein Platz im Familienhaus leer. Ein Partner, ein Elternteil stirbt. Es bleibt eine Leerstelle. Oder der Platz war nie besetzt, weil ein Elternteil alleinerziehend unterwegs ist. Die Eltern lassen sich scheiden. Obschon sie weiterhin Mutter und Vater bleiben, braucht es viel Kraft, Kreativität und Flexibilität, den Platz der Vater- und Mutterschaft diesen neuen Verhältnissen anzupassen. Zudem kommen meist neue Partnerinnen oder Partner ins Spiel und nehmen ihrerseits Plätze ein. Die Kinder und Jugendlichen müssen dabei enorme Anpassungsleistungen erbringen und lernen sehr viel.

Unbesetzte oder verlassene Plätze im Familiensystem sind anspruchsvolle Herausforderungen für alle Familienmitglieder. Manchmal spricht man lieber nicht darüber, wenn sich Familien neu formieren, weil es so wehtut. Dabei braucht es gerade jetzt viele Gespräche über die Trauer, die Ängste und Schuldgefühle. In solchen Situationen, wie etwa bei Abschied und Neuanfang, kann die Gottesbeziehung eine wertvolle Ressource sein. Wir erleben immer wieder, wie Gott als Tröster in unsere Verlassenheitsängste treten kann: »Ich werde euch nicht verwaist zurücklassen«, sagt Jesus seinen Jüngern, als er ihnen mitteilt, dass er jetzt weggehen wird. Und er verspricht, dass ein »Tröster« kommen wird.3

Vanessa erlebte das nach dem Auszug ihres Partners so:

Ich war ziemlich verzweifelt und fühlte mich schuldig, weil ich als alleinerziehende Mutter meinen Sohn vier Tage die Woche in die Krippe geben musste. Nach der Arbeit holte ich ihn wieder ab. Schon seit ein paar Monaten weinte Luca sich in den Schlaf und ich konnte ihm nicht helfen. Im Elterncoaching hörte ich, dass ich Gott um Hilfe bitten könnte. So entschloss ich mich dazu, dies in der nächsten Zeit zu üben. Am anderen Abend weinte mein Kind wieder und ich spürte, wie in mir die Ohnmacht und Hilflosigkeit hochstiegen. Ich fragte Gott: »Was soll ich nur machen?« Mir kam die Idee, mit Luca zu beten.

Obwohl ich nicht wusste, wie man betet, fragte ich meinen Sohn: »Willst du beten?« Luca war sofort einverstanden und betete: »Lieber Gott, ich muss immer weinen, doch ich will gar nicht immer weinen, kannst du machen, dass ich nicht mehr weinen muss?«

Seit diesem Gebet erleben Luca und seine Mutter als Kleinfamilie die Präsenz und den Trost des himmlischen Vaters. Und Vanessa hat durch ihren Sohn gelernt, mit Gott in den Dialog zu treten.

Lücken in einem Familiensystem kann man nicht einfach kompensieren – das gilt auch, wenn die Kinder ausfliegen und das Nest plötzlich leer ist. Gott ersetzt nicht automatisch den fehlenden Partner, Elternteil oder die Kinder, die nicht mehr in derselben Wohnung wohnen. Gott ist kein Lückenfüller in unserem Familienhaus. Aber wir haben in ihm einen Ort, wo wir mit unserem Schmerz hingehen können und neu Trost, Weisheit und Kreativität zur Bewältigung der Leerstellen bekommen. Sie werden damit zu »Lehrstellen« und zum Segensort, was man jedoch oft erst rückblickend sehen kann.

Eine häufige berufliche oder krankheitsbedingte Abwesenheit des Partners kann ähnliche Auswirkungen haben:

Der CEO eines global tätigen Unternehmens arbeitet oft im Ausland. An vielen »vaterlosen« Wochenenden ist Maria mit ihren Kindern allein. Sie beneidet die Nachbarsfamilie: Beide Elternteile sind Lehrpersonen, haben zwölf Wochen Ferien und teilen sich die Erwerbs- und Familienarbeit. Maria benötigt einen längeren inneren Weg, um ihre Familiensituation, zu der sie sich gemeinsam entschieden haben, ohne Groll zu akzeptieren. Sie beginnt, während der gemeinsamen Aktivitäten mit ihren Kindern den abwesenden Vater mit einzubeziehen, indem sie beispielsweise sagt: »Das würde Papa gefallen. Schicken wir ihm ein Bild davon.« Mit Gottes Hilfe wählt sie bewusst das, wozu sie im Moment eigentlich keine andere Wahl hat.

Neue Plätze

Ebenso herausfordernd ist es, wenn Plätze neu geschaffen oder neu besetzt werden. Ein weiteres Kind kommt zur Welt und schlägt wie eine Bombe ins Familienhaus ein. Das hat für alle große Auswirkungen. Es bewegt alle – und alle müssen sich bewegen.

Die zweijährige Laura hat einen kleinen Bruder bekommen. Sie ist eifersüchtig. Während ihre Mutter den kleinen Noel stillt, behauptet sie: »Mama, Noel hat mir gesagt, dass deine Milch scheußlich ist.«

Falsche Plätze

Die Bezeichnung »Falsche Plätze« wirkt etwas arrogant. Als ob man bezüglich der Architektur eines Familienhauses so klar sagen könnte, was richtig und was falsch ist! Doch manchmal ist es eindeutig, dass jemand gewollt oder ungewollt den falschen Platz einnimmt:

Linns Mutter ist alleinerziehend. Immer wenn die Mutter psychisch erkrankt, sorgt Linn für ihren kleinen Bruder und für die Mutter. Unglaublich, was die kleine Linn in diesen Zeiten schon alles geleistet hat, bevor sie morgens in die Schule geht. Manchmal kommt sie zu spät oder schläft im Unterricht ein. Sie hat einen falschen Platz und muss die Elternrolle übernehmen (eine sogenannte »Parentifizierung«).

Die Plätze im Familienhaus werden immer dann nicht optimal eingenommen, wenn dies dem Kind schadet oder wenn es dem ganzen Familienwohl abträglich ist.

Entfaltet und stärkt dieser Platz mein Kind längerfristig? Tut uns das als Familie gut? Tut es uns als Liebespaar gut? Diese Fragen sind nicht immer einfach zu beantworten.

Nach zwei erfolgreichen Berufskarrieren von Mama und Papa wird das lang ersehnte Kind als krönender Abschluss gefeiert. Von Anfang an sitzt es am Ehrenplatz im Familienhaus. Es wird rundum verwöhnt, gefördert, aber auch von elterlichen Erwartungen und Wünschen überhäuft.

Manchmal gestehen wir dem Kind zu viel Raum ein und übertragen ihm Verantwortungen, die es noch nicht tragen kann.

Conny fragte ihren dreijährigen Mischa oft nach seiner Meinung: »Was kochen wir heute, was hättest du gerne?« Oder: »Was meinst du, wollen wir nun vom Spielplatz nach Hause gehen?« Einmal wollte Mischa mal das eine und dann das andere. Er wusste selbst nicht, was er wollte und reagierte weinerlich und unzufrieden. Conny wurde klar, dass sie oft selbst nicht sicher war, was sie wollte, und ihre Verantwortung auf das Kind verschob und es dadurch überforderte. Dieses Bewusstsein half ihr, jeden Tag neu ihren Platz und die Verantwortung als Mutter einzunehmen und sich zu fragen: »Was will denn eigentlich ich? Was ist nun dran?«

In anderen Familien nimmt ein Elternteil zu viel Raum ein:

»Hört auf zu streiten, Papa muss sich erholen, er hat es schwer im Geschäft.« Alles dreht sich um den Vater, als wäre er der Mittelpunkt des Familienuniversums – und die Kinder dürfen nicht mehr Kinder sein. Papa bzw. sein Geschäft drücken alles andere an die Wand des Familienhauses.

Natürlich gibt es Zeiten, Krankheiten, Beziehungs- und Ausbildungsabbrüche etwa, wo Einzelne im Familienhaus besonders viel Raum, Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommen. Aber das sollte nie zu einem Dauerzustand werden. Wenn ein Kind aufgrund einer chronischen Krankheit oder Behinderung sehr viel Pflege benötigt, schauen Sie, wer Sie dabei unterstützen kann, damit Sie als Eltern und die anderen Kinder nicht zu kurz kommen.

Und wenn ein Kind keine Eltern mehr hat oder diese ihre Verantwortung nicht wahrnehmen können? Während des Zweiten Weltkrieges und danach fehlten viele Väter und Mütter. Kinder können jedoch auch mit einer anderen Bezugsperson resilient und gesund heranwachsen und das Leben meistern, wenn diese verlässlich ist.

Cecile lebt bei der Großmutter, welche seit ihrer Geburt ihre Bezugsperson ist. Ihre Mutter besucht die Tochter immer wieder, doch sie ist nicht in der Lage, für ihr Kind zu sorgen.

Klare, aber nicht starre Plätze

Mit jedem neuen Mitglied kommt es zu neuen Beziehungen und Bezügen im Familienhaus. Die Familie ist ein Beziehungsgeflecht, ein lebendiger Organismus, der ständig in Bewegung ist. Das ist bei jedem Kind, das hinzukommt, der Fall, aber ebenso wenn Familienmitglieder das Familienhaus verlassen.

Für unsere Jüngste war es eine große Herausforderung, als ihre drei älteren Geschwister aus Studien- oder Berufsgründen auszogen. Sie hat die Gabe, Beziehungen zu leben. Wie ein Herdenhund wachte sie über das Miteinander in unserer ganzen Familie. Nun war ihr die Herde abhandengekommen. Für uns Eltern und sie war eine Zeit der Neuanpassung angesagt. Tränen wurden vergossen und viele Gespräche geführt.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass uns bei einschneidenden Veränderungen die Gottesbeziehung Stabilität und Flexibilität verleiht. Der biblische Gott ist ein Weg-Gott. Er forderte Abraham auf, alles zu verlassen, was ihm vertraut war und ihm Sicherheit gab.4 Er versprach ihm, ihn in ein Land zu führen, das er ihm noch zeigen würde. Abraham vertraute ihm und zog aus.

Angst macht unbeweglich, Gottvertrauen macht flexibel. Wir dürfen darum bitten, dass uns dieses Vertrauen immer wieder neu geschenkt wird.

BAUSTELLE FAMILIENHAUS

Wir Eltern haben eine Verantwortung für die Innen- und die Außenarchitektur unseres Familienhauses. Das bedeutet für uns, dass wir immer mal wieder über Strukturen unseres Hauses sprechen, darüber, wer in der Familie wie viel Raum einnimmt:

• Hat jeder seine gute Nische?

• Wie gestalten sich unsere Beziehungen zu den Kindern aus?

• Gibt es ungute Koalitionen, die den Beteiligten und der Familie schaden?

• Werden Familienmitglieder ausgetrickst?

• Bevorzugen wir eines der Kinder und stellen es auf einen Sockel?

• Gibt es einen Sündenbock oder ein schwarzes Schaf?

• Ist das kranke oder rebellische Kind vielleicht Symptomträger eines vertuschten Elternproblems?

• Unser Blick möge mit besonderer Sorgfalt auf dem stillen, angepassten und pflegeleichten Kind liegen!

Wenn die Kinder größer sind, können wir als Familie über unsere Plätze in der Familie sprechen. Mit ihren Themen, wer in der Familie was, wann und wie viel bekommt, spielen die Kinder uns manchmal einen Steilpass zu. Die Frage: »Wie erlebt ihr uns als Familie?«, kann uns die Augen für unsere blinden Flecken öffnen.

Die Gebäudehülle

Wir Eltern haben außerdem die Verantwortung für die Gebäudehülle. Raum entsteht durch Begrenzung. Familiengrenzen haben eine Abschluss- und Schutzfunktion, wie sie die Haut bei unserem Körper wahrnimmt.

Mehrere Familien verbringen zusammen eine Ferienwoche am Meer. Die Kinder wären am liebsten Tag und Nacht zusammen. Die Eltern jedoch haben ein Gespür dafür entwickelt, wann die Familie Zeit für sich selbst und Abgrenzung nach außen braucht.

Gut gesetzte Grenzen stärken den Zusammenhalt und die Identität der Familie: Das sind wir. Wir musizieren. Wir sind Genießer. Bei uns wird laut gelacht und gestritten. Bei uns wird gebetet. Bei uns ist vieles nicht perfekt, aber es lebt!

Gute Grenzen funktionieren für eine Familie wie eine Gore-Tex-Haut. Sie schützen und lassen vieles abperlen, was dem Einzelnen schaden könnte. Das Wir-Gefühl stärkt die einzelnen Familienmitglieder.

In der Schule wird Peter ausgelacht, als er von seinen Ferien erzählt, weil sie mit Fahrrad und Zelt unterwegs gewesen sind. Zu Hause meint sein älterer Bruder: »Deine Klassenkameraden sind Banausen. Die haben keine Ahnung, wie cool Fahrradtouren sind!«

Eingeengt

Die Gore-Tex-Haut ist zugleich atmungsaktiv und durchlässig. Wenn Grenzen in einer Familie zu eng gezogen werden, wird die Familie zur Festung. Wir bekommen im geschlossenen System keine Luft mehr. Es fehlt der Austausch mit den anderen. Es gibt keine Anregung, keine Befruchtung, keine Korrektur. Kein Ausgang ist möglich, nur noch Ausbruch.

Der Vater bestimmte alles. Er wusste haargenau, was biblisch war. Seine Frau ordnete sich ihm in allem unter. Ebenso seine drei Kinder. Zunächst. Mit 18 Jahren brach die Mittlere aus dem engen Regelkorsett der Familie aus. Der Vater duldete das nicht und schloss sie aus der Familie aus. Manchmal telefonieren die Mutter und die Tochter miteinander. Heimlich.

Durchzug

In manchen Familien sind die Grenzen zu wenig entwickelt. Es herrscht Durchzug. Das »Wir« ist unterentwickelt, das Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt und die Familienidentität ist brüchig. Hielt früher der gemeinsame Kühlschrank die Familie zusammen, so ist es heute zusätzlich noch der gemeinsame WLAN-Anschluss. Alle Familienmitglieder starren auf ihre Screens. Was jedoch vordergründig als trauliches Zusammensein erscheint, ist im Grunde sprachlose Einsamkeit, wo sich jeder in seiner Medien-Blase befindet.

Auch hier ist es hilfreich, wenn wir als Eltern über unsere Familiengrenzen im Gespräch bleiben. Haben wir als Familie zu wenig Zeit für uns allein? Was könnte unser Wir-Gefühl stärken?

Wir können außerdem betend mit Gott ins Gespräch über unsere Familie kommen:

Guter Gott, wie sind wir als Familie in deinen Augen aufgestellt? Wie denkst du darüber? Hast du für mich, hast du für uns als Eltern einen Hinweis dazu? Füllen wir unsere Plätze aus? Hast du eine Idee, wie sich jede und jeder von uns weiter entfalten kann, trotz der Enge, in der wir leben?«

Nehmen Sie die Impulse, die Ihnen in diesen betenden Fragen kommen (Gedanken, Ideen, innere Bilder etc.), ernst. Gott kann durch solche intuitiven Eindrücke zu Ihnen sprechen.

ZUSAMMENLEBEN UNTER EINEM DACH

Die Familie ist der sichere Ort, wo das Leben von Erwachsenen und Kindern behütet und entfaltet wird. Es geht um das Kindswohl und das Elternwohl. Die Familie ist kein Schon-, aber ein Schutzraum, wo wir den täglichen guten Umgang miteinander üben, damit das Leben gelingt. Familie ist wie eine Heimat, wo wir sichere Bindungen und Urvertrauen entwickeln. Wir vertrauen einander und haben Respekt voreinander, obwohl wir manchmal streiten. Jeder von uns macht Fehler und wir brauchen Korrektur und Ergänzung. In einer Familie geht es nicht primär um Erziehung, sondern um Beziehung. Alle entwickeln sich aneinander und miteinander.

Unsere Kinder hatten auf meine eigene Entwicklung einen entscheidenden Einfluss: Als unsere erste Tochter zur Welt kam, begann ich, Tagebücher zu schreiben. Vor Kurzem habe ich wieder mal meine Tagebücher aus jener Zeit der frühen Mutterschaft hervorgenommen. Pulsierendes Leben kommt mir beim Lesen entgegen. Ich lese von intensiven Gefühlen der Freude und Dankbarkeit, aber auch von meinem Unvermögen. Ich lernte in diesen Jahren meine Schwächen und Grenzen schmerzlich kennen. Gefühle der Scham, der Ohnmacht und des Versagens erlebte ich wie nie zuvor. Immer wieder war ich enttäuscht über meine lieblosen und ungeduldigen Reaktionen gegenüber meinen Kindern. Ich stellte mich damals meinem Unvermögen. Es war mir eine Hilfe, mit Gott darüber zu sprechen. Das ermutigte mich immer wieder, mich selbst nicht zu verurteilen, sondern Neues zu lernen.

Gerade weil es in unserem Zusammenleben in der Familie oft eng wird und wir nicht einfach ausbrechen können, sind wir herausgefordert, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Das verbindliche Leben wirft einen immer wieder auf die eigenen Muster zurück. Wir nehmen am Werden unserer Kinder teil. Das ruft in uns unsere eigene Kindheit wieder wach und das Verhalten unserer Eltern wird vergegenwärtigt. Das alles vertieft unsere Selbsterkenntnis und ist eine große Chance, in der Selbstbeziehung und Selbsterziehung zu wachsen. Wie bei allem Wachstum ist das beglückend und manchmal schmerzlich zugleich.

Ich begegnete durch meine Vaterschaft der Angst, wegen der Familie und meiner Kinder im Beruf oder in meinen sonstigen Interessen etwas zu verpassen. Der gelegentliche Rückzug aus der Öffentlichkeit in die Verborgenheit der Familie zwang mich, Vertrauen aufzubauen, dass ich dadurch nicht »zu spät kommen« und vom Leben bestraft werden würde.

Lernen am Vorbild

Ich habe mir einen Ratschlag des genialen katholischen Pädagogen Don Bosco an seine sozialpädagogischen Mitarbeitenden in mein Tagebuch geschrieben:

»Predige deinen Kindern am Morgen, am Mittag und am Abend – und wenn es sein muss, auch noch mit Worten.«