Man ist so frei, Fatalist zu sein - Rolf Friedrich Schuett - E-Book

Man ist so frei, Fatalist zu sein E-Book

Rolf Friedrich Schuett

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Beschreibung

"Es ist seltsam genug, dass man in unserem Lande die Figur des Moralisten in ihrer Legitimität so wenig kennt und schätzt. Wort und Sache stammen aus der französischen Kulturwelt, und die großen Beispiele eines Montaigne und Larochefoucauld sind in der deutschen Welt von heute unbekannt. Schopenhauer und Nietzsche, die in ihnen ihr großes Vorbild sahen, waren Außenseiter der Schultradition der Philosophie geblieben." Hans-Georg Gadamer : "Philosophische Lehrjahre - Eine Rückschau", Frankfurt a.M. 1977/1995, S. 209)

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INHALT

Kumme, kum, Geselle min!

Sportsgeist oder Geistessport?

Aphorismen: Gnomologismus im Monostichon

Joker zwischen Philosophie und Poesie

Land der Dichter und Denker?

Hauptmann

Gött

Schaukal

Tucholsky

Grillparzer

Börne

Wilde

Immermann

Heimann

Wiesner

Kudzus :

Moralisten

Grüne Kriegswirtschaft der

Blökos

Fluss mit Einfluss / Der Pi ohne Po

Temperamentvolles

Drabble

Das Sparschwein fliegt dir vom Teller

Pop

: Top or Flop for Mob?

Gastgedicht

: Blut und Blätter

S (HE)

Stimmen zum Werk

Stehaufmännchenpoesie

Für meine Familie

Kumme, kum, Geselle min!

Langweilt sie ihn? Sie sieht ihn sich langweilen. Sie sieht : Er sieht sie ihn langweilen. Er sorgt für den Lebensunterhalt, sie hat für die Unterhaltung zu sorgen. Sie sieht : Er sieht sie sich dabei unterhalten, ihn nicht zu unterhalten. Dabei will er ja gar keine Geschichten hören, lange Geschichten machen ihm die Zeit noch länger, er will nur Stichworte aufgreifen dürfen, er kann sie doch nicht mit seinen alten Geschichten anöden, ohne dass sie durch eine Parole abgerufen worden sind, ohne dass sie erwartet werden, er langweilt sich, er fühlt, dass er bestraft werden soll für sein ewiges demütiges Warten auf die Stichworte. Sie wagt keine anderen Waffen zu benutzen, ihr Schweigen wird tief unter dem Gewicht seiner Gründe, die es verschweigt, sie trotzt ihm, sie geizt mit sich, sie gibt nichts her, damit er nichts geben kann, sie hindert sein überreiches Herz daran, sich wie ein Füllhorn über sie auszuschütten, er kann sich nicht übergeben, was ist bloß in sie gefahren? Sieht sie denn nicht, dass sie sich lächerlich macht, dass seine Langeweile ihr gar gefährlich werden kann?

Nein, sie sitzt da, in ihrem Kreuzworträtsel, unbelehrbar, und will keinen Rat, keine französische Schriftstellerin mit acht Buchstaben von ihm, erster Buchstabe SARRA ..., sie tut so, als käme sie ohne ihn zurecht, vor allem, als könne er jemanden entbehren, der nicht ohne ihn existieren kann. Später wird er ein halbfertiges Kreuzworträtsel vorfinden, das nach Rat schreit, dessen leere Kästchen er hätte füllen können, auf ein Wort von ihr hin. Aber sie hat diese kleinliche Form von Rache gewählt, es ist ihre Art, 'Feindseligkeit zu verbreiten, sie kämpft nicht mit offenem Visier, hinterhältig wie sie alle, sie findet Zuflucht in dieser kleinen Verweigerung, wie er sagt, sie erwartet nicht einmal einen Wutausbruch von ihm, den er ihr mannhaft versagen könnte, nicht einmal diese Genugtuung wirft ihr Schweigen ab, sein eigenes Schweigen kommt nicht dagegen an, es ist nur eine billige Kopie davon, es erreicht nicht den Glanz und die Größe des Originals. Er spielt die zweite Geige im Orchester des Verstummens, ihm bleibt nur die Befriedigung, über andere Waffen zu verfügen. Sie weiß, dass sie erbärmlich ist, wie sie ihn da in seiner Schwäche sitzen lässt, sie weiß, dass er nicht allein herauskommt aus der nasskalten Grube. Aber soll sie deshalb Gewissensbisse haben, Mitleid ist ein Leiden am Leiden anderer, ein Leiden aus zweiter Hand, und sie weiß, dass sie nicht leiden will und deshalb Angst haben soll. Was passiert, wenn er sein Mitleid mit ihrem schäbigen Trotz aufgibt, seine langmütigen Bedenken aufgibt, dieses Mitleid einfach beiseitezuschieben, sein Arsenal durchzuforsten nach seinen so viel überlegeneren Waffen, die er sich noch schämt vorzuführen, weil man ja keine Atombomben gegen unartige Kinder einsetzt, aber wie lange ist sie durch diese Hemmung noch geschützt? Wenn er aufhört, auf seine Verschämtheit stolz zu sein, und zuschlägt, ihr seine Zuneigung entzieht, seine Geschichten, den Glauben an ihre Stichworte, sie in die Kälte hinausschickt, dorthin, wo noch weniger ist als er, wo sie sich nie hingetraut hat, wo sie nur rohe Ungeheuer vermutet, keine Treibhauswesen wie sie mit den zarten Nerven und den platzbaren Venen unter der durchsichtigen Haut. Aber er weiß ja nicht alles. Sie genießt es, dass er sich nur in Sicherheit wiegen kann, solange sie nicht alles gesagt hat. Eine Überlegenheit, die mit ihren zurückgehaltenen Geheimnissen steht und fallen würde, drückt sie nicht, sie lässt ihn sich aufplustern, sein Pfauenrad ist nur so schön wie sie verschwiegen ist. Sie wiegt sich in Unsicherheit, nun gut; sie hat Angst, ihr Schweigen zu überziehen, abgemacht; sie kann nicht beliebig weit gehen mit ihrem Stehenbleiben, zugegeben; sie muss sich in Trab bringen, in einigen noch köstlichen Minuten, sie gibt sich darüber keinen Illusionen hin, eine Taktik angesichts einer Strategie ist nur befristet effektiv, aber sie glaubt zu wissen, dass kein Kraut gewachsen sein wird gegen das, was sie in Petto hält für die Stunde X, wenn alle Karten ausgereizt werden, wenn man endlich wissen will, wie viele Reservekanister der andere bei sich führt. Bis dahin muss sie ständig auf der Hut sein, ein falsches Wort und sie stürzt, ein misstrauischer Blick trifft sie, schnell zurückgenommen von viel zu großen Worten, in denen sich keine Wirklichkeit mehr fängt. Und nach einiger Zeit wieder dieser prüfende Blick, ob sie etwas gemerkt hat, ob die Gefahr vorüber ist, ob er sich wieder in Ruhe seiner Sprache überlassen darf, die wie ein viel zu großes Kleid um ihn liegt, wie eine römische Toga, die er in immer neuen Falten nervös um sich wirft, auf der Suche nach einem modischen Chic, der ihn endgültig kleidet, den er niemals mehr abzulegen braucht, der keine Mode mehr ist, der ihm wie angegossen sitzt und kein Zupfen und Nesteln mehr braucht, eine Natürlichkeit, die keine Kunst mehr braucht, jene kalte Vollendung einer lebenden Statue, die alle Kritik im Voraus überholt hat, jeden abschätzenden Blick, der nur eine unruhige Haltlosigkeit entlarven möchte, woran sich alle die Zähne ausbeißen, die kostbare Gediegenheit von Platin und kristallinem Wasser, ohne alles trübe Quellen und Schleichen. Sie braucht ihre ganze Kraft, um den Überblick zu bewahren, ihn in Schach zu halten, nach Möglichkeit allen Angriffen zuvorkommen, sie im Keim zu ersticken, ehe er Mut und Frechheit gewinnt, ihn sofort wieder in seine Schranken zu verweisen, ihn kuschen zu lassen in der Ecke, die sie für ihn reservieren muss, weil sie ihn braucht, weil das so schön ist, auf der Lauer zu liegen und auf alles schüchterne Vorfühlen, jeden ängstlichen und doch gierigen Schritt nach vorn sich mit einem dumpfen Sprung zu setzen, bis kein Gras dort mehr wächst, immer wieder dieses kleine gierige Zentrum voller Dunkelheit zu spüren, von dem alle Listen ausgehen, ihn in sich zurückzujagen, oder besser noch, ihn herauszuzerren, herauszuflöten, und sich dann von hinten heranzuschleichen und ihm auf die Schulter zu tippen und dann das entsetzte Zurückspringen zu genießen, wenn der Rückzugsweg abgeschnitten ist, wenn es gestellt ist, das scheue Wild, mit seinen tausend wehrlosen Weichteilen, die weit aufgerissenen Augen, das wunderschön verwundbare Fleisch, das in der Erde versinken möchte, das sich nicht mehr unsichtbar machen kann, ganz ausgeliefert den Blicken, dem Gelächter, dem furchtbaren Schweigen der Henker, den geheimnisvollen Zeichen, die sie einander geben, wenn sie einander zunicken und etwas beschlossen haben, über Himmel und Hölle, diese köstlichen Sekunden der schweigenden Macht über der schweigenden Hilflosigkeit. Sie gibt ihm doch Auslauf, kann er sich nicht frei bewegen, er muss doch von ihren Augen nicht erst ablesen, ob er darf, was sie nicht verbietet, die Leine ist doch wirklich lang genug, mit viel Vorgabe, er muss sich in Sicherheit wiegen dürfen, beim geringsten Aufflackern in seinen Augen gibt sie sofort nach, nein, nicht sofort, aber sobald sie merkt, dass er prüfen will, verstohlen prüfen will, ob und wieweit sie ihn hindern wird, etwas zu tun, was er vielleicht gar nicht wollte, wäre da nicht dieses Misstrauen, beschlag- und vereinnahmt zu werden, sie ist auf der Hut …

Sobald man ihnen zeigt, wieviel einem an ihnen gelegen ist, greifen sie sofort nach, wollen wissen, wie weit sie gehen können, diese schamhafte Gier reizt sie, will er nun zu wenig oder so viel, dass man an die Gewährung unerfüllbare Bedingungen knüpfen kann, ohne fürchten zu müssen, dass sein Interesse erkaltet, was für sie demütigend wäre, oder dass sein Frühwarnsystem sogleich Alarm schlägt und zum Rückzug bläst, also nur solche Bedingungen, die ihm gerade noch den Aufwand lohnend erscheinen lassen müssten, sich an ihre Kostbarkeiten heranzuschleichen, wieviel wird er ihr opfern, sie hält ihm genug vor die Nase, seine Augen entsichern sich, wieviel gibt er dieses Mal preis, wird er für sie stehlen, morden, brandschatzen, oder nur ein Buch schreiben, Gedichte oder so etwas? Ein Gedicht von Rimbaud? Sie sind ja so empfindlich, so übererregbar ... Glauben Wunders, was sich über sie alles denken lässt ... Als hätte sie nichts anderes zu tun, als sich dauernd mit ihnen zu beschäftigen ... Sind ständig auf die klei