Manja - Anna Gmeyner - E-Book

Manja E-Book

Anna Gmeyner

4,4

Beschreibung

Manja ist die Geschichte von fünf Kindern und ihren Familien in den Jahren 1920 bis 1934. Das Mädchen Manja und die vier Jungen entstammen verschiedenen Milieus: Karl einer klassenbewussten Proletarierfamilie, Heini dem liberalen Bürgertum, Franz dem Kleinbürgertum, Harry dem reichen Großbürgertum und Manja einer armen Einwandererfamilie aus Polen. Die Freundschaft dieser Kinder, die sich in einem verlassenen Mauergrundstück am Stadtrand eine eigene Welt erschaffen haben, wird 1933 auf eine harte Probe gestellt. Manja und Harry sind plötzlich nicht mehr "rasserein", und die Probleme der Erwachsenen, die sich für oder gegen Hitler entscheiden, drohen die Welt der Kinder zu zerstören.

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Anna Gmeyner

Manja

Ein Roman um fünf Kinder

Mit einem Nachwort von Heike Klapdor

persona verlag

 

 

Über dieses Buch

Manja ist die Geschichte von fünf Kindern und ihren Familien in den Jahren 1920 bis 1934. Das Mädchen Manja und die vier Jungen entstammen verschiedenen Milieus: Karl einer klassenbewussten Proletarierfamilie, Heini dem liberalen Bürgertum, Franz dem Kleinbürgertum, Harry dem reichen Großbürgertum und Manja einer armen Einwandererfamilie aus Polen. Die Freundschaft dieser Kinder, die sich in einem verlassenen Mauergrundstück am Stadtrand eine eigene Welt erschaffen haben, wird 1933 auf eine harte Probe gestellt. Manja und Harry sind plötzlich nicht mehr »rasserein«, und die Probleme der Erwachsenen, die sich für oder gegen Hitler entscheiden, drohen die Welt der Kinder zu zerstören.

»Manja ist ein lesenswertes Buch. Der Roman gibt Poesie und Zeitbild in einer Mischung, die anrührt und aufklärt. Die Personen sind sozial so geordnet und in ihren Charakteren so gezeichnet, daß ein Kaleidoskop der moralischen und politischen Optionen im damaligen Deutschland entsteht.« (Heribert Seifert, Neue Zürcher Zeitung)

Die Autorin

Anna Gmeyner, 1902 in Wien geboren, gehörte um 1930 zur literarischen Avantgarde. Ihre Theaterstücke Heer ohne Helden und Automatenbüffet wurden bis 1933 mit Erfolg in Deutschland gespielt. Das Exil führte sie über Paris nach England. Sie schrieb Filmdrehbücher und Romane, in späteren Jahren nur noch auf Englisch. Anna Gmeyner starb 1991 in York. Manja erschien 1938 im Querido-Verlag (Amsterdam) und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Inhalt

Ende als Vorspiel

Erster Teil

Zweiter Teil

Zwischenspiel

Dritter Teil

Vierter Teil

Nachspiel

Nachwort von Heike KlapdorImpressum

Ende als Vorspiel

Einen Augenblick lang hatte die Kassiopeia deutlich mit ihren fünf strahlenden Endsternen über dem Kirchturm gestanden. Nun verschwand sie sehr schnell unter schwarzen treibenden Wolken.

Es war plötzlich sehr dunkel. Nur vom Fluss her schimmerten das Leuchtband der Brücke und die Lichter der Stadt. Aber der Wiesenhang lag unkenntlich in der Finsternis, die Bäume standen schwarz und fremd, und die vier Kinder, die still nahe beieinander auf der Mauer saßen, konnten plötzlich die Gesichter der anderen nicht mehr erkennen.

Von Heinis gesenktem Kopf war nur das helle Haar sichtbar.

Harry sah mit seiner großen Nase und der Brille darauf aus wie ein seltsamer Nachtvogel.

Karl hatte die Arme aufgestützt, und sein runder Kopf auf den geschlossenen Händen war wie ein großer schwarzer Kreis, von zwei kleinen getragen.

Franz war der Einzige, der sich bewegte. Die Absätze seiner Schuhe hackten gegen die Mauer und bröckelten Steinchen ab, die leise herunterrieselten.

Es war mit einem Mal kalt und der vertraute Spielplatz fremd, die Nähe der Freunde lästig. Eben hatte noch die Kassiopeia am Himmel gestanden. Irgendwo musste das noch sein, was sie glühend und lebendig gefühlt hatten. Keiner hatte es weggenommen, und doch war es fort. Und jeder war böse auf jeden, als ob er es genommen hätte.

Der Augenblick, der spiegelnd gewesen war wie ein Kristall, in dem sich alles Licht hält und mehrt, war mit einem Mal flach und trübe. Die Mauer war nicht mehr ein Riff, an dem sich ohnmächtig die Flut des Geschehens brach. Das Wasser stieg, kam von allen Seiten und überschwemmte das Riff.

Manja war nicht da, nur das zerfetzte Tüchlein, das sie an die kleine Birke gebunden hatte, die auf der Mauer wuchs. Es war nass vom Regen von vier Nächten.

Und plötzlich wussten die Kinder gar nicht mehr, warum sie hergekommen waren, unverabredet, mittwochabends wie sonst, als sei an der Mauer das, was sie suchten.

Wie kleine Tiere waren sie gewesen, die beieinander Wärme suchen. Nun war der gute Katzenkorb der Kindheit umgeworfen, und sie konnten nicht wieder hineinklettern.

Sie waren jeder ganz allein, obgleich sie noch nahe beieinandersaßen, als ob Berührung schon Hilfe wäre und Schutz. Aber das »Wir« und »Uns« und »Miteinander« war auf einmal wie ausgewachsene Kinderkleidchen, eng, abgetragen und gestrig.

Es war schwer zu begreifen, dass der gleiche Trieb, der sie hierhergeführt hatte, sodass sie an dem dunklen kalten Abend auf der Mauer saßen wie Spatzen auf einem Draht, sie nun auseinanderscheuchte. Und doch war es so. Es half nichts, sich dagegen zu wehren. Es war gekommen, wie Sommer und Winter kamen und Abend und Regen, ob man sie wollte oder nicht.

Sie verstanden, jeder auf seine besondere Weise, dass sie einander nur halten konnten, wenn sie sich losließen, nur beisammenbleiben, wenn sie sich trennten.

So umhüllte sie, bevor jeder zurückging in sein eigenes Leben, der unverminderte Glanz des Verlorenen, entzog sich dem Zugriff der zermahlenden Tage, war noch einmal ein unzerstörbares Bild und ein tröstendes Licht im Augenblick, da sie es losließen und nicht mehr mit klammernden Kinderfingern packten.

Sie sagten nicht wie sonst: »Also nächsten Mittwoch oder Samstag«, und gingen still über die dunklen regenfeuchten Wiesen auseinander.

An der Birke hing Manjas kleines Tuch.

*

Jeder Augenblick wächst wie eine Pflanze aus dem dunklen Boden des Gewesenen, das ihn unsichtbar und ungreifbar gestaltet und bestimmt, wächst mit verborgenen und verzweigten Wurzeln in der Erde des Vergangenen.

Jedes Wort, jede Tat, jeder Schmerz geht einen langen Weg durch dunkle Schächte, bis er deutlich geformt und sichtbar vor uns steht.

Was die Kinder nur erlitten und nicht verstanden, führte weiter zurück als ihr Erinnern, reichte in die Zeit, bevor sie waren und ehe ihr Leben begann.

Und auch das war nicht der Anfang.

Erster Teil

Fünf Nächte

Heini

Laut schlug die Kuckucksuhr in der Halle der Pension Heinzinger, Luisenstraße 4. Zehn Schläge. Man konnte sie in allen Zimmern hören. Aber nur wenige Gäste waren um diese Zeit zu Hause. Die meisten trieben sich auf den Straßen herum, in Kinos und in den Lokalen der Stadt, die mit unerhörtem Elan und Auftrieb alle erleben und empfinden ließ, dass der Krieg vorbei war, gewonnen oder verloren, jedenfalls vorüber, dass es Frühling des Jahres 1920 war und dass man aufholen wollte für die vier Jahre, in denen Lachen ein Verbrechen und Vergnügen eine Schuld war. Licht flutete auf den Straßen, grelle Reklamen hefteten sich wie mit Widerhaken an die Vorübergehenden, hämmerten ihnen Namen von Bars und Beine von Tänzerinnen ins Gehirn, und wer die Cocktails nicht trinken und die Frauen nicht kaufen konnte, der wusste wenigstens, dass es sie gab und wo. Überfluss von Licht, Verschwendung von Helle, nicht spärliche Lampen auf nachtdunklen Straßen, von gespenstischen Fliegerschutzhüten überdacht.

Also war es kein Wunder, dass nur in einem einzigen Zimmer der Pension Licht brannte, in einem Zimmer, das aussah wie alle, eine Tapete hatte mit einem Ornament von purpurnen Rosen und grünen Papageien, die ganzen vier Wände entlang, ein Messingbett unter einer rosa Ampel mit roten Plüschtroddeln benäht, aus demselben Plüsch, mit dem das Sofa bezogen und Tisch und Bett bedeckt waren und der die Vorhänge bildete, damit nicht die Neugierigen von gegenüber in die Fenster der Pension blicken konnten.

Sechsmal wiederholte sich das Muster der Purpurrosen, fünfeinhalbmal die Papageien im Streifen der Tapetenschablone. Acht Streifen, also achtundvierzig Rosen und vierundzwanzig Papageien an jeder Wand, abwechselnd mit den Rosen und den Papageien beginnend. Nur durch die beiden Fenster und durch den Schrank fällt ein Stück Tapete aus. Also nicht achtundvierzig mal vier ist hundertzweiundneunzig Rosen und hundertsechsundsiebzig Papageien. Hinter dem Schrank, wenn man ihn abrückt, muss dasselbe Muster erscheinen, in den Farben geschützt durch den Schrank, nicht verstaubt und abgenützt. Aber das sieht man vermutlich nur Weihnachten, Ostern und Pfingsten beim Großreinemachen.

Hanna Cornelius nähert sich dem Schrank und packt ihn, um ihn von der Wand abzuschieben, hält inne, erschrickt und zieht die Hand zurück. So wird man verrückt. Zwei Schritte zum Tisch, zwei Schritte zurück und zum Bett. Zählen der Tapetenblumen, sich versenken in die winzigste Abscheulichkeit der Umgebung. Horchen auf jedes Geräusch, auf jede Autohupe, jede Stimme. Warten gegen jede Vernunft, gegen jede Wahrscheinlichkeit. Aber warten mit jeder Faser seines Wesens.

Es wäre besser, zu Bett zu gehen und zu lesen, wenigstens sich auszukleiden. Sie setzt sich auf die Bettkante und löst die Schuhbänder, nimmt eine Zeitung, legt sie aus der Hand. Im Spiegel gegenüber sitzt ein Mädchen in einer weißen Seidenbluse, an der zwei Knöpfe offen sind, einem glatten schwarzen Rock, mit einem sehr weißen Gesicht zwischen dem dunkelblonden Haar. Das Mädchen sitzt starr und hält einen Schuh in der Hand.

Draußen wird das Haustor aufgesperrt. Hanna springt auf. Einen Schuh in der Hand, den anderen am Fuß, läuft sie zur Tür und lauscht. Schritte kommen die Treppe herauf, gehen vorbei. Ein Schlüssel wird ins Schloss gesteckt, eine Tür geöffnet. Stille. Nichts. Wieder eine Autohupe von draußen, ein tiefes Männerlachen. Die Ampel schwankt unter dem Tritt von Füßen im Zimmer über ihr. In der Wand ächzt das glucksende Geräusch irgendeiner Wasserleitung. Die Uhr schlägt ein Viertel nach zehn. Wieder geht die Haustür. Man hört Stimmen. Eine Frau kichert auf, wird erschrocken von ihrem Begleiter zurechtgewiesen. Sein Flüstern ist so, dass man jedes Wort durch die Wände hört. »Mach doch kein solches Geschrei! Muss denn jeder wissen, dass ich ein Mädel mit aufs Zimmer bring?« Schritte auf Zehenspitzen, Ächzen der Treppe. Dann wird es wieder still. Und aus Wänden und Möbeln, von der Straße und von der Treppe dringen Geräusche wie Nadeln in die Nerven, haken sich wie giftige Pfeile fest, das Tapetenmuster tanzt, der Schrank kracht wie von Schüssen.

Zwei Schritte zum Bett, niedersetzen, aufstehen. Zwei Schritte zum Tisch, zur Tür und zurück. Und zum Schrank. Seine halbe Fläche ist Spiegel. Hanna bleibt davor stehen. Das Gesicht ist farblos, ohne Licht, die braunen Augen ohne Glanz, die Haut schlaff, die Nase rot vom Weinen, wie von Wein. Wein und Weinen. Es dreht sich, ein wirbelnder Gedankenfetzen, in ihrem leeren Kopf. Kein Wunder, dass man nichts von ihr wissen will. Kein Wunder, dass Ernst Heidemann im Zug nach Hause sitzt, kein Wunder, dass er sie nicht mag, denn alles andere ist Unsinn, Vorwand und Selbstbetrug. Der Lungenschuss und dass er nicht gesund genug ist und dass es heute für einen jungen Arzt fast aussichtslos ist, eine Stelle zu finden, und dass es seine Bestimmung ist, allein zu leben. Der Fenstervorhang bewegt sich. Es ist, als hätte jemand an die Scheibe geklopft. Wenn er unten stände, jetzt, auf der Straße, den Blick nach dem Fenster. Er würde nicht wagen, nachts jemanden aufzuwecken. Er würde niemals klingeln. Vielleicht steht er auf der Straße. Es ist möglich. Bestimmt.

Sie zieht die Vorhänge zurück, öffnet weit das Fenster, beugt sich hinaus. Die Straße ist im Halbdunkel. Ein paar spärliche junge Kastanien stehen in zauberhaft erhelltem Grün im Licht einer Gaslaterne. Ein Mädchen zerrt einen Hund nach, ein Paar drückt sich ins Dunkel eines Hausportals. Sonst ist die Straße leer. Natürlich ist sie leer. Wie kann sie anders als leer sein? Sie selbst hat Ernst Heidemann heute Mittag an die Bahn gebracht. Sie hat ihm die Hand gedrückt, ihre und seine im Handschuh. Sie hat an ihm vorbeigesehen und weiß doch jeden Zug seines Gesichts. Abschied. Nicht Abschied für Wochen. Sie hat oft schon von ihm Abschied genommen in den vielen Jahren, seit sie sich kennen, schweren Abschied während des Krieges. Aber jetzt ist es Abschied für immer.

Halb elf. Sie setzt sich aufs Bett. Die Kissen sind warm. Unmöglich sich niederzulegen. Das Bett ist unfrisch, wenn auch neu bezogen. Ein Hotelbett einer drittrangigen Pension, zwei breite Kissen, die sich mit den hässlichen Spitzenkanten berühren. Man kann die Gesichter von Handlungsreisenden, Kommis und Lehramtskandidaten vor sich sehen, wie sie mit offenem Mund auf diesen Kissen schlafen neben einer fremden Frau, der Gattin oder einem mitgebrachten Mädchen, die sie drei Minuten lang an sich gepresst haben, bevor sie neben ihr schnarchen. Die grünen Papageien an der Wand sind entzweigeschnitten durch die Mauerkante.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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