Männer ohne Möbel - Alexandra Stahl - E-Book

Männer ohne Möbel E-Book

Alexandra Stahl

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Beschreibung

"Männer ohne Möbel" heißt dieses Buch, weil die Männer in Ellies Leben Angst vor richtigen Restaurants haben und Erdbeermilch trinken und auf Matratzen ohne Bettgestell schlafen. Es könnte aber auch "Zwischen uns ist alles gut" heißen, wie Alvaro sagt, der esoterische Argentinier, der Ellie ohne Erklärung nach einem halben Jahr verlässt. Oder"In Italien ist das nicht anders"? Weil auch in Italien, einer Kneipe am Neuköllner Landwehrkanal, alle nur Liebe wollen, egal ob sie sich für Marlon Brando halten oder ihrem Bier von einer Frau erzählen, von der sonst keiner glaubt, dass es sie gibt. Und Ellie? Besucht unter dem Titel "Mein Happy End bin ich!" einen Schreibkurs an der Volkshochschule. Dort lernt sie sich als Romanfigur zu betrachten und macht aus ihrem Leben ein Lieblingsbuch. Es endet in Italien, im richtigen – und mit einer Überraschung.Irgendwo zwischen Fleabag und Loriot, zwischen Herr Lehmann und Herr der Ringe erzählt dieses Buch mit Tempo und Lakonie von der Liebe in Zeiten von Codes und offenen Türen, von Lebensfreude-Duschgels und Tastentelefonen. Ein Buch für jede Young Fun Person – und für alle anderen noch viel mehr.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 Jung und Jung, Salzburg und WienAlle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung,Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehaltenUmschlagbild: Caroline Heinecke FleckUmschlaggestaltung: BoutiqueBrutal.comeISBN 978-399027-179-7

ALEXANDRA STAHL

MännerohneMöbel

Roman

Inhalt

SEPTEMBER

DER SCHLECHTESTE HAUSARZT VON NEUKÖLLN

MY YOUTH ON YOUTUBE

DEN LETZTEN SATZ, DIE RECHNUNG, DEN HEIMWEG

ZU VIELES IN DER SCHWEBE

SAMSTAGABEND IN BERLIN

KEIN EURO, KEIN BITTE, KEIN LÄCHELN

I STILL HAVE A BIKE

SOMETHING SERIOUS, I GUESS

RICE OR WHOLE GRAIN RICE?

RAUCHEN WIE EIN LASTWAGENFAHRER

EXACTLY THE TYPE OF GIRL

MEIN HAPPY END BIN ICH!

PSYCHOMAGIE TEIL 1

OKTOBER

VORFAHRENSLINIEN MIT GROSSEM V

DIE BESTEN DINGE IM LEBEN

KÄSE AUS DER ZWEITEN REIHE

INSALATA

MEIN HAPPY END BIN ICH!

SKELETT IM SCHRANK

YOUNG FUN PERSON

BASED ON A TRUE STORY

EINZELGÄNGER

MEET ME FOR A BLOWJOB?

SUP?

RIESLING

PSYCHOMAGIE TEIL 2

NOVEMBER

WAR DAS EIN ALTER SACK?

A REAL RESTÖRANT

ZÄHNE WIE PETE DOHERTY

MEIN HAPPY END BIN ICH!

DIE AUSRUFEZEICHEN-AURA

WAS IST DENN DAS FÜR EIN VOGEL?

TUTTO A POSTO?

I TRY TO TALK NOTTOO MUCH

SPAGHETTI IM WASCHBECKEN

I LIKE THE BLONDE ONE!

SCHIEFE HÄUSER

IF YOU MEDITATE BEFORE IT’S NOT SO BAD

ZWEI VÖGELCHEN, DIE NOCH FLIEGEN MÜSSEN

PSYCHOMAGIE TEIL 3

DEZEMBER

LEBENSFREUDE

SCHINKEN AUF DEN AUGEN

IS ITA BOY OR A GIRL?

MEIN HAPPY END BIN ICH!

EINE MÖGLICHKEIT

I AM STUPID, NO?

ABER WARUM?

HIS PENIS IS SO BIG, SOMETIMES HE PEES ON HIS FRONT LEGS

ERDBEERMILCH

I NEVER ASKED YOU TO

VERSPÄTERUNG

VIELLEICHT LIEGT ES AUCH AN MIR

ALLES KAPUTT

DAS LAND DER KLETTVERSCHLÜSSE

PSYCHOMAGIE TEIL 4

JANUAR

MEMORIEREN OHNE RASIERSCHAUM

PORNOS AUS JAPAN

MEIN HAPPY END BIN ICH!

WIESO TRÄGT ER EINEN FRAUENSCHAL?

MONDKALENDER

PIROGGI STATT SUSHI

EINE TOLLE PERZON

JEDES WORT KLINGT HOHL

LIEBE IST WIE EINE SEE

WE JUST WANT TO DANCE ALONE

MEIN INNERES GLEICHGEWICHT

WAS DARF’S SEIN?

WAS IST EIN VERNÜNFTIGER MANN?

EIN DUSCHGEL LEBENSFREUDE SPÄTER

UND NOCH EINS

SHALL WE DANCE ALONE TOGETHER?

DIE SACHE MIT KARIN

YOUNG FUN PERSON – BONUS TRACK

We tried not to smile for smiling encourages men to bore you and waste your time.

Sheila Heti

Now, let’s ride down to Cocoa Beach and find some people to fuck and kiss.

Wells Tower

Die wenigsten fanden ihr Glück in Italien, da suchten einfach zu viele.

Lucy Fricke

SEPTEMBER

DER SCHLECHTESTE HAUSARZTVON NEUKÖLLN

Wenn ich es mir recht überlege, bin ich schon mein ganzes Leben unzufrieden. Und jetzt warte ich auch noch seit einer Stunde auf den schlechtesten Hausarzt von Neukölln. Das jedenfalls steht auf der Wand neben dem Schreibtisch. Vielleicht hat er mich nur schon in sein Zimmer bitten lassen, damit ich nichts mehr erwarte, wenn er kommt. Er hat die Bewertungen aufgehängt, die seine Patienten über ihn ins Internet gestellt haben. Man hätte meinem Arzt Sterne geben können, maximal fünf, alle gelb. Hier ist aber nur ein Stern gelb und von einem zweiten noch ein Drittel, der Rest ist grau. Er hat das alles wirklich eingerahmt.

Inkompetent und unfreundlich

Weiß Bescheid, aber guckt einen nicht an

Voll der Asi

Nee Danke ey!?

Hat sich immer in die Augen gefasst und nicht zugehört

Unfreundlich und arrogant, aber kompetent

Hasst seine Patienten und sich selbst

Nie wieder!!

Nie wieder!! Das würde ich auch gerne sagen, als er endlich reinkommt, mich aber nicht ansieht, mich auch nicht begrüßt, sich einfach nur hinsetzt.

– Was führt Sie zu mir?, fragt er den Schreibtisch.

Treffender wäre: Wie haben Sie trotz allem zu mir gefunden? Oder besser noch: Wieso stehen Sie jeden Morgen auf und machen Ihr Bett, als wäre das jemandem wichtig? Und warum prüfen Sie, ob der Herd ausgeschaltet ist, wenn Sie das Haus verlassen, so als würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn alles abfackelt?

– Ich bin irgendwie erkältet.

Er hebt den Kopf. Die Nase ist gut.

– Irgendwie erkältet?

– Ja?

– Sie klingen aber gar nicht erkältet.

– Ich weiß, man hört es mir nicht an ...

Man hört mir so vieles nicht an, aber ihm ja auch nicht. Zum Beispiel, ob er zuhause eine Frau sitzen hat, die ihn im Internet bewertet.

Weiß nix und guckt mir nur auf die Brüste

Voll der Asi Nee Danke ey!?

Fasst mir immer an den Arsch und hört nicht zu

Unpünktlich und arrogant, aber sieht gut aus

Hasst unsere Kinder und sich selbst

Nie wieder!!

Er spielt mit seinem Kugelschreiber. Ich rutsche auf meinem Stuhl weiter nach hinten, falls er ihn nach mir wirft.

– Sie wollen eine Krankschreibung?

– Sie könnten mich ja mal abhören?

In seinem Gesicht verändert sich etwas. So wie der erste Schnaps einen Trinker belebt.

– Ich soll Sie abhören und nach einer Erkältung suchen, die Sie gar nicht haben?

– Also, ich bin schon erkältet.

– Na, kommen Sie.

Er deutet auf die Liege. Ich huste ein bisschen beim Aufstehen und gehe auch gebückt, so als würde irgendein Elend auf meine zarten Schultern drücken. Das ist nicht mal gelogen. Als ich mich hinlegen will, sagt er, sitzen reicht.

Er kommt neben mich. Sein Stethoskop steht ihm wahnsinnig gut. Ich schreibe Bewertungen im Kopf.

Liebt seinen Kugelschreiber

Hat so schöne Sommersprossen auf der Nase

Hört einen ab, obwohl man gar nicht krank ist

Das Metall ist kalt, und seine Finger sind es auch. Ich atme besonders langsam ein und wieder aus, damit es länger dauert. Er könnte mich auch ein bisschen streicheln. Meine Haut ist weich, das mögen viele, aber er nimmt das Stethoskop aus seinen Ohren und von meinem Rücken. Vielleicht hat er zuhause eine von diesen Frauen, die immer Verständnis haben. Vor allem, wenn Dinge gut aussehen so wie er und nichts mit Fremdsprachen zu tun haben so wie Pornos.

– Rauchen Sie?

– Nein, aber.

– Ja, das hab ich mir schon gedacht.

Bestimmt bucht sie alle drei Monate ein Zimmer in einer Stadt, die sie nicht kennen, damit sie die Welt und sich selbst immer wieder neu entdecken.

– Ich schreib Sie die Woche krank, das reicht ja wohl?

– Ja, wenn ...

– Gut.

Wir schauen uns an. Er fasst sich wirklich oft ans Auge. Und er weiß wahrscheinlich auch nicht mehr, wie er da hineingeraten ist. Beim Frühstück reden sie manchmal über das Umland, und er denkt an Reihenhäuser, deren schiefe Dächer ihn an die asymmetrischen Haarschnitte alter Frauen erinnern. Genau solche wären dann seine Nachbarinnen. Und der Friedhof wäre auch ums Eck. Dabei war er früher auf den Partys seiner Studentenverbindung schon um zehn so besoffen, dass er ins Gebüsch kotzte, in sein Zimmer schlich und zwei Stunden schlief, bevor er zurück auf die Feier ging. Irgendwie lässig. Richtig lebensfroh. Jetzt sind er und seine Frau jeden Samstag bei Ulrich und Ulrike eingeladen, bei Uli & Ike. Die machen alles gemeinsam und lachen dabei und meinen es so.

– Gute Besserung, falls man das so sagen kann.

Ich finde, man kann schon.

– Ja, dann, danke.

– Bedankt hat sich hier noch keiner.

– Ja, das kann ich mir vorstellen ...

Er öffnet den Mund, aber ich bin schneller.

– Ich mein, wegen der Bewertungen da.

Er winkt ab.

– Ach so, ja, das war ein Geschenk von meiner Frau, die ist Grafikdesignerin. Und verrückt.

Er verschwindet in sein restliches Leben.

Vermutlich eher Rest als Leben.

MY YOUTHON YOUTUBE

Ich überlege, ob ich mir einen Hund zulegen soll. In meinem Bett schaut mich morgens nur noch Balu, der Bär, an. Meine Wärmflasche. Einmal bin ich erschrocken, die Plastikaugen sind so groß.

Die Probleme im Berliner Tierheim beginnen allerdings schon mit den Namen. Bläcki, Pfeffi und Toros sind gerade im Angebot. Toros könnte ich in Torso ändern, aber dann bekäme ich trotzdem einen Problemhund. Toros wird nervös, wenn er Radfahrer sieht, und verteidigt sein Futter mit den Zähnen. Außerdem ist er ballsüchtig. In seinem bisherigen Zuhause wurde es mit dem Ballspielen leider übertrieben. Toros hat daran nämlich keinen Spaß, sondern rutscht in ein ungesundes Suchtverhalten, aus dem er alleine nicht wieder herauskommt.

Oder ein Pit Bull? Angeblich gibt es nirgends mehr herrenlose Kampfhunde als in Berlin. Aber alle sind verhaltensgestört (Charakterhund mit Eigenarten) oder schwere Pflegefälle (Blasenschwäche und Hüftschaden). Erst bei einem Mischling ohne Maulkorb überlege ich, ob ich ihn im Struppi-Haus besuchen soll. Dann sehe ich den letzten Satz. Achtung: Antonio kann Türen öffnen!

Wird er irgendwann aus dem Fenster springen?

Ich scrolle mich durch die Katzen. Die meisten haben sich in ihrem früheren Leben unausgeglichen gezeigt und warten im Garfield-Haus darauf, endlich mal vom Glückstopf zu naschen. Wer so etwas schreibt, macht Urlaub auf Balkonien und spielt Lotto. Wollen Sie der neue Dosenöffner sein? Eher nicht.

Dann vielleicht eine Reise? Ich will aber auch keine Lose bei Ryan Air kaufen.

Also YouTube. Extrem schlechte Musik hilft oft gegen extrem schlechte Laune. Und besser als die Songs sind natürlich die Kommentare.

Hanson Brothers: MMMBop.

I was about 14 when this came out, now I'm 35 and I still have no clue what the hell they are singing about!!

Can’t remember Kurt Cobain having three daughters??!

If you are watching this in 2018 you are a legend

O-Zone: Dragostea Din Tei.

Am I the only Romanian here who actually understands what they sing?!

Please don’t tell me Europe is a better place than the US!

If you are watching this in 2018 you are a legend

Ich gebe nochmal mmmm ein und bekomme die Crash Test Dummies vorgeschlagen. Die mag ich sogar. Und das übrige Internet auch.

If you see this video you are safe, God bless You and you will have a good life :)

It’s so hard to make Alexa play this great song!

Here I go again searching for my youth on YouTube

DEN LETZTEN SATZ,DIE RECHNUNG, DEN HEIMWEG

Wie hält man das Leben aus? Gar nicht. Und in der immer gleichen Bar. Sie hat keinen Namen, aber alle nennen sie Italien. Hinter dem Tresen hängt ein Artikel über Marlon Brando. Darin heißt es, dass jeden Tag weltweit Tausende Frauen beim Masturbieren an Marlon Brando denken. Marlon Brando hat allerdings das Gesicht von Giovanni, dem Besitzer der Bar, der wohl irgendwann mal ein Foto von sich selbst auf das von Brando geklebt hat. Giovanni sieht nicht aus wie Marlon Brando, aber sein Körper hat Ähnlichkeit mit dem von Brando, mit dem des späten Brando, nicht mit dem aus Endstation Sehnsucht. Seine Frau heißt auch nicht Stella. Aber sie hat ihn verlassen. Er dagegen behauptet, sie mache Urlaub auf Sardinien.

In Italien vergessen die Menschen ihre Probleme und manchmal auch ihre Hose. Und ich den letzten Satz, die Rechnung oder den Heimweg.

Als ich das erste Mal da war, musste ich an eine Sitcom denken, bei der die Lacher aus dem Off kommen. Nur, dass auf den alten Sofas nirgends Al Bundy hockte, sondern Menschen saßen, die mit Cannabis und Vintage-Strickpullovern durchs Leben kommen. Auch heute haben einige Tastentelefone vor sich liegen und viele sehen aus, als wüssten sie ihre eigene Nummer nicht. Einer hat Zöpfchen im Haar wie ein Kind. Oder wie ein Kiffer. Dafür fehlen Erik und Bosch, zwei Stammgäste, die vor dem Tresen sitzen wie zwei Kakteen. Sie brauchen weder Licht noch Aufmerksamkeit, ein Bier reicht.

Ein Mann in einem Bugs-Bunny-T-Shirt will einen Whiskey Sour. Giovanni sieht ihn streng an und erklärt, bei ihm gelte die Cocktail-Regel.

– Und wie geht die Cocktail-Regel?, fragt der Bugs-Bunny-Mann.

– Keine Cocktails!

ZU VIELESIN DER SCHWEBE

Was in meinem Handy steht:

Hey! Danke für die Nachricht. Habe mich zwischenzeitlich mal bisschen vom Dating-Leben zurückgezogen, zu vieles bei mir in der Schwebe mit Wohnort etc. Falls dich das nicht hindert, mit mir einen Drink zu nehmen, meld dich! Ich würd mich freuen!

Was da wirklich steht:

Hey! Irgendwas muss ich ja jetzt antworten. Eigentlich treffe ich keine Frauen mehr, weil ich eine kennengelernt habe, die will eine Beziehung etc. Was ich will, ist bisschen in der Schwebe. Wenn du dich hinterher nicht beschwerst, könnten wir einen Drink nehmen und wenigstens mal Sex haben, das musst aber du entscheiden. Mir jedenfalls würde es guttun!

SAMSTAGABENDIN BERLIN

Weil mir nichts Besseres einfällt, lerne ich drei Männer kennen. Sie haben ähnlich viele Probleme wie die Hunde und Katzen im Tierheim.

Der erste sieht aus wie Jesus.

Er erzählt von seiner Mutter, die ihn immer wieder besuche, seit dem Tod seines Vaters sei ihr langweilig. Er erklärt, dass er Nutella liebe und seit vier Jahren keine Frau mehr gehabt habe. Zweimal sagt er, dass mein Körper sehr schön sei, während ich vollständig angezogen neben ihm sitze. Aus Gründen, die ich nicht kenne, lasse ich zu, dass er mich küsst.

Er küsst mich wie ein Siebenjähriger, mit spitzen Lippen. Ich passe mich an, denke aber bald, vielleicht muss ich zeigen, dass wir uns richtig küssen können. Ich öffne meinen Mund, doch Jesus hält die Lippen weiter aufeinandergepresst. Ich schließe meinen wieder, aber nun öffnet er seinen, wo ich meinen längst wieder zu habe. Anders als ich meinen, lässt er seinen offen und stößt seine Zunge schnell und weit heraus und zieht sie gleich darauf wieder ein. Rein, raus, rein, raus.

Den zweiten nenne ich The Britalian.

The Britalian kommt aus Mailand und versucht, britisches Englisch zu sprechen, weil er einst in seine Englischlehrerin verliebt war. Das Problem ist, dass er zu der Zeit mit einer zusammenkam, die zwölf Jahre seine Freundin bleiben sollte. Sie waren schon verlobt, da träumte sich The Britalian in ein anderes Leben. Von Schuldgefühlen geplagt, schlief er sich zwei Jahre durch Matratzen ohne Bettgestelle und bekommt jetzt, da ich vor ihm sitze, immer noch leuchtende Augen, wenn er von Clubs erzählt, die freitags öffnen und montags noch voll sind. Mehrfach erklärt er, sein Herz klopfe, wenn er meine Stimme höre, dann fährt er nach Italien und mistet den Keller seiner Eltern aus.

Reisen in die Heimat sind fatal.

Die Menschen müssen sich dann damit auseinandersetzen, wer sie früher waren, werden unzufrieden und projizieren das auf die, mit denen sie angebandelt haben. Oder sie rennen in Ex-Partner. Oder Ex-Partner in sie. Oder: Sie räumen den Keller ihrer Eltern aus.

Zurück in Berlin berichtet The Britalian, er habe sein altes Skateboard gefunden, und außerdem könnten wir uns nicht mehr treffen, er habe Angst vor der Liebe. Ich lache, aber er beharrt, es sei die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Außerdem sagt er: If I sleep with you I might cry afterwards.

Der dritte ist Schlagzeuger.

Er hat ein Gesicht wie ein Gemälde, vor dem man den Kopf schief hält. Man könnte ihn in jedes Jahrhundert stellen, er wäre immer der Schönste. Wir küssen uns vor seiner Haustür.

– Willst du wirklich nicht mit reinkommen?

– Nein, aber wir könnten morgen einen Kaffee trinken gehen?

– Weißt du, in meinem Leben gibt es kein Morgen. Es gibt immer nur den Moment.

– Aha. Ich geh’ jetzt aber trotzdem.

– Aber du riechst so gut!

– Ja. Danke …

– Also, willst du wirklich gehen? Ich meine, es ist Samstagabend. In Berlin!

– Ich glaube ja, ich bin eher Dienstagabend. In Hannover.

– Oh.

Auf dem Heimweg muss ich lachen. Vielleicht ist das etwas.

KEIN EURO,KEIN BITTE, KEIN LÄCHELN

Hinter dem Tresen steht nicht Giovanni, sondern eine, die ich hier noch nie gesehen habe. Und sie hat etwas an sich, das mir nicht gefällt. Wie ein Drache, der eine fremde Welt beschützt. Wobei sie nichts beschützt, sie verkauft nur Bier an Kiffer. Und sie sieht auch nicht aus wie ein Drache, überhaupt nicht.

Wie sie Gläser poliert, wie sie über ihrem Telefon hängt, wie sie ihre Locken in einen Dutt zwängt und gleich darauf wieder ausschüttelt. Keine Bewegung ist unbedacht, kein Blick beiläufig, sie ist der Star einer Show, und die Show heißt: Hotteste Barkeeperin ever.

Als sie mich endlich beachtet, bohrt sie ihre dunklen Augen in meine, wohl das Zeichen, dass ich sprechen darf.

– A red wine, please?

Sie nickt fast unmerklich und reicht mir bald ein weniger als halbvolles Glas. Bei Männern schenkt sie mehr ein, das habe ich beobachtet. Sie befiehlt, ohne aufzublicken.

– Four!

Kein Euro, kein Bitte, kein Lächeln.

Ich reiche ihr meinen Schein.

– Five, please?

Da verziehen sich ihre Lippen zu einem schiefen Strich, als hätte ich einen schlechten Witz gemacht, auf den sie aus Anstandsgründen reagieren muss, und knallt einen Euro auf den Tresen. Das macht mich so fertig, dass ich es gar nicht schaffe, noch nach Leitungswasser zu fragen.

I STILLHAVE A BIKE

Was in meinem Handy steht:

Hola!! Are you enjoying the nice weather?? Yesterday I passed by your house with my bike and thought of you. I wondered if you would like to catch up someday ;) Liebe Grüße

Was da wirklich steht:

Hola!! I don’t care whether you enjoy the sun or anything else but my girlfriend left me. I don’t remember where you live and I certainly never think of you but I still have a bike. I hope we can have sex as soon as possible ;) I also learned a bit German if that helps for your decision.

SOMETHING SERIOUS,I GUESS

Er kommt aus dem Internet, aus Frankreich und zu spät.

I’m still at the studio of SCSSR on Marx Street.

Von SCSSR habe ich noch nie gehört, ich hatte ja noch nichts mit seinem Leben zu tun. Dass er ihn oder sie oder es namentlich erwähnt, lässt auf Kreise schließen, in denen Menschen damit beschäftigt sind, auf angestrengte Weise interessant zu sein.

Und jetzt gibt es auch noch einen Liveticker.

Als wäre er ein Ereignis.

Längst habe ich geschrieben, dass ich am Tresen warte. Doch mein Handy vibriert ohne Pause.

Now I’m here :)

I’m outside

With a white racing bike

I’m wearing all black

And a black hat

Locking my bike

:-)

R u outside or inside?

Daran ist direkt vieles falsch. Er hat meine Nachricht nicht richtig gelesen, er hat ein Rennrad, er hat ein weißes Rennrad, er beschreibt die Farbe des Rennrads, er benutzt Buchstaben statt Wörter, er macht Emoticons, er macht zwei Emoticons …

Trotzdem warte ich, bis Antoine vor mir steht, Hose, Hemd, Schildkappe, alles schwarz, in der Hand die Schlüssel zu einem weißen Rennrad, ich erkenne ihn mühelos :-)

– They made it too short!

Er lächelt und deutet auf seine Kappe. Es stellt sich heraus, dass SCSSR ein Friseur ist. Vokale sind verpönt, wenn man jung, wild und international ist. Auch Ntn ist jung und international und sogar ein bisschen wild. Als wir zwei Gin Tonic vor uns stehen haben, holt er eine Weinflasche aus seinem Rucksack.

– You want some water?

– You have water in a wine bottle?

– Yes, I prefer drinking water from a distinctive bottle.

Gleich darauf kramt er wieder etwas hervor, diesmal ein schwarzes Sony-Ericsson-Handy. Natürlich ein Tastentelefon. Dass er mit dem Ding die ganzen Nachrichten getippt hat, ist beeindruckend, aber noch kein Grund, sich zu verlieben.

Demonstrativ legt er das Telefon auf den Tisch. Weil ich nichts dazu sage, tut er es selbst.

– I try to avoid the Internet whenever I can.

Ich überlege, wie ich mich an seinen Tonfall gewöhnen kann. Er klingt, als habe er den Frieden auf Erden in seinem schwarzen Rucksack und suche noch jemanden, der ihm den abkauft.

Der Alkohol hilft.

Ich trinke schnell, er nippt. Irgendwann frage ich, wieso er so langsam trinke, und er erklärt, seine Freunde hätten gesagt, er trinke zu viel und zu schnell, jetzt wolle er nicht mehr zu viel und zu schnell trinken.

Überhaupt seine Freunde. Er schmeißt mit Namen um sich, Anna, Raphael, Sebastian, Leo, als würde ich die alle kennen. Raphael ist sein bester Freund.

– He’s my bestie. He’s the fluffiest person ever.

Ich denke an das Fell eines Hundes.

Antoine erzählt sehr lange sehr ernst von seiner Arbeit. Irgendetwas mit Lichtmaschinen und 3-D-Druckern und Veganismus, das Wort sustainable fällt öfter. Nach einer Weile scheint er sich zu erinnern, dass ich neben ihm sitze.

– But I don’t want to talk so much about myself. What about you?

Ich erzähle irgendetwas.

Er sagt zu allem so schnell Ja, dass es klingt wie Jiii-a, aber als ich fertig bin, greift er nichts auf. Stattdessen stellt er Fragen, als würde er eine Liste abarbeiten.

– Do you speak French?

– Not anymore.

– Jiii-a! What kind of music do you like?

– 90s … Sometimes I search for my youth on …

– Jiii-a! Are you vegan?

– No.

– Jiii-a!

– And you?

– I am vegan, but it is okay you eat meat. There are bodies that need meat!

Diese ewig gleichen Gespräche. Wie eine Bewerbung.

Dabei mag man jemanden eben oder nicht. Und ich habe eigentlich gar keine Lust, noch mehr zu sagen. Bei jedem Satz überlege ich, ob sich die Mühe lohnt. Man hat ja alles schon so oft erzählt. Und wie anstrengend es ist, sich mit Leuten zu beschäftigen, die komplett anders ticken. Wie mit Kindern oder Alten. Am Ende ist man immer müde. Antoine stellt die Frage aller Fragen.

– So what do you want?

Immer dieses Gerede, was man wolle. Ich würde gern mal sagen: Naja, die Liebe meines Lebens, wie wir alle, aber ich glaube nicht, dass du das bist!

Aber ich sage:

– Something serious, I guess.

Antoine nickt zufrieden.

Auch er wolle etwas Ernsthaftes. Sein bestie Raphael heirate bald, und Raphael und Anna seien ein wunderbares Paar. Er glaube an die Liebe und wolle sein Leben nicht mit Menschen verschmutzen, die nicht an die Liebe glauben würden.

– I don’t want to pollute my life with people who don’t believe in love.

Als wären Zyniker ein Umweltproblem.

Hier glaube keiner an die Liebe, nur an die schnelle. Deswegen habe er überlegt, zurück nach Paris zu ziehen, dort lebten die Menschen monogam. Ich sei die Erste, die nicht nur Sex von ihm wolle.

Es ist aber nicht so, dass ich Sex von ihm will.

Ich will ja gar nichts von ihm.

Nicht mal einen Schluck Wasser.

Nur versäume ich, das zu sagen, so dass er seine Ausführungen damit beendet, dass wir das nächste Mal eine Pizza essen könnten, im Laden von Leo, nur keine mit Rucola, Rucola könne er nicht gut verdauen. Sonntag habe er noch nichts vor.

Ich habe mal gelesen, dass Menschen Pläne machen, weil sie Angst vor dem Tod haben. Und ich fürchte, dass ich die ewige Grabesruhe einem Leben mit Antoine vorziehe.

Er sieht auch ein bisschen aus wie Millhouse von den Simpsons. Und der Rest in dieser Cocktailbar spielt sich selbst. Die Frauen tragen Plateauschuhe und weiße T-Shirts in XL, die sie in Unterbrust-Hosen gesteckt haben. Die Männer auch. Es gibt Gruppenumarmungen. Als ein kleiner Hund einer der Frauen ans Bein springt, ruft sie: Oh mein Gott, ein Hund! Als hätte sie noch nie einen gesehen. Und vielleicht hat sie das wirklich nicht.

Ich überlege, ob ich lästern soll, da zieht Antoine ein i-Pad aus seinem Rucksack. Es ist nicht schwarz und kein Tastentelefon, beides finde ich seltsam, sage aber nichts. Ich habe auch keine Gelegenheit dazu, denn er führt mir jetzt seine Freunde vor. Er preist sie an wie Tiere auf einer Rasseschau: Aren’t they beautiful? He’s so fluffy! She’s the fluffiest one! Look how pretty he is! Oh, I love them all!

Er wischt sich von Foto zu Foto, während ich nur blasse Künstler sehe. Sie sehen gar nicht aus wie richtige Menschen. Eher wie Werbung für Menschen. Menschen, die niemals lachen oder essen, und Anna ist gar nicht Anna, sondern Hannah, aber Antoines Akzent hat das H unterschlagen.

Schließlich dreht er sich eine Zigarette, recht langsam, dann sitzt er da mit ihr. Mehr passiert nicht, er hält sie nur zwischen seinen Fingern. Ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich auf die Zigarette starren muss. Ich verstehe nicht, wieso sie aus bleiben soll. Man dreht Zigaretten doch nicht, um sie zu halten. Man dreht sie, um sie in sich hineinzusaugen!

– Don’t you want to light your cigarette?

– I don’t have a lighter.

Ich deute auf die beiden Trinker neben uns. Dinosaurier kurz vor der Ausrottung. Sie haben graue Pferdeschwänze und volle Biere, vor denen zwei Feuerzeuge liegen. Aber Antoine schüttelt den Kopf.

– I don’t want to interfere. I respect their privacy.

Da greife ich nach einem der beiden Feuerzeuge. Die Trinker schauen, als wäre neben ihnen ein Ufo mit der Aufschrift Frau gelandet. Antoine steckt die Zigarette in den Mund, ich zünde sie an.

– Merci!

– Ja …

Ohne jede Überleitung fängt er an, über seine sexuellen Vorlieben zu reden. Seine Exfreundinnen habe er eher dominiert, das hätten sie gemocht, außer einer. Nur eigentlich werde er selbst gerne ein bisschen härter behandelt, genau genommen sogar sehr hart. Deswegen habe er überlegt, ob er schwul sei, mit einem Mann ließe sich das sicher gut ausleben. Wie das bei mir sei?

Ich gehe zur Toilette.

Auf der Kabinenwand steht: Your smile is the best you can wear.

Und drunter: I bet a fat woman wrote that!

Und drunter: I bet a small dick wrote THAT …

Und drunter: Beware of the limbo dancer