Männer sind einfach - Ulrich Giesekus - E-Book

Männer sind einfach E-Book

Ulrich Giesekus

4,5

Beschreibung

Was bedeutet es heute, Mann zu sein? Alte Rollen sind passé, den Lebensrahmen muss sich jeder selbst zimmern. Das macht das Leben nicht einfach, birgt aber auch große Chancen. Der Psychologe Ulrich Giesekus und der Theologe Andreas Malessa zeigen, was Mannsein in unserer Gesellschaft bedeutet und wie Männer zu neuen Horizonten aufbrechen können. Mit fundiertem Wissen und unterhaltsamer Schreibe bietet das erfolgreiche Autorenduo ein kräftiges Stück Motivation für jeden Mann. Und ein spannendes Männerverstehbuch für Frauen!

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Andreas Malessa Ulrich Giesekus

4. Auflage 2011

© 2007 Brunnen Verlag Gießenwww.brunnen-verlag.deLektorat: Hanna SchottUmschlagfoto: Dennis Williamson; János Angeli, ReutlingenUmschlaggestaltung: Ralf SimonSatz: DTP BrunnenCPI – Ebner & Spiegel, UlmISBN 978-3-7655-1398-5eISBN 978-3-7655-7075-9

Inhalt

Warum wir dieses Buch beinah nicht geschrieben hätten …

1. Schluss mit den Rollenklischees

2. Männlichkeit in der Postmoderne

3. Genug (vom) Sex?

4. Das Schweigen der Männer

5. Ich spür’s in den Genen, Herr Doktor …

6. Nur Kumpels, Kollegen und Konkurrenten?

7. Mein Körper? Wo …, wieso …?

8. Leer im Herzen, voll im Stress

9. Besser als ihr Ruf: Väter

10. Vorbilder: Nirgends was für kleine Jungs?

11. Porno: Der Säufer hat die Bar im Kopf

12. Ein eigener Mensch werden

Quellen- und Literaturhinweise

Warum wir dieses Buch beinah nicht geschrieben hätten und wieso es auch Frauen lesen dürfen

Ulrich: Hast du heute schon einen Drachen getötet und deine Prinzessin beschützt?

Andreas: Hä?

Ulrich: Du glaubst nicht, wie viel (hüstel, röchel … Ulrich verschluckt sich an einem Keks) in christlichen Ratgeberbüchern für Männer steht!

Andreas: Ich lese keine. Meine Prinzessin hat mich heute vor Erblindung geschützt, indem sie die Lampe über meinem Schreibtisch repariert hat. Endlich. War seit vier Monaten kaputt.

Ulrich: Und? Bist du deshalb kein richtiger Mann? Genau darüber müssten wir mal was schreiben!

Andreas: Über durchschmorende Trafos und implodierende Birnen?

Ulrich: Nein, über christlich zementierte Rollenklischees. Meine Prinzessin ärgert sich eher darüber, wenn sie von Machos nicht ernst genommen wird. Aber sag mal – du bist ja der Theologe: Gibt es das eine, für alle normative biblische Männerbild überhaupt?

Andreas: Abraham lebte polygam, Mose hatte eine schwarze Geliebte, David schwängerte die Frau seines Nachbarn, Josef wollte Maria eigentlich verlassen … Soll das ein Krimi werden?

Ulrich: Es soll eine Ermutigung zu männlicher Identitätsfindung werden.

Andreas: Von Identität versteht ein Humanwissenschaftler und Psycho-Onkel wie du aber mehr als ein Theologe und Journalist wie ich.

Ulrich: Hm. Und von der Arbeitsweise her sind wir natürliche Feinde.

Andreas: Was?

Ulrich: Ein Journalist recherchiert so lange, bis er über alles immer weniger weiß. Ein Wissenschaftler, bis er über immer weniger alles weiß.

Andreas: Was für die Leserinnen dann aber aufs Gleiche hinausliefe …

Ulrich: Leserinnen?

Andreas: Ja. Männer kaufen Bücher angeblich doch nur, um sie ihren Frauen zu schenken.

Ulrich: Ein Buch von uns beiden werden auch Männer lesen. Wir sind schließlich seit 20 Jahren befreundet.

Andreas: Also muss ein Kapitel über Männerfreundschaft rein.

Ulrich: Und über männliche Gene, über Kommunikation in der Ehe, Stress, Vorbild sein, Vaterschaft …

Andreas: Sex!

Ulrich: Sex auch, ja. Und was es bedeutet, als Mann Jesus nachzufolgen – mitten in den veränderten Bedingungen des globalisierten Marktes und der postmodernen Kultur.

Andreas: Die gesellschaftlichen Bedingungen haben sich zu Lasten der Männer und zugunsten der Frauen verändert …

Ulrich: Eben!

Andreas: Aber woran merkt die Leserin, wer von uns beiden was geschrieben hat, wenn wir beide meinen, was der andere schreibt?

Ulrich: Am Stil.

Andreas: Hast du denn einen?

Ulrich: Ich hatte in Deutsch ’ne Fünf. Aber wer eine männliche Identität hat, braucht ja nicht auch noch einen eigenen Stil.

Andreas: Außerdem: Wofür haben wir eine Lektorin, weiblich!?

(Das Ende des Gesprächs wird von uns beiden unterschiedlich erinnert. Jedenfalls kam zum Schluss dieses Buch dabei heraus.)

Viel Lesevergnügen wünschen wir Ihnen.Ulrich Giesekus & Andreas Malessa

Kapitel 1

Schluss mit den Rollenklischees

Sie haben in Mathe auch nicht alles verstanden? Vielleicht können Sie sich trotzdem noch erinnern: Man braucht immer so viele Gleichungen, wie man Unbekannte hat. Zwei Unbekannte werden als x und y bezeichnet. Mit nur einer Unbekannten (x) ist das Rätsel sehr viel einfacher zu lösen.

Aber auch wer in Mathe gepennt hat, kennt das Fernsehprogramm und weiß, dass XY das Aktenzeichen für ungelöste Kriminalfälle ist. Mit Hilfe der Bevölkerung sollen Täter gefunden werden, die zu nachgespielten Szenen passen. Aufregend, das Ganze.

Kurz: XY steht für schwierige Gleichungen, ungelöste Rätsel und offene Fragen.

Wenn es um das männliche XY-Chromosom und seine Auswirkungen auf das betroffene Geschlecht geht, sieht es nur auf den ersten Blick anders aus. Männlichkeit wird von manchen als ein relativ einfaches Strickmuster ohne viele Variationen beschrieben. Männer sind einfach … Männer sind einfach so …

Populärwissenschaftliche Bücher preisen die Biologie als plausible Erklärung für simple Schwarz-Weiß-Muster. XY ist „digital“ das Gegenteil von XX. Papas Sperma bringt Klarheit: Das Y macht den Mann zum Mann. Die Evolution hat für klare Rollenzuschreibungen gesorgt, und jeder Biologe weiß, was den Mann zum Mann macht: Muskeln, Dominanzverhalten und Gehirnwindungen, mit welchen „mann“ zwar nicht zuhören, aber dafür umso besser das Auto einparken kann. Populär gewordene Paarforschung der jüngeren Generation macht die Biologie verantwortlich, nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse: Männergehirne sind durch männliche Hormone ganz einfach auf Jagd und Kampf programmiert. Männer können gar nicht anders.

Auch manche Psychologen bringen Männlichkeit auf einen einfachen Nenner. Die sieben „männlichen Imperative“ – so der Amerikaner Herb Goldberg – sind doch eigentlich leicht zu begreifen: „Je weniger Schlaf ich benötige, je mehr Schmerzen ich ertragen kann, je mehr Alkohol ich vertrage, je weniger ich mich darum kümmere, was ich esse, je weniger ich um Hilfe bitte und von anderen Menschen abhängig bin, je mehr ich meine Gefühle kontrolliere und unterdrücke, je weniger ich auf meinen Körper achte, desto männlicher bin ich.“ Nachhilfe gibt’s im Zweifelsfall nicht nur vom Liederdichter Herbert Grönemeyer, der in seinem Song „Männer“ der männlichen Seele wenigstens so viel Tiefe zuschreibt, dass sie „außen hart und innen ganz weich“ sei. Auch Sozialpädagogen und -pädagoginnen können gelegentlich Männlichkeit auf eine recht einfache Formel reduzieren. Die einfachste davon: Männer sind Täter, Frauen Opfer. Etwas differenzierter: Männliche Sozialisierung, also die Gesamtheit gesellschaftlicher Einflüsse auf die persönliche Entwicklung, zwingt Männer dazu, emotional mehr oder weniger behindert zu sein. Ihre Erziehung unterwirft schon die kleinen Jungen rigorosen Rollenklischees. Das Ergebnis: Konkurrenzverhalten, Kommunikationsunfähigkeit und Herzinfarktgefährdung. Als Partner sind Männer eigentlich ziemlich unbrauchbar, aber glücklicherweise gibt es ja Frauen, die für die Beziehungshygiene sorgen.

Auf kirchlichen Büchertischen findet man jede Menge Literatur mit der Botschaft: So sind Männer wirklich! Und nicht selten stößt man in ihr auf die gleichen oder ähnliche Stereotype: Richtige Männer sind wild, ungezähmt oder irgendwie simpel „der totale Mann“. Einen Baum pflanzen, ein Haus bauen, einen Sohn zeugen …, oder auch einen Drachen töten und die Prinzessin erlösen. Solche Vorstellungen unterscheiden sich letztlich nur wenig von den religiösen Interpretationen vorheriger Generationen, für die „ganz klar“ war, dass der Mann als „Haupt der Familie“ biblisch begründet herrschen durfte und bestimmen musste, wie der Hase läuft. Frauen hatten untertan zu sein und zu gehorchen. Dass in der Bibel das Konzept „Gehorsam“ zwar für die Kinder-Eltern- und für die Gott-Mensch-Beziehung Anwendung findet, niemals aber in Bezug auf die Partnerschaft genannt wird, störte dabei wenig. (In der Bibel werden Paare zu einer gegenseitig dienenden Grundeinstellung aufgefordert, so zum Beispiel im Brief des Apostels Paulus an die Christen im griechischen Ephesus, 5. Kapitel, Vers 21: „sich gegenseitig untertan sein“ nennt der Apostel das.)

Auf der Suche nach Einsichten in die männliche Psyche scheint es viele eindimensionale, schwarz-weiße, global richtige Antworten zu geben. Nur: Sie stimmen eben nur im Allgemeinen, global und generell. Auf den Einzelnen bezogen können sie nicht stimmen. Und sie helfen keinem Mann dabei, seine individuelle Männlichkeit zu entdecken, zu entwickeln und zu gestalten. Wenn statistisch beobachtbare Zusammenhänge verallgemeinert werden, führt das im Einzelfall fast so häufig in die falsche wie in die richtige Richtung. So was ist bestenfalls pseudowissenschaftlich und wird ordentlich betriebener Psychologie und Theologie nicht gerecht. Wer sich mit männlichen oder weiblichen Eigenschaften so befasst, dass er lediglich nach Stereotypen sucht, der erschwert oder verhindert die Selbstwahrnehmung sogar. Er behindert die Entwicklung einer individuellen Identität, macht Beziehungen und besonders Partnerschaften schwieriger. Untersuchungen zeigen: Je ausgeprägter die Vorstellungen von den Geschlechterrollen sind, desto unglücklicher sind die Paare. Je stärker sich Frauen mit weiblichen Rollenklischees identifizieren und Männer mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit, desto häufiger leiden sie an Minderwertigkeitsgefühlen und kompensieren diese dann nicht selten mit dem Ausleben genau dieser Klischees. Und umgekehrt: Glückliche Ehen führen dazu, dass beide Partner im Laufe einer langjährigen Beziehung sowohl ihre „maskulinen“ als auch „femininen“ Eigenschaften entwickeln. Frauen und Männer lernen, tiefere Gespräche zu führen. Frauen und Männer lernen, wie man mit neuem Werkzeug oder Computerprogrammen umgeht. Und das müssen sie auch. Beide.

„Männer haben größere Füße.“ Das ist unzweifelhaft richtig. Schuhgröße ist nämlich eine „geschlechtsdimorphe Eigenschaft“, also eine Eigenschaft, die Männer und Frauen unterscheidet. Aber eben nur im Allgemeinen. Denn keinesfalls haben alle Männer größere Füße als alle Frauen. Während bei den Frauen die gängigen Schuhgrößen von 36 bis 42 gehen, sind bei den Männern die Größen 40 bis 46 vorrätig. Aber es gibt auch Männer mit Schuhgröße 38 sowie Frauen mit 44. Die mittleren Größen sind jeweils viel häufiger, die Extreme selten.

Für Ladenbesitzer und Schuhfabrikanten sind diese Unterschiede wichtig, denn sie müssen entscheiden, wie viele Paare sie in jeder Größe produzieren beziehungsweise einkaufen. Aber für Hans und Liese ist es beim Schuhkauf völlig irrelevant, ob Größe 42 eher männlich ist – wenn eine Frau diese Größe braucht, wird sie nach ihr suchen. Und sie ist deswegen kein bisschen weniger eine „ganze Frau“.

Wenn es um seelische geschlechtsdimorphe Eigenschaften geht, sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Regel viel kleiner als bei der Schuhgröße. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist in den mittleren Bereichen zu finden, wo sich maskuline und feminine Normalitäten überschneiden. Bei einer x-beliebigen psychologischen Eigenschaft, die man auf einer Skala zwischen 0 und 100 messen könnte, wären die Frauen dann vielleicht typischerweise zwischen 29 und 69, die Männer zwischen 31 und 71. Auch hier würde stimmen: Männer haben höhere Werte als Frauen. Aber wenn 98 Prozent beider Geschlechter irgendwo zwischen 31 und 69 liegen – was, bitte, soll dann „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ sein?

Für die individuelle Identitätsfindung sind Rollenzuschreibungen also Gift. Natürlich gibt es – nicht nur bildlich gesprochen – Frauen, die ihre Füße in zu kleine Schuhe zwängen, damit es „femininer“ aussieht. Und Männer, die sich eine Glatze rasieren, um „maskuliner“ zu sein.

Aber Tatsache ist, dass ein geschorener Kopf keinen besseren Mann macht und kleinere Füße keine bessere Frau. Die gesundheitlichen und manchmal auch finanziellen Kosten für irregeleitete Anpassungsversuche sind dagegen erheblich.

Bei den beiden männlichen Autoren dieses Buches kommen folgende „typisch maskuline“ und „typisch feminine“ Eigenschaften mindestens bei einem von beiden vor – wer von beiden was mag oder tut, wird nicht verraten.

Fährt gerne Motorrad

Heult bei Filmen

Fährt nicht gerne Motorrad

Bastelt in der Werkstatt

Hat zwei linke Hände

Liebt Literatur

Kann gut kochen

Fährt lieber Zug

Fährt lieber Auto

Führt gern lange Gespräche

Ist manchmal etwas eitel

Ist manchmal zu besorgt

Bei den beiden Ehefrauen dieser Autoren kommen folgende Eigenschaften vor – wieder wird nicht verraten, welche bei welcher:

Fährt gerne Motorrad

Heult bei Filmen

Fährt nicht gerne Motorrad

Bastelt in der Werkstatt

Liebt Literatur

Kann gut kochen

Fährt lieber Zug

Fährt lieber Auto

Führt gern lange Gespräche

Ist manchmal etwas eitel

Ist manchmal zu besorgt

Die Listen ließen sich verlängern. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass bei den Frauen eine Eigenschaft von einem der beiden Männer nicht vorkommt: „Hat zwei linke Hände“. Die Damen sind nämlich beide handwerklich geschickt.

Fazit: Männer und Frauen haben beide maskuline und feminine Eigenschaften. Das gilt nicht nur für die Autoren und ihre Partnerinnen. Die gängigen Definitionen von Männlichkeit haben mit den Definitionen von Weiblichkeit dagegen nur eines gemeinsam: Sie stimmen nicht. Also: Vorsicht, Falle! Vorurteilsbeladene und festgelegte Rollenerwartungen bewahrheiten sich häufig selbst, wenn man an sie glaubt. An Stelle von sich gegenseitig ergänzenden Partnern entstehen dann jedoch Stereotype, die eben gerade nicht die von Gott in der Schöpfung gestiftete Vielfalt leben, sondern gesellschaftlich bestimmte Geschlechterrollen verwirklichen. Sie führen nicht zur Freiheit, die eigene Person in ihrer Begabung, Individualität und Andersartigkeit zu entdecken, sondern sie engen ein, setzen Normen und Erwartungen und führen letztlich zu einem fremdbestimmten Leben. Das geschieht im Sinne einer „sich selbsterfüllenden Prophezeiung“. So kann zum Beispiel die Erwartung, dass das Gespräch mit dem anderen Geschlecht problematisch ist, durchaus dazu führen, dass es auch wirklich so ist.

Biologie, Kultur, Erziehung und biblischer Glaube definieren einen Menschen nicht durch das Geschlecht. „Ich bin ein Mann“ heißt: Ich bin ein männlicher Mensch mit einzigartigen Persönlichkeitseigenschaften, Begabungen, Interessen, genetischen Veranlagungen, maskulinen und femininen Eigenschaften, bei dem einzelne maskuline Eigenschaften wahrscheinlich etwas stärker ausgeprägt sind als einige feminine.

Männer sind einfach. Zumindest in dem Sinn, dass es keinen doppelt gibt. Dass jeder nur so einmalig sein Mann-Sein leben kann und soll, wie eben nur er das kann. Ansonsten sind sie so vielschichtig und kompliziert, so unterschiedlich und einzigartig wie die andere Hälfte der Menschheit.

Kapitel 2

Männlichkeit in der Postmoderne

Modern war früher. Der moderne Mann hatte in seiner Gesellschaft klare Vorgaben, wie Männlichkeit zu definieren sei. Maschinenbau und Technik, familiäre Rollenverteilung, Militär und Karriere – moderne Gesellschaften wurden von Männern aufgebaut und von Männern bestimmt. Gefragt war „vernünftiges Handeln“, und darauf hatten die Männer das Monopol.

Schließlich hatten sie Bildung und eine gute berufliche Ausbildung genossen. Frauen dagegen lebten fast ausschließlich in der Welt des Privaten, die von Gefühlen statt von Vernunft beherrscht wurde.

Das ist gerade mal zwei Generation her. Seitdem ist die moderne Gesellschaftsordnung gründlich gescheitert – und zwar moralisch gescheitert. Denn die Männer, die diese moderne Welt gebaut hatten, haben sie auch wieder zerstört. Erster und Zweiter Weltkrieg, Vietnam, aber auch Tschernobyl haben unser Vertrauen darin, dass die Welt von Männern schon irgendwie „richtig“ geführt wird, zerstört. Wir sind postmodern. Das heißt, wir wissen: Menschen – auch Männer – handeln irrational, moralische Instanzen irren oder schweigen feige, der wissenschaftliche Fortschritt bringt genauso viel Schatten wie Licht.

In anderen Worten: Es waren nicht der Feminismus oder eine unerklärliche Änderung des Rollenverhaltens, die die Gesellschaft verändert haben. Es war das Unglaubwürdig-Werden männlicher Normen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Als postmoderne Menschen teilen wir viele Überzeugungen, die in krassem Widerspruch zu allem stehen, was bis vor fünfzig Jahren fraglos gültig war. Hier ein paar – durchaus kontrovers diskussionswürdige – Faustformeln der Postmoderne:

Menschen sind irrational.

Das heißt, Männer und Frauen entscheiden oft auf der Basis von willkürlichen Kategorien. Machen Sie ein einfaches Experiment: Fragen Sie unterschiedliche Männer und Frauen, was sie in den folgenden beiden Situationen tun würden.

Situation A: Sie haben zwei Konzertkarten für je 30 Euro gekauft. Am Einlass bemerken Sie erschrocken, dass Sie die Karten verloren haben. Es gibt an der Abendkasse noch Karten zu kaufen, und Sie haben auch 60 Euro dabei. Was tun Sie? Kaufen Sie noch einmal Karten oder verzichten Sie auf das Konzert?

Situation B: Sie wollen zu zweit ein Konzert besuchen. Die Karten kosten 30 Euro. Beim Bezahlen an der Abendkasse stellen Sie erschrocken fest, dass Sie aus Ihrem Geldbeutel 60 Euro verloren haben. Sie haben aber noch genügend Geld, um die beiden Karten zu bezahlen. Was tun Sie? Kaufen Sie trotzdem die Karten oder verzichten Sie auf das Konzert?

Auf die Frage in Situation A werden viele antworten: Ich gehe wieder nach Hause, denn ich kaufe die Karten doch nicht zweimal! In Situation B dagegen wird es kaum Menschen geben, die diese Entscheidung fällen. Dabei sind die Situationen im Ergebnis völlig identisch: Ob ich Karten im Wert von 60 Euro verloren habe oder 60 Euro in bar, ist völlig egal. Das Geld ist in beiden Fällen weg. Wenn Menschen rational wären, müssten also beide Fragen gleich häufig gleich beantwortet werden. Das ist aber nicht so – egal, ob Männer oder Frauen entscheiden.

Wenn wir so etwas feststellen, sind wir noch nicht einmal überrascht. Wir haben – zu Recht – peu à peu den Glauben an den rationalen Menschen verloren. Das männliche Monopol auf rationale Vernunft ist längst unbedeutend geworden.

Der technische Fortschritt könnte uns alle umbringen.

In der Zeit, in der von der Wissenschaft erwartet wurde, sie solle die Probleme der Menschheit lösen, waren die großen Wissenschaftler Männer. Eine Marie Curie war die seltene Ausnahme zwischen all den Newtons, Einsteins, Edisons und Flemings, die die Lehrstühle der Universitäten in Beschlag nahmen. Männer prägten den Geist der Moderne. Doch spätestens seit einem Mann wie dem KZ-Arzt Josef Mengele wissen wir: Selbst eine Wissenschaft wie die Medizin birgt das Potenzial für ungebremsten Sadismus in sich. Während ich an diesem Buch schreibe, erreichen mich täglich Nachrichten über Atomforschungsprogramme im Iran, dazu die Reaktionen, die sie auslösen – natürlich auch bei den Mächten, die selbst ungeniert Atombomben gebaut und eingesetzt haben. Männer können ihre Männlichkeit immer noch demonstrieren, indem sie sich als Konstrukteure und Beherrscher von Autos, Computern, Flugzeugen oder Atomkraftwerken präsentieren – politisch wie privat: Auch wenn der letzte Manta der Schrottpresse anheimgefallen sein wird, wird es den Mantafahrer vermutlich noch eine ganze Weile geben. Es scheint zum Balzritual zu gehören, an roten Ampeln lautstark auf sich und die PS, die man befehligt, aufmerksam zu machen. Und doch: Auch diese Männlichkeitsrituale werden immer lächerlicher und wirken auch auf ihre Zielgruppe, die jungen Frauen, häufig nur noch albern – wenn das auch teilweise vom Bildungsgrad oder IQ abhängig sein mag.

Vergleichen Sie mal, wie sich die Technikträume von Jungen innerhalb von nur einer Generation vor und nach dem Zweiten Weltkrieg geändert haben. Das Jungenbuch „Das neue Universum“ erfreute seit 1880 jährlich die Gemüter hauptsächlich männlicher Teenager, die damals allerdings Jünglinge hießen. Band 58 erschien 1937. Dort finden sich Erzählungen, Reiseberichte, Neues aus dem Verkehrswesen usw. und Berichte aus Wissenschaft und Technik. In Band 87, erschienen 1970, ist das noch genauso. Alles nach dem gleichen Strickmuster, nur die Rubrik „Heer, Marine, Luftwaffe“ fehlt. Große Ideen, wie die Welt durch Technik gerettet werden kann, fehlten schon 1937 nicht. Dort fand sich zum Beispiel die Vorstellung, mit billigem Atomstrom die Polkappen zu schmelzen, um mit dem so gewonnenen Trinkwasser die Sahara in fruchtbares Land zu verwandeln. (Wir wissen heute: Die Polkappen schmelzen, setzen dabei aber große Teile der Welt unter Wasser. Die Wüsten dagegen werden jährlich größer.) Später waren es Artikel über Städte in der Tiefsee oder auf dem Mond, die die männliche Fantasie beflügelten. Ganz anders dagegen Band 99, erschienen 1982: Unter den Technikbeiträgen findet sich kein einziger, der von einer großartigen Zukunft träumt. Stattdessen gibt es Artikel über das Ende der Schallplatte, über Spannbeton, über ein Umweltschutzschiff und über Lehmbauten, die heute noch genauso enstehen wie schon zu Urzeiten. Mit Band 119 – erschienen 2002 – war Schluss. Kein „neues Universum“ mehr. Die Zeit, in der man mit Büchern Begeisterung für eine Technik der Zukunft vermitteln konnte, ist wohl endgültig den Computerspielen gewichen. Die vollbusige, allerdings virtuelle Revolverheldin Lara Croft hat in den Jungenträumen den Platz von Wernher von Braun oder Jacques Cousteau eingenommen.

Machthaber sind gefährlich.

Ob Stalin, Hitler, Pol Pot oder Pinochet – dass gewalttätige Politiker zum Wohl ihres Volkes handelten und aus Gründen der „Staatsräson“ schwierige moralische Entscheidungen notwendigerweise auch auf Kosten von Menschenleben fällen mussten, glauben wir diesen Tyrannen niemals! Und allen anderen Machthabern treten wir mit ähnlichem Misstrauen entgegen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Herrschenden keineswegs immer von der Liebe zu Volk und Vaterland, sondern von der Verliebtheit in die eigene Bedeutung getrieben werden. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir auf Datenschutz bestehen, dass die Polizei nicht alles darf, dass die Geheimdienste der parlamentarischen Kontrolle unterliegen.

Hoffen wir jedenfalls, dass es dabei bleibt. Und wir sind aufgebracht, wenn da was schiefgeht.

Unser Misstrauen beschränkt sich aber nicht auf Männer. Wir wissen nämlich längst, dass das Geschlecht eines Menschen wenig über die Zurückhaltung in Gewaltfragen sagt. Mahatma Gandhi steht für kompromisslosen Gewaltverzicht. Die Namensgleichheit half zwar auch Indira Gandhi zum Wahlsieg, doch die war für unsere Begriffe ein skrupelloser Machtmensch, benutzte den politischen Apparat für ihren Wahlkampf, trat trotz Schuldspruch nicht zurück, sondern führte das Notrecht ein und die Demokratie in Indien damit ans Ende. Sie hatte nicht einmal Skrupel, die Heiligtümer ihrer Gegner mit Waffengewalt zu stürmen. Margaret Thatcher gehört zu den Habichten der Weltgeschichte, die Pastorentochter und US-Außenministerin Condoleezza Rice ist trotz ihres weiblichen Charmes kaum weniger gefährlich, als ihr ehemaliger Kollege im Verteidigungsministerium es war, Donald Rumsfeld. Und auch mit Blick auf Deutschland ist uns klar, dass die Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Krieg im Irak mit Sicherheit beteiligt wäre, wenn Angela Merkel (ebenfalls Pfarrerstochter) vier Jahre früher Kanzlerin geworden wäre. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder hatte dagegen im Alter von sechs Monaten seinen Vater im Krieg verloren und war vielleicht auch deswegen zurückhaltender. Namen wie Kofi Annan, Martin Luther King oder Nelson Mandela stehen für Versöhnung und Gewaltverzicht. Namen wie Ulrike Meinhof oder Brigitte Mohnhaupt für ideologisch verblendete Brutalität. Keiner käme jedoch auf die Idee, dass diese Menschen wegen ihres Geschlechts zu Symbolen der Gewalt oder des Friedens geworden wären. Und das ist auch richtig so: Männer und Frauen unterscheiden sich diesbezüglich nämlich nicht. Auch wenn in den Kriminalstatistiken, in den Gefängnissen und bei den Kriegstoten die Männer weit vorne liegen, sind Gewaltbereitschaft und Aggressionstrieb bei Frauen und Männern gleich stark. Allerdings bringen die Frauen häufig ihre Männer dazu, die Gewalt auszuüben, statt es selbst zu tun. Es sind vordringlich die Mütter der getöteten Sizilianer, die die Gewaltspirale weiterdrehen, indem sie die Blutrache fordern und so ihre eigenen Söhne opfern. In der Zeit des Nationalsozialismus waren viele Mütter genauso stolz darauf, dem Führer Söhne für den Endsieg geschenkt zu haben, wie die Väter. Stupide Gewalt ist nicht männlich oder weiblich – sie ist menschlich.

Religion ist Ansichtssache.

Jeder hat das Recht, zu glauben, was er oder sie will. Religionsfreiheit und Toleranz für Andersgläubige ist für Menschen in westlichen Gesellschaften ein hoher Wert, gerade auch in christlich geprägten Kulturen. Das heißt auch, dass jede und jeder selbst entscheiden soll, ob eventuelle religiöse Vorstellungen von Männlichkeit oder Weiblichkeit das Selbst