Märchen aus England -  - E-Book

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Junker Rowland. Herr und Knecht. Die kluge Kate. Jack, der Riesentödter. Der rothe Ettin. Mister Miacca. Der Lindwurm von Lambton. Jack und der Bohnenstengel. Die Vogelschlacht. Die Seejungfrau. Der geblendete Riese. Jamie Freel und die Jungfrau. Cherry von Zennor. Gräfin Kathleen O'Shea. Die Prinzessin von Colchester. Die gefangenen Seelen. Fingerhut. Spätereinmal. Der Katzenkönig. Das widerspenstige Schwein. Die drei Bären. Wie der Wrekinberg bei Shrewsbury entstand. Däumling. Teigh O'Kane und der Todte. Die Sterne am Himmel. Ich. Assipattle. Lumpenkind. Gobborn Seer. Der Erzähler in Nöthen. Tom mit dem Ziegenfell. Tom Hickathrift. Dick Whittington. Conall. Horn und Rimenhild Der Graf von Toulouse Thomas der Reimer Jack und seine Stiefmutter Herr Gawain und der grüne Ritter Die Erzählung des Weibes von Bath König Lear Der Regenpfeifer. Eule, Taube und Fledermaus.

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Märchen aus England

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen aus England

Junker Rowland.

Herr und Knecht.

Die kluge Kate.

Jack, der Riesentödter.

Der rothe Ettin.

Mister Miacca.

Der Lindwurm von Lambton.

Jack und der Bohnenstengel.

Die Vogelschlacht.

Die Seejungfrau.

Der geblendete Riese.

Jamie Freel und die Jungfrau.

Cherry von Zennor.

Gräfin Kathleen O'Shea.

Die Prinzessin von Colchester.

Die gefangenen Seelen.

Fingerhut.

Spätereinmal.

Der Katzenkönig.

Das widerspenstige Schwein.

Die drei Bären.

Wie der Wrekinberg bei Shrewsbury entstand.

Däumling.

Teigh O'Kane und der Todte.

Die Sterne am Himmel.

Ich.

Assipattle.

Lumpenkind.

Gobborn Seer.

Der Erzähler in Nöthen.

Tom mit dem Ziegenfell.

Tom Hickathrift.

Dick Whittington.

Conall.

Horn und Rimenhild

Der Graf von Toulouse

Thomas der Reimer

Jack und seine Stiefmutter

Herr Gawain und der grüne Ritter

Die Erzählung des Weibes von Bath

König Lear

Der Regenpfeifer.

Eule, Taube und Fledermaus.

Märchen aus England

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen aus England

Junker Rowland.

Jung Rowland und seine Brüder,

Die warfen nach dem Ziel,

Jung Ellen, ihre Schwester,

Nahm theil an ihrem Spiel.

Sanft wurde der Ball geworfen

Und aufgefangen gemach,

Dann flog er, mächtig geschleudert,

Hoch übers Kirchendach.

Jung Ellen ist um die Ecke geeilt,

Den Ball sie sucht mit dem Blick.

Die Brüder warten und warten,

Doch sie kommt nicht zurück.

Sie suchen im Osten und Westen,

Sie rufen in Feld und Wald,

Doch von Ellen – wie groß ist ihr Jammer! –

Keine Antwort entgegenschallt.

Endlich gieng ihr ältester Bruder zu dem Zauberer Merlin, erzählte ihm den Fall und fragte ihn, ob er wüsste, wo Maid Ellen sei.

"Die holde Maid Ellen," erwiderte der Zauberer, "muss von den Elfen entführt worden sein, weil sie in entgegengesetzter Richtung zur Sonne um die Kirche gegangen ist. Sie ist nun im finsteren Thurm des Königs vom Elfenland, und es gehört der kühnste Ritter der Christenheit dazu, sie zurückzubringen."

"Wenn es möglich ist, sie zurückzubringen," sagte ihr Bruder, "so werde ich es thun oder das Wagnis mit dem Leben bezahlen."

"Möglich ist es," versetzte Merlin, "aber wehe demjenigen, der es versucht, bevor er genau unterrichtet ist, was er zu thun hat."

Der älteste Bruder Maid Ellens hatte keine Angst vor den Gefahren und ließ sich von dem Versuche nicht abhalten. So bat er den Zauberer, ihm zu sagen, was er thun und was er unterlassen müsse, wenn er sich auf die Suche nach seiner Schwester begebe. Nachdem ihn Merlin unterrichtet und er alles wiederholt hatte, machte er sich auf den Weg ins Elfenland.

Sie harren in Kummer und Zweifel,

Und Tage und Wochen vergehen,

Doch wehe dem armen Bruder,

Denn er ist nicht wieder zu sehen.

Da wurde der zweite Bruder überdrüssig, noch länger zu warten, und er gieng zum Zauberer Merlin und fragte ihn um Rath, wie sein Bruder. Dann gieng er fort, um Maid Ellen zu suchen.

Sie harren in Kummer und Zweifel,

Und Tage und Wochen vergehen,

Doch wehe dem armen Bruder,

Denn er ist nicht wieder zu sehen.

Und als sie lange, lange gewartet hatten, da wollte Junker Rowland, der jüngste von Maid Ellens Brüdern, fortgehen, um sie zu suchen. Und er bat seine Mutter, die gute Königin, ihn fortzulassen. Sie wollte zuerst nichts davon hören, denn er war das letzte und liebste ihrer Kinder, und mit ihm hätte sie alles verloren. Aber er bat und bat immer wieder, so lange, bis die gute Königin es ihm erlaubte, und sie gab ihm seines Vaters gutes Schwert, das traf mit jedem Streich. Als sie es ihm umgürtete, da sprach sie den Zauberspruch, der ihm Sieg verleihen sollte.

So nahm denn Junker Rowland von der guten Königin, seiner Mutter, Abschied und gieng in die Höhle des Zauberers Merlin.

"Noch einmal, nur noch ein einzigesmal," bat er den Zauberer, "sag' mir, wie ich Maid Ellen und ihre beiden Brüder erlösen kann."

"Mein Sohn," erwiderte Merlin, "es sind nur zwei Dinge zu merken, aber so einfach dies scheint, so schwer ist es zu vollbringen. Eines ist zu thun, das andere zu lassen. Zu thun ist Folgendes: Wenn du ins Feenland gekommen bist, so musst du, wenn jemand zu dir spricht, bevor du Maid Ellen siehst, das Schwert deines Vaters ziehen und dem Betreffenden, wer immer es auch sei, den Kopf abschlagen. Und was du lassen musst, ist Folgendes: Iss keinen Bissen, und trinke keinen Tropfen, und wärst du noch so hungrig und durstig; denn trinkst du einen Tropfen und issest du einen Bissen, so lange du im Elfenland bist, so wirst du nie wieder die Mutter Erde sehen."

Junker Rowland wiederholte die beiden Dinge wieder und immer wieder, bis er sie auswendig wusste, und er dankte dem Zauberer Merlin und gieng seines Weges. Und er gieng weiter und weiter und immer weiter, bis er zu dem Pferdehirten des Königs von Elfenland kam; der fütterte seine Pferde. Diese erkannte Junker Rowland an ihren feurigen Augen, und so wusste er, dass er endlich im Elfenland war.

"Kannst du mir sagen," fragte Junker Rowland den Pferdehirten, "wo der finstere Thurm des Königs von Elfenland ist?"

"Ich weiß es nicht," antwortete der Pferdehirt, "aber gehe ein bischen weiter, bis du zum Kuhhirten kommst, der wird es dir vielleicht sagen können."

Da zog Junker Rowland, ohne ein Wort zu verlieren, das gute Schwert, das mit jedem Streiche traf, und der Kopf des Pferdehirten flog vom Rumpfe. Junker Rowland gieng weiter, bis er zum Kuhhirten kam, dem er dieselbe Frage vorlegte.

"Ich kann es dir nicht sagen," antwortete dieser, "aber gehe ein bischen weiter, bis du zur Hühnerfrau kommst, die weiß es sicherlich."

Da zog Junker Rowland sein gutes Schwert, das mit jedem Streiche traf, und der Kopf des Kuhhirten flog vom Rumpfe. Dann gieng er weiter, bis er zu einer alten Frau in einem grauen Mantel kam, und er fragte sie, ob sie wisse, wo der finstere Thurm des Königs von Elfenland sei.

"Gehe ein wenig weiter," sagte die Hühnerfrau, "bis du zu einem runden, grünen Hügel kommst, der vom Fuße bis zum Gipfel von Rasenbänken wie von Ringen umgeben ist. Geh' dreimal in entgegengesetzter Richtung zur Sonne herum und sage jedesmal:

Thüre, Thüre, öffne dich,

Thüre, Thüre, lass mich ein.

Und beim drittenmale wird sich die Thüre aufthun, und du kannst hineingehen."

Junker Rowland wollte gerade weitergehen, als er sich erinnerte, was er zu thun hatte. So zog er denn das gute Schwert aus der Scheide, das mit jedem Streiche traf, und der Kopf der Hühnerfrau flog vom Rumpfe. Dann zog er weiter und weiter und immer weiter, bis er zu dem runden, grünen Hügel kam, und er gieng dreimal in entgegengesetzter Richtung zur Sonne herum und sagte jedesmal:

"Thüre, Thüre, thu' dich auf,

Thüre, Thüre, lass mich ein."

Und beim drittenmale that sich die Thüre auf, er trat ein, sie fiel klirrend ins Schloss, und Junker Rowland stand im Dunkeln da.

Es war nicht ganz dunkel, sondern eine Art Zwielicht oder Dämmerung. Es waren weder Fenster noch Kerzen da, und er konnte nicht herausfinden, woher das Zwielicht kam, wahrscheinlich durch die Mauern und das Dach. Diese bestanden aus einem durchsichtigen Felsen, der mit Glimmer und Feldspat und anderen glänzenden Steinen bekleidet war. Trotz der Felsen war die Luft ganz warm, wie immer im Elfenland. Er gieng weiter, bis er zu zwei breiten Flügelthüren kam, welche halb offen standen. Als er sie ganz aufriss, bot sich seinen Blicken ein wundervoller, herrlicher Anblick: eine große Halle, so groß, dass sie so breit und lang zu sein schien wie der ganze grüne Hügel. Das Dach war von schönen Säulen getragen, die waren so hoch, dass die Säulen einer Kathedrale nichts dagegen waren; sie bestanden ganz aus Gold und waren über und über mit Silber in getriebener Arbeit bedeckt. Um die Säulen schlangen sich Blumengewinde aus Diamanten und Smaragden und anderen Edelsteinen. Sogar die Schlusssteine der Bogen waren mit Bouquets aus Diamanten und Rubinen und anderen kostbaren Steinen verziert. Und alle diese Bogen vereinigten sich in der Mitte des Daches, und dort hieng an einer goldenen Kette eine ungeheure Lampe, die aus einer einzigen ausgehöhlten, durchsichtigen Perle bestand. In der Mitte dieser Perle aber befand sich ein riesig großer Karfunkel, der sich immerfort im Kreise drehte und die ganze Halle durch seine Strahlen erleuchtete, so dass es den Eindruck machte, als würde sie von der untergehenden Sonne beschienen.

An einem Ende der herrlichen Halle befand sich ein wunderschönes Ruhebett, das ganz aus Sammt und Seide und Gold bestand, und darauf saß Maid Ellen und kämmte ihr goldenes Haar mit einem silbernen Kamme. Als sie Junker Rowland sah, stand sie auf und sagte:

"O Thor, auch du vom Hause fort!

Was willst du an diesem Ort?

Mein armer jüngster Bruder,

Schier bricht mir mein Herz um dich!

Und hättest du hundert Schwerter,

Dich rettet nicht Hieb noch Stich.

Ruh' aus! Doch wehe, wehe!

Dass jemals du wardst geboren,

Denn sieht dich der König von Elfenland,

So bist du ganz verloren."

Dann setzten sie sich zusammen hin, und Junker Rowland erzählte seiner Schwester alles, was er gethan hatte, und sie erzählte ihm, wie ihre beiden Brüder den finsteren Thurm erreicht hatten, wie der König von Elfenland sie verzaubert hatte, so dass sie nun da eingesargt lägen, als wären sie todt. Nach einiger Zeit verspürte Junker Rowland großen Hunger und bat seine Schwester, ihm etwas zu essen zu geben; er hatte die Warnung des Zauberers Merlin ganz vergessen.

Maid Ellen blickte ihn traurig an und schüttelte den Kopf, aber sie war verzaubert und konnte ihn nicht warnen. Sie stand auf und gieng hinaus und kam bald mit einer goldenen Schale zurück, die mit Milch und Brot gefüllt war. Und schon war Junker Rowland im Begriff, die Schale an die Lippen zu führen; da sah er seine Schwester an und erinnerte sich, warum er hergekommen sei. Er schleuderte die Schale zu Boden und sagte: "Keinen Bissen will ich essen, keinen Tropfen will ich trinken, bevor Ellen frei ist."

In diesem Augenblicke hörten sie jemand näher kommen, und eine laute Stimme rief:

"Feh, fei, foh, fum,

Einen Christen wittere ich hier herum!

Er sei jung, er sei alt,

Mit diesem Schwert mach' ich ihn kalt."

Die Flügelthüren wurden aufgerissen, und der König von Elfenland stürzte herein.

"Thue es, wenn du es wagst," rief Junker Rowland und stürzte ihm mit seinem guten Schwerte entgegen, das noch nie versagt hatte. Sie kämpften und kämpften und kämpften, bis Junker Rowland den König von Elfenland schlug, dass er auf die Knie sank und um Erbarmen flehte.

Junker Rowland sagte: "Erlöse meine Schwester von deinem Zauber, gib meinen Brüdern das Leben wieder und lass uns alle frei fortziehen, so schenk' ich dir dein Leben."

"Ich willige ein," sagte der König von Elfenland. Er erhob sich und gieng zu einem Schranke, dem er ein Fläschchen entnahm; das war mit einer blutrothen Flüssigkeit gefüllt. Damit bestrich er die Ohren, Augenlider, Nasenlöcher, Lippen und Fingerspitzen der beiden Brüder, die sofort ins Leben zurückkehrten. Sie sagten, ihre Seelen wären aus ihrem Leibe entschwunden gewesen, seien aber nun wiedergekehrt.

Dann sprach der König der Elfen einige Worte zu Maid Ellen, und sie war erlöst, und sie giengen alle fort aus der Halle und kehrten dem finsteren Thurm den Rücken, um nie wieder zurückzukehren. So kamen sie nach Hause zu der guten Königin, ihrer Mutter. Aber Maid Ellen gieng nie wieder in entgegengesetzter Richtung zur Sonne um eine Kirche herum.

Herr und Knecht.

Billy Mac Daniel, ein gutmüthiger, aber leichtsinniger Geselle, gieng in einer klaren, frostigen Winternacht, nicht lange nach Weihnachten, heim.

Der Vollmond schien hell, und es war die herrlichste Nacht, die man sich nur wünschen konnte, aber es war bitter kalt.

"Meiner Treu," sagte Billy zähneklappernd, "ein guter Tropfen wäre jetzt nicht ohne. Es friert zum Erbarmen. Ich wollt', ich hätt' ein volles Glas vom Besten."

"Du brauchst den Wunsch nicht zweimal auszusprechen," sagte plötzlich ein Männlein. Das hatte einen goldverschnürten Dreispitz auf dem Kopfe und solche große silberne Schnallen auf den Schuhen, dass es ein Wunder war, wie es sie ertragen konnte. Es hielt ein Glas in der Hand, das war so groß wie das Männlein selbst und bis zum Rande mit einem Tranke gefüllt, wie ihn besser noch kein Auge gesehen, kein Gaumen gekostet hatte.

Billy Mac Daniel erkannte sehr wohl, dass das Männlein ein Kobold war, trotzdem sagte er furchtlos: "Auf deine Gesundheit, Kleiner! Danke schön. Ich frage nicht, wer die Zeche bezahlt."

Und er ergriff das Glas und leerte es auf einen Zug.

"Wohl bekomm's!" sagte das Männlein, "gern geschehen, Billy. Glaub' aber nicht, dass du mich betrügen wirst, wie du Andere betrogen hast – heraus mit dem Beutel und zahle, wie es einem Ehrenmanne ziemt!"

"Ich dir bezahlen?" sagte Billy, "ich kann dich ja in meine Tasche stecken wie eine Brombeere!"

Aber da wurde das Männlein sehr böse.

"Billy Mac Daniel," sagte es, "sieben Jahre und einen Tag wirst du mein Knecht sein, auf diese Art werde ich mich bezahlt machen. Folge mir."

Als Billy dies hörte, da bedauerte er sehr, so keck gegen das Männlein gewesen zu sein. Er wusste selbst nicht, wie es zugieng, musste aber dem Kobold auf seiner Wanderung folgen, bergauf, bergab, über Hecke und Graben, über Stock und Stein, ohne Ruh' und Rast.

Als der Morgen graute, wandte sich das Männlein zu ihm um und sagte: "Jetzt kannst du nach Hause gehen, Billy, aber heute nachts kommst du zum Festungsgraben, sonst geht's dir an den Kragen. Wenn du dich aber als guter Knecht bewährst, dann wirst du an mir einen nachsichtigen Herrn haben."

Billy Mac Daniel ging heim, aber trotzdem er sehr müde war, schlief er doch keinen Augenblick, so sehr musste er an das Männlein denken. Er fürchtete sich, ihm ungehorsam zu sein, und so stand er denn am Abend auf und gieng zum Festungsgraben.

Er war noch nicht lange dort, als der Kobold auf ihn zukam und zu ihm sprach: "Billy ich will heute eine große Reise unternehmen, sattle ein Pferd für mich und eines für dich, denn du sollst mich begleiten und dürftest von deiner gestrigen Wanderung her noch müde sein."

Billy gestand sich, dass sein Herr sehr rücksichtsvoll sei, und dankte ihm.

"Gestattet mir, Herr," fügte er hinzu, "Euch zu fragen, wo der Stall ist. Ich sehe nämlich nichts als die Festung und den Dornbusch dort drüben, den Bach am Fuße des Hügels und das Stück Sumpfland uns gegenüber."

"Frag' nicht viel, Billy," sagte das Männlein, "sondern geh' zu dem Sumpfe hinüber und bringe mir zwei von den stärksten Binsen."

Billy that, wie ihm geheißen ward, und wunderte sich, was der Kobold wohl vorhabe.

Er schnitt zwei der stärksten Binsen ab, die er nur finden konnte und brachte sie seinem Herrn.

"Steig' auf," sagte das Männlein; es nahm eine der Binsen und setzte sich rittlings darauf.

"Wo soll ich aufsteigen, Euer Gnaden?" fragte Billy.

"Wo? Nun, auf das Pferd doch natürlicherweise, so wie ich", antwortete das Männlein.

"Wollt' Ihr mich zum Narren halten? Die Binse soll ich besteigen?" fragte Billy, "wollt' Ihr mir vielleicht gar einreden, dass die Binse, die ich vor einem Weilchen aus dem Sumpfe gezogen habe, ein Pferd ist?"

"Steig' auf und red' nicht so viel," sagte das Männlein und sah dabei sehr böse aus; "das beste Pferd, das du je geritten hast, ist nichts im Vergleiche damit."

Billy glaubte, er scherze, wollte ihn aber nicht erzürnen und nahm die Binse zwischen die Beine.

"Borram! Borram! Borram!" – das bedeutet so viel wie: "wachse!" – rief das Männlein, und Billy folgte seinem Beispiel. Sofort verwandelten sich die Binsen in schöne Rosse und galoppierten davon. Billy aber, welcher, ohne weiter darauf zu achten, die Binse zwischen die Beine genommen hatte, saß mit dem Gesichte dem Schweife zugekehrt auf dem Pferde. So unangenehm das auch war, er war nicht im Stande, sich umzudrehen, denn das Pferd galoppierte zu schnell. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich am Schweife festzuhalten.

Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Vor dem Thore eines schönen Hauses machten sie Halt.

"Jetzt, Billy," sagte das Männlein, "folge mir und thue genau, was ich thue. Da du aber nicht einmal im Stande bist, den Kopf eines Pferdes von seinem Schweife zu unterscheiden, so nimm' dich inacht, sonst wirst du am Ende gar bald nicht mehr wissen, ob du auf deinem Kopfe oder auf deinen Beinen stehst. Bedenke, dass alter Wein zwar eine Katze zum Reden bringen, aber auch einen Menschen stumm machen kann."

Das Männlein machte noch einige solcher seltsamer Bemerkungen, die Billy nicht verstehen konnte. Dann giengen sie durch das Schlüsselloch ins Haus und immer weiter durch andere Schlüssellöcher, bis sie in den Weinkeller gelangten; in dem waren alle Arten von Wein zu finden. Das Männlein begann nun zu trinken und trank, so viel es vermochte, und Billy, dem es durchaus nicht unangenehm war, das Gleiche zu thun, folgte seinem Beispiele.

"Ihr seid wirklich der beste Herr," sagte Billy, "den es gibt, wer immer auch mein nächster Herr sein mag. Wenn Ihr fortfahrt, mir so reichlich zu trinken zu geben, dann wird mich mein Dienst bei Euch sehr freuen."

"Ich lass mich nicht auf Bedingungen ein," erwiderte das Männlein, "komm' jetzt."

Wieder giengen sie durch viele Schlüssellöcher, bestiegen die Binsen, die sie vor dem Hausthor zurückgelassen hatten, und fort gieng's, nachdem sie "Borram, Borram, Borram" gerufen hatten, dass die Wolken vor ihnen wie Schneeflocken herflogen.

Als sie zu dem Festungsgraben zurückkehrten, entließ das Männlein Billy und befahl ihm, sich am folgenden Abend um dieselbe Zeit wieder an demselben Orte einzufinden. So lebten sie Nacht um Nacht, nahmen einmal ihren Weg dahin, dann dorthin, bald nördlich, bald östlich, manchmal südlich, bis es in ganz Irland keinen Weinkeller mehr gab, den sie nicht besucht hatten. Sie kannten jede einzelne Sorte ebensogut, ja sogar besser als der Kellermeister selbst.

Eines Nachts, als Billy Mac Daniel seinen Herrn wie gewöhnlich beim Festungsgraben traf und zum Sumpf hinübergieng, um die Pferde zu ihrer Reise zu holen, sagte das Männlein zu ihm: "Billy, heute werde ich noch ein drittes Pferd brauchen, denn wir kommen vielleicht zu Dreien zurück."

Billy, der schon wusste, dass es nicht gut sei, seinen Herrn viel zu fragen, brachte also eine dritte Binse und sann darüber nach, wer wohl mit ihnen zurückkommen würde, vielleicht ein zweiter Knecht.

"Wenn das der Fall ist," dachte er, "dann muss er jeden Abend die Pferde aus dem Sumpfe holen. Denn ich bin gerade so vornehm wie mein Herr."

Sie ritten fort, und Billy führte das dritte Pferd. Sie hielten erst, als sie das schmucke Häuschen eines Pächters in der Grafschaft Limerick erreicht hatten. Das stand in der Nähe des alten Schlosses von Carrigogunniel, welches der große Brian Boru erbaut haben soll. Drinnen gieng es hoch her, und das Männlein blieb einige Zeit draußen stehen und lauschte.

Plötzlich wendete es sich zu Billy um und sagte: "Billy, morgen bin ich tausend Jahre alt!"

"Gott behüte und bewahre uns, Herr," sagte Billy, "wirklich?"

"Sag' das Wort nicht wieder, Billy," sagte das alte Männlein, "sonst ist's um mich geschehen. Da ich nun morgen tausend Jahre alt werde, so denk' ich, Billy, es ist hohe Zeit für mich, zu heiraten."

"Das denk' ich auch," erwiderte Billy, "wenn Ihr überhaupt heiraten wollt."

"Und zu dem Zwecke," sagte der Kobold, "bin ich den weiten Weg nach Carrigogunniel hergekommen, denn hier in diesem Hause sollen noch heute abends Darby Riley und Bridget Rooney getraut werden. Und da sie ein hübsches, schlankes Mädchen und aus anständiger Familie ist, so gedenke ich sie selbst zu heiraten und sie gleich mitzunehmen."

"Was wird aber Darby Riley dazu sagen?" fragte Billy.

"Schweig'!" rief das Männlein mit strengem Blick, "ich hab' dich nicht mitgebracht, damit du müßige Fragen stellst."

Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen, begann er die seltsamen Worte zu sprechen, welche ihm die Macht verliehen, durch Schlüssellöcher zu gelangen. Billy, der sich für ungeheuer klug hielt, weil er diese Worte nachsprechen konnte, folgte ihm.

Sie gingen Beide hinein. Das Männlein setzte sich, um die Gesellschaft besser überblicken zu können, wie ein Spatz auf einen der großen Balken, welche die Decke entlang liefen, und Billy setzte sich auf einen anderen Balken, ihm gegenüber. Aber er war an eine solche Sitzart nicht gewöhnt, und ihm schlenkerten die Beine herunter; hätte er sich seinen Herrn zum Muster genommen, so wäre es besser gegangen, der saß so gemüthlich mit gekreuzten Beinen da, als wäre er sein Leben lang ein Schneider gewesen.

Herr und Knecht betrachteten nun von oben das lustige Treiben. Unter ihnen saßen der Pfarrer und der Pfeifer und Darby Riley's Vater, seine beiden Brüder und sein Vetter, die Eltern Bridget Rooney's, die heute abends ganz besonders stolz waren auf ihre Tochter und mit gutem Rechte, dann ihre vier Schwestern mit nagelneuen Bändern auf ihren Häubchen und ihre drei Brüder, die so sauber und klug dreinblickten, und dann waren Onkel und Tanten, Vettern und Basen genug da. Die Speisen und Getränke auf dem Tische hätten für doppelt so viel Leute gereicht.

Mrs. Rooney hatte gerade Seiner Ehrwürden das erste Stück von dem mit Wälschkohl schön aufgeputzten Schweinskopfe vorgelegt, als die Braut plötzlich nieste. Alle Gäste fuhren zusammen, aber kein einziger sagte: "Helf' Gott!"

Alle glaubten nämlich, dass der Pfarrer dies thun würde, und niemand wollte ihm das Wort aus dem Munde nehmen, der war aber leider mit dem Schweinskopf und dem Gemüse beschäftigt. Nach einer kleinen Pause gieng die Lustbarkeit weiter, und niemand dachte daran, den frommen Wunsch zu sprechen. Herr und Knecht hatten von ihrer Höhe den Umstand wohl bemerkt.

"Ha!" rief das Männlein aus und streckte in seiner Freude ein Bein vor sich hin; seine Augen leuchteten, und er zog die Augenbrauen in die Höhe. "Ha!" wiederholte er, und dabei grinste er nach der Braut hin und dann zu Billy hinüber. "Nun ist sie zur Hälfte mein! Wenn sie noch zweimal niest, dann gehört sie mir, trotz Priester, Messbuch und Darby Riley!"

Wieder nieste die holde Bridget, aber so leise, und sie erröthete dabei so sehr, dass niemand außer dem Kobold es bemerkte oder zu bemerken schien, und niemand dachte daran, "Helf' Gott!" zu sagen.

Billy betrachtete das arme Mädchen die ganze Zeit über mit schmerzlichen Blicken. Er musste immerfort daran denken, wie schrecklich es sei, daß ein schönes Mädchen von neunzehn Jahren mit großen, blauen Augen, Grübchenwangen und blendender Hautfarbe, strahlend von Gesundheit und Glück, die Frau eines hässlichen, kleinen Kerlchens werden sollte, dem zu tausend Jahren nur ein Tag fehlte.

Als der entscheidende Augenblick kam und Bridget zum drittenmal nieste, da brüllte Billy aus Leibeskräften: "Helf' Gott!"

Aber kaum waren diese Worte heraus, da sprang das Männlein von dem Balken, auf dem es gehockt hatte, sein Gesicht glühte vor Wuth und Enttäuschung, und mit schriller, kreischender Stimme, die wie ein geborstener Dudelsack klang, rief er: "Du bist aus meinen Diensten entlassen, Billy Mac Daniel – hier, das ist dein Lohn!"

Mit diesen Worten versetzte er Billy einen wüthenden Stoß in den Rücken, und der unglückliche Knecht fiel mitten auf den festlichen Tisch.

Wenn Billy erstaunt war, wie viel mehr waren es erst die Gäste, in deren Mitte er so mir nichts dir nichts hineingerathen war!

Aber als sie seine Geschichte hörten, da legte Pater Rooney Gabel und Messer hin und traute das junge Paar auf der Stelle. Billy Mac Daniel tanzte die Rika und trank fleißig; ein guter Tropfen war ihm doch noch lieber als der schönste Tanz.

Die kluge Kate.

Es war einmal ein König und eine Königin. Der König hatte aus erster Ehe eine Tochter, Anne, und die Königin eine namens Kate, aber Anne war viel schöner, als die Tochter der Königin, doch liebten die Beiden einander wie wirkliche Schwestern. Die Königin war eifersüchtig darauf, dass die Tochter des Königs schöner war, als ihre eigene, und sann darüber nach, wie sie ihre Schönheit verderben könnte. Sie berieth sich mit der Hühnerfrau, und die sagte, sie möge ihr das Mädchen am folgenden Morgen schicken, aber bevor sie etwas gegessen hätte.

Früh am folgenden Morgen sagte die Königin zu Anne: "Geh', liebes Kind, zur Hühnerfrau und bringe mir einige Eier."

Anne gieng, aber als sie durch die Küche kam, sah sie eine Brotkruste liegen, die nahm sie mit und knusperte unterwegs daran.

Als sie zur Hühnerfrau kam, bat sie sie um Eier, wie ihr geheißen ward; die Hühnerfrau sagte ihr: "Hebe den Deckel von jenem Topfe auf und schau' hinein." Das Mädchen that es, aber es ereignete sich nichts.

"Geh' nach Hause zu Deiner Mutter und sag' ihr, sie möge die Thür zur Speisekammer besser schließen," sagte die Hühnerfrau.

Anne gieng nach Hause und bestellte der Königin, was ihr die Hühnerfrau aufgetragen hatte. Daraus ersah die Königin, dass das Mädchen, bevor es zur Hühnerfrau kam, etwas gegessen haben müsse; sie gab also am folgenden Morgen acht und schickte sie fort, ohne daß sie einen Bissen genossen hatte. Aber die Prinzessin sah unterwegs einige Landleute Erbsen abpflücken, und da sie sehr freundlich war, sprach sie zu den Leuten und nahm eine Hand voll Erbsen, die sie unterwegs aß.

Als sie zur Hühnerfrau kam, sagte diese: "Hebe den Deckel von jenem Topf auf und schau' hinein." Wieder hob Anne den Deckel auf, aber es ereignete sich nichts.

Da wurde die Hühnerfrau sehr böse und sagte: "Sag' Deiner Mutter, ohne Feuer siedet kein Topf."

Anne ging heim und sagte es der Königin.

Am folgenden Tage begleitete die Königin das Mädchen zur Hühnerfrau. Als Anne diesmal den Deckel vom Topf abhob, fiel ihr hübscher Kopf ab, und statt dessen saß der Kopf eines Schafes auf ihren Schultern. Die Königin war nun zufrieden und gieng nach Hause.

Ihre Tochter Kate aber nahm ein feines Linnentuch und hüllte den Kopf ihrer Schwester darein, dann ergriff sie ihre Hand, und sie giengen zusammen fort, um ihr Glück zu suchen. Sie wanderten weiter und immer weiter, bis sie zu einem Schlosse kamen. Kate klopfte an und bat um ein Nachtlager für sich und eine kranke Schwester. Sie traten ein und sahen, dass sie sich in einem königlichen Schlosse befanden. Der König hatte zwei Söhne, von denen der eine todtkrank war, aber Keiner wusste, was ihm fehlte.

Seltsam war, dass, wer immer eine Nacht bei ihm wachte, für immer verschwand. So bot denn der König jedem, der bei ihm aufbleiben wollte, eine Metze Silber an. Kate war ein sehr tapferes Mädchen, sie erbot sich also, bei ihm zu wachen.

Bis Mitternacht gieng alles gut. Als die Uhr zwölf schlug, da stand der kranke Prinz auf, kleidete sich an und schlüpfte die Treppe hinunter. Kate folgte ihm, aber er schien sie nicht zu bemerken. Er gieng in den Stall, sattelte sein Pferd, rief seinen Jagdhund und sprang in den Sattel; Kate saß hinter ihm auf. So ritten die Beiden durch den grünen Wald, und Kate pflückte im Vorbeireiten Nüsse von den Bäumen und that sie in ihre Schürze. Sie ritten immer weiter, bis sie zu einem grünen Hügel kamen. Da zog der Prinz die Zügel an und sagte: "Thu' dich auf, thu' dich auf, grüner Hügel, und laß den jungen Prinzen ein und sein Pferd und seinen Hund." Da fügte Kate hinzu: "Und das Mädchen hinter ihm."

Sofort that sich der grüne Hügel auf, und sie gingen hinein. Der Prinz trat in eine hellbeleuchtete, prächtige Halle ein, da umringten ihn viele Elfen und führten ihn zum Tanze. Kate hatte sich unbemerkt hinter der Thür versteckt. Da sah sie wie der Prinz tanzte und immerfort tanzte und tanzte, bis er nicht mehr weiter konnte und auf ein Ruhebett niedersank. Dann fächelten ihn die Elfen, bis er sich wieder erheben und weitertanzen konnte. Endlich krähte der Hahn, da beeilte sich der Prinz, wieder aufzusitzen, Kate sprang hinter ihm auf das Pferd, und sie ritten heim.

Als die Morgensonne aufstieg, fand man Kate beim Kaminfeuer sitzen, wo sie ihre Nüsse knackte. Sie sagte, der Prinz hätte eine gute Nacht gehabt, sie würde aber nur dann auch die folgende Nacht bei ihm aufbleiben, wenn sie dafür eine Metze Gold erhielte. Die zweite Nacht verging wie die erste. Um Mitternacht erhob sich der Prinz und ritt zu dem grünen Hügel zum Feenball, und Kate begleitete ihn und pflückte Nüsse, als sie durch den Wald ritten. Diesmal bewachte sie den Prinzen nicht, denn sie wußte, er würde tanzen und immerfort tanzen. Sie sah ein Elfenkind mit einem Stabe spielen und hörte, wie eine der Elfen sagte: "Drei Schläge mit diesem Stabe würden Kate's kranker Schwester ihre Schönheit wieder geben."

Da rollte Kate Nüsse zu dem Elfenkinde hinüber, und das that sie so lange, bis das Kind zu den Nüssen hintorkelte und den Stab fallen ließ. Kate hob ihn auf und steckte ihn in ihre Schürze. Beim ersten Hahnenschrei ritten sie wie früher nach Hause, und kaum waren sie ins Schloß gekommen, so eilte sie zu Anne und berührte sie drei Mal mit dem Stabe, da fiel der häßliche Schafskopf ab, und ihre Schwester war wieder die alte schöne Anne. Die dritte Nacht wollte Kate nur unter der Bedingung beim kranken Prinzen wachen, daß sie ihn zum Manne bekomme.

Alles verlief wie in den beiden ersten Nächten. Diesmal spielte das Elfenkind mit einem Vogel, und Kate hörte, wie eine der Elfen sagte: "Drei Bissen dieses Vogels würden den kranken Prinzen wieder so gesund machen, wie er einst war." Da rollte Kate alle Nüsse, die sie besaß, dem Elfenkinde hinüber, bis es den Vogel fallen ließ. Auch diesen that Kate in ihre Schürze.

Beim ersten Hahnenschrei ritten sie wieder heim, aber dieses Mal knackte Kate keine Nüsse, sondern rupfte den Vogel ab und kochte ihn. Ein köstlicher Duft drang durch das Zimmer. "Ach!", sagte der Prinz, "ich möchte so gern' ein Stückchen von diesem Vogel essen!"

Da gab ihm Kate einen Bissen, und er stützte sich auf den Ellbogen. Dann rief er wieder: "Ach, wenn ich doch noch einen Bissen von dem Vogel bekäme!"

Da gab ihm Kate wieder ein Stückchen, und er setzte sich im Bette auf. Dann sagte er wieder: "Ach, ich möchte so gern noch ein einziges Stückchen von dem Vogel!"

Da gab ihm Kate den dritten Bissen, und er war gesund und stark und stand auf und kleidete sich an und setzte sich an das Kaminfeuer. Und als die Leute am nächsten Morgen eintraten, fanden sie Kate und den jungen Prinzen damit beschäftigt, Nüsse zu knacken.

Inzwischen hatte sein Bruder Anne gesehen und sich in sie verliebt, wie Jeder, der ihr schönes, süßes Gesicht sah. So heirathete der kranke Königssohn die gesunde Schwester, und der gesunde Sohn heiratete die kranke Schwester, und sie lebten alle glücklich bis an ihr seliges Ende.

Jack, der Riesentödter.

Zur Zeit, als König Arthur regierte, da lebte in der Grafschaft Cornwall, dort, wo England im Westen zu Ende geht, ein reicher Bauer. Dieser hatte einen einzigen Sohn namens Jack, der war gewandt, klug und schlagfertig, und was er nicht durch Kraft und Stärke ausrichten konnte, das erreichte er durch Schlauheit und List. Es gab keinen Menschen, der ihm je über gewesen wäre, und sehr oft kamen selbst die Gelehrtesten gegen seinen Witz und seine Geistesgegenwart nicht auf.

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In jenen Tagen lebte auf einer Insel, Berg von Cornwall genannt, ein ungeheurer Riese von wildem, grimmigem Aussehen, achtzehn Fuß hoch und drei Ellen im Umfang, der war der Schrecken aller umliegenden Städte und Dörfer. Er wohnte in einer Höhle inmitten des Berges, und niemand durfte sich in seine Nähe wagen. Seine Nahrung bestand in anderer Leute Vieh, das ihm oft zur Beute fiel, denn so oft er hungrig war, watete er zum Festland hinüber und eignete sich an, was ihm in den Weg kam. Sobald die guten Leute ihn von ferne erblickten, verließen sie ihre Wohnungen, er aber plünderte ihre Ställe. Es war ihm gar nichts, ein halbes Dutzend Ochsen auf einmal auf dem Rücken zu tragen, und Schafe und Schweine band er sich wie ein Schwertgehänge um den Leib. Diese Lebensweise führte er viele Jahre hindurch, so dass ganz Cornwall infolge dieser Plünderungen verarmte.

Eines Tages war Jack zufällig bei der Sitzung anwesend, welche die Stadträthe nach einem neuen Raubzuge des Riesen auf dem Rathhause abhielten, und fragte, welche Belohnung derjenige erhalten würde, der den Riesen tödtete. "Den Schatz des Riesen," lautete die Antwort.

"Dann wag' ich's," sagte Jack.

Er rüstete sich mit einem Horn, einer Schaufel und einer Axt aus und fuhr bei Anbruch einer dunklen Winternacht zu der Berginsel hinüber. Dort machte er sich an die Arbeit, und bevor der Morgen graute, hatte er eine Grube gegraben, die war zweiundzwanzig Fuß tief und fast ebenso breit. Er deckte sie mit langen Stecken und Stroh zu und streute dann ein wenig Erde darüber, so dass der Boden aussah wie zuvor. Als er damit fertig war, stellte er sich an die Seite der Grube, die am weitesten von der Höhle des Riesen entfernt war, und gerade bei Tagesanbruch setzte er das Horn an den Mund und blies: "Trara! Trara!"

Das unerwartete Geräusch weckte den Riesen auf. Er stürzte aus seiner Höhle hervor und schrie: "Du elender Kerl, bist du hieher gekommen, um meine Ruhe zu stören? Das wird dir theuer zu stehen kommen. Ich muss Genugthuung haben, und zwar werde ich dich, wie du stehst und gehst, zum Frühstück braten."

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er auch schon in die Grube stürzte und mit seinem Falle den Berg in seinen Grundfesten erschütterte.

"Nun, Herr Riese," fragte Jack, "wo sind Sie denn? Wahrhaftig jetzt sitzen Sie in der Klemme, und ich werd' Ihnen Ihre Drohung tüchtig heimzahlen. Wie denken Sie nun darüber, mich zum Frühstück zu braten? Muss es denn gerade der arme Jack sein?"

Nachdem er den Riesen so eine Zeitlang gequält hatte, versetzte er ihm mit der Axt einen tüchtigen Hieb mitten auf den Kopf, so dass er auf der Stelle todt war.

Darauf füllte Jack die Grube mit Erde aus und gieng in die Höhle, in welcher er viele Schätze fand.

Als der Stadtrath die frohe Kunde vernahm, beschloss er, dass Jack fortab den Beinamen Riesentödter führen solle, und beschenkte ihn mit einem Schwert und einem Gurt, auf welchem folgende Worte in Gold gestickt waren:

"Das ist aus Cornwall der tapfere Mann,

Der erschlug den Riesen Cormelian."

Die Nachricht von Jacks Heldenthat verbreitete sich bald über den ganzen Westen von England, und als ein anderer Riese, Blunderbore mit Namen, davon hörte, schwur er, an dem kleinen Helden Rache zu nehmen, wenn er je das Glück haben sollte, auf ihn zu stoßen. Dieser Riese war der Besitzer eines verwunschenen Schlosses, das mitten in einem einsamen Walde stand. Ungefähr vier Monate später kam Jack, der auf der Reise nach Wales begriffen war, durch diesen Wald. Er war müde und setzte sich bei einer frischen Quelle hin, um auszuruhen; bald war er fest eingeschlafen. Da entdeckte ihn der Riese, der gerade daher kam, um sich Wasser zu holen; an der Inschrift auf seinem Gurt erkannte er sofort, dass dies der weit und breit berühmte Jack war. Ohne viele Umstände lud er ihn auf seine Schultern und trug ihn in sein verwunschenes Schloss. Als sie durch ein Dickicht kamen, erwachte Jack von dem Knacken der Zweige, und er war sehr überrascht, sich in den Klauen des Riesen zu finden. Aber wie erschrack er erst, als er beim Eintritt in das Schloss den Boden mit menschlichen Gebeinen bedeckt sah, welche bald, sagte ihm der Riese, um die seinigen vermehrt werden würden. Darauf schloss er den armen Jack in ein ungeheures Zimmer ein und gieng fort, um einen anderen Riesen zu holen, der in demselben Walde lebte; der sollte ihm helfen, Jack ums Leben zu bringen. In seiner Abwesenheit wurde Jack durch fürchterliches Kreischen und Wehgeheul in Schrecken versetzt. Er trat ans Fenster und sah von Weitem die beiden Riesen kommen. "Jetzt," sagte Jack zu sich, "steht mir der Tod oder meine Erlösung bevor."

In einer Ecke des Zimmers lagen dicke Seile. Er nahm zwei davon und machte am Ende eine starke Schlinge, und während die Riesen das eiserne Thor des Schlosses aufsperrten, warf er ihnen die Schlingen über den Kopf. Die anderen Enden legte er um einen Balken, dann zog er mit aller Macht und erdrosselte sie auf diese Weise. Als sie schon ganz schwarz im Gesicht waren, ließ er sich an dem Seil zu ihnen herab, bis er auf ihren Köpfen stand. Da zog er sein Schwert und erschlug sie beide. Nun nahm er dem Riesen die Schlüssel ab und öffnete die anderen Zimmer, da fand er drei schöne Jungfrauen, die der Riese an ihrem Haar festgebunden hatte. Sie waren fast verhungert.

"Holde Jungfrauen," sagte Jack, "ich habe das Ungeheuer und seinen scheußlichen Bruder getödtet und so Eure Freiheit erwirkt."

Mit diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel und setzte seine Reise so schnell als möglich fort. Aber er verirrte sich, die Nacht überfiel ihn, und er konnte kein Obdach finden, bis er endlich in ein enges Thal kam, wo ein großes Haus stand. In seiner Noth klopfte er an das Thor, aber wie groß war sein Schrecken, als ein ungeheurer Riese mit zwei Köpfen erschien! Doch hatte er kein so wildes Aussehen wie die früheren Riesen, denn er war ein Wälscher, und er verübte seine Greuelthaten auf geheime und listige Weise. Jack schilderte dem Riesen seine Lage und dieser wies ihm ein Schlafzimmer an. In der Stille der Nacht hörte nun Jack seinen Wirt im anstoßenden Gemach folgende Worte murmeln:

"Er schlafe ruhig diese Nacht,

Doch morgen früh er nicht erwacht;

Denn dann ist längst er umgebracht."

"Steht die Geschichte so," sagte Jack, "du hast einen deiner wälschen Streiche im Sinn; aber da bist du an den Rechten gerathen."

Er stieg aus dem Bett, legte ein Scheit Holz hinein und versteckte sich in einer Ecke des Zimmers. Mitten in der Nacht kam der wälsche Riese herein und hob mit seiner Keule auf das Bett los; natürlich glaubte er, dass er Jack jeden Knochen im Leibe gebrochen hätte. Am nächsten Morgen dankte Jack, der sich heimlich ins Fäustchen lachte, dem Riesen herzlich für das Nachtlager.

"Wie hast du geruht?" fragte ihn der Riese, "hast du in der Nacht nichts gespürt?"

"Nichts," erwiderte Jack, "nur hat mir eine Ratte einen und den anderen Klaps mit ihrem Schwanze versetzt."

Höchlich erstaunt führte der Riese Jack zum Frühstück und brachte ihm eine Schüssel, die vier Maß dicke Mehlsuppe enthielt. Da Jack den Riesen nicht merken lassen wollte, dass dies zu viel für ihn sei, so that er einen großen Lederbeutel unter seinen weiten Rock und schüttete, ohne dass der Riese es sah, den größten Theil der Suppe hinein. Dann sagte er seinem Wirt, er wolle ihm ein Kunststück zeigen. Er nahm ein Messer und schlitzte damit den Lederbeutel auf, so dass die ganze Mehlsuppe herauslief.

Darauf versetzte das Ungeheuer: "Potz tausend, das Kunststück kann ich auch," ergriff das Messer, schlitzte sich den Bauch auf und fiel todt zu Boden.

Um diese Zeit geschah es, dass der einzige Sohn König Arthurs seinen Vater um eine große Summe Geldes bat. Er wollte sein Glück im Fürstenthum Wales versuchen; dort lebte eine schöne Jungfrau, die von sieben bösen Geistern besessen war. Vergebens suchte der König seinen Sohn von seinem Vorhaben abzubringen, endlich kam er seinem Wunsche nach, und der Prinz machte sich mit zwei Pferden auf den Weg. Das eine war mit Gold beladen, das andere ritt er. Nach einigen Tagreisen kam er in einen Marktflecken in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt sah. Als der Prinz nach der Ursache dieser Ansammlung fragte, erhielt er die Antwort, dass die Leute einen Leichnam mit Beschlag belegt hatten, weil ihnen der Verstorbene zu seinen Lebzeiten eine große Geldsumme schuldete. Der Prinz sprach sein Bedauern darüber aus, dass Gläubiger so grausam sein konnten, und sagte: "Geht, begrabt den Todten und schickt seine Gläubiger in meine Wohnung, ich werde die Schulden bezahlen."

Die Gläubiger kamen, aber in solcher Anzahl, dass dem Prinzen vor Einbruch der Nacht fast nichts von seinem Gelde übrig geblieben war.

Jack, der Riesentödter, der gerade des Weges kam, war so hingerissen von der Großmuth des Prinzen, dass er den Wunsch aussprach, in seine Dienste zu treten. Nachdem sie sich geeinigt hatten, setzten sie am nächsten Morgen gemeinsam die Reise fort. Als sie aus der Stadt ritten, rief ein altes Weib den Prinzen an und sagte: "Er ist mir sieben Jahre lang zwei Pence schuldig geblieben, bitte, zahlt mir die Schuld, so gut wie Ihr sie den andern bezahlt habt."

Der Prinz griff in die Tasche und gab der Frau alles, was er noch besaß, so dass am Abend, nachdem Jack für ihren Imbiss all sein Geld ausgegeben hatte, beiden zusammen kein Heller mehr übrig geblieben war. Als die Sonne unterzugehen begann, sagte der Königssohn: "Wo werden wir heute nachts schlafen, Jack, da wir kein Geld mehr haben?"

Aber Jack erwiderte: "Es wird uns ganz wohl ergehen, Herr, denn ich habe einen Onkel, der zwei Meilen von hier wohnt. Er ist ein ungeheurer Riese mit drei Köpfen, der es mit fünfhundert bewaffneten Männern aufnimmt und sie in die Flucht schlägt."

"Ach," seufzte der Prinz, "was sollen wir dort? Er wird uns sicherlich auf einen Bissen verzehren; nein, wir werden ihm nicht einmal einen hohlen Zahn ausfüllen!"

"Davon ist nicht die Rede," antwortete Jack, "ich will vorausgehen und Euch die Wege ebnen, verzieht hier und wartet, bis ich zurückkehre."

Jack ritt nun im schnellsten Galopp davon, und als er bei dem Schloss angelangt war, klopfte er so laut an das Thor, dass die umliegenden Hügel erdröhnten.

Der Riese brüllte, dass es wie das Rollen des Donners klang: "Wer da?"

"Nur Dein armer Vetter Jack," war die Antwort.

Da frug er wieder: "Was bringt mein armer Vetter Jack für Nachrichten?"

Jack erwiderte: "Böse Nachrichten, weiß Gott, lieber Onkel."

"Ich bitte dich," sagte der Riese, "wie kann es für mich böse Nachrichten geben? Du weißt, dass ich es mit fünfhundert bewaffneten Männern aufnehme, und dass sie wie Spreu im Winde vor mir zerstieben."

"Jawohl, aber der Sohn des Königs ist mit tausend bewaffneten Männern im Anzuge, um dich zu tödten und alle deine Besitzungen zu verwüsten."

"Ach, Vetter Jack," rief der Riese aus, "das sind wirklich böse Nachrichten! Ich will mich schnell verstecken, schließe und riegle du fest hinter mir zu und behalte die Schlüssel, bis der Prinz wieder fort ist."

Nachdem Jack sich so vor dem Riesen geschützt hatte, holte er seinen Herrn, und sie ließen sich's beide wohlgehen, während der arme Riese zitternd in einem unterirdischen Gewölbe lag. Am nächsten Morgen versah Jack den Prinzen reichlich mit Gold und Silber und ließ ihn drei Meilen vorausreiten. Als er längst aus der Spurweite des Riesen war, ließ Jack den Riesen aus dem Gewölbe heraus, und sein Onkel fragte ihn, was er ihm dafür geben sollte, dass er das Schloss vor der Zerstörung bewahrt hatte.

"Ich verlange nichts," sagte Jack, "als den alten Rock, die Kappe, das alte rostige Schwert und die Pantoffeln, die sich zu Häupten deines Bettes befinden."

"Du sollst sie haben," erwiderte der Riese. "Behalte sie zur Erinnerung an mich, sie werden dir von außerordentlichem Nutzen sein. Der Rock wird dich unsichtbar machen, die Mütze wird dir Allwissenheit verleihen, das Schwert schneidet entzwei, was immer du auch damit berührst, und die Schuhe verleihen ungewöhnliche Schnelligkeit. Sie können dir nützlich sein, vom Herzen gern geb' ich sie dir."

Jack nahm sie und dankte seinem Onkel. Dann holte er rasch seinen Herrn ein, und bald erreichten sie das Haus der Jungfrau, welche der Prinz suchte. Als sie sah, dass der Prinz ein Freier war, bereitete sie ein glänzendes Mahl für ihn. Am Schlusse desselben wischte sie sich die Lippen mit einem Taschentuch ab und sagte: "Morgen früh müsst Ihr mir dieses Taschentuch zeigen, sonst kostet's Euch den Hals." Bei diesen Worten steckte sie das Taschentuch in ihren Busen.

Kummervollen Herzens gieng der Prinz zu Bette, aber Jacks Kappe der Allwissenheit lehrte ihn, wie er in den Besitz des Taschentuches gelangen konnte. Um Mitternacht berief die Jungfrau ihren vertrauten Geist, dass er sie zu Lucifer trage. Aber Jack zog den Rock an, der ihn unsichtbar machte, und fuhr in die Siebenmeilenschuhe, und so kam er mit ihr zugleich an. Als sie das Haus des Bösen betrat, gab sie dem alten Lucifer das Taschentuch, das that er auf ein Sims. Aber Jack nahm es von dort und brachte es seinem Herrn, und der zeigte es am folgenden Tage der Jungfrau, und so entgieng er dem Tode.

An diesem Tage küsste sie den Prinzen und sagte ihm, morgen früh müsse er ihr die Lippen zeigen, die sie den Abend zuvor geküsst, sonst verliere er seinen Kopf.

"Gewiss werd' ich das, wenn Ihr keine anderen Lippen küsst, als die meinigen," erwiderte er.

"Das ist ganz gleich," sagte sie, "könnt' Ihr's nicht, dann ist Euch der Tod gewiss!"

Um Mitternacht gieng sie wie nachts zuvor zu Lucifer und war böse auf ihn, dass er sich das Taschentuch hatte entwenden lassen. "Nun aber," sagte sie, "wird es dem Königssohn schon schwerer werden, denn ich werde dich küssen, und er muss mir deine Lippen zeigen."

Gesagt, gethan. Aber Jack, der daneben stand, hieb dem Teufel den Kopf ab und brachte ihn unter seinem unsichtbaren Rock seinem Herrn, der ihn am nächsten Morgen in Gegenwart der Jungfrau bei den Hörnern hervorzog.

Da war der böse Zauber gebrochen, und sie erstrahlte in ihrer ganzen Schönheit. Am folgenden Morgen heirateten sie und begaben sich bald darauf an den Hof König Arthurs, wo Jack für seine Heldenthaten zum Ritter der Tafelrunde geschlagen wurde.

Nachdem Jack so alle seine Unternehmungen geglückt waren, beschloss er, nicht müßig auf seinen Lorbeeren auszuruhen, sondern alles, was in seiner Kraft stand, zur Ehre seines Königs und seines Vaterlandes zu thun. Und so bat er den König Arthur, ihn mit einem Pferde und dem nöthigen Gelde auszurüsten, damit er sich auf die Suche nach neuen, seltsamen Abenteuern begeben könne. "Denn, Majestät," sagte er zum Könige, "es gibt noch viele Riesen in den entfernten Theilen von Wales, die zum unaussprechlichen Schaden Eurer Unterthanen ihr Wesen treiben. Wenn es also Euerer Majestät gefällt, mich darin zu unterstützen, so zweifle ich nicht daran, dass es mir in kurzer Zeit gelingen wird, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten und so das ganze Königreich von den Riesen und Ungeheuern zu befreien."

Als der König von Jacks edlem Vorhaben hörte, rüstete er ihn mit allem Nöthigen aus, und Jack machte sich auf den Weg. Er nahm die Kappe der Allwissenheit, das Schwert der Schnelligkeit, die Siebenmeilenschuhe und den unsichtbaren Rock mit, damit er sein gefährliches Vorhaben leichter ausführen könne.

Jack kam über hohe, wunderbare Berge, und als er am dritten Tage einen großen Wald betrat, drang ihm furchtbares Kreischen und Schreien entgegen.

Er ließ seine Blicke umherschweifen und gewahrte mit Schrecken einen ungeheuren Riesen, der eine schöne Frau und einen Ritter so gemächlich an ihrem Haare hinter sich herzog, wie man ein Paar Handschuhe trägt. Bei diesem Anblick vergoß Jack Thränen des Mitleids. Er sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren Rock an und hieb mit einem Schwung seines scharfen Schwertes dem Riesen beide Beine unter dem Knie ab, so dass bei seinem Fall die Bäume zitterten. Darauf dankten der höfliche Ritter und seine holde Dame ihm herzlich und luden ihn in ihr Haus ein, damit er sich nach der furchtbaren Anstrengung erfrische und für seinen großen Dienst eine reiche Belohnung erhalte. Aber Jack schwur, nicht eher zu ruhen, als bis er die Höhle des Riesen gefunden. Als der Ritter dies hörte, versetzte er sehr betrübt: "Edler Fremdling, es wäre zu viel, sich noch einmal in Gefahr zu begeben. Das Ungeheuer wohnt zusammen mit einem noch wilderen und scheußlicheren Bruder in einer Höhle in dem Berge dort drüben. Es wäre herzbrechend für mich und meine Dame, wenn Ihr dorthin gienget und den Tod fändet. Ich bitt' Euch also, kommt mit uns und steht von weiterer Verfolgung ab."

"Nein," erwiderte Jack, "und wären ihrer zwanzig, so sollte keiner meinem Zorn entgehen. Aber wenn ich mein Vorhaben ausgeführt habe, dann will ich kommen und Euch meine Aufwartung machen."

Jack war kaum ein und eine halbe Meile weiter geritten, als er der von dem Ritter erwähnten Höhle ansichtig wurde. Vor derselben saß auf einem Holzblock der Riese, an der Seite hatte er eine knorrige Eisenkeule; Jack vermuthete, daß er die Rückkehr seines grausamen Bruders und dessen Beute erwartete. Seine Glotzaugen waren wie feurige Flammen, seine Zunge grimmig und scheußlich, seine Backen wie zwei große Speckseiten, die Borsten an seinem Kinn wie Eisenruthen und die Locken, die auf seine fleischigen Schultern niederfielen, wie Schlangen oder zischende Nattern. Jack sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren Rock an, näherte sich dem Riesen und sagte leise: "Ah, bist du da? Es wird nicht lange dauern, so werde ich dich fest beim Bart zausen."

Da der Riese ihn nicht sehen konnte, so kam Jack ganz nahe heran und versetzte ihm mit seinem Schwert einen Hieb auf den Kopf, verfehlte aber sein Ziel und schnitt ihm die Nase ab. Da begann das Ungeheuer zu brüllen, dass es wie das Rollen des Donners klang, und schwang seine Eisenkeule wie ein Wahnsinniger.

Aber Jack rannte nach hinten und trieb sein Schwert bis zum Heft dem Riesen in den Rücken, dass er todt niedersank. Darauf hieb ihm Jack den Kopf ab und sandte diesen sammt dem Kopf seines Bruders durch einen Fuhrmann, den er zu diesem Zwecke mietete, an König Arthur.