Märchen aus Frankreich, Band 1 -  - E-Book

Märchen aus Frankreich, Band 1 E-Book

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.

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Seitenzahl: 1029

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Märchen aus Frankreich - Teil 1

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen aus Frankreich - Teil 1

Wie Galopin für Elias von St. Gilles das Wunderpferd Primsaus von Aragon stahl

Hüon von Bordeaux

Bertha mit den großen Füßen

Parthonopeus und Meliur

Robert der Teufel befreit Rom von den Türken

Parzival in der Graalsburg

Iwein

Die Geburt des Schwanritters

Die Manekine

Der Fischfang des Wolfes

Der neue Adam

Der Engel und der Waldbruder

Der Wolf in der Vorratskammer

Der büßende Räuber

Der König und der Weise

Crescentia

Cleomades und das hölzerne Pferd

Der Tänzer Unserer lieben Frau

Der Judenknabe

Die Nonne und der Ritter

Vom Dieb, der sich jedesmal, wenn er zum Stehlen ging, Unserer Frau empfahl

Vom König, der den Sohn seines Seneschalls verbrennen wollte

Von der Königin, die ihren Seneschall tötete

Aucassin und Nicolette

Vom Kaiser Constans

Amicus und Amelius

Die Geschichte von der schönen Johanna

Lanval

Yonec

Frene

Eliduc

Die Herzmäre

Die Hasen und die Frösche

Der Bauer und der Kobold

Der Wolf und das Zicklein

Die Geschichte von den Rebhühnern

Von der Braunen, der Kuh des Pfarrers

Berengar

Constant du Hamel

Der Bauer als Arzt

Wie der Bauer ins Paradies kam

Das Märchen von der schönen Zelandine

St. Nikolaus und der Jüngling

Die Quelle der Jugend

Gargantua

Von drei Brüdern, welche fast wegen ihres Lateins gehängt worden wären

Wie ein Schotte durch ein Mittel, das ihm seine Wirtin angegeben hatte, vom Bauchweh geheilt wurde

Vom Meister Berthold, dem man einredete, daß er tot sei

Von einem jungen Gesellen, der sich dem Teufel ergab, um ein junges Mädchen zur Frau zu bekommen, und wie er vom Teufel befreit wurde, als er ihm auf den Rat seiner Frau ein Tier zeigte, welches er nicht kannte

Von dreien Jünglingen, welche drei Feen begegneten, und was ihnen mit den Gaben geschah, so besagte Feen ihnen gewährten

Der Hase und die Schildkröte

Der Milchtopf

Der Zeichendisput

Von einem angeblichen Wahrsager

Der Fliegentöter

Ein Spitzbube entwendet die Kuh seines Nachbarn

Der friedfertige Hahnrei

Die Wette der drei Gevattern

Blaubart

Der gestiefelte Kater

Aschelbrödel oder das kleine Glaspantöffelchen

Der kleine Däumling

Die Feen

Der blaue Vogel

Der Orangenbaum und die Biene

Ricdin-Ricdon

Die Schönheit und das Tier

Die drei Zaubergaben

Vierzehn

Der Biedermann Elend und sein Hund Armut

Das Gespenstermahl

Der Zauberstab

Wie Dummhans Jaqueline heiratete

Die klugen Antworten

Das Mädchen ohne Hände

Merlicoquet

Der Biedermann Elend und die Bohnenranke

Die Börse, die Pfeife und der Hut

Die Gaben der drei Tiere

Der Goldapfel

Der Mann aus Eisen

Firosette

Die Rosenstadt

Die drei Jungfrauen und die drei Reiter

Der Wolf und der Fuchs

Klein-Krüglein

Klein-Flöhchen und Klein-Läuschen

Die Spinnstube im Brunnen

Vater Roquelaure

Der Vogel, der alles sagt

Vom Regen in die Traufe

Die widerspenstige Frau

Bocévaine

Die Pomeranzen

Die Krone des Königs von Domnonée

Der Fußschemel des Paradieses

Der Arzt von Fougeray

Eselshaut

Die drei Gaben

Die Himmelfahrt der Betschwester

Der falsche Heilige

Die geschwätzige Frau

Die dumme Hanne

Der neue Pathelin

Der dritte Eselsfurz

Der Soldat aus Paris

Die Geschichte von Christic, welcher Papst in Rom wurde

Die Gattin des Todes

Dreißig-aus-Paris

Die neun Brüder, die in Lämmer verwandelt wurden, und ihre Schwester

Peronnik der Einfältige

Die Lehren des sterbenden Vaters

Der Meisterdieb

Der Teufel und St. Cado

Der schlaue Guyon

Die drei Buckligen

Die Frau mit dem Teufelskopf

Der Räuber und sein Patenkind

Die Frau, die keine Kinder haben wollte

Das Mädchen von schlechtem Ruf, das ins Paradies einging

Die Messe des Gespenstes

Die weiße Taube

La Ramée

Tartari-Barbari

Der Köhler

Das Mädchen und seine drei Freier

Das kleine Halbhähnchen

Der König von Frankreich

Die armen Seelen

Die drei kleinen Hühnchen

Der König der Fische

Der Werwolf

Das kleine Rotkäppchen

Goldfuß

Der Mann in allen Farben

Die Bestrafung der Königin

Der Jüngling und die große Bestie mit dem Menschenkopf

Unser Herr auf Reisen

Der Holzkammhändler

Die Leute von Sainte-Dode

Der Widerspenstigen Zähmung

Der Teufel auf dem Kirchhof

Die sieben Brüder

Dummhans und der Riese

Märchen aus Frankreich, Teil 1

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen aus Frankreich - Teil 1

Wie Galopin für Elias von St. Gilles das Wunderpferd Primsaus von Aragon stahl

Elias von St. Gilles ritt, vom Fluche seines Vaters getroffen, in die Welt. Nach mannigfachen Abenteuern überraschte er einst in Spanien vier Räuber beim Mahl; drei davon erschlug er, den vierten, Namens Galopin, einen schlauen und behenden Burschen, nahm er als Diener an. Und bald bedurfte er seiner, denn bei einem Überfall der Sarazenen wurde Elias verwundet. Galopin schleppte seinen Herrn in einen Weingarten und hier erblickte ihn Rosamunde, die Tochter des Heidenkönigs Macabre. Sie pflegte den Wunden und heilte ihn mit kräftigen Tränken.

Ein sarazenischer König, Lubien von Baudas, warb um die Jungfrau und drohte, falls sie ihm verweigert würde, ihren Vater mit Krieg zu überziehen. Schon hatte sein Heer Macabres Burg im Halbkreise umschlossen, doch niemand wagte es, den gewaltigen Heiden zu bekämpfen. Da erbot sich Rosamunde selbst, einen Kämpfer gegen den ungeliebten Werber zu stellen, und sie bat Elias um den Ritterdienst. "O, Herrin," sagte Elias, "wie sollte ich einer Frau dienen, die nicht an meinen Gott glaubt! Aber um dessentwillen, was Ihr an mir getan habt, als ich krank und verwundet dalag, will ich Eurer Bitte willfahren. Gebt mir Roß und Waffen, so will ich hinausgehen und meinen Leib gegen Euren Freier zum Pfande setzen. Bei Gott, ich weiß meine Lanze zu führen, und kein Heide in Spanien, der Euch beleidigt hat, soll sich des Sieges rühmen, wenn wir auseinandergehen." "Herr," sagte die Jungfrau, "Ihr macht mich froh. Um Euretwillen werde ich Mohammed verlassen und mit Euch nach Frankreich gehen. Aber vor einem hütet Euch, wenn Ihr mit dem Emir kämpfen wollt. Der Schurke besitzt ein Streitroß, wie es in Frankreich keines gibt: es heißt Primsaus von Aragon, Oriande war seine Mutter. Wenn in der Schlacht das Gedränge groß ist, dann springt es mit allen vier Beinen auf und schreit und schlägt mit den Füßen um sich und tötet jeden, den es trifft. Jeden, der es beim Zügel nimmt, wirft es zu Boden, er müßte denn trefflich zu turnieren verstehen."

Als Galopin dieses Lob hörte, sprang er auf und trat zu seinem Herrn: "Edler Graf," sagte er, "was zaudert Ihr noch? Bittet die Jungfrau, daß sie Euch Waffen gibt. Ehe nach Mitternacht der erste Hahn kräht, werde ich Euch das Streitroß verschaffen, allen Heiden zum Trotz!" Galopin bekleidete sich mit seinem Mantel – er maß nur drei Fuß – und band sich hundert Denare um.

Er war ein Spitzbube und kannte sein Handwerk. Er schlich sich durch die Hintertür und durchwatete den Bach, der am Schlosse vorbeiströmte; dann eilte er durch den Weingarten und durchmaß das feindliche Lager, bis er zum Zelte des Emirs gelangte. "Der große Mohammed, der die Welt regiert," rief er Lubien zu, der vor seinem Zelte saß, "erhalte den Kaiser und alle, die ihm dienen." "Freund," antwortete der Emir argwöhnisch, "er segne auch dich. Doch sage mir, wer bist du und aus welchem Lande stammst du?" Galopin, der Schlaue, entgegnete ihm: "Herr, von jenseits des Meeres komme ich. Noch gestern abend bei der Vesper war ich ein reicher Kaufmann, ich führte ein Schiff, wie noch kein Mensch eines sah, voll Gold und Silber, Seidenstoff und Tuch; zwanzig Streitrosse waren darauf und zwanzig schöne Maultiere, die sandte Euch der Herr meines Landes, denn er ehrt Euch sehr. Macabre hat mir alles weggenommen, meine Leute hat er mir getötet und mich selbst ins Meer geworfen. Nun komme ich zu Euch, o König, daß Ihr mir mein Recht verschafft." Als der König das hörte, geriet er außer sich, er richtete sich auf und legte die Hand an den Kopf: "Zu seinem Unglück hat das der Schurke erdacht, bei meinem Barte! Ihr werdet Eure Schiffe und Eure Habe wiederbekommen und vom Seinigen noch fünfzehnmal soviel dazu, ehe der Krieg endet." "Herr," sagte der Spitzbube, "an den Waren liegt mir nicht viel, denn ich verstehe es wohl, mir neue zu erwerben; aber die Rosse bekümmern mich, denn eines war darunter, das sehr rühmenswert war: ein prächtiger armenischer Grauschimmel mit schmalem Kopf und offenem, stolzem Auge. Kleine Ohren hatte er und zartes Haar, langbeinig war er und schnellfüßig. Nie war ein besserer Streithengst im Kampf. Wenn er im Schlachtgetümmel einen Ritter am Boden liegen sah, so trat er ihn mit Füßen, bis er zerstampft war." "Schweig, du Schuft," rief der Emir, "ich habe hundert Rosse, die mehr zu schätzen sind. Ich gäbe sie nicht um tausend Pfund lauteren Goldes her. Wenn du alle Pferde Frankreichs zusammenbrächtest, ich möchte sie nicht gegen eines meiner Rosse vertauschen. Aber gleich sollst du es sehen." "Herr," sagte der schlaue Galopin, "warum sollte ich es sehen? Ich verstehe nichts von Pferden. Wenn ich eines schnell laufen sehe, so halte ich es für einen guten Traber. Lieber wäre es mir, Ihr gäbet mir ein wenig zu essen. Lange trieb ich auf dem Meere und der ganze Körper ist mir durchnäßt." "Bei meinem Haupte," rief der Emir, "du bist ein Esel", und stieß aus Zorn das Schachbrett um. Galopin konnte es kaum erwarten, daß er das Roß zu sehen bekäme. "Herr," lenkte er ein, "zürnt mir nicht. Wenn Ihr es wünscht, so will ich es gern anschauen." Das Wunderpferd stand in einem wohl mit Stahl verankerten Gerüste, dessen geringsten Pfeiler kein Saumtier hätte tragen können. Mit drei goldenen Ketten war es um den Hals gefesselt und vier Paar Spannstricke hielten ihm die Füße zusammen, über der Haut mit Filz gepolstert. Futter und Hafer hatte es genug vor sich und es trank aus einem Gefäße, das mit Gold eingelegt war. Wasser lief vor ihm in einem Kanale und drei Kerzen brannten im Raum. Dreißig Wächter mußten das Roß behüten, und wenn fünfzehn schliefen, mußten die anderen fünfzehn wachen. Keiner hätte sich schlafend ertappen lassen dürfen: er wäre geblendet und des Landes verwiesen worden. Lubien nahm den Vorhang weg: das Tier hatte eine zarte Flanke und war an Kopf und Füßen weiß gezeichnet. Dann fragte er den Spitzbuben: "War das deinige so kostbar?" – "Nein," sagte dieser, "ich will es Euch nicht verhehlen: nie sah ich ein so schönes Roß und auch nie eines so wohl verwahrt." Dabei aber murmelte er zwischen den Zähnen, daß ihn keiner hörte: "So gut wird es doch nicht bewacht sein, daß ich es nicht stehlen kann. Herr Elias, wenn Ihr dieses Roß habt, so könnt Ihr Euch rühmen, daß im weiten Frankreich kein Ritter je auf einem solchen saß. Aber es ist gut verwahrt. Bei der Seele meines Vaters, lieber wäre es mir, wenn es draußen an einem Baume angebunden wäre."

Von nun an hatte Galopin keine Ruhe mehr, und seine Gedanken waren stets bei dem Rosse. Die Wächter setzten sich zum Mahl, dann gingen sie schlafen, da sie an nichts Böses dachten und auf den kleinen Spitzbuben wenig achteten. Die andere Hälfte wachte beim Roß. Galopin trat an das Gerüst, stützte sich auf das Geländer und betrachtete das Tier. "Heilige Jungfrau Maria," betete er, "verschaff' mir das Pferd, aber so, daß es mich weder tritt noch verwundet." Das Tier erschrak vor seinem Atem und sprang mit allen Vieren zugleich. Die Wächter griffen zu ihren Waffen und suchten den Raum wohl siebenundzwanzigmal ab. Galopin stand im Schatten, und sie bemerkten ihn nicht, obwohl sie ihn fast berührten. Kein Wunder, daß der Dieb in Furcht geriet.

Da die Wächter nichts fanden, setzten sie sich zum Schachspiel, und der eine sagte zum andern: "Was hat das Tier gehabt?" – "Bei meinem Kopf," sagte der Oberste, "es ist zu fett und ruht zu viel, beim kleinsten Anlaß erschrickt es." Galopin hatte ein Zauberkraut in der Tasche, das zog er nun hervor und rieb es, so daß der starke Geruch hervordrang. Er warf es durch die beiden Gitter hindurch, und die Wächter schliefen von dem starken Dufte ein. Nun war das Pferd unbewacht. "Bei Gott," frohlockte der Dieb, "ihr seid mattgesetzt. Der Emir wäre ein Dummkopf, wenn er euch nicht sämtlich hängen lassen würde." Dann nahm er das Gerüst bei den Gittern und riß es um. Er trat zu dem Pferde, streichelte ihm die Seiten und gedachte es fortzuführen. Doch das Roß kannte ihn nicht, es faßte ihn mit den Zähnen, stieß ihn zu Boden, hob ihn dann wieder in die Höhe und schleuderte ihn fünfzehn Fuß weit davon. Er rannte gegen einen Pfahl, daß er fast die Besinnung verlor, und rief Gott an, er möge ihn um Elias willen nicht verlassen. Als er furchtsam vorwärtskroch, fand er einen Prügel, den er beim dicken Ende packte. Dreißig Schläge gab er dem Tier auf die Flanken, bis es ruhig ward und sein Übermut verflog. "Halt die Füße still," rief er, "es wäre Torheit, wenn du dich bewegtest." Nun legte er dem Roß den Sattel auf, warf ihm den Zaum über den Kopf und schlug die Ketten herab.

Galopin bestieg den verhängnisvollen Gaul, aber er konnte nicht reiten und stellte sich wie ein Tor. Beim ersten Schritt des Tieres lag er unten und hätte sich fast Rippen und Arme zerbrochen. Er schwur, nie wieder hinaufklettern zu wollen, und führte das Roß hinter sich her; so schnell schritt er, daß es ihm kaum folgen konnte. Das Pferd sah, daß er ein kleiner Knirps war, und hatte wenig Respekt vor ihm, es warf den rechten Fuß vor und stieß ihn zu Boden. Diesmal blieb er unbeschädigt, sprang leichtfüßig wieder auf und packte das Tier nun beim Leibgurt. Nie hätte der kleine Spitzbube das gute Roß gestohlen, wenn es sich besser gewehrt hätte. Doch er nahm einen ellenlangen Stock und gab ihm elf Schläge auf die feisten Flanken, bis es ruhig stand und ihm der Leib zitterte wie ein Lorbeerblatt. "Sicher", sagte Galopin, "ist Gewalt oft nützlich. Rühr dich nicht oder du mußt es büßen." Dann band er dem Tier einen Strick um den Hals und führte es so, daß es ihn nicht mehr treten konnte. Er zitterte, als er am Zelte des Emirs vorbeimußte, aber zu seinem Glück fand er ihn schlafend in dem kostbaren Pavillon. Dann überquerte er den Bach und gelangte in den goldbemalten Raum, wo Elias schlief. Ehe der Ritter erwachte, war das Roß, das er so heiß begehrt hatte, sein. Als Elias es erblickte, wurde er froh gestimmt, streckte die beiden Hände zum Himmel auf und rief: "Hei, Vater im Himmel, dir sei gedankt!"

Hüon von Bordeaux

Karl der Große hielt zu Pfingsten Hof in Paris, denn er wünschte wegen seines hohen Alters noch bei Lebzeiten sein Reich auf einen Nachfolger zu übertragen. Er schlug seinen Sohn Karlot als Nachfolger vor, und die Barone erklärten sich einverstanden. Der Verräter Amauri stellte das Fernbleiben der Brüder Hüon und Gerard als Unbotmäßigkeit dar und erbot sich, sie zur Aburteilung an den Hof zu bringen, dabei machte er mit Karlot aus, daß sich dieser in einen Hinterhalt legen sollte. So geschah es, und im Kampfe wurde Karlot von Hüon erschlagen. Amauri beschuldigte nun Hüon des wissentlichen Mordes am Königssohn; zwar entschied ein Zweikampf zugunsten Hüons, doch Karl wollte diesem sein Erbe nicht eher zurückgeben, bis er nach Babylon gehe, den ersten, der ihm am Hofe begegnete, erschlage, die Tochter des Emirs dreimal küsse und Bart und Zähne des Emirs selber mitbringe. Hüon trat selbzwölft die Reise an, und der büßende Ritter Jérôme schloß sich ihnen unterwegs an und zeigte ihnen den Weg.

So gelangten sie in Oberons Zauberwald. Ermüdet streckte sich Hüon unter einer Eiche zur Ruhe: "Bei Gott," sagte er, "ich kann nicht mehr. Ich kann vor Hunger nicht mehr weiter reiten." "Schlecht versteht Ihr zu fasten," spottete Jérôme, "eßt doch von diesen Wurzeln. Ich habe seit dreißig Jahren keine andere Nahrung gehabt." "Das bin ich nicht gewohnt", meinte Hüon. Während sie so redeten, kam ein kleiner Mann durch den grünen Wald gegangen; der war so schön wie die Sonne am Sommertag; ein Mantel aus Seide, mit goldenen Bändern verziert, umhüllte ihn. Einen Bogen trug er in der Hand, der ihm stets Wildbret verschaffte; ein Horn aus reinem Elfenbein hing ihm um den Hals, welches Feen auf einer Insel im Meer gefertigt hatten. Die eine hatte ihm diese Gabe verliehen: wer das Horn ertönen hörte, der würde auf der Stelle gesund, und wäre er auch dem Tode nahe. Die zweite Fee hatte hinzugefügt: wer das Horn hörte, dessen Hunger und Durst würde alsogleich gestillt. Ein jeder, hatte die dritte bestimmt, müsse zu singen anfangen, wenn er den Ton des Hornes hörte, und drücke ihn die Sorge noch so schwer. Die vierte endlich gab ihm diese Kraft: wenn das Horn ertönte, in welchem Lande es auch sei, Oberon müsse den Ton vernehmen in Monmur, seiner Stadt. Der kleine Mann blies auf dem Horn, und die Ritter begannen sogleich zu singen. "Mein Gott," rief Hüon, "wer will uns besuchen? Ich spüre keinen Hunger mehr noch Schmerz." "Um Gottes willen, Herr," sagte Jérôme, "es ist der bucklige Zwerg. Redet ihn nicht an, wenn Euch Euer Leben lieb ist." Der kleine Bucklige rief ihnen mit lauter Stimme zu: "Ihr Männer, die ihr meinen Wald durchquert, seid mir gegrüßt beim Herrn der Welt! Ich beschwöre euch bei Gottes Majestät, bei Öl und Chrysam, bei der Taufe heiligem Salze, bei allem, was Gott geschaffen hat, beschwöre ich euch, daß ihr meinen Gruß erwidert." Die Ritter aber wandten sich zur Flucht zum großen Mißvergnügen des Zwerges, der mit einem Finger sein Horn berührte, worauf ein gewaltiges Unwetter entstand. Ein reißender Strom hemmte Hüons und seiner Gefährten Flucht. "Es ist der böse Zwerg, der das verursacht", beruhigte sie Jérôme, aber nur schwer erholten sie sich von ihrem Schrecken und setzten in Unruhe ihren Weg fort. Schon glaubten sie dem Zwerg entgangen zu sein, da stand er plötzlich auf einer schmalen Brücke vor ihnen. "Da ist der Teufel schon wieder", schrie Hüon. "Knabe," entgegnete Oberon, der es wohl gehört hatte, "nie war ich Teufel oder böser Geist. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut wie du, und ich komme nochmals, im Namen Gottes und durch die Macht, die er mir gab, euch zu beschwören, daß ihr mir Rede steht." "Ums Himmels willen, flieht!" rief Jérôme, dann spornte er sein Roß, und seine Gefährten folgten ihm im Galopp. Ein drittes Mal stellte sich der Zwerg ihnen entgegen und versprach ihnen seine Hilfe bei der gefahrvollen Fahrt, wenn sie sich entschließen wollten, ihn anzureden. "Seid uns willkommen, Herr!" sagte Hüon. "Gott lohne es dir!" entgegnete Oberon. "Hüon, teurer Bruder, nie wurde ein Gruß besser gelohnt, als es der deinige werden soll." "Herr," sagte Hüon, "warum verfolgt Ihr mich?" "Ich liebe dich", erwiderte Oberon, "mehr als irgendeinen anderen Menschen, um deiner Lauterkeit willen liebe ich dich. Du weißt noch nicht, wem du begegnet bist, so höre: Julius Zäsar erzeugte mich, und die Fee Morgana gebar mich als ihren einzigen Sohn. Große Freude herrschte bei meiner Geburt, und mein Vater entbot alle seine Barone, und alle Feen kamen, meine Mutter aufzusuchen. Eine von ihnen, welche unzufrieden war, verwünschte mich zu einem buckligen Zwerg, der ich jetzt zu meinem Schmerze bin; seit meinem dritten Lebensjahre bin ich nicht mehr gewachsen. Sie wollte ihr Wort nicht zurücknehmen, aber um dessen Wirkung abzuschwächen, gab sie mir die größte Schönheit nächst Gott. Eine zweite Fee gab mir ein noch kostbareres Geschenk: sie erlaubte mir, die Herzen der Menschen und ihre geheimsten Gedanken zu erkennen. Einer dritten Fee verdanke ich die beste Gabe: es gibt kein Land, in das ich mich nicht durch meinen Wunsch allein sogleich verfügen kann. Begehre ich ein Schloß, so steht es vor mir, ich habe Speise, wann es mir beliebt, und zu trinken, wann ich es fordere. In Monmur bin ich geboren, wohl vierhundert Meilen weit von hier, und dennoch bin ich schneller dort, als ein Roß ein Tagwerk Landes durchmißt. Aber du hast noch nicht alles erfahren, was ich den Feen verdanke. Wisse also, daß es keinen Vogel gibt, keinen Eber, keine wilde Bestie, und sei sie auch noch so blutgierig, die sich nicht willig zu meinen Füßen legte auf ein Zeichen meiner Hand. Endlich weiß ich alle Geheimnisse des Paradieses und höre dort oben die Chöre der Engel. Nie in meinem Leben werde ich altern, und wenn ich zu sterben wünsche, so ist mir an Gottes Seite mein Platz bereitet." Und um seine Macht zu zeigen, zauberte Oberon im Nu eine speisenbedeckte Tafel hervor. Nach dem Mahl wollten die Reisenden aufbrechen, aber Oberon sagte: "Hüon, bleib' noch ein wenig, zuerst will ich dir einige von meinen Kleinodien geben." Dann ergriff er mit beiden Händen einen Becher. "Hüon," hub er an, "betrachte diesen Becher, damit kannst du die große Macht, die Gott mir gab, erproben. Du siehst, dieser goldene Becher ist leer. Nun, ich will ihn nach meinem Willen füllen." Bei diesen Worten strich er dreimal mit der Hand um das Gefäß, machte das Zeichen des Kreuzes darüber, und sogleich füllte sich der Becher mit lauterem Wein. "Für alle Lebenden und für alle Toten, wenn sie zur Welt zurückkommen würden, liefert dieser Becher genügend Wein," sagte Oberon, "und das ist seine Zauberkraft, doch enthüllt sich diese nur in den Händen eines reinen Menschen, denn niemand kann aus ihm trinken, dessen Herz nicht sündenlos ist. Sobald ein Bösewicht den Becher berührt, verschwindet seine Kraft. Vermagst du daraus zu trinken, so ist er dein." Hüon brachte den Becher an seine Lippen, und dieser blieb voll, und er trank daraus in langen Zügen. Oberon zog ihn voll Freude an seine Brust und gab ihm das kostbare Gefäß. "Aber trage wohl Sorge," sagte er, "deine Lauterkeit zu wahren, nur unter dieser Bedingung helfe ich dir. Sobald du nur eine Lüge redest, verliert der Becher seine Kraft und du meine Freundschaft." "Herr," sagte Hüon, "ich gedenke mich wohl zu hüten, und Gott vergelte Euch Eure Gabe. Aber nun laßt mich ziehen." "Noch warte ein wenig," sagte Oberon, "denn hier habe ich ein Horn aus lauterem Elfenbein, und da ich dich als einen Edelmann ohne Sünde und Fehl habe kennen lernen, so will ich es dir schenken. Wenn du dieses Horn ertönen lässest, und wärst du auch noch so weit entfernt, so höre ich es in Monmur, meiner Stadt, und dann werde ich dir mit hundert Bewaffneten zur Seite stehen, denn gegen jedermann will ich dir im Kampfe helfen. Aber hüte dich, ohne Grund in das Horn zu stoßen, sonst gerätst du in Not." "Herr," sagte Hüon, "ich gedenke mich wohl zu hüten. Aber nun laßt mich ziehen." "Geht, Hüon, und Gott befohlen."

Auf der Weiterreise kehrte Hüon in Dunostre ein, tötete mit Oberons Hilfe den riesenhaften Herrn des Landes, dem auch der Emir von Babylon untertänig war, und raubte seinen Ring. Sodann überschritt er das Rote Meer und näherte sich allein, denn seine Begleiter hatte er in Dunostre zurückgelassen, der Stadt Babylon. An einem Feste des heiligen Johannes hielt dort der Emir seinen Hof. Kein Mensch konnte das Volk zählen, das dort zusammenströmte, man sah Vogelsteller und Rossetummler, Arbeiter und Schachspieler, solche, die sich mit Jungfrauen ergötzten, und solche, die sich im Sommertag ergingen. Hüon gelangte zur ersten Brücke und rief den Torwacht an: "Laß mich ein!" Jener entgegnete: "Gern, aber zuvor sage mir, in welchem Lande du geboren bist. Bist du ein Franke, so sollst du um einen Kopf kürzer gemacht werden; bist du aber ein Sarazene, so wird die Brücke vor dir niederfallen." Nun handelte Hüon sehr töricht. Vor der Menge der Heiden hatte er seines Ringes ganz vergessen, und er erinnerte sich auch nicht des Gebotes, das Oberon ihm gegeben hatte. Er antwortete allzu voreilig: "Ja, ich bin ein Sarazene." Da hatte er gelogen, und Oberon wußte es und zog seine Freundschaft von ihm. Vermittels dieser Unwahrheit gelangte er über die Brücke, aber vor der zweiten fiel ihm der Befehl des Elfenkönigs ein, er dachte an seine Verfehlung und geriet vor Schmerz fast außer sich. Beim Gekreuzigten schwur er, nie in seinem Leben wolle er wieder lügen. Ganz niedergeschlagen kam er zur zweiten Brücke und rief mit lauter Stimme: "Öffne, Hurensohn, oder der Blitz soll dich zerschmettern!" Der Torwacht sagte: "Aus welchem Lande stammst du und wie hast du die erste Brücke passiert?" "Bei Gott," sagte Hüon, "du sollst es wissen." Er nahm den Ring des Riesen von der Hand und rief dem Wächter zu: "Schau, welches Zeichen ich dir weise!" Der Wächter erblickte den Ring, erkannte ihn wohl und beeilte sich, die Brücke herabzulassen. "Sei mir willkommen, Jüngling," rief er, "was macht mein Herr, der stolze Orgileus?" Hüon würdigte ihn keiner Antwort, er wagte nicht zu reden, aus Furcht, die Unwahrheit zu sagen.

Durch die nämliche List gelangte er über die dritte und vierte Brücke und trat nun in den Garten des Emirs Gaudise, in welchem alle Arten von Bäumen, die Gott geschaffen hat, grünten. Dort strömte eine Quelle, die vom Paradiese kam und deren Wasser dem hinfälligsten Greise seine Jugend wiedergab und der ausschweifendsten Frau ihre Jungfrauschaft. Eine Schlange hütete die Quelle und brachte jedem Bösewicht, der sich ihr näherte, den Tod. Hüon trat ungehindert heran, trank aus der Quelle und wusch sich die Hände und vergaß fast seinen Auftrag. Nur wenn er an Oberon dachte, zitterte er. Wird der Zwerg noch einmal kommen, um ihm zu helfen? Er wollte sich dessen vergewissern und stieß in sein Horn, aber umsonst: niemand ließ sich blicken. Der Emir saß gerade beim Mahl, die, welche ihm den klaren Wein eingossen, begannen beim Klange des Hornes zu singen, und er selber fing zu tanzen an. "Ihr Barone," sagte er, "hört, der dort im Garten bläst, ist gekommen, uns zu verzaubern. Ich befehle euch, daß ihr euch bewaffnet, sobald er sein Blasen aufgehört hat. Wenn er entkommt, sind wir alle beschimpft." Als Hüon merkte, daß niemand kam, legte er sein Horn beiseite und weinte. Dann schritt er die Stufen zum Schloß hinauf, in den Panzer gehüllt, mit geschlossenem Visier und das blanke Schwert in der Faust. Ein Großer des Reiches stand am Tisch und suchte die Aufmerksamkeit der schönen Emirstochter Esclarmonde, die er heiraten sollte, zu erwecken, er war ein reicher Mann von edler Abstammung. Hüon näherte sich, schwang sein Schwert und schlug dem Heiden den Kopf ab, so daß dieser auf die Tafel rollte. "Ein guter Anfang," sagte er zu sich selber, "um dieses bin ich bei Karl entlastet." Der Emir wurde mit Blut bespritzt und schrie: "Barone, faßt mir diesen Schurken; wenn er entkommt, sind wir alle beschimpft." Alle Sarazenen stürzten sich auf Hüon, der sich nach Kräften verteidigte. Er nahm den Ring, den er am Finger trug, und warf ihn auf den Tisch: "Herr," sagte er, "da seht! Um dieses Zeichens willen tut mir kein Leid an!" Der Emir erkannte den Ring und befahl, Hüon zu schonen. Nun trat dieser auf die Tochter des Emirs zu und küßte sie dreimal, um sein Wort einzulösen. Esclarmonde erbleichte, als sie seinen Atem spürte. Leise sprach sie zu ihrer Magd: "Weißt du, warum ich erbleiche?" "Nein, bei Gott!" "Sein süßer Hauch hat mir das Herz erfüllt; wenn ich ihn heute nacht nicht an meiner Seite habe, komme ich von Sinnen." Hüon trat auf den Emir zu und meldete ihm den Auftrag Karls: er ersuchte ihn, die Taufe anzunehmen, dem Frankenkaiser zu huldigen und ihm den Tribut zu schicken, den er verlangte. Der Emir rief: "Dein Herr ist toll, das alles kümmert mich keinen Pfifferling. Wenn er mir sein ganzes Erbe gäbe, ich würde nicht von meinem weißen Barte lassen und von meinen vier Backenzähnen. Fünfzehn Boten hat er mir schon hierhergesandt, keinen einzigen hat er zurückkehren sehen, alle habe ich erwürgen und einpökeln lassen. Und, bei Mahommed, du sollst der sechzehnte sein. Nur des Ringes wegen wagten wir dich nicht anzutasten. So sage mir, mit welches Teufels Hilfe du als Franke in den Besitz dieses Ringes gekommen bist?" Hüon wagte nicht zu lügen, da er Oberons Zorn fürchtete: "Herr Emir," sagte er stolz, "so wahr Gott mir helfe, ich will es Euch sagen. Ich habe Euren Herrn getötet und zerstückelt." Der Emir stieß einen Wutschrei aus: "Barone," rief er, "wollt ihr ihn laufen lassen? Wenn er entkommt, sind wir alle beschimpft." Die Heiden hörten es und griffen Hüon von allen Seiten an. Nach verzweifelter Gegenwehr entglitt ihm sein Schwert, er wurde zu Boden geworfen, sein Horn, sein Becher und seine Rüstung wurden ihm genommen, und der Emir befragte seine Barone, wel-Tod er erleiden solle. "Gehängt soll er werden!" riefen sie. Aber der weise Ratgeber des Emirs wußte etwas anderes: "Heute ist Johannistag," sagte er, "da kannst du kein Urteil fällen, wenn du nicht gegen das Gesetz verstoßen willst. Man muß diesen jungen Mann ins Gefängnis werfen und ihn ein Jahr lang darin lassen. Im nächsten Jahre sollst du ihn am gleichen Tage befreien und ihm auf offenem Felde einen Kämpfer gegenüberstellen. Besiegt er diesen, so sollst du ihn in Frieden ziehen lassen; wird er aber besiegt, so läßt du ihn hängen." "Wenn das der Brauch meiner Ahnen war," entgegnete der Emir, "so will ich ihn nicht außer acht lassen." Hüon wurde ins Gefängnis geworfen, aber nicht lange sollte er darin schmachten. Esclarmonde, die sich auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte, ließ ihn frei. Der Emir wurde getötet und seines Bartes und seiner Zähne beraubt; dann ergriffen beide die Flucht und gelangten nach vielen weiteren Abenteuern, bei denen der versöhnte Oberon wieder Hilfe leistete, nach Frankreich, wo Hüon Land und Lehen zurückerhielt.

Bertha mit den großen Füßen

König Pippin von Franken warb, dem Rate seiner Barone folgend, um die ungarische Königstochter Bertha mit den großen Füßen. Das ungarische Königspaar nahm die Werbung an und sandte die Jungfrau in der Begleitung ihrer alten Amme Margiste, deren Tochter Aliste und ihres Hofmeisters Tybert an den Hof des Frankenherrschers. An einem schönen Augusttage fand in Paris die Hochzeit statt, und mancher mächtige Fürst diente dem jungen Paare beim Mahle. Dann räumte man die Schüsseln fort, und drei Spielleute zeigten ihre Künste. Als diese ihr Spiel beendet hatten, erhob sich der König und die allgemeine Lustbarkeit begann. Fürsten und Barone umringten die junge Königin und führten sie auf ihr Zimmer. Aber Margiste hatte in ihrem Herzen einen verräterischen Plan gefaßt: sie kniete vor der Königin nieder und flüsterte ihr ins Ohr: "Herrin, es schmerzt mich bei Gott, daß ich es sagen muß, aber gestern hat mir ein Freund berichtet, daß seit Anbeginn der Zeiten kein Mensch so zu fürchten war, wie der König Pippin es sein wird, wenn er bei Euch liegt. Ich fürchte sehr, daß er Euch tötet, wenn er heute nacht sein Gattenrecht an Euch ausübt." Als Bertha solches hörte, begann sie fast sinnlos vor Angst zu weinen. "Herrin," sagte die alte Hexe, "bekümmert Euch nicht, denn ich will Euch retten. Wenn die Bischöfe und Äbte von der Einsegnung des königlichen Bettes zurückgekehrt sind, werde ich Eure Kammer räumen lassen. Dann werde ich Aliste, meine Tochter, geschwind entkleiden und an Eurer Statt ins Bett legen. Ich habe schon mit ihr darüber geredet und sie hat ihre Einwilligung dazu gegeben. Denn ich will lieber, daß sie umkomme, als daß Ihr Schaden nehmet." Auf diese Worte hin umarmte Bertha die Alte und dankte Gott und allen Heiligen. Die böse Kammerfrau aber wandte sich von ihr und ging durch den königlichen Garten zum Flusse, wo sie ihre Tochter an einem Steinfenster lehnend fand. Diese glich Bertha, wie das Bild eines guten Malers dem Originale gleicht. Keine Frau konnte sich mit ihnen an Schönheit messen, sowenig wie eine dürre Heide mit einer blumigen Wiese. Die Alte umarmte ihre Tochter und küßte sie auf die Stirn, dann verabredeten sie heimlich, wie sie Bertha verraten könnten. "Tochter," sagte die Alte, "ich liebe dich, darum sollst du Königin werden, wenn es Gott und dem heiligen Petrus gefällt." "Mutter," entgegnete Aliste, "Gott erhöre Euer Gebet. Schickt nach Tybert, er soll uns seinen Rat erteilen. Befehlt ihm, daß er hierher kommt unter dem Vorwande, er habe gestern Almosen für mich ausgeteilt." Die Alte, die zum Bösen stets bereit war, lief schnell wie ein Windhund davon. Tybert kam eilends herbei und fand Gefallen an dem Plan. Alle drei beratschlagten eifrig, wie sie ihrer Herrin Bertha das Frankenreich wegstehlen möchten. "Tochter," sagte Margiste, "zu einem guten Sprung gehört ein weiter Anlauf: du wirst ein wenig dabei leiden müssen. Heute nacht soll Bertha in meiner Kammer schlafen; wenn es tagt, so werde ich sie zu Euch schicken, gleichsam als solle sie ihren Platz beim Könige einnehmen. Dann mußt du dir ein Messer in den Schenkel stoßen, so tief, daß das helle Blut hervorspritzt. Darauf schreist du um Hilfe und tust, als ob sie dich habe ermorden wollen; ich werde nun in die Kammer treten und sie fesseln lassen. Das übrige laßt mich nur machen." "Mutter," sagte die Magd, "es geschehe, wie es dir gefällt."

Als es Abend wurde, begaben sich Bischöfe und Äbte in das Schlafgemach, um das Lager zu segnen. Dann hieß die Alte alles Volk hinausgehen und die Kerzen löschen. Ihre Tochter legte sie ins Bett König Pippins und steckte das Messer, mit dem sie den Verrat begehen sollte, in das Bettgestell. Die alte Hexe lachte hämisch, dann begab sie sich in ihre Kammer und sagte zu Bertha: "Herrin, voll Schmerz und Unmut verlasse ich meine Tochter. Es ist unbeschreiblich, was wir für Euch getan haben." "Gott lohne Euch dafür, Frau!" Dann hieß die Alte sie schlafen gehen und sagte ihr, bei Tagesanbruch müsse sie sich ankleiden und sich leise neben den König schleichen. Die ahnungslose Bertha sagte dieses ganz ruhig zu, sie wolle in nichts dem Willen ihrer Amme zuwiderhandeln. Darauf sprach sie ihre Gebete im Bette sitzend, denn sie war wohl gebildet und konnte sogar schreiben. Indessen tat der König an der Magd seinen Willen und erzeugte mit ihr einen Erben, der voll Falschheit und Tücke war.

Als es Tag wurde, rief die Alte den Verräter Tybert, der mit Freuden herbeikam. Bertha erwachte und begab sich leise, wie die Alte ihr aufgetragen hatte, in das Schlafgemach des Königs. Sie trat zu der Magd, die im geschmückten Brautbett lag. Die Magd bemerkte sie, und ohne Zaudern ergriff sie das Messer, schwang es und versetzte sich selbst einen solchen Stich hinten in den Schenkel, daß das helle Blut herausspritzte. Dann hielt sie ihr Messer Bertha hin und diese nahm es, ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Dann fing die falsche Braut an zu schreien: "Ha! König Pippin, an Eurer Seite will man mich morden!" Der König erwachte und sah das blutende Messer, welches die Königin in der Hand hielt. Er richtete sich auf, fast von Sinnen vor Zorn. Die Alte stellte sich wütend, als sie ihrer Tochter Blut erblickte, und schwur, daß die Täterin ohne Gnade sterben müsse. "O König," sagte das Weib, "laßt sie schleunigst hinrichten. Habt kein Mitleid mit ihr. Nie in meinem Leben könnte ich sie wieder lieben!" Die alte Hexe packte Bertha und stieß sie mit einem gewaltigen Schlag aus der Kammer. Bertha ließ alles ruhig über sich ergehen, denn noch glaubte sie, dies alles geschehe aus Freundschaft, obwohl ihr von dem Schlage die Tränen aus den Augen strömten. Tybert zerrte sie am Mantel fort, so daß derselbe fast zerrissen wäre: "Gott helfe mir," sagte Bertha, "was ist mir begegnet, was haben diese Leute im Sinn?" Die böse Alte reichte Tybert ein Band, dann schlugen sie Bertha nieder, öffneten ihr gewaltsam den Mund wie einem Pferde, das man aufzäumt, und steckten ihr einen Knebel hinein, so daß sie um viel Geld kein Wort hätte reden können. Auch die Hände fesselten sie ihr, warfen sie auf ein Bett und breiteten eine Decke über sie. Die Alte saß neben ihr und flüsterte ihr zu: "Wenn du schreist, wird dir der Kopf abgeschnitten." Bertha war über diese Worte sehr erschrocken; sie merkte wohl, daß jene sie verraten hatten und daß sie in ihr Netz gegangen war, und vor Schmerz wurde sie ohnmächtig. Margiste ging nun fort und ließ die Königin in den Händen Tyberts. Sie begab sich in das Gemach des Königs, und als sie ihre Tochter erblickte, fiel sie vor ihr auf die Knie: "Gnade, Herrin," flehte sie, "um Gottes willen. Wenn Ihr wüßtet, wie ich meine Tochter zugerichtet habe, würdet Ihr nicht sagen, daß ich mitschuldig wäre." – "Schweigt, alte Vettel," sagte der König, "Eure Untreue ist erwiesen. Ihr wolltet insgeheim Bertha, meine Gemahlin, ermorden. Eure Tochter wird ohne Erbarmen verbrannt." "Herr," sagte Aliste, "glaubt nicht, daß diese Alte jemals einen Verrat begangen hätte, es gibt keine tüchtigere Frau auf der weiten Welt. Aber ihre Tochter hat stets für etwas beschränkt gegolten und gleichsam für irrsinnig. Herr, ich bitte Euch um eine Gnade, um die erste, seit ich Euer Weib bin und Krone trage: ich bitte Euch bei der Treue, die Ihr mir geschworen habt, daß diese Angelegenheit verschwiegen und verheimlicht werde. Kein Mensch soll etwas davon erfahren, weil ich doch die Magd mitgebracht habe. Laßt vielmehr drei Diener die Magd fortbringen, sie sollen sie in ein fernes Land führen und dort eingraben oder erwürgen oder was sie wollen, jedenfalls soll sie sterben." "Herrin," stimmte die Alte bei, "Euer Rat ist gut. Auch ich wünschte, sie würde enthauptet oder ertränkt oder sonstwie zum Teufel geschickt." Der König bewilligte die Bitte, und die Alte wurde beauftragt, die Sache zu Ende zu führen. Der König erhob sich, denn er wünschte, daß die Angelegenheit schnell erledigt werde; er rief drei Diener und sandte sie, ohne ihnen die näheren Umstände darzulegen, zu Margiste mit dem Auftrage, alles auszuführen, was ihnen diese befehlen würde. Die Alte zeigte ihnen das Zimmer, wo Bertha lag: "Kommt alsbald wieder, die Sache eilt." Dann wandte sie sich seufzend und weinend zum König: "Nun ruht aus, Herr. Ich versichere Euch, daß Ihr nie wieder von der Dirne sollt reden hören, ich erkenne sie nicht mehr als meine Tochter an, das schwöre ich Euch, weil sie meine Herrin ermorden wollte." Auch die Magd, ihre Tochter, begann zu weinen, und der König suchte sie zu trösten: "Weinet nicht um die Mörderin und laßt sie gehen, sie könnte Euch nochmals töten oder vergiften wollen. Seid Ihr schwer verwundet, Liebste? Sagt es mir offen!" "Nein," sagte sie, "es ist nicht so schlimm, nur als ich das Blut sah, erschrak ich. Ich will Euch die Wunde zeigen, geht und sperrt die Türe zu!"

Tybert und die Alte luden indessen Bertha auf einen alten Klepper, und die drei Männer führten sie gleich nach Tagesanbruch davon, Tybert begleitete sie als vierter. Das Weib ersuchte Tybert, der ihr Vetter war, er möge ihr das Herz Berthas zurückbringen, und dieser versprach, es nicht zu vergessen. Bertha weinte und betete, denn sie wußte nicht, wohin man sie führte. Fünf Tage lang reisten sie, bis sie in einen großen Wald gelangten, es war der von Le Mans. Hier machten sie unter einem Olivenbaum halt: "Ihr Herren," sagte Tybert, "wir brauchen nicht weiter zu gehen." Dann stiegen sie von den Rossen. Einer der drei Begleiter hieß Moraut, er war ein tüchtiger Ritter. Sie hoben die Königin vom Pferd; es war das erste Mal, daß sie sie mit ihren Händen berührten, denn Tybert hatte niemanden sich ihr nähern lassen. Als sie sahen, wie schön sie war, klagten sie um sie, aber Tybert, der Schurke, zog sein Schwert und sprach: "Zieht euch zurück, ihr Herren, mit einem Schlage werde ich ihr jetzt den Kopf abtrennen." Als Bertha das Schwert sah, streckte sie ihre Arme mit flehender Gebärde aus, denn reden konnte sie nicht wegen des Knebels. "Tybert," rief Moraut, "schlage nicht zu, denn, beim allmächtigen Gott, ich würde dir Haupt und Glieder abhauen oder nie nach Frankreich zurückkehren." Tybert zürnte sehr, als es ihm nicht gestattet wurde, Bertha zu töten. Aber kaum hatte er sein Schwert gezogen, so packten ihn die drei Männer von der Seite und zwangen ihn auf die Knie. Sie rissen ihre Schwerter heraus, und während die beiden andern den Schurken Tybert festhielten, band Moraut mitleidig die Königin los und nahm ihr den Knebel aus dem Munde. "Flieht, schöne Frau, und der Herr geleite Euch!" Bertha eilte in den Wald und dankte Gott, als sie in Sicherheit war. Als Tybert ihre Flucht bemerkte, sagte er zornig: "Schlecht habt ihr gehandelt, ihr Herren; ich werde euch alle hängen lassen, wenn wir daheim sind." "Herr," sagte Moraut, "wißt Ihr, was wir tun? Ich rate, daß wir das Herz eines Frischlings mitnehmen und es Frau Margiste zeigen, auf diese Weise werden wir uns vor Tadel wahren, denn Ihr wißt, daß wir versprochen haben, das Herz jener Frau heimzubringen. Wenn Ihr nicht einverstanden seid, Tybert, so töten wir Euch auf der Stelle." "Der Rat ist gut," sagte Tybert, "da sie entflohen ist, müssen wir sehen, uns vor Vorwurf zu wahren."

Sie taten, wie Moraut geraten hatte. Die Alte hatte eine große Freude, als sie ihren Bericht hörte. "Ihr Herren," sagte sie, "ich will euch reich belohnen. Jene war das schlechteste Weib, seit die Welt steht."

Bertha hatte indessen den Wald durchschritten und gelangte nach mannigfachen Gefahren in das Haus eines biederen Mannes Namens Simon, der ihr bereitwillig Unterkunft gewährte. Sie ernährte sich mit Handarbeiten und blieb neun Jahre lang im Hause Simons wohnen. Um diese Zeit brach die Königin Blancheflur von Ungarn auf, um ihre Tochter zu besuchen. Auf ihrer Reise traf sie einen Bauern und befragte ihn über die Königin, von deren Herrschaft sie nichts Gutes gehört hatte. "Frau," erwiderte jener, "ich muß mich über Eure Tochter beklagen! Ich hatte ein einziges Pferd, mit dem ich für mich, meine Frau und meine kleinen Kinder mein Brot verdiente. Sechzig Groschen hat es mich gekostet, und ich brachte auf ihm meine Waren in die Stadt. Das hat sie mir wegnehmen lassen. Gott strafe sie dafür!" Die Königin hatte Mitleid mit dem Bauern und ließ ihm hundert Groschen in die Hand drücken, wofür er ihr dankbar den Steigbügel küßte.

An einem Montage ritt die alte Königin in Paris ein. Pippin hörte es und brachte voll Freude seiner Gattin selbst die Nachricht. Als die Magd diese Botschaft hörte, wurde sie sehr bestürzt, doch stellte sie sich, als ob sie lache. Sogleich rief sie ihre Mutter und Tybert und fragte sie um Rat. "Ich rate," sagte die Alte, "daß meine Tochter sich krank stellt. Um nichts in der Welt darf sie ihr Bett verlassen. Können wir den Betrug solange durchführen, bis die alte Königin heimkehrt, so brauchen wir fürderhin nichts mehr zu fürchten." Der Rat wurde befolgt; sogleich wurde ein Lager hergerichtet, und die Magd legte sich nieder und stellte sich krank. Der König, den die angebliche Krankheit seiner Frau sehr bekümmerte, ging allein der alten Königin entgegen. "Was macht Bertha, meine Tochter?" war ihre erste Frage. "Ach, Herrin, sobald sie erfuhr, daß Ihr kämet, wurde ihr Herz von Freude so bewegt, daß sie sich niederlegen mußte, und seitdem ist sie nicht wieder aufgestanden. Aber wenn sie Euch erblickt, wird ihr gewiß sogleich besser werden." Als die Königin das Schloß betrat, warf sich Margiste ihr schmerzheuchelnd zu Füßen: "Margiste," sagte Blancheflur, "wo ist meine Tochter, ich will sie gleich sehen." "Herrin," jammerte das falsche Weib, "zum Unheil bin ich geboren! Eurer Tochter ist die Freude über Eure Ankunft so zu Herzen gegangen, daß sie ihr Bett nicht mehr verlassen kann. Laßt sie doch bis zum Abend ruhen!" Als Blancheflur nach dem Essen ihre Tochter aufsuchen wollte, stellte sich ihr die böse Alte mit ausgebreiteten Armen entgegen. "Sie ist gerade ein wenig eingeschlafen, um Gottes willen, kehrt wieder um!" Blancheflur wartete, bis ihre Tochter erwachen würde; unterdessen unterhielt sie sich mit der Alten und fragte sie nach Aliste. "Herrin," log das Weib, "sie starb auf dem Stuhle sitzend eines plötzlichen Todes, ich weiß nicht, welches Übel sie auf der rechten Brust hatte, ich glaube, sie wäre zuletzt noch aussätzig geworden. Ich ließ sie ganz im geheimen in der alten Kapelle bestatten." Endlich konnte sich Blancheflur nicht länger halten, sie befahl einer Jungfrau, sie mit einer Kerze ins Schlafzimmer der Königin zu begleiten, aber Tybert, der bei der Kranken Wache hielt, trieb das Mädchen sogleich mit Schlägen zurück: "Geh', Hündin, unsre Herrin will schlafen, sie kann durchaus kein Licht vertragen." Blancheflur trat im Dunkeln an das Bett der Magd. "Mutter, seid willkommen!" sagte diese mit so schwacher Stimme, daß man sie kaum verstand, und dann, auf eine Frage der Mutter nach ihrem Befinden: "Mutter, ich leide solchen Schmerz, daß ich weiß geworden bin wie Wachs. Die Ärzte sagen mir, daß die Helligkeit mein Leiden verschlimmern würde. Ich wage Euch daher nicht bei Licht zu begrüßen, so schmerzlich es mir auch ist. Aber nun laßt mich um Christi willen ruhen!" Blancheflur erhob sich kopfschüttelnd: "Bei Gott!" sagte sie, "das ist meine Tochter nicht, die ich hier vorgefunden habe. Wenn sie halbtot wäre, so hätte diese mich umarmt und geküßt." Dann rief sie ihr Gefolge und ließ trotz der Alten und Tyberts Widerstreben das Fenster öffnen und Licht bringen. Sie riß die Decken vom Bett herunter und betrachtete die Füße der Kranken: sie waren nur halb so groß wie die ihrer Tochter. "Verrat!" schrie sie, "Betrug! das ist meine Tochter nicht, es ist die Tochter der Margiste! Weh! Sie haben mir mein Kind getötet, meine Bertha, die mich so sehr liebte!" Als der König den Betrug erfuhr, ließ er die alte Hexe zum Feuertode führen, Tybert wurde von vier wilden Rossen totgeschleift, die falsche Braut wurde um ihrer Kinder willen geschont, doch mußte sie das Land verlassen.

Einst hatte sich König Pippin auf der Jagd im Walde von Le Mans verirrt, da traf er auf Bertha, die ihn in das Haus Simons führte. Pippin, der schon lange im Sinn hatte, sich wieder zu verheiraten, fand an Simons sittsamer Pflegetochter Gefallen und ersuchte sie, ihm nach Paris zu folgen, um seine Gattin zu werden. Bertha wies die Werbungen des Fremden dadurch ab, daß sie sich ihm als Pippins Gattin offenbarte. Der König gab sich nicht zu erkennen, sondern ritt, nachdem er sich nochmals überzeugt hatte, daß er auch wirklich Bertha vor sich habe, nach Paris zurück. Dann ließ er das ungarische Königspaar einladen und entbot auch Simon mit seiner Pflegetochter an seinen Hof, wo er sich ihnen als König zu erkennen gab. Ein großes Fest folgte dem freudigen Wiedersehen, der wackere Simon wurde zum Ritter geschlagen und auch Moraut, der Bertha das Leben gerettet hatte, erhielt reichen Lohn.

Parthonopeus und Meliur

König Chlodwig jagte einst mit seinem Neffen Parthonopeus im Ardennerwalde. Ein Eber floh vor dem Jüngling und lockte ihn immer tiefer in den Wald hinein. In der Irre tappend gelangte er schließlich zum Ufer des Meeres. Hier fand er eine herrlich geschmückte Barke liegen. Der Jüngling hoffte, auf diesem Schiffe an den Hof seines Oheims zurückkehren zu können oder doch zum wenigsten zu erfahren, wo er sei. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er keine lebendige Seele auf dem Schiff antraf. Er zog sein Roß hinter sich her, streckte sich ermüdet auf dem Deck aus und schlummerte ein. Als er die Augen wieder öffnete, war kein Land noch Wald mehr zu erblicken, nur Himmel und Wasser, und ein heftiger Wind schwellte die Segel. Lieber wäre Parthonopeus noch im Walde gewesen, denn die Gefahren des Landes sind geringer als die des Meeres. Als aber die Sonne aufging und er das Wunderwerk betrachtete, das ihn trug, wurde er ruhiger. Die ganze Ausrüstung der Barke war von Seide und ein strahlender Glanz durchfloß ihr Inneres. Schneller als der Hirsch vor dem Jagdhund flieht, glitt das Fahrzeug durch die Wellen und landete abends von selbst am Fuße eines Bergschlosses. Parthonopeus stieg aus und führte sein Reittier, das ebenso abgemagert war wie er selber, am Zaume nach.

Die hohen Mauern der Feste waren aus rotem und weißem Marmor erbaut, der schachbrettartig wechselte. Der Hafen war groß und tief, wohl hundert Schiffe hätte er gefaßt, rechts und links davon dehnte sich ein unbebauter Sandplatz aus. Durch einen hohen und breiten Turm, der so weiß war wie Elfenbein, betrat der Jüngling die Stadt. Eine Straße, zu deren Seiten marmorne Paläste mit goldenen Dächern in der Sonne glänzten, führte zum Schloß hinauf. Parthonopeus glaubte zu träumen, bald dünkte ihn das alles ein Trug der Hölle, bald vermeinte er im Paradiese zu wandeln, nur sein knurrender Magen mahnte ihn an die Wirklichkeit. Unter dem Schirmdach des Schloßtores war ein Mosaik aus Gold, das Sonne, Mond und Sterne und die Heldentaten der Alten darstellte. Weit öffneten sich die Tore des Palastes und Parthonopeus durchschritt eine Anzahl prächtiger Säle, bis er in einen gelangte, in welchem ein reiches Mahl gedeckt worden war. Große Kerzen brannten im Saale, Messer, Löffel, Becher und Gold- und Silberschalen standen auf der Tafel, aber in der ganzen Stadt war kein lebendes Wesen zu erblicken, kein Ritter und keine Dame saß am Tisch, keine Harfe und keine Geige ließ ihre Saiten erklingen. Der Hunger nötigte den Jüngling, daß er beschloß, von den bereitstehenden Speisen zu kosten. Sogleich bot ihm eine unsichtbare Hand ein Becken mit Wasser und eine andere ein Handtuch dar, und als er sich die Hände gewaschen hatte, setzte er sich auf den Ehrensitz der Tafel, denn inmitten des höllischen Spuks und Blendwerks blieb er sich bewußt, daß er aus königlichem Stamme geboren sei. Von selbst stellten sich die Schüsseln vor ihn, und wenn er von einem Gerichte genommen hatte, wurden die Platten wieder von ebenso unsichtbaren Händen abgetragen. Feenhafte Schenken gossen roten Wein in goldene Schalen, mit welchen sie den Becher des Jünglings füllten, der aus einem einzigen Safir bestand, den ein funkelnder Rubin bedeckte. Nach dem Mahle wurden ihm wieder Wasserbecken und Tücher gereicht und dann ein Würzwein aufgetischt. Parthonopeus fühlte den Schlaf nahen und trat zum Ausgang des Saales. Sogleich erschienen zwei brennende Kerzen, die ihn zu einem reichgeschmückten Lager führten. Die Decke war aus dem Pelze eines Salamanders gefertigt, der nur im Feuer leben kann, und der Teppich vor dem Bette bestand aus Federn des Vogels Phönix, das ganze Gemach aber war mit Porphyr eingelegt. Parthonopeus setzte sich in einen Lehnstuhl, um sich die goldenen Sporen abzunehmen, aber schon war ihm eine dienende Hand zuvorgekommen, die ihn entkleidete.

Kaum hatte er sich in die Decke gehüllt, als alle Kerzen erloschen und das Gemach so dunkel wurde, wie es zuvor in Helle gestrahlt hatte. Den Jüngling lähmte ein unbeschreibliches Grauen, aber er konnte nicht schlafen. Mit einem Male kam ein Mensch ans Bett, Schritt vor Schritt, leise, leise. Parthonopeus fürchtete, es möge der Böse selber sein, aber es war eine Jungfrau, welche die Bettdecke lüpfte und sich neben ihn legte. Er hielt sich ganz ruhig und drückte sich zur Seite, aber auf einmal berührte ihn das Fräulein mit dem Fuße und rief: "Wie? Wer bist du? Bin ich betrogen? Mein ist dies Reich, wie wagtest du, ohne meine Erlaubnis deinen Fuß in meinen Palast zu setzen und dich obendrein in mein Bett zu legen?" Der Jüngling erzählte, durch welche seltsame Reihe von Abenteuern er hierher gekommen sei und entschuldigte sich damit, daß er niemanden gesehen habe, den er um Erlaubnis hätte fragen können. "Frau," bat er, "habt Erbarmen mit mir! Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, wenn Ihr mich verstoßt. Ich bin Euer Gefangener, Frau, beschließt über mein Leben oder meinen Tod!" Sie aber bestand darauf, daß er gehen solle und drohte, ihre Ritter zu rufen. "Frau," flehte er wieder, "ich kann nicht mehr gehen, ich bin zu müde. Macht mit mir, was Ihr wollt, wenn Ihr Euch meiner nicht erbarmen mögt." Er seufzte tief auf und erwartete den Tod. Als die Jungfrau ihn so stöhnen hörte, begann ihr das Herz zu zittern, Mitleid erfaßte sie mit dem jungen Manne, den sie so geschmäht hatte, fast hätte sie ihn um Verzeihung gebeten, und sie bereute unter Tränen ihre harten Worte. So machen es die Frauen. So kam es, daß ihr Widerstreben schwächer und schwächer wurde, während der Jüngling sie an sich zog. Er nahm ihr die Blüte der Jungfrauschaft; Blüten nahm er und gab Blüten, denn nie hatte er bisher ein Weib berührt.

Nun enthüllte ihm die Fee, die sich Meliur nannte, daß sie ihn schon zuvor gekannt und geliebt habe und daß sie es gewesen sei, die dem König den Gedanken zur Jagd eingegeben, den Eber aufgescheucht, das Schiff geschickt und ihn durch ihre Geister bewirtet habe. Parthonopeus dankte der Fee und versicherte sie seiner Liebe: "So sehr liebe ich Euch," sagte er, "daß alles andere für mich versunken ist. Nur eines fehlt mir noch: ich habe Eure Reize gefühlt, nun möchte ich Euch auch sehen." "Süßer Freund," entgegnete die Frau, "jede Nacht dürft Ihr meine Gunst genießen, aber sehen dürft Ihr mich nicht. Ich will nicht eher erblickt werden, als bis die Stunde gekommen ist, die ich meinen Baronen zur Wahl meines Gatten bestimmt habe. Dritthalb Jahre müssen bis dahin noch verstreichen. Bis dahin gehört alles Euch: Hunde und Falken und schöne Rosse, die wildreichen Wälder und die Ströme voll von Fischen, Speisen und Kleider, die Stadt und das Schloß und ich selbst. Aber Ihr dürft mit niemandem reden als mit mir allein bis zu dem Tage, da mich mit Einwilligung all meiner Könige Parthonopeus von Blois zur Gattin erhalten soll. Denn erst dann, süßer Freund, könnt Ihr Ritter werden, nie würden meine Vasallen einen Knappen als Herrn anerkennen. Solltet Ihr aber versuchen, mich vorher mit List zu erblicken, so werden Tränen und Unglück die Folge sein." "Welche Gründe Euch auch zu diesem Gebote treiben, ich achte sie und unterwerfe mich," entgegnete Parthonopeus, "da ich Eurer Liebe gewiß bin; was fehlt mir noch zu meinem Glück?"