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Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Der erste Abend. König Radbod und der Bauer. Die endlose Geschichte. Durch's Rinket1. Die unverhoffte Gabe. Hühnchen und Hahn. Lubbert und Saepk. Der Student. Der Großvater und sein Enkel. Klein Ehlke und Groß Ehlke Die alte Frau und das Schwein. Die Unterirdischen. So müßt ihr blasen Was er gesucht hat Kühe sind teurer als Frauen Was der Kiebitz rief Mit Brille lesen Doktor Martin Luther Die Fälinger wollen einen ostfriesischen Turm umstürzen Wie sie einen Holzblock transportierten Die Fälinger wollen Licht in ihr Rathaus tragen Die Fälinger wollen einen Balken in ein Haus tragen Wie die Fälinger ihre Kirche verschoben haben Die Fälinger graben einen Brunnen Die Fälinger und der Maushund Das Ei vom Pferd Der Basilisk Der unbekannte Feind Hängen spielen Die Flintenmahlzeit Meyer auf dem Ziegenhandel Die unheimliche Begegnung Der Wolf will sich einen Wintervorrat anlegen Eine ordentliche Mahlzeit
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Märchen aus Friesland
Inhalt:
Geschichte des Märchens
Märchen aus Friesland
Der erste Abend.
König Radbod und der Bauer.
Die endlose Geschichte.
Durch's Rinket1.
Die unverhoffte Gabe.
Hühnchen und Hahn.
Lubbert und Saepk.
Der Student.
Der Großvater und sein Enkel.
Klein Ehlke und Groß Ehlke
Die alte Frau und das Schwein.
Die Unterirdischen.
So müßt ihr blasen
Was er gesucht hat
Kühe sind teurer als Frauen
Was der Kiebitz rief
Mit Brille lesen
Doktor Martin Luther
Die Fälinger wollen einen ostfriesischen Turm umstürzen
Wie sie einen Holzblock transportierten
Die Fälinger wollen Licht in ihr Rathaus tragen
Die Fälinger wollen einen Balken in ein Haus tragen
Wie die Fälinger ihre Kirche verschoben haben
Die Fälinger graben einen Brunnen
Die Fälinger und der Maushund
Das Ei vom Pferd
Der Basilisk
Der unbekannte Feind
Hängen spielen
Die Flintenmahlzeit
Meyer auf dem Ziegenhandel
Die unheimliche Begegnung
Der Wolf will sich einen Wintervorrat anlegen
Eine ordentliche Mahlzeit
Märchen aus Friesland
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
In den Weihnachtstagen hatte Saske ihre Bruderkinder, zwei Söhne und vier Töchter, von Aldega herübergeladen, welche auch kamen, denn es war schönes Eis. Des Mittwochs sollte zu Frentjer ein Wettlauf um ein Messer mit silbernem Heft sein, und der ganze Trupp von jungen Leuten mit Rommert an der Spize wollte dahin, allein des Vormittags launte das Wetter mit Stille und bedeckter Luft so etwas hin und her. "Ich weiß nicht, sprach Pibe, ich habe schwachen Muth dazu. Es war gestern ein Hof um die Sonne, und es hat mich diese Nacht im Kreuz gestochen, ich denke, heute gibt's eine tüchtige Masse Schnee." – "Nein doch, Onkelchen, sagte eine von den Nichten, es beginnt zu blinken, und eben kamen schon Ecken und Oeffnungen in der Luft." Aber ein wenig vor zwölf fing es an zu prasseln, und während sie beim Essen saßen, schlug's mit einem Ostwinde, welcher stark durchkam, heftig an die Weide, man konnte nicht aus den Augen sehen. Die Mädchen, die das Gekribbel im Leibe hatten nach Frentjer hin, riefen schon: "Es wird auf der Stelle wol besser werden." Jedoch anstatt sich zu bessern, ward das Wetter immer schlimmer, und der Tag ward für sie alle ein Zuhausebleiber, denn ein Bauer würde seinen Hund nicht ausgejagt haben.
Es war kalt, und der Frost fuhr mit dem harten Winde gegen die Häuser an, daß sie Abends hübsch dicht an den Heerd krochen. Als sie des Dambrettspiels satt waren und sich ganz und gar leer geplaudert hatten, sagte eines von den Kindern, sie müßten nur 'mal Sagen und Histörchen erzählen. Das würde auch sogleich vor sich gegangen sein, aber grade traten zwei Fremde von Pfarrers ins Zimmer, die auch nach Frentjer gewesen sein würden, und jezt auf den Geruch von den hübschen Frauenzimmern zu Pibens kamen. Es waren beide Studenten von Grins, der eine ein Neffe des Pfarrers, und der andre, sein Gefährte, der Sohn eines Teufelbanners, der's sagte so wie die Welt gewachsen wäre. Diese beiden nahmen am Erzählen mit Theil, "aber wo kein Krieg ist, ist keine Ehre, sagte Pfarrers Neffe, wer das schönste Teltje1 erzählt, soll aus den Mädchen die Wahl haben, mit welcher er diese Nacht freien will." Das war fertig. Mutter Saske sezte eine zinnerne Kanne mit Bauerkaffe am einen Ende vom Efterunsblok auf dem Heerd nieder, und Gabe warf etwas taubes Gestrüpp auf's Feuer, welches tüchtig sprüzte und knackte, während der Sohn des Teufelbanners folgendes Histörchen begann.
Im Jahre dreizehn hundert drei und vierzig gingen zwei Bürger von Dockum mit Rouke Lefferts, einem Bauer von der Geest, auf eine Pilgrimsreise nach Rom. Weil die Wirthshäuser damals so nicht im Schwange waren, gingen sie mit einem Schnapsack auf dem Rücken, einem langen Stab, worauf ein dicker runder Knopf saß, in der Hand, und einigen alten Schillingen in der Tasche, nach Italien hin. Traf es sich so, daß die bei Abendzeit zu einem Kloster oder Schloß kamen, dann hatten sie Obdach, Feuer und Wasser frei, und da soden und brieten sie denn, was ihr Ranzen oder die Zeit sagte. War aber kein Kloster oder Schloß in der Umgegend vorhanden, dann schliefen sie wie Adam und Eva unter der Luft, und während die Blätter der Bäume ihnen zu Vorhängen dienten, war der Grund mit Gras ihr Bette. Noch einen halben Tag waren sie von Rom entfernt, als es mit dem Proviant nicht am besten begann auszusehen. Ihr Mehl war so nahe auf, daß keiner von dem Knöllchen, das er übrig hatte, einen Kuchen mehr für sich selbst backen konnte, und unglücklicherweise waren sie an einem Ort benachtet2, wo weder Schloß noch Kloster nah und fern zu sehen war. Wie sollte das des folgenden Morgens gehen? Denn der Magen begann sie nun schon zu quälen, und wenn sie einen halben Tag weiter wären, würde es nicht besser sein. Gleichwie der Hunger nun ein scharfes Schwerd ist, und die Menschen gewaltig achtsam macht, so war es auch mit den beiden Dockummern. Sie raunten einander ins Ohr: "Sollten wir nicht etwas ersinnen können, um Rouke's Mehl in unsern Magen zu kriegen? Solch' 'nen Bauer können wir Städter leicht anführen, und vornemlich diesen Geestmann, er ist so einfältig, daß ein Knabe ihn begaukeln kann." Ei ja, versteht sich! sagte der andre, das ist nichts. Den Bauer werden wir mit uns beiden wol hinter's Licht führen.
Sogleich stand einer von ihnen auf und begann seine zwei Kameraden mit diesen Worten anzureden. "Freunde! mit uns sieht es böse aus. Denn das Restchen Mehl, welches jeder von uns übrig behalten hat, ist so wenig, daß es ihm für den Hunger nichts nüzen kann, wenn aber alle drei Antheile zusammen kämen, würde es einem allein noch ein Endchen Darm füllen können, darum scheint es mir nicht übel zu sein, wenn wir es alles in Eine Hand brächten. Jedoch für kein Klostervoll Schillinge würde ich einen Bissen in den Mund stecken, der mir nicht fromm und ehrlich zukäme, und darum will ich's auf den lieben Gott hin geben. Wir gehen nun bei und legen uns schlafen, und wem er den schönsten Traum zusendet, der soll alles haben." "Meisterhaft, Mann!" sagte der andre Dockummer, wie wenn's sich von selbst verstünde, und obgleich der Bauer ein schlimmer und verschmizter Kerl war, der die beiden Dockummer bald weg hatte, gab er dennoch ebenfalls nach, und that, als würde er sich willig in dieser Falle einfangen lassen. Sie thaten denn ihre drei Portionen Mehl sofort bei einander, und nachdem sie es ein wenig gedrückt und geknetet hatten, legten sie den Teig auf glühende Steine, und bedeckten die ganze Masse unter heißer Asche, da könnte es hübsch gar backen, während sie das Fell über den Augen hätten. Die Dockummer argwöhnten eben so wenig einen Spizbubenstreich von dem Geestbauer, als die Stunde ihres Todes, daß er solcher Dinge fähig wäre, kam nicht einmal in ihnen auf. Darum legten sie das Haupt geruhig nieder, und so matt wie eine Made von dem Laufen, fielen sie plözlich in Schlaf. Aber der Bauer, der von dem Fasten schlaff geworden, lauerte auf diesen Augenblick. Er stand sachte von seinem Lager auf, wedelte die Asche mit seiner Schlafmüze weg und aß den ganzen Kuchen mit Rumpf und Sumpf auf. Da er die Masse bei sich gesteckt hatte, konnte er das Hohnlächeln doch nicht lassen, und während er die gescheuten Dockummer so süß mit den Schweißtropfen auf der Nase schnarchen sah, sprach er leise bei sich selbst: "Nun denn, ihr guten Menschen! Jezt ist Roukchen geruhig. Jezt werdet ihr den Magen nicht überladen. Solch ein teigiger Kuchen wäre auch sicher schon zu trocken, und Roukchen konnte den Brief ganz hübsch allein lesen. Wie steht ihr morgenfrüh nun frisch auf! Gute Nacht, ihr besten Leute! Gute Nacht!" Und im Nu legte er sich wieder schlafen.
Sobald als die Sonne aus dem Nest war, ward einer von den Bürgern wach, und als er seine beiden Gefährten gerufen hatte, begann er Folgendes zu erzählen. "Freunde, höret! Ich werde euch meinen Traum erzählen. Ich stand eines Abends beim Fetse-Put zu Dockum, als zwei Engeln mit Flügeln aus der Luft dort niederschwebten, und mich, grade wie zwei Adler einen thun, in die Luft aufnahmen. In diesem Fluge ward es mir grün und blau vor den Augen, die Luft heulte mir an den Ohren hin wie der Sturmwind, der durch die Taue eines Schiffs pfeifet, und die Haare wehten uns wie Strahlen hintenaus, mit einer Gewalt, als wenn sie aus dem Kopf herausgezupft würden. Der eine Engel streifte die Haut von den Fingerspizen an bis zum Ellenbogen auf, so ungeheuer war der Schwung. Als wir so vier und dreißig Wochen geflogen waren, kamen wir an die Himmelspforte, wo der andre Engel einen goldnen Schlüssel aus der Tasche nahm und die Thür öffnete. Aber was ich da sah, davon ist das Ende verloren! Und hätte ich ein Tintenfaß so groß wie die spanische See, und eine Feder so lang als von Dockum bis nach Rom hin, würde ich's noch nicht beschreiben können. Die Straßen und Mauern flimmerten alle insgesammt von Gold und Diamanten, daß es einem die Augen blendete. Einen Menschenkörper habe ich nicht Einen gesehen, aber wol Millionen Seelen, und die waren so fein, so fein, daß davon eilfthausend auf einer Nadelspize tanzen konnten."
Der Mann erzählte noch wol halb mal so viel Mirakeln vom Himmel mehr, welche wir aber nur überschlagen werden. Als er fertig war, hub der andre Dockummer an, seinen Traum zu erzählen.
"Es thut sich seltsam, [so begann er,] du hast geträumt, daß du im Himmel wärest, und ich in der Hölle. Eines Abends begegneten mir in den Keppels ein Paar Leute, grade als wären es Schmidegesellen, die mich bei der Hand nahmen und in Einem Umblick an den Feuerpfuhl von Starum3 rückten. Darin sanken wir so schnell wie ein Bliz hinunter, und als wir unten gekommen waren, stand ich mitten in einem magern Felde, wo nichts andres wuchs und keimte, als Moorgras und Binsen. Eine ganze Zeit waren wir darin herumgetappt, als wir an einem steilen Berg aufklettern mußten, und sobald waren wir auf einen oder vier Tritte nach dem Gipfel gekommen, als einer von den schwarzen Leuten sagte: ›Vorsichtig! Hier sind wir am Höllenrande!‹ Das war das erste und lezte Wort, das ich von ihnen hörte. Ich kroch auf der Stelle auf den Knieen nach dem äußersten Säumchen hinaus, und während ich mich recht fest auf den Händen stüzte, sah ich mit einem langausgereckten Storchhals über den Rand in eine Meer von Feuer hinab. Es grunzte und sprizte da, es knitterte und wühlte, es schäumte und brauste, grade wie ein Braukessel, der im Uebersieden ist. Ich erschrak und wich zurück, so bang wie ein Wieselchen. Aber meine schwarzen Kameraden banden mir augenblicklich zwei Flügeln an den Armen fest, und flogen mit mir über der brennenden Hölle. Da wedelte ich mit den Flügeln, und grade wie eine Mewe, die einem Fischlein auflauert, und unverrückt auf Einem Fleck in der Luft über dem Wasser steht und flattert, stand ich unbeweglich fest über der großen Höllentiefe. Aber, Menschen, wenn ich denke, was ich da sah, dann graut es mir dermaßen, daß die Fingerendhaut mir noch auf die Arme kommt. Ich hörte die schweren Blasbälge, die das Feuer der Hölle anbliesen, röcheln und schmauchen. Die Hize dampfte von Zeit zu Zeit mit dickem Qualm-Gewall enger Bedrücktheit nach oben, so daß ich fast schweimelte, und die glühende Lohe flog mir manchmal mit Millionen Funken um die Ohren, daß mir das Haar vom Kopf gesegnet ward. Da mordete man, da fluchte und verdammte man, da flogen ganze Scharen von Teufeln auf und nieder, jede mit einem Trupp Menschenschmeichler hinter sich, die sie zu Hauswursten brauchten."