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Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.
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Seitenzahl: 617
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Märchen aus Siebenbürgen
Inhalt:
Geschichte des Märchens
1. Die beiden Goldkinder
2. Die drei Rotbärte
3. Der gerechte Lohn
4. Das wohlfeile Holz
5. Die Schwanenfrau
6. Der seltsame Vogel
7. Der goldne Vogel
8. Das Hirsekorn
9. Die Hälfte von allem
10. Das Zauberroß
11. Goldhaar
12. Unser Herrgott und der Kirchenvater
13. Der Federkönig
14. Der Erzzauberer und sein Diener
15. Lohn und Strafe
16. Der Wunderbaum
17. Der Eisenhans
18. Der starke Hans
19. Der Zigeuner und die drei Teufel
20. Der tausendfleckige, starke Wila
21. Der Knabe und die Schlange
22. Die Königstochter in der Flammenburg
23. Der Hünentöter
24. Das Rosenmädchen
25. Die beiden Geschwister und die drei Hunde
26. Der gute Peter und seine falschen Brüder
27. Der Königssohn und die Teufelstochter
28. Der listige Schulmeister und der Teufel
29. Des Teufels Hilfe
30. Die beiden Fleischhauer in der Hölle
31. Die Erlösung
32. Die dunkle Welt
33. Der Erbsenfinder
34. Von den zwölf Brüdern, die zwölf Schwestern zu Frauen suchen
35. Die beiden Mädchen und die Hexe
36. Das Zauberhorn
37. Die drei Brüder und der Hüne
38. Die drei Schwestern bei dem Menschenfresser
39. Von der Königstochter, die aus ihrem Schlosse alles in ihrem Reiche sah
40. Die Geschenke der Schönen
41. Die versteckte Königstochter
42. Verstand und Glück
43. Der Rohrstengel
44. Das Borstenkind
45. Der Hahn des Nachbars und die Henne der Nachbarin
46. Der Burghüter und seine kluge Tochter
47. Der Aschenputtel wird König
48. Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand
49. Der Kreuzträger
50. Die beiden Prahler und der Bescheidene
51. Der lateinische Junge
52. Der mißratene Gelehrte
53. Die drei schweigsamen Spinnerinnen
54. Der König und die beiden Mädchen
55. Die Geschenke der beiden Liebhaber
56. Wä en Mēd är zwīn Kniëcht kennnnelīrt
57. Die beiden Lügner
58. Lügenwette
59. Die drei lustigen Brüder
60. Der lose Knecht
61. Die tauben Hirten
62. Der Mann mit dem Zaubervogel
63. Der dumme Hans
64. Der siebenmal Getötete
65. Die törichte Liese
66. Der törichte Hans
67. Hans und Jagerle
68. Wie soll ich denn sagen?
69. Suche nur, es gibt noch Dümmere
70. Die faule Kathrin
71. Die Frau ohne Hemd
72. Die Mär vom roten Hahn
73. Vom alten Bauern, der hinter den Ofen ackern fuhr
74. Die Mär von den fünf Zehen
75. Die Mär von den fünf Fingern
76. Die Büffelkuh und das Fischlein
77. Tod des Hühnchens
78. Begräbnis des Hühnchens
79. Die Reise des Enteleins
80. Von dem Jungen, der immer schnupperte
81. Die kluge Meise und der Fuchs
82. Vom Kater Mitzpuf
83. Die Geiß mit ihren zehn Zicklein und der Bär
84. Der Fuchs und der Bär
85. Der Wolf und die alte Geiß
86. Der Wolf und das Menschenkind
87. Der Wolf als König, der Fuchs sein Minister
88. Der Bauer, der Bär und der Fuchs
89. Der Zigeuner, der Wolf, der Fuchs und der Esel in der Wolfsgrube
90. Der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Hase auf dem Medwischer Margrethi
91. Der Bär, der Wolf und der Fuchs
92. Die Füchse, der Wolf und der Bär
93. Der Johannistag der Wölfe
94. Der Wolf und der Fuchs beim Kürschner in der Beize
95. Der Fuchs verschafft dem Wolf das Fleisch von zwei Schweinen aus des Buschwirten Kammer
96. Der Wolf überredet den Wolf, über den Köhlerbrunnen zu springen
97. Der Fuchs führt den Wolf in die Schafmeierei
98. Der Fuchs überredet den Wolf, ins verlassene Räuberhaus zu gehen
99. Der Fuchs betrügt den Bauern um die Fische, der Wolf frißt sie
100. Der Fuchs und der Wolf im Dorfbrunnen
101. Der Fuchs lehrt den Wolf fischen
102. Der Fuchs macht dem Wolf einen Zagel aus Hanf und Pech
103. Der Fuchs und der Wolf gehen durchs Feuer
104. Der Fuchs und der Wolf auf der Bauernhochzeit
105. Der Wolf und die zwei Bauern
106. Der Wolf und die Stute
107. Der Wolf und die beiden Böcke
108. Der Wolf und die Sau mit den zwölf Ferkeln
109. Der Wolf und die Geiß mit ihren zehn Zicklein
110. Der Wolf kehrt heim in sein Waldhaus und wird ein Büßer
111. Der Fuchs heilt des Raben Kinder von der Krätze
112. Der Fuchs und die Schnecke
113. Der Fuchs überlistet den Haushahn
114. Der Fuchs wird von den Gänsen überlistet
115. Der Fuchs macht den Hasen zu seinem Leibeigenen
116. Der Fuchs und der Igel
117. Der Fuchs verliert seinen Pelz und bereut dabei seine Sünden
118. Der Fuchs hängt geschunden am Baum und wird vom Hasen geneckt
119. Der Fuchs wird durch einen Sturmwind vom Baume los
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Märchen aus Siebenbürgen
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849602703
www.jazzybee-verlag.de
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Vor vielen, vielen Jahren geschah es einmal, daß zwei Mägde im Feld nicht weit von der Landstraße arbeiteten. Die eine rupfte Hanf, die andere schnitt Korn; sie sprachen aber miteinander von mancherlei und waren lustig und guter Dinge. Nur einmal kam auf einem stattlichen Roß der junge König herangeritten. Die Mägde ließen von ihrer Arbeit, standen und staunten. Als der König ganz nahe war, grüßte er die Jungfern freundlich, und da rief die jüngere gleich der ältern: »Wenn mich der König zum Weibe nähme, würde ich ihn und seinen ganzen Hof mit meinem Hanf bekleiden!«
»Und ich«, sagte die ältere, »würde, wenn er mich zu seiner Köchin machte, ihn und sein ganzes Haus mit meinem Korn ernähren!«
Diese Reden hatte der hohe Herrscher gehört, und da sie ihm wohlgefielen, schickte er am folgenden Tage nach den beiden Mägden und wählte sich die jüngere zu seiner Gemahlin, die ältere aber machte er zu seiner Oberköchin und gab ihr die Aufsicht über alle Bäcker und Köche des Reiches. Anfangs fühlten sich beide Mägde sehr glücklich, bald aber erwachte in der älteren der gelbe Neid: sie wäre selbst gerne in der Stelle ihrer jüngern Freundin gewesen. Darum erdachte sie bei sich einen Plan, wie sie dieselbe verderben sollte. Sie stellte sich gegen die junge Königin sehr untertänig und treu, und diese in ihrem arglosen Herzen liebte sie wie zuvor, als sie noch Gespielinnen waren. Nun kam aber die Zeit, daß die junge Königin gebären sollte. Die Köchin hatte unter gutem Vorwande alle Leute aus der Nähe entfernt. Die Königin gebar zwei wunderliebliche Kinder, einen Knaben und ein Mädchen mit goldenen Haaren. Die arge Köchin nahm nun diese schnell, ohne daß es die kranke Königin merken konnte, eilte mit ihnen in den Hof und begrub sie in den Mist, lief dann wieder hinein und legte ein Hündchen und ein Kätzchen an die Stelle der Kinder und setzte sich neben das Bett.
Bald darauf bat die Königin ihre Freundin, sie möchte ihr die Kinder zeigen.
Da fing diese an zu jammern und zu klagen: »O Gott, wünsche dir das nicht. Es ist ein großes Unglück geschehen.« Damit stand sie auf und lief wehklagend hinaus und erzählte es den Hofleuten, und diese erzählten es weiter, und bald kam es an den König. Als dieser hörte, daß sein Weib einen Hund und eine Katze geboren hätte, ward er sehr zornig und ließ gleich die beiden Tiere ersäufen und sein Weib lebendig begraben. Nicht lange darnach heiratete er die Köchin. Aus dem Mist aber, worin die beiden Kinder begraben worden, wuchsen zwei goldene Tannenbäumchen hervor, so schön, daß es eine Lust war, sie anzuschauen, und der König besonders hatte große Freude daran. Doch der Königin pochte immer das Herz, wenn sie die Bäumchen sah, und am Ende konnte sie ihren Anblick nicht mehr ertragen; sie stellte sich daher krank und sprach zum König: sie könne nicht eher genesen, bis sie nicht auf Brettern ruhe, die aus den beiden Tannenbäumchen gemacht worden. So leid es dem König um die Bäumchen tat, so ließ er es doch geschehen, daß man sie fällte und daraus zwei Bretter für das königliche Ehebett machte. In der Nacht aber, als der König und die Königin zuerst darauf ruhten, fingen beide Bretter nur einmal an zu reden: »Brüderchen«, sprach das eine, »wie drückt es mich so schwer, auf mir liegt die böse Stiefmutter!«
»Schwesterchen«, sagte das andere, »wie ist mir so leicht, auf mir liegt der gute Vater!« Der König schlief fest und hörte nichts. Die Königin jedoch hatte alles wohl vernommen und war voller Unruhe die ganze Nacht.
Als es Tag wurde und der König erwachte, sprach sie: »Ach lieber Mann, die Bretter taugen gar nichts, mein Übel ist nur ärger geworden, laß uns sie verbrennen!« Der König widerredete nicht, denn er wünschte ja, sein Weib solle gesund werden. Alsbald wurde der Ofen geheizt, und als die Glut groß genug war, ließ die Königin die zwei Bretter hineinwerfen, und sie sah zu, wie sie verbrannten. Zwei kleine Funken aber waren herausgesprungen und in die Gerste gefallen, das hatte die Königin nicht bemerkt. Bald darauf trug die Magd die Gerste den Schafen, und ein Mutterschaf aß die beiden Funken mit, und nach einiger Zeit brachte es zwei Lämmlein mit goldener Wolle zu Welt. Der König hatte große Freude darüber, aber die Königin stach der erste Anblick derselben so ins Herz, daß sie gleich krank wurde. Man verordnete ihr allerlei, allein sie konnte nicht gesund werden. Da sagte sie endlich, wenn sie die Herzen der beiden Lämmlein äße, müßte ihr das wohl helfen. Was sollte der König tun. Er mußte zulassen, daß sie geschlachtet wurden. Die Herzen briet man und brachte sie der Königin. Die Gedärme aber wurden in den Fluß geworfen; zwei Stücke nun wurden weithin vom Wasser fortgeführt und endlich ans Ufer ausgeworfen. Hier wurden daraus wieder die zwei Kinder mit den goldenen Haaren und waren gleich so groß, als wären sie seit ihrer Geburt immer gewachsen. Nur blieben sie nackt, denn noch keine Mutter hatte ihnen ja ein Hemdchen angelegt. Sie waren aber so lieblich und schön, daß die Sonne auf ihrem Tagesgange stehenblieb, sich nicht sattsehen konnte und sieben Tage lang nicht unterging.
Da es nun so lange nicht Nacht werden wollte, so wunderte sich des unser Herrgott und dachte: »Das hast du doch nicht also geordnet!« Er kam daher zur Sonne und fragte sie, warum sie so lange am Himmel verweile und nicht untergehe. Da zeigte sie ihm unten auf der Erde die beiden schönen Kinder, wie sie an dem Flusse spielten. Unser Herrgott war entzückt und gerührt bei dem Anblick der Kleinen, welche so mutterseelenallein und nackt waren, und sprach: »Ich will mich ihrer annehmen.« Da stieg er auf die Erde als ein alter guter Mann, und die Kinder liefen, sobald sie ihn sahen, gleich zu ihm und waren froh. Da gab er jedem ein Hemdchen und ein goldenes Hämmerchen und sprach: »Gehet nur immer auf der Straße fort, da werdet ihr in die große Stadt kommen; klopfet an die Türen an, und wo man euch aufmacht, da tretet ein. Wenn nun ein freundlicher Mann euch fragt, wer ihr seid, so erzählt ihm dieses Märchen.« Nun erzählte ihnen unser Herrgott ihre ganze Lebensgeschichte, entfernte sich dann und stieg wieder in seinen Himmel hinauf. Die Kleinen aber wandelten fort und kamen endlich in die große Stadt; sie klopften an viele Türen, aber keine wurden ihnen aufgetan; zuletzt kamen sie auch an den Palast des Königs. So wie sie hier anklopften, öffneten sich gleich von selbst die großen Flügeltüren. Sie traten ein, und es saß der König gerade in tiefem Nachdenken und härmte sich, daß er keine Kinder hatte; indem fiel sein Blick auf die kleinen himmlisch-schönen Kinder mit den goldenen Haaren. »Kommt her«, rief er, »was für ein Engel hat euch zu mir gesendet? Erzählet mir's!« Die Kleinen gingen hin, setzten sich ihm vertraulich auf die beiden Knie und liebkosten ihn. Der Knabe fing darauf an zu erzählen, wie ihn unser Herrgott gelehrt hatte, und wenn er etwas ausließ oder nicht gut erzählte, verbesserte ihn sein Schwesterchen.
»Gott, o Gott!« seufzte der König, als die Erzählung zu Ende war, und in dem Augenblicke trat auch die Königin ein. Als sie die Kinder erblickte, erfaßte sie ein grausiges Entsetzen; sie kehrte um, schlug die Türe hinter sich zu und lief wie wahnsinnig fort. Die Kinder aber saßen dem König auf dem Schoße ruhig und voller Unschuld und wußten nicht, warum er so schwer geseufzt und die Frau so entsetzlich sie angesehen hatte.
Endlich sagte er: »O ihr meine lieben Kinder, das ist kein Märchen, das euch der alte Mann erzählt hat, sondern euere und meine wahrhaftige Geschichte.
Der alte gute Mann aber ist der liebe Gott, der alles so wunderbarlich geleitet und nun offenbart hat. Wehe, wehe der bösen Königin!« Damit ging er hinaus und gab Befehl, daß man sein Weib sogleich lebendig begraben solle.
Aber man konnte sie lange nicht finden. Endlich traf man sie am Ufer des Flusses, wie sie sich die Haare zerraufte. Sie hatte sich erhängen wollen, allein der Strick war zerrissen, darauf hatte sie sich ins Wasser gestürzt, allein der Fluß hatte sie wieder herausgeworfen. Nun wurde sie ergriffen und lebendig verscharrt. Die Erde behielt sie nun und bedeckte ihre große Sünde mit.
Der König aber schickte nun sogleich in das Land der sieben Zwerge um Wasser des Lebens, ließ seine echte Gemahlin ausgraben und machte sie lebendig. Beide lebten nun froh und vergnügt und hatten große Freude an ihren Kindern. Der Knabe wurde ein stattlicher Jüngling und Nachfolger im Reiche seines Vaters, das Mädchen eine wunderschöne Prinzessin. Ach, die war so schön, so schön, daß es nicht zu beschreiben ist; ich will nur dieses sagen: wenn sie ausging, neigten sich alle Blumen vor ihr demütig, und alle jungen Kaiser und Könige warben um ihre Hand. Da sie aber gelobt hatte, nur den zu heiraten, der das beste Herz habe, so nahm sie zuletzt einen armen Kohlenbrenner, denn damals hatte der das beste Herz in der Christenheit.
Auch du hättest sie wahrlich gerne bekommen;
Allein, dich hätte sie nicht genommen!
Ein armer Mann rief eines Tages seine drei Söhne vor sich und sprach: »Ihr seht, daß ich nicht mehr imstande bin, euch zu erhalten. Zieht in die Fremde und sucht euch das tägliche Brot zu verdienen!«
»Ja, lieber Vater«, sagten sie, »wir wollen Euch nicht länger zur Last fallen, wir wollen dienen gehen und so auch für Euch sorgen!« Damit nahmen sie ihre Sachen zusammen und machten sich des andern Tages auf den Weg. Da traf es sich, daß sie durch einen Wald gingen, und es begegnete ihnen ein alter Mann in einem grauen Mantel, der fragte sie freundlich: »Wohin zieht ihr, meine Kinder?«
»Wir wollen dienen gehen, guter Mann, denn unser Vater ist nicht mehr imstande, uns zu ernähren, und so können wir auch für ihn sorgen!«
»Das ist ja recht schön, hütet euch nur vor den Rotbärtigen. Denn mit denen ist es nicht ganz richtig!«
»Wir wollen's behalten!« sprachen sie und gingen weiter.
Es währte nicht lange, so begegneten ihnen drei Rotbärte, und diese fragten die drei Burschen, was sie denn vorhätten. »Wir suchen einen Dienst!« sagten die Brüder.
»Und wir brauchen gerade Diener!« erwiderten die Rotbärte, »wollt ihr bei uns eintreten?«
»Wir möchten ja gerne«, sprachen sie, »allein ein alter Mann sagte uns, mit Rotbärten sollten wir uns nicht einlassen, denn mit denen sei es nicht ganz richtig!«
»Ha, ha!« lachten diese, »und auf den alten Mann wollt ihr hören? ihr Narren! Wir geben euch auf ein Jahr einen so hohen Lohn, wie ihr sonst in zehn Jahren nicht verdienen könntet!« Die Brüder dachten nur an ihren armen Vater, wie gut es für den sein würde, wenn sie bald mit reichem Lohn heimkehrten, und verdingten sich. Einer wie der andere sollte nach einem Jahre einen Beutel voll Dukaten bekommen und dafür die ganze Zeit nichts anders tun, als immer um einen Turm zu gehen und einen Spruch herzusagen, den man ihm aufgeben würde. Jeder von den Rotbärten nahm nun einen mit. Der Älteste sollte beim Herumgehen um den Turm immer sprechen: »Wir drei Brüder«, der Mittlere: »Um einen Käs«, der dritte: »Das ist recht!« Und so geschah es auch. Nach einem Jahr bekam ein jeder den ausgemachten Lohn.
Als sie nun miteinander heimkehrten, konnten sie nichts anders sprechen, als was sie das Jahr hindurch immer und allein gesprochen hatten; sonst hatten sie alles vergessen. Da begegnete ihnen ein Mann, der grüßte und fragte sie: »Wohin!?« Der Älteste antwortete: »Wir drei Brüder!«
»Aber wohin? frage ich.«
»Um einen Käs!« sagte der zweite.
»Hol euch der Henker!«
»Das ist recht!« fiel der dritte ein. Der Mann glaubte nun, er habe es mit Narren zu tun, fragte nicht mehr und ging seiner Wege. Als sie nun weiter wanderten, sahen sie nur einmal, wie ein Reisender von einem Räuber überfallen und blutig geschlagen wurde. Sie liefen schnell hinzu, um dem Armen zu helfen. Allein es war zu spät. Der Räuber entwischte ihnen, und der Geschlagene starb bald unter ihren Händen. Da traten die Gerichtsdiener zu ihnen, wie sie gerade mit dem Sterbenden beschäftigt waren. Die hielten sie für die Räuber und Mörder, ergriffen und banden sie und führten sie ohne weiters vor Gericht. Als sie vorgeführt und gefragt wurden, wer den Fremden totgeschlagen, sprach der Älteste: »Wir drei Brüder!«
»Warum!?« fragte der Richter weiter. »Um einen Käs!« sagte der zweite.
»Man wird euch jetzt hängen!« sprach der Richter. »Das ist recht!« sagte der dritte. »Was brauchen wir mehr!?« sprach der Richter, »ihre Schuld haben sie selbst eingestanden und erkennen die Strafe für gerecht: Wohlan, so hänge man sie!«
Da wurden sie zum Galgen geführt, und schon hatten sie die Leiter erstiegen, und die drei Rotbärte standen nahe und paßten. Siehe, da kam der alte Mann im grauen Mantel herzu und sprach, aber so, daß niemand ihn sah und hörte als die drei Brüder: »Ihr hättet es zwar verdient, daß ich euch zappeln ließe, weil ihr nicht folgtet, aber da ihr ein gutes Herz habt, will ich euch retten. Sprecht!« Da riefen die drei Brüder zugleich mit lauter Stimme: »Die drei Rotbärte greift!« Wie die das hörten, machten sie sich sogleich aus dem Staub und waren verschwunden, noch ehe sie jemand gewahr wurde. Nun erzählten die drei Brüder, wie alles sich zugetragen habe, und das Volk erkannte daraus, daß die Rotbärte drei Teufel und der Mann im grauen Mantel unser Herrgott gewesen. Der rechte Mörder wurde von ihnen genau beschrieben, und bald stellte er sich selbst vor Gericht und bereute seine Sünde, aber um der Gerechtigkeit willen wurde er dennoch gehängt.
Die drei Brüder zogen nun mit dem vielen Gelde heim und blieben jetzt bei ihrem armen Vater und hatten weiter keine Not ihr Leben lang.
Ein Vater hatte drei Söhne; von denen waren die beiden älteren faul, aber dabei stolz und hochfahrig und böse von Herzen, der jüngste aber treu und fleißig und dabei bescheiden und die Geduld und Gottseligkeit selbst. Doch weil er klein und schwächlich war von Körper, blieb er meist daheim, und seine Brüder nannten ihn spottweise nur Aschenputtel, und auch Vater und Mutter hatten ihn leider nicht so lieb wie die beiden anderen. Eines Tages sagte der älteste Sohn: »Vater, ich will in die Fremde ziehen und mir Schätze und Ruhm erwerben!«
»Laß das gut sein«, sprach der Alte, »du kennst die Fremde nicht und könntest mir leicht nur Spott und Schande machen!« Allein der Sohn bestand fest darauf und gab keinen Frieden, bis sein Vater einwilligte. Da buk ihm seine Mutter einen Kuchen aus Semmelmehl, und am anderen Morgen zog er fort.
Als nach einiger Zeit der Hunger sich bei ihm einstellte, setzte er sich auf einen Berg nieder, holte aus seinem Reisesack den Kuchen hervor und aß. Da kam ein armer Bettler hinzu und sprach: »Gott gesegn' es!« und bat um einen Bissen. »Gehst du mir gleich aus den Augen, du alter Lump!« tobte der Junge und nahm seinen Stock und drohte. Der Bettler schleppte sich mühsam fort und rief: »Wehe dir, das wird dir vergolten werden!« Nun flogen kleine Vöglein herbei und wollten die Brosamen, die zur Erde gefallen waren, auflesen. Der Junge aber schlug mit dem Stock und warf mit Steinen nach ihnen; die Vöglein flogen fort und riefen: »Der liebe Gott wird dir's vergelten!« Endlich brach er wieder auf, und wie er schon weit, weit gegangen war, begegnete ihm ein alter Mann, der fragte ihn, wohin er es gestellt habe. »Ich will dienen gehen und mir Schätze und Ruhm erwerben!«
»Das kannst du bei mir beides gewinnen, wenn du mir dienen willst. Du sollst nur meine Schafe weiden und besorgen, und wenn du dies treu und unverdrossen tust, so wirst du nach einem Jahr einen Sack voll Geld dafür haben.« Das gefiel dem Jungen, und er schlug ein.
Nun zog er mit den Schafen in eine Berggegend, die ihm der Alte zeigte, wo gute Weide war, aber er war faul und schlecht. Er schlief fast den ganzen Tag, führte die Schafe nicht zur gehörigen Zeit zur Tränke und nie auf frische Weideplätze, und wenn eines von der Herde sich zu weit entfernte und verirrte, ging er ihm nicht nach, sondern ließ es zugrunde gehen. Alle wurden mager, und viele starben. Er schlug auch die Hunde, und – was noch schlimmer war – er warf auch die kleinen unschuldigen Vöglein, die aus den Dornsträuchen zu ihren Nestern Wolle holten, mit Steinen tot. Das Jahr währte ihm zu lange, und als endlich das Ende da war, ging er keck vor seinen Herrn und forderte den ausgemachten Lohn. »Den sollst du haben, wie du ihn verdient hast!« Damit führte er ihn in eine Kammer, und da standen drei Säcke, einer mit Gold-, der andere mit Silber-, der dritte mit Kupferstücken gefüllt: »Nimm dir einen von diesen, aber hast du unredlich gedient, so wird es dir nichts nützen!«
Der Bursche griff gleich nach dem Goldsack, nahm ihn auf seinen Rücken und zog fröhlich nach Hause. Als er hier ankam, rief er: »Jetzt, Vater und Mutter, brauchen wir nicht mehr zu arbeiten; mit dem, was ich verdient habe, können wir immer lustig leben; ich bringe lauter Gold!« Da setzte er seinen Sack nieder und band ihn schnell auf, um ihnen die funkelnden Goldstücke zu zeigen. Aber im Sack da war alles purer Sand. »Sagte ich's doch«, sprach sein Vater, »daß du mir und dir nur Schande und Spott zuziehen würdest!«
Der stolze Prahler wagte nichts zu sprechen, denn er erinnerte sich jetzt an die letzten Worte des alten Mannes, des mißhandelten Bettlers, der Vöglein und seines unredlichen Dienstes.
Nicht lange, so kam der zweite Sohn und sprach: »Vater, ich will jetzt auch dienen gehen und mein Glück versuchen!« Der Alte suchte ihn umsonst abzuhalten. Er blieb hartnäckig bei seinem Vorsatz. Da buk ihm seine Mutter einen Reisekuchen aus Brotmehl, und am anderen Morgen machte er sich auf den Weg. Es ging ihm aber fast ganz wie seinem Bruder. Denn er war ja auch nicht viel anders und besser. Wie er auf dem Wege aß und der alte Bettler ihn um einen Bissen ansprach, hob er den Stock. Er schlug und warf auch nach den Vöglein, und in seinem Dienst war er ebenso faul und bösartig. Kaum war das Jahr zu Ende, so lief er auch schnell zu seinem Herrn und verlangte den vereinbarten Lohn. Der führte ihn auch in die Kammer, wo die drei Säcke mit Gold-, Silber-und Kupferstücken standen. »Nimm dir einen!« sprach der Alte, »warst du aber unredlich im Dienst, so wird es dir nichts nützen!« Er war etwas bescheidener als sein Bruder und nahm nur den Sack mit den Silberstücken. Denn er wußte wohl, daß er auch den nicht verdient hatte. Als er nun heimkam, rief er schon aus der Ferne seinen Eltern entgegen: »Jetzt brauchen wir nichts mehr zu arbeiten, denn ich bringe in diesem Sack lauter Silber!« Wie er aber den Sack niedersetzte und öffnete – siehe, da war alles purer Sand. »Sagte ich's doch, daß es so kommen würde!« sprach seufzend sein Vater. Der Sohn aber wagte wie sein Bruder nichts zu sagen; denn er gedachte auch sogleich an die letzten Worte des alten Mannes, an den Bettler, die Vöglein und an seinen unredlichen Dienst.
Bald darauf trat der jüngste Sohn zum Vater und sprach: »Lieber Vater, ich will auch dienen gehen und mein Glück versuchen!« Ihn wollte der Alte nun durchaus nicht fortlassen. »Wo denkst du hin? Deine Brüder haben mir nur Spott und Schande gebracht, was würde ich von dir erst erleben!« Der Kleine bat aber so lange, bis sein Vater sprach: »Nun, so gehe in Gottes Namen!« Wer konnte froher sein als der Aschenputtel! Seine Mutter buk ihm einen Reisekuchen aus Asche, und am anderen Morgen, ganz früh, trat er seine Wanderung an. Da kam er an denselben Berg, wo seine Brüder gespeist hatten, und weil ihn der Hunger quälte, setzte er sich nieder und packte aus.
Bald kam auch der alte Bettler und sprach: »Gott gesegn' es!« und bat um einen Bissen. »Setzt Euch her, armer Mann, neben mich!« und er teilte den Aschenkuchen mit ihm, und sie aßen und sahen um sich in die schöne Landschaft, die im Sonnenschein glänzte. Da hüpften auch die Vöglein hinzu und pickten die Brosamen auf, und darüber freute sich der Junge, und er zerbröckelte den ganzen Rest von seinem Kuchen und streute ihn den hungrigen Vöglein vor. Darauf nahm er seinen Tornister an die Seite, um fortzugehen, und sagte zum Alten: »Behüt dich Gott!« Dieser aber nahm ein Pfeifchen aus seinem Sack und schenkte es dem Jungen, weil er so freundlich gewesen und ihn gespeist hätte, und die Vöglein sangen ihm nach: »Der liebe Gott wird dir's vergelten!«
Als er jetzt ein gutes Stück weitergegangen war, begegnete ihm der nämliche alte Mann, der auch seine Brüder in den Dienst genommen hatte. »Wo gehst du hin, lieber Junge?«
»Ich möchte gerne dienen und etwas erwerben, um meinen armen Eltern zu vergelten, was sie an mir getan haben.«
»Das kannst du bei mir in einem Jahr verdienen, wenn du treu und unverdrossen bist.« Der Junge versprach dieses, und so nahm ihn der Alte an und führte ihn zu seiner Herde und sprach: »Weide meine Schafe und besorge sie, daß es ihnen wohlgeht und kein Schade geschieht.«
Der Junge war, so wie er's versprochen hatte, willig und unverdrossen in seinem Dienst; er trieb die Herde immer auf die besten Weideplätze und zur gehörigen Zeit zur Tränke, und wenn sich eines zu sehr entfernte und verirrte, so ging er ihm nach und brachte es mit seinen Hunden wieder zur Herde. Wenn nun alle Schafe satt waren und im Sonnenschein dalagen, so setzte er sich auch nieder, und die treuen Hunde lagerten sich neben ihm. Dann nahm er sein Pfeifchen und spielte darauf so lieblich, daß die Vöglein, die von den Dornsträuchen Wolle zu ihren Nestern sammelten, ihre Arbeit ließen, eine Zeitlang horchten und zuletzt selbst dreinsangen. Das gefiel dem Jungen so gut, daß er nun oft und oft spielte, und auch die Schafe waren ruhig, und die Hunde sahen ihn mit ihren treuen Augen an und bellten nicht, wie andere Hunde bei der Musik tun, sondern lagen ruhig und horchten. Wenn nun ein Weideplatz keine Nahrung mehr bot, so zog er weiter und durchstreifte so fast das ganze Gebirge.
Eines Tages erblickte er nur einmal auf einer Anhöhe zwischen schattigem Gebüsch eine große Kirche, die hatte er noch nie gesehen. Er trat näher und sah, daß alle Türen offen standen. Die Kirche war drinnen so rein gekehrt und so schön, daß er in Verwunderung lange vor der Tür stehenblieb. Er ging dann langsam und leise hinein. Aber in der Kirche war kein Priester und sonst keine irdische Seele. Still war alles ganz und gar. Wie er vor den Altar trat, sah er über dem Kreuz des Erlösers ein Vöglein schweben. Das flog jetzt herunter, ließ sich auf seine rechte Schulter und sang: »Gott ist mit dir!« Darauf flog es wieder hinauf an seine Stelle, der liebliche Sang aber tönte fort in seinem Herzen. Er kehrte darauf zur Herde zurück und weidete die Schafe. Da kam sein Herr zu ihm und sprach mit freundlicher Stimme: »Das Jahr ist um. Du hast mir treu gedient, das sehe ich an meiner Herde. Komm nun und empfange den verdienten Lohn!« Es tat dem Jungen sehr leid, daß er sich von der lieben Herde und der schönen Gegend trennen sollte, und es schien ihm fast unmöglich, daß schon ein Jahr vergangen. Er hätte gern ein zweites Jahr und noch länger dem guten Manne gedient. Aber da dachte er an seine armen Eltern, und so wünschte er, diese bald zu sehen und zu erfreuen. Sein Herr führte ihn nun auch in die Kammer, wo die Geldsäcke standen, und hieß ihn einen Sack sich auswählen. Das Gold und Silber blendete den Jungen nicht. Er sagte gleich: »Den Sack mit dem Kupfergeld möcht' ich wohl nehmen, obgleich ich ihn auch nicht verdient habe, nur um meinen armen Eltern helfen zu können!«
»Du sollst ihn haben, mein lieber Junge, und obendrein auch die beiden anderen Säcke. Kehre nur heim. Ich schicke dir bald einen Wagen mit den Schätzen nach!« Da nahm der Junge seinen Wanderstab und zog heimwärts.
Als er auf dem Berg angelangt war, wo er mit dem alten Bettler und den Vöglein seinen Aschenkuchen verzehrt hatte, ruhte er wieder ein wenig aus. Aber jetzt hatte er keinen Hunger. Er nahm sein Pfeifchen und spielte so lieblich, daß die Vöglein, die er früher gespeist hatte, herbeiflogen, horchten und laut mit dareinsangen.
Darauf zog er weiter und war in kurzem zu Hause und erzählte nun seinen Eltern von den Wunderdingen, die er gesehen und erlebt, und von den Schätzen, die ihm der alte Mann bald nachschicken werde. Seine beiden Brüder, die in der letzten Zeit ihren armen Vater durch ihre Faulheit und Bosheit in große Not gebracht hatten, hörten das alles mit an, fingen darauf an zu lachen und zu spotten: »Wir haben wenigstens jeder nur einen Sack voll Sand heimgebracht; du aber wirst nun gewiß eine ganze Fuhre Asche erhalten. Es ist auch ganz recht, warum wärst du sonst der Aschenputtel!«
Er aber kehrte sich nicht an den Spott und war in seinem Herzen überzeugt, daß sein Glück wahr sei. Auf einmal hörte man, daß ein Wagen vor dem Hause halte. Sie gingen gleich alle hinaus. Kein Mensch war beim Wagen. An der Seite des Wagens stand aber mit großen Goldbuchstaben: »Wagen und Gespann und die drei Säcke mit dem Gold, Silber und Kupfer schickt der alte Mann seinem treuen Hirten, der ihn zuerst als Bettler so freundlich gespeist, der ihm dann seine Schafe wohl geweidet und besorgt und auch seiner lieben Vöglein sich erbarmt hat!« Der Junge trieb nun den Wagen in den Hof und lud die Säcke ab. Da war die Freude des Aschenputtels und seines Vaters und seiner Mutter unermeßlich. Diese bereuten es nun und schämten sich, daß sie ihren Jüngsten nicht so wie die älteren Söhne geliebt hatten, und baten ihn um Verzeihung. Er aber sprach: »Hört auf, ich habe ja doch alles Euch zu verdanken!« Aber die beiden älteren Brüder konnten das große Glück ihres jüngeren Bruders nicht ertragen, sie liefen fort wie wahnsinnig, und kein Mensch hat sie weiter gesehen noch gehört, was aus ihnen geworden.
Der Aschenputtel aber war nun ein reicher Mann und lebte noch viele Jahre mit seinen Eltern glücklich und zufrieden und stiftete mit seinem Reichtum viel Gutes. An schönen Tagen nahm er oft sein Pfeifchen und ging auf einen Berg und spielte und horchte auf den Gesang der Vögel. Da zogen die alten Erinnerungen aus seinem Hirtenjahr vor seiner Seele vorüber, und wenn er am seligsten war, so schien es ihm, als wäre er in jener großen Kirche und sehe die stille Pracht um sich und das Goldvöglein flöge hernieder auf seine Schulter und singe den wunderlieblichen Gesang: »Mit dir ist Gott!«
Es war einmal ein armer Bauer, der führte immer Holz zum Verkaufe in die Stadt. Als er nun wieder einmal so durch den Wald fuhr, trat ein alter Mann mit langem Bart und grauem Mantel zu ihm und fragte: »Wohin mit dem Holz?«
»In die Stadt!« sagte der Bauer. »Nun so rate ich dir, wenn du glücklich sein willst, es nicht teurer als um einen Kreuzer zu verkaufen!«
»Das will ich tun«, sprach der Bauer und fuhr weiter. Als er in der Stadt anlangte und die Leute zu ihm hinkamen und fragten, wie er sein Holz verkaufen wolle, antwortete er: »Um einen Kreuzer!« Da lachten sie und glaubten, er sei nicht recht bei Trost (bei Sinnen) und gingen weiter. Endlich ließ sich ein armer Bürger in den Handel ein und kaufte das Holz um einen Kreuzer; er ließ es sich gleich heimfahren und ging selbst voraus und erzählte seiner Frau von dem glücklichen Handel. Diese aber wollte es natürlich nicht glauben, lief zum Bauern hinaus und fragte ihn insgeheim um den Kaufpreis. Als der Bauer die Worte ihres Mannes bestätigte, eilte sie hinein und sagte: »Mann, dem Bauern können wir zum Danke wohl auch einen Trunk Wein geben!«
»Ganz gewiß, hole gleich eine Kanne voll neben dem ›Kampestboding‹ her.« Die Frau ging in den Keller und brachte; aber der Wein zeigte sich ganz trüb. Da sagte der Mann: »Was ist das, hast du aus dem rechten Faß gebracht? Der Wein ist doch nicht trüb, oder war die Kanne nicht rein? Nimm eine andere Kanne und hole nochmals!« Die Frau ging und holte gleich wieder; da war aber der Wein blutigrot. »So weiß ich doch nicht, was das ist; ich muß am Ende selbst gehen!« Er wusch sich eine Kanne und ging. Diesmal aber zeigte sich der Wein goldgelb, aber er war so dick, daß er kaum aus dem Heber floß. Der Mann kam herauf und erzählte dem Bauern das Wunder und entschuldigte sich. Der Bauer sagte: »Das macht ja nichts!« Und weil er gerade für den Augenblick nicht durstig war, bat er den Bürger, er solle ihm den Wein in seinen Tornister gießen, bis nach Hause werde er sich schon klopfen und dünn werden. Das tat jener.
Als der Bauer durch den Wald nach Hause zog, trat wieder der Mann im langen Bart und im grauen Mantel zu ihm und fragte, wie es ihm ergangen. Der Bauer erzählte ihm alles. Da sprach der Mann: »Merke dir nun, was ich dir sage; der trübe Wein bedeutet sieben Hungerjahre; der blutigrote sieben blutige Kriegsjahre; der goldgelbe wird samt dem Kreuzer dein Glück begründen!« Damit verschwand der Alte. Als der Bauer zu Hause ankam und seine Frau hörte, daß er das Holz um einen Kreuzer verkauft habe, so schalt sie ihn durch, daß kein ehrlicher Faden an ihm blieb, und wie er sie beschwichtigen wollte und ihr erzählte, er habe auch Wein bekommen und habe ihn in den Tornister gegossen, war sie nun gar nicht mehr zu bändigen; sie tobte und fluchte: »O du Dummbart, was muß ich an dir erleben! Hat je ein Mensch gehört, daß man den Wein in den Tornister gießt?« Der Bauer aber wollte den Wein ausschütten, doch siehe, da fielen eitel Goldstücke und zuletzt auch der Kreuzer für das Holz heraus. Schnell zog das Donnerwetter vorüber, und der Himmel heiterte sich im Antlitz seiner Frau auf, so daß es eine Lust war, es zu sehen. »Du lieber guter Mann, verzeihe; aber wie kann man seine Frau auch so grob foppen wollen!«
»Gott bewahre mich!« sprach der Mann, »ich sagte die lautere Wahrheit; allein nun sehe ich, daß unser Herrgott dies Wunder getan hat, um meinen Glauben zu belohnen!« Da erzählte er die Geschichte mit dem Mann im langen Bart und grauen Mantel. Die sieben trüben Hungerjahre und die sieben blutigen Kriegsjahre kamen, aber wie hart auch der Bauer hergenommen wurde, der himmlische Segen half ihm sie glücklich überstehen.
Eine arme Frau hatte einen Sohn, der war nun groß und stark und wollte in die Fremde gehen, um etwas zu verdienen. Er verdingte sich bei einem Herrn auf ein Jahr und sollte dessen Schafe hüten. Als er einmal zur Zeit der Ernte auf dem Felde war, sah er einen schönen weißen Vogel im Kornfelde; er lief hin, um ihn zu fangen; der Vogel aber erhob sich langsam und flog in einen Wald; der Junge lief ihm immer nach, doch es war umsonst, er konnte ihn nicht erreichen. Er wollte umkehren; aber er wußte sich aus dem Wald nicht mehr herauszufinden. Schon fing es an dunkel zu werden, da sah er in der Ferne ein Licht; er ging darauf los und kam in ein Schloß; da saß ein alter Mann am Feuer und kochte sich eine Suppe. Der Junge bat um Herberge und erzählte dem Alten, wie er in den Wald gekommen sei. »Wenn du mir ein Jahr treu dienst, so will ich dir zu dem Vogel verhelfen!« Der Junge willigte gern ein, um den Vogel zu bekommen. Am folgenden Morgen sprach der Alte: »Jetzt gehe ich aus und kehre nur spät abends heim; sorge du hier; da hast du alle Schlüssel, in jedes Zimmer darfst du gehen, nur in das letzte nicht!« Der Junge folgte genau dem Gebot, und als der alte Mann abends heimkehrte, war er mit ihm zufrieden; so geschah es auch den andern und alle folgenden Tage, daß der Alte ausging und dem Jungen den nämlichen Auftrag machte. Lange Zeit dachte der Junge nicht einmal an das verbotene Zimmer; aber in der letzten Woche des Jahres kam ihn doch die Neugierde an: »Du bist ein ganzes Jahr hier gewesen und ziehst nun bald von dannen und sollst nicht wissen, was für Schätze dort sind«, sprach er bei sich, und es ließ ihm keine Ruhe. Am letzten Tage ging er bis zur Türe und wollte auch nicht. Endlich steckte er den Schlüssel ein und öffnete.
Da war ein großer Saal und in der Mitte ein blauer Teich und darüber der freie Himmel; im Teiche aber waren drei wunderschöne Schwanenjungfrauen, die badeten. Kaum hatten sie den Jungen erblickt, husch, flogen sie alle drei als weiße Schwäne auf und fort. Voll Angst kehrte der Junge zurück und hatte keine Ruhe. Als der alte Mann heimkam, fiel er gleich vor ihm nieder und sprach: »Herr, strafe mich, ich habe dein Gebot übertreten!« Der Alte sagte freundlich: »Weil du deinen Fehler gestanden hast und bereuest, will ich dir verzeihen; aber du mußt jetzt noch ein Jahr treu dienen, willst du den Vogel haben.« Da fiel es dem Jungen wie ein Stein vom Herzen; gern willigte er ein, und |von nun an hatte die Neugierde keine Gewalt mehr über ihn.
Als das Jahr vergangen war, trat der Alte zu ihm und sprach: »Jetzt folge mir!« Er führte ihn in das verbotene Zimmer, da waren die drei wunderschönen Jungfrauen und badeten. Alsbald aber verwandelten sie sich in weiße Schwäne, hoben sich aufwärts und flogen fort. Der alte Mann fragte den Jungen, welche ihm am besten gefallen habe. »Die Jüngste!« sprach er. »Wohlan, so gehe heute abends in jenes Zimmer; da findest du unter dem Bett drei Schachteln; bringe die, welche in der Ecke liegt, dann zu mir.« Der Junge konnte den Abend kaum erwarten, eilte dann hin und brachte sie. »So nimm jetzt diese Schachtel und gehe damit nach Hause, die auserwählte Jungfrau wird dir auf dem Fuße folgen; aber siehe ja nicht hinter dich, bis du zu Hause angelangt bist; dann magst du mit der Jungfrau bei deiner Mutter Hochzeit halten; aber besorge die Schachtel wie deinen Augapfel, und nicht unterstehe dich und gib sie deiner Braut in die Hand, wie sehr sie dich auch bittet, sonst verlierst du sie auf immer!« Der Junge versprach alles so zu machen. Das erste wurde ihm leicht; er sah nicht zurück, obgleich er gern gewollt hätte; denn er hatte ja für die Neugierde hart gebüßt, und daran dachte er jetzt.
Als er endlich daheim war bei seiner Mutter, wandte er sich rasch um und sah die Jungfrau, fiel ihr um den Hals und küßte sie. Sie aber hatte ein schneeweißes Kleid an und war schön wie der heitere Tag, und der Junge konnte sich nicht sattsehen an ihr. Da wurde die Verlobung gehalten, und der Junge war ganz selig; aber die Jungfrau war traurig und niedergeschlagen. Der Junge gab sich alle erdenkliche Mühe, sie zu erheitern, doch umsonst. »O was gäbe ich nicht dafür, wenn ich dich jetzt fröhlich sähe!« sprach er zuletzt. »So gib mir meine schönen Kleider, die in der Schachtel sind!«
Da wurde der Junge bleich vor Schrecken; wie hatte er so unbesonnen und töricht versprochen, was zu seinem Unglück führen sollte. Er zögerte lange, lange; endlich siegte die Treue und übergroße Liebe zu seiner Braut. Er überredete und tröstete sich auch: »Das wird doch nicht gleich ihr Tod sein!« sprach er bei sich, »und fort soll sie mir auch nicht können«, denn er verschloß vorsichtig alle Türen und Fenster. Kaum hatte er die Schachtel geöffnet und sie das Kleid hastig ergriffen und umgeworfen, so war sie sogleich ein Schwan und flog durch den Ofen zum Schornstein hinaus. Da ergriff den Jungen ein unendlicher Schmerz; er lief hinaus, sah dem Vogel nach und eilte in einem fort bis in den Wald zu dem alten Manne und klagte ihm seinen Jammer. »Ist sie nicht hier«, sprach er zuletzt, »so sage mir, wo ich sie finden kann; ich will sie suchen bis ans Weltende, denn ich habe sie gar zu lieb!« Da sagte der Alte; »Sie ist weit weg auf einer Insel über dem Meer und wird von einem siebenhäuptigen Drachen bewacht, und dahin ist schwer hinzukommen; wenn du aber auch hingelangen solltest, wird dich der Drache umbringen!« Aber der Junge ließ sich nicht abschrecken; er nahm alle seine Kleider und Schuhe mit und wanderte sieben Jahre lang in einem fort und hatte schon alle Kleider und Schuhe zerrissen und konnte vor Müdigkeit nicht weiter; aber noch war weit und breit kein Meer zu sehen. Er fiel an einem Hügel nieder und gedachte schon da zu sterben. Da hörte er nur einmal in der Ferne einen Lärm, der kam immer näher und näher;
endlich sah er drei mächtige Hünen, welche einander hin und herzerrten. Er fragte sie alsbald, was Ursache ihr Streit hätte. »Oh«, sagten sie, »es handelt sich um das Kostbarste in der Welt, um einen Mantel, der unsichtbar macht den, der ihn trägt, um einen Hut, der überall hinführt den, der ihn aufsetzt, und um ein Schwert, womit der alles besiegen kann, der es schwingt. Wer diese drei Stücke besitzt, kann die schönste Jungfrau, die auf der Insel über dem Meer gefangen liegt, erretten und mit ihr das größte Königreich erwerben.« Der Junge freute sich auf diese Nachricht wieder in seinem Herzen und hegte Hoffnung. »Wenn es euch recht ist, so will ich den Streit entscheiden; bringt her jene Stücke und kämpfet ihr dann miteinander.« Die einfältigen Hünen brachten sogleich Mantel, Hut und Schwert zu ihm hin und fielen nun einander in die Haare. Der Junge ergriff schnell das Schwert, warf den Mantel um und setzte den Hut auf und sprach: »Wäre ich doch nur gleich auf der Insel!« Husch! war er fort, und die dummen Hünen hatten das Nachsehen.
Als der Junge auf der Insel ankam, legte er Hut und Mantel ab, nahm nur das Schwert und ging auf die Burg los. Der Drache sonnte sich eben vor derselben, und die schöne Jungfrau mußte ihn lausen. Nur einmal roch der Drache Menschenfleisch, da brauste er auf und ringelte sich vor Wut. Aber der Junge kam unerschrocken heran und hieb ihm auf einmal alle Häupter ab. Er hüllte sich darauf schnell wieder in seinen Mantel, eilte ins Schloß, nahm die Schachtel mit den Kleidern und warf sie ins Meer, dann legte er den Mantel ab und zeigte sich der Jungfrau, seiner Braut, und die erkannte ihn auch gleich und war nun über die Maßen froh. Der Junge zog mittelst des Wunschhutes schnell zu seiner Mutter und brachte sie auch nach der fernen Insel in die Drachenburg; dann feierte er mit seiner Braut in Lust die Hochzeit und war König und Herr über alles Land und alle Schätze, welche der Drache besessen hatte.
Ein Mann und eine Frau hatten zwei Kinder und nichts zu essen; da sprach die Frau zu ihrem Manne: »Gehe zu einem Zigeuner und lasse eine Axt machen und gehe damit in den Wald und haue Starnester aus!« Das tat der Mann, und wie er in den Wald kam, sah er einen wunderschönen Vogel; er nahm seine Axt und warf nach ihm, traf aber nicht, und der Vogel flog weiter; er verfolgte ihn nun in einem fort den ganzen Tag; der Vogel ward endlich so müde, daß er die Flügel senkte und zur Erde fiel. Der Mann fing ihn jetzt und trug ihn nach Hause und legte ihn in einen Korb. Da sang er so wunderschön, daß alle Leute aus der Nachbarschaft und die vorübergingen hinkamen, standen und zuhörten. Der Mann aber und seine Frau und seine Kinder waren hungrig, und er wollte ihn töten. Da sprachen die Leute, das wäre doch jammerschade, er solle es nicht tun. Die Armen verschmerzten noch eine Zeitlang den Hunger und ließen ihn leben. In der Nacht aber hatte der Vogel ein Ei gelegt, das war ein Karfunkelstein, und alles wurde licht und hell im Zimmer, als schien[e] die Sonne. Da wunderten sich die Leute noch mehr und kamen in das Haus und sahen den glänzenden Stein und den schönen Vogel. Nun kam auch ein Jude des Weges, und als er hörte, was es gebe, ging er neugierig hinein und bekam gleich Lust nach dem schönen Stein. Der Mann aber wollte ihn nicht verkaufen; weil ihm aber der Jude zuletzt eine sehr große Summe anbot und er so [be]dürftig war und nicht wußte, wie er sonst seine Not stillen sollte, so gab er ihn hin. »Vielleicht«, dachte er, »wird der Vogel wieder einen legen.« Und er täuschte sich nicht; am folgenden Morgen lag auf der nämlichen Stelle wieder ein Karfunkelstein. »Weh dir!« sprach der Jude bei sich, »du bist ein armer ruinierter Mensch, wenn du den Vogel nicht bekommst«, und lief gleich zu dem Manne und sprach: »Was soll ich dir geben für den Vogel? Verlange!« Der Mann aber sagte, der Vogel wäre ihm um keinen Preis feil. Da bot ihm der Jude eine unendlich große Summe; doch war der Mann jetzt nicht zu erweichen. »Lasse mich ihn doch wenigstens einmal näher betrachten«, sprach der Jude. Der Mann reichte den Korb dar, und der Jude erfaßte vom Vogel den linken Flügel und hob ihn auf und las für sich mit Erstaunen, was darunter geschrieben stand: »Wer das Herz ißt, wird jeden Morgen drei Goldstücke unterm Polster finden!« Er hob den rechten Flügel, und darunter stand geschrieben: »Wer die Leber ißt, wird König in Rom!« Da fragte ihn der Mann, der nicht lesen konnte: »Was steht denn da geschrieben?«
»Sehr Schlechtes!« antwortete der Jude, »in zwei Tagen wird der Vogel sterben; wenn Ihr ihn aber jetzt schlachtet und mir ganz zurichtet, so will ich noch den Preis dafür geben, den ich Euch zuletzt geboten.« Der Mann dachte: »Besser ein kleiner Gewinn als ein großer Verlust« tötete den Vogel und ließ ihn für den Juden zurichten. Wie man ihn nun am Spieße briet, fielen Herz und Leberchen in die Bratpfanne, und die beiden Knaben des Mannes, die am Herde zusahen, aßen dieselben gleich, der ältere Knabe das Herz und der jüngere die Leber. Als der Vogel dem Juden vorgesetzt wurde und er sah, daß Herz und Leber fehlten, rief er: »So haben wir nicht gehandelt; ich sollte den ganzen Vogel haben, und nun fehlt Herz und Leber, das Beste.« Da nahm er sein Geld schnell wieder zurück und zog mit seinem Karfunkelstein in die Welt. Der Mann aber war sehr zornig, daß er um den Vogel und den schönen Gewinn gekommen, und als er erfuhr, daß seine Knaben Herz und Leber gegessen hatten, so schlug er sie unbarmherzig und jagte sie fort. Da kam ein alter Soldat des Weges, der erbarmte sich der Kinder, und der Mann sprach: »Wenn du dich ihrer so annimmst, so führe sie mit dir fort aus meinen Augen; doch warte, ich will sie zuvor noch zeichnen.« Er schnitt jedem den kleinen Finger der linken Hand ab. Der Soldat nahm die Kinder mit, machte eine Salbe und heilte ihnen die Finger an. Sie schliefen über Nacht in einem Wald, und als sie morgens erwachten, lagen unter dem Haupte des Knaben, der das Herz gegessen hatte, drei Goldstücke. Der Soldat nähte sie dem Jungen in einen Rockzipfel und führte sie dann in die Stadt, wo der König wohnte, und setzte sie auf einen Stein und ging seiner Wege. Der König lag gerade im Fenster, erblickte die Knaben, ließ sie jedoch sitzen. Die Königstochter kam aber auch bald in das Fenster, und als sie die armen Knaben auf dem Steine sah, schickte sie eine Magd hin und ließ sie ins Schloss bringen. Sie wurden mit an den Tisch gesetzt, und während des Essens erzählten sie, wie ihr Vater sie so sehr geschlagen und ihnen den Finger abgehauen habe, weil sie das Herzchen und Leberchen vom Vogel gegessen hätten, wie aber ein guter Soldat sich ihrer erbarmt, sie geheilt und in die große Stadt gebracht hätte. Der König und die Königstochter fühlten Mitleid mit den Armen und behielten sie bei sich. Jeder bekam eine Büchse, und damit gingen sie täglich auf die Jagd. Der König hatte eine treue Dienstmagd. Als diese nach einiger Zeit aus dem Dienst gehen sollte, kam sie vor ihren Herrn und sprach: »An jedem Morgen, seit die beiden Knaben im Hause sind, fand ich unter dem Polster des ältern drei Goldstücke; hier sind alle, und es fehlt auch nicht ein einziges!« Da kam es dem König etwas unheimlich vor; er sprach zu seiner Tochter: »Es ist mit den Jungen nicht ganz richtig, schicken wir sie fort!« Man nahm alle Goldstücke und nähte sie dem ältern Knaben in einen Kleidzipfel ein, dann führte man beide in einen Wald und ließ sie da allein; sie aber gingen miteinander weiter. Da kamen sie auf einen Kreuzweg; hier warfen sie das Los, welchen Weg jeder gehen sollte. Da traf es sich, daß der Ältere nach Morgen zog, der Jüngere gegen Mittag, der Stadt Rom zu. Als dieser spät abends vor der Stadt anlangte, waren die Tore verschlossen; er mußte nun vor dem Tore bleiben. Die Römer aber hatten in dem Jahre schon sieben Könige gehabt, alle waren gestorben und niemand wollte jetzt König sein; da hatte der Rat ausgemacht, frühmorgens, wenn das Tor geöffnet würde, den ersten, der dadurch einziehe, zum König zu nehmen. Der erste war aber der Junge; er wurde gleich von dem ganzen Rate als König begrüßt, und er hatte nichts dawider, setzte sich die Krone auf und fing an zu regieren und große Paläste, Schlösser und Türme zu bauen. Der ältere Bruder war auf seinem Wege bald in eine kleine Stadt gekommen; da blieb er und nahm sich eine Frau und lebte einige Zeit mit ihr ganz gut; denn daß ihr Mann so viele Dukaten hatte, gefiel ihr; und sie wußte sie alle hinzubringen. Eines Tages fragte sie ihn aber, woher er die vielen Goldstücke bekomme. Und er erzählte ihr arglos, wie ja ein Mann seinem Weib erzählt, wie das vom Vogelherzen, das er in sich habe, herrühre. Die Frau lief sogleich in die Apotheke, braute einen Schlaftrunk und ein Brechmittel und gab ihrem Mann beides ein; da gab er das Herz von sich; sie verschluckte es gleich, und von da an waren unter ihrem Haupte die drei Dukaten. Jetzt jagte sie ihren Mann aus dem Hause und nahm sich einen andern. Der nun zog traurig fort ins Elend. Ein Jahr lang brachte er sich noch gut durch; denn er nahm die Dukaten, die in seinem Kleidzipfel eingenäht waren, hervor. Als die aber aufgezehrt waren, wußte er nichts anzufangen und litt nun große Not. Eines Tages ging er mißmutig in den Wald. Da sah er ein altes Weib im Kot liegen; das war aber eine Hexe. »Hilf mir«, rief diese ihm zu, »ich will dir auch helfen!« Da hob er sie aus der Kotlache heraus. Die Hexe gab ihm einen Zaum und sprach: »Über was du diesen Zaum immer schüttelst, es sei Stein, Baum, Tier oder Mensch, das wird ein Pferd!«
»Das ist was Gutes!« dachte er bei sich, »du willst gleich versuchen!« Da schüttelte er ihn über einem Stein, sogleich stand ein Pferd vor ihm; er schwang sich auf und ritt geradeaus zu der Stadt, wo seine Frau wohnte. Vor dem Stadttore nahm er den Zaum ab. Da lag ein Stein an der Stelle, wo das Pferd gestanden. Er ging nun hinein und kam insgeheim in das Haus zu seiner Frau, ohne daß sie es merkte; sie ging gerade im Hof herum. Er schüttelte den Zaum über ihr, und gleich war sie ein Pferd. Da setzte er sich auf und ritt in einem fort bis in die Nähe der Stadt Rom, also daß sein Pferd fast zusammensank. »Warte, es ist noch nicht genug!« sprach er. Da sah er viele Leute mächtige Bausteine führen. »Das ist eine gute Arbeit für dein Pferd!« sprach er und führte nun in einem fort so viele Steine, daß dieses immer magerer wurde und zuletzt nur die Knochen an sich hatte. Da klagten ihn die Leute, welche durch ihn in ihrem Erwerb verkürzt wurden, aus Neid und Bosheit vor dem höchsten Gerichte als einen Tierquäler an, und er wurde zum Tode verurteilt. Wie er gehängt werden sollte, war der König auch zugegen. Da erkannte der Verurteilte seinen Bruder und rief; »Bruder, finde ich denn bei dir keine Gnade?« Der König sah ihn lange verwundert an; endlich erkannte er ihn auch, fiel ihm um den Hals und sprach: »O Bruder, wie gerne täte ich das, aber wohin käme es mit der Gerechtigkeit, wenn ich sie nicht üben sollte!«