Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Der Königssohn, der sich nach der Unsterblichkeit sehnte. Glückes Glück. Die glücklichste Stunde. Die Schlangenhaut. Schön-Ilonka. Das Waldfräulein. Die sieben Wildgänse. Die zehn Geschwister. Prinz Johann und Prinzessin Windhauch.1 Die zwei Brüder. Feenprinzessin Goldhaar.1 Der goldbärtige Mann. Der behaarte Mann. Der goldhaarige Gärtnersbursche. Eisenkopf.1 Der wunderstarke Königssohn. Märchen von einem Zigeunerburschen. Der kleine Ziberda. Die zwei Pfeffer-Öchschen. Märchen vom pfauenhaarigen Mädchen. Der Ahornbaum. Zu Eurem Wohlsein.1 Der närrische Bursche. Der Zigeuner im Himmel und in der Hölle. Aschen-Jörge. Der Tod und die Alte.1 Der gnädige Herr und der Kutscher Hans.1 Der nächtliche Tanz. Die Kröte. Der Fuchs, der Bär und der arme Mann. 31. Der kleine Hahn hat den Zaun herausgescharrt. Der Hahn und das Hühnchen. Die Wildtaube und die Elster. Das verstossene Mädchen. Das Glück und der Reichtum. Von einem einjährigen Sohn. Das Herz der armen Frau.1 Der Pilger und der Engel Gottes. Die Engel-Lämmer.1 Die drei Erzengel.1 Christus und die drei Waisenburschen. Christus und der Pope. Christus und der Schafhirt. Christus und der Schuster. St. Peter und der Bienenschwarm. Legende vom Pferd und vom Esel. Legende von der Lerche, der Wachtel, dem Kiebitz und der Taube. Legende vom Schilfblatt. Tauperlen-Janos. Der wipfellose Baum. Die Frucht des hohen Baums. Die Verwunschene Ente. Schilf-Peter. Fee Ilona und der goldhaarige Jüngling. Die zwei goldhaarigen Kinder.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 815
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Märchen aus Ungarn
Inhalt:
Geschichte des Märchens
Märchen aus Ungarn
Der Königssohn, der sich nach der Unsterblichkeit sehnte.
Glückes Glück.
Die glücklichste Stunde.
Die Schlangenhaut.
Schön-Ilonka.
Das Waldfräulein.
Die sieben Wildgänse.
Die zehn Geschwister.
Prinz Johann und Prinzessin Windhauch.1
Die zwei Brüder.
Feenprinzessin Goldhaar.1
Der goldbärtige Mann.
Der behaarte Mann.
Der goldhaarige Gärtnersbursche.
Eisenkopf.1
Der wunderstarke Königssohn.
Märchen von einem Zigeunerburschen.
Der kleine Ziberda.
Die zwei Pfeffer-Öchschen.
Märchen vom pfauenhaarigen Mädchen.
Der Ahornbaum.
Zu Eurem Wohlsein.1
Der närrische Bursche.
Der Zigeuner im Himmel und in der Hölle.
Aschen-Jörge.
Der Tod und die Alte.1
Der gnädige Herr und der Kutscher Hans.1
Der nächtliche Tanz.
Die Kröte.
Der Fuchs, der Bär und der arme Mann.
31. Der kleine Hahn hat den Zaun herausgescharrt.
Der Hahn und das Hühnchen.
Die Wildtaube und die Elster.
Das verstossene Mädchen.
Das Glück und der Reichtum.
Von einem einjährigen Sohn.
Das Herz der armen Frau.1
Der Pilger und der Engel Gottes.
Die Engel-Lämmer.1
Die drei Erzengel.1
Christus und die drei Waisenburschen.
Christus und der Pope.
Christus und der Schafhirt.
Christus und der Schuster.
St. Peter und der Bienenschwarm.
Legende vom Pferd und vom Esel.
Legende von der Lerche, der Wachtel, dem Kiebitz und der Taube.
Legende vom Schilfblatt.
Tauperlen-Janos.
Der wipfellose Baum.
Die Frucht des hohen Baums.
Die Verwunschene Ente.
Schilf-Peter.
Fee Ilona und der goldhaarige Jüngling.
Die zwei goldhaarigen Kinder.
Vom armen Mädchen, das goldene Blumen schritt.
Königstochter Enzella.
Der zwölfte Sohn.
Wie der arme Schäfer des Kaisers Tochter gewonnen hat.
Das Kupfer-, Silber- und Goldgestüt.
Rosa und Viola.
Der grünbärtige König.
Der Schwager von Rabe, Bär und Fisch.
Abend, Mitternacht und Morgendämmerung.
Der feurige Ochse.
Der auf die Probe gestellte Königssohn.
Der Fink mit der goldenen Stimme.
Ribike.
Der kleine Schweinehirt.
Cserneki.
Der wundersame Ring.
Der Schuster-Knabe und der Sohn des Königs Olenburis.
Der Schicksalsbrunnen.
Der reiche Krämer.
Die Geige.
Kranich-Janos.
Die kluge Sofie.
Wie ist der erste Soldat ins Himmelreich gelangt?
Warum ist St. Peter kahlköpfig?
Warum arbeitet der Bauer so viel?
Wie die Hunnen den Szeklern zu Hilfe kamen.
Der Theißstrudel.
Herrgotts Abbild.
Warum der neugeborene Mensch nicht laufen kann.
Der Morgenstern.
Märchen aus Ungarn
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Es war einmal, ich weiss nicht wo, jenseits von siebenmal sieben Königreichen und noch weiter, auch jenseit des Operenzmeeres, auf der zusammengefallenen Seite eines zusammengefallenen Ofens, in der siebenundsiebzigsten Falte eines Altweiberrockes ein weisser Floh. In dessen mittelster Mitte war eine glänzende, königliche Stadt; in der Stadt aber wohnte ein ältlicher König, der hatte einen einzigen, vielversprechenden Sohn. Um es kurz zu sagen: auf diesen Sohn setzte der König grosse Hoffnungen; darum liess er ihn in allen Wissenschaften unterweisen; dann schickte er ihn in fremde Länder, damit er etwas sehe, höre und erfahre.
Mehr als ein Jahr war der Königssohn nun schon dort herumgereist, als er schliesslich auf seines Vaters "Wunsch heimkehrte. Aber auf den vielen Wanderungen hatte der Königssohn seine Natur ganz geändert; er war nachdenklich und traurig geworden. – Das machte den König ganz stutzig, und er sann nach, was wohl die Ursache dieser grossen Veränderung sein könnte. Er sprach jedoch zu niemandem davon; nur in sich brütete er darüber, bis er auf den Gedanken kam, der Königssohn sei sicherlich verliebt, darum sei er so nachdenklich.
Da geschah es einmal, dass der König mit dem Königssohn selbander im Speisesaal der königlichen Residenz war; da nahm der König seinen Sohn beim Arm, führte ihn in das Nebenzimmer, das war ganz voll mit allerlei schönen Mädchenbildern, und sprach zu ihm:
"Mein lieber Sohn, du bist sehr missmutig. Es wäre gut, wenn du heiratetest. Sieh, in diesem Zimmer sind alle Kaiser-, Königs- und Fürstentöchter abgemalt; du kannst nach deinem Gefallen wählen. Welche am meisten nach deinem Herzen ist, die nimm dir zur Gemahlin! Nur lass mich dich besserer Laune sehen!"
"Ach, mein lieber königlicher Vater," erwiderte der Königssohn, "weder Liebe noch Heiraten bekümmern mich. Aber der Gedanke macht mich traurig, dass alle Menschen, auch die Könige, einmal sterben müssen. Deshalb möchte ich ein Reich auffinden, wo der Tod keine Macht hat. Auch bin ich fest entschlossen, und sollte ich mir auch die Füsse bis zu den Knieen ablaufen, so lange will ich wandern, bis ich es finde."
Der alte König wandte alles auf, seinen Sohn von seinem Vorhaben abzubringen; er sagte ihm, das sei unmöglich. Er erzählte ihm, dass er schon fünfzig Jahre dieses Landes König sei, immer zufrieden und glücklich gelebt habe, und zugleich bot er seinem Sohne an, dass er ihm auch das Königreich übergeben wolle; nur möge er wieder guter Dinge sein und daheim bleiben. Aber der Königssohn blieb fest bei seinem Vorsatz. Am andern Morgen band er ein Schwert an die Seite und machte sich auf die Reise.
Als er schon seit mehreren Tagen aus seines Vaters Reich gewandert war und so auf der Strasse schlenderte, sah er von weitem einen riesengrossen Baum, als wenn da in seinem Wipfel ein grosser Adler schwebte. Er trat näher an den Baum; da sah er, dass wirklich ein grosser Adler in dem Wipfel dieses grossen Baumes die Äste tüchtig rüttelte und die Zweige nach allen Seiten auseinander trieb.
Wie er noch darüber staunt, überlegt sich's der Adler, lässt sich neben dem Königssohn nieder, schlägt einen Purzelbaum; da wird er zu einem König und fragt den erstaunten Königssohn:
"Worüber wunderst du dich, Brüderchen?"
"Nun wahrhaftig, ich wundere mich," entgegnet dieser, "warum du dieses grossen Baumes Wipfel rüttelst."
Darauf sagt der Adlerkönig:
"Siehst du, ich bin dazu verdammt, dass weder ich noch einer von meiner Sippschaft sterben darf, bis ich diesen Baum hier mit der Wurzel ausgerüttelt habe. Aber es ist schon Abend; heute arbeite ich nicht weiter, sondern gehe nach Hause, und auch dich werde ich gern als Gast zur Nacht in meinem bescheidenen Hause sehen." Der Königssohn schlug ein, und sie spazierten zusammen zur Residenz des Adlerkönigs. Nun hatte aber der Adlerkönig eine wunderbar schöne Tochter; die empfing ihren Vater und den königlichen Gast und liess sogleich den Tisch decken und versorgte sie mit Abendbrot. Während des Nachtmahls fragte der Adlerkönig unter anderen Gesprächen den reisenden Königssohn, was das Ziel seiner Reise sei. Der Königssohn eröffnete ihm darauf, dass er just so lange umherreisen wolle, bis er ein Reich gefunden, wo der Tod keine Macht habe.
"Nun, lieber Bruder," sagte der Adlerkönig, "da bist du gerade an den rechten Ort gekommen. Hörtest du nicht, dass weder über mich noch über einen meiner Sippschaft der Tod irgendwelche Macht hat, bis ich jenen grossen Baum mit Stamm und Wurzel ausgerüttelt habe? Bis dahin werden wohl sechshundert Jahre verstreichen. Heirate meine Tochter, und hier bei mir könnt ihr dann lang genug leben!"
"Ach, lieber Herr Bruder König, das wäre alles ganz schön; aber nach sechshundert Jahren müssen wir dann doch sterben. Ich dagegen will einen Ort auffinden, wo der Tod niemals Macht haben wird!"
Auch die Königstochter hiess ihn bleiben; denn sie waren schon vertraut mit einander geworden; aber auch sie konnte ihn auf keine Weise zum Bleiben bewegen. Schliesslich gab sie ihm, damit er nicht ohne ein Andenken wieder von ihr gehe, ein Kästchen, auf dessen innerem Boden ihr Bild gemalt war, und sagte ihm:
"Nun, du Königssohn, da du doch keinesfalls bei mir bleibst, so nimm dieses Andenken! Ihm ist diese Kraft zu eigen: wenn du auf deiner Wanderschaft müde wirst, öffne das Kästchen, schaue mein Bild an, und du kannst reisen, wie es dir einfällt; wenn du willst, in der Luft, wenn dort der Wind zu scharf geht, auf der Erde, wie der schnelle Gedanke oder wie der schnelle Wirbelwind."
Der Königssohn bedankte sich für das Kästchen und steckte es in die Tasche. Anderntags nahm er Abschied vom Hause des Adlerkönigs und setzte seine Reise fort.
Eine Weile war er auf der Landstrasse gegangen; aber nach einiger Zeit begann er müde zu werden, und das Kästchen fiel ihm ein; er zog es nun hervor, öffnete es und schaute das Bild der Königstochter an und dachte bei sich: "Könnte ich dahineilen wie der schnelle Wind oben in der Luft!" und sofort wurde er emporgehoben und eilte dahin wie der schnelle Wind.
Als er eine gute Strecke zurückgelegt hatte und oberhalb eines riesig grossen, hohen Berges dahineilte, sah er, dass ein kahlköpfiger Mann mit Spaten und Haue Erde vom Gipfel des Berges in einen Korb lud und abwärts trug. Der Königssohn hält an und wundert sich darüber. Der kahlköpfige Mann hält auch an und fragt den Königssohn: "Worüber wunderst du dich, Bruder?"
"Nun wahrlich ich wundere mich, wohin Ihr diesen Korb mit Erde von hier tragen mögt!"
"Ach, lieber Bruder," sagt der Alte, "ich bin dazu verdammt worden, dass weder ich noch jemand aus meiner Familie sterben kann, bis ich den grossen Berg mit diesem Korb abgetragen und den Platz hier eben gemacht habe. Aber es wird schon Abend; heute arbeite ich nicht mehr." Damit schlug er einen Purzelbaum, und aus ihm wurde ein kahlköpfiger König, der trat zu dem reisenden Königssohn und lud ihn ein, bei ihm zu übernachten. Sie gingen zusammen zur Residenz des kahlen Königs; der hatte nun aber eine noch hundertmal schönere Tochter wie der vorige; die empfing sie herzlich und versorgte sie geschwind mit einem Nachtmahl. Während des Nachtmahls befragte der kahle König den reisenden Königssohn, wie lange er umherreisen wolle, worauf der Königssohn wiederum antwortete, dass er so lange umherreisen wolle, bis er ein Reich finde, wo der Tod keine Macht habe.
"Da kommst du gerade an den rechten Ort," sagt auch der kahle König. "Denn wie ich dir sagte, bin ich dazu verdammt worden, dass weder ich noch einer meiner Familie sterben kann, bis ich jenen grossen Berg ganz abgetragen habe; bis dahin werden wohl achthundert Jahre vergehen. Heirate meine Tochter; soviel sehe ich ohnehin, dass ihr euch zusammen nicht langweilt, und achthundert Jahre lang könnt ihr genug leben."
"Allerdings"; sagt der Königssohn, "aber ich will dorthin gehen, wo der Tod niemals Macht haben wird."
Damit stand er auf, und nachdem er gute Nacht gesagt hatte, ging er in sein Schlafzimmer. Am andern Tag standen alle sehr früh auf; die Königstochter bat den Königssohn aufs neue, zu bleiben; aber er blieb durchaus nicht. Damit der Königssohn nicht ohne jedes Andenken fortgehe, gab sie ihm einen goldenen Ring, der hatte die Kraft, wenn sein Eigentümer ihn am Finger drehte, so war er sofort dort, wo er zu sein wünschte. Der Königssohn nahm den Ring, bedankte sich dafür, und dann nahm er Abschied und machte sich wieder auf den Weg.
Eine Weile war er auf der Landstrasse gegangen, da kam ihm der geschenkte Ring in den Sinn; er drehte ihn also an seinem Finger und dachte bei sich, dass er just am Ende der Welt sein möge. Er schliesst die Augen, und wirklich, in einem Augenblick, als er die Augen öffnet, ist er inmitten einer prächtigen, königlichen Stadt und geht in ihren Strassen auf und ab. Er sah viele Menschen in sonderbarer Kleidung und von sonderbarer Gestalt; in siebenundzwanzigerlei Sprachen versuchte er mit ihnen zu reden; denn so viele Sprachen kannte der Königssohn; aber niemand antwortete ihm auf eine. Das bekümmerte ihn; denn was sollte er hier thun, wo er sich mit niemandem unterhalten konnte! Er spaziert solange umher in seinem Kummer, bis er auf einmal einem so gekleideten Menschen begegnet, wie sie in seinem eigenen Lande zu gehen pflegen; er spricht ihn in seiner eigenen Sprache an; der kann auch wirklich darauf antworten. Zu allererst fragt er ihn also, was dies für eine Stadt sei. Der Mann setzt ihm auseinander, dass dies die Hauptstadt vom Lande des Blauen Königs sei; aber der König selbst sei tot, es sei nur eine liebe, schöne Königstochter da, und die herrsche über sieben Reiche; denn von dem ganzen Königshause sei niemand anderes mehr da. Der Königssohn war mit dieser Auskunft zufrieden und fragte den Mann, ob er ihm die königliche Residenz weisen könne.
"Von Herzen gern," sagte der Mann und führte den Königssohn zur Residenz und verabschiedete sich dort von ihm. Der Königssohn betrat die Residenz, und da sass die Prinzessin auf den Stufen der Residenz, stickte goldglänzende Nebelschleier, und der Königssohn ging gerade auf sie zu. Die Prinzessin aber stand von ihrem Sitzplatz auf, und da sie erkannte, dass der Königssohn kein Alltagsmensch war, führte sie ihn in den Palast und nahm ihn dort wie einen Fürsten auf. Nach mancherlei Gesprächen, als die Prinzessin das Vorhaben des Königssohns erfahren hatte, bat sie ihn, dass er bei ihr bleiben und ihr Gefährte in der Regierung werden möge; jedoch der Königssohn erklärte, dass er sich nur in dem Reich niederlassen wolle, wo der Tod keine Macht habe. Da nahm die Prinzessin den Königssohn beim Arm, führte ihn an die Thür eines Nebenzimmers, und siehe! so voll gesteckt mit Nähnadeln war der Fussboden jenes Zimmers, dass auch nicht eine mehr hätte hineingesteckt werden können.
"Nun, du Königssohn," sagt nun das Fräulein, "siehst du diese zahllosen Nähnadeln? Ich bin dazu verdammt, dass weder ich noch jemand, der zu meiner Familie gehört, sterben kann, bis ich diese vielen Nadeln nicht aufgebraucht, beim Nähen abgenutzt habe. Bis dahin werden aber tausend Jahre verstreichen; wenn du bei mir bleibst, können wir bis dahin genug leben und regieren."
"Allerdings"; sagt der Königssohn, "aber nach tausend Jahren müssen wir dann doch sterben; ich hingegen suche ein Reich, wo der Tod niemals Macht hat."
Die Nebelschleier stickende Prinzessin gab sich Mühe genug, den Königssohn von seinem Vorhaben abzubringen; schliesslich erklärte er, dass er nicht bleiben, sondern seine begonnene Reise fortsetzen werde. Da trat die Prinzessin zum Königssohn und sprach also zu ihm:
"Da ich dich auf keine Weise zurückhalten kann, so empfange von mir zum Andenken eine kleine goldene Gerte; die hat die Kraft, dass sie sich im Notfall in das verwandelt, in was du sie verwandelt denkst."
Der Königssohn bedankte sich für das Geschenk der Prinzessin, steckte es in seine Tasche; darauf nahm er Abschied von ihr und machte sich aufs neue auf den Weg.
Kaum war er aus der Stadt gelangt, so stiess er dort auf einen grossen Strom; aber er sah, dass am jenseitigen Ufer die Fensterladen des Himmels schon heruntergelassen waren und man nicht weiter gehen konnte; denn dort war das Ende der Welt. Er ging also am Flussufer aufwärts, und wie er ein Weilchen aufwärts geschritten war, fiel ihm auf einmal eine strahlende Königsburg in die Augen, die über dem Wasser in der Luft schwebte; aber trotz allen Umherspähens sah er weder einen Weg noch eine Brücke dorthin, welche sie mit dem festen Land verbunden hätte; und doch hätte er so gern die strahlende Burg in Augenschein genommen. Da fällt ihm plötzlich die goldene Gerte ein, die er von der Nebelschleier stickenden Prinzessin bekommen hatte; er zieht sie hervor und wirft sie auf die Erde mit dem Gedanken: Möge aus ihr ein Steg hin zur strahlenden Königsburg werden! Und sofort wurde aus der Gerte ein goldner Steg hin zur strahlenden Königsburg. Der Königssohn säumte nicht lange; er sprang auf den goldenen Steg und ging auf ihm hinüber zur Burg; – aber wie er in das Thor der Burg tritt, da bewachen es die allerseltsamsten Wundertiere, wie er ihresgleichen noch niemals gesehen hatte. Er erschrickt und ruft seinem Schwert zu: "Schwert aus der Scheide!" Sein Schwert springt auch heraus und schneidet einigen die Köpfe ab; doch siehe! sogleich wachsen ihnen andere Köpfe. Darüber erschrickt der Königssohn noch mehr, ruft sein Schwert in die Scheide zurück, und staunt. Die Königin der Burg hatte das von ihrem Fenster aus angesehen und sandte sogleich einen Diener zu ihm, damit ihm die Wächter nichts anthäten, und befahl dem Diener, dass er den fremden Reisenden zu ihr führe. So geschah es auch. Der Diener lief geschwind hin, führte den Königssohn zwischen den Wächtern hindurch vor die Schlossherrin.
Als der Königssohn vor die Königin trat, begann die Königin zu ihm zu sprechen:
"Das sehe ich, dass du kein Alltagsmensch bist; aber auch das will ich wissen: Wer bist du und was führt dich her?"
Darauf erzählte der Königssohn, welches Königs Sohn er sei, und dass er sich auf den Weg gemacht habe, damit er ein Reich auffinde, wo der Tod keine Macht habe.
"Nun, du stehst am rechten Ort," sagt die Königin, "denn ich bin des Lebens und der Unsterblichkeit Königin; hier kannst du dem Tode Trotz bieten."
Sie hiess ihn gleich niedersitzen und nahm den Königssohn freudig bei sich auf und lud ihn gleich zu Tische ein.
Gerade tausend Jahre weilte nun der Königssohn schon in der strahlenden Burg; aber sie waren so schnell verflogen wie vordem ein Halbjahr.
Als die tausend Jahre verstrichen waren, war es dem Königssohn eines Nachts im Traum, als ob er zu Hause mit seinem Vater und seiner Mutter sich unterhalten hätte. Darüber ergriff ihn das Heimweh so, dass er sofort, wie er morgens aufgestanden war, der Königin der Unsterblichkeit verkündete, dass er nach Hause gehen wolle, um seinen Vater und seine Mutter noch einmal zu sehen. Die Königin der Unsterblichkeit staunte ob dieser Worte und sprach:
"Ach, du Königssohn, was kommt dir in den Sinn? Es sind ja doch schon mehr als achthundert Jahre, dass dein Vater und deine Mutter gestorben sind; von ihnen wirst du weder eine Kunde noch ein Stäubchen auffinden."
Aber sie konnte den Königssohn nicht von seinem Vorhaben abbringen; so sprach sie denn:
"Nun, wenn du wirklich wieder fortgehen willst, so geh nicht eher, als bist du mit mir gekommen bist, dass ich dich für die Reise ausrüste." Sogleich hängte sie ihm eine goldene und eine silberne Flasche um den Hals und führte ihn erst in ein kleines Nebengemach, zeigte ihm in dem einen Winkel eine kleine Fallthür, hiess ihn sie öffnen und sprach:
"Von diesem Wasser, das unter der Thüre ist, fülle deine silberne Flasche voll. Es ist also beschaffen: wenn du damit irgend jemanden besprengst, wird er auf der Stelle ein Sohn des Todes, wären vorher auch tausend Leben sein gewesen."
Dann führte sie ihn in ein anderes Seitengemach, in dessen einer Ecke gleichfalls eine kleine Fallthür sichtbar wurde; auch diese hiess ihn die Königin öffnen und füllte mit dem Wasser die goldene Flasche und sagte: "Nun, du Königssohn, dieses Wasser, das am Felsen der Ewigkeit entspringt, hat die Kraft: wenn jemand auch schon vier- oder fünftausend Jahre tot war, und du erhaschst nur ein Knöchelchen von ihm und besprengst es mit diesem Wasser, so erwacht er auf der Stelle in blühender Kraft."
Der Königssohn dankte der Königin der Unsterblichkeit für ihre Geschenke; dann nahm er Abschied von ihr und der ganzen Burg und machte sich auf den Weg.
Sogleich gelangte er in die Stadt, wo die Nebelschleier stickende Prinzessin gewohnt hatte; aber kaum erkannte er den Ort, so sehr war alles verwandelt. Er ging eilends zur königlichen Residenz; aber dort herrschte eine solche Ruhe, als wenn niemand darin wohnte. Er geht hinauf in den Palast, und wie er in das Wohnzimmer kommt, findet er dort die Prinzessin, auf ihre Stickerei gebückt und eingeschlafen; hübsch sachte schleicht er hin, spricht zu ihr, aber sie antwortet nicht, zupft sie beim Rock, aber sie bewegt sich nicht. Da läuft er hinaus in das Zimmer, das voll mit Nadeln gewesen war, und nicht eine Nadel ist darinnen; auch die allerletzte Nähnadel hatte die Prinzessin beim Nähen zerbrochen, und dann war die Prinzessin gestorben.
Geschwind nimmt er seine goldene Flasche, besprengt daraus die Prinzessin. Da erwacht sie zum Leben; auf einmal hebt sie das Haupt, fängt an zu reden und spricht zum Königssohn:
"O mein süsser Freund, wie gut, dass du mich geweckt hast. Ich mag wohl lange geschlafen haben."
"Du hättest bis in alle Ewigkeit geschlafen," sagt der Königssohn, "wenn ich dich nicht erweckt hätte."
Jetzt erst merkte die Prinzessin, dass sie tot gewesen war und der Königssohn sie auferweckt hatte; sie bedankte sich sehr schön und versprach, ihm Gutes mit Gutem zu vergelten.
Nachdem der Königssohn von dort Abschied genommen hatte, ging er geradewegs zum kahlen König; und schon von weitem sah er, dass er den grossen Berg ganz abgetragen hatte. Sobald er dort anlangte, sah er, dass der König den Korb unter das Haupt geschoben, den Spaten und die Haue neben sich hingelegt hatte und gestorben war. Geschwind zog er auch hier seine goldene Flasche hervor, besprengte damit den kahlen König und erweckte ihn zum Leben wie vorhin die Prinzessin. Auch dieser versprach, ihm Gutes mit Gutem zu vergelten, und der Königssohn verabschiedete sich von ihm und ging zum Adlerkönig, und der Adlerkönig hatte den grossen Baum von der Wurzel bis zum Wipfel so zusammengerüttelt, dass auch vom allerkleinsten Zweig nichts mehr zu hören und zu sehen war; er selbst aber hatte die Flügel ausgebreitet, seinen Schnabel zur Erde gesenkt und war tot; sogar die Fliegen umsummten ihn schon. Der Königssohn zieht erst die goldene Flasche vor, begiesst damit den Adlerkönig; da erwacht auch dieser, kommt zu sich und beginnt zu sprechen:
"Ach, wie lange habe ich geschlafen! Ich danke dir, dass du mich wecktest, mein lieber, guter Freund!"
"Du würdest bis in alle Ewigkeit geschlafen haben," sagt der Königssohn, "wenn ich dich nicht erweckt hätte."
Jetzt merkt der Adlerkönig, dass er tot gewesen war. Er erinnert sich des Königssohns und dankt ihm, dass er ihn auferweckt habe, und verspricht, Gutes mit Gutem zu vergelten.
Danach nimmt der Königssohn auch vom Adlerkönig Abschied, macht sich auf und gelangt bald zu seines Vaters Königsstadt; aber schon von weitem bemerkt er, dass die königliche Residenz versunken ist, keine Kunde, kein Stäubchen davon ist übrig geblieben. Er geht näher darauf zu, und da war ein Schwefelsee aus ihr geworden, der mit blauen Flammen brannte wie guter Pflaumenbranntwein. Da gab der Königssohn alle Hoffnung auf, dass er irgendwie seinen Vater und seine Mutter auffinden könne, und trat voll Kummer den Rückweg an; aber wie er da aus der Stadt schreitet, ruft ihn jemand von hinten mit diesen Worten an:
"Halt, Königssohn, du bist am rechten Platz. Es sind just tausend Jahre, dass ich dich unaufhörlich suche." Der Königssohn schaut sich um und erkennt, dass der, der ihn angerufen hat, der alte Tod ist. (Zum Kuckuck mit ihm!) Geschwind dreht er den Ring an seinem Finger, und wie der Gedanke so schnell ist er beim Adlerkönig, von da beim kahlen König, von dort bei der Nebelschleier stickenden Prinzessin; jeden heisst er, die ganze Heeresmacht bereit halten, um den Tod aufzuhalten, bis er bei der Königin der Unsterblichkeit angelangt sein kann. Aber der Tod galoppierte überall so schnell hinter ihm drein, dass, als der Königssohn seinen einen Fuss in die Burg der Königin der Unsterblichkeit setzte, der Tod den anderen draussen ergriff mit den Worten: "Halt! du bist mein!"
Das sah die Königin der Unsterblichkeit, und sie rief von ihrem Fenster hinunter und schalt den Tod, was er in ihrem Reiche zu suchen habe, da dort seine Macht ein Ende habe.
"Allerdings!" sagt der Tod, "aber sein eines Bein ist in meinem Reich; das ist mein."
"Allerdings, aber jedenfalls ist er zur Hälfte mein," sagt die unsterbliche Königin, "und was hättest du davon, wenn wir ihn teilten. Die Hälfte von ihm kann weder mir noch dir taugen. Aber ich sage dir: komm herein zu mir, ich erlaube es jetzt, und hier werden wir beide die Sache mit einer Wette ordnen."
Der Tod ging darauf ein, kam in die Burg der Königin der Unsterblichkeit, und die Königin schlug ihm vor, dass sie den Königssohn hinauf werfen werde, geradwegs bis in den siebenten Himmel, hinter den Rücken des Morgensterns, und wenn sie ihn so hinaufschleudern könne, dass er in der Burg niederfällt, dann sei er der Königin; wenn er hingegen jenseits der Burgmauer niederfalle, so gehöre er dem Tode. Der Tod ging auf diese Wette ein. Nun stellte die Königin den Königssohn in die Mitte der Burg, zwängte ihren Fuss unter die Füsse des Königssohns und schleuderte ihn so hinauf zwischen die Sterne, dass er sich dort ganz verlor; aber bei der Anstrengung taumelte die Königin ein wenig und erschrak sehr, dass nun der Königssohn ausserhalb der Burg niederfallen werde; sie lauerte also eifrig, dass der Königssohn wiederkehre. Auf einmal erblickt sie ihn wie eine kleine Wespe; sie misst mit dem Auge, wo er wohl sei, wo er wohl niederfallen würde; wahrhaftig! gerade auf die Burgmauer! – durchfährt es die Königin. Aber ein kleiner Südwind hat doch so viel genützt, dass der Königssohn hart an der inneren Seite der Burgmauer niedergefallen wäre, hätte ihn die Königin nicht aufgefangen. Schnell sprang die Königin hinzu und wie einen leichten Ball fing sie ihn auf, trug ihn in ihren Armen ins Schloss, und wie sie sah, dass ihm ein wenig schwindelte, küsste sie ihn, dass er wieder zu sich komme. Nun befahl die Königin ihrem Hofgesinde, dass es alle Besen hervorsuchen, sie anzünden, und mit Feuerbesen den Tod aus der Burg der Königin der Unsterblichkeit hinauspeitschen sollten, und gebot ihm, dass er ferner nicht wagen solle seinen Fuss dahin zu setzen. Der Königssohn und die Königin aber leben glücklich und in Freuden bis heute. Wer es nicht glaubt, der suche das Schloss der Königin der Unsterblichkeit auf, das am Ende der Welt in den Wolken über dem Fluss schwebt, und wenn er es erwischt, so wird er sofort von der Wahrheit des Märchens überzeugt sein.
Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn. Als der Knabe schon so herangewachsen war, dass er achtzehn Jahre zählen mochte, musste sein Vater ins Feld ziehen. Der König sammelte alles taugliche Volk um sich und zog in den Krieg; seinem Sohne aber befahl er, dass er die Herrschaft führe, sich jedoch nicht verheiraten sollte, bis er heimkehre.
So ging und schwand die Zeit. Der Königssohn führte die Herrschaft; an Heiraten zu denken, kam ihm gar nicht in den Sinn. Aber als er das fünfundzwanzigste Jahr erreicht hatte, fing er an, ans Heiraten zu denken und wurde ganz versessen darauf; kaum konnte er sich noch bezwingen. Er wartete, wartete noch einige Jahre, so dass schon zehn Jahre verflossen waren, seit sein Vater in der Ferne weilte. Dann versammelte er ein grosses Gefolge und machte sich mit vielem Gepränge auf die Brautfahrt. Wusste selbst nicht, wohin, wohin – wanderte, wanderte zwanzig ganze Tage hindurch. Da fand er sich dem Feldlager seines Vaters gegenüber, den der Feind schmählich in die Flucht geschlagen hatte. Wie freute sich der König, als er seinen Sohn erblickte! Doch als er hörte, dass dieser gegen sein Gebot auf die Brautwerbung zog und ihn nicht zu Hause erwartet hatte, wurde er sehr zornig, nahm ihm das ganze Gefolge weg und sagte zu seinem Sohn: "Du magst gehen, wohin es dir gefällt, aber mein Volk lasse ich dir nicht."
Nur ein treuer Jäger blieb bei dem Königssohn; der gehorchte nicht den Worten des Königs. Sie durchwanderten Berge, Thäler, wanderten, bis sie zur Goldburg gelangten. Der König der Goldburg hatte eine unbeschreiblich schöne Tochter, und sie gingen, sie anzuschauen.
Wie freudig wurden sie da empfangen! Denn wahrlich, der Königssohn war auch ein schöner Jüngling. Er hielt um die Königstochter an, und sie gaben sie ihm von Herzen gern. Auf der Stelle wurde der Priester gerufen, sie wurden getraut, und das Hochzeitsfest dauerte einen Monat lang. – Nach der Hochzeit machten sie sich auf den Heimweg. Am ersten Abend stiegen sie in einem Gasthause ab. Alle schliefen; nur der treue Jäger hielt Wache. Auf einmal, gegen Mitternacht, hört er, wie drei Krähen auf das Dach des Hauses geflogen kommen und so miteinander reden:
"Wahrlich, ein schönes Paar kehrte hier ein! Nur schade, dass sie so bald ihr junges Leben lassen müssen!"
"Wahrlich", spricht die zweite Krähe, "denn morgen Mittag mit dem Glockenschlage stürzt die Brücke des Goldstroms unter ihnen zusammen, wenn sie hinüberfahren."
"Ja, sie stürzt ein," sagt die dritte, "denn des jungen Königs Vater liess alle Brückenpfeiler durchsägen. Aber hört! Wer diese unsere Rede verrät, der wird zur Salzsäule bis zum Knie."
Kaum haben die Krähen dies gesagt, so fliegen sie von dannen. Aber ihnen auf dem Fusse folgen drei Tauben und sprechen so:
"Wenn der junge König und die Königin auch ungefährdet über die Brücke kommen, so müssen sie dennoch sterben; denn der alte König schickt ihnen einen Wagen entgegen, der ist so schön, wie aus dem Ei geschält. Aber wenn sie sich hineinsetzen, erhebt sich ein wütender Wirbelwind, der wirbelt sie vom Wagen in die Lüfte, und sie stürzen dann hinunter, so dass sie eines schrecklichen Todes sterben. Aber wer diese unsere Rede hört und verrät, der wird sogleich zur Salzsäule bis zum Gürtel."
Damit fliegen die Tauben schnellen Fluges davon. An ihrer Stelle kommen drei Adler; so sprechen sie:
"Wenn das junge Paar auch der Brücke und dem Wagen entgehen mag, so schickt ihnen der alte König ein Paar goldgestickte Gewänder, dass sie sie anlegen. Wenn sie sie aber anthun, dann verbrennen sie mit Haut und Haaren. Aber wer diese unsere Rede hört und verrät, der wird ganzen Leibes zur Salzsäule."
In der Frühe erheben sich die Reisenden, setzen sich zu Tisch und speisen. Der eine erzählt dies, der andere das, was er zur Nacht geträumt. Da sagt der treue Jäger zu seinem Herrn: "Erhabener Königssohn! Dies träumte mir: Wenn deine Hoheit alle meine Bitten gewährt, so werden wir ungefährdet heimkehren, wenn aber nicht, so werden wir samt und sonders verderben. Meine Träume täuschen mich nie. Versprecht mir, dass Ihr auf der ganzen Reise meinem Rate folgen werdet."
"Mach nicht so viel aus einem Traum," sagt der Königssohn. "Träume sind Schäume. Aber ich will dich von unnützer Sorge befreien und verspreche, dass ich dir gehorchen werde."
Damit endete das Mahl, und sie machten sich auf den Weg.
Gegen Mittag langten sie beim Goldstrom an. An der goldenen Brücke sagte der Jäger: "Erhabener Königssohn! Den Wagen lassen wir hier zurück und gehen ein Stückchen zu Fuss. Nicht weit von hier ist die Stadt; dort können wir einen anderen Wagen kaufen; denn die Räder an diesem sind schlecht, und er würde bis zur Stadt unter uns zusammenbrechen. Das wäre schmachvoll für einen König!"
Der Königssohn beschaute den Wagen aussen und innen; aber er fand ihn nicht so schlecht, dass man befürchten müsste, er würde zerbrechen. Aber er hatte nun einmal sein Wort gegeben, und dabei blieb es.
Sie stiegen vom Wagen, nahmen das Gepäck herunter und luden es den Pferden auf. Der Königssohn und seine Gemahlin gingen zu Fuss über die Brücke; der Jäger hingegen sagte, er wollte zu Pferde den Fluss durchwaten, damit die Pferde trinken und baden könnten.
Sie kamen auch glücklich ohne allen Schaden hinüber. Keine drei Büchsenschüsse davon lag die Stadt. Dahin gingen sie zu Fuss, kauften dort einen neuen Wagen und setzten ihre Reise fort.
Da erschien vor ihnen ein Bote vom alten König und sprach zum jungen König: "Euer Majestät Vater schickt diesen schönen Wagen, auf dass Eure Majestät darin ihren Einzug in die Heimat halte; denn so ziemt es einem König vor seinem Volke."
Der junge König freute sich so über den schönen Wagen, dass er kein Wort hervorbringen konnte. Aber der Jäger nahm das Wort:
"Mein Herr, diesen Wagen muss ich erst prüfen, und nur dann werden wir einsteigen, wenn ich ihn tauglich finde; andernfalls bleiben wir in dem unsern." Auch jetzt widersprach der junge König nicht dem Jäger. Dieser prüfte den Wagen von allen Seiten und sprach dann:
"Ebenso schmuck wie er ist, ebenso schlecht ist er!"
Und damit zertrümmerte er ihn, dass er in tausend Stücke flog.
Sie erreichten nun die Landesgrenze. Da erschien ein zweiter Bote vor ihnen und meldete, dass der alte König seinem Sohne und dessen Gemahlin jedem ein Gewand sende, dass sie es anthäten und darin ihren Einzug hielten. Aber auch diese zerstörte der Jäger.
Da ergrimmte der alte König, dass es ihm nicht gelingen wollte, seinen Sohn zu verderben, und dass er ihm nun jetzt schon die Herrschaft übergeben sollte. Ihn verlangte zu wissen, durch welche Künste er der Gefahr entronnen sei. Darum sprach er also zu seinem Sohn:
"Mein lieber Sohn, ich freue mich, dass du glücklich heimgekehrt bist; aber ich kann nicht begreifen, dass dir weder der schöne Wagen noch das kostbare Hochzeitsgewand gefallen haben. Ja, du liessest sie sogar vernichten. Womit habe ich das von dir verdient?"
Darauf begann der junge König sich zu entschuldigen:
"Mein erhabener Herr Vater! Ich selbst war sehr betrübt über ihre Vernichtung. Aber es war der Wunsch meines Jägers, dass auf der Reise alles nach seinem Willen geschehen sollte. Ich hatte ihm mein Wort darauf gegeben. Wir könnten nicht glücklich heimkehren, sagte er, wenn nicht dies alles vernichtet würde."
Der alte König zürnte ohnehin schon dem Jäger, dass er gegen sein Gebot mit seinem Sohn gezogen war. Er versammelte seine Räte und verurteilte den Jäger zum Tode.
Inmitten des Hofes wurde der Galgen aufgepflanzt.
Man führte den armen Jäger zum Richtplatz, und der Oberrichter las ihm das Urteil vor. Da sprach der Jäger: "Was ich gethan habe, das habe ich aus Treue gethan. Als wir vom Weissen König zurückkehrten, stiegen wir die erste Nacht in einer Herberge ab; die ganze Nacht schloss ich nicht die Augen, sondern hielt Wache." Und nun erzählte er, was die Krähen gesagt hatten. Im selben Augenblick wurde er bis zum Knie zur Salzsäule. Da rief der junge König, dass er kein Wort weiter reden solle; denn er erkenne daran seine Treue. Aber der Jäger unterbrach seine Erzählung nicht und berichtete alles, was er von den Tauben und Adlern gehört hatte. Als er zu Ende war, da ward er vom Wirbel bis zur Zehe zur Salzsäule.
Ach, wie grämte sich nun der junge König, dass er seinen treuen Jäger verloren hatte! Und vor allem schmerzte es ihn, dass gerade er, den der Treue aus Gefahr errettet, die Ursache seines Verderbens war. Er beschloss, in die Welt zu ziehen und nicht eher zu rasten, bis er irgendwo erfahren würde, wie er seinen Jäger wieder in einen Menschen verwandeln könne.
Am königlichen Hofe lebte ein altes Weib, die war seine Amme gewesen; der teilte er seine Absicht mit und übergab ihr die Sorge für seine Gemahlin. Die alte Frau riet ihm: "Du hast einen weiten Weg vor dir, mein Sohn; suche aber niemanden als Glückes Glück; wenn er dir in deinem Kummer nicht helfen kann, so kann es keine Menschenseele auf dem Erdenrund."
Da machte sich der junge König auf den Weg, dass er Glückes Glück suche. Er wanderte, wanderte, und als er jenseit seines Reiches gelangt war, irrte er drei Tage in einer Heide umher; aber kein lebendes Wesen traf er dort. Am Abend des dritten Tages erreichte er das Ufer eines schönen Flusses. Dort stand eine siebensteinige Mühle, die hatte nicht nur eine Walke sondern auch einen Hirsestosser. Da kehrte er ein und übernachtete dort. Früh morgens, als er aufbrechen wollte, fragte ihn der Müller:
"Mein erlauchter Herr! – mein Leben und mein Tod stehen in deiner Hand – wohin so einsam des Weges?"
Erzählte ihm der König, was ihn herführte.
"So möge deine Majestät Glückes Glück noch eines fragen: Was ist die Ursache, dass ich in einer siebensteinigen Mühle bin, die eine Walke und auch einen Hirsestosser hat, auch genug zum Mahlen bekomme und dennoch so arm bin, dass ich kaum von einem Tag zum andern zu leben habe?"
Der König versprach, danach zu fragen, und damit ging er von dannen. Wiederum irrte er drei Tage auf der Wiese umher, ohne dass er eine Christenseele traf. Am dritten Tage gegen Abend erblickte er ein Städtchen; spät abends langte er dort an, ging hinein; doch nirgends sah er Licht, und fast hatte er es schon ganz durchschritten und noch keine Herberge gefunden. Am Ende der Stadt sah er Licht in einem Eckfenster. Er ging darauf zu und fand im Hause drei Mädchen, welche gerade Glühkohle spannen.1
Er bat sie um Herberge zur Nacht, und sie nahmen ihn auf. Es war wohl die Zeit des zweiten Spinnens. Sie richteten ihm schnell das Nachtmahl her; der König ass. Sie bereiteten ihm ein Nachtlager, und er legte sich nieder und schlief ein.
Am Morgen, als er weiter ziehen will, fragen ihn die Mädchen, wohin er gehe. Auch ihnen giebt er Auskunft. "Erhabener König," bitten da die Mädchen, "fragt Glückes Glück noch eines: Was mag die Ursache sein, dass wir alle drei schon über dreissig Jahre alt sind, auch die allerjüngste hätte schon vor zehn bis fünfzehn Jahren heiraten können, und dennoch sich kein Freier fand, trotzdem wir schön, sittsam und auch sehr fleissig sind?"
Der König versprach auch ihnen, dass er Antwort holen würde, und damit ging er von dannen.
Nun kam er in einen ungeheuer grossen Wald, und dort irrte er umher vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zum Morgen. Als er bis zum andern Ende des Waldes gewandert war, kam er an einen schönen Bach. Der Bach steht still, fliesst nicht um ein Härchen weiter, sondern beginnt zu sprechen und sagt: "Mein Herr König, sage mir, was brachte dich in diese grosse Wildnis? Denn es mögen wohl hundert Jahre sein, dass mein Lauf hier begann, und noch niemals seitdem kam eine Seele hierher."
Darauf erwiderte der König: "Ich werde es dir sagen, wenn du dich teilst, so dass ich dich durchschreiten kann." Sogleich teilte sich der Bach, und der König durchschritt ihn trocknen Fusses. Am jenseitigen Ufer blieb er stehen und erzählte, was das Ziel seiner Wanderung sei. Da sprach der Bach:
"So frage noch Glückes Glück, was die Ursache sei, dass ich so ein schöner, hell fliessender Bach bin und dennoch in mir noch niemals weder ein Fisch noch ein Krebs noch ein anderes lebendiges Tier war."
Auch dies versprach der König, und damit ging er weiter. –
Wie er aus dem Wald kam, erblickte er ein schönes Thal, schritt gerade darauf los und gelangte an ein schilfgedecktes, kleines Häuschen. Er trat dort ein, um sich auszuruhen, denn er war sehr ermattet. In dem Häuschen herrschte die grösste Ordnung und Sauberkeit, und eine heitere, ehrliche alte Frau war drinnen.
"Gott zum Gruss, Frau Mutter!"
"Das Glück leitete dich, mein Sohn! Was führt dich her? Was brachte dich hierher in unsere Gegend?"
"Ich bin auf der Suche nach Glückes Glück", sagte der König.
"Da kommst du an den rechten Ort, mein Sohn; denn ich bin seine Mutter. Er ist jetzt nicht zu Hause; er ist dort in den Weinberg graben gegangen; geh auch du dorthin. Hier hast du zwei Spaten. Wenn du ihn antriffst, so beginne sogleich neben ihm mit beiden Händen zu graben; aber sprich kein Wort mit ihm! Jetzt ist es elf Uhr. Um zwölf Uhr bringe ich euch Essen. Wenn er sich zum Essen hinsetzt, setze dich neben ihn und iss mit! Nach dem Essen wird er dich fragen, und dann sag ihm frei, was dich drückt. Er wird auf alles antworten, was du ihn fragst."
Damit zeigte sie ihm den Weg. Der König ging und that alles, wie es ihm die alte Frau gesagt hatte. Nach dem Essen legten sie sich nieder, um zu ruhen.
Auf einmal begann Glückes Glück zu sprechen und fragte ihn: "Sag mir nur, was für ein Mensch bist du? Du bist wohl stumm; denn seit du hergekommen bist, hast du kein Wort zu mir gesprochen."
"Nicht stumm bin ich, sondern jener glücklose König, dem sein treuester Diener zur Salzsäule gewandelt wurde. Dies wollte ich erkunden: Wie kann ich ihm helfen?"
"Du thatest wohl daran; denn jener Jäger verdient, dass du für ihn dich mühst. Geh heim! Wenn du zu Hause anlangst, wird deine Frau einen Knaben zur Welt bringen. Von dem kleinen Finger dieses Knäbleins träufele drei Blutstropfen in einen Becher, streiche sie mit einem Halm auf die Pulsader der Salzsäule, und der Jäger wird werden, was er war."
"Noch eine Bitte hätte ich: Hier im benachbarten Wald ist ein schöner Bach; aber weder ein Fisch noch ein Krebs noch irgend ein anderes lebendiges Tier ist in ihm. Was mag die Ursache davon sein?"
"Dies, dass in jenem Bach noch niemand ertrunken ist. Aber gieb acht, dass du ihn erst durchschreitest; dann geh zum höchsten Teil des Waldes und steig dort noch auf die Spitze des höchsten Baumes und von dort ruf ihm zu, was ich dir sagte. Denn wenn du nicht also thust, so wirst du der erste sein, der in ihm ertrinkt."
"Noch eins möchte ich fragen: Auf dieser meiner Reise war ich in einem Städtchen zur Herberge bei drei Mädchen. Alle drei waren schon über die Dreissig hinaus, schön, sittsam, fleissig, und dennoch fand sich kein Freier ein. Was mag die Ursache sein?"
"Dies, dass jene Mädchen den Kehricht der Sonne ins Antlitz schütten."
"Und was mag die Ursache sein, dass da eine siebensteinige Mühle ist, die nicht nur eine Walke sondern auch einen Hirsestosser hat, der Müller auch genug zu mahlen bekommt und dennoch so arm ist, dass er kaum von einem Tag zum anderen leben kann."
"Dies, dass der Müller niemals etwas um Gottes willen giebt und nicht in die Kirche geht."
Diese viererlei Sachen schrieb sich der König hinters Ohr, bedankte sich schön, nahm herzlichen Abschied von Glückes Glück und wanderte heimwärts.
Als er bei dem schönen Bach im Walde anlangte, fragte der Bach, ob er ihm gute Nachricht bringe.
Aber er sagte, erst solle er ihn hindurchlassen, hernach werde er es ihm schon sagen. Da teilte sich der Bach; er schritt hindurch und weiter bis zu des Waldes höchstgelegenem Teile; dort kletterte er auf den höchsten Baum, und von dort rief er dem Bache zu:
"He, holla! Hörst du, du schöner Bach! Glückes Glück sagte dies: in diesem Schattenreich wird nun und nimmermehr ein lebendiges Wesen in dir erscheinen können, bis nicht jemand in deinen Fluten stirbt."
Kaum hatte er das letzte Wort hinausgerufen, da schwoll der Bach so ungeheuer an, dass er den Stamm jenes Baumes, auf dem der König sass, ganz überflutete, und mit närrischem Plätschern begoss er ihn zwischen den Ästen ganz und gar und riss ihm fast die Beine unterm Leibe weg. Aber mit seinen beiden Armen umklammerte der König einen starken Ast so fest, dass er ihn von dort auf keine Weise hinunterreissen konnte. Noch dreimal nacheinander führte das Gewässer diesen Tanz auf; dann beruhigte es sich wieder ganz. Nun stieg der König vom Baume; Hemd und Hose trocknete er an der Sonne, that sie dann wieder an, die anderen Kleider hingegen band er zusammen und trug sie so, bis sie trocken waren.
Beim Müller übernachtete er wieder und bestellte ihm, dass er es sich nicht leid sein lassen solle, den Armen Gutes zu thun, und dass er in die Kirche gehen solle. Dann richtete er auch den Mädchen aus, dass sie nicht mehr den Kehricht der Sonne ins Antlitz schütten sollten.
Der König konnte kaum zu Hause angelangt sein, da wollten einige Diebe den schönen Bach mit einem gestohlenen Pferde durchwaten; aber als sie inmitten waren, da schäumte der Bach so auf, dass er sie mitsamt dem Pferde wegfegte. Von dem Tage an wurde er der fisch- und krebsreichste Bach.
Der Müller begann den Armen zu geben. Er bekehrte sich zu Gott und wurde so reich, dass er gar nicht mehr wusste, was ihm alles gehörte. Und so lebte er bis zum Tode wie der Wels im Wehr.
Auch die drei Mädchen, nun sie nicht mehr den Kehricht der Sonne ins Antlitz schütteten, bekamen in einer Woche jede einen Freier.
Als der junge König heim kam, hatte seine Gemahlin ein schönes Knäblein geboren. Nicht einen Augenblick zögerte der König, sondern nahm sein Söhnchen, träufelte Blut aus seinem kleinen Finger und bestrich damit die Pulsader der Salzsäule. Da erbebte die Salzsäule mächtig, spaltete sich siebenfach, und auf einmal war der treue Jäger wieder lebendig. Als der alte König dies sah, schnaubte er vor Wut, dann starrte er ein- zweimal wild umher, warf sich zu Boden und ging nach Erdenburg Bretter verkaufen2.
Der Jäger blieb bis an sein Lebensende im Dienste des Königs. Das war ein ehrlicher Mann. Solche könnten wir viele brauchen!
Fußnoten
1 Ein Spiel, das dem deutschen "Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg" entspricht.
2 d.h. er starb.
Wo war's, wo war's nicht, siebenmal sieben Königreiche und noch weiter von hier – da war einmal ein reicher Kaufmann, der Land und Welt durchwandert hatte, und dieser Kaufmann hatte eine Frau und ein liebes, schönes, kleines Mägdlein, so ungefähr ein Jahr alt, und das Mägdlein wurde von einer Amme aufgezogen; denn seine Mutter war ein zimperliches Frauensbild.
Einstmals zur Nachtzeit hörte die Amme draussen ein Weinen, ging auch hinaus, weil sie dies Wehklagen nicht ertragen konnte, und berichtete dem Kaufmann:
"Dies kleine, weinende Würmchen fand ich draussen auf der Gasse!"
Und der Kaufmann sagte:
"Zieh es mit dem Mägdlein zusammen auf, bis wir seine Herkunft erforscht haben!" Aber sie fanden seine Eltern nicht.
Sie zogen den Knaben auf, bis er fünfzehn Jahre alt wurde, und da begann er, die Tochter des Hauses wie seine Geliebte anzusehen. Da der Kaufmann ihm das nicht wehren konnte, ging er damit um, dass er ihn fortschicken wollte; aber der Jüngling zog keineswegs von dannen.
Da sagte der Kaufmann zu seiner Frau:
"Wenn ich auf Handelsreisen gehe, werde ich ihn mitnehmen."
Und so geschah's – sie zogen auf Handelsreisen aus. Sie wanderten und kamen zu einem Fährmann, und der Kaufmann sagte zum Fährmann:
"Ihr sollt mich über dieses Wasser fahren; wenn Ihr aber den Jüngling fahrt, so werft ihn ins Wasser!"
Nachdem der Fährmann den Kaufmann über das Wasser gefahren hatte, kehrte er zum Jüngling zurück, und als er ihn mitten ins Wasser geführt hatte, stiess ihn der Fährmann ins Wasser. Da ergriffen ihn zwei Teufel und sagten: "Fürchte dich nicht, mein Sohn!" und zogen ihn ans Ufer des Wassers. Und der Kaufmann sagte sehr hinterlistig:
"Du bist wohl hineingefallen, Junge?"
"Ich bin wirklich hineingepurzelt; man hat mich aber herausgezogen," sagte der Jüngling.
Die zwei Teufel sagten noch:
"Du denkst wohl, dass der Jüngling im Wasser ertrinken würde; aber das ist unmöglich."
Nun, dabei blieb es, und er nahm den Jüngling weiter mit. Sie langten in der Herberge an, und von dort schrieb er seiner Frau, sobald der Jüngling heimkomme, solle er sogleich an den Galgen gehängt werden. Den Brief gab er dem Jüngling und sandte ihn heim.
Und wie der Jüngling wanderte, da überkam ihn die Nacht, und er gelangte in einen Wald und erblickte ganz von Ferne das Glimmen eines Feuers. Als er zum Feuer kam, lagerte dort ein Kapuziner. – Der Jüngling grüsste ihn: "Guten Abend, ehrwürdiger Vater!"
Der Mönch erwiderte den Gruss und begann mit ihm zu reden. Der Jüngling erzählte nicht, von wannen er gekommen war, sondern antwortete nur auf die Fragen; und der Mönch gab dem Jüngling Abendbrot, und sie legten sich nieder. Und als der Morgen gekommen war, erhoben sie sich, um sich zu waschen und zu beten, und irgendwie liess der Jüngling den Brief herausfallen, und das sah der Mönch. Und wie der Mönch in dem Brief sah, dass er dem Jüngling nichts Gutes versprach, setzte er sich hin und schrieb ihm einen andern mit einem guten Inhalt: Der Kaufmann grüsst seine Gemahlin (so lauten die Worte ihres Mannes) und lässt ihr sagen, sobald der Jüngling zu Hause anlangt, soll sie ihm, so gut sie kann, ein Steinhaus bauen und die Hochzeit feiern. – Der Jüngling nahm auch den Brief und trug ihn heim.
Dort gab er ihn der Kaufmannsfrau; die Kaufmannsfrau schaute hinein und freute sich, dass ihr Mann ihm die Tochter zur Frau geben wolle, und sogleich begann die Frau Geld für den Bau zu leihen, und als der fertig war, ward Hochzeit gehalten.
Während die Hochzeit ihren Verlauf nahm, war der Kaufmann angekommen, und er hatte sich gewundert, was für ein neues Schloss das sei und was für eine Hochzeit auf seinem Gut. Und er ging hinein zu seiner Frau und fragte sie, noch bevor er sie ordentlich begrüsst hatte:
"Wer ist der Bräutigam bei mir?"
Sagte die Frau:
"Ihr habt es geschrieben: der Sohn, der uns gegeben ward."
Und der Kaufmann, sagte:
"Lass mich dies Schreiben sehen!" – "Mit Schelmenstreichen hat er das erreicht," sagte der Kaufmann, "denn ich habe das nicht geschrieben. Gleich heute hebe ich die Hochzeit auf!"
Der Kaufmann ging auch ins Hochzeitshaus und wünschte ihnen, wie es Brauch ist, einen guten Abend, wie es sich im Hochzeitshause ziemt, und sagte zum Jüngling:
"Was fällt dir ein, Hochzeit zu halten? – Ich stelle dir eine Frage, und wenn du mir Antwort giebst, wirst du glücklich werden."
Antwortete der Jüngling:
"Wie lautet die Frage, mein lieber Vater?"
"Sag mir, welches die glücklichste Stunde in tausend Jahren ist."
Sagte der Jüngling:
"Das kann ich nicht sagen, lieber Vater."
"Wenn du es nicht sagen kannst, so ist hier ein eiserner Stab; so lange sollst du wandern, bis er abgewetzt ist; denn das muss man wissen."
Und der Kaufmann liess nicht das Ende der Hochzeit zu, er schickte alle Hochzeitsgäste fort. Und dem Jüngling gab er den eisernen Stab in die Hand.
Der Jüngling nahm Abschied von seiner lieben Frau und zog in die weite Welt hinaus. Er ging hierhin und dorthin, und sie wiesen ihn an einen Wahrsager. Den fand er nicht und wanderte solange, bis er beim Grünen Kaiser anlangte.
Und er ging ganz kühn zum Kaiser hinein, beugte das Knie und küsste ihm die Hand. Fragt ihn der Kaiser:
"Was fehlt dir Jüngling? Denn auch ich trage Leid; sag es mir geschwind!"
Und der Jüngling sagt:
"Nur ein Wort, mein gnädiger Kaiser; welches ist wohl die glücklichste Stunde in tausend und einem Jahr?"
Da erwidert der Kaiser:
"Der war nicht bei Verstand, der dich diese Frage lehrte. Ich führe seit drei Monaten Krieg," sagt der Kaiser, "wie sollte ich da die glückliche Stunde erraten können! Wie not thäte mir jene glückliche Stunde! Und wie kannst du dich unterfangen aus tausend und einem Jahr eine Stunde herauszuholen? – Na aber, weil du gerade darum flehst, so weise ich dich an den Roten Kaiser. Ich habe auch einen Apfelbaum, wenn du irgend etwas von ihm erfahren könntest, wie Äpfel darauf wachsen würden, so sollst du ein grosses Geschenk bekommen."
Der Bursche ging von dannen und reiste dorthin; er kam beim Roten Kaiser an und ging ins Reich hinein, und als er beim kaiserlichen Schloss anlangte, ging er auch dort hinein.
Der Kaiser sass auf einem Divan, und er wünschte ihm einen guten Tag. Und der Kaiser sagte:
"Woher kommst du, Jüngling?"
"Ich komme von sehr weit her, mein gnädiger Herr. Wollt Ihr mich freundlich anhören? Es ist nur ein Wort, und der gnädige Kaiser möge es mir sagen!"
"Was für ein Wort ist es? Sag es geschwind," sagte der Kaiser.
"Dies wollte ich wissen: welches ist die glückliche Stunde in tausend und einem Jahr?"
Sagte der Kaiser:
"Einen sehr hohen Baum willst du fällen! – Wo suchst du diese eine Stunde? – Ich habe einen Brunnen, und ob ich auch genug bohren liess, seit drei Jahren kommt kein Wasser aus ihm. Wenn du irgendwohin gehst, lerne dem abzuhelfen; ein grosses Geschenk sollst du dann bekommen. – Ich kann auch nicht sagen, welches die glücklichste Stunde ist. Zwar lese ich wohl mancherlei Geschriebenes; dies sah ich niemals aufgezeichnet, von selbst aber kann ich es nicht wissen. – Zieh heute gleich von dannen und begieb dich zum Schwarzen Kaiser. Er übertrifft uns um neunzig Jahre (Potztausend!) und ist auch ausserdem ein sehr kluger Mann; wenn er es nicht sagt, weiss ich nicht, was daraus werden soll."
Da machte sich der Jüngling auch dorthin auf den Weg. Er wanderte wieder hierhin und dorthin, so lange, bis er auch zum Schwarzen Kaiser kam. Und er ging zu ihm hinein; da sass der alte Kaiser. Der Jüngling bot ihm guten Tag und küsste ihm die Hand. Er fragte ihn:
"Woher kommst du, kleiner Knabe?"
"Von gar weit komme ich her, gnädiger Herr."
"Und was bringt dich her? Sag es geschwind!"
"Ich möchte gern erfahren, mein gnädiger Kaiser, welches die glücklichste Stunde in tausend und einem Jahr gewesen ist."
"O mein Sohn, die Sache ist ungewiss; denn es könnten auch mehr als eine sein, und wir können das doch nicht unterscheiden. – Aber weshalb forschest du dieser einen Stunde nach? Ziehe weiter, und du wirst es erfahren. Hier draussen in meinem Wald ist ein Mönch, der trägt ein Kreuz auf dem Rücken; wenn es dir einer sagen kann, so ist er's. Und auch das erfrage von ihm: Ich habe eine Tochter; es sind sieben Jahre, dass sie zu Bett liegt; es kamen genug Doktoren, und noch keiner konnte sie kurieren. Wenn du von ihm ein Heilmittel bekommst, so erhältst du auch von mir ein schönes Geschenk."
Da zog der Bursche auch hier wieder von dannen. Er ging hinaus in den Wald und sah den Mönch. Er bot dem Mönch guten Tag. Da sagte der Mönch:
"Willkommen, Sohn! Was führt dich her?"
Doch der Mönch konnte nicht bei ihm stehen bleiben; da begleitete ihn der Jüngling.
"Weswegen kamst du zu mir?" fragte ihn der Mönch.
Der Jüngling erwiderte, dass er erfahren wollte, welches die glücklichste Stunde in tausend und einem Jahr sei. Da antwortete der Mönch:
"Ich kann es dir nicht sagen; denn so viele Jahre zähle ich noch nicht, obschon ich ein sehr alter Mann bin; neunundneunzig Jahre sind es, dass ich das Kreuz hier trage, und das wäre mir eine glückliche Stunde, wenn ich es abthun könnte. – Drum geh fort in jene Stadt, die sie "die verfluchte Stadt" heissen, weil das ganze Volk sich dort gegenseitig abgeschlachtet hat, und dort wohnt der König der Bösen. Geh zum Stadtthor und das Thor wird sich öffnen. Geh hinein; bange nicht, weil nirgends Licht ist! Und suche so lange zur linken Hand, bis du an einer Thür sieben Schlösser findest, und da geh hinein! Die Königin der Bösen wird für dich ihren Mann befragen."
Und der Jüngling ging fort zu der Stadt und fand die sieben Schlösser an einer Thür; er berührte nur das Schloss, und sie fielen mit Klirren herunter, und die Thür öffnete sich, und der Jüngling ging hinein.
"Gott schenk Euch einen guten Abend, meine liebe Mutter!"
"Dein Glück, dass du mich deine liebe Mutter nanntest; denn mein Mann ist der König der Bösen, und wenn er nach Hause kommt, tötet er dich; gieb acht! Was ist dein Begehr? Sag es mir geschwind! Weswegen du kamst, was du wissen musst, alles sag mir! Und dann verbirg dich unter dem Herde, und ich werde dich zudecken, dass mein Mann dich nicht sieht."
Da begann der Jüngling zuerst damit, welches in tausend-einem Jahr die glücklichste Stunde sei, und dann fing er an vom Grünen Kaiser zu reden, dass dessen Apfelbaum keine Äpfel trage, und dann erzählte er auch, dass in des Roten Kaisers Brunnen kein Wasser fliesse, und danach kam er auf den Schwarzen Kaiser zu sprechen, dessen Tochter nicht gesunde, und schliesslich auf den Mönch, warum er das Kreuz trage. Dann versteckte sich der Jüngling.
Nach einer kleinen Weile entstand ein grosses Getöse, und der König der Bösen kam in heller Wut. Er stürzte sehr wütend ins Haus hinein und fragte: "Wer ist hier? der soll es büssen!" Und seine Frau legte sich aufs Bitten; es sei niemand hier.