Märchen der Aramäer -  - E-Book

Märchen der Aramäer E-Book

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Sammlung Prym-Socin. Geschichte des weisen Chikâr. Erzählung vom Erscheinen Chikâr's in Ägypten vor König Pharao. Chikâr's Abreise von Ägypten und Rückkehr nach Assyrien und Ninive. Geschichte vom Kaufmanne, seinen drei Söhnen und drei Töchtern. Eine andere Erzählung Malla Idrîs. Die Qarqirjaneschlucht. Der Mossulaner und der Teufel. Der Holzhauer und die Schlange. Der Traumdeuter und die Schlange. Die Stampfkeule. Der Fuchs und der Krebs. Das Mädchen im Kasten. Die entführte Frau. Die Teilung. Mahmûd Kola. Wie ein liâri Eier ausbrütete. Wie die liâri die Sonne suchten und fanden. Wie ein liâri zum Melik ging. Wie die liâri eine Mühle bauen wollten. a) Der Fuchs unp asd Rebhuhn. b) Der Fuchs und der Rabe. Die Übereilung. Die Gesellschaft der Schweigenden. Die Zunge. Die beiden Könige. Der Teuerste. Der Einjahrskönig. Der Unglücksvogel. Altersversorgung. Der kluge Gärtner. Die Folgen des Lügens. Der Bauer als Traumdeuter und Doctor. Folgen des Schielens. Der vornehme Bettler. Ma'n ibn Zaïda und die Verurteilten. Bir Dalâma und Ssaffâch. Der hässliche achiz. Kindermund. Mohammeds Aufenthaltsort. Der Liebhaber im Kasten. Der untreue Depositär. Das Vermächtnis des Verabschiedeten. Erzählung von Ssalo und Abo. Die Wette. Die Alte und der Fuchs. Die braven Kinder. Kleines Volk. Der Blinde und der Sehende. Die brave Frau. Die entführte Frau Der Holzhauer und die vierzig Dünnbärte. Der wahrsagende Esel. Erlebnisse eines Taugenichts. Das Schädelkind.

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Seitenzahl: 684

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Märchen der Aramäer

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen der Aramäer

I. Sammlung Prym-Socin.

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

40.

41.

42.

Geschichte des weisen Chikâr.

Erzählung vom Erscheinen Chikâr's in Ägypten vor König Pharao.

Chikâr's Abreise von Ägypten und Rückkehr nach Assyrien und Ninive.

Geschichte vom Kaufmanne, seinen drei Söhnen und drei Töchtern.

Eine andere Erzählung

Malla Idrîs.

Die Qarqirjaneschlucht.

Der Mossulaner und der Teufel.

Der Holzhauer und die Schlange.

Der Traumdeuter und die Schlange.

Die Stampfkeule.

Der Fuchs und der Krebs.

Das Mädchen im Kasten.

Die entführte Frau.

Die Teilung.

Mahmûd Kola.

Wie ein Ṭiâri Eier ausbrütete.

Wie die Ṭiâri die Sonne suchten und fanden.

Wie ein Ṭiâri zum Melik ging.

Wie die Ṭiâri eine Mühle bauen wollten.

a) Der Fuchs unp asd Rebhuhn.

b) Der Fuchs und der Rabe.

Die Übereilung.

Die Gesellschaft der Schweigenden.

Die Zunge.

Die beiden Könige.

Der Teuerste.

Der Einjahrskönig.

Der Unglücksvogel.

Altersversorgung.

Der kluge Gärtner.

Die Folgen des Lügens.

Der Bauer als Traumdeuter und Doctor.

Folgen des Schielens.

Der vornehme Bettler.

Ma'n ibn Zaïda und die Verurteilten.

Bir Dalâma und Ssaffâch.

Der hässliche Ğachiz.

Kindermund.

Mohammeds Aufenthaltsort.

Der Liebhaber im Kasten.

Der untreue Depositär.

Das Vermächtnis des Verabschiedeten.

Erzählung von Ssalo und Abo.

Die Wette.

Die Alte und der Fuchs.

Die braven Kinder.

Kleines Volk.

Der Blinde und der Sehende.

Die brave Frau.

Die entführte Frau.

Der Holzhauer und die vierzig Dünnbärte.

Der wahrsagende Esel.

Erlebnisse eines Taugenichts.

Das Schädelkind.

Der Prinz und die Frau des Juden Illik.

Der Meisterdieb.

Dschochi.

Der Glücksvogel.

Geschichte eines verschuldeten Menschen.

Geschichte der Kahramâneh und des jungen Prinzen.

Märchen der Aramäer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen der Aramäer

I. Sammlung Prym-Socin.

1.

Es war einmal ein Holzhauer, der verdiente mit Holzhauen täglich einen Groschen und brachte dafür seinen Kindern Essen. Als er einst beim Backofen war, sah er einen, der Pasteten buk. Da dachte er: "Heute Abend will ich meinen Kindern auch Pasteten backen." Er tat das und brachte sie seinen Kindern nach Hause; da erklärte aber seine Frau: "Ich gebe sie den Kindern nicht zu essen, Gift hast du hineingetan; willst du meine Kinder töten?" Darüber gerieten sie mit einander in Streit, und der Mann verließ die Frau und die Kinder und ging auf die Heide. Er wanderte immer weiter, bis er ans Ufer des Meeres gelangte; dort traf er einen Derwisch, der sagte Beschwörungen her, bis das Meer sich öffnete. Dann ging er in dasselbe hinein, verweilte jedoch nicht lange, sondern kam wieder heraus. Nachdem er dann weggegangen war, blieb der Holzhauer noch eine Weile sitzen, darauf wandte auch er sich an das Meer und sagte: "Ich beschwöre dich, o Meer, wie dich beschworen hat der Derwisch." Da öffnete sich ihm das Meer, er stieg hinab und fand ein Mädchen, welches mit den Haaren an der Decke aufgehangen war. Die sagte: "Ich bitte dich, löse mich." Er löste sie, und dann befahl sie ihm, eine Schachtel aus der Wandnische mitzunehmen. Mit ihr flohen sie zum Meere hinaus. "Eile dich," mahnte sie, "eben kommt der Derwisch, wenn er uns sieht, so tötet er uns." Sie liefen weiter und trafen Pferdetreiber an, welche gerade Baumwolle aufluden1. Zu denen sagte das Mädchen: "Ich bitte euch, tut etwas2 Baumwolle beiseite und verbergt mich, dann werde ich euch den Futtersack voll Gold geben, und wenn der Derwisch kommt und euch fragt, ob ihr hier ein Mädchen habt vorüber – gehen sehen, so antwortet: Nein!" Darauf kam der Derwisch zu den Pferdetreibern und fragte sie: "Habt ihr irgend ein Mädchen gesehen?" Der Derwisch hatte das Mädchen gestohlen und wollte es heiraten, sie aber wollte nicht, und nun hatte der Holzhauer sie ihm weggeholt und hatte sie bei den Pferdetreibern verborgen, und wie nun der Derwisch kommt und die Pferdetreiber fragt, so sagen sie ihm, sie sei nicht bei ihnen; sie hatten Baumwolle beiseite getan und das Mädchen zwischen der Baumwolle versteckt. Darauf zogen sie weiter und gelangten zu einem Orte. In der Schachtel war ein Ring; was auch immer jemand von diesem Ringe verlangte, das gewährte er ihm. Da verlangte sie Goldstücke von ihm und gab sie den Pferdetreibern als Belohnung. Darauf baute sie sich eine Wohnung und kaufte Sklaven, die sie an die Türe setzte, indem sie ihnen befahl: "Wenn der Derwisch kommt, so laßt ihn nicht herein." Dann ließ sie eine Grube graben und eine Eisenplatte holen, stieg in die Grube hinab und bedeckte damit die Öffnung derselben. Hierauf ließ sie eine Sklavin kommen und sich ein Lager auf der Grubenöffnung bereiten und empfahl ihr an: "Wenn der Derwisch kommt, so laß nicht zu, daß er zu mir hinabsteige." Bald darauf kam der Derwisch und fragte die Sklavin: "Wo ist deine Herrin?" "Ich bin die Herrin," versetzte sie. Da ergriff er sein Schwert und hieb ihr den Kopf ab, dann entfernte er sie von der Grubenöffnung und stieg zu dem Mädchen hinunter. Als er aber seinen Kopf hinabstreckte, zückte sie das Schwert und rief: "O Gott, o heiliger Elias, erlöse mich von diesem Derwisch!" So tötete sie ihn. Hierauf stieg sie aus der Grube heraus. Gott und der heilige Elias hatten sie von dem Derwisch erlöst, und nun ist die Geschichte aus.

Fußnoten

1 [B. geladen hatten].

2 [hier und im Folgenden: die].

2.

Es war einmal eine Frau, die hatte keine Kinder; aber nach einiger Zeit ging eines Tages ein Arzt im Dorfe umher und bot eine Arznei an, durch die man guter Hoffnung werden könne. Da kam die Frau heraus und bat den Arzt, ihr das Mittel zu geben. Er tat dies, gab ihr jedoch den Rat, es nicht eher einzunehmen, als bis sie ein Bad genommen hätte. Sie legte das Mittel in die Wandnische und ging ins Bad. Unterdessen kam ihr Mann nach Hause und aß es auf. Als sie nun aus dem Bade zurückkam, fragte sie gleich: "Wo ist das Mittel, welches in der Wandnische war?" "Ich habe es gegessen," erwiderte der Mann. "Iihihi!" rief sie, "morgen1 wirst du schwanger werden." In der Tat wurde der Mann schwanger und zwar an seiner Hüfte, und nachdem neun Monate vergangen waren, sagte die Frau zu ihm: "Die Leute spotten allenthalben über dich, Mann, und sagen: ›Wird denn ein Mann schwanger?!‹ Jedoch mach dich auf und geh aufs Feld, dort schneide deine Hüfte auf und zieh das Kind heraus." Der Mann ging also aufs Feld, indem er ein Messer mitnahm, und als er dorthin gekommen war, schnitt er mit dem Messer seine Hüfte auf. Ein kleines Mädchen kam zur Welt, das ließ er dort im freien Felde, indem er selbst nach Hause ging.

Aber die Gazellen pflegten zu kommen, das Mädchen zu säugen, und gingen wieder weg und ließen es allein im Felde. So taten sie, bis es herangewachsen war. Da kamen eines Tages der Sohn des Sultans und der Sohn des Ministers, um zu jagen. Der Prinz ging vorauf und fand das Mädchen. Alsbald sagte er zum Sohne des Ministers: "All unsere Jagdbeute soll dein sein, aber diese hier ist für mich." Damit nahm er sie an sich und versteckte sie unter seinem Rock. Zu Hause bat er seine Mutter, sie möchte ihm das Mädchen erziehen, und als jene ihn fragte, woher er es habe, antwortete er: "Ich habe sie auf dem Felde gefunden, du sollst sie mir gut erziehen, ich will sie später zur Frau nehmen, freien." Die Mutter sagte ihm dies zu. – Darauf wollte der Prinz auf die Wallfahrt gehen, da empfahl er seiner Mutter an, sie möchte auf das Mädchen gut Acht haben, es nicht hungern und nicht unbekleidet lassen, vielmehr möchte sie ihm Kleider anfertigen lassen. Sie versprach dies, und der Prinz begab sich auf die Wallfahrt. Als aber die Zeit herannahte, daß er zurückkehren sollte, nahm die Mutter das Mädchen mit an den Fluß und setzte sich dort mit ihr zusammen an den Rand des Wassers. Darauf warf sie ihr Tüchlein mitten in den Fluß und befahl dem Mädchen, es wieder aus dem Wasser herauszufischen. Das Mädchen bog sich nach vorn und streckte seine Hand in den Fluß, um das Tüchlein zu ergreifen und aus dem Wasser herauszuziehen. Aber die Mutter des Prinzen, welche neben ihr saß, erhob ihre Hand und stieß sie mitten in das Wasser hinein. Das Wasser führte das Mädchen mit sich fort, die Mutter überließ es seinem Schicksal und ging nach Hause.

Das Wasser führte also das Mädchen mit sieh fort, aber bald fand es inmitten desselben einen Baum, den umklammerte es mit den Händen, darauf stieg es aus dem Wasser hinaus und setzte sich in die Sonne. Nicht lange dauerte es, da kam eine, die rief: "Ich bitte dich, verbirg mich." "Wo soll ich dich denn verbergen?" fragte das Mädchen. "Wo immer du willst, und wenn einer kommt, der nach mir fragt, so sage ihm, du habest mich nicht gesehen, dann werde ich dich reich machen." Das Mädchen verbarg jene; bald kam auch einer, der nach jener fragte, welche das Mädchen gebeten hatte, sie zu verbergen. Als das Mädchen nun antwortete, es habe sie nicht gesehen, da barst er vor Wut. Das Mädchen aber hob einen Stein auf und zerschlug ihm damit den Kopf. Darauf kam jene, welche verborgen war, heraus und fragte: "Hast du ihm den Kopf zerschlagen?" "Ja freilich," erwiderte das Mädchen. "So verlange von mir, was du auch immer magst." "Ich wünsche," versetzte das Mädchen, "daß du mir Sklaven und Diener verschaffest und ein Schloß oberhalb des Schlosses des Prinzen." "So schließe deine Augen und öffne sie wieder," befahl jene. Das Mädchen schloß die Äugen. Als sie sie wieder öffnete, fand sie sich von Dienern umgeben, und sie hatte ein Schloß oberhalb des Schlosses des Prinzen, und eine Weinlaube und Trauben das ganze Jahr hindurch2.

Als die Leute von der Wallfahrt zurückkehrten, ging jene Frau, die Mutter des Prinzen, in den Hof, nahm ein Schaf und schlachtete es. Darauf grub sie in dem Hofe eine Grube, begrub darin das Schaf und baute ein Grab darüber. Als dann der Prinz von der Wallfahrt kam und in den Hof trat, legte sie schöne Kleider an und tat so, als ob sie jenes Mädchen wäre, welches der Prinz gefunden hatte. "Wer bist du?" fragte sie der Prinz. "Ich bin das Mädchen, welches du gefunden hast." "Wo ist denn meine Mutter?" "Sie ist gestorben." "Hast du sie begraben?" "Ich hatte nicht das Herz, sie draußen zu begraben, da habe ich im Hofe ein Grab gegraben und sie dort begraben; komm, ich will dir den Ort zeigen, wo ich sie begrub." Damit führte sie ihn an den Ort, wo sie das Schaf vergraben hatte, und sagte: "Hier habe ich deine Mutter begraben." Und das war Lüge; seine Mutter hatte eine Intrige gegen ihn ins Werk gesetzt, infolgedessen er sie für das Mädchen hielt, welches er gefunden hatte. Darauf ließ er den Geistlichen kommen, und nachdem dieser sie eingesegnet hatte, heiratete er jene, seine Mutter, von welcher er meinte, daß sie das von ihm gefundene Mädchen wäre. – "Wir haben ja Nachbarn bekommen," sagte er, als er das Schloß erblickte, das jenes Mädchen, welches seine Mutter ins Wasser gestoßen hatte, sich oberhalb seines eigenen Schlosses hatte bauen lassen.

Darauf wurde die Frau des Prinzen guter Hoffnung, und da es bei ihrer neuen Nachbarin Trauben gab, so schickte sie eine Sklavin – sie hatte eine Menge Sklaven und Sklavinnen – zu dieser, indem sie ihr auftrug: "Geh zu meiner Nachbarin und sage ihr: gib meiner Herrin eine Weintraube." Aber das Mädchen schnitt der Sklavin die Zunge ab, so daß sie stumm zu ihrer Herrin zurückkehrte; ihre Zunge war abgeschnitten, und sie konnte nicht sprechen. Zum andernmal schickte sie eine Sklavin, aber auch dieser schnitt jene die Zunge ab, so daß sie nicht mehr zu sprechen vermochte. Auch mit der folgenden, welche sie schickte, verfuhr sie ebenso, wie mit jenen, so daß es nun drei waren. Die Frau schickte aber immer weiter Sklavinnen, bis es zehn wurden. Ihnen allen schnitt sie die Zunge ab. Jene schickte die Sklavinnen, damit sie für sie um Trauben bäten, das Mädchen aber schnitt allen zehn Sklavinnen die Zunge ab, und sie kamen mit abgeschnittenen Zungen zu ihrer Herrin zurück und konnten nicht sprechen. Schließlich fragte der Prinz seine Frau, ob sie denn nicht ein einziges Mal selbst zu der Nachbarin gegangen sei, und als sie dies verneinte, sagte er: "So geh' doch zu ihr, begrüße sie und bleibe ein wenig bei ihr sitzen; dann wird sie dir wohl einen Teller Trauben vorsetzen, denn sie hat Trauben dort, obgleich es Winter ist, das ganze Jahr." "So laß uns zusammen zu ihr hinaufgehen," versetzte die Frau. Sie gingen also zusammen zu ihrer Nachbarin und nahmen auf dem Sofa Platz. Diese legte ihnen zwei Kissen in den Rücken, dann ließ sie ihnen eine Wasserpfeife zurechtmachen und den Kopf derselben füllen. Auch eine zweite ließ sie ihnen zurechtmachen, schließlich eine dritte, und noch immer warteten sie, daß sie ihnen Trauben vorsetzen möchte, aber sie setzte ihnen keine vor. Endlich gab die Frau ihrem Manne einen Wink, er möchte aufstehen, sie wollten gehen. Da sagte das Mädchen: "Klebe, Kissen, an ihrem Rücken und laß nicht zu, daß sie aufsteht und ihre Nachbarin verläßt." Wie sie sich nun anschickte aufzustehen, da klebte ihr Rücken an dem Kissen fest, und sie blieb sitzen. Nun wandte sich der Prinz zu der Nachbarin und sagte: "Deiner Nachbarin ist in den Sinn gekommen, sie möchte einen Teller Trauben von dir haben." "Ja, wahrhaftig," versetzte nun das Mädchen, "meine Mutter wünschte mich, und mein Vater ging schwanger mit mir, und ins Feld brachte er mich, und die Gazellen kamen mich säugen, des Sultans Sohn fand mich und unter der Schleppe seines Rockes verbarg er mich; seine Mutter ist guter Hoffnung von ihm, und ich soll ihr Trauben geben als mein Geschenk?!" Der Prinz verstand sie, aber er fragte: "Was soll das bedeuten, Nachbarin, was du da redest?" "Aber was denkst du denn?" erwiderte sie; "Das ist deine Mutter, und nicht das Mädchen, welches du gefunden hattest." "Aber wo ist denn das Mädchen, welches ich gefunden habe?" "Das bin ich." "Und meine Mutter?" "Ist diese, welche sich stellt, als ob sie das Mädchen wäre, und die du zur Frau genommen hast; das Mädchen, welches du gefunden hast, bin ich." "Aber wer hat dich hierher gebracht?" fragte der Prinz. "Deine Mutter nahm mich mit ans Wasser und ließ mich am Ufer sitzen, darauf warf sie ihr Tüchlein mitten in das Wasser und befahl mir, es aus demselben herauszuholen; als ich aber nach ihm langte, um es aus dem Wasser zu ziehen, da stieß sie mich ins Wasser, und das Wasser nahm mich mit sich fort, bis ich in ihm einen Baum antraf, an den ich mich mit meinen Händen anklammerte, so daß ich aus dem Wasser hinausgehn konnte; und so ließ Gott mich aus ihm herausgehn." Nachdem das Mädchen dem Prinzen erzählt hatte, was seine Mutter an ihr verübt hatte, ließ er in seiner Residenz ausrufen: "Wer den Sohn des Sultans liebt, der bringe Brennholz und Feuer." Da brachten die Einwohner der Stadt ihm Holz und Feuer, und er zündete es an und setzte seine Mutter mitten in das Feuer. Darauf ließ er das Mädchen kommen, hielt um seine Hand an und ließ den Geistlichen holen; der traute ihm das Mädchen an, und so heiratete er es, und sie lebten vergnügt zusammen, und nun ist die Geschichte aus.

Fußnoten

1 [demnächst].

2 oder: die dem Wechsel der Jahreszeiten nicht unterworfen waren. – [außer der Zeit].

3.

Es war einmal ein Minister und ein Sultan, die saßen einst bei einander, taten Wasser in eine Schale und setzten sie aufs Feuer. Als nun das Wasser zu sieden anfing, fragte der Sultan den Minister: "Was sagt das Wasser, während es siedet?" Der antwortet: "Ich weiß es nicht." Aber jener befahl: "Du sollst mir erklären, was das Wasser bei seinem Sieden spricht." "O Herr," sagte der Minister, "woher sollte ich wissen, was es sagt?" "Einerlei," erwiderte er, "gib dir Mühe, und wenn du mir nicht berichten kannst, was es sagt, so lasse ich dir den Kopf abschlagen." Da bat er: "O Herr, so gib mir Frist." "Drei Tage sollst du haben, die will ich auf dich warten." Da machte der Minister sich auf und trieb sich in der Welt umher, damit er jemand fände, der ihm sagen könnte, was das Wasser beim Sieden spricht. So kam er auch zu dem Häuptling der Beduinen. Als er bei ihnen Platz genommen hatte, fragten sie ihn: "Was ist dir, Gast?" "Mir ist eine schwere Sache auferlegt worden," erwiderte er. "Was ist das denn für eine Sache?" fragten sie. Da erzählte er ihnen: "Ich saß mit dem Sultan zusammen, der tat Wasser in eine Schale und setzte sie aufs Feuer, darauf verlangte er von mir, ich solle ihm sagen, was das Wasser beim Sieden spricht, und wie ich ihm das nicht zu sagen wußte, drohte er mir, er würde mir den Kopf abschlagen lassen, wenn ich es ihm nicht sagte; jedoch gewährte er mir drei Tage Frist, welche er auf mich warten will; wenn ich ihm aber auch dann keine Antwort geben kann, so läßt er mir den Kopf abschlagen, und nun bin ich ratlos, was ich machen soll." Als der Minister den Beduinen diese Geschichte erzählt hatte, sagte der Häuptling: "Das ist leicht, mach' dir nur keine Sorge, sei guten Mutes und vergnügt." "Aber ich bitte dich, wie?" entgegnete er. "Ich habe ein Mädchen hier," fuhr jener fort, "die wird es dir mitteilen." "So laß sie zu mir kommen," bat er. Darauf führte er sie zu ihm, und als er es ihr erzählt hatte und sie fragte, was das Wasser beim Sieden sage, antwortete sie: "Recht geschieht mir, das Leid kommt von mir selbst; im Tale lief ich, und jedes Holz, welches von mir trank, mit seinem Feuer werde ich jetzt gebrannt."

Am andern Morgen brach der Minister aus dem Beduinenlager auf und begab sich zum Sultan. "Bringst du die Antwort?" fragte dieser. "Ich bringe sie," versetzte er. "So laß mich hören." "Herr," erwiderte er, "das Wasser sagt: ›Recht geschieht mir, das Leid kommt von mir selbst; im Tale lief ich, und jedes Holz, welches von mir trank, mit seinem Feuer werde ich jetzt gebrannt.‹" Als der Minister ihm diese Antwort mitgeteilt hatte, verlangte der Sultan, er solle ihm anzeigen, wer ihm das gesagt habe, und als er ihm darauf die Tochter des Beduinenhäuptlings nannte, forderte er ihn auf, ihn zu ihr zu führen. Sie machten sich daher auf den Weg zu den Beduinen und zu der, welche ihnen die Antwort gegeben hatte. Kaum waren sie dort angekommen, so fragte der Sultan den Minister: "Wo ist die, welche dir gedeutet hat, was das Wasser beim Sieden spricht?" "Dieses Mädchen ist es," versetzte jener. Da sagte der Sultan: "Ich will bei ihrem Vater um sie anhalten." Er hielt also bei ihrem Vater um sie an und fragte ihn, ob er ihm das Mädchen zur Frau geben wolle. Der aber erwiderte: "O Herr, der Sultan nimmt ein Beduinenmädchen?" "Ja freilich," antwortete er, "laß nur den Prediger kommen, damit er mir deine Tochter antraue." Man holte den Prediger, und dieser traute ihm das Beduinenmädchen an. Als er nun mit dem Mädchen zu Bette gegangen war, zog er sein Schwert aus der Scheide und legte es zwischen sich und das Mädchen. Dann schenkte er ihr eine Perlenschnur, befahl ihr jedoch, dieselbe nicht eher anzulegen, als bis sie ihm einen Sohn geboren habe. Ferner schenkte er ihr eine Schachtel voll Goldstücke, jedoch versiegelte er dieselbe mit seinem Siegelringe. Darauf verließ er sie.

Sie aber versammelte zwanzig Mädchen, zog ihnen Männerkleidung an und machte sie beritten. Dann brach sie auf und folgte dem Sultan. Dieser ließ sein Gefolge an einem Orte lagern, da ließ sie auch ihr Gefolge in einiger Entfernung davon lagern und verkleidete sich so, als wenn sie ein Mann wäre. Diesen Tag über lagerten sie dort. Der Sultan aber befahl dem Minister: "Rufe doch den Herren des Gefolges dort, damit wir uns ein wenig mit ihm unterhalten." Der Minister rief den Anführer – sie, das Mädchen, hatte sich so verkleidet, als wenn sie ein Mann und ihr Anführer wäre –, und sie begab sich zu ihm, wie ein Mann gekleidet. "Mein General," fragte der Sultan, "wohin reisest du?" "Auf Bagdad zu," war die Antwort. "So nimm Platz, wir wollen uns ein wenig unterhalten." Darauf schlug er vor: "Wir wollen mit einander Würfel spielen, und wer den andern besiegt, bekommt dessen Siegelring." Sie spielten also; und der vermeintliche General, das Mädchen, gewann und erhielt den Ring des Sultans. Sobald sie zu ihrem Gefolge zurückgekehrt war, öffnete sie jene Schachtel, welche er mit Goldstücken gefüllt hatte, und füllte sie mit Häcksel1. Dann versiegelte sie sie wieder mit seinem Ringe. Am folgenden Tage ging sie zum Sultan, nachdem sie Männerkleidung angelegt hatte, und sagte ihm: "Nimm den Ring, welchen ich dir gestern abgewonnen habe, ich gebe ihn dir zurück." Da schlug der Sultan vor: "Heute wollen wir so spielen: wenn du mich besiegst, so bekommst du eine Kebse von mir, und wenn ich gewinne, so bekomme ich eine Kebse von dir." Sie spielten, und der Sultan gewann. Als er sie nun aufforderte, ihm eine ihrer Kebsen zu geben, sagte sie: "Gedulde dich einen Augenblick, ich will zu meinem Gefolge gehn; du aber folge mir, und die Kebse, welche du haben willst, werde ich dir zuführen2." Sie aber ging hin und zog die Männerkleider aus, auch ließ sie zwei, drei Mädchen die Männerkleidung ablegen, und legte sich und ihnen Weiberkleidung an. Darauf kam der Sultan, und die Mädchen traten vor ihn, damit er sich die nähme, welche er wollte. Er wählte sie, denn sie gefiel ihm sehr. Nachdem er sie drei Nächte bei sich hatte schlafen lassen, sagte einer, der da bei ihm war: "O Herr, gib dem General seine Kebse zurück, er hat dir neulich deinen Ring abgewonnen und ihn nur eine Nacht bei sich behalten und ihn dir dann zurückgegeben; du dagegen hast seine Kebse nun schon drei Nächte bei dir, gib sie ihm zurück." Der Sultan erklärte sich damit einverstanden und schickte sie zurück, worauf der vermeintliche General mit seinem Gefolge aufbrach. Also die Beduinentochter, welche sich in den General verkleidet und dann, nachdem sie wieder Mädchenkleider angelegt hatte, sich in jene Kebse verwandelt hatte, die der Sultan wählte, kehrte mit ihrem Gefolge zu den Beduinen zurück. Dort ließ sie die Mädchen die Männerkleidung ablegen und wieder ihre gewöhnliche Kleidung, wie sie die Weiber tragen, anlegen.

Darauf wurde das Mädchen, die Beduinentochter, welche der Sultan zur Frau genommen hatte, guter Hoffnung und brachte einen Sohn zur Welt. Der wuchs heran und spielte mit den andern Knaben. Da ihm aber das Beduinenleben nicht gut bekam, so zog er nach Damaskus; vorher jedoch legte ihm seine Mutter die Perlenschnur, welche ihr der Sultan geschenkt hatte, um den Arm. Bald verbreitete sich dort der Ruf seiner Schönheit. Er verkaufte Rosinenscherbet, und die Leute kamen und gingen, um ihn sich anzuschauen. So hörte auch die Tochter des Königs3 und die Tochter des Sultans von ihm und verabredete sich, mit einander hinzugehn und ihn sich anzuschauen. Sie stellten sich, als wenn sie ins Bad gehn wollten, gingen aber an seinem Laden vorüber, und da er ihnen ausnehmend gut gefiel, so luden sie ihn ein, den Abend bei ihnen zuzubringen. Er folgte dieser Einladung und brachte den Abend bei ihnen zu. Am folgenden Tage sagte der Sultan zum König: "Da ist einer in der Stadt, der verkauft Rosinenscherbet, und alle Leute gehen hin, ihn sich anzuschauen; komm, laß uns beide Derwischkleidung anlegen und heute bei ihm den Abend zubringen." Sie verkleideten sich also als Derwische und begaben sich am Abend zu ihm. Während sie sich mit ihm unterhielten, schickte die Tochter des Sultans eine Sklavin zu ihm mit dem Auftrage: "Meine Herrin läßt dir sagen, du möchtest den Abend bei ihnen zubringen; sonst würden sie zu dir kommen." Er antwortete: "Sage ihnen, bei mir seien Gäste." Als der Sultan und der König dieses Gespräch hörten, wurden sie sehr zornig und sagten einer zum andern: "Aber dieser! wir wollen ihm den Kopf abschlagen lassen! Soll er noch weiter zu unsern Mädchen gehn?"

Am folgenden Tage schickten der Sultan und der König nach ihm; der Sultan setzte sich auf seinen Thron, ließ den jungen Mann holen und befahl dem Scharfrichter, ihm den Kopf abzuschlagen. Sie zogen ihm seine Kleider aus, so daß er nur noch das Hemde anbehielt, und der Scharfrichter hob das Schwert in die Höhe und war gerade im Begriffe, ihm den Kopf abzuschlagen; da machte der junge Mann so4 mit seiner Hand. Hierdurch fiel das Hemde vom Handgelenke aus den Arm hinauf und die Perlenschnur, welche seine Mutter ihm angelegt hatte, ward sichtbar. Sogleich erkannte der Sultan in ihr diejenige, welche er dem Beduinenmädchen gegeben hatte, und befahl dem Scharfrichter: "Hebe deine Hand von ihm weg und schlage ihm den Kopf nicht ab." Darauf rief er den jungen Mann zu sich und fragte ihn: "Weh dir, mein Bursche, woher hast du diese Perlenschnur, welche sich an deinem Arme befindet?" "O Herr," erwiderte er, "meine Mutter hat sie mir umgelegt." "Wo ist denn deine Mutter? Ich wünsche, daß du sie mir zeigest, damit ich sehe, woher sie die Perlenschnur hat, so daß sie sie dir um deinen Arm legen konnte." "O Herr," versetzte er, "gewähre mir Sicherheit, so will ich meine Mutter holen gehn und wieder zu dir zurückkehren." "Ich gewähre dir Sicherheit," entgegnete der Sultan, "hole also deine Mutter und komm wieder her." Da begab sich der junge Mann zu seiner Mutter und fragte sie: "Woher hast du die Perlenschnur, welche du um meinen Arm gelegt hast?" "Weshalb fragst du das, mein Sohn?" erwiderte sie. "Der Sultan verlangt, daß du ihm aufwartest und ihm sagest, woher du sie hast; ich soll dich zu ihm bringen, damit du ihm aufwartest." Und er nahm seine Mutter mit und kam zum Sultan zurück. Der redete sie gleich an: "Du sollst mir erzählen, woher du diese Perlenschnur hast." Sie erwiderte: "Bist du nicht selbst zum Häuptling der Beduinen gegangen und hast um seine Tochter angehalten?" "Ja freilich," versetzte er. "Und was hast du ihr geschenkt?" fragte sie weiter. "Ich schenkte ihr eine Perlenschnur und befahl ihr, sie nicht eher anzulegen, als bis sie mir einen Sohn geboren hätte; ferner schenkte ich ihr eine Schachtel mit Goldstücken." Da gab sie ihm die Schachtel und fragte: "Ist sie noch mit deinem Siegel versiegelt?" "Sie ist's," erwiderte er. "Und was hast du mir in sie hinein getan," fragte sie weiter, "Goldstücke oder Häcksel?" "Goldstücke," sagte er. "Aber es ist Häcksel darin; öffne sie nur, und laß uns sehen." Er öffnete die Schachtel, und es fand sich Häcksel darin. "Wie kommt das?" fragte er. Da erzählte sie: "An dem Tage, da du bei mir warst und um mich bei meinem Vater anhieltst und dann weggingst und mich verließest, da nahm ich eine Anzahl Mädchen, denen ich Männerkleidung anlegte und die ich beritten machte, und folgte dir mit ihnen ins Feld, und verkleidete mich als einen General und ließ mein Gefolge in einiger Entfernung von dir lagern; dann schicktest du nach mir, und wir spielten zusammen Würfel; ich gewann und bekam deinen Ring, da Öffnete ich die Schachtel, nahm die Goldstücke heraus, füllte sie mit Häcksel, versiegelte sie wieder und gab dir am andern Tage deinen Ring zurück. Darauf spielten wir wieder zusammen, und du schlugst vor, wenn ich gewänne, sollte ich deine Kebse bekommen, und wenn du gewännest, solltest du meine Kebse bekommen. Du gewannst und bekamst meine Kebse. Wer war nun die Kebse? Ich war die, welche du wähltest; habe ich nicht drei Tage bei dir zugebracht?" "Ja freilich," versetzte er. "Und dieser ist dein Sohn," schloß sie. Als sie das alles dem Sultan erzählt hatte, sagte er: "Aber dann ist ja meine Tochter die Schwester des jungen Mannes, und dieser ist mein Sohn, und was die Tochter des Königs angeht, so will ich die für ihn zur Frau begehren." Da hielt er für ihn um die Tochter des Königs an; dann ließ er den Geistlichen kommen, der traute sie, und darauf ließ er ihn und seine Mutter, das Beduinenmädchen, bei sich wohnen. Und nun ist die Geschichte aus.

Fußnoten

1 [Spreu].

2 [die hole dir].

3 [so von hier an für ›Minister‹].

4 Die Erzählerin hob bei diesen Worten ihre Hand in die Höhe und legte sie mit der Außenfläche wie zum Schütze vor die Stirne.

4.

Es war einmal ein Holzhauer, der dachte: "Ich will aufs Feld gehen, damit ich irgend einen Baum finde, den ich zerhauen kann und dessen Holz ich heim bringe." Er ging also aufs Feld, fand einen Baum und hieb davon ab, nahm das Brennholz mit sich, um es zu verkaufen und seinen Kindern dafür Essen zu holen. So ging er fünf Tage lang; jeden Tag holte er im Werte von acht Groschen, bis nichts mehr von dem Baum da war und nur noch die Wurzeln übrig waren. Da dachte er: "Ich will noch einmal hingehen und die Wurzeln des Baumes holen." Als er nun damit beschäftigt war, die Wurzeln auszureissen, da öffnete sich plötzlich die Erde, und es erschien unter dem Boden eine Höhle an der Stelle, wo der Baum gewesen war. Er ging in die Höhle hinein und fand in ihr zwei Töpfe mit Goldstücken; da dachte er: "Wie soll ich sie nur aufladen? Ich will hingehen und meinen Nachbar rufen." Der Nachbar war sehr reich, während er arm war. Er ging also zu seinem Nachbar und sagte: "Lieber Nachbar, da ist im Feld ein Baum, zu dem ging ich, um Brennholz von ihm abzuschlagen; vier, fünf Tage holte ich Brennholz von ihm, bis schließlich nur noch seine Wurzeln übrig waren; nun ging ich gestern, um auch diese zu holen, und ich riß sie aus, bis daß nur noch eine einzige Wurzel blieb. Während ich nun damit beschäftigt war, auch diese auszureißen, öffnete sich die Erde und es erschien eine Höhle unter dem Boden. Ich stieg in dieselbe hinab und fand zwei Töpfe mit Goldstücken." So erzählte der Holzhauer seinem Nachbar. Dann fuhr er fort: "Nun bin ich gekommen, um dich zu rufen, Nachbar, wir wollen sie gemeinschaftlich holen." "Ja," sagte dieser, "komm und zeige sie mir." Sie gingen also hin, damit er sie ihm zeige. Als er ihm die Höhle gezeigt hatte und er die Töpfe mit den Goldstücken gesehen hatte, sagte er: "Geh und hole etwas1, worin wir sie fortschaffen." Da holte er einen Doppelsack, und sie schafften das Gold fort; vier Tage brauchten sie dazu. Darauf sagte der Holzhauer: "Komm, laß es uns teilen, Nachbar." Jener erwiderte: "Komm, wir wollen auch die Töpfe holen gehen, und wenn wir dann zurückkommen, so wollen wir sie teilen." Jener war damit einverstanden, und sie gingen zusammen zu der Höhle, um auch die Töpfe zu holen. Der Holzhauer ging zuerst hinein und lud einen Topf auf. Als er aber durch den Eingang der Höhle wieder hinausgehen wollte, sagte der Nachbar: "Wohin gehst du?" "Wir wollen doch die Töpfe und das Gold teilen gehen," antwortete er. "So willst du schon von hier weggehen?" "Ja freilich, Nachbar." Da erklärte jener: "Ich werde dich hier töten." "Ich bitte dich," versetzte der Nachbar, "ich habe das Gold gefunden und habe dich gerufen, um es mit dir zu teilen, und jetzt willst du mich töten? Nimm das Gold alles, ich will nichts davon, und du brauchst mir keinen Teil davon zu geben; nur töte mich nicht, ich bin ein verheirateter Mann, ein Familienvater, und habe kleine Kinder. Woher sollen sie zu essen bekommen, wenn du mich tötest? Jeden Tag hole ich für sieben Groschen Brennholz, um ihnen Nahrung zu verschaffen; du willst mich töten, woher sollen sie dann zu essen bekommen?" "Ich werde ihnen zu Essen geben," erwiderte er. "So beschwöre ich dich bei deinem Halse, meine Frau ist guter Hoffnung, und den Sohn, welchen sie bekommt, sollt ihr den Sohn des Gekränkten nennen." Darauf warf jener den Holzhauer zu Boden und schnitt ihm den Hals ab; dann ging er nach Haus. Da kamen die Kinder jenes zu ihm und fragten ihn: "Du bist mit unserm Vater ins Feld gegangen, Nachbar; wo ist unser Vater?" Er sagte, indem er sich an den ältesten Sohn wandte: "Dein Vater ging, um Brennholz zu holen, da wurde er im Felde krank und starb und hat mir euch anempfohlen, ich möchte für euch sorgen." "Ja," antwortete der älteste Sohn, "so führe mich dahin, wo du ihn begraben hast." Er aber versetzte: "Es ist ein entfernter Ort, und was willst du dich noch quälen, dorthin zu gehen? Er ist tot, und ich habe ihn begraben; Gott sei ihm gnädig."

Als jener den Holzhauer töten wollte, hatte dieser gesagt: "O Gott, ich habe ihm nichts Böses getan; aber du, Gott, bist groß, du2 mögest es wissen lassen den kleinen Gott3."

Darauf nach einiger Zeit gebar die Frau des Holzhauers einen Sohn; da kam der Nachbar zu ihr und sagte: "Nachbarin, als mein Nachbar auf dem Felde starb, da hat er mich bei meinem Halse beschworen, daß, wenn du gebierst und einen Sohn bekommst, wir ihn den Sohn des Gekränkten nennen sollen."

Nach einem Jahre überlegte der Mörder: "Ich bin bis jetzt noch nicht zu der Höhle gegangen, in welcher ich meinen Nachbar getötet habe; ich will sehen, was aus ihm geworden ist." Als er zu der Höhle kam, in der er seinen Nachbar ermordet hatte, fand er einen Rebstock und an ihm eine Weintraube. Die Trauben waren eine Augenweide, es gab nicht ihresgleichen. Da dachte er: "Ich will diese Trauben dem Sultan bringen, daß er sich daran erfreue." Er nahm ein weißes Tuch, brach die Traube ab und band sie in das Tuch; dann trug er sie zum Sultan und gab sie ihm und kehrte nach Hause zurück. Als sich die Leute4 zerstreut hatten, nahm der Sultan das Tuch und band es auf; da fand er den Kopf eines Menschen darin. Alsbald ließ er den Mann holen und sagte: "Weh mir5, was bringst du mir in dem Tuch?" "Herr," erwiderte er, "Gott verlängere dein Leben, ich brachte dir Trauben." "Woher brachtest du die Trauben?" "Es ist da eine Stelle, dahin bin ich gegangen und fand die Trauben und brachte sie dir." Der Sultan versetzte: "Was mag das für eine Stelle sein, zu der du gegangen bist? Es ist Winter, gibt es jetzt in den Weingärten Trauben? Es gibt keine; woher hast du nun diese Trauben, daß du sie mir bringen konntest?" "Herr," erwiderte er, "sie stehen an einem geschützten Ort." "Was ist denn ihr Ort? ein Haus?" "Nein, eine Höhle," versetzte er. Da holte ihm der Sultan das Tuch und sagte: "Ist das eine Traube oder ist das der Kopf eines Mannes?" "Herr, der Kopf eines Mannes." "Wie kommt es denn, daß du mir den Kopf eines Mannes bringst?" Er versetzte: "Herr, es war eine Traube." Aber der Sultan sagte: "Du sollst mir die Sache von Anfang an erzählen, du Verfluchter, sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen. Erzähle mir von Anfang an, wie sich die Sache verhält." "Es ist aber nichts, Herr!" "Wenn nicht etwas wäre," versetzte der Sultan, "wie ginge es denn zu, daß bei dir Trauben erschienen sind und bei mir der Kopf eines Mannes? Du sollst mir deine Sache erzählen, wie sie sich verhält. Die Menschen kannst du belügen, aber den Sultan, kannst du den auch belügen? Jetzt sollst du da sitzen und mir von dem Kopf des Mannes erzählen, wie es sich damit verhält. Wenn du nicht etwas verbrochen hättest, so würde Gott dich nicht hierher geworfen haben, du Verfluchter; über dich haben nicht die Menschen Zeugnis abgelegt, Gott hat von dir Kunde gegeben. Jedoch erzähle mir die Sache, wie sie sich verhält." Da bat er: "So gewähre mir Gnade, Herr!" "Ich gewähre sie dir," sagte der Sultan, "erzähle!" Da erzählte er: "Ich hatte einen Nachbar, einen Holzhauer, der kam zu mir und sagte mir, er sei im Feld gewesen und habe von einem Baum Holz gehauen, bis von diesem nichts mehr übrig war, als die Wurzel, und wie er diese habe ausreißen wollen, da habe sich unter ihr eine Höhle gezeigt und in dieser habe er zwei Töpfe Gold gefunden. Darauf bat er mich, ich möchte mit ihm gehen, um dasselbe zu holen. Wir gingen also zusammen hin, es zu holen, und brachten das Gold in mein Haus. Darauf sagte er: ›Wir wollen teilen, Nachbar.‹ Ich aber erwiderte: ›Laß uns erst die Töpfe holen.‹ Ich ging also wieder mit ihm hin, um die Töpfe zu holen; als ich dort hingekommen war, verführte mich der Teufel, und ich ermordete meinen Nachbar." So erzählte der Mann dem Sultan; dieser fragte ihn: "Als du ihn ermordetest, was hat er da gesagt?" Er hat gesagt: "Meine Frau ist guter Hoffnung, und ich beschwöre dich bei deinem Halse, daß du den Sohn, den sie bekommt, den Sohn des Gekränkten nennen sollst." "Und hat er außer diesem Worte nichts weiter gesagt?" fragte der Sultan. "Er hat noch ein zweites Wort gesprochen," versetzte er. "Was hat er denn gesagt?" "Er hat gesagt: ›Gott, du, Gott, bist groß, du mögest es wissen lassen den kleinen Gott.‹" Da sagte der Sultan:6 "Gott, an dessen Namen wir geglaubt haben7, hat an dem Orte, an welchem dieser Mann getötet worden ist, einen Rebstock hervorsprossen lassen und es sind Weintrauben daran gewachsen, und er bringt sie zum Sultan, damit er es erfährt. Beim Sultan sind sie der Kopf des Mannes." Darauf ließ der Sultan den Scharfrichter holen und jenem Mann, der seinen Nachbar getötet hatte, den Kopf abschlagen. Dann schickte er Reiter und befahl ihnen, das Gold und alle Gegenstände, welche im Hause jenes Mannes waren, zu holen und sie den Kindern, deren Vater jener getötet hatte, zu geben. Da holten jene das Gold und alle Gegenstände, welche im Hause desjenigen waren, welcher seinen Nachbar ermordet hatte, und gaben es den Söhnen des Ermordeten. Jeden seiner Söhne aber nannten die Leute den Sohn des Gekränkten. Und die Geschichte ist zu Ende.

Fußnoten

1 wörtlich: Gefäß, Gerät.

2 [der große Gott,].

3 d.h. den Sultan.

4 welche beim Sultan waren.

5 [dir].

6 [Zusatz des Übersetzers; das Folgende ist in Wirklichkeit nicht Rede, sondern Bemerkung der Erzählerin.]

7 [glauben].

5.

Es war einmal einer, der hatte drei Söhne und war sehr reich. Er verheiratete den ältesten Sohn, und der bekam Kinder. Darauf verheiratete er auch den zweiten Sohn, und es blieb nur noch der jüngste übrig. Diesen jüngsten liebte er sehr; er ließ ihn nicht arbeiten noch irgend ein Geschäft besorgen; er hieß der schöne Josef. Die Brüder ärgerten sich über ihn und sagten zu einander: "Morgen wollen wir nicht aufs Feld gehn, wenn Josef nicht mit uns geht. Weshalb ist er so verwöhnt? Der Vater läßt ihn nicht arbeiten noch irgend ein Geschäft verrichten, nicht mit uns aufs Feld gehn noch zu den Gärten noch in die Weinberge. Wir gehen morgen nirgendwohin, wenn er nicht mit uns geht." Am andern Morgen rief der Vater sie und fragte: "Was habt ihr, meine Söhne, daß ihr nicht aufs Feld gegangen seid?" "Wir gehen nicht," erwiderten sie. "Weshalb denn nicht?" Da antworteten sie: "Unser ganzes Leben lang gehen wir und arbeiten für deinen Lebensunterhalt und arbeiten in deinen Gärten und deinen Weinbergen, aber jener dein Sohn arbeitet nichts, und doch liebst du ihn mehr als uns; wir werden nicht mehr arbeiten, wenn er nicht mit uns arbeitet." Da rief der Vater ihn und sagte: "Josef, auf, mein Sohn, geh' und arbeite heute mit deinen Brüdern." "Jawohl, Vater," versetzte er, "wie du willst." Die Brüder nahmen ihn also mit. Unterwegs sagte der eine der beiden Brüder zum andern: "Wir wollen ihn an irgend einen Ort führen, wo ein Brunnen ist, in den wollen wir ihn hineinwerfen." So gingen sie weiter, sie vorauf und er hinter ihnen drein. "Wohin gehen wir," fragte er die Brüder, "an einen entfernten Ort?" "Wir haben einen entfernt liegenden Weinberg," gaben sie ihm zur Antwort. Den ganzen Tag gingen sie weiter, bis sie an die Landstraße kamen, an welcher sich ein Brunnen befand. Sie ließen sich bei ihm nieder und ließen auch ihren Bruder sich setzen; darauf ergriffen sie ihn und warfen ihn in den Brunnen; dort ließen sie ihn und kehrten nach Hause zurück. Als sie am Abend zu ihrem Vater kamen, rief dieser: "Wo ist euer Bruder Josef?" "Er ist nur bis zur Hälfte des Weges mit gegangen," erwiderten sie, "und wir wissen nicht, wohin er gegangen ist. Ist er nicht zurückgekommen?" "Er ist nicht gekommen," sagte er. Er wartete bis zum folgenden Tage, aber der Junge kam nicht; noch einen weitern Tag wartete er, er kam nicht. So wurden es zehn Tage, und der Junge war noch immer nicht gekommen. Da fing der Vater an zu weinen, und weil er so viel weinte – denn er weinte bei Nacht und bei Tage –, so erblindeten seine Augen.

Auf jener Straße, an welcher der Brunnen lag, zog eine Karawane. Sie machten bei dem Brunnen Halt, und die Leute sagten: "Wer will in den Brunnen hinabsteigen, um uns den Eimer zu füllen?" Aber keiner wollte es tun. So saßen sie da und fingen an, mit einander zu streiten. Als der junge Mann, welcher im Brunnen saß, den seine Brüder hinabgeworfen hatten, das hörte, rief er: "Werft den Eimer herunter, ich will euch schöpfen; streitet euch nicht." Da ließen sie den Eimer hinab, und er schöpfte, und die Leute der Karawanen zogen herauf, bis sie getrunken hatten und ihre Tiere, und sie ihre Schläuche gefüllt hatten. Dann riefen sie ihm zu: "Sollen wir dir den Eimer hinabwerfen, daß du zu uns hinaufsteigst, oder willst du da im Brunnen sitzen bleiben?" "Braucht ihr kein Wasser mehr?" fragte er. "Nein!" erwiderten sie. "Dann laßt den Eimer herunter und Seile, so will ich heraufkommen." Sie taten das, und als er hinaufgestiegen war, fragten sie ihn: "Wieviel Lohn wünschest du?" "Gebt mir, so viel ihr wollt," versetzte er. "Nein, verlange du." "Ich verlange nichts," erwiderte er. "Aber wie sollen wir es denn wissen?" Da sagte der Führer: "Sammelt für ihn, von jedem Mann fünf Piaster und für jedes Maultier fünf; er hat uns Gutes erwiesen, gebt ihm noch mehr." Sie sammelten also für ihn bei der Karawane, und es kamen tausend Piaster zusammen. Darauf sagten sie ihm; "Nimm diese tausend Piaster." Er erwiderte: "Gott vergelte es euch und lasse euch gesund zu euren Angehörigen gelangen." Darauf fragten sie: "Gehst du von hier in dieser Richtung oder in jener?" "Wohin geht ihr?" fragte er: "Wir gehen nach Bagdad." "So will ich mit euch gehen," sagte er. Da brachen sie zusammen auf und kamen nach Bagdad. Dort eröffneten die Leute der Karawane einen Handel und saßen da und verkauften.

Der junge Mann ging umher, um sich die Stadt anzusehen; da traf ihn der König und fragte ihn: "Aus welcher Gegend bist du, Mann?" "Aus der Gegend von Damaskus," erwiderte er. "Was willst du denn hier machen?" "Ich gehe umher und sehe mir die Stadt an." "Kehrst du in deine Heimat zurück, oder bleibst du hier wohnen?" "Ich will hier in der Stadt wohnen bleiben." Darauf fragte er ihn: "Willst du nicht als Diener bei mir eintreten?" "Wenn du mich willst, so will ich es tun." Als der König dies bejaht hatte, trat er bei ihm in Dienst. "Wie heißt du?" fragte er ihn. Er antwortete: "Der schöne Josef." Er wohnte nun bei ihm und besorgte ihm seine Geschäfte; da er aber von Gestalt und auch sonst ein schöner Mann war, so warf die Tochter des Königs ein Auge auf ihn und wünschte, ihn zu heiraten. Er aber wollte nicht, und die Königstochter wurde gegen ihn sehr aufgebracht. Nun hatte der König eine Truhe voll Goldstücke; die Tochter begab sich in der Nacht an den Ort, wo diese Truhe stand, brach sie auf und nahm das Gold daraus weg. Als der König am andern Morgen zu der Truhe ging, um Goldstücke herauszunehmen, fand er sie erbrochen. Da geriet er in Zorn und ließ die Leute verhaften und ins Gefängnis setzen und ließ sie schlagen und peinigen; aber er konnte nicht in Erfahrung bringen, wer das Gold genommen und die Kiste aufgebrochen hatte. Da kam seine Tochter zu ihm und sagte: "Du strafst diese Leute und läßt sie schlagen, sie aber haben die Truhe nicht erbrochen und das Gold nicht genommen." "Aber wer hat denn die Truhe erbrochen und das Gold genommen?" "Der schöne Josef, den du als Diener angenommen hast, hat die Truhe erbrochen." "Hast du selbst ihn gesehn?" "Ich habe ihn gesehen," erwiderte sie, "und habe ihm das Gold abgenommen." Sie war aufgebracht über ihn, weil er sie nicht heiraten wollte; deshalb warf sie diesen falschen Verdacht auf ihn. Der König ließ darauf die Leute aus dem Gefängnisse heraus und ließ Josef holen und ins Gefängnis setzen. Dort blieb er eine lange Zeit.

Einst träumte der König nachts: Sieben Stück Vieh, sehr fette Kühe, kamen auf ihn zu, und wiederum kamen auf ihn zu sieben schwache und elende Kühe, an denen nichts als Haut und Knochen war, und sie kamen zu jenen fetten Kühen und fraßen sie auf. Als der König des andern Morgen aufgestanden war, versammelte er die Leute der ganzen Stadt und erzählte ihnen seinen Traum, aber er fand keinen, der ihm den Traum hätte auslegen und sagen können, was er bedeute. Da stieg er zu Pferde und ritt nach Stambul zum Sultan und erzählte ihnen dort den Traum; aber niemand wußte, was der Traum bedeuten sollte. Einen Monat lang zog er umher und erfuhr nichts, und niemand wußte etwas; mißmutig und betrübt kehrte er in seine Stadt Bagdad zurück und war in größter Verlegenheit, was wohl der Traum bedeuten möchte. Er fragte, ob niemand mehr in der Stadt übrig sei, der noch nicht zu ihm gekommen sei, daß er ihn nach jenem Traume frage. Da sagte einer: "Es ist nur noch der schöne Josef übrig, den du ins Gefängnis geworfen hast." "Ach," sagte er, "ich habe ja ganz vergessen, daß ich ihn ins Gefängnis habe werfen lassen; geht und holt ihn aus demselben heraus." Als sie ihn nun zu ihm gebracht hatten, fragte er: "Wie, Josef, du bist noch immer im Gefängnis? Ich hatte dich ganz vergessen." "Ihr habt mich fälschlich beschuldigt, Gott möge euch gnädig sein. Deine Tochter war aufgebracht über mich, weil ich sie nicht heiraten wollte, darum hat sie die Truhe aufgebrochen, das Gold genommen und behauptet, sie hätte es mir abgenommen." Der König erwiderte: "Verzeihe uns, Josef, diese Sache ist nun vergangen; aber ich möchte dir eine Frage vorlegen." "Was, mein König?" fragte er. "Ich schlief in der Nacht," erzählte der König, "da kamen sieben Kühe, große und sehr fette, und dann kamen sieben magere, an denen nichts als Haut und Knochen war." "O Herr," versetzte Josef, "es werden sieben gute Jahre kommen, und es wird viel Weizen wachsen, und Lebensmittel werden in diesen sieben Jahren reichlich vorhanden sein. Nach ihnen werden andere sieben Jahre kommen, da wird sehr große Dürre sein; und diese sieben dürren Jahre werden verzehren die sieben guten Jahre." "Ist das die Erklärung des Traumes?" fragte der König. "Ja," erwiderte er.

Und es kamen sieben sehr gute Jahre und es wuchs viel Weizen und er wurde sehr billig, und der König legte Vorräte davon an, bis daß er viel Weizen hatte, bis vorüber waren die sieben Jahre. Dann kam sieben Jahre lang Dürre; nie fiel mehr Regen, und es entstand kein Gewölk und es fiel kein Schnee und es wuchs kein Weizen und keine Saatfrucht. Und es entstand eine große Teuerung. Die Leute starben vor Hunger, und es gab nirgendwo Weizen, außer bei jenem König, der ihn aufgespeichert hatte, bei welchem der schöne Josef war. Nun ließ der König von diesem Weizen herausnehmen und verkaufen; den Josef bestellte er zum Kornmesser, und er maß denen, welche kauften, den Weizen zu. Aus der Gegend von Damaskus kamen sie in die Gegend von Bagdad, um Weizen zu kaufen an dem Orte, an welchem Josef sich befand. Auch seine Brüder kamen, welchen zu holen. Sobald er sie erblickte, erkannte er sie, sie aber erkannten ihn nicht. Er maß ihnen Weizen zu, sie bezahlten ihm den Preis, dann ließen sie die Säcke, in welchen sich der Weizen befand, stehn und gingen sich die Stadt ansehen. Josef aber trat an die Säcke, band sie auf, wickelte das Geld, welches sie ihm gegeben hatten, in ein Tuch und warf es in die Säcke zwischen den Weizen. Als sie zurückkehrten, ließ er sie zu Abend speisen und versorgte sie mit Proviant. Darauf luden sie den Weizen auf und kehrten in ihre Heimat zurück. Er hatte sie erkannt, aber ihnen nicht gesagt, daß er ihr Bruder sei.

Als sie bei ihrem Vater eintrafen, fragte er sie: "Habt ihr Weizen gebracht, meine Söhne?" "Jawohl, Vater," erwiderten sie; "ach Vater, dieser Kornmesser, welcher den Weizen zumißt, ist ein sehr guter Mann, er kam uns entgegen, behandelte uns, wie es uns gebührt, ließ uns ein Abendessen bereiten und hat uns außerdem noch mit Proviant versorgt." "Ja, meine Söhne," antwortete er, "Gott beschere euch immer euren Unterhalt! Schüttet nun den Weizen aus, meßt nach und seht, ob er gut gemessen ist." Sie schütteten den Weizen aus den Säcken und maßen ihn; da kam das Tuch zum Vorschein. Sie betrachteten es und fanden das Geld, welches sie ihm gegeben hatten, darin eingewickelt. Da sagten sie: "Ach der Arme, dem Kornmesser ist da das Geld hineingefallen." Der Vater sagte: "Wenn ihr ein anderes Mal holen geht, meine Söhne, so gebt es ihm zurück." Nach einiger Zeit gingen sie wieder Weizen holen, und als sie zu ihm kamen, sagten sie: "Da hast du das Geld, welches du zwischen dem Weizen hast liegen lassen." Er nahm das Geld von ihnen an; darauf fragte er sie: "Habt ihr noch einen Vater?" "Wir haben noch einen," erwiderten sie, "aber er ist blind." "So nehmt dieses gestickte Tuch und gebt es ihm." Als sie nun mit dem Tuche und dem Weizen wieder zu ihrem Vater gekommen waren, fragte dieser sie: "Habt ihr ihm das Geld zurückgegeben?" "Ja, Vater, wir haben es ihm gegeben, und er hat dir dieses Tuch geschickt als ein Geschenk von ihm, indem er sagte, du möchtest deine Augen damit reiben." Wie er nun seine Augen damit rieb, wurden sie wieder sehend. Zum drittenmal zogen sie zu ihm und sagten: "Unser Vater war blind und hat seine Augen mit dem Tuche, welches du uns gegeben hast, gerieben, da wurde er wieder sehend; er läßt dir danken." Da sagte er: "Ich bin Josef, den ihr in den Brunnen geworfen habt." Da küßten sie ihn, und er küßte sie, und sie weinten und er weinte. Darauf sagte er: "Nehmt keinen Weizen mehr mit, sondern geht und holt euren Vater und holt eure Familien und eure Kinder und kommt hierher." Sie kehrten zu ihrem Vater zurück und sagten: "Vater, dieser Kornmesser ist unser Bruder Josef; er sagt, wir sollten dich holen und unsere Familien und unsere Kinder und sollten zu ihm kommen." Er erklärte sich damit einverstanden, und sie nahmen ihre Familien und ihre Kinder und den Vater und zogen zu ihm hin. Als sie zu Josef kamen, ging dieser dem Vater entgegen und küßte seine Hand. Und der Vater weinte lange; dann sagte er: "Mein Sohn, du gingst zur Arbeit mit deinen Brüdern – früher ließ ich dich nie gehen –, da hast du dich in dies Land begeben und hast mich verlassen, so daß ich blind wurde wegen der Trennung von dir!" "Vater," versetzte er, "ich bitte, zürne nicht meinen Brüdern! Als ich mit ihnen aus unserem Dorfe ging und du mich mit ihnen zur Arbeit geschickt hattest, da warfen sie mich in einen Brunnen – aber sage ihnen nichts! Mit Hilfe einer Karawane, die in jene Gegend kam, konnte ich den Brunnen wieder verlassen und begab mich mit ihnen in dieses Land." Da erwiderte der Vater: "Dir zu Liebe werde ich den Brüdern nichts sagen." So lebten sie zusammen, bis der Vater starb; da kamen die Leute der Stadt und kondolierten dem Josef. Sieben Tage blieben sie bei ihm und weinten und klagten mit ihm. Darauf lebte er noch lange mit seinen Brüdern zusammen. [Und es ist aus.]

6.

Es war einmal eine Frau, die bekam keinen Sohn; da bat sie Gott, er möge ihr einen Sohn schenken, dann würde sie unter die Leute einen Topf Honig und einen Topf Butter verteilen. Darauf wurde sie schwanger und gebar einen Sohn, und dieser wuchs heran, aber sie verteilte nichts. Nun war da eine alte Frau, die sah den Jungen auf der Straße; da sagte sie zu ihm: "Sage deiner Mutter, sie solle das, was sie gelobt habe, einlösen, sonst versetze ich dir einen Schlag mit der Hand, daß ich dein Leben verkürze." Bis zum Abend aber hatte der Junge es vergessen. Als die Alte ihn wiederum antraf, fragte sie gleich: "Hast du es deiner Mutter gesagt, mein Sohn?" "Nein, ich habe es nicht gesagt." "So sage es ihr heute Abend." Aber er vergaß es wieder. Wiederum traf sie ihn auf der Straße und fragte: "Hast du es ihr gesagt?" "Ich habe es vergessen," erwiderte er. Da nahm sie zwei Steinchen von der Straße, steckte sie ihm in seinen Gürtel und sagte: "Steck diese beiden Steinchen in den Gürtel; am Abend, wenn du schlafen gehst, wirst du den Gürtel lösen, dann fallen die Steinchen, und du wirst dich erinnern, daß du es deiner Mutter sagen sollst." Als es nun Abend geworden war und der Junge sich schlafen legen wollte, löste er seinen Gürtel, und die Steinchen fielen heraus. Da sagte seine Mutter: "Was ist dir da gefallen, mein Sohn?" "Ach Mutter," sagte er, "es ist eine alte Frau, die begegnet mir seit drei Tagen auf der Straße, die sagte zu mir: ›Sage deiner Mutter, sie solle das, was sie für dich gelobt hat, einlösen, sonst schlage ich dich mit der Hand, so daß ich dein Leben verkürze.‹ Und wenn ich am Abend nach Hause komme, so vergesse ich, es dir zu sagen. Heute hat sie mir diese Steinchen gegeben, damit ich am Abend daran denken sollte, es dir zu sagen." "Ja freilich, mein Sohn,"