Maria Theresia - Liebet mich immer - Monika Czernin - E-Book

Maria Theresia - Liebet mich immer E-Book

Monika Czernin

4,8

Beschreibung

1745 wird Sophie Baronin Schack von Schackenburg Hofdame von Kaiserin Maria Theresia und schon bald entsteht eine innige Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Auch als Sophie wegen ihrer Heirat Wien verlässt, bleibt das vertraute Verhältnis bestehen. 86 zum Großteil bisher unveröffentlichte Briefe zeugen davon. Die Regentin eines der mächtigsten Reiche Europas gibt in ihren Briefen einen Blick hinter die Kulissen des repräsentativen Hoflebens und einen tiefen Einblick in ihre Persönlichkeit. Maria Theresia zeigt sich in der fast dreißig Jahre dauernden Freundschaft als Persönlichkeit mit Stärken, aber auch Schwächen, die nur wenige zu sehen bekamen.

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Über dieses Buch

1745 wird Sophie Baronin Schack von Schackenburg Hofdame von Kaiserin Maria Theresia und schon bald entsteht eine innige Freundschaft zwischen den beiden Frauen. Auch als Sophie Wien verlässt, bleibt das vertraute Verhältnis bestehen. Über 80 zum Teil bisher unveröffentlichte Briefe zeugen davon.

Die Regentin eines der mächtigsten Reiche Europas gibt in diesen Briefen Einblick in ihre Persönlichkeit, ihre Gefühlswelt und ihre große Lebenskrise, aber auch hinter die Kulissen des repräsentativen Hoflebens, auf das Alltags- und Arbeitsleben der Kaiserin. Die 35 Jahre dauernde Freundschaft zeigt Maria Theresia, wie wir sie noch nicht kannten.

Inhalt

Einleitung

1745: Hofdamen hören und sehen alles

1753: Mit sechs Kindern im Zimmer und dem Kaiser …

1764: … Ich bin zu Dank verpflichtet …

1765: Hochzeiten oder die Arithmetik der Macht

1765: Tod in Innsbruck und Zusammenbruch der Kaiserin

1766: Das Jahr der Trauer und die neue Heiratspolitik

1767: … Ich schreibe Ihnen diese Zeilen, um Ihnen zu versichern, dass ich noch existiere …

1768: Via Innsbruck in die Welt hinaus

1771: … verbrennen Sie diesen Brief …

1772: Der Tod des Grafen und Obst aus Südtirol

1780: … verbleibe immer Ihre treue und ergebene Freundin

Dank

Zeittafel

Bibliografie

Einleitung

„Ma chère Enzenberg […] Jeden Tag werde ich trauriger, mein Inneres braucht Ihre Hilfe.“ […] „Ich bin Ihre ergebene Freundin.“ […] „Liebet mich immer!“

Wer schreibt so flehend, so hilfsbedürftig, so vertraut? Und wem öffnet die Briefschreiberin ihr Herz? Wer ist jene, von der sich die Schreibende so viel Unterstützung verspricht? Geschrieben sind die Briefe auf Französisch. Doch die ganze europäische Oberschicht sprach, schrieb und dachte im 18. Jahrhundert, ja noch danach, Französisch. Die Handschrift hat weder den Schreibstil des 18. Jahrhunderts noch ist es Sütterlin, die heute schwer zu entziffernde Schreibschrift des 19. Jahrhunderts. Sie ist schnörkellos, klar, ja zeitlos. War die Verfasserin auch zeitlos, zeitlos modern etwa? So sehr, dass ihre Briefe uns auch heute noch berühren? Kann es sein, dass sie – die „Freundin“ – auch wenn sie vor drei Jahrhunderten gelebt hat, ebenso gelitten, Freude empfunden, Schmerzen ertragen hat wie eine Frau heute? War sie Mutter? Liebende? Hausfrau? Alles das und noch viel mehr?

Das Briefpapier ist vergilbt, auch wenn es gut erhalten ist. Jemand musste die Briefe schon früh als wertvoll eingestuft, geordnet und zu einem dicken, in rotes Leder eingebundenen Buch zusammengefasst haben. Zum Schutz vor Nässe und Feuchtigkeit ließ er eine Eisenkassette anfertigen und die Briefe dort verstauen. So viel Sorgfalt! Für die Familie? Die Nachwelt? Seit über 150 Jahren lagern sie in einem großen Schrank auf Schloss Tratzberg in Tirol, das Graf Franz Enzenberg 1847 erworben hat, jener Franz, der die Briefe einst vor dem Verfall gerettet hatte. Davor waren sie wohl im Stammschloss seines Vaters im baden-württembergschen Singen oder gar in Klagenfurt untergebracht, wo dieser als Präsident des inner- und oberösterreichischen Appelations- und Kriminalgerichts diente – eine im Zuge der josephinischen Reformen geschaffene neue Verwaltungsinstitution. Dieser Graf von Enzenberg, er hieß ebenfalls mit Vornamen Franz, war – und das bringt uns der Sache näher – ein Patenkind von Maria Theresia, der großen Kaiserin.

Und tatsächlich. Am Ende der Briefe findet sich die charakteristische Unterschrift: „M“, „mt“ oder französisch „Marie Therese“ und manchmal auch deutsch „Maria Theresia“, die richtigen Akzente auf dem französischen „es“ – „é“ und „è“, accent aigu und accent grave – fehlen, aber Orthografie ist bekanntlich eine moderne Erfindung. Als Ortsangabe steht rechts oben vor dem Datum manchmal „Hofburg“ oder „Schönbrunn“. Gewiss, alles deutete längst darauf hin, dass es sich um einen kostbaren Fund handelt, allein die schiere Masse der Briefe, dieser dicke Stapel an Handschriften. Fast alles aus einer Feder! Aber dass es sich um längst vergessene Briefe von Maria Theresia, der einzigen Frau auf Habsburgs Thron, an die Mutter jenes Patenkindes handelt, ist eine Sensation, ein Geschenk des Zufalls, einer jener Funde, die der Entdeckung einer glitzernden Goldmine im grauen Gestein der historischen Fakten gleichkommt. Und ganz augenscheinlich, das legt der intime Charakter der Briefe nahe, handelt es sich dabei um das einmalige Zeugnis einer innigen Freundschaft. Um die Bedeutung der Briefe zu verstehen, müssen wir Maria Theresias Leben kennen und um die Intensität dieser Freundschaft zu ermessen, uns auch mit jenen Phasen der Beziehung beschäftigen, aus denen nur wenige Briefe erhalten sind. Ab den 1760er-Jahren erreicht die Korrespondenz dann eine solche Dichte und Intensität, dass sie mit Recht zur Quelle einer neuen Sicht auf die Kaiserin wird.

Maria Theresia hatte also eine beste Freundin, eine Gefährtin des Herzens, eine Seelenverwandte? Wie soll man sich das bei einer Kaiserin vorstellen? Wie gestaltete sich so eine Freundschaft? Wie kam es überhaupt dazu? Und in welchem Alter widerfuhr Maria Theresia das Geschenk dieser Zuneigung? Welche Lebensabschnitte wurden von der Gräfin Enzenberg begleitet, vielleicht sogar geprägt? Und was fügt diese Freundschaft zur Biografie der Kaiserin hinzu? Schon allein, dass sich die Monarchin in diesen Briefen so intim, so hilfsbedürftig, zum Teil so irritiert, zweifelnd, ja zerbrechlich zeigt, ist ein Novum. Fast möchte man an mancher Stelle meinen, die Regentin des riesigen Habsburgerreichs wäre von Depressionen befallen gewesen. Eine depressive Kaiserin? Eine zu Tode betrübte Monarchin? Und wie hat sich das auf das Regieren ausgewirkt?

Ein Teil der Briefe ist mit Fehlern vor mehr als einem Jahrhundert von Maria Theresias Biographen Alfred von Arneth auf Französisch und nur ein paar wenige Briefe auch auf Deutsch publiziert worden, danach sind sie wieder in Vergessenheit geraten und einem über 100-jährigen Dornröschenschlaf auf Schloss Tratzberg anheimgefallen. Ulrich Goess-Enzenberg, dem 7-fachen Urenkel jener Gräfin und heutigem Besitzer von Tratzberg ist es zu verdanken, dass wir die kostbaren Briefe, basierend auf der von Jean-Pierre Lavandier editierten wissenschaftlichen Gesamtausgabe der französischen Originale, nun komplett neu aus dem Französischen ins Deutsche übersetzen konnten. Für das vorliegende Buch, die Geschichte einer kaiserlichen Freundschaft, haben wir jene Passagen ausgewählt, die den Charakter Maria Theresias und die Art ihrer Freundschaft zu Sophie Enzenberg am besten beschreiben. Um die Tatsache, dass die Kaiserin eine beste Freundin hatte, zu verifizieren, haben wir natürlich eine Reihe anderer Quellen zu Rate gezogen und unsere Briefe zum Beispiel mit den Briefen an die Marquise Christine de Herzelle, Aja von Maria Theresias Tochter Marie Elisabeth, die Gräfin Rosalie Edling, Kammerfräulein von Maria Theresias Schwiegermutter, und natürlich an die „Füchsin“, Maria Theresias heiß geliebte Erzieherin und mütterliche Freundin, verglichen.

Die enge Freundschaft zwischen der Kaiserin und Sophie Enzenberg datiert aus den Jahren 1745–1780, sie entwickelt sich also zu einer Zeit, als Maria Theresia bereits erwachsen, verheiratet, Mutter und Regentin war. 1745 hat sie die traumatisierenden Herausforderungen ihrer ersten Herrschaftsjahre bereits hinter sich. Sie hat sich durchgesetzt, obwohl und vielleicht auch weil sie eine Frau war. Sie muss eine selbstbewusste und – alle Quellen betonen das – schöne, wenn auch bereits etwas korpulente Frau gewesen sein, als sie Sophie Amélie oder Sophia Amalia Freiin von Schack zu Schackenburg zur Hofdame erwählt. Kennengelernt haben sich die beiden Frauen schon einige Jahre zuvor, nämlich 1739. Die nächsten Jahre teilen sie nicht nur Freud und Leid, sondern in gewisser Weise auch das Schicksal, das aus der einst lebenslustigen, dem Tanz, Theater und der Musik hingegebenen Königin der habsburgischen Länder eine vom Leben und seinen Härten beschwerte und wehmütige „Kaiserin Wittib“ – Kaiserin Witwe – machte.

Gewiss, der frühe Tod des Kaisers, Maria Theresias innig geliebtem Franz Stephan, war mehr, als die unter der Einsamkeit der Macht Leidende ertragen konnte, aber nicht nur das brachte sie der Freundin näher. Ihre Schicksalsgemeinschaft umfasste viel mehr. Die Sorgen um die Kinder und deren Zukunft, am eigenen Körper festgestellte, zunehmend auch altersbedingte Veränderungen, intime und offenherzige Eingeständnisse, die man nur Frauen gegenüber äußert. Aber ebenso Alltägliches wie der Ankauf von ziegenledernen Handschuhen, der Luxus von Schokolade, die Freude über die Zusendung von Obst aus Südtirol. Kommentare zur Politik, zu den mühseligen Verwaltungsaufgaben und – so diskret wie möglich – zu den Konflikten mit dem Thronfolger Joseph zeigen, dass die Freundschaft zwischen der Kaiserin und ihrer Hofdame weit über rein private Angelegenheiten hinausreichte. Jede Menge „Namedropping“ ergänzt das Bild, das nicht nur auf das unmittelbare Geschehen verweist, sondern Rückschlüsse auf die Kaiserin, ihren Charakter und ihre große Menschenkenntnis ermöglicht. Die Bemerkungen über die Last des Amtes bis hin zum – heute würde man sagen – Burnout, den Maria Theresia nach dem plötzlichen Tod ihres Gemahls erleidet, sind ein einzigartiges Dokument über die große Lebenskrise dieser Kaiserin. Und so wie wir durch die Brieffreundschaft die stärker werdenden Depressionen Maria Theresias verfolgen können, so erleben wir mit Sophie Enzenberg auch, wie sich die Monarchin durch ihre unerschütterliche Disziplin immer wieder zurück ins Leben ruft und wie sie sich langsam erholt, auch wenn nach dieser Lebenszäsur nichts mehr wie früher sein würde.

In vielem ähnelt ihr Arbeitstag dem heutiger Politiker. Eine Audienz jagt die andere, dazwischen müssen täglich Dutzende Entscheidungen getroffen, Dekrete unterschrieben, Korrespondenzen erledigt werden. Und dabei werden immer wieder Dinge besprochen, die ein Mann so nie schreiben würde. Heute wäre eine innige Freundschaft unter Frauen wohl nicht viel anders, Angela Merkel könnte so schreiben, Maggie Thatcher hätte den Verlust ihres Dennis vielleicht ebenso beklagt.

Obwohl sich von Sophie Enzenberg nur ein einziger Brief erhalten hat, spürt man das Wesen der Freundin durch die Briefe der Kaiserin hindurch, ihre Besonnenheit, Beständigkeit und Loyalität. Verständnisvoll und warmherzig muss sie Anteil genommen haben an allem, was die Kaiserin ihr anvertraut. Sie hat die allerhöchste Erlaubnis, die Briefe zu behalten, das ist nicht selbstverständlich, denn oft war man dazu angehalten, die Korrespondenz zu vernichten, zu unsicher erschien allen das Medium Brief. Auch Sophie verbrennt viele Briefe, darauf weisen charakteristische Lücken im Briefwechsel hin, darüber hinaus hat sie sich einmal diesem Gebot widersetzt und so blieb der Brief mit der kaiserlichen Weisung zur Vernichtung erhalten. Von Anfang an – zumindest lassen die Antworten der Kaiserin diesen Schluss zu – war die Beziehung zwischen der Herrscherin und ihrer Hofdame eine Begegnung auf Augenhöhe. Außerdem war Sophie durch ihren Mann, Kassian Graf Enzenberg, unmittelbar mit dem Geschäft der Politik verbunden und Maria Theresia behandelte sie immer auch als eben das, als politisch einflussreiche Frau.

An den Ereignissen – sowohl den politischen als auch den privaten – lässt sich freilich ermessen, durch welche Höhen und Tiefen einer turbulenten Zeit diese Freundschaft getragen hat. Es ist die Epoche der Spätaufklärung, die Jahre, in denen das, was die Aufklärer vorgedacht haben, in reale Politik umgesetzt werden soll. Nicht mehr und nicht weniger als der moderne Staat ist im Entstehen. Doch diese Jahre vor der Französischen Revolution sind nicht nur eine Zeit geglückter Reformen, sondern auch eine Zeit großer sozialer und politischer Spannungen, eine Zeit der Kriege, der Hungersnöte, der Bauernaufstände. Und all die geistigen Strömungen zwischen rückwärtsgewandtem Feudaldenken und neuem Ich-Bewusstsein treffen sich in der Figur der Maria Theresia. Sie war ein Mensch zwischen den Zeiten, moderne Mutter und feudale Heiratspolitikerin, emanzipierte Ehefrau und letzte Barock-Herrscherin, Reformerin zum Wohl ihrer Untertanen und machtbewusste Kriegsherrin. Sie war keine Freundin der Aufklärung, weil sie nicht wollte, dass der Mensch mit seiner Vernunft zum Referenzpunkt allen Denkens und Handelns würde. Ihr Leitbild und Anker blieb Gottes weiser Ratschluss und sie ahnte wohl, dass eine Gesellschaft ohne Religion eine unbarmherzige Gesellschaft werden würde. Fortschrittlich in vielen das praktische Leben betreffenden Dingen blieb sie ihr Leben lang Gegnerin der aufgeklärten Philosophen, die ihrer Meinung nach bloß seelenloses Gewäsch von sich geben und als Menschen versagen: „Niemand ist schwächer, mutloser als diese starken Geister, niemand kriechender und verzweifelter beim geringsten Missgeschick. Sie sind schlechte Väter, Söhne, Ehemänner, Minister, Generäle, Bürger.“ Doch gerade auch von dieser Seite bekam sie Beifall, so schrieb der zu seiner Zeit berühmteste Denker der Epoche, Voltaire, über die größte Herrscherfigur des Hauses Habsburg anerkennend: „Sie begründete ihre Herrschaft in allen Herzen durch eine Leutseligkeit und Beliebtheit, die wenige ihrer Vorfahren je besessen hatten.“

Monika Czernin und Jean-Pierre Lavandier

1745

Hofdamen hören und sehen alles

Maria Theresia empfing Anne-Charlotte von Lothringen und ihr Gefolge, wie bei Nahestehenden üblich, in ihrer Retirade, ihren eigenen Gemächern, und, da es erst März und noch empfindlich kalt in Wien war, in der Hofburg. Nach Schönbrunn zu übersiedeln, konnte sie ihrem Hofstaat frühestens im Mai zumuten. Schließlich froren alle in ihrem Umkreis – außer sie selbst. Wer sie kannte, hatte gelernt vorzusorgen, sich je nach Wetterlage entsprechend warm anzuziehen, denn bei der Regentin des großen Habsburgerreiches standen die Fenster stets offen. Sie sei, so sagte sie jedem, der es hören wollte, eben „vollblutig“, sogar ihr Gemahl Franz Stephan litt winters unter den frostigen Temperaturen in den Gemächern seiner Frau.

Die Besucherinnen waren aus Lothringen angereist, was bei den mäßig schnellen, dafür bequemeren Kutschen, die für Damen von hohem Rang vorgesehen waren, eine mindestens 14-tägige, bei schlechtem Wetter entsprechend längere Reise von Lunéville über Straßburg, München, Salzburg und Linz nach Wien bedeutete. Eine überaus beschwerliche Reise also, auf nassen, mitunter unpassierbaren Straßen und mit für Damen nahezu unzumutbaren Nachtquartieren. Mit dem Schiff die Donau abwärts zu fahren, wäre weitaus bequemer gewesen, allerdings war dies bis in den späten Frühling wegen des Hochwassers zu gefährlich. Die Damen also kamen völlig erschöpft, verschmutzt und nur wenig „hoffähig“ in der Kaiserstadt an und begaben sich erst, nachdem sie wieder zu Kräften und frischen Kleidern gelangt waren, zur Audienz bei Hof. Maria Theresia ließ Tee servieren und beobachtete dabei die junge Frau an der Seite ihrer Schwägerin Anne-Charlotte von Lothringen genau. Irgendetwas an der Art, wie die junge Frau blickte, wie sie sich hielt, sich bewegte, gefiel der Monarchin. Sie musste um einige Jahre älter sein als sie selbst und doch schien sie voller Lebendigkeit. Das hübsche Gesicht, so entschlossen wie warmherzig, ging der Monarchin nicht mehr aus dem Sinn.

Die Kaiserstadt, in der die Damen angekommen waren, war trotz aller barocken Gemütlichkeit eine quirlige Großstadt mit mehr als 150 000 Einwohnern. Die Habsburger residierten seit dem 13. Jahrhundert in der Stadt an der Donau. Seit 1438 war Wien Residenz und seit 1558 Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs, Maria Theresia residierte also in einer der glanzvollsten Metropolen der damaligen Welt. Doch die Habsburgerin, die 1740 ihrem Vater auf den Thron nachgerückt war, hatte die Kaiserwürde, die ihr Haus seit 300 Jahren ohne Unterbrechung in Händen gehalten hatte, 1742 an den Kurfürsten von Bayern verloren, eine schwere Niederlage, aber eine, die die junge Regentin schon bald überwinden würde. Mit großem Geschick verhandelte sie seit dem Tod ihres bayerischen Widersachers im Januar 1745 mit den maßgeblichen Leuten in Europa, um die Kaiserkrone für ihren Mann Franz Stephan von Lothringen zu sichern. Doch davon später.

Anne-Charlotte war Franz Stephans Schwester und die Baronin Schack, die mit ihr nach Wien gekommen war, die ehemalige Hofdame von Franz Stephans Mutter, Elisabeth-Charlotte von Lothringen. Maria Theresia sei, so behauptete nun die Schwägerin, Sophie Schack von Schackenburg schon vor sechs Jahren einmal in Innsbruck begegnet. Das war 1739 gewesen und Maria Theresia – damals erst drei Jahre mit Franz Stephan verheiratet – hatte auf dem Weg von der Toskana zurück nach Wien für einige Tage mit ihrem Gemahl in Innsbruck Station gemacht. Die junge Erzherzogin hatte ihren Mann Franz Stephan von Lothringen nach Florenz begleitet, wo er, wenn auch nur für drei frühlingshafte Monate im Jahr 1739, sein Erbe als Großherzog der Toskana angetreten und das zuvor von den Medici regierte Land nach den Gesetzen der Aufklärung in ein modernes Musterland zu verwandeln begonnen hatte. Mit zentraler Verwaltung, effizienter Steuerpolitik und allerlei wirtschaftlichen Neuerungen, für die er, Franz Stephan, immer schon eine ganz eigene Hand hatte, eine, die auch den Ländern seiner Gemahlin einmal zugutekommen würde. Auf der Rückreise von der Toskana sollte das junge Paar mit Franz Stephans Mutter, eben jener Elisabeth-Charlotte von Lothringen, zusammentreffen, die – um ihren Sohn endlich wiederzusehen und seine junge Braut kennenzulernen – extra mit ihrer Hofdame Sophie Schack aus Lothringen nach Innsbruck gereist war. Sechs Tage sollte das Wiedersehen dauern, bis die verwitwete Herzogin am 25. Mai die Rückreise nach Commercy antrat. Für die lothringische Hofdame muss die Ankunft des Großherzogpaars in Innsbruck ein unvergessliches Ereignis gewesen sein! Franz Stephan und Maria Theresia wurden mit allen Ehren empfangen, die Tiroler Schützen standen Spalier und schossen Salut. Straßen, Brücken und Gebäude waren saniert und vom Hof in Wien „Spesierungsuncosten“ von stattlichen 54 000 Gulden für Unterkunft und Verpflegung genehmigt worden. Man reiste mit über 400 Personen, mit Kammerherren, Dienstboten, Zofen, Ärzten und Beichtvätern, sodass an den jeweiligen Poststationen stets mindestens 300 Pferde bereitzustehen hatten. Die Toskana-Reise war eine offizielle Hofreise und derlei Unternehmungen waren organisatorische und repräsentative Meisterleistungen.

1739 – die Zusammenhänge waren der jungen Baronin Schack bestimmt nur teilweise bewusst – war Maria Theresia noch Erzherzogin und bloß die Thronerbin des großen Habsburgerreichs. Ein junges Mädchen, bis über beide Ohren verliebt, ja hingegeben ihrem Franz Stephan, den sie 1736 nach in ihren Augen viel zu langer Wartezeit mit 19 Jahren endlich hatte heiraten dürfen. Sie kannte ihn schon, seitdem sie fünf und er 15 Jahre alt waren. Ihr Vater, Kaiser Karl VI., hatte in überaus weiser Voraussicht den jungen Lothringer an den Wiener Hof geholt und mit dem Ziel, ihm einst seine Tochter, die Erbin eines der mächtigsten Reiche der damaligen Welt, zur Frau zu geben, erziehen lassen. Das heiratspolitische Arrangement war ausnahmsweise glücklich gefügt, nicht nur der Kaiser fand Gefallen an dem jungen Mann, der einer seiner bevorzugten Jagdgefährten wurde, sondern auch die beiden füreinander Bestimmten verliebten sich, kaum dem Kindesalter entschlüpft, in fast märchenhafter Weise ineinander. Über Nacht hatte die „chère Mitz“, wie sie später liebevoll von ihrem Gemahl genannt wurde, so heftige Gefühle der Leidenschaft für den einstigen Spielgefährten entwickelt, dass die stürmische Liebe bald allen auffiel. Den britischen Gesandten Robinson brachte das Glück bei Hofe derart ins Schwärmen, dass er nach London meldete: „Trotz ihrer starken Seele hegt sie eine zärtliche Liebe zu dem Herzog von Lothringen. Des Nachts sieht sie ihn im Traum, und am Tage unterhält sie ihre Hofdamen nur von ihm, so dass es nicht wahrscheinlich ist, dass sie den Mann jemals vergessen wird, für den sie sich geboren glaubt.“ Schließlich konnte Maria Theresia gar nicht mehr an sich halten und zwang ihren Vater, schon bald einen Hochzeitstermin festzusetzen. Und als die endlich Verlobten, der Hofetikette entsprechend, getrennt wurden, schrieb Maria Theresa folgende berühmt gewordenen Zeilen voller Zärtlichkeit an ihren Zukünftigen: „Ich bin Ihnen unendlich für Ihre Aufmerksamkeit verbunden, mir Nachricht von Ihnen zu geben, denn ich war bekümmert wie eine arme Hündin […] Adieu Mäusl, ich umarme Sie von ganzem Herzen […] Adieu, caro viso …“ Maria Theresia mischte auf die für sie typische Weise Französisch, die Hauptsprache des Hofes und ihre Umgangssprache mit dem aus Lothringen stammenden Franz Stephan, mit deutschen und italienischen Ausdrücken – auch Italienisch war schließlich eine im großen Habsburgerreich gebräuchliche Sprache. Dann, am 12. Februar 1736 endlich, in der Augustinerkirche in Wien, sie ganz in Silber und Brillanten, er in Weiß, durften die Habsburgerin und der Lothringer am Altar das Jawort auf Lebenszeit sprechen! Man ahnt, was, Jahre später, der Tod dieses geliebten Menschen der Kaiserin antun wird, ein Ereignis, das sie mit ihrer Freundin Sophie Schack, verheiratete Enzenberg, auf schicksalhafte Weise und für immer verbinden würde.

Davon freilich ahnen die beiden Frauen bei ihrem Zusammentreffen 1745 noch nichts. Die aus niedersächsischem Uradel stammende Sophie hatte ihre Jugend am Hof in Lothringen verbracht, ihre Eltern waren um 1718 nach Lunéville berufen worden, wo das Mädchen bald Hofdame von Elisabeth-Charlotte von Lothringen, der späteren Schwiegermutter Maria Theresias, wurde. So durfte sie an allen Feierlichkeiten, an Hochzeiten und Reisen des Lothringer Hofes teilnehmen. Im März 1737 begleitete sie eine andere Schwester von Franz Stephan, Prinzessin Elisabeth-Thérèse, bis zur savoyischen Grenze, als diese mit dem Witwer Karl Emanuel III., König von Sardinien, verheiratet wurde. Sophies Gönnerin – sie war mit den Jahren korpulenter und damit anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen geworden – war jedoch am 23. Dezember 1744 einem Schlaganfall erlegen. Sie hatte ihrem Schützling nur ein Schreiben voller Lobeshymnen hinterlassen und ihrer Tochter Prinzessin Anne-Charlotte aufgetragen, gut für die ihr so lieb gewordene Hofdame zu sorgen. Doch es brauchte wohl kaum der guten Referenzen, um Maria Theresia, bei der jene Anna-Charlotte samt Sophie zur Audienz erschienen war, davon zu überzeugen, die Freiin von Schack mit sofortiger Wirkung in ihren eigenen Hofstaat zu übernehmen. Maria Theresia entschied schnell und spontan, ihre Menschenkenntnis war so groß, dass sie sich schon nach kurzen Begegnungen einen detaillierten Eindruck von ihrem Gegenüber zu machen pflegte.

Die Herrscherin hatte damals schon zehn, wohl eher 15 Hofdamen um sich gesammelt. Für Frauen aus adeligen Familien gab es in der Zeit der barocken Hofhaltung keine prestigeträchtigere Stellung als die der Hof- oder Palastdame. Wem derlei Ehre zuteilwurde, war auch bereit, gemeinsam mit anderen Hofdamen in ein und demselben Zimmer unweit der Monarchin zu schlafen und rund um die Uhr für deren Wohlergehen zur Verfügung zu stehen. Für den erweiterten Familienkreis der jeweiligen Hofdame erschloss sich durch das ehrenvolle Amt meist ein direkter Weg an die Spitze der Macht. Hofdamen hören und sehen schließlich alles. Vor allem aber profitierte natürlich die Monarchin und Gebieterin selbst von ihrer ergebenen Schar, die weder wie die Kammerfrauen körperliche Arbeiten verrichten mussten, noch wie die Hofbeamten mit unmittelbaren Verwaltungsaufgaben betraut waren. Aber die Damen ließen sich für diskrete diplomatische Schachzüge ebenso einsetzen, wie sie der kurzweiligen Unterhaltung dienten. Sie waren in gewisser Weise der allerhoheitlichste Taubenschlag des Staates.

Sophie hatte sich schnell eingelebt, was wenig verwunderlich war, waren sich die beiden Höfe, der lothringische und der Wiener Hofstaat, in wichtigen Dingen ähnlich. Doch während der Wiener Hof aus der spanischen Etikette hervorgegangen war und sich erst seit den Zeiten des Sonnenkönigs an Versailles zu orientieren begann, war der Hof in Lunéville – wenn auch provinzieller und kleiner – gänzlich vom französischen Vorbild geprägt, das damals absolut stilbildend in Europa wirkte. Bestimmt hat die neue Hofdame sogleich einige Ämter übernommen, es gab stets viele, gerade auch im Jahr 1745, als Maria Theresias Gemahl, Franz Stephan, endlich am 13. September in Frankfurt zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt werden sollte. Maria Theresia, obwohl mit dem achten Kind im vierten Monat schwanger, reiste – wohl in Begleitung ihrer neuen Hofdame Sophie Schack – zu den Feierlichkeiten nach Frankfurt. Zu Hause in Schönbrunn blieben fünf Kinder in der Obhut ihrer Ajas und Ajos, also der Kinderfrauen und – damals war dies eine prestigeträchtige Aufgabe – ihrer männlichen Kollegen zurück. Zwei Kinder waren noch im Babyalter verstorben. Maria Theresia hat also mit 28 Jahren bereits fast die Hälfte ihrer beeindruckenden Kinderschar auf die Welt gebracht!

Was für eine Leistung! Was für eine Kraft! Dabei war für Maria Theresia das Kinderbekommen nur ein Teil ihrer Aufgaben. Schließlich war sie es, die den Staat regierte, nicht ihr Mann, den sie sofort nach dem Tode ihres Vaters am 20. Oktober 1740 zum Mitregenten in den habsburgischen Erblanden ernannt hatte. Die permanenten Schwangerschaften absolvierte sie meistens bei strotzender Gesundheit und ohne das Reiten einzustellen. Wieder einmal schwanger führte sie zum Beispiel das berühmte Damenkarussell in der Winterreitschule an, das aus Anlass der Rückeroberung Prags am 2. Januar 1743 abgehalten worden war. Damals hatte sie, nach drei Jahren voller Niederlagen, endlich das Steuer herumgerissen und sich zum ersten Mal Respekt bei den Herrschern in ganz Europa verschafft.

Am 20. Oktober 1740 war Maria Theresias Vater Karl VI. plötzlich an einer Pilzvergiftung verstorben, die er sich bei einem seiner unzähligen Jagdausflüge in Schloss Halbturn zugezogen hatte. Damit stand die junge Erzherzogin mit einem Schlag im Zentrum der Weltpolitik. Sie habe, gestand sie in einer ihrer als „Politisches Testament“ bezeichneten Denkschriften „in dem 22. Jahr meines Alters ohne mindester oder doch mit sehr geringen Kantnus meiner Länder, meiner Armee, ja sogar meines Ministerii“ die Regierung übernehmen müssen, weil es „meinem Herrn Vattern niemals gefällig ware, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beizuziehen noch zu informieren“ – ihr Deutsch war viel fehlerhafter als ihr Französisch, die Schriftsprache der Zeit. Auch wenn Maria Theresia, als sie dies schrieb, bereits sehr bewusst – heute würde man sagen – Imagepflege betrieb, bleibt es verwunderlich, dass Karl VI., der doch schon lange ahnte, dass ihm seine Gemahlin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel keinen Sohn mehr schenken würde, und der mit der Pragmatischen Sanktion schon 1713 die erbrechtlichen Grundlagen zur weiblichen Nachfolge gelegt hatte, seine Tochter nicht besser auf ihre Aufgabe vorbereitet hat. Und das bei einem Reich, welches von der Oder bis zur Adria, von den Alpen bis zu den Karpaten einen Großteil von Mitteleuropa einschloss. Wie hatte er sich das Ganze vorgestellt? Wäre Maria Theresia nicht ein solches politisches Naturtalent gewesen, hätte sie nicht über eine derart beneidenswerte Rednergabe und ein derart schnelles Urteilsvermögen verfügt sowie Mut und Unabhängigkeit im Geiste wie in ihren Handlungen bewiesen, das Reich ihres Vaters wäre an all den herrschsüchtigen Männern ihrer Zeit zerschellt wie eine allzu große, schöne Muschel an der Felsenküste.

Die Pragmatische Sanktion, die Kaiser Karl VI. 1713 aufgesetzt hatte, war nach langen Verhandlungsjahren endlich 1730 von den europäischen Mächten ratifiziert worden, doch kaum war der Kaiser 1740 gestorben, war der Vertrag das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben stand. Keiner der europäischen Herrscher respektierte die zahlreichen Rechtstitel der jungen Regentin: Königin zu Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slawonien; Erzherzogin zu Österreich; Herzogin zu Steyer (Steiermark), Kärnten und Krain, Schlesien, Brabant, Limburg, Luxemburg, Mailand, Mantua, Parma, Piacenza; Markgräfin zu Mähren; Fürstin zu Siebenbürgen; gefürstete Gräfin zu Tirol und Flandern; Markgräfin des Heiligen Römischen Reiches zu Burgau und so weiter und so fort. Man fiel über die 23-Jährige her, mit fadenscheinigen, die Verwandtschaftsverhältnisse betonenden Ausreden, in Wirklichkeit war es ein Machtkampf und die junge Regentin eines der wichtigsten Reiche in Europa schien das ideale Opfer dafür zu sein.

Den Anfang machte ein Gleichaltriger. Friedrich II. von Preußen, ebenfalls erst einige Monate auf dem Thron, war eigentlich ein Philosoph und als solcher hatte er mit der Feder und seinem von Voltaire herausgegebenen Werk, dem Antimachiavell, noch vor kurzem hehre moralische Werte gepriesen: „Ich übernehme die Verteidigung der Menschlichkeit wider diesen Unmenschen [Machiavelli], der dieselbe vernichten will; ich setze die Vernunft und die Gerechtigkeit dem Betrug und dem Laster entgegen, und ich habe es gewagt, meine Betrachtungen über Machiavellis Buch von Kapitel zu Kapitel anzustellen, damit das Gegengift unmittelbar auf die Vergiftung folge.“ Nun marschierte er ohne Kriegserklärung – moralisch also höchst zweifelhaft – schon im Dezember 1740 in Schlesien ein und besetzte das seit zwei Jahrhunderten zu Österreich gehörende Land, das mit seinem landwirtschaftlichen Reichtum einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung in den habsburgischen Erblanden leistete. Da Maria Theresia im Norden ihres Reiches kaum über Truppen verfügte, hatte Friedrich von Anfang an leichtes Spiel. Den Handel, den er ihr anbot, dass wenn sie ihm Schlesien überlasse, er sich für die Wahl Franz Stephans zum Kaiser einsetzen würde, lehnte sie mit den berühmt gewordenen Worten ab: „Die Königin hat nicht die Absicht, ihre Regierung mit der Zerstückelung ihrer Staaten zu beginnen.“ Tapfer und auch dickköpfig warf sie sich ihm entgegen und musste die bittere Erfahrung machen, dass weder ihre Truppen noch deren Generäle und schon gar nicht die ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel ausreichten, um eine derartige Herausforderung erfolgreich bestehen zu können. Schlesien konnte sie nicht zurückgewinnen, im April 1741 siegte Friedrich II. bei Mollwitz und im Juli 1742 musste sie in den Frieden von Berlin einwilligen. Wenigstens wussten die europäischen Mächte nun, dass sie die Willensstärke und Entscheidungsfreude der jungen Frau nicht unterschätzen sollten.

Noch während die Habsburgerin durch den Angriff des Preußenkönigs bis ins Mark getroffen war, erklärten ihr im Sommer 1741 schon die nächsten Länder den Krieg. Nur England und die Niederlande blieben – wenn auch höchst untätige – Verbündete. Bayern, dessen Kurfürst die Allianz der Feinde anführte, dachte voller Eroberungslust an Böhmen, Oberösterreich und Tirol, darüber hinaus wollte der Wittelsbacher, in dessen Adern Habsburgerblut floss – deswegen hatte er Maria Theresias Erbansprüche durch die Pragmatische Sanktion bestritten –, die Kaiserkrone erringen. Sachsen wollte der jungen Regentin Mähren entreißen, Spanien hatte ein Auge auf die Lombardei geworfen und Frankreich sah sich schon im Besitz der Habsburgischen Niederlande. Dem „Weiberregiment“ in Wien wollte man bloß Ungarn, die Toskana und die innerösterreichischen Länder lassen. Nur derart an Territorien, Macht und Einfluss beschnitten, konnten sich die Herren eine weibliche Herrscherin inmitten von Europa denken. Im September 1741 marschierten die bayerischen Truppen in Linz ein und wurden vom Volk, das ebenfalls der Frau auf dem Wiener Thron misstraute, als rechtmäßige Herren bejubelt. Im November erreichten sie Prag, wo sich der Wittelsbacher alsbald von den böhmischen Ständen huldigen ließ. Die Wenzelskrone hatten loyale Untertanen schnell in Sicherheit gebracht, doch de facto beherrschten nun die Feinde einen wichtigen Teil der habsburgischen Kernländer – die Lage hätte ernster nicht sein können. „Ich hatte kein Königreich mehr, das mir nicht streitig gemacht worden wäre, und ein Jahr später wusste ich nicht einmal, wo ich niederkommen sollte, da ich in Wien nicht bleiben konnte“, erinnerte sich Maria Theresia, sie war damals mit ihrer Tochter Marie Christine schwanger, an diese vielleicht schwierigste Zeit ihres Lebens.

Ein Lichtblick bei all den Katastrophen war, dass im März 1741 nach vier Mädchen endlich ein Sohn auf die Welt kam, der Thronfolger und spätere Kaiser Joseph II. Nun konnte sich Maria Theresia in Pressburg zur Königin von Ungarn krönen lassen und die stolzen Magnaten dank ihrer zu Herzen gehenden Redekunst – sie hielt ihre Ansprache in vollendetem Latein – endlich von ihrer Notlage überzeugen, um deren finanzielle Hilfe und zusätzliche Truppen zu erhalten. So wendete sich allmählich das Blatt. Schon im Februar 1742 marschierten Habsburgs Soldaten in München ein, während der Kurfürst von Bayern, seiner Hausmacht beraubt, in Frankfurt zum Kaiser gewählt eine recht traurige Erscheinung abgab. Im Dezember des gleichen Jahres kapitulierte Prag, und als Maria Theresia im Mai des darauffolgenden Jahres im Prager Veitsdom die Wenzelskrone auf das Haupt gesetzt bekam – „ist schwerer als die von Pressburg, sehet einem Narrenhäubel gleich“ –, schien sie ihr Reich konsolidiert zu haben – bis auf Schlesien, doch das wollte Maria Theresia nicht für immer verloren geben.

Friedrich freilich erschienen selbst diese Erfolge seiner Rivalin als zu gefährlich und so brach er im August 1744 den im Juli 1742 geschlossenen Frieden von Berlin und zettelte den Zweiten Schlesischen Krieg an. Wieder unterlag die Österreicherin im Kräftemessen und musste schließlich auf Drängen ihres einzigen Verbündeten England im Dezember 1745 im Frieden von Dresden endgültig auf Schlesien verzichten. Im Gegenzug erkannte der Preußenkönig die durch das plötzliche Ableben Karls VII. mittlerweile an Franz Stephan gegangene Kaiserkrone an.

Wie muss Maria Theresia nach all den überwundenen Schwierigkeiten, den existentiellen Bedrohungen und ihrer Verantwortung für ein Reich, das ihr fast unter den Fingern zerronnen war, 1745 auf die Baronin Schack gewirkt haben? Zwischen der vor Lebensfreude sprudelnden 21-jährigen Erzherzogin in Innsbruck und der 28-jährigen Monarchin müssen Welten gelegen haben. Sophie hatte in Innsbruck fast noch ein junges Mädchen kennengelernt und nun stand ihr eine erwachsene Frau, eine siebenfache Mutter und eine Regentin gegenüber, die ihr Reich vor dem Zerfall bewahrt hatte. Bestimmt war Sophie beeindruckt, wahrscheinlich empfand sie für ihre neue Gebieterin von Anfang an nicht nur eine große Zuneigung, sondern auch Bewunderung. Damit war sie nicht allein, Maria Theresia hatte eine starke Wirkung auf ihre Umgebung, in ganz Europa sprach man von der schönen – und nun eben auch starken – Frau auf Habsburgs Thron.

In Frankfurt so dürfen wir annehmen, würde Sophie die Kaiserkrönung miterleben, vielleicht hat Ihre Majestät ihr sogar erklärt, warum sie zwar nach Frankfurt gereist, sich dort aber nicht zur Kaiserin mitkrönen lassen würde? Ein genialer Schachzug! Maria Theresia wusste, dass die Kaiserwürde zwar von beträchtlichem symbolischen Wert war, aber die eigentliche Macht bei der Königin und somit in den habsburgischen Erblanden lag. Als ungekrönte Kaiserin konnte sie sich Kaiserin nennen –, dazu brauchte sie nur mit dem Kaiser verheiratet zu sein –, musste sich aber nicht an die Bürden dieses Amtes halten, das seinen Inhabern theoretisch untersagte, gegen andere Mitglieder des Reiches Kriege zu führen. Außerdem wollte sie Franz Stephan, für den sie die Krone zurückerobert hatte, den großen Auftritt überlassen, ihn, den sie liebte, wollte sie glänzen sehen. Sie sei, als ihr Mann ihr beim Verlassen der Kirche im mittelalterlichen Ornat in den viel zu großen Handschuhen Reichsapfel und Szepter hinstreckte, in schallendes Lachen ausgebrochen, so zumindest bemerkte es Johann Wolfgang Goethe in seinen Wahlverwandtschaften und weiter, „da die Großen nun auch einmal Menschen sind, so denkt sie der Bürger, wenn er sie lieben will, als seinesgleichen; und das kann er am füglichsten, wenn er sie als liebende Gatten, als zärtliche Eltern, als anhängliche Geschwister, als treue Freunde sich vorstellen darf.“

Maria Theresia bilanzierte über jene ersten fünf Regierungsjahre, nachdem sie mit ihrer neuen Hofdame wieder in Wien eingetroffen war, dass ihre Rettung „nicht dem Glück oder der Kunst“ ihrer Waffen, „sondern Gottes Milde und Beistand allein“ zu verdanken gewesen sei. Sophie wird ihr bestimmt beigepflichtet haben, sie war ebenso gläubig wie Ihre Majestät, doch wir können nur mutmaßen wie es gewesen ist, denn das erste erhaltene schriftliche Zeugnis über die Beziehung der beiden Frauen datiert aus dem Jahr 1746.

Der Erbfolgekrieg würde sich noch eine Weile hinziehen, mit kriegsmüden Truppen, schlechten Waffen und fast ebenso schlechten Befehlshabern. Im Jahr 1746 kamen der Habsburgerin die Russen mit einer Defensivallianz zu Hilfe, doch es brauchte wieder einmal die Engländer, deren Interessen weniger am Kontinent als auf den Weltmeeren lagen, um dem Ganzen ein für allemal ein Ende zu bereiten. Sie stellten die erstaunlich kriegswillige Regentin vor vollendete Tatsachen und so wurde am 18. Oktober 1748 der Friede von Aachen unterzeichnet.

Während des Blutvergießens ging das Leben am Wiener Hof natürlich weiter. Die Kriege in den Zeiten vor der Moderne waren keine totalen Kriege, vielmehr eine Abfolge von Schlachten und Scharmützeln, die sich die Herrschenden, einem perpetuierten Schachspiel gleich, leisteten, um immer wieder aufs Neue Macht- und Einflusssphären zu verteilen. Am Ende bekam der eine ein paar Ländereien hier, der andere dort, nur um die neue territoriale Ordnung in der nächsten Schlacht wieder auf den Kopf zu stellen. Das Volk, leidtragend nicht nur in den Kriegen, diente als Manövriermasse und Kanonenfutter in den Spielen der Mächtigen. Dass es einst, der ignoranten Behandlung müde geworden, sich erheben würde, ahnte man wie so vieles trotz der bedrohlichen Zeichen am Horizont freilich noch nicht. Vorerst war Europa erschöpft, alle brauchten eine Atempause, auch, um sich für das nächste Kräftemessen ordentlich zu wappnen.