Marke ohne Mythos - Arnd Zschiesche - E-Book

Marke ohne Mythos E-Book

Arnd Zschiesche

4,5

Beschreibung

Selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten werden Millionen Euros sinnlos in Werbung versenkt. Warum? Weil Marke sich nicht über Emotionen, Kreativität, einen USP erklärt. Die Ursachen für jeden Markenerfolg liegen im Unternehmen. Und nur dort. Marke hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem Megathema entwickelt, es ist an der Zeit, das Thema sachlich wie sachgerecht zu beleuchten - ohne jeden Mythos. In diesem Buch erfahren Sie alles darüber, wie soziale Anziehungskraft aufgebaut wird. Denn nichts anderes ist Marke. Egal ob Mini, Aldi, Audi oder die Dönerbude um die Ecke: Jedes Unternehmen kann sozialen Magnetismus aufbauen und so zur Marke werden. Dieses Buch ist für alle Menschen, die immer schon wissen wollten, wie Marke wirklich funktioniert und was sich hinter dem allgegenwärtigen Faszinosum verbirgt. Wie entsteht Markenkraft mit Sogwirkung? Warum wechseln wir unsere Lieblingsmarken nicht? Warum ist Marke so immens wichtig? Was eigentlich ist Marke? Es erwarten Sie glasklare Antworten, eine übersichtliches Seitendesign und viele anschauliche Beispiele - vom Mini bis zum Magenbitter.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,5 (18 Bewertungen)
13
1
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ARND ZSCHIESCHE, OLIVER ERRICHIELLO

MarkeohneMythos

Das erste ehrliche Markenbuch oderwarum so viele Menschen einen Minibrauchen

Ich danke Xena und Leander.Und meiner liebsten Mini-Fahrerin Dorothee. – AZ

Ich danke Elena. Und Morten und Bent für den sanften Zwangzur Werktreue. – OE

Ein besonderer Dank für die Zeichnungen in diesem Buch gehtan Tita Larasati, eine indonesische Produktdesignerin,Dozentin und Grafikerin, die in Bandung auf der Insel Java lebt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeInformationen sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Claudia Maas, GarrelUmschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.deUmschlagfoto Mini: Izmocars / Izmo / Corbis

©2014 GABAL Verlag GmbH, OffenbachDas E-Book basiert auf dem 2013 erschienenen Buchtitel „Marke ohne Mythos“ von Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello, ©2013 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-476-6ISBN epub: 978-3-86200-982-4

Alle Rechte Vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

www.gabal-verlag.dewww.facebook.com/Gabalbuecherwww.twitter.com/gabalbuecher

Zum Mythos im Hintergrund:

Im Jahr 1961 veröffentlichte der US-amerikanische Werbefachmann Rosser Reeves (1910–1984) ein Buch, das zu einem Klassiker geworden ist: »Werbung ohne Mythos«. Klar und auf den Punkt gebracht, macht er in dem Werk deutlich, dass erfolgreiche – also von Mythen befreite – Werbung das Produkt und seine spezifische Leistung in den Mittelpunkt stellen muss. Gute Werbung transportiert »einfach« nur das Alleinstellungsmerkmal des beworbenen Produktes und seine Vorteile gegenüber den Konkurrenzprodukten. Das Schöne: Es hat sich nichts geändert an der Richtigkeit und Aktualität von Reeves’ Aussagen. Das Ärgerliche: Heute wie damals entsteht mehrheitlich Werbung, die diese Erkenntnisse teuer missachtet, nein, ignoriert. Es wurden inzwischen wahrscheinlich Hunderttausende von Büchern zum Thema Werbung veröffentlicht. Es gab und gibt ständig neue Werbetrends und -moden und gerade beansprucht das Neuromarketing für sich, neue Erkenntnisse über Konsumentenhirne hervorgebracht bzw. den Stein der Weisen gefunden zu haben … Fakt ist: An den Grundregeln für gute Kommunikation im Allgemeinen und erfolgreiche (Marken-)Werbung im Speziellen hat sich rein gar nichts geändert. Wie auch? Der Mensch hat sich ja nicht geändert: Trotz oder gerade wegen E-Mail, Facebook und Twitter bleibt Vertrauen die schnellste und vor allem die einzige echte soziale Verbindung zwischen Menschen. Wenn alles so eindeutig ist, warum dann noch ein weiteres Buch?

Weil wir den Kampf gegen die vorsätzliche Marken-Wertevernichtung, die tagtäglich stattfindet, nicht aufgeben. Weil gute Werbung und gute Markenführung eins sind. Weil das eine nicht ohne das andere funktioniert. Gute Markenführung kann bereits die beste Markenwerbung sein. An dieser entscheidenden Stelle möchten wir unser Know-how zur Verfügung stellen. Aus markensoziologischer Perspektive stehen die Regeln für erfolgreiche Markenführung – inklusive erfolgreicher Werbung – fest und es kann garantiert werden, dass sie auch in ferner Zukunft Bestand haben werden. Es sind die entscheidenden Grundregeln menschlicher Kommunikation. Die oberste Regel lautet: Vertrauen ist und bleibt die härteste Währung. Vertrauen ist ein sozialer Vorgang, der selten mit Regeln des klassischen Marketings konform geht, sich nicht in vermeintlichen Zielgruppen abbildet oder der absurden Vorstellung von einem »rationalen Verbraucher« gehorcht. Der Markensoziologe weiß, dass mindestens 80 Prozent unserer Entscheidungen unterbewusst gefällt werden. Es ist daher entscheidend, deutlich zu machen, dass das klassische Marketing durchaus den Verkauf forcieren kann. Langfristiger Markenaufbau im Wettbewerb geschieht jedoch allein auf Grundlage sozialer Gesetzmäßigkeiten. Nur soziale Gesetzmäßigkeiten können den Siegeszug des Minis erklären, rational betrachtet macht das Auto keinen Sinn.

Die soziale Attraktivität und somit die wirtschaftliche Kraft von Marken ist das Resultat von Leistungen, welche auf positive Resonanz gestoßen sind und im Ergebnis Vertrauen produziert haben. In der Folge hat sich ein positives Vor-Urteil über die Leistung bzw. das Unternehmen gebildet. Das bedeutet: Wer seine Leistung präzisiert und konsequent kommuniziert, liegt vorn. Um nichts anderes geht es. Der Mythos, der einige Marken zweifelsohne umgibt, bildet sich allein deshalb in der Kundschaft, weil sie die Leistung der Produkte faszinierend findet. Das Unternehmen hat die völlig mythenfreie Verpflichtung, diese Leistung immer wieder aktuell zu erbringen – nichts anderes. Auch der Mythos von Porsche verblasst, wenn Porsche keine faszinierenden Sportwagen mehr auf die Straße stellt. Der Mythos der besten Dönerbude der Stadt verblasst ebenfalls, wenn dort kein leckerer Döner mehr geschnitten wird.

Wir halten es für allerhöchste Zeit, dieses simple Ursache-Wirkungs-Prinzip, das hinter jeder erfolgreichen Marke steckt, erneut in den Vordergrund zu rücken: weil wir das Brimborium, welches vielerorts um das Phänomen Marke gemacht wird, nicht mehr ertragen. Marke ist ein spannendes Thema, aber der Mythos um Marken entsteht allein über deren Leistungen – niemals über Marketing-Worthülsen von Kompetenz, Innovationskraft und Serviceorientierung. Daher möchten wir Reeves’ Beitrag zur produktorientierten Werbung um das Thema Marke erweitern und komplettieren. Um den Zusammenhang klarzustellen: Eine Marke braucht nicht zwangsläufig Werbung, aber gute Werbung kann Marken helfen und ist ein wichtiger Teilbereich ganzheitlicher Markenführung. Die Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig: Selbst in wirtschaftlich kritischen Zeiten werden Milliarden Euros sinnlos in Werbung versenkt, weil unberücksichtigt bleibt, dass auch die emotionalste Werbung nur dann wirkt, wenn eine eindeutige Anbindung zur Markenleistung hergestellt wird. Das geschieht selten, denn dazu benötigt es Wissen um die Marke und ihre Mechanismen sowie die Bereitschaft, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Die Inhalte Ihrer Marke kennen Sie, alles andere stellen wir Ihnen zur Verfügung – am Ende steht eine deutlich erhöhte Durchschlagskraft für Ihre Marke und / oder ein deutlich erhöhtes Wissen um die sozialen Mechanismen hinter Marken. Markenbildung hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem Megathema entwickelt, es ist an der Zeit, das Thema sachlich wie sachgerecht zu beleuchten – ohne jeden Mythos (aber mit Augenzwinkern).

Inhalt

Inhalt

7 Bücher zum Verständnis von Marke

Anmerkungen

Bildnachweise

Die Autoren

Publikationen

10 Fakten zum Verständnis von Marke

Wussten Sie, dass …

• Marke ausschließlich ein soziales Phänomen ist?

(Markenführung bedeutet Vertrauensmanagement)

• Marke immer konkret und nie abstrakt ist?

(Marke ist der einzige und entscheidende Hard Fact im Unternehmen)

• Markenbildung ein vollkommen natürlicher Vorgang ist?

(Bei entsprechender Leistung)

• Markenaufbau unabänderlichen sozialen Gesetzen folgt?

(Und daher steuerbar ist)

• Markenführung alle Bereiche des Unternehmens betrifft?

(Service, Vertrieb, Forschung – in jedem Teilbereich können Erfolgsursachen liegen)

• Marken immer von innen zerstört werden?

(Markenzusammenbrüche sind immer auf Fehler im Markenmanagement zurückzuführen)

• Markenführung nichts mit Emotionen zu tun hat?

(Gute Markenführung kann Emotionen hervorrufen – primär außerhalb des Unternehmens)

• Markenwerbung meist vollkommen wirkungslos verpufft?

(Weil einfachste Grundregeln der Kommunikation missachtet werden)

• Markenerfolg nicht zwangsläufig Werbemaßnahmen benötigt?

(Marke lebt von guter Leistung – nicht von guter Werbung)

• die Grundgesetze erfolgreicher Markenführung für jedes Unternehmen anwendbar sind?

(Egal ob Hähnchengrill oder Weltkonzern!)

Kurz gesagt: Marke ist machbar. Mit Verstand und sozialer Logik.

Marke ist menschlich: Warum ein Mini auf vier Rädern so viele Menschen anzieht.

Wer werktags am frühen Abend in einem Stadtviertel gehobener Kategorie – oft altbaulastig – aufmerksam unterwegs ist, kann erleben, wie sich dort ab 18.30 Uhr unzählige Fahrzeuge einer einst urbritischen Kultmarke auf ergebnislose Parkplatzsuche begeben: Der moderne Mini in buntbeklebten Variationen hat einen unübersehbaren Siegeszug an all jene Orte angetreten, an denen besser verdient wird und sich der bürgerliche Nachwuchs unter Stuck zu höheren Aufgaben berufen fühlt. Die Marke, die in den 1960er-Jahren zusammen mit dem gleichnamigen Kleidungsstück die Swinging Sixties von England auf den europäischen Kontinent brachte, hat es innerhalb einer bestimmten Klientel vermocht, hohe Kaufresonanz zu erreichen. Zudem sehen Frisuren und schwarze Brillen vieler Mini-Insassen tatsächlich nach später Beatlemania-Mode aus; denn die herrscht in Kreativjobs, denen etliche Mini-Eigner/innen nachgehen (wollen). Aber: Wieso möchten so viele Menschen einen Mini fahren oder träumen zumindest davon – und schlürfen ihren Kaffee bis dato aus I-♥-Mini-Tassen in I-♥-Mini-T-Shirts? Wie ist es dem Mini gelungen, innerhalb weniger Jahre vom Nischenfahrzeug für anglophile Individualisten zum Volkswagen des gehobenen Bürgertums zu werden? Wie entsteht solche Marken-Sogwirkung?

In diesem Buch werden Sie alles darüber erfahren, wie soziale Anziehungskraft aufgebaut wird – denn nichts anderes ist Marke. Egal ob Mini, Aldi, Audi, Promi oder die Bäckerei an der Ecke. Jede Art von Unternehmung kann sozialen Magnetismus aufbauen und so zur Marke werden. Die Prinzipien des Markenaufbaus sind universell anwendbar und existieren unverändert, seit Menschen miteinander kommunizieren. Eine erfolgreiche Marke folgt sozialen Grundgesetzen, die jedes Unternehmen und jede Organisation für sich und ihre Darstellung nutzen kann. Dieses Buch ist für alle Menschen, die immer schon wissen wollten, wie Markenbildung wirklich funktioniert und was genau sich hinter dem allgegenwärtigen Faszinosum verbirgt.

Markenbildung ist keine Frage der Größe. Jede Unternehmung kann Markenkraft aufbauen.

Marke geht alle an.

Auch wenn Sie sich einfach nur so für das Phänomen Marke und die sozialen Mechanismen dahinter interessieren, werden Sie im Anschluss an diese Lektüre kompetent über Marken sprechen und Markenvorgänge rein analytisch und nicht emotional oder psychologisch bewerten können – damit sind Sie den meisten »Profis« schon weit voraus. Eines zur Abschreckung vorweg: Es geht nicht um Emotionen, Kreativität, Corporate Identity (CI) oder eine Unique Selling Proposition (USP). Es geht um Inhalte – wie bei jeder Sache, mit der eine seriöse Auseinandersetzung stattfindet. Aber: Es lohnt sich. Marke ist der entscheidende Überlebensfaktor hinter jeder wirtschaftlichen Unternehmung. Sie hilft allen: Konsumenten, Zwischenhändlern, Produzenten … Nur gesunde Marken ermöglichen es, dem ruinösen Preiskampf, der in nahezu allen Branchen herrscht, ein Schnäppchen zu schlagen: durch eine klare Absage an solch selbstzerstörerische Veranstaltungen. Nur funktionierende, starke Marken sorgen für echte Wertschöpfungskraft und garantieren langfristige Investitionssicherheit für alle Beteiligten. Wer Marke verstanden hat, der schützt sie um jeden Preis.

Leider verstehen viele Firmen die Relevanz von Marke erst, wenn sie vor der Pleite stehen – meist, weil sich seit Jahren niemand um die Markeninhalte kümmert und das Marketing sich lieber hinter Marktforschungsdaten und Kennziffern verschanzt. Warum ist das so? Erstens: aus Angst, denn seriöse Markenarbeit erfordert intensive Auseinandersetzung mit den Unternehmensinhalten. Zweitens: aus Angst, denn echte Strategie-Entscheidungen erfordern ein Bekenntnis. Starke Marken agieren autark, kennen ihre Stärken und Grenzen, sie halten ihre Fahne in keinen Zahlenwind. Welche Kennziffer erklärt, warum Menschen bereit sind, für die eine Jeans 50 Euro auszugeben und für die andere 150 Euro? Welche Marktforschung der Welt wäre auf die Idee gekommen, dass die Menschheit ein iPad oder ein iPhone benötigt? Dem wegweisenden Autopionier und ebenso erfolgreichen Zitatengeber Henry Ford wird folgender Satz zugeschrieben: »Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde.« Steve Jobs hat es in seiner Biografie ähnlich formuliert.

Kennziffern und Marktforschung sind keine seriösen Markenführungsinstrumente.

Wer Marke verstehen will, muss in die Marke hineinsehen – nicht nach außen.

Die Ursachenfür jedenMarkenerfolgliegen imUnternehmen.Nur dort.

Die starke Marke agiert immer aus sich selbst heraus.

Psychologie hilft beim Thema Markenführung nicht weiter.

Die Psychologie ist heute eine anerkannte Wissenschaft und das ist auch gut so, weil es dazu führt, dass viele Menschen weniger Berührungsängste mit dem Themenkomplex haben und gesellschaftlich zunehmend anerkannt wird, welch entscheidenden Einfluss die Psyche auf die allgemeine Gesundheit des Menschen hat. Beim Thema Marke wird die Psychologie leider oft schamlos missbraucht, denn hier wird ernsthaft geglaubt oder zumindest suggeriert, dass ganz persönliche Empfindungen in Bezug auf die Marke eine Rolle spielen oder ernsthafte Aufschlüsse hierüber geben könnten. Richtig wirr wird es, wenn zufällig erwählte Außenstehende zur Marke befragt und womöglich ahnungslos vor einem Spiegel platziert werden, hinter dem zehn Marketing- und Werbe-»Experten« mit angespannten Mienen sitzen, um zu hören, was Hausfrauen, Arbeitslose und Studenten von sich geben, die zuvor auf Marktplätzen »eingefangen« wurden, um eine Stunde später mit fünf Euro und einer Tafel Schokolade genau dort wieder »ausgesetzt« zu werden. Einige Institute führen für Marken teure Tiefeninterviews mit Millionen Menschen durch, um festzustellen, welche unterbewussten Empfindungen diese beim Gebrauch diverser Hygieneartikel haben.

Per Zufall ausgewählte Personen können sich nicht kompetent zu einer ihnen fremden Marke äußern: Sie stehen außerhalb der Marke und geben Einzelmeinungen wieder, die meist keinerlei Rückschlüsse zulassen, eben weil es individuell abgefragte Meinungen sind. Gerade Aussagen, die vor einem Mikrofon, einer Kamera oder vor Publikum stattfinden, sind Aussagen eines scheinbar rational agierenden, vernünftigen Menschen. Dieses aufgeklärte Individuum wird jedoch, nachdem die Kamera aus ist, im Supermarkt wie in seinem gesamten Alltag weitgehend irrational handeln, obwohl es gerade im Interview vollkommen andere – rationale – Aussagen zum eigenen Handeln getätigt hat. Wer gibt schon freudig zu, dass er ein rein statusorientierter, dabei aber innerlich vollkommen unsicherer Mensch ist, der daher nur sündhaft teure Marken kauft, weil alle anderen Personen in der von ihm angestrebten sozialen Umgebung diese auch tragen?

Marke lebt von sozialer Energie – nicht von individueller Energie.

Die meisten Umfragen helfen beim Thema Marke nicht weiter.

Wenn in einer Fußgängerzone x-beliebige Menschen gefragt werden, was sie von einer Marke wie Rolex oder Tommy Hilfiger halten (sogenannte Vox Pop), werden viele davon antworten »viel zu teuer«. Werden sie gefragt, wie ihnen die blaue Nivea-Dose gefällt, werden einige antworten »langweilig« oder »in Rot wäre die Dose aufregender« oder »ich mag einfach kein Blau«. Besitzen solche Aussagen irgendeine Relevanz für die jeweiligen Marken? Muss umgehend eine Hilfiger-Billiglinie eingeführt werden? Eine rote Nivea-Dose? – Hoffentlich nicht.

Einzelschicksale – egal wie engagiert sie vorgetragen werden – können kein seriöser Parameter für die Markenführung sein. Eine bestimmte Marke wird aus bestimmten Gründen von bestimmten Menschen gekauft. Diese Gründe sind selbstverständlich psychologisch motiviert und man kann sie auch gerne einzeln analysieren – aber die meisten Marken der Welt leben davon, dass Tausende, Hunderttausende oder sogar Millionen von Menschen ihre Leistung konsumieren. Jeder einzelne hat (s)einen ganz persönlichen Grund dafür, dass er diese Zahnpasta oder jenen Tubensenf kauft. Ein Unternehmen kann gerne jeden einzelnen Kunden nach seinen Kaufmotiven befragen – das ist extrem teuer, umständlich und außer Tendenzen kann nicht viel aus den Statistiken gezogen werden. Dass Discounter-Kunden eher preisbewusst, Käufer von Limousinen eher statusbewusst sind und die Kundschaft im Bio-Supermarkt im Vergleich häufiger einen akademischen Abschluss besitzt, ist interessant. Doch das alles haben Sie sich eventuell schon vorher gedacht und vor allem: Was konkret bedeutet das jetzt für die Marke?

Die Ursachen für alles, was die Marke ausmacht, sind im Unternehmen zu finden. Wenn die genauen Ursachen bekannt sind, kann im Anschluss gezielt abgetestet und abgeglichen werden, welche Wirkungen – oder neudeutsch »Images« – der Marke verstärkt oder abgeschwächt werden können.

Erst Ursachenforschung – dann Marktforschung.

Alles, was »draußen« gesagt wird, beginnt »drinnen«. Auch die globale Faszination eines Ferraris entsteht in einer Werkshalle.

JedesabstrakteMarkenimagehatkonkreteUrsachen.

Bevor die konkreten Ursachen nicht bekannt sind, kann die abstrakte Markenwirkung nicht gesteuert werden.

Warum Neuromarketing, Brand Visions und Workshops eher verwirren als helfen.

Ständig erleuchten scheinbar neue Theorien um die Marke den (Buch-) Markt. Ständig gibt es Workshops, in denen Visionen zur Marke entwickelt werden. Ständig gibt es scheinbar neue Modeströmungen: Endlich kann das Marketing ganz tief ins Konsumentenhirn eindringen und im Kernspintomografen belegen, dass das neue Bügeleisen so einiges im Hirn zum Brennen bringt. Alles schön und gut, häufig richtig interessant, leider noch viel häufiger irreführend.

Wir leben in einer Zeit, in der alles beleg- und nachvollziehbar sein muss. Wir alle haben Angst vor dem Unberechenbaren – nicht nur im Unternehmen. Dagegen wappnen wir uns mit Zahlen und neuesten Erkenntnissen. Was im Controlling funktioniert, muss doch auch irgendwie die Marke kontrollierbar machen? – Nein. So wie im Controlling eigene Gesetze gelten, so gelten bei der Markenführung andere ureigene Gesetze. Wenn ein Läufer auf der Tartanbahn liegend mit Kraulbewegungen versucht, die 100-Meter-Strecke zu überwinden, weil er sich zuvor einen 100-Meter-Schwimmwettkampf angesehen hat, zeigt sich, dass das reine Kopieren einer noch so bewährten Technik in ein anderes Element wenig zielführend ist. Das Phänomen Marke besitzt seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und dies sind soziale Gesetzmäßigkeiten. Die Komplexität einzelner Marken vollständig zu entschlüsseln, erfordert analytischen Verstand, Erfahrung und einige Übung – außerdem Zeit, die im 21. Jahrhundert prinzipiell keiner hat. Aber die sozialen Mechanismen, die über Erfolg und Misserfolg einer Marke entscheiden, sind einfach und für Außenstehende oft intuitiv nachvollziehbar. Denn einen Vorteil hat das Thema gegenüber vielen anderen Disziplinen: Die Logik von Marke folgt »einfach« dem gesunden Menschenverstand. Wenn das nur immer so einfach wäre …

Die Erfolgslogik hinter Marken ist einfach. Das ist nicht einfach durchzusetzen – speziell in großen Unternehmen.

Empört Euch!

Vielleicht haben Sie, wenn Sie in der Zeitung etwas über Marken gelesen oder eine neue Werbekampagne wahrgenommen haben, oft bei sich gedacht: Was soll das? Was möchten »die« mir jetzt sagen? Möchten »die« mich veralbern? Vielleicht dachten Sie, als eine Marke mit Namen Volks-Wagen einen Luxus-Wagen präsentierte: Hoppla, das ist irgendwie komisch. Vielleicht verwunderte es Sie, dass die gute alte Sparkasse sich in ihrer TV-Werbung immer als extrem wild, witzig, hip und kosmopolit darstellt, obwohl der einzige Grund, der Sparkasse Geld anzuvertrauen, deren Solidität und regionale Verankerung ist. Und wenn nach einem blutrünstigen dunklen skandinavischen TV-Krimi urplötzlich ein buntes, tutendes Kreuzfahrtschiff auf Ihrem Bildschirm erscheint und eine freundliche Stimme erklärt, dass Ihnen dieses TV-Vergnügen von A-Rosa-Flusskreuzfahrten präsentiert wurde, finden Sie es seltsam? Oder: Warum präsentieren die WWK- und die Ergo-Versicherungen mir jahrelang jeden Abend nach den Abendnachrichten das Wetter? Einfach so, ohne mir irgendeinen Anreiz zu geben, eine WWK- oder Ergo-Versicherung abzuschließen? Wie kann Media Markt die billigsten Elektrogeräte anbieten, wenn ich jeden Tag zur besten – d. h. zur teuersten – Sendezeit die stumpfsinnigste Media-Markt-TV-Werbung ertragen muss?

Hoffentlich war Ihr Rückschluss nicht, dass Sie zu wenig von modernem Marketing und coolen Kampagnen verstehen. Denn an dieser Stelle gilt es, aufzustehen und Stellung zu beziehen: wider den absoluten Mumpitz, den Unternehmen anrichten und somit mühsam aufgebaute Wirtschaftskraft und Werte einfach zum Fenster rauswerfen – und dafür »nebenbei« noch eimerweise Geld ausschütten! Geld, für das man ganze SOS-Kinderstädte finanzieren könnte. Erfolgreiche Markenführung hat wenig mit Krawall, aber viel mit Nähe zum Produkt und zum realen Leben zu tun. Nur scheint genau diese Nähe speziell in großen Marketingabteilungen und Werbeagenturen besonders oft abwesend zu sein. Auch die »most creative brand« braucht für erfolgreiche Markenführung einige sehr konservative Elemente …

Lassen Sie sich bitte nichts vormachen: Gute Markenführung ist keine Wundertüte.

Marke bedeutet soziale Verantwortung für ein komplexes System.

Eine Marke besitzt Verantwortung für ihre Mitarbeiter und ihre Kundschaft. Dies impliziert, dass keine Gelder in Dinge investiert werden, die keinerlei finanziellen Rücklauf ins Unternehmen versprechen. Jede seriöse Marke ist ein ehrliches Leistungsversprechen, das eingehalten werden muss: heute, morgen, überübermorgen. Damit Menschen weiter vertrauensvoll zum Produkt greifen und andere Menschen dafür Lohn bekommen. Ein Kreislauf, von dem alle profitieren und von dessen Relevanz bereits Ludwig Erhard wusste: »Nichts ist für eine Volkswirtschaft schädlicher als ein misslungener Markenartikel.« Dieses Buch hat das erklärte Ziel, genau dieses gesunde gesellschaftliche Gesamtkonzept Marke wieder in den Vordergrund zu rücken. Ein Konzept, das Ihnen in vielen Lebensbereichen hilfreich sein wird: ein Ursache-Wirkungs-Prinzip, welches überall dort Anwendung findet, wo Menschen um Vertrauen werben und ein Leistungsangebot bekannt machen möchten.

Der große Vordenker des internen Rechnungswesens, der US-Wissenschaftler Robert S. Kaplan (*1940), wird gerne mit folgendem markigen Satz zitiert, auf den jeder Leistungsträger instinktiv mit Applaus reagiert: »If you can’t measure it, you can’t manage it.« Ein typischer Management-Jubelsatz – einfach nur, weil er so herrlich kompetent und souverän klingt. Mit dieser vereinfachenden Sichtweise, welche Marke in dieser Logik gerne neudeutsch als Soft Fact abtut, kann die Komplexität eines lebenden Markensystems nicht erfasst werden. Im Gegenteil, wenn alles erfolgreich »eliminiert« wurde, was nicht sichtbar zur Renditesteigerung beiträgt, wenn alle Aktionäre befriedigt worden sind und der letzte McKinsey-Mann das Haus verlassen hat, dann wird festgestellt, dass irgendetwas fehlt. Das war dann meist die Marke. Aus markensoziologischer Sicht müsste der Kaplan-Satz lauten: »If you can’t measure it, you should analyse and manage it. Maybe it is the foundation of your market-success.« We call it »soziale Anziehungskraft«.

Jeder Markenerfolg ist das Resultat von sozialer Anziehungskraft.

Egal wie groß oder klein eine Unternehmung ist:

Marke lebt von sozialer Anziehungskraft.

Soziale Anziehungskraft kann gezielt aufgebaut und gesteuert werden.

So sieht eine Steilvorlage für soziale Anziehungskraft im 21. Jahrhundert aus: der alte Mini.

Dieser filigrane britische Fahruntersatz für anglophile Individualisten mit Kostenpunkt 7490 DM wurde dank BMW in ein massenkompatibles Monstermobil für Besserverdiener weltweit verwandelt.

Was hätte wohl Sir Alec Issigonis (Konstrukteur des Ur-Minis) dazu gesagt?

Wie entsteht die soziale Anziehungskraft eines Minis?

Der Eigner der Marke Mini, die deutsche BMW-Group, hat die seit (Neu-)Baubeginn 2001 anhaltende Anziehungskraft maßgeblich dadurch provoziert, dass ein Fahrzeugkonzept mit starker Fangemeinde erfolgreich in die Jetztzeit übertragen wurde. Diverse prägnante Stilelemente eines Erfolgsproduktes wurden gezielt übernommen und eingängig neu interpretiert. Darüber, wie authentisch der Mini mit strömungsoptimiertem Unterboden im Vergleich zur »alten Rennsemmel« auf klitzekleinen Reifen ist, lässt sich streiten. Unbestreitbar ist, dass viele Menschen mit dem Kauf des neuen Minis auf altbekannte Reize reagiert haben. Die Wiedererkennungsfreude reaktivierte die Fans; eine scheinbar sehnsüchtig wartende Kundschaft wurde vom Warten »erlöst« und folgte dem eigenen Besitztrieb. Von diesem Erfolg wurden weitere Menschen angezogen: Begeisterte Kundschaft zieht Neukundschaft an, eine Markenidee entfaltet soziale Sogwirkung. Mitten in eine Zeit konturloser Austauschvehikel – vollgepfropft mit eintönigen Plastikarmaturen – raste ein individuelles Gefährt mit echter Silhouette, kullerrunden Scheinwerfern und einem Riesentacho in der Mitte des Armaturenbrettes (sogenanntes Zentraltacho).

Ein Mini sticht aus der von Windkanal und Marketing bis zur Anonymität optimierten Masse aktueller Fahrzeuge hervor, indem er »einfach« aus der ruhmreichen Vorgeschichte der Marke zitiert. Keine noch so ausgefeilte Marktforschung hätte ergeben, dass sich Menschen nach diesem Auto sehnen: kaum Kofferraum, schlechte Rundumsicht, unbequemer Einstieg, insgesamt eng, ziemlich hoher Verbrauch, von der Anschaffung her als Kleinwagen nicht gerade ein Schnäppchen … Warum also der Kauf? – Weil das Austauschbare keine Anziehungskraft besitzt. Erst wenn das Besondere herausgearbeitet wird, entsteht Markenkraft mit Sogwirkung. Bei jeder Marke und bei jeder Leistung!

Der Mensch liebt ausschließlich das Besondere: Der Mini ist besonders.

Der Mensch liebt Wiedererkennung: Der neue Mini ist alt.

Die Begeisterung der Mini-Enthusiasten führt eine zutiefst menschliche Eigenart vor: Wir alle mögen Dinge, die wir bereits kennen. Oder präziser: wieder-erkennen. Oftmals ist es eine Form von Liebe, die wir mit uns vertrauten Dingen verbinden. Wenn die Presse einen »neuen« Retrotrend ausruft, ist dies auf psychologischer Ebene verständlich – ein Journalist wird für Neuheiten bezahlt. Für den Markensoziologen handelt es sich im Gegensatz dazu oft um einen zukunftsweisenden Rückgriff auf die eigene Historie oder anders ausgedrückt: Fokussierung auf die ursprüngliche Kernleistung – häufig die letzte Rettung nach gescheiterten Experimenten. Auch die Marke Fiat kam wirtschaftlich erst wieder ins Rollen, als sie bekannte und bewährte Modelle wie Panda, Punto oder die »Knutschkugel« Fiat 500 neu auflegte. Ehemalige Kunden erkannten in den Modellen »ihre« Marke Fiat und deren Kernkompetenz.

Es muss nicht zwingend etwas sozial exponiertes wie ein tolles Auto oder eine populäre Globalmarke sein – unser gesamter Alltag ist davon geprägt, dass wir nach Wiederholung wohlbekannter Dinge und lieb gewonnener Genüsse streben: ob es die Currywurst im Stammimbiss, das bewährte Urlaubshotel, die Lieblings-TV-Serie oder der ritualisierte Stadionbesuch am Samstag ist. Auch der durchschnittliche Einkaufswagen im Supermarkt besteht zu über 80 Prozent aus Produkten, die sich schon beim letzten Einkauf dort befunden haben – überprüfen Sie es am eigenen Einkaufswagen. Bevor wir eine neue Käsesorte ausprobieren, muss schon einiges passieren …

Wir sind alle (Marken-)Wiederholungstäter.

Der Mensch ist kein homo oeconomicus.

Der Mensch ist nicht so, wie Marketing und Medienmaschine ihn gerne zeichnen, züchten, beglücken oder bedienen wollen! Der Mensch, der sich jeden Tag 24 Stunden lang nach neuen Trends, Produkten und Ideen umschaut, existiert vielleicht tatsächlich – aber wenn, bildet er eine Minderheit und lebt extrem ungesund. Von absoluten Minderheiten kann keine Marke leben, auch keine teure Nischenmarke wie Cartier oder Rolls-Royce (gehört auch zu BMW). Der »normale« Mensch ist kein Trendspotter, er ist auch nicht der stets herbeizitierte homo oeconomicus, der alle Angebote vergleicht und sich jeden Tag neu für das günstigste entscheidet – den armen Kerl gibt es überhaupt nicht. Der homo realo ist ein träges Wesen, welches in der Betriebskantine in Richtung Salatbar marschiert, um kurz davor abzubiegen und Essen I, das panierte Schnitzel mit fetttriefenden Pommes zu bestellen – wider besseres Wissen. Da hilft uns (und unseren Hüften) so schnell kein Trend zum Light-Produkt. Der Mensch ist in seinem Alltag ein Gewohnheitstier und ein solches Vorgehen ist in vielerlei Hinsicht effizient: Es spart Zeit und erleichtert das Leben in einer komplexen Welt. Oder ermöglicht es erst, denn nur so können wir uns auf wirklich wichtige Dinge und schwierige (neue) Aufgaben konzentrieren …

Ergo: Der Mensch wird erst durch Gewohnheit(en) zum Menschen – und exakt an dieser Stelle kommt die Marke ins Spiel: Sie lebt von Wiedererkennung und erfüllt damit ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Deswegen werden heute bevorzugt alte Marken aufgekauft statt neue aufgebaut: Es gibt bereits positive Erinnerungen in den Köpfen, an die angeknüpft werden kann. Denn unabhängig davon, wie unvernünftig oder unpraktisch ein Produkt aus neutraler Sicht erscheint: Wenn viele Menschen es bereits im Vorwege lieben und erkennen (!), wird es gekauft – nichts erscheint uns so praktisch wie das Schöne! Oder soziologisch präzise formuliert: Nichts erscheint uns so praktisch wie das, was wir durch unsere Sozialisation als »schön« erlebt und erlernt haben. Wer einmal von einer Marke »angefixt« ist, dem kann keine andere so schnell mehr schöngeredet werden.

Wer bereits bestimmte Marken präferiert, bei dem haben andere Marken kaum eine Chance.

Der Mensch will als Individuum wahrgenommen werden: Mini-Fahrer fühlen sich individuell.

Marken erfüllen menschliche Bedürfnisse und der Mini rast dabei vorweg: Jeder Mensch ist – in seinem persönlichen Rahmen – gerne individuell. Der frühe Mini hatte wegen seiner prominenten Lenker (selbst die Queen wurde im Mini gesichtet), seiner Herkunft und seines Designs den Status eines Autos für »echte« Individualisten, vergleichbar exotisch wie die »Ente« für frankophile Gauloises-Raucher und Freizeitrevolutionäre im Che-Shirt. Das Auto von Mr. Bean und den Beatles stand weltweit für Britishness wie die Mercedes-Limousine für German Engineering. Es bot jede Menge spannender Zutaten, um sich durch den Erwerb von anderen Autofahrern abzugrenzen. Unabhängig davon, ob der aktuelle Mini dieses Bedürfnis noch erfüllt: Der Verkaufserfolg des BMW-Minis im 21. Jahrhundert wäre ohne die einmalige Vorgeschichte des Ur-Minis im 20. Jahrhundert nicht möglich. Mutmaßlich ergeht es Fans vom Original ähnlich wie alteingesessenen Harley-Davidson-Bikern, die weinen (nur innerlich), weil inzwischen so viele jungdynamische Banker am sonnigen (!) Wochenende auf ihren Harleys durch den Taunus knattern … Der einstige Status als Individualuntersatz macht erst die massenhafte Markenbewegung möglich – ein Problem, welches auch die Marke Apple kennt, die ursprünglich Computer für einige wenige design- und technikaffine Freaks baute.

Wer gute Markenarbeit leistet, wird Ansturm ernten: Bei Apple führt der Ansturm so weit, dass Menschen, die sonst nie campen würden, bereit sind, nächtelang vor einem Apple Store zu campieren, um ein neu auf den Markt gebrachtes Elektrogerät zu ergattern (siehe Seite 139). Doch auch Kinderschokolade kann viele erwachsene Menschen bewegen: Als der Junge, dessen Gesicht seit 1973 jede Ferrero-Kinderschokolade zierte, im Jahr 2005 durch ein neues Gesicht ausgewechselt wurde, gab es einen Proteststurm der Kundschaft: Es wurden Petitionen an Ferrero gesendet sowie eine Internetseite eingerichtet (www.weg-mit-kevin.de), auf der es u. a. ein Bastelset gab, mit dem die neue Kinderschokolade mit dem alten Kindergesicht ummantelt werden konnte – Belege für die soziale Kraft von Marken.

Marke kann erstaunliche Kräfte in den Menschen mobilisieren.

Der Mensch will Mitglied einer Gemeinschaft sein: Mini-Fahrer bilden eine Gemeinschaft.

Mit der Befriedigung des Bedürfnisses nach Individualität ist es jedoch nicht getan. Reine Individualität füllt ein Leben selbst im Zeitalter von adidas-Turnschuhen zum Selbstgestalten nicht aus. Der Mensch möchte sich zugehörig fühlen, die wenigsten Menschen begeben sich freiwillig in eine soziale Außenseiterposition. Ob Kegel- oder Golfclub, Chor, Zierfischverein, Apple-Jünger oder Smart-Gemeinde (die »Smarties«): Es gibt unzählige Arten und Angebote, Gemeinschaften zu bilden. Selbst größten Egozentrikern ist es unmöglich, sich jeder Form von Zusammenschluss zu entziehen. Die allermeisten Menschen unternehmen einiges, um sich mit anderen in irgendeiner Form zu verbinden oder verbunden zu fühlen. Dazu müssen die Mitglieder einer Gemeinschaft nicht an einem Ort versammelt sein, meist ist dies gar nicht möglich: Erfolgreiche Marken sind Gemeinschaften, die über eine Idee verbunden sind. Und auch bei diesem sozialen Wunsch hilft der mega-individuelle Mini weiter, denn mit seinem Kauf ist der Käufer aufgenommen in einem Club von Individualisten, die sich allesamt ebenfalls über den Kauf eines Minis definieren. Wir alle möchten Mitglied in einer Gruppe sein – und wenn es die Gruppe der Individualisten ist!

Markensoziologische Notiz: Fahrer des Ur-Minis grüßen sich bis heute per Handzeichen, wenn sie sich auf der Straße begegnen, Fahrer des neuen Minis kennen diesen Gruß nicht. Dies mag u. a. der Tatsache geschuldet sein, dass Letztere in urbanen Ballungsräumen mit der Kondition der Queen anderen Mini-Fahrern zuwinken müssten (und die hat bei offiziellen Anlässen einen Chauffeur). Es ist aber auch ein Hinweis darauf, bei welchem Modell mehr gemeinschaftliche Markenkraft liegt.

Studiosus-Reisen oder Aldi: Eine Marke löst den scheinbaren (!) Widerspruch zwischen Individualität und Gruppe auf.

Der Mensch liebt Wunder: Der neue Mini ist ein Wunder.

Britische Autofabrikate von Aston Martin über Jaguar bis zum Mini haben immer schon viele Menschen fasziniert, sie wurden aber – unabhängig von der Preisklasse – nie besonders gerühmt für ihre Zuverlässigkeit und Sicherheit: Autos von der Insel galten traditionell als extravagante Exoten (bis zum Ausverkauf der britischen Autoindustrie). Eine Tochter oder ein Sohn aus gutem Hause bekam daher hierzulande als erstes Auto einen VW Polo, VW Golf, Opel Corsa, eventuell noch einen kleinen Toyota, Kia oder Nissan geschenkt oder mitfinanziert. Kreative Autowünsche prallten regelmäßig an ADAC-fundierten elterlichen Einwürfen bezüglich der Unfallsicherheit, Langlebigkeit, dem Wiederverkaufswert und der Zuverlässigkeit von alten Twingos, Pandas oder eben Minis ab. Der Wunsch nach dem lässigen Mini fiel in die Rubrik »vollkommen unvernünftig« oder »Todesfalle«.

Heute ist diese Argumentationskette durchbrochen: Seit BMW verantwortlich ist für die technische Konstruktion des Fahrzeuges, ist alles anders. Der neue Mini mit markentypischem Gokart-Effekt siegt inzwischen regelmäßig in der ADAC-Pannenstatistik – der alte Mini kannte die Statistik nur von unten oder vom Hörensagen. Liegenbleiben gehörte zum Fahrerlebnis fast dazu; gerade für ihren individuellen Durchhaltewillen grüßen sich »alte« Minifahrer bis heute – geteiltes Leiden schafft Gemeinschaft. Dieser Mini war das Gegenteil einer rollenden Fahrgast-Sicherheitszelle, der neue kommt mit allem daher, was das Herz von Menschen, die freiwillig zum Sicherheitsfahrtraining gehen und jede Ausgabe der »Stiftung Warentest« archivieren, zum Pochen bringt: DSC, DTC, EDLC, CBC, EBV … Wieso wollen selbst viele konservativ geprägte Menschen weltweit plötzlich zu Hunderttausenden einen überteuerten britischen Kompaktwagen fahren, der jahrzehntelang als chronisch unzuverlässig und unsicher galt?

Der neue Mini erscheint wild, ist gleichzeitig aber urdeutsch solide – er ist ja ein BMW! Ein echtes Wunder.

Der Mensch hat individuelle Bedürfnisse: Der neue Mini befriedigt uralte Statusbedürfnisse.

Die neue Mini-Preisstruktur ist ein Wunder, welches dem Wagen jedoch in den neu eroberten Käuferschichten von Alster bis Isar zu verstärkter Anerkennung verhilft: Der 1959 als britischer Volkswagen erdachte Ur-Mini zum Basispreis von 496 Pfund ist zur globalen Lifestyle-Ikone mit Einstiegspreisen um 16 000 Euro weiter(?)entwickelt worden, einzelne Modelle haben Basispreise über 30 000 Euro. Der charmante zweitürige Kleinwagen, der in 41 Produktionsjahren technisch kaum verändert wurde, existiert jetzt in sechs Karosserieversionen; der viertürige, über vier Meter lange Mini-Countryman gilt bereits als SUV (neudeutsch »Sports Utility Vehicle« oder: riesiger Geländewagen ohne Geländetauglichkeit, dafür nutzbar auf höchstem gesellschaftlichen Terrain). Allein vom Jahr 2010 bis 2011 erlebte der Mini eine Absatzsteigerung um 22 Prozent, es wurden 285 060 Stück verkauft.