Marvin - Stefan Gemmel - E-Book

Marvin E-Book

Stefan Gemmel

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Beschreibung

Marvin ist alles andere als ein typisches Einhorn. Und Ella – eigentlich Elisabetha-Annatoniata – ganz sicher alles andere als eine typische Elfe. Mit Glitzerstaub und Feenpulver können beide eher wenig anfangen, um nicht zu sagen absolut gar nichts. Doch dann müssen sich die zwei – wenn auch anfangs eher etwas unfreiwillig – zusammentun. Denn ihre Welt ist in Gefahr, weil der durchtriebene Obergroller die Macht an sich reißen will! Dafür bedient er sich nicht nur seines gehorsamen Untergebenen Barbolus, sondern nutzt auch den ahnungslosen Granter-Jungen Freck für seine Zwecke, um in den Besitz des geheimnisvollen Seelenspiegels zu gelangen. Aber da hat er die Rechnung ohne Marvin und Ella gemacht! Zusammen mit Mupf, einem mitunter etwas hektischen Schwirrkopf-Vogel, setzen sie alles daran, den Bösewicht aufzuhalten … *** Eine fantastische Reise in magische Welten – ein rasantes Abenteuer, witzig und spannend erzählt! *** Für alle Fans von "Im Zeichen der Zauberkugel": die neue Reihe von Bestseller-Autor und Leseweltmeister Stefan Gemmel ***

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Stefan Gemmel

Marvin. Das Buch aus Feuer und Freundschaft

Marvin ist alles andere als ein typisches Einhorn. Und Ella ganz sicher alles andere als eine typische Elfe. Mit Glitzerstaub und Feenpulver können die zwei nur wenig anfangen. Doch dann gerät ihre Welt in Gefahr, denn der gemeine Obergroller will die Macht an sich reißen und mithilfe des ahnungslosen Jungen Freck in den Besitz des Seelenspiegels gelangen. Aber da hat er die Rechnung ohne Marvin und Ella gemacht! Zusammen mit dem kleinen Schwirrkopf Mupf setzen sie alles daran, den Bösewicht aufzuhalten …

Ein neues fabelhaft-fantastisches Abenteuer vom Autor der Bestseller-Reihe „Im Zeichen der Zauberkugel“

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Leseprobe

Kapitel 1

DAS BUCH AUS GLUT UND FEUER

Aus der Ferne sah alles völlig normal aus. Ein Wald, in dem die Bäume dicht an dicht standen, ein Berg, der aus diesem Wald hoch in den Himmel ragte, und ein alter Mann, der am Fuße dieses Berges nach irgendetwas zu suchen schien.

Doch je näher man kam, desto mehr musste man staunen.

Denn einige der Bäume schienen genervt von dem Alten. Sie zogen ihre Wurzeln aus der Erde und gingen schimpfend, mit wütend raschelnden Blättern, davon.

Und einige der Steine rollten sich übereinander oder voneinander weg, während der Alte unruhig von einer Stelle auf die andere trat und dabei vor sich hin murmelte: „Es muss hier welche geben. Es muss einfach!“

Er stellte sich auf mehrere runde Steine und wartete ungeduldig.

„Warum?“, brummte er dann. „Warum leben mächtige Männer eigentlich immer auf Gipfeln von Bergen?“ Er fluchte und schimpfte und konnte sich kaum beruhigen. „Die Einsamkeit – klar! Die Ruhe – natürlich! Das sehe ich ein. Aber können die nicht ebenso in einer Hütte am See leben? Oder in einem felsigen Erdloch? Warum denn immer ganz weit oben? Ich bin einfach zu alt für solche Strapaaa… Aaaaah!“

Die runden Steine unter seinen Schuhen waren in Bewegung gekommen und nahmen Barbolus mit sich. Er hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu halten, doch gleichzeitig lachte er erleichtert auf. Was für ein Glück! Hatte er doch gewusst, dass es sie hier gab. Er war auf Rumpelsteine gestoßen und diese Steine liebten es, Berge hinauf- und hinunterzurollen, und sie nahmen ihn jetzt mit sich den Berg hinauf, wo er schon ungeduldig erwartet wurde.

„Endlich, Barbolus!“, empfing ihn der höchstgranterliche Obergroller und Herrscher über alle Granter. „Was hast du mich so lange warten lassen? Gib deinen Mantel ab und komm!“

„Entschuldigt“, brachte Barbolus hervor. Er trat von den Steinen herunter und legte seinen Mantel über einen Knitterfleckerer. Barbolus schmunzelte, als er das Tier sah. Für ihn war dies eines der besten Geschöpfe, die ihre Welt hervorgebracht hatte: ein dünnes, hageres Wesen, das sich kugelrund aufblasen konnte.

Barbolus liebte den Knitterfleckerer, denn wenn er seinen Mantel um das Tierchen legte, dann blies es sich auf und glättete so alle Falten des Mantels. Und weil es Spucke besaß, mit der es alle Flecken aus jeder Art von Stoff schlürfen konnte, war Barbolus’ Mantel nach jedem Besuch sauber und ordentlich. Wie gesagt: Er liebte dieses Tierchen einfach und er liebte es, ihm zuzusehen.

Doch die ungeduldige Stimme seines Herrschers unterbrach Barbolus’ Gedanken.

„Barbolus, wo bleibst du denn?“

„Entschuldigt“, rief Barbolus zum zweiten Mal an diesem Tag. Dann rannte er schnell ins Innere der Höhle, wo der Herrscher mit einem Buch in den Händen bereits auf ihn wartete.

Die Seiten flatterten aufgeregt, als die langen Finger der dürren Hand sich auf das Papier legten. Die Seitenränder, die bisher nur geglüht hatten, begannen aufzuflammen. Feuer züngelte aus dem aufgeschlagenen Buch. Kleine Flammen, die sich zu Symbolen und Buchstaben formten.

„Uns droht Gefahr, Barbolus“, war der Obergroller zu vernehmen. Er klang so unheilvoll, dass Barbolus hart schluckte.

„Ist das wahr?“

„Es besteht keinerlei Zweifel. Und es muss ein höheres Wesen sein, von dem uns Gefahr droht. Ein Wesen voller Magie und Ehrlichkeit. Voller Licht und Hilfsbereitschaft. Ein weißes Wesen mit einem großen Herzen und einer ganz besonderen Gabe. Einer Fähigkeit, die uns wirklich gefährlich werden kann.“

Barbolus stand an der Seite seines Herrschers und schaute unsicher zu ihm auf. Sein rechtes Auge zuckte hektisch, was es immer tat, wenn Barbolus nervös war. Und das war er gerade. Sehr. Trotzdem nahm er allen Mut zusammen und schüttelte vorsichtig sein graues Haupt, als er dem Obergroller zu widersprechen wagte. „Das kann nicht sein. Eure Beschreibung trifft auf Einhörner zu. Und es gibt keine Einhörner mehr in unserer Welt. Wir haben sie allesamt auf Euer Geheiß hin vertrieben. Ganz gewiss.“

„Was erlaubst du dir? Das weiß ich selbst, augenzuckender Zwischenplapperer“, donnerte die Stimme seines Herrschers auf ihn herab. „Im Streit der tausend Seelen haben wir alle Einhörner verjagt und vertrieben. Sonst wären wir ja auch nicht an das Buch der Weisheit gelangt.“

Barbolus nickte eifrig, während sein Auge noch hektischer zuckte. „Das haben wir, das haben wir – in dieser stockfinsteren Nacht, nur von Feuerpfeilen erhellt. Wir haben diesen Einhörnern gezeigt, wer hier das Sagen hat und dass mit uns nicht zu spaßen ist.“

„Ja, es war ein Genuss, das mit anzusehen. Sie sind geflohen, mit wehenden Silbermähnen. Hals über Kopf und wir konnten uns des Buches bemächtigen. Das Buch, das alles kennt. Das Buch, das alles weiß. Das Buch, das sich niemals irrt und das stets die Wahrheit spricht. Das Buch aus Glut und Feuer.“ Er wies auf die flammenden Symbole. „Und es zeigt mir ausdrücklich, dass mein lang gehegter Plan in Gefahr ist. In einer Gefahr, die von solch einem Wesen ausgeht. Dem müssen wir zuvorkommen, Barbolus! Wir müssen uns zum Kampf rüsten.“

Barbolus verbeugte sich, so tief es ging. Auch damit sein wild zuckendes Auge für den Herrscher nicht mehr zu sehen war. „So soll es sein, höchstgranterlicher Obergroller! Wir werden es finden, dieses Wesen. Wir werden es jagen, werden es fangen, werden es vertreiben. So wie einst die Einhörner vertrieben wurden.“ Er richtete sich wieder auf, erleichtert, dass sein Auge sich beruhigt hatte, und fügte hinzu: „Und ich weiß auch schon, wen ich mit diesem Auftrag betrauen werde. Er ist jung, stark und klug. Ich versichere Euch, wir werden nicht ruhen und wir werden nicht scheitern.“

„Nichts anderes habe ich von dir erwartet, Barbolus“, dröhnte die Stimme des Obergrollers durch die Höhle. „Aber sei dir einer Sache gewiss: Wir sind nicht die Einzigen, die nach diesem Wesen suchen. Also sei vorbereitet. Schick nicht nur deinen Jäger aus, bereite auch unsere Krieger vor und halte die Armee in Kampfstellung.“

Barbolus’ Auge begann wieder zu zucken. „Ihr denkt, dass es so weit kommen kann?“

Der Obergroller zeigte erneut auf das Buch. „Wenn dein Jäger scheitert, wird ein Kampf unvermeidlich sein, Barbolus. Und nun geh! Bereite alles vor.“

Damit schickte er Barbolus hinaus und schloss das Buch aus Glut und Feuer. Die Seiten beruhigten sich, die Flammen erloschen und schließlich war nur noch ein leichtes Glühen zu erkennen, als Barbolus nachdenklich die Höhle verließ.

Kapitel 2

VERSTECKT IM VERSTECK

Das Fidelio-Mädchen zitterte am ganzen Körper.

„Ach, mein Bruder! Ich habe solche Angst!“, sagte sie, doch ihre Stimme klang, als würde sie singen. Fidelio-Stimmen klangen immer wie reiner Gesang. „Warum haben wir uns nur verlaufen …“

„Fürchte dich nicht, Schwesterherz“, gab der Fidelio-Junge singend zurück. „Jetzt, da die Nacht überstanden ist, werden wir ganz bestimmt leicht zurückfinden.“

Das Fidelio-Mädchen blickte sich um. Aus allen Richtungen klangen die Geräusche von knackenden Zweigen und raschelnden Blättern zu ihnen her.

„Dieser Wald ist verzaubert. Es wimmelt hier von magischen Tieren, bei denen man nicht weiß, was sie können oder wollen oder müssen.“

Sie hatte noch kaum zu Ende gesprochen, da war ein lautstarkes Rums aus dem Wald zu hören. Die Fidelio-Geschwister blieben erschrocken stehen.

„Da ist jemand!“, wimmerte das Mädchen melodisch. Ihr Bruder nahm sie schnell an der Hand und zog sie mit sich hinter einen Baum, um sich zu verstecken. Kurz darauf waren auch schon mächtige Schritte zu hören und ein Ohrelofant trat auf die Waldlichtung. Ein riesiges Tier, dessen Ohren genauso groß waren wie sein Rüssel lang. Weshalb der Ohrelofant auch ständig überall gegenstieß, da ihm die Ohrlappen bei jedem Schritt über die Augen fielen.

„Wir haben Glück“, flüsterte der Fidelio-Junge. „Es ist nur ein Ohrelofant. Der wird uns nichts tun, denn Ohrelofanten sind ganz friedliche Wesen.“

„Ja, solange wir hier versteckt bleiben“, gab das Mädchen zurück. „Sonst tritt er aus Versehen noch auf uns drauf, wenn ihm seine Ohren wieder einmal die Sicht verdecken.“

In diesem Moment ertönte das nächste Rums, weil der Ohrelofant erneut gegen einen der Bäume gelaufen war. Er trötete genervt und schnaufte einmal so heftig mit dem Rüssel, dass die riesigen Ohren wieder nach hinten flatterten.

Die beiden Fidelios hielten sich weiter fest an den Händen und beobachteten den Ohrelofanten, als sich plötzlich der Boden unter ihnen bewegte und etwas geschah, womit sie nicht gerechnet hätten: Die Wurzeln des Baumes zogen sich aus der Erde heraus und die Geschwister wurden auf den Rücken geworfen.

„Was … was ist denn das?“, rief der Fidelio-Junge aus. „Das finde ich nicht mehr fidelius!“

„Mir ist langweilig!“, brummte der Baum aus einem seiner Astlöcher. Er erhob sich auf seine dicksten Wurzeln und ging einige Schritte auf die Waldlichtung zu, um sich dort neben eine Tanne zu stellen. „Mach mal Platz!“

Die knarrte müde zwischen ihren Ästen hervor, doch dann zog sie die Wurzeln in die Höhe und rückte ein Stück zur Seite, gerade als der Ohrelofant an ihr vorbeitreten wollte.

„Rums-TRÖÖT-Schnauf!“, erklang es durch den Wald, als der Ohrelofant ins Straucheln geriet, hintenüberkippte und dicht neben den Fidelios auf seinen Po purzelte.

Das Fidelio-Mädchen schrie vor Angst und sprang erschrocken auf. „Es ist zu gefährlich hier. Wir müssen den Weg nach Hause finden. Schnell!“

Auch ihr Bruder sah sich immer wieder ängstlich um, während sie durch den Wald liefen. Bis er plötzlich innehielt, mit vor Erstaunen weit geöffneten Augen. „Sieh nur da! Was ist denn das?“

Über das Gesicht seiner Schwester zog sich ein freudiges Lächeln. „Was für ein fidelioses Glück – ein Einhorn! Wir sind gerettet.“

Doch ihr Bruder stutzte. „Ein Einhorn? Ich denke, es gibt keine Einhörner mehr.“

Da wurde das Fidelio-Mädchen ebenfalls nachdenklich. „Du hast recht. So hat man es uns gesagt. Dass sie alle im Streit der tausend Seelen vertrieben worden sind.“

„Und dennoch … Dort steht eines, direkt vor uns.“

„Und es wird uns helfen. Fi-Fi-Fidelio!“, sang seine Schwester überglücklich und trat mit federleichten Schritten auf das Wesen zu.

„Ganz sicher. Fi-Fi-Fidelionino“, fügte der Fidelio-Junge hinzu und folgte ihr.

„Von allen Wesen, die uns im Wald hätten begegnen können, ist ein Einhorn der größte Glücksfall für uns.“

„Das ist es! Die freundlichsten und hilfsbereitesten Tiere unserer Welt. Wir sind gerettet!“

Zusammen traten sie näher an das Einhorn heran.

Es stand auf einer Lichtung, hatte den Geschwistern den Rücken zugekehrt und bemerkte die beiden gar nicht.

„Sei gegrüßt“, versuchte der Junge es anzusprechen, aber das Einhorn reagierte nicht. Es schien mit irgendwas beschäftigt zu sein.

„Entschuldigung?“, wagte jetzt das Mädchen. Noch immer reagierte das Einhorn nicht. Es stand an einer Brombeerhecke vor einem Baum und schien dort etwas in den Stamm zu ritzen – so viel konnten die Fidelio-Geschwister mittlerweile erkennen.

Da nahm der Junge all seinen Mut zusammen und stupste das Tier mit einem Finger vorsichtig an. „Verzeihung?“

Bei der Berührung fuhr das Einhorn so heftig herum, dass selbst die Bäume aufgeregt ihre Äste schüttelten und die beiden Fidelios erschrocken aufschrien.

Denn so etwas wie dieses Einhorn war ihnen noch nie begegnet. Statt einer silbernen Mähne und einem glänzend weiß schimmernden Fell war dieses Wesen hier furchtbar struppig. Auch das Horn an seiner Stirn war nicht kerzengerade und silbrig-weiß, sondern kurz und krumm und ganz schmutzig von der Baumrinde. Und statt des gütigen Gesichtsausdrucks, den man Einhörnern nachsagte, schaute es überaus grimmig drein. Allerdings nur aus einem Auge! Das linke Auge war von einer schwarzen Klappe aus Leder bedeckt.

„Seid ihr verrückt?“, polterte das Einhorn los. „Wie könnt ihr mich so erschrecken?“

Die beiden Fidelios zitterten vor Aufregung und stotterten so um die Wette, dass sie kaum zu verstehen waren: „… aber gar nicht gewollt …“ und „… sehr leid …“ und „… uns verlaufen …“ und „… brauchen Hilfe …“ und „… bitte, bitte …“

Das Einhorn schüttelte erst den Kopf, verdrehte dann genervt die Augen und drehte ihnen schließlich wieder den Rücken zu, um mit dem weiterzumachen, wobei es gestört worden war.

Die Fidelios verstummten. Sie verstanden, dass man so nicht mit einem Einhorn sprechen konnte. Also trat das Mädchen noch einen Schritt näher heran und sagte höflich: „Verzeih, du wertvolles Geschöpf, dass wir dich in dieser Form angesprochen haben. Du verdienst natürlich Besseres und wir entschuldigen uns in aller Form dafür. Doch leih uns für einen Moment dein geduldiges Ohr, geliebtes Wesen, damit wir …“

„Was für eine Krötengrütze!“, unterbrach sie das Einhorn und schüttelte seine zottelige Mähne. „Wie kann man in so kurzer Zeit solch einen verschwurbelten Wörterbrei verzapfen?!“

Die Geschwister zuckten zusammen und verstummten wieder, als das Einhorn sie erneut ansprach: „Na los – raus mit der Sprache! Wer seid ihr und warum stört ihr mich?“

Der Junge setzte zu einer Antwort an. „So höre, hohes Wesen aus …“

Das Einhorn stampfte ungeduldig mit dem Huf auf. „Schluss mit dem Geschwurbel! Sprich doch mal so, dass man dich auch versteht.“

Da ergriff die Schwester das Wort. „Wir sind Fidelios. Wir haben uns verlaufen und möchten zurück nach Hause. Und wir hatten gehofft, dass du uns hilfst, gutmütiges We… ich meine: du eben.“

Das Einhorn schnaubte. „Na endlich! Da weiß man doch, woran man ist.“ Es blickte die zwei an. „Danke für die Auskunft! Und jetzt macht, dass ihr davonkommt.“

Die Fidelios blickten das Einhorn mit aufgerissenen Augen an. „Aber … Du wirst uns nicht helfen? Solch harte Worte von einem edlen und gutmütigen Tier wie dir …“

Das Einhorn wirkte immer genervter. „Ich bin nicht edel. Und auch nicht gutmütig. Ich bin gefährlich und … äh, furchteinflößend … und …“

Die Geschwister schauten sich erstaunt an. Sie glaubten, sich verhört zu haben. „Das kann nicht sein! Du bist schließlich ein Einhorn. Großherzig und selbstlos, freundlich und liebenswert, gütig und …“

„Ah! Aufhören!“, brüllte das Einhorn. „Ich bin ein Pirat. Seht ihr das nicht? Ein Pirat. Alle Welt zittert vor mir!“

„Alle Welt?“, staunte das Fidelio-Mädchen. „Auch deine Freunde?“

Das Einhorn warf trotzig seine Mähne zurück. „Ich habe keine Freunde. Ich brauche auch keine Freunde. Ich bin ein verdammter Einzelkämpfer, klar?“

Der Bruder schaute fragend zurück. „Was ist das für ein Wort: verdammt?“

„Das ist wie ‚fidelio‘, nur andersherum“, grummelte das Einhorn und der Fidelio-Junge runzelte die Stirn.

„Und jetzt verschwindet endlich! Ich bin nicht zum Helfen hier. Ich muss Welten erobern und Schrecken verbreiten.“

„Wie denn?“, traute sich das Mädchen nachzuhaken. „Wie verbreitest du Schrecken?“

Ein stolzes Lächeln zog sich über das Gesicht des Einhorns. Es schaute hinter sich zu dem Baumstamm, an dem es zuvor gearbeitet hatte. „Durch so was zum Beispiel“, sagte es, gab aber die Sicht nicht frei. Die Fidelio-Geschwister reckten die Hälse, um einen Blick darauf zu erhaschen. „Vorsicht, Vorsicht! Leicht zu erschreckende Wesen wie ihr sollten so etwas gar nicht sehen. Ihr würdet schreien und rennen und rennen und schreien.“

Die Fidelios legten den Kopf schief.

„Wirklich?“, fragte das Mädchen.

„Kommt auf einen Versuch an“, sagte der Junge.

„Na gut! Ihr habt es nicht anders gewollt“, erklärte das Einhorn. „Was ihr gleich seht, wird euch das Blut in den Adern gefrieren lassen. Es ist das Geheimzeichen echter Piraten. Wer das zu Gesicht bekommt, hat nichts mehr zu verlieren. Und sagt später nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Verstanden?“

„Verstanden! Können wir es jetzt denn endlich sehen?“, fragte der Fidelio-Junge.

Das Einhorn schnaubte laut, dann trat es einen Schritt zur Seite und gab die Sicht auf die Brombeerhecke frei.

Die beiden Fidelios traten ganz nah heran. „Und …Was ist das?“

Das Einhorn strahlte über das ganze Gesicht. „Na, hab ich zu viel versprochen? Aber ich hatte euch ja gewarnt. Dieses Zeichen wird alle Welt erzittern lassen. Alle Wesen der magischen Welt sollen erblassen und zittern und ehrfürchtig meinen Namen flüstern, wenn sie diese Totenköpfe sehen.“

Der Fidelio-Junge nickte. „Ah, jetzt verstehe ich“, sagte er. „Das sollen Totenköpfe sein.“ Er trat noch dichter an die Hecke heran, an der das Einhorn Stunden damit zugebracht haben musste, aus den unzähligen Brombeeren kleinste Stücke so herauszuschneiden, dass Gesichter daraus entstanden waren. Das Bild, das es in den Stamm des Baumes daneben geritzt hatte, hielt das Einhorn allerdings weiterhin verdeckt.

Das Fidelio-Mädchen kam noch näher und sah sich die Beeren genauer an. „Die sehen aber gar nicht wie Totenköpfe aus“, überlegte sie laut. „Der da sieht aus, als würde er schielen, und der da, als hätte er sich verschluckt.“

„Und schau mal der da“, kicherte der Junge. „Der sieht aus, als habe er die Backen voll.“

Das Einhorn starrte die Geschwister empört an. Es traute seinen Ohren nicht. „Was?!? Ein bisschen mehr Respekt bitte. Diese Totenköpfe sind das Erkennungsmerkmal aller Piraten und soll jeden in die Flucht schlagen, der mich ärgern will. Ihr solltet euch fürchten! Ihr … ihr … solltet ...“ Es seufzte. „Also gut. Ihr habt es nicht anders gewollt. Dann macht euch jetzt auf das Schlimmste gefasst!“

Damit trat es zur Seite und gab die Sicht frei auf das Bild, das es mit seinem Horn in die Rinde des Baumstamms geritzt hatte. Es war ein übergroßer Totenkopf mit einer schwarzen Augenklappe und langen weißen Zähnen, zwischen denen sich zwei Knochen kreuzten.

Auch hier traten die Fidelios näher und begutachteten das Werk. Doch ins Gruseln gerieten sie nicht.

„Das sieht aus wie der Kopf eines Krauselbartes, der sich irrsinnig freut, dass er eine neue Drehung für seinen Schnurbart gefunden hat“, fand das Fidelio-Mädchen.

Und der Junge fragte nur: „Warum hat er denn Spargelreste zwischen den Zähnen?“

Das Einhorn war fassungslos und schnappte nach Luft. „Was versteht ihr schon, ihr Dauergrinser?“, schimpfte es dann los. „Ihr habt ja keine Ahnung von echter Piratenkunst. Ich sollte euch ... ich müsste euch ... ich ...“

Die Geschwister merkten, dass sie das Einhorn verärgert hatten, und sofort tat es ihnen leid.

„Bei genauerem Hinsehen bekommt man schon ein bisschen eine Gänsehaut“, sagte der Fidelio-Junge.

„Aber nur, weil wir anerkennen, wie viel Arbeit das alles gewesen sein muss“, fügte seine Schwester an und wieder einmal ärgerten sich die zwei, dass Fidelios nicht wirklich lügen konnten.

Das Einhorn wandte sich enttäuscht ab. „Ach, verschwindet doch! Lasst mich allein!“

Die Fidelios ließen betrübt die Köpfe hängen, wollten aber nicht länger widersprechen und ihm den Gefallen tun. Doch bevor sie gingen, fragte der Fidelio-Junge noch: „Dürfen wir wenigstens deinen Namen erfahren, edles ... äh, gemeingefährliches Geschöpf?“

Das Einhorn drehte sich lustlos zu ihnen um. „Marvin“, war die Antwort. „Einfach nur Marvin.“

Damit wollte es den zweien wieder den Rücken zuwenden, als ihm auffiel, wie die beiden Fidelios zu lächeln begannen.

„Marvin?“

Das Einhorn nickte. „Ja, ja, ich weiß. Nicht gerade ein Piratenname …“

„Aber er passt ganz fideliös“, sagte das Fidelio-Mädchen schnell und da Marvin wusste, dass Fidelios ja nicht lügen konnten, freute er sich über das Kompliment.

Der Bruder nahm noch einmal die Rede auf. „Geschätzter Marvin, piratigstes aller Waldwesen, angsteinflößendstes Einhorn, dem wir jemals begegnet sind – wenn du uns schon nicht helfen willst oder kannst, dürften wir denn hier in deiner Nähe übernachten?“

Marvin zuckte mit den Schultern. „Ist mir egal“, antwortete er, dann wandte er sich endgültig wieder dem Baumstamm zu. Er feilte weiter an dem geschnitzten Bild in der Rinde, um es irgendwie unheimlicher zu gestalten.

„Ein Krauselbart ... Pah!“, grummelte er dabei und war froh, dass er einen Baum gefunden hatte, der so geduldig stillhielt. Seine ganze Arbeit wäre völlig umsonst, wenn der Baum einfach seine Wurzeln genommen und davonmarschiert wäre.

Während sich die Geschwister auf den Waldboden im Moos zum Schlafen legten, schnitzte und ritzte Marvin daher mit seinem krummen Horn weiter wild an dem Baumstamm herum, bis er schließlich aufgab. Denn tatsächlich musste er zugeben: Sein Bild sah einem Krauselbart immer noch ähnlicher als irgendeinem Totenkopf.

Müde wandte er sich ab. Da fiel sein Blick auf die beiden Fidelios, die zu seinen Füßen auf dem Boden lagen und deren silberne Haare sanft im Halbdunkel leuchteten.

„Die lächeln ja sogar im Schlafen um die Wette“, knurrte er und ihm wurde klar, dass er anscheinend doch noch nicht der angsteinflößende Pirat war, der er eigentlich sein wollte.

„Dann ist es ja auch egal!“, brummte er und senkte den Kopf. Er hob die zwei Fidelio-Geschwister mit der Spitze seines Horns vorsichtig an ihren Hosenträgern hoch, sodass er sie gut tragen konnte.

Marvin trabte los, um die beiden sicher nach Hause zu bringen. Dabei nahm er Umwege und nutzte geschickt das Dunkel der Nacht. Schließlich sollte kein Wesen des Waldes mitbekommen, dass er irgendwelchen Fidelios half. Wer hätte denn dann noch Angst vor ihm? Ihm: Marvin, dem Piraten-Einhorn.

Kapitel 3

IM VOLK DER GRANTER

Barbolus hielt seinen Wanderstab fest in beiden Händen, um nicht hinzufallen, während er sich auf den Rumpelsteinen zurück ins Tal hinabrollen ließ. Unten angekommen kamen die Steine zur Ruhe und legten sich ab, als wäre nichts gewesen. Aber Barbolus wusste: Sie ruhten sich nur aus, um in einigen Stunden den Berg wieder hinaufzurollen.

„Danke, meine kleinen Freunde“, sagte Barbolus. Er strich über seinen sauberen, gebügelten Mantel. „Und danke, mein lieber Knitterfleckerer“, fügte er fröhlich hinzu. Doch dann besann er sich und verstummte. Fröhlichkeit gehörte sich nicht für einen Granter. Schnell blickte Barbolus sich um und vergewisserte sich, dass niemand ihn gehört hatte.

Granter waren nicht fröhlich. Granter beschwerten sich. Sie schimpften und meckerten, aber sie waren nicht fröhlich und sie lachten niemals. Barbolus klopfte sich schweigend den Staub von den Kleidern, richtete seine grauen Haare und machte sich auf den Weg in sein Dorf.

Dabei drehten sich seine Gedanken um den Auftrag des Obergrollers. Der Jäger, den Barbolus aussenden wollte, durfte nicht scheitern. Er musste seine Mission erfüllen. Denn ein Sieg des Jägers bedeutete auch einen Sieg für Barbolus. Irgendwann musste der Obergroller ja einmal abtreten. Er war jetzt schon übermäßig alt. Und wenn er seinen Herrscherplatz verließ, dann würde Barbolus bereitstehen. Bereit, der künftige Obergroller zu werden. „Höchstgranteliger Barbolus“, das klang doch wunderbar. Zumindest in den Ohren von Barbolus.

Er beschleunigte seinen Schritt. Zum Glück war sein Dorf nicht mehr weit und Barbolus ging den Weg sehr gern. Er wurde erkannt und begrüßt, erst von einigen vorwitzigen Kindern, die voller Eifer am Wegesrand miteinander stritten, dann von den ersten Bürgern seines Dorfes, die ebenfalls dabei waren, sich über alles und jeden zu beschweren, und nach der kleinsten Möglichkeit suchten, um irgendeinen Streit anzufangen. Doch Barbolus grüßte nicht zurück. Er winkte nicht einmal. Für solche Dinge hatte er jetzt einfach keine Zeit. Es galt, höchstwichtige Pläne umzusetzen. Da durfte er sich von so etwas wie Winken nicht ablenken lassen.

Als ihn der Ruf seines Herrschers am Morgen erreicht hatte, war Barbolus erschrocken und hatte das Schlimmste befürchtet. Dass er seine Position verlieren könnte. Dass Schreckliches bevorstand. Nur damit, dass er ein besonderes Wesen aufzuspüren und herzubringen hatte – damit hatte er nicht gerechnet. Auf gar keinen Fall durfte er scheitern.

Schon merkte Barbolus, wie der Druck in ihm stieg und sein rechtes Auge zu zucken begann. Er ärgerte sich. Vor allem, weil es nur eine Sache gab, die ihn schnell wieder zur Ruhe kommen ließ: Gartenarbeit.

Gerade, wenn er etwas gegen das Augenzucken unternehmen wollte, ging er in seinen Garten. Hier züchtete er Pflanzen wie das dornige Verpfeifdich, das jedem, der vorbeikam, Beleidigungen entgegenrief. Oder die Spuck-Disteln und den Schmodderling, mit denen er seinen Nachbarn verärgern konnte, der schon seit Jahren diesen hässlichen Schleimdotterich über die Grenze wachsen ließ mit seinem ekelhaften Gebräu, das er Tag für Tag absonderte.

Barbolus griff gerade nach dem Seil, mit dem das Tor zu seinem Garten am Zaun verknotet war, als ein Pfeil zischend neben seiner Hand einschlug und das Seil zerteilte. Barbolus erschrak und schaute sich blitzschnell nach dem Täter um, sodass sein Auge mit dem Zucken gar nicht mehr hinterherkam. Erst langsam konnte er sehen, wer ihm den Pfeil geschickt hatte, und er beruhigte sich wieder.

„Freck“, rief er aus und winkte den Granter-Jungen näher zu sich heran. „Gerade habe ich an dich gedacht, mein Junge. Ich habe einen Auftrag für dich!“

Kapitel 4

GEJAGT

Es fauchte. Es zischte.

Und Marvin war begeistert.

Inzwischen konnte er sein Horn so schnell von einer Seite auf die andere schwingen, dass er die Luft damit durchschnitt, Funken durch die Dämmerung blitzten und er fauchende und zischende Geräusche verursachte. Sein langes, ausdauerndes Training hatte sich tatsächlich gelohnt. Noch einmal riss er den Kopf herum und fuhr mit seinem Horn durch die Luft, als ein fremdes Geräusch ihn aufhorchen ließ.

Plötzlich flog dicht neben seinem Ohr ein Stein an ihm vorbei. Und dann noch einer. Marvin konnte gerade noch zur Seite springen und einen Blick zu dem Gebüsch werfen, aus dem die Steine geschossen wurden – da traf ihn fast ein weiterer Stein.

Wütend stampfte er mit seinen Hufen auf. Wieder einmal war sein Versteck gefunden worden. Wieder einmal waren seine Verfolger dicht an ihm dran.

„Wer seid ihr denn?“, schnaubte er in Richtung des Gebüsches. „Wer sich versteckt, hat doch nur das Fell voll! Zeigt euch, ihr feigen Funzelwürmer!“

Doch als Antwort erhielt er nur einen Hagel an Steingeschossen. Dieses Mal allerdings aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig.

Marvin überlegte fieberhaft. Was sollte er bloß tun? Fliehen? Das kam für ihn nicht infrage. Sich wehren? Aber wie? Seine Angreifer attackierten ihn jetzt von allen Seiten. Er wirbelte herum und bäumte sich auf, um den Geschossen auszuweichen.

In dem Moment sah er einen silbernen Streif durch die Gebüsche schnellen. Etwas, das sich mit blitzartigem Tempo bewegte und zwischen dem Blattwerk hindurchschoss. Dann gab es mehrere Aufschreie und die Steinangriffe hörten auf. Marvin hatte keine Ahnung, was da vor sich ging. Und das war für den Moment auch egal. Er konnte seine Verfolger abschütteln. Jetzt! Schnell drehte er sich um und rannte los.

Wenn er nur gewusst hätte, wer ihn seit einiger Zeit jagte und vor allem warum! Und wenn er nur gesehen hätte, wer ihm da eben beigestanden hatte. Was war so schnell, dass von ihm bloß noch ein silberner Streif zu sehen war?